Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss, 30. Okt. 2015 - L 10 LW 3545/15

bei uns veröffentlicht am30.10.2015

Tenor

Die Verhandlung wird bis zur Klärung der Frage, ob das Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 erledigt ist bzw. bis zur Erledigung dieses Verfahrens ausgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Kläger wendet sich gegen einen Erstattungsbescheid.
Der Kläger bezog von der Beklagten Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Die Rentenbewilligung hob die Beklagte mit Bescheid vom 08.12.2010 mit Wirkung ab dem 01.01.2011 auf. Auf der Grundlage der aufschiebenden Wirkung des vom Kläger eingelegten Widerspruchs zahlte die Beklagte die Rente bis einschließlich Januar 2012, den Monat vor Erlass des den Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 01.02.2012, weiter. In dem nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 690/12 stimmten die Beteiligten, der Kläger rechtskundig vertreten, einem schriftlichen Vergleichsvorschlag des Kammervorsitzenden zu, wonach sich die Beklagte verpflichtete, in Abänderung der angefochtenen Bescheide die Rente bis 31.08.2011 zu gewähren und (Nr. 3) damit der Rechtsstreit erledigt sei.
In der Folge führte die Beklagte diesen Vergleich mit Bescheid vom 26.07.2012 aus (Einstellung der Rente erst mit Ablauf des 31.08.2011) und forderte zugleich die Erstattung der für September 2011 bis Januar 2012 erfolgten Rentenzahlungen (1.447,70 EUR). Widerspruch und Klageverfahren sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 16.07.2015, S 9 LW 3379/12). Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er macht u.a. geltend, der Vergleich im Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 690/12 sei nicht wirksam.
II.
Die Verhandlung wird gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgesetzt. Nach dieser Regelung kann das Gericht - hier gemäß § 155 Abs. 2 Nr. 1 SGG der Vorsitzende - anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits - also des vorliegenden Berufungsverfahrens - vom Bestehen oder Nichtbestehend eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.
Dies trifft in Bezug auf das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 690/12 zu.
Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 26.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2012. Mit diesem Bescheid setzte die Beklagte die zu erstattende Rente (Monate September 2011 bis Januar 2012, insgesamt 1.447,70 EUR) fest. Nur hierüber, über die Rechtmäßigkeit dieser Festsetzung, kann der Senat entscheiden. Soweit im Bescheid vom 26.07.2012 auch Ausführungen zum Ende der Rente wegen voller Erwerbsminderung enthalten sind, wird nur der Inhalt des im früheren Gerichtsverfahren geschlossenen Vergleichs wiederholt, ohne insoweit eine inhaltliche Entscheidung, also eine Regelung i.S. eines Verwaltungsaktes zu treffen.
Rechtsgrundlage der streitigen Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 1 SGB X. Danach sind erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Dies gilt auch im Falle der Weitergewährung von Leistungen auf Grund der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen einen Leistungsentzug (BSG, Urteil vom 23.09.1997, 2 RU 44/96). So liegt der Fall hier: Nach dem Inhalt des Vergleiches stand die Rente bis August 2011 weiter zu, dann, ab 01.09.2011, aber nicht mehr; für die Zeit ab 01.09.2011 blieb nach dem Vergleich der Entziehungsbescheid vom 08.12.2010 wirksam. Legt man den Vergleich somit zu Grunde, erhielt der Kläger die Rentenzahlungen für September 2011 bis Januar 2012 im Ergebnis zu Unrecht, weil die Rentenbewilligung ab 01.09.2011 aufgehoben wurde. In diesen Fällen sieht § 50 Abs. 1 SGB X automatisch die Erstattung der überzahlten Leistungen vor.
Zwischenzeitlich ist hinreichend klar zu erkennen, dass sich der Kläger gegen die hier streitige Erstattungsforderung auch mit der Argumentation wendet, dass der im Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 geschlossene Vergleich nicht wirksam sei. Indessen kann der Senat über diese Frage im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheiden. Über die Frage, ob ein in einem Rechtsstreit geschlossener Vergleich wirksam ist oder nicht, ist nicht in einem Folgerechtsstreit zu befinden, sondern im ursprünglichen Verfahren (BSG, Urteil vom 16.11.1961, 7/9 RV 866/59). Denn sollte der Vergleich tatsächlich nicht rechtswirksam sein, wäre das Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 und die dort erhobene Anfechtungsklage noch anhängig und es müsste über die Rechtswirksamkeit des Bescheides vom 08.12.2010 (Entziehung der Erwerbsminderungsrente ab 01.01.2011 und Aufhebung des Bewilligungsbescheides) erst noch entschieden werden. Damit wäre - falls der Vergleich nicht wirksam wäre - der Bescheid vom 08.12.2010 noch nicht bestandskräftig und damit wäre die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen diesen Bescheid, auf Grund derer die hier streitige Rentenzahlung erfolgte, noch nicht entfallen. Denn diese aufschiebende Wirkung entfällt erst mit Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheides (BSG, Urteil vom 23.09.1997, 2 RU 44/96). Dann aber - falls der Aufhebungsbescheid noch nicht bestandskräftig wäre - bestünde auch der hier allein streitige Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X (noch) nicht.
Dies zeigt, dass über die hier allein streitige Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X erst entschieden werden kann, wenn Klarheit über die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides besteht. Dies ist - wie dargelegt - im Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim S 11 R 690/12 zu klären (entweder durch - von der Beklagten zu beantragende - Feststellung, dass der Rechtsstreit durch die im Vergleich auch vereinbarte Erledigungserklärung = Nr. 3 des Vergleiches erledigt ist, oder durch - vom Kläger zu beantragende - Fortsetzung des Verfahrens und nachfolgend Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides). Damit ist diese Frage dem vorliegenden Berufungsverfahren vorgreiflich.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 50 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen


(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten. (2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatt

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 155


(1) Der Vorsitzende kann seine Aufgaben nach den §§ 104, 106 bis 108 und 120 einem Berufsrichter des Senats übertragen. (2) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht, 1. über die Aussetzung und das Ruhe

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 114


(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist. (2) Hängt die Entscheidung de

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(1) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis ab, so kann das Gericht das Verfahren solange aussetzen, bis dieses Verhältnis im Zivilprozeß festgestellt worden ist.

(2) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Auf Antrag kann das Gericht die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

(2a) Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ab von der Gültigkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Vorschrift, die nach § 22a Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Antragsverfahrens nach § 55a auszusetzen ist.

(3) Das Gericht kann, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen.

(1) Der Vorsitzende kann seine Aufgaben nach den §§ 104, 106 bis 108 und 120 einem Berufsrichter des Senats übertragen.

(2) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,

1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;
2.
bei Zurücknahme der Klage oder der Berufung, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
4.
über den Streitwert;
5.
über Kosten.
In dringenden Fällen entscheidet der Vorsitzende auch über den Antrag nach § 86b Abs. 1 oder 2.

(3) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle des Senats entscheiden.

(4) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.