Landgericht Münster Urteil, 25. März 2015 - 108 O 13/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist testamentarischer Gesamtrechtsnachfolger seiner am 26.4.2011 im Alter von 60 Jahren verstorbenen Ehefrau L. Er fordert von der Beklagten materiellen sowie immateriellen Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit der Behandlung seiner Ehefrau in dem Zeitraum von März/April 2010 bis April 2011.
3Im Jahr 2002 war bei Frau L ein „Marginalzonenlymphom“ (ugs.: „Lymphdrüsenkrebs“) festgestellt worden. Durch Einleitung einer Chemotherapie konnte insoweit im Jahr 2003 ein jedenfalls temporäres Nachlassen der Krankheitssymptome im Sinne einer sog. „Remission“ erreicht werden. Im Jahr 2007 traten die Symptome des Marginalzonenlymphoms erneut auf (sog. „Rezidiv“), diesmal in einem verstärktem Maße (medizinisch: „hoch proliferationsaktiv“). Eine Chemotherapie sowie die Transplantation eigener Stammzellen von Frau L (sog. „autologe Stammzelltransplantation“) führten zu einer erneuten, allerdings jetzt kürzer währenden Remission. Bereits 2008 unterzog sich Frau L auf Grund eines weiteren Rezidivs wieder einer Chemotherapie mit dem Erfolg einer zwischenzeitlich erneuten Remission. Ein weiteres Rezidiv im März 2010 führte zur Einleitung einer Chemotherapie mit mehreren zytostatischen Wirkstoffen (sog. „Polychemotherapie“) in insgesamt sechs Zyklen. Dies bewirkte im Juni 2010 eine teilweise Remission.
4Zirka Ende März/Anfang April 2010 erörterten Mitarbeiter der Beklagten mit Frau L die Indikation einer Transplantation fremder Stammzellen (sog. „allogene Stammzelltransplantation“). Die Geschwister von Frau L ließen sich daraufhin typisieren, mit dem Ergebnis einer lediglich eingeschränkten Eignung als Spender. Ab 2010 leitete das Personal der Beklagten im Einverständnis mit Frau L eine Fremdspendersuche ein. Zudem fand am 11.6.2010 in den Räumen der Beklagten ein Aufklärungsgespräch zu der angedachten autologen Stammzelltransplantation statt, das die Zeugin T in Anwesenheit des Klägers mit Frau L führte. Am 13.12.2010, nachdem ein Fremdspender gefunden war, führte die – zu dieser Zeit für die Behandlung hoch maligner Lymphome bei der Beklagten zuständige – Zeugin T1 mit Frau L ein weiteres Aufklärungsgespräch über die Behandlung durch eine allogene Stammzelltransplantation. Frau L willigte in die Durchführung dieser Behandlung ein. Der Eingriff erfolgte im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im beklagten Klinikum in der Zeit vom 20.12.2010 bis zum 17.1.2011.
5Zwei Tage nach der Entlassung aus der stationären Behandlung stellte sich Frau L am 19.1.2011 ambulant in der beklagten Klinik vor. Sie erbat sich Bedenkzeit zu einer angefragten Teilnahme an einer Studie zu einem Medikament gegen Cytomegalie-Virusinfektionen. Am 21.1.2011 lehnte Frau L im Rahmen einer weiteren ambulanten Vorstellung eine Studienteilnahme ab.
6Der Gesundheitszustand von Frau L verschlechterte sich, so dass sie sich am 23.1.2011 in Begleitung des Klägers zur Notaufnahmestation des Beklagten begab, welche sie stationär aufnahm. Am 24.1.2011 fand eine Verlegung von der Notaufnahmestation in ein Zweibettzimmer der Station „11 A Ost“ (Onkologie) der Beklagten statt, in der unter anderem auch Nachsorgeprobleme von Patienten nach allogener Stammzellentransplantation behandelt werden. Bei der Zimmernachbarin von Frau L, die wiederholt gehustet hatte, wurde später eine H1N1-Infektion diagnostiziert. In der weiteren Folgezeit stellte man bei Frau L eine Lungenentzündung („Pneumonie“) mit H1N1-Infektion fest. Mitarbeiter der Beklagten verlegten Frau L auf Grund dieses Befundes am 11.3.2011 auf ein Einzelzimmer in der Infektstation „8“. Am 29.3.2011 war die vorgenannte Viruserkrankung bei Frau L nicht mehr nachweisbar.
7Am 5.4.2011 verlegten Mitarbeiter der Beklagten Frau L nach bakterieller Infektion mit einem nachfolgenden septischen Schock auf die Intensivstation „10 A Ost“. Nach Beherrschung der Infektion erfolgte am 10.4.2011 bei negativem H1N1-Befund eine (Rück-)Verlegung auf die Station „11 A Ost“ (Onkologie). Vier Tage später, am 24.4.2011, fand auf Grund von Atmungsbeschwerden, einer sog. „Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion“ sowie einer Blutvergiftung („Sepsis“) mit Multiorganversagen eine erneute Verlegung auf die Intensivstation „10 A Ost“ statt. Dort verstarb Frau L am 26.4.2011.
8Der Kläger behauptet, seine Ehefrau sei nicht ausreichend über die hohen Risiken der allogenen Stammzelltransplantation – insbesondere das tödliche Risiko durch die damit verbundene Immunschwächung, das Risiko einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP), eines hämolytisch-urämischen Syndroms (HUS) und/oder einer H1N1-Infektion sowie die schweren Nebenwirkungen der Medikamente wie z. B. „Prograf“ – aufgeklärt worden; sie sei nicht darüber informiert worden, dass die Überlegenheit der allogenen Stammzelltransplantation gegenüber der Chemotherapie nicht belegt sei; bei sachgerechter Aufklärung hätte seine Ehefrau nicht eingewilligt.
9Hinsichtlich der Behandlungsdurchführung behauptet der Kläger, die allogene Stammzelltransplantation sei im Dezember 2010/Januar 2011 nicht indiziert gewesen, weil noch im Sommer 2010 eine vollständige Remission vorgelegen habe; der Eingriff werde in der Regel nur bei Patienten in einem Alter von unter 55 Jahren durchgeführt; auf Grund einer Nierenproblematik habe zudem eine Kontraindikation bestanden; darüber hinaus sei eine Durchführung – auf Grund der dann reduzierten Infektionsgefahr – allenfalls im Sommer angezeigt gewesen; die Spenderauswahl sei fehlerhaft gewesen; auch habe die Spende das notwendige Transplantatvolumen nicht erreicht und beim Spender eine Cytomegalie-Virusinfektion vorgelegen; es sei zudem fehlerhaft gewesen, Frau L das Medikament „Prograf“ zu verabreichen, sowie, dieses Medikament bei Anstieg der Kreatinwerte am 5.1.2011 und Anzeichen für eine HUS/TTP am 12.1.2011 nicht umgehend abzusetzen, sondern weiter bis Ende Januar 2011 zu verabreichen; die Entlassung aus der stationären Behandlung habe – auf Grund anstehender Umbauarbeiten im Knochenmarktransplantationszentrum der Beklagten – bereits am 17.1.2011 und nicht wie üblich erst nach circa 50 Tagen stattgefunden; der Allgemeinzustand seiner Ehefrau sei zu diesem Zeitpunkt schlecht gewesen.
10Im Rahmen der Behandlung ab dem 23.1.2011 – so die weitere Behauptung des Klägers – sei Frau L nicht ausreichend vor Ansteckungsgefahren geschützt worden; im Rahmen der Notaufnahme am 23.1.2011 sei keine sofortige Verlegung zum Knochenmarktransplantationszentrum veranlasst worden, obwohl eine Abwehrreaktion des Transplantats bereits begonnen habe; über einen Zeitraum von sechs Stunden habe Frau L keine Nahrungsmittelversorgung erhalten; das ihr zugeteilte Zimmer sei zu kalt gewesen; ihre Temperatur sei nicht gemessen worden; ein hämatologisch-onkologischer Facharzt sei pflichtwidrig nicht hinzugezogen worden; die Zimmernachbarin auf der Station „11 A Ost“ sei mit dem H1N1-Virus infiziert gewesen und habe von Beginn an stark gehustet; auf der Infektstation seien Frau L Insulinspritzen trotz hochgradiger Ansteckungsgefahren ohne Desinfektion gesetzt worden; auf der Station „10 A Ost“ hätten Rettungsdienste das Zimmer ohne Mundschutz, Kittel und Haarschutz betreten; Schutzkleidung sei bereits im Zimmer wieder abgelegt worden; das Personal der Beklagten habe sodann unzureichend auf die Darmblutungen der Ehefrau des Klägers reagiert, bei der veranlassten Darmspiegelung auf der Infektstation „8“ sei ein Darmgeschwür übersehen, die Dauermedikation zum Magenschutz zu spät eingeleitet worden.
11Der Kläger ist der Ansicht, es läge jeweils im Einzelnen – jedenfalls aber in der Gesamtheit – eine grob fehlerhafte Behandlung vor; das beklagte Klinikum sei zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000,- Euro und zur Erstattung von Beerdigungskosten in Höhe von 4.028,27 Euro sowie Kosten für die Anforderung der Krankenakten in Höhe von 328,88 Euro verpflichtet.
12Der Kläger behauptet zu den Folgen der Behandlung, die Darmblutungen, die zu einer massiven Schwächung geführt hätten, wären bei rechtzeitiger und konsequenter Behandlung des Darms nicht wieder aufgetreten; durch einen unzureichenden Schutz vor Ansteckungsgefahren im Rahmen der stationären Behandlung ab dem 23.1.2011 sei es zu zahlreichen Ansteckungserkrankungen, zum weiteren Krankheitsverlauf sowie letztlich zum Tod seiner Ehefrau auf Grund einer Sepsis gekommen.
13Der Kläger beantragt,
14die Beklagte zu verurteilen,
15an ihn 19.357,15 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.3.2012 zu zahlen und
16ihn von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.023,16 Euro, zahlbar an die Prozessbevollmächtigten des Klägers, freizustellen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte behauptet, die Ehefrau des Klägers sei ausführlich über die Risiken der allogenen Stammzelltransplantation – insbesondere über potentiell tödliche Risiken, auch eine mögliche Sepsis während der Phase der Aplasie/Immunsuppression, sowie über erforderliche häusliche Maßnahmen und Ernährungsbesonderheiten – aufgeklärt worden; im Rahmen eines zirka 60 Minuten andauernden Aufklärungsgesprächs am 11.6.2010 habe die Zeugin T in Gegenwart des Klägers und seiner Ehefrau über Indikation, Nutzen, Ablauf und Risiken des Eingriffs aufgeklärt; in einem mindestens 60 Minuten andauernden weiteren Aufklärungsgespräch vom 13.12.2010 durch die Zeugin T1 seien die Risiken weiter spezifiziert worden; eine mögliche „Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion“ sei besprochen, das Risiko tödlicher Nebenwirkungen mit 20 % beziffert worden – wegen der Einzelheiten der behaupteten Aufklärung wird auf den Vortrag im Schriftsatz vom 21.6.2012 (Bl. 44 bis 77 d. A.) Bezug genommen; Frau L habe Patienteninformationen erhalten und sodann schriftlich eingewilligt; selbst bei unzureichender Aufklärung hätte Frau L – so die weiteren Behauptung – im Hinblick auf die Schwere ihrer Erkrankung (hypothetisch) eingewilligt.
20Zur Durchführung der Behandlung behauptet das beklagte Klinikum, die allogene Stammzelltransplantation sei nach mehr als einem Rezidiv sowie dem Versagen der Transplantation eigener Stammzellen indiziert gewesen; die Transplantation sei auch medizinisch fehlerfrei durchgeführt worden; die Verwendung eines Transplantats, das aus zwei Spenden stammt, sei in medizinischer Hinsicht nicht problematisch; die Gabe des Medikaments „Prograf“ sei indiziert gewesen; die Voraussetzungen einer Entlassung aus der stationären Behandlung am 17.1.2011 hätten vorgelegen, bestehende gesundheitliche Einschränkungen seien nicht schwer und ambulant behandelbar gewesen, der Zustand habe mit dem Leistungsstatus „ECOG 1“ bewertet werden können; Anzeichen für eine HUS-Erkrankung hätten nicht vorgelegen; die Aufnahme auf der Station „10 A“ sei nicht fehlerhaft gewesen, es habe ausreichende Infektionsschutzmaßnahmen gegeben, die Leukozytenzahlen seien normal gewesen und Frau C1 sei als Hintergrundärztin in Bereitschaft für das Knochenmarktransplantationszentrum hinzugezogen worden; die Zimmernachbarin von Frau L auf der Station „11 A Ost“ habe akuten Husten gehabt, der H1N1-Virus sei bei ihr rasch diagnostiziert worden; Frau L sei offenbar durch eine externe Person – für das beklagte Klinikum unvermeidbar – infiziert worden, denn bei der Ehefrau des Klägers habe ein anderer Virenstamm vorgelegen; nach Bekanntwerden der Infektion sei eine sofortige Isolierung erfolgt; bei der später durchgeführten Magenspiegelung sei kein Geschwür übersehen worden; Frau L habe ab dem 23.1.2011 ein prophylaktisches Medikament erhalten, nach dem Auftreten der Blutung sei die Dosis erhöht worden; ursächlich für den Tod von Frau L seien eine „Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion“, eine Sepsis sowie Organversagen.
21Die Kammer hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18.2.2015 gemäß § 141 ZPO persönlich angehört und ferner Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen T und T1. Auf Basis des Beweisbeschlusses der Kammer vom 10.8.2012 ist zudem Beweis erhoben worden durch Einholung eines – im Rahmen der vorgenannten mündlichen Verhandlung dann näher erläuterten – schriftlichen, medizinischen Gutachtens des Sachverständigen C. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 18.2.2015 sowie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 3.4.2013 Bezug genommen. Das Gericht hat darüber hinaus die Krankenunterlagen zu den Behandlungen im Klinikum der Beklagten sowie die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Münster zum Az. 3 UJs 1023/11 beigezogen, die dem Sachverständigen für die Begutachtung vorlagen und auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Klage ist unbegründet.
24I.
25Der Kläger kann Schadensersatzansprüche auf Grund der streitgegenständlichen Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau weder aus dem Heilbehandlungsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 1, 611 BGB in Verbindung mit § 1922 BGB noch aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823, 831 BGB in Verbindung mit § 1922 BGB bzw. – bezogen auf die geltend gemachten Beerdigungskosten – § 844 Abs. 1 BGB fordern.
26Der Tod der Ehefrau des Klägers ist tragisch. Er beruht jedoch nicht auf einem ärztlichen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler, sondern auf einem schicksalhaften, schweren Krankheitsverlauf.
27In der Beurteilung der medizinischen Fragen folgt die Kammer den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C. Der Sachverständige verfügt ausweislich seiner der Kammer bekannten Vita sowohl über ein fundiertes theoretisches Wissen als auch über eine umfassende, langjährige praktische Erfahrung in den Bereichen Hämatologie, Onkologie und Immunologie. Die Ausführungen des Sachverständigen beruhen auf einer ersichtlich gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Er hat die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen in seinem Gutachten klar und eindeutig beantwortet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.2.2015 hat er durch klar strukturierte, differenzierte Antworten auf zum Teil nicht schriftsätzlich angekündigte Fragestellungen seine Expertise eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
281.
29Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die die Kammer uneingeschränkt überzeugen und die sie daher ihrer Entscheidung zugrunde legt, war die Durchführung einer allogenen Stammzelltransplantation in Anbetracht des konkreten Krankheitsverlaufs bei Frau L medizinisch indiziert.
30Der Sachverständige hat sich im Rahmen seiner Begutachtung eingehend mit den verschiedenen Behandlungsoptionen auseinandergesetzt und überzeugend dargestellt, dass im Dezember 2010 die Transplantation fremder Stammzellen die einzig zur Verfügung stehende Therapiemöglichkeit mit kurativem Anspruch war, mithin ein längeres Überleben hätte ermöglichen können. Nachdem Frau L bereits mit verschiedenen Chemotherapien sowie auch einer autologen Stammzelltransplantation behandelt worden war und trotz der Behandlungen – in immer kürzeren Abständen – Rezidive mit verstärktem, aggressivem Krankheitswert („hoch proliferationsaktiv“) auftraten, lag die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines weiteren Rezidivs – ohne Transplantation fremder Stammzellen – bei nahezu 100 %.
31Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass Frau L für die Durchführung einer allogenen Stammzelltransplantation zum Zeitpunkt Ende 2010 uneingeschränkt geeignet war. Ausweislich eines Arztbriefs vom 18.11.2010 befand sie sich in einem körperlich guten Zustand und fuhr viel Fahrrad. Vorbereitend durchgeführte Untersuchungen hatten keine Kontraindikation ergeben. Auch das Alter von Frau L zum Zeitpunkt der Transplantation sprach – nach zu dieser Zeit geltenden medizinischen Erkenntnissen – nicht gegen diesen Eingriff.
32Die vorbestehende Schädigung der Nieren stellte weder eine Kontraindikation für eine Stammzelltransplantation dar, noch stand sie einer Behandlung mit dem Medikament „Prograf“ (Wirkstoff: „Tacrolimus“) entgegen. Nach den – auch insoweit überzeugenden – Ausführungen des Sachverständigen wäre der Alternativwirkstoff „Ciclosporin“ mit dem gleichen Potential einer Nierenschädigung verbunden gewesen. Auch die fehlende Zulassung des Medikaments „Prograf“ widersprach seinem Einsatz im konkreten Fall auf Grund umfassender, langjähriger Erfahrungen mit diesem Medikament – insbesondere im amerikanischen Raum – nicht; der Sachverständige hat hierzu nachvollziehbar erklärt, dass die fehlende Zulassung insbesondere auch darauf beruht, dass Pharmafirmen in dem Bereich Stammzelltransplantation auf Grund der Nebenwirkungen der Transplantation keine Studien (mehr) durchführen.
33Der Sachverständige bestätigt den Vortrag des Klägers, dass prospektiv ausgerichtete, randomisierte Studien über den Nachweis einer Überlegenheit der allogenen Stammzelltransplantation gegenüber einer Chemotherapie nicht vorliegen, führt jedoch nachvollziehbar aus, dass auf Grund eines signifikanten Langzeitüberlebens vieler Patienten von einem potentiell kurativen Effekt dieser Behandlung auszugehen ist; entsprechend hätten – so der Sachverständige weiter – die meisten nationalen und internationalen hämatologischen Zentren bei Frau L die Indikation zu einer allogenen Stammzelltransplantation gestellt.
342.
35Über die Risiken einer allogenen Stammzelltransplantation ist Frau L durch die Zeuginnen T und T1 sowie auf Grundlage des ihr ergänzend ausgehändigten Informationsmaterials hinreichend aufgeklärt worden.
36Die wirksame Einwilligung in die allogene Stammzellentransplantation setzte voraus, dass Frau L zuvor über sämtliche für die Einwilligung wesentliche Umstände aufgeklärt worden ist, insbesondere über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf Diagnose und Therapie, vgl. nunmehr §§ 630d, 630e BGB. Dabei soll die Aufklärung jedoch nicht medizinisches Detailwissen vermitteln, sondern dem Patienten die Schwere und Tragweite eines etwaigen Eingriffs verdeutlichen, so dass er eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes über „Ob“ und „Wie“ der weiteren Behandlung erhält.
37Dem wird die Frau L zuteil gewordene Aufklärung nach Auffassung der Kammer umfassend gerecht.
38Ausweislich der glaubhaften Angaben der Zeugin Tim Rahmen ihrer Vernehmung am 18.2.2015 hat sie mit Frau L in Anwesenheit des Klägers ein ausführliches Aufklärungsgespräch zur allogenen Stammzelltransplantation geführt. Sie hat zugestanden, sich an Details des Gesprächs mit Frau L nicht erinnern zu können, im Übrigen jedoch nachvollziehbar geschildert und im Einzelnen auch näher ausgeführt, dass sie Frau L entsprechend ihrer üblichen Vorgehensweise in einem solchen Fall über Nutzen und Risiken der vorgenannten Maßnahme sowie ihren Ablauf, die Besonderheiten der Knochenmarktransplantationsstation, die Konditionierungstherapie vor der Transplantation sowie die Transplantation, die Aplasiephase und die Risiken im Anschluss an die Transplantation unterrichtet hat. Dabei ist sie – der weiteren glaubhaften Aussage zufolge – auch auf besondere Hygienemaßnahmen, die notwendige Immunsuppression sowie eine mögliche Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion eingegangen. Darüber hinaus hat sie nachvollziehbar dargestellt, Frau L auch darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass zu jedem Zeitpunkt Komplikationen auftreten könnten, die auch zum Tode führen können.
39Die Zeugin T1, die mit Frau L ein weiteres Aufklärungsgespräch am 13.12.2010 führte, hat offen zugestanden, sich zwar an Frau L als Patientin, jedoch nicht an die Details des mit ihr geführten Aufklärungsgesprächs erinnern zu können. Sie hat sodann jedoch glaubhaft und anschaulich den bei jedem Patienten eingehaltenen Ablauf der von ihr zahlreich geführten Aufklärungsgespräche dargestellt. Hieraus leitet die Kammer die Überzeugung ab, dass Frau L zeitnah vor Durchführung der allogenen Stammzelltransplantation erneut und vertiefend über die Chancen, Grenzen und Risiken dieses Eingriffs aufgeklärt worden ist. Insbesondere ist gegenüber Frau L – wie von der Zeugin T1 berichtet – zunächst die Indikation des Eingriffs unter Benennung der Alternativen dargestellt und begründet worden. Des Weiteren hat die Zeugin T1 den Ablauf der Konditionierungsphase erklärt und hierzu ausgeführt, dass eine schwerwiegende Immunsuppression durchgeführt wird, die besondere Hygienemaßnahmen – auch im Bereich der Ernährungsgewohnheiten – voraussetzt. Frau L ist zudem verdeutlicht worden, dass es immer wieder zu schweren Infektionen kommen kann, beispielsweise durch eigene Darmbakterien oder aber durch Weichteilverletzungen, etwa auf Grund eines Katheders. In diesem Zusammenhang ist – den weiteren Angaben der Zeugin zufolge – auch darauf hingewiesen worden, dass die Infektionen so schwerwiegend sein können, dass es zu einem Kreislaufschock mit möglicher – mit einer Wahrscheinlichkeit von über 20 % auch tödlich endender – Weiterbehandlung auf der Intensivstation kommt. Ausführlich ist im Rahmen der Aufklärung über das Risiko einer Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion gesprochen und in diesem Zusammenhang erklärt worden, dass es hierdurch zu einer erneuten Immunsuppression mit damit einhergehender Infektanfälligkeit kommen kann. Die Zeugin T1 hat des Weiteren darüber aufgeklärt, welche Medikamente verwendet werden sollten und darauf hingewiesen, dass in der schriftlichen Informationsaufklärung die wichtigsten und häufigsten Nebenwirkungen aufgeführt sind, Frau L jederzeit aber auch zu den einzelnen Medikamenten auch die Fachinformationen erhalten könne. Frau L ist darüber hinaus bereits mit dem weiteren Ablauf unmittelbar nach Transplantation sowie späterer Entlassung aus der Klinik vertraut gemacht worden, unter besonderem Hinweis darauf, dass der Impfschutz durch die Transplantation verloren geht und daher besondere Vorsicht im Umgang mit Angehörigen und insbesondere Kindern bzw. Enkeln geboten ist.
40Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin T1 hat sie ihren Patienten – so auch Frau L – jeweils einen schriftlichen Aufklärungsbogen übergeben, verbunden mit der Aufforderung, diesen während eines Zeitraums von mindestens einer Stunde zu lesen und die wichtigsten Fragen zu notieren sowie dann zu stellen. Zum Teil ist der Bogen den Patienten zu diesem Zweck auch mit nach Hause gegeben worden.
41Die Zeugin T1 konnte sich noch daran erinnern, das für Frau L auf Grund eines vorangegangenen Rezidivs ein begrenztes Zeitfenster für die Durchführung der Transplantation bestand und ihr sowie dem auf Nachfrage erklärt worden ist, dass die Maßnahme deshalb nicht bis zum Frühjahr/Sommer aufgeschoben werden konnte. Auf die Frage, ob Frau L eingewilligt habe, gab die Zeugin glaubhaft an, dass Frau L in Kenntnis des hohen Risikos der Transplantation zugestimmt hat.
42Auf Nachfrage zu den Risiken einer sog. „HUS“- und/oder „TTP“-Erkrankung erklärte die Zeugin, dass es sich dabei um eine seltene Komplikation handele, die sie daher im Rahmen der Aufklärung sicherlich nicht intensiv ausgeführt habe. Am Ende des jeweils langen Aufklärungsgesprächs fasse sie jeweils das Besprochene zusammen und sage dem Patienten, dass die Stammzelltherapie die einzige ist, die mit einer kurativen Option verbunden ist, im Gegensatz zur Chemotherapie, bei der lediglich eine vorübergehende Kontrolle des Lymphoms erfolgt. Sie weise im Rahmen der Zusammenfassung erneut daraufhin, dass es zwei wesentliche Phasen gebe, in denen Infektionen mit tödlichem Ausgang auftreten könnten, zum einen die tiefe Aplasiephase, bei der mit tödlichen Infekten zu rechnen ist, zum anderen die Phase der möglichen Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion, die insbesondere den Magen-Darm-Trakt befällt. Dabei werde den Patienten erklärt, dass dies eine Phase ist, in der wegen der Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion die Immunsuppression erhöht werden muss, wodurch das Risiko eines Infekts wieder erhöht würde. Erneut würden die Patienten in diesem Zusammenhang darüber aufgeklärt, dass in diesen Phasen das konkrete Risiko eines tödlichen Verlaufs besteht.
43Das an Frau L – auch im Hinblick auf eine zunächst angedachte Studienteilnahme – ausgehändigte ausführliche Informationsmaterial wiederholt und vertieft die Inhalte der von den Zeuginnen T sowie T1 mündlich erfolgten Aufklärung. Das Informationsmaterial ist übersichtlich gegliedert und für den Laien verständlich aufbereitet. Ergänzend werden darin etwa die jeweiligen Risiken der Behandlung anhand konkreter Wahrscheinlichkeiten (unter Nennung von Prozentangaben) näher bewertet; so wird das „Risiko tödlicher Nebenwirkungen der gesamten Behandlung“, insbesondere durch Infektion oder eine nicht beherrschbare Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion als „hoch“ bezeichnet und mit „etwa 20%“ („nach jetzigem Kenntnisstand“) beziffert. Im Rahmen des dargestellten „Behandlungsablaufs“ werden zudem auch die zum Einsatz kommenden Medikamente konkret benannt. Frau L hat ein Exemplar der – durch handschriftliche Zusätze zum Teil individuell angepassten – Patienteninformation eigenhändig unterschrieben.
44Die Kammer hat nach den in sich stimmigen, glaubhaften Aussagen der Zeugen T und T1 sowie unter Berücksichtigung des Inhalts der ausgehändigten schriftlichen Informationen keinen Zweifel, dass Frau L über Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der allogenen Stammzelltransplantation sowie auch ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf Diagnose und Therapie hinreichend informiert worden ist und dieser Behandlung in Kenntnis aller wesentlichen Umstände ausdrücklich zugestimmt hat. Nach Auffassung der Kammer würde es die Anforderungen an eine Aufklärung überspannen, und auch den Patienten regelmäßig überfordern, würde man verlangen, dass sich die Aufklärung über einen medizinisch so komplexen Eingriff wie die allogene Stammzelltransplantation auch auf alle entfernten Risiken – wie hier etwa einer Infektion konkret mit dem HUS- oder TTP-Virus – sowie sämtliche Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente beziehen muss. Dass ein erhöhtes Risiko für gravierende, auch tödlich endende Infektionen bestand, war Frau L hinreichend verdeutlicht worden. Darüber hinaus bestand ausreichend Gelegenheit, sich über sämtliche Nebenwirkungen der ihr konkret benannten Medikamente zu informieren.
45Dass sich die Zeuginnen nicht in jeder Hinsicht an Details der konkreten Aufklärung von Frau L erinnern konnten, steht der Beweisführung einer umfassend erfolgten Aufklärung nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass an den dem Arzt bzw. dem Klinikum obliegenden Beweis der ordnungsmäßigen Aufklärung des Patienten keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 8.1.1985, Az. VI ZR 15/83, NJW 1985, 1399; Urteil vom 10. März 1981, Az. VI ZR 202/79, NJW 1981, 2002, 2003; Urteil vom 21. September 1982, Az. VI ZR 302/80, NJW 1983, 333). Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann (BGH, Urteil vom 8.1.1985, Az. VI ZR 15/83, NJW 1985, 1399). Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, soll dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (BGH, Urteil vom 8.1.1985, Az. VI ZR 15/83, NJW 1985, 1399).
46Dass mit Frau L zwei Aufklärungsgespräche unter der Verantwortung der Zeuginnen T und T1 geführt worden sind, ist unstreitig. Die Zeuginnen konnten sich auch jeweils an einzelne Details der Aufklärung erinnern. Ihre weiteren Angaben zu den mit jedem Patienten in der Situation von Frau L besprochenen Inhalten waren detailliert, anschaulich und ohne Weiteres nachvollziehbar. Der Umstand, dass beide Zeuginnen freimütig einräumten, sich an verschiedene Details der Aufklärungsgespräche mit Frau L nicht erinnern zu können, stärkt das Vertrauen der Kammer in die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen. Die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderung wird auch dadurch gestärkt, dass sie in wesentlichen Punkten mit den eigenen Angaben des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 18.2.2015 übereinstimmt. Der Kläger hat darin bestätigt, dass die Zeugin T mit seiner Ehefrau ein – eher allgemein gehaltenes – Informationsgespräch geführt hat, dass sich auf den Ablauf und generelle Risiken der allogenen Stammzelltransplantation bezog, jedoch noch nicht mit dem Ziel einer konkreten Einwilligung. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht etwa über konkrete Medikamente gesprochen worden ist und der Kläger, der an dem späteren, detaillierteren Aufklärungsgespräch mit der Zeugin T1 nicht teilgenommen hatte, eine solche Aufklärung auch nicht angeben konnte. Sowohl der Kläger als auch die Zeugin T1 haben angegeben, dass diese die Beiziehung eines Angehörigen zum Aufklärungsgespräch begrüßt hätte. Soweit die Zeugin T1 angegeben hatte, Frau L gegenüber erklärt zu haben, dass eine Verschiebung der Transplantation auf eínen Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer nicht möglich sei, hat der Kläger auch dies im Grundsatz bestätigt. Darüber hinaus war den persönlichen Angaben des Klägers zu entnehmen, dass ihm und seiner Ehefrau das Risiko einer Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion sowie die realistische Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs bekannt waren.
473.
48Die Durchführung der allogenen Stammzellentransplantation während des stationären Aufenthaltes vom 20.12.2010 bis zum 17.1.2011 entsprach dem zu dieser Zeit geltenden, fachärztlichen Standard.
49a)
50Die Kammer folgt den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen, nach denen es im Rahmen des medizinischen Ermessensspielraums nachvollziehbar war, dass die behandelnden Mitarbeiter des beklagten Klinikums nicht die Spende eines Geschwisterteils von Frau L ausgewählt haben, bei der nicht alle zehn allgemein anerkannten Prüfmerkmale der Spenderqualifikation übereinstimmten, sondern die Gabe eines deutschstämmigen „Fremdspenders“ transplantierten, bei der insoweit Übereinstimmung bestand. Nachvollziehbar hat der Sachverständige dargelegt, dass die damit verbundene Blutgruppeninkompabilität zwischen Spender und Empfängerin kein Ausschlusskriterium war, weil das Blut im Anschluss an die Transplantation ohnehin neu aufgebaut werden musste. Eine mit der Blutgruppeninkompabilität regelmäßig einhergehende Hämolyse unter Anstieg des LDH-Wertes ist sodann ein üblicher, in der Regel ca. ein bis drei Wochen andauernder Verlauf. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen war die Blutgruppeninkompabilität insbesondere auch unter Berücksichtigung der vorbestehenden Nierenschädigung unproblematisch, weil das Blut der Empfängerin über Milz und Leber – nicht die Nieren – abgebaut wird bzw. worden ist.
51Der Sachverständige hat unter Bezugnahme auf einen Arztbericht vom 17.1.2011, das Transplantationsprotokoll sowie den allgemeinen Ablauf einer Transplantation des Weiteren anschaulich dargelegt, dass – jedenfalls aus Sicht der beklagten Klinik – davon auszugehen war, dass das verwendete Transplantat von „einem“ Spender stammte. Retrospektiv wird diese Annahme zudem durch den Umstand belegt, dass das Transplantat bei Frau L anfänglich gut angewachsen ist, was sich an den – vom Sachverständigen nachvollzogenen – Blutwerten zeigte.
52Die Verteilung des Transplantats auf zwei Spendenbeutel ist den Ausführungen des Sachverständigen zufolge nicht fehlerhaft, sondern regelmäßig – wie auch hier – den konkreten Umständen der von dritter Seite begleiteten Spendenabgabe geschuldet und für die Empfänger der Spende sogar mit Vorteilen – Verringerung von Manipulationen, Schutz vor Verlust/Zerstörung der vollständigen Spende – verbunden.
53Auch zeigt der Sachverständige auf, dass die Verwendung einer Spendenmenge von insgesamt „3,73 x10 E 6 Zellen pro kg/KG“ – anstelle der empfohlenen Dosis von „>4 x10 E6 Zellen pro kg/KG“ – im konkreten Fall – wie auch in vielen Vergleichsfällen – einer medizinisch korrekten Vorgehensweise entsprach. Das den Unterlagen über den weiteren Verlauf zu entnehmende rasche Anwachsen des Transplantats belegt, dass die Zellzahl für die Bedürfnisse von Frau L ausreichend gewesen ist. Ergänzend hat der Sachverständige mit Rücksicht auf den Ablauf einer Transplantation – insbesondere auch Geheimhaltungs- und Schutzinteressen des Spenders – nachvollziehbar erklärt, dass eine zu geringe Zellzahl nicht dem beklagten Klinikum angelastet werden könnte: Er weist zunächst darauf hin, dass die vorbenannte Angabe von „>4 x10 E6 Zellen pro kg/KG“ mehr als Richtwert für das Spendezentrum, nicht jedoch als verbindliche Mindestdosis zu verstehen war. Zudem war Frau L im Hinblick auf die bereits notwendig eingeleitete Vorbehandlung durch Chemotherapie auf das Transplantat dringend angewiesen und die Mitarbeiter des Beklagten hatten keinen unmittelbaren Einfluss auf die von dritter Seite entnommene und sodann gelieferte Spendenmenge.
54Es ist auch nicht zu beanstanden, dass ausweislich eines Vermerks auf der Produktinformation der Stammzellspende die Sterilkontrolle noch ausstand. Auch insoweit hat der Sachverständige unter kundiger Schilderung der üblichen Abläufe einer Knochenmarktransplantation aufgezeigt, dass das beklagte Klinikum auf Grund der bereits eingeleiteten Vorbereitungen mittels Chemotherapie sowie auf Grund der zu erwartenden Verschlechterung des Spendermaterials nach 24 bis 36 Stunden mit der Transplantation nicht bis zur Durchführung einer solchen Kontrolle habe warten können. Etwaig auftretendes Fieber hätte mit Hilfe eines breit angelegten Antibiotikums behandelt werden können.
55Der Umstand, dass sowohl Spender als auch Empfänger hinsichtlich des „Cytomegalie-Virus“ (CMV) positiv getestet waren, war nach den Ausführungen des Sachverständigen ein für Frau L positiver Umstand, weil in diesem Fall davon ausgegangen werden konnte, dass das zu übertragende Immunsystem des Spenders in der Lage ist, diesen bei Frau L ebenfalls vorhandenen Virus zu kontrollieren.
56Soweit der Kläger einwendet, es sei im Hinblick auf gesteigerte Infektionsrisiken falsch gewesen, die Transplantation während der Wintermonate durchzuführen, hat der Sachverständige unter Schilderung des konkreten Behandlungsablaufs sowie insbesondere der Erfordernisse an den Gesundheitszustand des Spendenempfängers – hier Frau L – klargestellt, dass der optimale Transplantationszeitpunkt durch den Verlauf der Erkrankung vorgegeben wird. Ein Zuwarten – etwa bis zum Frühling – wäre mit der Gefahr eines weiteren Rezidivs verbunden gewesen, welches die Erfolgsaussichten deutlich vermindert hätte. Darüber hinaus weist der Sachverständige darauf hin, dass in den Sommermonaten ein mindestens ebenso gefährlich einzuschätzendes Infektionsrisiko durch Magen-Darm-Erkrankungen besteht. Zudem müsse bei jeder Knochenmarkspende in die Erwägung eingestellt werden, dass gefundene Spender nach weiterem Zeitablauf häufig – aus verschiedenen, nicht steuerbaren Gründen – nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch dies sprach für die zeitnahe Transplantation.
57b)
58Es war nicht fehlerhaft, Frau L mit dem Medikament „Prograf“ zu behandeln. Der Sachverständige hat die Vor- und Nachteile verschiedener Alternativmedikationen („Enbrel“, „Ciclosporin“; erhöhte Steroide und „Cellcept“) erwogen, bewertet und sodann differenziert dargelegt, dass das Medikament „Prograf“ trotz eines potentiell ungünstigen Einflusses auf die – hier vorbelastete – Nierenfunktion (vgl. auch oben) auf Grund seines Wirkungsgrades sowie der vergleichsweise geringen Nebenwirkungen vorzugswürdig war. Auf Basis eines ersichtlich gründlichen Studiums der Patientenakten hat der Sachverständigen des Weiteren ausgeführt, dass auch im weiteren Behandlungsverlauf eine hinreichende Indikation dafür, das Medikament abzusetzen, zunächst (bis zum späteren Wechsel auf „Cortison“) nicht vorlag.
59c)
60Zur Dauer der stationären Behandlung stellt der Sachverständige zunächst klar, dass es eine – medizinisch anerkannte – stationäre Mindestverweildauer nach Knochenmarktransplantationen nicht gibt; vielfach würden entsprechende Eingriffe in internationalen Zentren heute auch ambulant durchgeführt. Im Fall von Frau L habe das Knochenmark seine Funktion ausweislich einer laborchemischen Untersuchung gut aufgenommen. Bei leicht erniedrigtem Hämoglobin-Wert und lediglich leichter Erhöhung des LDH-Wertes habe „sicher keine so schwere Hämolyse“ bestanden, dass eine stationäre Weiterbehandlung erforderlich gewesen wäre. Vielmehr entsprach eine leichte Hämolyse auf Grund der Blutgruppenungleichheit zwischen Spender und Empfängerin dem zu erwartenden Verlauf (vgl. oben). Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen war eine Entlassung auf Grundlage des dokumentierten Gesundheitszustands von Frau L medizinisch vertretbar.
614.
62Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen ist Frau L auch während ihres stationären Aufenthaltes ab dem 23.1.2011 entsprechend dem zu dieser Zeit geltenden, fachärztlichen Standard behandelt worden.
63a)
64Es war zunächst nicht fehlerhaft, dass Frau L nicht unmittelbar am 23.1.2011, sondern erst am darauffolgenden Tag in einer Station des Knochenmarktransplantationszentrums aufgenommen worden ist. Auch insgesamt war eine sach- und fachgerechte Versorgung von Frau L während des stationären Aufenthaltes ab dem 23.1.2011 nach den Ausführungen des Sachverständigen gewährleistet. Auf Grundlage der Behandlungsunterlagen konnte der Sachverständige nachvollziehbar belegen, dass Frau L auch während der Liegezeiten in anderen Abteilungen jeweils in Absprache mit der Hämatoonkologie behandelt wurde und über den hämatoonkologischen Facharztstandard hinaus auch der Rat einer Kollegin eingeholt worden ist, die auf dem Gebiet der Knochenmarktransplantation besonders erfahren war.
65b)
66Frau L musste auch nicht unmittelbar isoliert untergebracht werden. Der Sachverständige hat gegenüber der Kammer nachvollziehbar erklärt, dass Patienten nach Erholung des Zellbildes im Anschluss an eine Transplantation nicht in so starkem Maße infektionsgefährdet sind, dass eine Unterbringung auf einer Isolierstation notwendig wäre. Entsprechend zählt es nach den Erläuterungen des Sachverständigen nicht zum bundesweiten Standard, Isolierbetten außerhalb der unmittelbaren Transplantationsphase zu verwenden.
67Soweit der Kläger einwendet, seine Ehefrau habe sich bei einer Zimmernachbarin mit dem H1N1-Virus infiziert, liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bereits zum Zeitpunkt der Verlegung von Frau L am 24.1.2011 die Zimmernachbarin erkennbare Symptome der später bei beiden festgestellten H1N1-Infektion gezeigt hat, nicht vor. Den Krankenakten waren solche nicht zu entnehmen. Der Kläger selbst konnte über einen Husten der Zimmernachbarin erst ab dem 25.1.2011 („einen Tag später“, S. 3 des Protokolls vom 18.2.2015) berichten, wie lange sie bereits gehustet habe, konnte er auf ausdrückliche Nachfrage nicht angeben. Das der Husten möglicherweise zunächst auf eine Pilzinfektion zurückgeführt worden ist, ist nach den Angaben des Sachverständigen plausibel, wenn die Zimmernachbarin über lange Zeit Medikamente im Rahmen einer Chemotherapie erhalten hat.
68Für eine Missachtung von Hygienevorschriften beim Setzen von Insulinspritzen fehlt es bereits an einem hinreichend substantiierten Klagevortrag. Darüber hinaus hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch eine versäumte Hautdesinfektion „extrem unwahrscheinlich“ (S. 19 des Gutachtens) sei, weil sich typischerweise zunächst Abszesse des Unterhautfettgewebes gezeigt hätten, die klinisch einfach zu diagnostizieren seien; hierüber werde hingegen in den Akten nicht berichtet.
69Dass zum Zeitpunkt der Behandlung von Frau L – zumal bezogen auf die konkret befassten Stationen – eine gravierende Anzahl von Virus-Infektionen aufgetreten ist, die Veranlassung gegeben hätte, weiter gesteigerte Hygienemaßnahmen – bis hin zu einer Schließung von Stationen – zu ergreifen, hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der pauschale Hinweis darauf, ihm sei zugetragen worden, dass „zu diesem Zeitpunkt zahlreiche H1N1-Fälle in den Kliniktürmen“ aufgetreten seien, genügt nicht. Darüber hinaus ist ausweislich der nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen nicht mehr festzustellen, ob Frau L sich mit dem H1N1-Virus im Rahmen der vom beklagten Klinikum beherrschbaren Sphären (Klinikräume, Mitarbeiter, Patienten) oder etwa durch Besucher oder sonstige Virenträger außerhalb der Klinik angesteckt hat. Eine unmittelbare Isolation der Ehefrau des Klägers zum Zeitpunkt ihrer stationären Aufnahme war – wie bereits erörtert – nicht angezeigt.
70c)
71Ausweislich des Sachverständigengutachtens sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im Rahmen der Magenspiegelungen („Gastro Duodenoskopien“) am 1.4.2011 oder am 19.4.2011 Befunde fehlerhaft erhoben worden sind. Nach den überzeugenden Ausführungen im Rahmen der Gutachtenerstattung lässt eine am 31.3.2011 festgestellte Blutung nicht notwendig auf ein Magengeschwür schließen, vielmehr kann sie auch aus dem Dünn- oder Dickdarm heraus stattgefunden haben. Der Sachverständige hat erklärt, dass bei dem zu dieser Zeit gegebenen Mangel an Blutplättchen („Thrombopenie“) eine starke Blutung auch bei Annahme einer geringen Verletzung („Läsion“) erklärbar ist. Auch sei die schwere Erkrankung von Frau L mit ggf. bereits begonnener Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion durchaus geeignet, die Entstehung der am 19.4.2011 festgestellten Geschwüre („Ulzerationen“) innerhalb der kurzen Zeit von 19 Tagen zu erklären.
72Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen sind die festgestellten Blutungskomplikationen „korrekt und zeitgerecht medikamentös therapiert“ (S. 20f. des Gutachtens) worden. Der Sachverständige konnte insoweit den Krankenunterlagen entnehmen, dass Frau L zum prophylaktischen Magenschutz zunächst 20 mg des Medikaments „Pantozol“ bekommen hat. Mit Auftreten der ersten Blutung am 31.3.2011 ist bis zum 5.4.2011 – nach den Ausführungen des Sachverständigen: fachgerecht – eine Umstellung auf hochdosiertes (80mg), intravenös verabreichtes „Pantozol“ erfolgt. Ab dem 5.4.2011 sind 40mg „Pantozol“ oral verabreicht worden. Der Umstand, dass Frau L ausweislich der Behandlungsdokumentation für den Zeitraum vom 12.4. bis zum 17.4.2011 keine entsprechende Medikation erhalten hat, führt jedenfalls nicht zur Annahme eines (groben) Behandlungsfehlers, weil – wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat – der Zeitraum vergleichsweise kurz war und es zudem „keine harte Evidenz“ (S. 21. Des Gutachtens) für eine Gabe des Magenschutzmedikaments in der konkreten Behandlungssituation gegeben habe. Dass es bei ununterbrochener Medikation mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % zu einer Verhinderung der später diagnostizierten Geschwüre gekommen wäre, ist ausweislich der auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht feststellbar, so dass selbst bei Annahme einer fehlerhaft unterlassenen Medikamentenbehandlung während der Zeit vom 12.4.2011 bis zum 17.4.2011 die klägerseits behaupteten Folgen nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit (vgl. hierzu klarstellend BGH, Urteil vom 7.2.2012, Az. VI ZR 63/11, NJW 2012, 850) festgestellt werden könnten.
73d)
74Die spätere Behandlung von Frau L mit dem Medikament „Cortison“ anstelle von „Prograf“ war aus medizinischer Sicht richtig. Nach den Ausführungen des Sachverständigen existiert hierzu kein standardisiertes Vorgehen. Der Sachverständige hat sich auch in diesem Punkt – insbesondere im Rahmen der Erläuterung des Gutachtens am 18.2.2015 – umfassend mit Alternativmedikamenten wie z. B. „Enbrel“ und „Sirolimus“ auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, dass auch diese mit erheblichen Komplikationen und/oder Risiken – wie im Fall von Enbrel mit dem Risiko schwerer bakterieller Infektionen – verbunden gewesen wären.
75II.
76Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 u. 2 ZPO.
77Unterschriften
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Urteil einreichenLandgericht Münster Urteil, 25. März 2015 - 108 O 13/13 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Ist einer Partei wegen großer Entfernung oder aus sonstigem wichtigen Grund die persönliche Wahrnehmung des Termins nicht zuzumuten, so sieht das Gericht von der Anordnung ihres Erscheinens ab.
(2) Wird das Erscheinen angeordnet, so ist die Partei von Amts wegen zu laden. Die Ladung ist der Partei selbst mitzuteilen, auch wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat; der Zustellung bedarf die Ladung nicht.
(3) Bleibt die Partei im Termin aus, so kann gegen sie Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Dies gilt nicht, wenn die Partei zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist. Die Partei ist auf die Folgen ihres Ausbleibens in der Ladung hinzuweisen.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.
(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.
(1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.
(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.
(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1827 Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
(2) Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist.
(3) Die Einwilligung kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden.
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
(2) Die Aufklärung muss
- 1.
mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält, - 2.
so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann, - 3.
für den Patienten verständlich sein.
(3) Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat.
(4) Ist nach § 630d Absatz 1 Satz 2 die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, ist dieser nach Maßgabe der Absätze 1 bis 3 aufzuklären.
(5) Im Fall des § 630d Absatz 1 Satz 2 sind die wesentlichen Umstände nach Absatz 1 auch dem Patienten entsprechend seinem Verständnis zu erläutern, soweit dieser aufgrund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen, und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Absatz 3 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger nimmt die Beklagten für durch seine Geburt entstandene Gesundheitsschäden in Anspruch.
- 2
- Die Mutter des Klägers suchte in der 25. Schwangerschaftswoche aufgrund der Überweisung mit der Therapieempfehlung "Tokolyse und Cerclage" durch den die Schwangerschaft betreuenden niedergelassenen Gynäkologen das örtliche Krankenhaus auf. Nach einer Erstversorgung wurde sie am 17. Mai 1993 in die Frauenklinik der Beklagten zu 1 verlegt. Dort wurden bis zum 19. Mai 1993 eine intravenöse Tokolyse und eine Celestan-Prophylaxe durch- geführt. Am 19. Mai 1993 untersuchte der Beklagte zu 2 die Mutter des Klägers zur Klärung der Indikation für eine Cerclage. Wegen einer Infektion wurde von der Cerclage abgesehen und strikte Bettruhe verordnet. Ab dem 24. Mai 1993 war die Infektion abgeklungen. Die bisherige Behandlung wurde trotzdem fortgesetzt. Am 30. Mai 1993 um 21.30 Uhr musste die Schwangerschaft durch sectio beendet werden. Der Kläger wurde um 22.26 Uhr in schlaffem, zyanotischem Zustand ohne Eigenatmungsbestrebungen geboren. Das Geburtsgewicht betrug 960 g bei einer Körperlänge von 38 cm und einem Kopfumfang von 26 cm. Der Kläger wurde in das Perinatalzentrum verlegt. Am 31. Mai 1993 trat bei ihm eine Hirnblutung 4. Grades auf. Der Kläger stützt, nachdem er anfänglich den Beklagten Behandlungsfehler angelastet hatte, nunmehr sein Schadensersatzbegehren auf eine wegen unterbliebener Aufklärung seiner Mutter über die Möglichkeit der Cerclage rechtswidrige Fortführung der konservativen Behandlung.
- 3
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert, den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach zugesprochen und die Ersatzpflicht der Beklagten für entstandene und künftig entstehende materielle Schäden unter Vorbehalt der auf Dritte übergegangenen Ansprüche festgestellt. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehren die Beklagten, das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
- 5
- Die Behandlung der Mutter des Klägers sei jedenfalls ab dem 24. Mai 1993 wegen einer mangels ordnungsgemäßer Aufklärung unwirksamen Einwilligung in die Fortsetzung der konservativen Behandlung rechtswidrig gewesen. Zwar sei anfänglich eine Cerclage aufgrund der bei der Schwangeren aufgetretenen Infektion kontraindiziert gewesen. Nach dem Abklingen der Infektion wäre eine solche aber in Frage gekommen. Darüber hätte die Mutter des Klägers aufgeklärt werden müssen. Die konservative Behandlung einerseits und die Cerclage andererseits hätten unterschiedliche Chancen und Risiken mit sich gebracht und seien beide als Mittel in Betracht gekommen, den Frühgeburtsbestrebungen bei der Mutter des Klägers entgegenzuwirken. Die Cerclage habe die Möglichkeit einer Stabilisierung mit der Folge der Verlängerung der Tragezeit geboten. Allerdings hätten die Risiken einer Verletzung der Fruchtblase und des Wiederaufflammens der Infektion bestanden. Eine Tragezeitverlängerung sei bei der konservativen Behandlung, die eine geringere mechanische Stabilisierung geboten habe, nicht ausgeschlossen. Zwar habe der Sachverständige betont, dass er persönlich eine Cerclage auch in der Zeit ab dem 24. Mai 1993 wegen des hohen Risikos der Verletzung der Fruchtblase und der aus seiner Sicht fehlenden Vorteile gegenüber der konservativen Behandlung nicht vorgenommen hätte. Doch hätte die weitere Verfahrensweise unter Aufklärung über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit der Patientin besprochen werden müssen. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten hätten nicht dargelegt und bewiesen, dass die Mutter des Klägers sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die Fortsetzung der konservativen Behandlung entschieden hätte. Aufgrund der persönlichen Anhörung der Mutter des Klägers sei plausibel, dass diese im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung über die zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Die Behandlung der Mutter des Klägers sei dementsprechend jedenfalls ab dem 24. Mai 1993 nicht mehr von ihrer Einwilligung gedeckt und damit rechtswidrig.
- 6
- Es sei auch davon auszugehen, dass die Frühgeburt des Klägers und die damit verbundenen gravierenden gesundheitlichen Schäden zumindest mit auf der rechtswidrigen Fortsetzung der konservativen Behandlung der Mutter beruhen. Mit dem konservativen Behandlungsregime sollte zwar den Frühgeburtsbestrebungen entgegengewirkt und erreicht werden, dass die Tragezeit so lange wie möglich verlängert würde. Dazu sei dieses Behandlungsregime allerdings letztlich nicht geeignet gewesen. Es sei vielmehr trotz des konservativen Behandlungsregimes zu der Frühgeburt des Klägers mit den damit verbundenen gravierenden Folgen gekommen. Der Annahme der Kausalität der rechtswidrigen Behandlung für den eingetretenen Schaden stehe nicht entgegen, dass die Geburt des Klägers auch bei Durchführung einer Cerclage möglicherweise bereits am 30. Mai 1993 eingetreten wäre. Insoweit liege die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens zugrunde, für den die Behandlerseite beweispflichtig sei. Die Beklagten trügen das Beweisrisiko dafür, dass es auch nach einer Cerclage in gleicher Weise zu der Frühgeburt des Klägers gekommen wäre. Ein solcher Beweis sei nicht geführt. Der Beklagte zu 2 hafte für die Behandlung der Mutter des Klägers als verantwortlicher und an der Behandlung beteiligter Oberarzt. Die Beklagten hätten ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass der Beklagte zu 2 die Klägerin ab dem 19. Mai 1993 nicht mehr persönlich untersucht und behandelt habe , nicht aufrechterhalten und nicht mehr in Abrede gestellt, dass der Beklagte zu 2 als zuständiger Oberarzt für die Behandlung der Mutter des Klägers auch nach dem 19. Mai 1993 verantwortlich gewesen sei.
II.
- 7
- Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 8
- 1. Das Berufungsgericht hat den Ursachenzusammenhang zwischen der infolge der unterlassenen Aufklärung rechtswidrigen, aber aus ärztlicher Sicht vertretbaren Fortsetzung der konservativen Behandlung der Mutter des Klägers und den geltend gemachten Schäden aufgrund einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast bejaht. Das rügt die Revision mit Recht.
- 9
- a) Das Berufungsgericht hätte dem Vortrag des Klägers nachgehen müssen, dass bei Durchführung der Cerclage, in die seine Mutter bei pflichtgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte, die extreme Frühgeburt und die damit verbundenen gravierenden Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich dabei nicht um die Behauptung eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten, sondern um Darlegungen des Klägers zur Kausalität der infolge der unterbliebenen Aufklärung rechtswidrigen Fortsetzung der konservativen Behandlung für den geltend gemachten Schaden. Nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen trägt dafür der Kläger und nicht die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast.
- 10
- aa) Nach gefestigten Rechtsprechungsgrundsätzen trifft in den Fällen, in denen aus einem Aufklärungsversäumnis des Arztes Schadensersatzansprüche hergeleitet werden, die Behauptungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Aufklärung den Arzt. Der Patient trägt hingegen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Schadensfolge, für die er Ersatz verlangt, auch wirklich durch den eigenmächtigen Eingriff des Arztes verursacht worden ist und nicht auf anderes zurückgeht (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1985 - VI ZR 19/84, VersR 1986, 183 und vom 13. Januar 1987 - VI ZR 82/86, VersR 1987, 667, 668; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Kap. C Rn. 147; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 11. Aufl., Rn. 702 mwN). Der Beweis, dass der ohne rechtswirksame Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriff bei dem Patienten auch zu einem Schaden geführt hat, ist ebenso wie im Fall des Behandlungsfehlers Sache des Patienten. Es besteht kein Sachgrund, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen. Dieser Grundsatz gilt sowohl bei der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Risiken eines Eingriffs wie auch über bestehende Behandlungsalternativen (Selbstbestimmungsaufklärung). Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, beispielsweise in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - Schadensersatzansprüche nicht aus der konservativen Behandlung hergeleitet werden, sondern daraus, dass weitergehende Behandlungsmaßnahmen unterblieben sind. Eine Unterlassung ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (vgl. BGH, Urteile vom 30. Januar 1961 - III ZR 225/59, BGHZ 34, 206, 215; vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73, BGHZ 61, 118, 120 auch zur Umkehr der Beweislast im - hier nicht gegebenen Fall - eines groben Behandlungsfehlers; vom 19. Februar 1975 - VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 51; vom 22. März 1990 - IX ZR 128/89, WM 1990, 1161, 1163 und vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01, WM 2002, 2325, 2326 Rn. 11). Die bloße Möglichkeit , ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nach § 286 ZPO nicht.
- 11
- bb) Im Streitfall besteht die Pflichtverletzung in der Unterlassung der Beklagten , die Mutter des Klägers nach dem Abklingen der Infektion über die Behandlungsalternative einer Cerclage aufzuklären. Mithin hat der Kläger darzule- gen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass bei pflichtgemäßer Aufklärung seiner Mutter mittels der Cerclage die Geburt in einer für seine Entwicklung maßgeblichen Weise verzögert und der durch seine frühe Geburteingetretene Schaden vermieden worden wäre.
- 12
- Hierzu hat der Kläger vorgetragen, dass seine Mutter bei entsprechender Aufklärung sich ohne Zweifel für die Cerclage entschieden hätte. Bei Durchführung der Cerclage hätten die extreme Frühgeburt des Klägers und die damit verbundenen gravierenden Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Die Beklagten haben dem entgegen gesetzt, eine Cerclage hätte die Schwangerschaft nicht verlängert. Sie haben damit den Kausalzusammenhang bestritten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01, aaO Rn. 12).
- 13
- cc) Dieser Vortrag kann nicht als Einwand eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten verstanden werden, was das Berufungsgericht irrigerweise angenommen hat. Ein solcher Einwand setzt die Feststellung voraus, dass das vom Schädiger zu verantwortende Verhalten für den Schaden kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - KZR 3/95, NJW 1996, 311, 312; Urteil vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01 aaO; Larenz, Schuldrecht Bd. I, 14. Aufl., S. 527; Staudinger/Schiemann (2005) BGB, § 249 Rn. 102, 107). Danach erst betrifft er die unter Umständen auftretende Frage, ob die auf der Pflichtverletzung beruhenden Folgen dem Schädiger billigerweise auch zugerechnet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1992 - IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695; vom 24. Oktober 1995 - KZR 3/95, aaO und vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01 aaO).
- 14
- Darum handelt es sich hier nicht. Der Vortrag des Klägers bezieht sich auf die den Anspruchsgrund betreffende Frage der Kausalität. Dafür ist der Klä- ger nach allgemeinen Grundsätzen beweispflichtig, abgesehen von den Fällen der Beweislastumkehr wie beispielsweise bei einem groben Behandlungsfehler. Den Beklagten fällt hingegen die Beweislast für entlastenden Vortrag - wie etwa zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens - erst dann zu, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und eingetretenem Schaden feststeht (vgl. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast Bd. I, 2. Aufl., Anh. § 282 BGB Rn. 30).
- 15
- b) Das Urteil beruht mithin auf einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs - und Beweislast. Richtigerweise obliegt es dem Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass - nachdem das Berufungsgericht die hypothetische Einwilligung der Mutter in die Cerclage angenommen hat - nach der Cerclage die Geburt in einer für seine Entwicklung maßgeblichen Weise verzögert worden wäre. Für eine Verlagerung der Beweislast für den Ursachenzusammenhang auf die Beklagten ist insoweit kein Raum. Mit seiner Auffassung kann sich das Berufungsgericht auch nicht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 15. März 2005 (VI ZR 313/03, VersR 2005, 836 f.) stützen. Dort wurde aus prozessrechtlichen Gründen für das Revisionsverfahren unterstellt, dass die geklagten Beschwerden (entsprechend dem tatsächlichen Verlauf der Behandlung) zumindest mit auf der Fortsetzung der konservativen Behandlung beruhten (Senatsurteil vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, aaO unter 3. b aa). In dem von der Revisionserwiderung herangezogenen Senatsurteil vom 6. Dezember 1998 (VI ZR 132/88, BGHZ 106, 153 ff.) stand der Kausalzusammenhang im Revisionsverfahren nicht in Frage.
- 16
- 2. Das Berufungsurteil begegnet außerdem hinsichtlich der Verurteilung des Beklagten zu 2 durchgreifenden Bedenken. Die Auffassung des Berufungsgerichts , dass der Beklagte zu 2 seine Verantwortlichkeit in der zweiten Instanz nicht mehr in Abrede gestellt habe, steht in Widerspruch zur Feststellung im Tatbestand des Berufungsurteils, dass die Beklagten ihren Vortrag in erster Instanz wiederholt und vertieft haben. Der Beklagte zu 2 hat im Schriftsatz vom 28. September 2009 vorgetragen, dass er die Mutter des Klägers nach dem 19. Mai 1993 nicht mehr behandelt habe. Am 19. Mai 1993 war jedenfalls die Cerclage medizinisch nicht indiziert, weil die Schwangere an einer Infektion litt. Somit traf den Beklagten zu 2 auch keine Aufklärungspflicht. Umstände, aus denen sich eine persönliche Haftung des Beklagten zu 2 im Übrigen ergibt, sind nicht festgestellt. Über den Vortrag des Beklagten zu 2, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt am 24. Mai 1993 nicht mit der Betreuung der Schwangeren befasst war, durfte das Berufungsgericht danach nicht hinweggehen.
III.
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- Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung und erneuter Entscheidung zurückzuverweisen. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
LG Köln, Entscheidung vom 07.01.2009 - 25 O 497/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.02.2011 - 5 U 15/09 -
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.