Gericht

Landgericht Traunstein

Gründe

Landgericht Traunstein

4 T 586/15

Beschluss

vom 14.10.2015

3 XIV 10/15 Amtsgericht Mühldorf am Inn

4. Zivilkammer

in der Abschiebehaftsache

A. A. L., geb. ... 19..., togoischer Staatsangehöriger

- Betroffener und Beschwerdeführer -

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte N.N.

Beteiligte Ausländerbehörde: Stadt N.

hier: Anordnung von Sicherungshaft

1. Es wird festgestellt, dass der Vollzug der mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.02.2015 verlängerten und bis 02.03.2015 vollzogenen Überstellungshaft rechtswidrig war.

2. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Stadt N. auferlegt.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 31.03.2014 unter Verwendung eines erschlichenen Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid der Bundespolizei Berlin vom 31.03.2014 wurde der Betroffene unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert. Der Betroffene kam der Ausreiseaufforderung am 01.04.2014 über den Flughafen Frankfurt am Main nach.

Der Betroffene wurde erneut am 21.12.2014 in einem von München nach Nürnberg fahrenden Regionalexpress der Deutschen Bahn vor der Einfahrt in den Nürnberger Hauptbahnhof angetroffen und einer Kontrolle unterzogen. Er gab dabei die Personalien „F. M. G.“ an und übergab den kontrollierenden Beamten zur Untermauerung seiner Angaben eine auf diese Personalien ausgestellte AOK-Gesundheitskarte. Mit den Zweifeln an der Richtigkeit seiner Angaben konfrontiert gab er mit den Worten „I tell you now the truth“ seine ghanaischen Personalien an, die er anlässlich seiner Einreise am 31.3.2014 verwendet hatte und teilte mit, dass er nach seiner Ausreise kurze Zeit später unter erneuter missbräuchlicher Verwendung von nicht für ihn ausgestellten Personendokumenten in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und sich seit Mai 2014 ununterbrochen dort aufhielt. Nach seinen Angaben traf er im Juli 2014 in Nürnberg den spanischen Staatsangehörigen F. M. G., der ihm gegen monatliche Zahlung von 550,- € eine Wohnung und seine Personendokumente zur Verfügung stellte.

Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte mit Schreiben vom 22.12.2014 die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer bis 11.2.2015. Das Amtsgericht Nürnberg ordnete mit Beschluss vom 22.12.2014 gegen den Betroffenen Sicherungshaft an bis längstens 11.2.2015. Die beteiligte Ausländerbehörde ordnete mit Bescheid vom 22.12.2014 die Abschiebung des Betroffenen unmittelbar aus der Haft heraus nach Ghana an. Ein Termin zur Vorführung und Vorsprache bei der Auslandsvertretung von Ghana wurde seitens der beteiligten Ausländerbehörde für den 28.1.2015 vereinbart. Mit Verfügung der beteiligten Ausländerbehörde vom 9.1.2015 wurde der Betroffene aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Im Rahmen der Anhörung von offiziellen Vertretern der ghanaischen Botschaft in Berlin wurde seitens der Botschaftsangehörigen mitgeteilt, dass es sich bei dem Betroffenen nicht um einen ghanaischen Staatsangehörigen handelt. Der Betroffene gab dazu an, dass er sich den Pass in Ghana besorgt habe. Die für den 9.2.2015 geplante Luftabschiebung nach Ghana wurde daraufhin storniert. Seitens der zentralen Ausländerbehörde Oberbayern wurde durch Herrn H. am 5.2.2015 ein Gespräch mit dem Betroffenen geführt, wobei dieser angab, in Wahrheit togolesischer Staatsangehöriger zu sein. Darüber hinaus äußerte er ein Asylgesuch.

Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte mit Schreiben vom 6.2.2015 die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer bis 14.4.2015. Es stehe aufgrund der bisherigen Ermittlungen und der Angabe des Betroffenen fest, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen togoischen Staatsangehörigen handle. Es sei ein Vorführungstermin für den 24.2.2015 gebucht. Nach Identifizierung benötige die Botschaft nach Mitteilung der Bundespolizei ca. 4 Wochen für die Ausstellung des Passersatzdokumentes, wobei für die Flugbuchung nach Togo durch die Polizeiinspektion Schubwesen weitere drei Wochen hinzuzurechnen seien. Die beteiligte Ausländerbehörde stützte die beantragte Haft auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG. Der zuständige Richter am Amtsgericht Mühldorf hörte den Betroffenen am 11.2.2015 persönlich an. Mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.2.2015 wurde die gegen den Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 22.12.2014 angeordnete Sicherungshaft verlängert bis längstens 14.4.2015.

Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 18.2.2015 Beschwerde ein. Die beteiligte Ausländerbehörde teilte mit Schreiben vom 02.3.2015 mit, dass das Bundesamt an diesem Tag mitteilte, dass der Asylantrag des Betroffenen nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet oder unbeachtlich abgelehnt werden wird. Der Betroffene wurde daher am selben Tag aus der Haft entlassen.

Der Betroffene beantragte mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 03.03.2015 die Feststellung, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat und begründete den Antrag mit Schriftsätzen seines Verfahrensbevollmächtigten vom 30.3.2015 und vom 17.4.2015. Zu beklagen sei ein Verstoß gegen § 72 Abs. 4 AufenthG, da ein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Berlin mit der Abschiebung des Betroffenen nicht vorgelegen habe. Weiter wurde ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz gerügt. Es sei davon auszugehen, dass seitens des Bundesamtes nicht erst am 2.3.2015, sondern bereits früher auf Anfrage mitgeteilt worden wäre, dass über den Asylantrag des Betroffenen nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 3 AsylVfG entschieden werden könne. Auch liege ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG, 432 FamFG vor, da keine Vertrauensperson des Betroffenen von der Freiheitsentziehung aufgrund Haftbeschluss vom 11.2.2015 informiert worden sei. Die beteiligte Ausländerbehörde nahm mit Schreiben vom 13.4.2015 Stellung. Das gegen den Betroffenen anlässlich seiner Einreise über den Flughafen Berlin Schönefeld im März 2014 durch die Bundespolizei Berlin eingeleitete Strafverfahren sei von dort an die Staatsanwaltschaft Coburg abgegeben und bereits am 14.7.14 nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Die Behauptungen hinsichtlich eines angeblichen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot seien rein spekulativ und unzutreffend. Auf die Bearbeitung des Asylverfahrens beim Bundesamt habe die Ausländerbehörde keinerlei Einfluss. Die Gesetzgeber haben mit der Vorschrift des § 14 Abs. 3 AsylVfG und der dort genannten Frist dem Bundesamt auch einen entsprechenden Bearbeitungszeitraum eingeräumt.

Zu einem Hinweis der Kammer vom 23.09.2015 nahm die beteiligte Ausländerbehörde mit Schreiben vom 07.10.2015 Stellung. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot könne der Ausländerbehörde nicht zur Last gelegt werden. Bei der Frage, ob das Verfahren durch das BAMF nach dem Grundsatz der größtmöglichen Beschleunigung betrieben wurde sei zu berücksichtigen ist, ob eine Behörde aufgrund einer Ausnahmesituation wie im Februar dieses Jahres (starke Grippewelle mit massiven krankheitsbedingten Ausfällen) überhaupt hierzu in der Lage ist und, dass die Ursache für die Inhaftierung des Betroffenen ausschließlich durch dessen Verhalten gesetzt wurde.

II.

1. Der Feststellungsantrag des Betroffenen ist zulässig. Gegen die Verhängung von Überstellungshaft durch das Amtsgericht ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde des Betroffenen wurde fristgerecht eingelegt. Da sich das Verfahren durch Entlassung des Betroffenen am 02.03.2015 erledigt hat, kann nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit begehrt werden.

2. Der Feststellungsantrag des Betroffenen ist begründet.

Die mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am 11.02.2015 verlängerte Sicherungshaft war in dem Zeitraum von 11.02.2015 bis 02.03.2015 rechtswidrig, da das Verfahren zur Abschiebung des Betroffenen nicht mit der größtmöglichen Beschleunigung betrieben wurde. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (vgl. BGH vom 17.10.2013, Az. V ZB 172/12 m. w. N.).

Die beteiligte Ausländerbehörde hat ein Asylgesuch des Betroffenen vom 05.02.2015 am 06.02.2015, 9.20 Uhr mit dem Vermerk „Eilt sehr - Haftfall“ an das BAMF weitergeleitet. Die Kammer hat die Akte des BAMF beigezogen. Daraus geht hervor, dass das BAMF mit Schreiben vom 06.02.2015 dem Betroffenen den Eingang des Asylantrags bestätigte und ihm als Anlage Informationen zum Asylverfahren zur Kenntnisnahme und zum Verbleib übersandte. Darüber hinaus wurde die beteilige Ausländerbehörde am 06.02.2015 um erkennungsdienstliche Behandlung in Amtshilfe gebeten.

In der Akte des BAMF findet sich als nächstes Schriftstück nur der Vermerk, dass der Betroffene am 02.03.2015 aus der JVA entlassen wurde. Damit geht einher, dass seit dem Zeitpunkt der erbetenen erkennungsdienstlichen Behandlung seitens des BAMF nichts geschehen ist und das Asylverfahren entgegen den Ausführungen der beteiligten Ausländerbehörde vom 13.04.2015 gerade nicht bearbeitet wurde.

Als Haftsache wäre das Verfahren aber auch seitens des BAMF vordringlich zu bearbeiten gewesen. Dass kurz vor Ablauf der Frist des § 14 Abs. 3 AsylVfG festgestellt wird, dass eine Entscheidung nicht innerhalb dieser Frist erfolgen wird, lässt sich mit dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen nicht vereinbaren. Der beteiligten Ausländerbehörde sind von dem zuständigen Bundesamt zu vertretende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot zuzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.2011, Az. V ZB 274/10).

Soweit die beteiligte Ausländerbehörde einwendet, dass aufgrund massiver krankheitsbedingter Ausfälle beim BAMF und der damit einhergehenden Ausnahmesituation das BAMF überhaupt nicht in der Lage war, dem Grundsatz der größtmöglichen Beschleunigung gerecht zu werden, folgt die Kammer den Einwänden des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen. Gerade aufgrund dieses dargelegten Ausnahmefalls war es für das BAMF bereits nach kürzester Zeit erkennbar, dass es nicht in der Lage sein wird, über den Antrag innerhalb der Frist des § 14 Abs. 3 AsylVfG zu entscheiden. Dass es der beteiligten Ausländerbehörde vor dem 02.03.2015 nicht gelungen ist, mit dem BAMF telefonisch in Kontakt zu treten, ist nicht der beteiligten Ausländerbehörde anzulasten. Ein etwaiger Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot seitens der beteiligten Ausländerbehörde ist für die Kammer nicht erkennbar. Das BAMF hätte aber zumindest in den Haftfällen auf die dargelegte Ausnahmesituation und den Umstand, dass mit einer Entscheidung innerhalb der Frist des § 14 Abs. 3 AsylVfG nicht gerechnet werden kann, hinweisen müssen. Dieser Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist, wie ausgeführt, der beteiligten Ausländerbehörde zuzurechnen.

3. Nach § 430 FamFG war auszusprechen, dass die Körperschaft, der die beteiligte Ausländerbehörde angehört, die Auslagen des Betroffenen zu tragen hat.

4. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.

5. Die Rechtsbeschwerde ist für die Ausländerbehörde nach § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht ohne Zulassung statthaft. Sie war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert.

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(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Regel zu beteiligen.

(2) Über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 und das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 25 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 bis 4 entscheidet die Ausländerbehörde nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

(3) Räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Befristungen nach § 11 Absatz 2 Satz 1, Anordnungen nach § 47 und sonstige Maßnahmen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dürfen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Aufenthalt des Ausländers nach den Vorschriften des Asylgesetzes auf den Bezirk der anderen Ausländerbehörde beschränkt ist.

(3a) Die Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Absatz 5 darf nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde des geplanten Zuzugsorts erfolgen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 12a Absatz 5 vorliegen; eine Ablehnung ist zu begründen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Ausländerbehörde am Zuzugsort nicht innerhalb von vier Wochen ab Zugang des Ersuchens widerspricht. Die Erfüllung melderechtlicher Verpflichtungen begründet keine Zuständigkeit einer Ausländerbehörde.

(4) Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Ein Ausländer, der zu schützende Person im Sinne des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes ist, darf nur im Einvernehmen mit der Zeugenschutzdienststelle ausgewiesen oder abgeschoben werden. Des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht. Dies ist der Fall, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat nach § 95 dieses Gesetzes oder nach § 9 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern oder Straftaten nach dem Strafgesetzbuch mit geringem Unrechtsgehalt erfolgt ist. Insoweit sind Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt Straftaten nach § 113 Absatz 1, § 115 des Strafgesetzbuches, soweit er die entsprechende Geltung des § 113 Absatz 1 des Strafgesetzbuches vorsieht, den §§ 123, 166, 167, 169, 185, 223, 240 Absatz 1, den §§ 242, 246, 248b, 263 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 265a, 267 Absatz 1 und 2, § 271 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 273, 274, 276 Absatz 1, den §§ 279, 281, 303 des Strafgesetzbuches, dem § 21 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 430) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, und dem § 6 des Pflichtversicherungsgesetzes vom 5. April 1965 (BGBl. I S. 213), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Februar 2017 (BGBl. I S. 147) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, es sei denn, diese Strafgesetze werden durch verschiedene Handlungen mehrmals verletzt oder es wird ein Strafantrag gestellt.

(5) § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch gilt nicht für Ausreiseeinrichtungen und Einrichtungen, die der vorübergehenden Unterbringung von Ausländern dienen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder bei denen die Abschiebung ausgesetzt wird.

(6) Vor einer Entscheidung über die Erteilung, die Verlängerung oder den Widerruf eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a oder 4b und die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 ist die für das in § 25 Abs. 4a oder 4b in Bezug genommene Strafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft oder das mit ihm befasste Strafgericht zu beteiligen, es sei denn, es liegt ein Fall des § 87 Abs. 5 Nr. 1 vor. Sofern der Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt ist, beteiligt sie vor einer Entscheidung über die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde.

(7) Zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 16a, 16d, 16e, 18a, 18b, 18c Absatz 3 und der §§ 19 bis 19c können die Ausländerbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Auslandsvertretung zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Bundesagentur für Arbeit auch dann beteiligen, wenn sie ihrer Zustimmung nicht bedürfen.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 172/12
vom
17. Oktober 2013
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Czub, die Richterin Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 12. Juli 2012 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 6. September 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Sachsen auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, ist nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags seit September 2005 vollziehbar ausreisepflichtig. Seine für Juni 2008 vorgesehene Abschiebung nach Vietnam scheiterte , weil er nicht mehr anzutreffen und sein Aufenthalt unbekannt war. Am 11. Juli 2012 wurde der Betroffene von der Polizei aufgegriffen. Nach Feststellung seiner Identität beantragte die beteiligte Behörde die Anordnung von Sicherungshaft bis zum 19. September 2012.
2
Das Amtsgericht hat am 12. Juli 2012 die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 19. September 2012 angeordnet. In dem Termin zur Anhörung des Betroffenen am 6. September 2012 vor dem Landgericht legte dessen Verfahrensbevollmächtigter unter anderem notarielle Erklärungen des Betroffenen, mit der dieser die Vaterschaft für ein im Jahr 2010 in Emden geborenes Kind anerkannte, sowie eine Zustimmung der Kindesmutter zur Vaterschaftsanerkennung vor. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. September 2012 die Beschwerde zurückgewiesen. Am 7. September 2012 hat der Betroffene per Telefax bei dem Landgericht eine Mitteilung der Ausländerbehörde des Landratsamts mit dem Inhalt eingereicht, dass Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG vorlägen und der Betroffene nach seiner Haftentlassung bei der Behörde zur Wiederanmeldung vorsprechen möge. Das Landgericht hat dem Betroffenen mitgeteilt, dass der Beschluss bereits vor Eingang des Telefaxschreibens durch Übergabe an die Geschäftsstelle erlassen und das Beschwerdeverfahren damit abgeschlossen sei. Das Landratsamt hat später Bedenken gegen die Richtigkeit seiner zuvor mitgeteilten Ansicht geäußert, dann jedoch die Duldung ausgesprochen. Der Betroffene ist schließlich am 12. September 2012 auf Anordnung der beteiligten Behörde aus der Abschiebungshaft entlassen worden, weil die Ausländerbehörde des Landkreises eine Duldung erteilt hatte.
3
Der Betroffene beantragt in der Rechtsbeschwerdeinstanz die Feststellung , durch die Haftanordnung und den Beschluss des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts rechtmäßig gewesen sei. Es habe ein den Begründungsanforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechender Haftantrag vorgelegen, da die beteiligte Behörde zur vollziehbaren Ausreisepflicht, zu dem Vorliegen von Haftgründen vorgetragen und auch mitgeteilt habe, wann die Abschiebung voraussichtlich vollzogen werden könne. Da der Haftantrag dem Betroffenen eröffnet und übersetzt worden sei, sei er auch in der Lage gewesen, zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen. Es bestehe der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 AufenthG. Aus dem Vorbringen über seine minderjährige, in Deutschland lebende Tochter ergäben sich keine ausreichenden familiären Beziehungen , die darauf schließen ließen, dass sich der Betroffene der Abschiebung nicht erneut entziehen werde.
5
Seine Abschiebung nach Vietnam sei mit einem Charterflug am 18. September 2012 vorgesehen, für den der Betroffene auch angemeldet sei. Die beteiligte Behörde habe die Abschiebung des Betroffenen auch mit der notwendigen Beschleunigung betrieben. Sie habe dargelegt, dass eine Abschiebung mit dem am 7. August 2012 durchgeführten Charterflug nicht möglich gewesen sei, da die von der Bundespolizei für jenen Flug bestimmte Anmeldefrist bis zum 4. Juli 2012 bei der Feststellung der Identität des Betroffenen am 12. Juli 2012 bereits verstrichen gewesen sei.

III.

6
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts und durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden.
7
1. Der Feststellungsantrag ist zunächst für den Zeitraum bis zur Anhörung durch das Beschwerdegericht (am 6. September 2012) begründet. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
8
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).
9
b) Der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 12. Juli 2012 entsprach diesen Anforderungen nicht. In diesem hatte die Behörde zwar auf die vorgesehene Durchführung der Abschiebung des Betroffenen nach Vietnam in von der Bundespolizei organisierten Charterflügen hingewiesen, aber nicht die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach Vietnam und deren Vorliegen dargelegt. Eine solche Darlegung gemäß dem Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die Rückübernahme von vietnamesischen Staatsangehörigen (Rückübernahmeabkommen nebst Durchführungsprotokoll vom 21. Juli 1995, BGBl. 1995 II, S. 744) ist - wie von der Rechtsbeschwerde zutreffend bemerkt - erst mit dem Schriftsatz an das Beschwerdegericht vom 31. August 2012 erfolgt.
10
c) Der Mangel des Haftantrags, auf dem die Haftanordnung des Amtsgerichts beruhte, wurde nicht schon mit diesem, den Haftantrag ergänzenden Vorbringen der beteiligten Behörde, sondern erst mit der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht behoben. Die mit einem unzulässigen Haftantrag einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 GG kann in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft dadurch geheilt werden, dass die Behörde die unvollständige Begründung ihres Haftantrags ergänzt und der Betroffene hierzu in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8). Das ist hier erst am 6. September 2012 geschehen.
11
2. Der Betroffene ist jedoch auch durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzt worden. Dies führt hier dazu, dass der Feststellungsantrag analog § 62 FamFG insgesamt - somit auch für den Zeitraum von dem Erlass der Beschwerdeentscheidung am 7. September 2012 bis zur Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 12. September 2012 - begründet ist.
12
a) Das Beschwerdegericht hat verfahrensfehlerhaft einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Abschiebungshaftsachen verneint.
13
aa) Es hat sich zu vergewissern, ob die Abschiebung zügig durchgeführt wird. Die Haft zur Sicherung der Abschiebung darf es nur dann aufrechterhalten , wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (st. Rspr. vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173, Rn. 21; Beschluss vom 1. März 2012 - V ZB 206/11, FGPrax 2012, 133, 134 Rn. 15; Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 104/12, Rn. 7, juris).
14
bb) Das Beschwerdegericht hat dies zwar im Grundsatz nicht verkannt, seine Entscheidung aber verfahrensfehlerhaft allein auf das Vorbringen der beteiligten Behörde gestützt, dass eine frühere Abschiebung des Betroffenen mit dem am 7. August 2012 durchgeführten Charterflug nicht mehr möglich gewesen sei. Darin liegt jedoch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 26 FamFG). Das Beschwerdegericht durfte sich, angesichts des Vorbringens des Betroffenen, dass die von der Bundespolizei gesetzte „Anmelde- frist“ von einem Monat nicht verständlich sei, nicht mit der Erklärung der betei- ligten Behörde über die von ihr bei der Bundespolizei einzuhaltende Anmeldefrist für Abschiebungen nach Vietnam begnügen. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen nämlich auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er selbst die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 16; BVerfGE 10, 302, 310; 83, 24, 33).
15
Eigene Feststellungen, warum es der Einhaltung einer Frist von über einem Monat zwischen der Anmeldung zur Abschiebung nach Vietnam und deren Durchführung auch bei inhaftierten Ausländern bedarf, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Solche Ermittlungen zu den Gründen einer von deutschen Behörden gesetzten Anmeldefrist, die zu einer Verlängerung der Haftdauer um bis zu einem Monat führen, waren nicht deshalb entbehrlich, weil die Abschiebung nicht von der beteiligten Behörde, sondern von der Bundespolizei durchgeführt wird. Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot durch die die Abschiebung vollziehende Bundesbehörde sind den für die Anträge auf Abschiebungshaft zuständigen Ausländerbehörden der Länder und der Kreise zuzu- rechnen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 111/10, NVwZ 2011, 1214, 1215 Rn. 13; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315, 317 Rn. 25). Die notwendigen Erläuterungen zu der erforderlichen Zeitspanne von der Beantragung bis zur Durchführung der Abschiebung durch die damit beauftragte Bundespolizei sind von dem Tatrichter entweder über die beteiligte Behörde oder direkt von der Bundesbehörde anzufordern.
16
cc) Der gerügte Verfahrensmangel stellt sich auch nicht als im Ergebnis unerheblich dar. Zwar hat nach Art. 2 Nr. 4 des Protokolls zur Durchführung des Rückübernahmeabkommens die deutsche Seite der vietnamesischen Seite vierzehn Tage vor dem Flug die Liste der von den vietnamesischen Behörden bereits als Staatsangehörige anerkannten Rückkehrer mitzuteilen; die Notwendigkeit einer Frist von über einem Monat zwischen der Anmeldung und der Abschiebung eines inhaftierten Vietnamesen in sein Heimatland ergibt sich daraus jedoch nicht.
17
b) Der Senat kann über den Feststellungsantrag abschließend entscheiden , da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Einer Aufhebung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG), die grundsätzlich dann vorzunehmen ist, wenn die Feststellung einer Rechtsverletzung wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen weitere Ermittlungen erfordert, bedarf es hier ausnahmsweise nicht. Der weitere Vollzug der Haft über den 7. September 2012 hinaus stellte sich als eine Verletzung der Rechte des Betroffenen dar, weil das für die Erteilung einer Duldung zuständige Landratsamt an diesem Tag Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG bejahte, die schließlich am 12. September 2012 zur Haftentlassung des Betroffenen auf Anordnung der beteiligten Behörde führten. Das Beschwerdegericht hat diese Tatsache in seinem Beschluss deshalb nicht mehr berücksichtigt, weil der Beschluss in dem Zeitpunkt, in welchem dem Gericht die Einschätzung des Landratsamts mitgeteilt worden ist, bereits durch Übergabe an die Geschäftsstelle (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG) erlassen und damit für das Beschwerdegericht bindend geworden war (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, 17. Aufl., § 38 Rn. 88, 90).
18
Der Senat hat jedoch neue unstreitige und aus den Akten ersichtliche Tatsachen zu berücksichtigen (vgl. BayObLG, FamRZ 2001, 1245, 1246; Keidel /Meyer-Holtz, FamFG, 17. Auflage, § 74 Rn. 16 f.; vgl. auch Senat, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 143/97, NJW-RR 1998, 1284 zum Revisionsverfahren ). Danach ist festzustellen, dass auch der weitere Vollzug der Abschiebungshaft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Allerdings schließt eine Duldung nach § 60a AufenthG weder die Anordnung noch den weiteren Vollzug der Abschiebungshaft schlechthin aus, weil die Duldung nur den Vollzug der Abschiebung aussetzt, sie aber dem Ausländer kein Recht zum Aufenthalt gibt und seine Pflicht zur Ausreise unberührt lässt. Mit Rücksicht auf die Geltungsdauer einer Duldung besteht jedoch stets Anlass zur Prüfung, ob die Abschiebung noch innerhalb von drei Monaten seit Anordnung der Haft (§ 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) durchgeführt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27, 28 Rn. 12 f.). Eine solche Prüfung führt hier angesichts des weiteren Ablaufs dazu, dass die Haft hätte aufgehoben werden müssen. Die beteiligte Behörde, die nach Landesrecht (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SächsAAZVO) nur für die Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts abgelehnter Asylbewerber, jedoch nicht für die Erteilung von Duldungen zuständig ist, hat die Haftentlassung des Betroffenen am 12. September 2012 verfügt, weil sie nach ihrem Vorbringen erst in diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem endgültigen Willensentschluss des für die Erteilung der Duldung zuständigen Landratsamts erlangte. Nach der in der Akte befindlichen Mitteilung des Landratsamts an den Betroffenen vom 7. September 2012 ist indessen davon auszugehen, dass das Landratsamt, wäre es auch für die Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts des Betroffenen zuständig, bereits an diesem Tage dessen Entlassung aus der Haft verfügt hätte. Verzögerungen bei der Haftentlassung, die auf die landesrechtliche Aufteilung behördlicher Zuständigkeiten zurückzuführen sind, gehen jedoch nicht zu Lasten des Ausländers.

IV.

19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Stresemann Schmidt-Räntsch Czub Weinland Kazele
Vorinstanzen:
AG Chemnitz, Entscheidung vom 12.07.2012 - 211 XIV 85/12 (B) -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 06.09.2012 - 3 T 416/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 274/10
vom
30. Juni 2011
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AufenthG § 15 Abs. 6 Sätze 2, 3; AsylVfG § 13 Abs. 1, § 18 Abs. 2 Nr. 2

a) Zur Widerlegung der Vermutung nach § 15 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1
AufenthG, dass der Aufenthalt im Transitbereich des Flughafens zur Sicherung
seiner Abreise erforderlich ist, hat der Ausländer konkrete Umstände vorzutragen
und glaubhaft zu machen, dass es einer solchen Anordnung nicht bedarf, weil er
abreisen kann und will.

b) Eine richterliche Anordnung über den Transitaufenthalt (§ 15 Abs. 6 Satz 2
AufenthG) kann auch gegenüber dem Ausländer ergehen, der Asyl begehrt hat,
wenn diesem die Einreise nach § 18 Abs. 2 AsylVfG verweigert worden ist.
BGH, Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10 - LG Frankfurt/Main
AG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juni 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main vom 1. Oktober 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Die Betroffene, eine afghanische Staatsangehörige, kam am 25. August 2010 auf dem Luftweg aus Kabul auf dem Flughafen Frankfurt am Main an. Bei der grenzpolizeilichen Kontrolle legte sie einen angeblich mittelbar falsch beurkundeten afghanischen Reisepass vor, der ein echtes französisches Schengen-Visum enthielt. Ihr wurde die Einreise verweigert, und sie wurde in dem Transitbereich des Flughafens untergebracht. Bei ihrerEinreisebefragung durch die Beteiligte zu 2 (Bundespolizei als Grenzbehörde) am 29. August 2010 stellte sie ein Asylgesuch.
2
Die Beteiligte zu 2 benachrichtigte hiervon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), das ein Aufnahmeersuchen an die Französische Republik nach Art. 17 der Verordnung (EG) 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. EG Nr. L 50, S. 1 - im Folgenden: Dublin II-Verordnung ) richtete.
3
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 15. September 2010 den Aufenthalt der Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des Flughafens bis zum 15. November 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung angeordnet. Die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt sie, die am 21. Oktober 2010 nach Frankreich überstellt worden ist, festzustellen, dass sie durch die richterliche Anordnung der Unterbringung auf dem Flughafen und die Beschwerdeentscheidung in ihren Rechten verletzt worden sei.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung zur Unterbringung der Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft auf dem Flughafen (§ 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG) sei rechtmäßig.
5
An die Entscheidung der Beteiligten zu 2, die Betroffene wegen der Zuständigkeit Frankreichs für die Durchführung des Asylverfahrens nicht einreisen zu lassen (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG), sei der Haftrichter gebunden. Insoweit stehe der Betroffenen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Die Aufenthaltsanordnung sei auch zur Sicherung der Abreise (§ 15 Abs. 6 Satz 3 AsylVfG) erforderlich, da die Zurückweisung der Betroffenen nach Frankreich erst nach dem Ablauf der 30-Tage-Frist nach der Ankunft auf dem Flughafen vollzogen werden könne. Besondere Umstände, die es rechtfertigten, von der Unterbringung zur Sicherung der Zurückweisung abzusehen, die nach § 15 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. Abs. 5 AufenthG in der Regel anzuordnen sei, lägen hier nicht vor.
6
Das Asylbegehren der Betroffenen stehe der Anordnung nicht entgegen, da dieses nicht zu einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG geführt habe. Diese setze die Einreise in das Bundesgebiet voraus, welche der Betroffenen jedoch verweigert worden sei. Über die Rechtmäßigkeit der Einreiseverweigerung habe nur das Verwaltungsgericht zu entscheiden.

III.

7
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist - ungeachtet der nach der Beschwerdeentscheidung eingetretenen Erledigung der Hauptsache durch die Überstellung der Betroffenen nach Frankreich - gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG statthaft.
8
Ein Betroffener hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, in seinen Rechten verletzt worden zu sein, wenn ihm auf Grund einer richterlichen Entscheidung - wie bei den Haftanordnungen nach §§ 57, 62 AufenthG (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9 und vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 5) - die Freiheit entzogen worden ist. Ob der nach der Verweigerung der Einreise angeordnete Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft auf dem Flughafen (sog. Transitaufenthalt) ebenfalls eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG ist (so OLG Frankfurt, InfAuslR 1997, 47, 48; 1997, 226, 227; OLG München, InfAuslR 2006, 139, 142) oder lediglich eine - keinen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 5 Abs. 1 EMRK) darstellende - Einreisebeschränkung herbeiführt (so Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Juni 2010, § 15 Rn. 126; Lehnguth/Maaßen, DöV 1997, 316, 322) ist streitig, kann für die Beurteilung der Statthaftigkeit eines Feststellungsantrags nach § 62 Abs. 1 FamFG jedoch dahinstehen.
9
Der angeordnete Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich des Flughafens oder in einer Unterkunft nach § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG ist nämlich einer Freiheitsentziehung insofern gleichgestellt worden, als der Transitaufenthalt spätestens 30 Tage nach der Ankunft des Ausländers nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG - wie die bei einer Ankunft auf dem Land- oder Seeweg allein mögliche Verhängung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG - einer richterlichen Anordnung bedarf (BT-Drucks. 16/5065, 165). Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist jedenfalls dann, wenn der Transitaufenthalt richterlich angeordnet worden ist, nach der Erledigung eines gegen diese Entscheidung von dem Ausländer eingelegten Rechtsmittels - ebenso wie bei den Rechtsbehelfen gegen richterliche Haftanordnungen - ein berechtigtes Interesse des Betroffenen an einer Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG anzuerkennen, durch die zu Unrecht richterlich angeordnete Aufenthaltsbeschränkung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.

IV.

10
Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Zurückweisung ihres Rechtsmittels die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat (§ 72 Abs. 1 i.V.m. § 62 Abs. 1 FamFG).
11
1. Allerdings haben die Voraussetzungen für eine richterliche Anordnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG auf Grund der der Betroffenen nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG verweigerten Einreise und der Entscheidung über eine Zurückweisung nach Frankreich vorgelegen. Einreiseverweigerung und Zurückweisung rechtfertigen grundsätzlich die richterliche Anordnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG, dass der Ausländer sich weiter (über 30 Tage hinaus) bis zu seiner Abreise im Transitbereich des Flughafens aufzuhalten hat. Der Haftrichter hat von der Einreiseverweigerung als Grundlage für seine Anordnung auszugehen, da er nicht über deren Rechtmäßigkeit zu entscheiden hat (BT-Drucks. 16/5065, S. 165). Rechtsschutz gegen die Einreiseverweigerung wird allein durch die Verwaltungsgerichte gewährt. Die Rechtsbeschwerde greift dies auch nicht an.
12
2. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht die richterliche Anordnung über den Transitaufenthalt auch als eine zur Sicherung der Abreise der Betroffenen erforderliche Maßnahme angesehen. Der (weitere) Aufenthalt der Betroffenen in der Unterkunft auf dem Flughafen durfte - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - trotz des von der Betroffenen bekundeten Willens, nicht in Deutschland bleiben, sondern weiterreisen zu wollen, angeordnet werden.
13
a) Die Aufenthaltsbeschränkung ergeht nach § 15 Abs. 6 Satz 3 AufenthG zur Sicherung der Abreise des Ausländers. Sie ist dadurch - wie die zur Sicherung der Durchsetzung der Ausreisepflicht dienende Abschiebungshaft (zu dieser: BVerfG, NVwZ 2007, 1296, 1997; Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 13/10, Rn. 26, juris) - an einen gesetzlich bestimmten Zweck gebunden. Die richterliche Anordnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG ist nur dann rechtmäßig, wenn sie diesem Zweck dient (FunkeKaiser , GK-AufenthG, Stand Juni 2010, § 15 Rn. 135; HK-AuslR/Fränkel, AufenthG, § 15 Rn. 24).
14
Da die Anordnung zu anderen Zwecken nicht ergehen darf, ist sie kein geeignetes Instrument, um abreisewillige Ausländer, die bei der Grenzbehörde ein Asylgesuch gestellt haben, im Transitbereich des Flughafens bis zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach Art. 4 Dublin II-Verordnung (vgl. AG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - 934 XIV 1877/08, Rn. 8 juris) oder bis zu einer kontrollierten Ausreise oder begleiteten Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 3 Dublin II-Verordnung i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchstaben b und c der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin IIVerordnung (ABl. EG 2003 Nr. L 223, S. 3) festzuhalten.
15
b) Die Anordnung gegenüber der Betroffenen stellte sich jedoch auch nach diesen Maßstäben als eine zur Sicherung der Abreise erforderliche Maßnahme dar.
16
aa) Das Beschwerdegericht hat dies rechtsfehlerfrei vor dem Hintergrund bejaht, dass nach § 15 Abs. 6 Satz 5 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG der Ausländer, gegen den eine nicht unmittelbar vollziehbare Zurückweisungsentscheidung ergangen ist (und keine Zurückweisungshaft geordnet wird), sich bis zu seiner Abreise im Transitbereich des Flughafens aufhalten soll. Der Transitaufenthalt des Ausländers zur Sicherung einer Zurückweisung ist als gesetzlicher Regelfall bestimmt worden. Für die Erforderlichkeit des Transitaufenthalts bedarf es nach einer Einreiseverweigerung bei einer nicht sofort vollziehbaren Zurückweisung durch die Grenzpolizei keiner weiteren Nachweise. Unter diesen Voraussetzungen wird die Erforderlichkeit des Transitaufenthalts auf dem Flughafen zur Sicherung der Abreise des Ausländers vermutet.
17
bb) Die Rechtsbeschwerde zeigt keinen Vortrag auf, der zur Widerlegung dieser Vermutung geeignet ist. Da das Verlassen des Bundesgebiets auch aus dem Transitbereich eines Großflughafens auf dem Luftweg grundsätzlich jederzeit möglich ist, hat der zurückgewiesene Ausländer konkrete Umstände (wie zum Beispiel durch die Vorlage eines Flugtickets)vorzutragen und glaubhaft zu machen, dass es der Anordnung zum Transitaufenthalt zur Sicherung seiner Abreise nicht bedarf, weil er abreisen könne und wolle. Daran fehlt es.
18
Da die Betroffene keine konkreten Angaben zu einer die Anordnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG entbehrlich machenden Abreise auf eigene Initiative gemacht hat, greift auch die Rüge einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) nicht. Die Pflicht des Beschwerdegerichts, die entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln, geht nämlich nur so weit, wie das Vorbringen der Beteiligten zu weiteren Erkundungen Anlass gibt (Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 38 und vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41, 43 Rn. 18).
19
3. Die Anordnung zum Verbleib im Transitbereich des Flughafens darf entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch dann ergehen, wenn der Ausländer während seiner Einreisebefragung um Asyl nachgesucht hat.
20
a) Zwar widerspricht die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass ein Ausländer, dem die Einreise aus den in § 18 Abs. 2 AsylVfG genannten Gründen verweigert worden ist, auch mit dem Eingang seines Asylantrags bei dem zuständigen Bundesamt keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AsylVfG erwirbt, der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 17 und vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 9). Ob mit der Antragstellung ein zunächst auf den Transitbereich des Flughafens beschränktes Aufenthaltsrecht des Ausländers für ein Verfahren nach § 18a AsylVfG entsteht und wann dieses nach § 67 Abs. 1 AsylVfG wieder erlischt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 52. Aktualisierung. § 67 Rn. 7; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 67 Rn. 9, 11; Renner/Bergmann, Ausländerrecht, AsylVfG, § 67 Rn. 3), kann hier jedoch dahinstehen, weil es für die Zulässigkeit einer Anordnung nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG darauf nicht ankommt.
21
b) Die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hindert zwar die Zurück- oder die Abschiebung eines eingereisten Ausländers und stellt deshalb - solange sie besteht - ein der Anordnung der Sicherungshaft entgegenstehendes Hindernis dar (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 728 Rn. 27 und vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 18). Abweichend hiervon kann aber eine richterliche Anordnung über den Aufenthalt im Transitbereich oder in einer Unterkunft auf dem Flughafen (§ 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG) auch gegenüber dem Ausländer ergehen, der Asyl begehrt hat (§ 13 AsylVfG), wenn diesem die Einreise nach § 18 Abs. 2 AsylVfG verweigert worden ist. Der Haftrichter, der die Rechtmäßigkeit der Einreiseverweigerung nicht zu prüfen hat, muss - solange ihm keine abweichende Entscheidung des Verwaltungsgerichts mitgeteilt wird - davon auszugehen, dass dem Ausländer trotz seines Asylantrags die Einreise zu Recht aus den ihm mitgeteilten Gründen (hier nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG) verweigert worden ist und er daher zur Abreise verpflichtet ist.
22
4. Rechtlicher Prüfung nicht stand hält jedoch die Annahme, dass die Beteiligte zu 2 die Abschiebung mit der gebotenen Beschleunigung betrieben habe.
23
a) Das Beschwerdegericht hat richtig erkannt, dass das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot (dazu Senat, Beschlüsse vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239; vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 21 und vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, Rn. 18, juris) auch für die den Aufenthalt des Ausländers auf den Transitbereich des Flughafens beschränkende Anordnung nach § 15 Abs. 6 AufenthG gilt. Auch wenn der Transitaufenthalt wegen der Möglichkeit, auf dem Luftweg abzureisen, keine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 5 Abs. 1 EMRK darstellt, steht das Festhalten des Ausländers auf dem Flughafen nach einer gewissen Dauer und wegen der damit verbundenen Eingriffsintensität einer Freiheitsentziehung gleich (vgl. EGMR, InfAuslR 1997, 49, 51; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2007, 341, 386). Der den über 30 Tage hinausgehenden Transitaufenthalt des Ausländers anordnende Haftrichter hat daher von Amts wegen zu prüfen, ob die Grenzbehörde die Zurückweisung ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 21).
24
Das Beschleunigungsgebot gebietet, dass der Betroffene unverzüglich nach seinem Einreiseversuch - und nicht ohne nachvollziehbare Gründe erst nach mehreren Tagen - befragt wird und dass die für die Zurückweisung erforderlichen Maßnahmen unverzüglich in die Wege geleitet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, FGPrax 2011, 41, 44 Rn. 30).
25
Das Beschleunigungsgebot erfordert zudem in den Aufnahmeverfahren nach Art. 17 ff. Dublin II-Verordnung, dass die Ersuchen um Aufnahme eines Asylbewerbers korrekt an den für die Entscheidung über den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat gestellt werden, wobei die die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats begründenden Umstände richtig und vollständig anzugeben und die erforderlichen Beweismittel beizufügen sind. Anfragen der Behörden des ersuchten Mitgliedstaats müssen unverzüglich beantwortet werden (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 111/10, Rn. 14, juris). Der die Zurückweisung betreibenden Grenzbehörde sind von dem für die Übermittlung von Aufnahmeersuchen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZBV zuständigen Bundesamt zu vertretende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot zuzurechnen (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 111/10, Rn. 15, aaO).
26
b) Das Beschwerdegericht hat - im Unterschied zu dem die Anordnung treffenden Amtsgericht - geprüft, ob die Beteiligte zu 2 das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung betrieben hat. Die Betroffene müsste eine solche Heilung des Mangels im Anordnungsbeschluss hinnehmen (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 36), wenn die Feststellungen in der Entscheidung über die Beschwerde verfahrensfehlerfrei unter Beachtung der sich aus dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) ergebenden Anforderungen getroffen worden wären.
27
Das ist jedoch nicht der Fall. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Beschwerdegericht die Ausländerakte nicht beigezogen hat. Das ist verfahrensfehlerhaft , weil das Gericht ohne die Beiziehung der Ausländerakte grundsätzlich keine Feststellungen zur Einhaltung des Beschleunigungsgebots treffen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 27 und vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, Rn. 17, http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE007600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE007600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE007600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE007600000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 12 - juris). Die Beiziehung der Ausländerakte kann nur dann unterbleiben, wenn sich der festzustellende Sachverhalt bereits aus den vorgelegten Teilen der Akte vollständig ergibt und die nicht vorgelegten Teile keine weiteren Erkenntnisse versprechen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 332 Rn. 19). Davon kann hier jedoch keine Rede sein, weil die Ausländerakte auch nicht in Auszügen der Gerichtsakte beigefügt worden ist und die Beteiligte zu 2 nichts dazu vorgetragen hat, warum sie die Betroffene erst vier Tage nach ihrer Einreise angehört hat, und im Übrigen nur vorgetragen worden ist, dass durch das Bundesamt ein Verfahren zur Aufnahme der Betroffenen durch Frankreich eingeleitet worden ist, aber keine Einzelheiten zu dessen Durchführung mitgeteilt worden sind.

V.

28
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da die Beurteilung , ob die Anordnung der weiteren Unterbringung in einer Unterkunft auf dem Flughafen nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat, weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert. Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
29
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass der Beschwerde stattzugeben sein dürfte, wenn die Feststellung, dass die Beteiligte zu 2 das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung betrieben hat, nur auf der Grundlage neuer, der Betroffenen nicht bekannter Umstände erfolgen könnte, zu denen ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müsste. Kann der Betroffenen das rechtliche Gehör - hier infolge ihrer Überstellung nach http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR258700008BJNE002800000&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/2i2x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KVRE381950901&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint - 13 - Frankreich - nicht mehr gewährt werden, ist zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass die Beschwerdeentscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht hat, und deren Rechtswidrigkeit festzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2010 - V ZB 120/10, FGPrax 2010, 290, 291 Rn. 16).
30
Die Anforderungen an eine vollständige Sachaufklärung im Sinne von § 26 FamFG sind nicht deshalb herabgesetzt, weil nicht mehr die Haftentlassung der Betroffenen, sondern nur die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der sie betreffenden freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht (vgl. BVerfG, NJW 2009, 2659, 2660 Rn. 20). Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 15.09.2010 - 934 XIV 1439/10 -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 01.10.2010 - 2-28 T 163/10 -

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Geschäftswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden bei einer Rechtsbeschwerde innerhalb der Frist für die Begründung Anträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Wert ist durch den Geschäftswert des ersten Rechtszugs begrenzt. Dies gilt nicht, soweit der Gegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist Gegenstandswert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.