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Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG insgesamt zulässig und erweist sich im Sinne einer Verurteilung zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats als begründet.
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Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruches sind § 421 1 (in der durch Gesetz vom 31.07.2003 ab 01.01.2003 gültigen Fassung) i.V.m. § 324 Abs. 1 SGB III.
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Nach § 421 1 SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss. Der Zuschuss wird geleistet, wenn der Existenzgründer
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1. |
| in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch bezogen hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder Strukturanpassungsmaßnahme gefördert worden ist, |
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2. |
| nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Arbeitseinkommen nach § 15 des Vierten Buches erzielen wird, das voraussichtlich 25.000 Euro im Jahr nicht überschreiten wird (Abs. 1) |
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Der Zuschuss wird bis zu drei Jahre erbracht und wird jeweils längstens für ein Jahr bewilligt. Er beträgt im ersten Jahr nach Beendigung der Arbeitslosigkeit monatlich 600 Euro, im zweiten Jahr monatlich 360 Euro und im dritten Jahr monatlich 240 Euro. Vor einer erneuten Bewilligung des Zuschusses hat der Existenzgründer das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 darzulegen. Liegen die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit nach § 144 oder Säumniszeit nach § 145 dieses Buches vor, verkürzt sich die Dauer der Förderung entsprechend der Dauer der Sperrzeit oder der Dauer der Säumniszeit unter Berücksichtigung der bereits verstrichenen Sperr- oder Säumniszeiten (Abs. 2).
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Überschreitet das Arbeitseinkommen im Jahr 25.000 Euro, so kann nach Ablauf des bewilligten Zeitraums der Zuschuss nicht mehr erbracht werden. Arbeitsentgelt nach § 14 des Vierten Buches, das im gleichen Zeitraum erzielt wird, wird bei der Ermittlung der für die Förderung maßgeblichen Obergrenze einbezogen. (Abs. 3).
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Der Zuschuss ist ausgeschlossen, wenn die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch Überbrückungsgeld nach § 57 gefördert wird (Abs. 4).
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Nach § 324 Abs. 1 SGB III werden Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Zur Vermeidung unbilliger Härten kann das Arbeitsamt eine verspätete Antragstellung zulassen. Diese Vorschrift regelt vorrangig den Zeitpunkt, zu dem grundsätzlich der Antrag gestellt werden muss, damit er wirksam werden kann, wobei Leistungen der Arbeitsförderung vorher beantragt werden sollen (vgl. BT-Drs. 13/4941 S.212 zu § 325 SGB III). Sie regelt demgegenüber nicht, ab wann Leistungen erbracht werden dürfen. Die Vorschrift enthält daneben eine Härteregelung, nach der das AA von sich aus eine verspätete Antragstellung zulassen kann, dabei aber an das Vorliegen einer unbilligen Härte gebunden ist. Die Härteregelung des § 324 Abs.1 Satz 2 tritt als lex specialis an die Stelle der allgemeinen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) und der Grundsätze zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (vgl. Gagel, SGB III § 324 RdNr. 16).
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Hiervon ausgehend gelangt der Senat – entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG – zu der Überzeugung, dass ein Anspruch des Klägers auf Gewährung des beantragten Existenzgründungszuschusses nicht wegen verspäteter Antragstellung ausgeschlossen ist.
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Allerdings hat der Kläger den Antrag auf Gewährung eines Existenzgründungszuschusses verspätet gestellt. Nach § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist der Antrag auf Zahlung eines Existenzgründungszuschusses grundsätzlich vor dem leistungsbegründenden Ereignis zu stellen. Das leistungsbegründende Ereignis ist die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit des Klägers, die seine Arbeitslosigkeit beendete. Diese erfolgte – nach dem eigenen Vorbringen des Klägers – spätestens am 26.04.2003. Den Antrag auf Gewährung eines Existenzgründungszuschusses hat der Kläger erst danach am 28.04.2003 gestellt.
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Soweit sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf beruft, er habe den Antrag bereits am 09.04.2003 gestellt, kann diesem Vorbringen nicht geglaubt werden. Denn sollte der Kläger bereits am 09.04.2003 den Antrag auf Gewährung des Existenzgründungszuschusses mündlich gestellt haben, so ist nicht verständlich, dass er am 28.04.2003 einen schriftlichen Antrag gestellt hat, ohne auf diesen Umstand hinzuweisen. Sein Antrag vom 28.04.2003 lässt vielmehr darauf schließen, dass er selbst davon ausging, noch einen Antrag stellen zu müssen. Außerdem weisen die hierzu gemachten Angaben des Klägers erhebliche Unstimmigkeiten auf. So hat sich der Kläger erstmals im Berufungsverfahren darauf berufen, am 09.04.2003 einen Antrag auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses mündlich gestellt zu haben. Im Widerspruchsverfahren hat der Kläger dagegen vorgetragen, den Antrag am 28.04.2003 gestellt zu haben. Beim SG hat er lediglich vorgetragen, er habe am 09.04.2003 nachgefragt, ob ihm ein Existenzgründungszuschuss zustehen würde, was Frau H. dem Grunde nach bejaht habe. Dass er gleichzeitig einen Antrag gestellt habe, hat der Kläger nicht behauptet. Diese unterschiedlichen Angaben sind nicht verständlich, sollte der Kläger tatsächlich bereits am 09.04.2003 einen Antrag gestellt haben. Weiter spricht der Vortrag des Klägers, zur Zeit seiner Vorsprache beim AA beabsichtigt zu haben, eine Pizza-Stube zu übernehmen, die er ohne finanzielle Unterstützung des AA nicht hätte betreiben können, weshalb die Vorsprache beim AA erfolgt sei, dafür, dass sich der Kläger am 09.04.2003 noch nicht endgültig entschlossen gehabt hatte, die Pizza-Stube zu übernehmen, was ebenfalls darauf schließen lässt, dass es sich am 09.04.2003 um ein bloßes Informationsgespräch gehandelt hat. Dies wird auch dadurch gestützt, dass der Kläger erst am 22.04.2003 sein Gewerbe angemeldet hat. Dem entspricht das Vorbringen des Klägers beim SG, er habe das Gewerbe aufgrund der Beratung durch das AA am 22.04.2003 angemeldet. Selbst wenn der Kläger sich bei dem Gespräch am 09.04.2003 dahin geäußert hätte, dass er auf finanzielle Unterstützung angewiesen sei, könnte diese Äußerung nicht als mündlicher Antrag auf Gewährung eines Existenzgründungszuschusses gewertet werden. Hierzu hätte es näherer zeitlicher Angaben (insbesondere des Betriebsbeginns) bedurft. Dass der Kläger zur Zeit des Gespräches am 09.04.2003 bereits in der Lage war, den Betriebsbeginn anzugeben, ist aber nach dem Ausgeführten nicht anzunehmen. Dies hat der Kläger auch nicht behauptet. Dass der Kläger am 09.04.2003 noch keinen Antrag gestellt hat, bestätigt auch Frau H. in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 18.12.2003. Nach ihren Angaben hat es sich bei dem Gespräch am 09.04.2003 lediglich um ein Informationsgespräch gehandelt hat. Sie hat außerdem bestätigt, dass der Kläger am 09.04.2003 keine Willenserklärung dahin abgegeben hat, dass und ab wann er die Gewährung eines Existenzgründungszuschusses beantragen möchte. Damit erweist sich das Vorbringen des Klägers, am 09.04.2003 einen Antrag gestellt zu haben, als nicht glaubhaft.
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Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des § 193 BGB berufen. Nach dieser Vorschrift tritt, wenn an einem bestimmten Tag oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken ist und der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, einen am Erklärungs- oder Leistungsort staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag. Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger war nach § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III lediglich gehalten, vor dem Betriebsbeginn den Antrag zu stellen. Ein bestimmter Tag oder eine Frist wird hierfür nicht vorgeschrieben.
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Gleichwohl durfte die Beklagte den Antrag des Klägers nicht ablehnen. Sie hätte vielmehr eine Ermessensentscheidung gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte treffen müssen.
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Der Begriff der unbilligen Härte im Sinne des § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der gerichtlich voll überprüfbar ist und der der Verwaltung keinen Beurteilungsspielraum einräumt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind im Gesetz nicht näher definiert und stellen eine offene Generalklausel dar (vgl. BSG SozR III-4100 § 44 Nrn. 4, 16). Eine unbillige Härte liegt dann vor, wenn den Antragsteller ein geringes Verschulden trifft und die Folgen erheblich sind (vgl. Gagel, SGB III, § 324 Rdnr.17).
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Hiervon ausgehend liegt im Falle des Klägers eine unbillige Härte vor. Die Folgen der Nichtgewährung des beantragten Existenzgründungszuschusses sind für den Kläger erheblich. Der Kläger verliert mögliche Zuschüsse im ersten Jahr in Höhe von monatlich 600 EUR, im zweiten Jahr von monatlich 360 EUR und im dritten Jahr von monatlich 240 EUR. Hierauf ist der Kläger angewiesen. Denn nach seinen im PKH-Antragsverfahren vorgelegten Unterlagen hat der Kläger bislang noch keinen Gewinn erwirtschaften können. Dagegen wiegt das Verschulden des Klägers an der verspäteten Antragstellung gering, selbst wenn von dem Vorbringen der Beklagten ausgegangen würde, der Kläger sei am 09.04.2003 ausdrücklich auf eine rechtzeitige Antragstellung hingewiesen worden. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass in den ihm bei diesem Gespräch übergebenen Informationsunterlagen nicht auf die Notwendigkeit einer vorherigen Antragstellung hingewiesen wird. Damit würde ein mündlich erteilter Hinweis auf eine rechtzeitige Antragstellung (selbst wenn er gemacht worden ist) relativiert. Denn es liegt nahe, dass ein bei einem Informationsgespräch gemachter entsprechender mündlicher Hinweis wegen des fehlenden Hinweises in den ausgehändigten Informationsunterlagen später in Vergessenheit gerät oder jedenfalls nicht beachtet wird, so dass dem Kläger wegen der geringfügig verspäteten Antragstellung nur leichte(ste) Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann. Damit liegen zur Überzeugung des Senats die Voraussetzungen einer unbilligen Härte vor.
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Die Beklagte ist daher verpflichtet, im Wege pflichtgemäßen Ermessens zu prüfen, ob der verspätete Antrag zugelassen wird (vgl. Wissing u.a., SGB III, § 324 Anm.6 f). Dies hat sie unterlassen. Bei der Ermessensentscheidung darüber, ob die unbillige Härte Veranlassung gibt, die Leistung trotz der Verspätung zu gewähren, hat die Beklagte zu berücksichtigen, welche realen Folgen eine Antragsablehnung für den Kläger hat und ob die Leistung zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren Zweck noch erfüllen konnte bzw. ob sie jedenfalls zur Stabilisierung der selbständigen Tätigkeit des Klägers dient, was die Beklagte nach Aktenlage nicht ohne weiteres wird verneinen können. Weiter wird die Beklagte zu berücksichtigen haben, dass auf die Gewährung eines Existenzgründungszuschusses ein Rechtsanspruch besteht. Im Übrigen sind neben den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen des Antragstellers die Gründe zu berücksichtigen, die zur Verspätung geführt haben, sofern diese nicht bereits beim Begriff der Härte berücksichtigt worden sind (vgl. Gagel, a.a.O., Rdnr.18). Dies ist von Seiten der Beklagten nicht erfolgt. Sie hat nicht einmal nach den Gründen der verspäteten Antragstellung gefragt.
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Damit ist die Beklagte ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung nicht nachgekommen, weshalb die angefochtene Entscheidung der Beklagten aufzuheben und sie zu verpflichten war, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat steht hinsichtlich der entschiedenen Rechtsfragen im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung.
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