Landgericht Magdeburg Beschluss, 11. Okt. 2016 - 23 Qs 18/16, 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16)

ECLI:ECLI:DE:LGMAGDE:2016:1011.23QS18.16.0A
bei uns veröffentlicht am11.10.2016

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 8. September 2016 (Az.: 13 Cs 354 Js 13052/16 – 312/16)

aufgehoben.

Dem Angeschuldigten wird mit Wirkung vom 24. Juni 2016 für das Verfahren erster Instanz Rechtsanwalt F aus B als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Gründe

1

Das Amtsgericht Magdeburg hat durch den angefochtenen Beschluss vom 8. September 2016 den Antrag des Angeschuldigten vom 24. Juni 2016, ihm Rechtsanwalt F beizuordnen, mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Verfahren mit Beschluss vom selben Tag gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei.

2

Dagegen wendet sich der ehemalige Angeschuldigte mit seiner Beschwerde vom 15. September 2016. Zur weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschwerdeschrift verwiesen.

3

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

4

Die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Beiordnung ist trotz des Abschlusses des Verfahrens zulässig, weil es sich bei der Entscheidung über die Beiordnung um eine der Sicherung des Verfahrens dienende Anordnung handelt, die generell und unabhängig vom Verfahrensstadium beschwerdefähig ist, weil die angegriffene beschwerdende Anordnung auch nach Abschluss des Verfahrens bezüglich der Kostenerstattung fortwirkt (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2007, Az.: 22 Qs 336 Js 24294/06). Die Kammer vertritt diese Auffassung in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung vieler Landgerichte und hält die rückwirkende Bestellung für zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 141 Rd. 8).

5

Gem. § 140 Abs. 2 StPO ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

6

Vorliegend hätte die Schwere des Tatvorwurfes, die sich vor allem nach den vom Angeschuldigten zu erwartenden Rechtsfolgen zu beurteilen war, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten.

7

Der Angeschuldigte war bereits durch Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 27. Januar 2016 (11 Ds 180/15) wegen gemeinschaftlichen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr wegen Betruges verurteilt worden, jedoch wurde die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

8

Die ihm im vorliegenden Verfahren zur Last gelegte Tat hat er am 20. Januar 2016 begangen, so dass die bereits abgeurteilte Tat aus dem vorgenannten Verfahren und die ihm in vorliegender Sache zur Last gelegte Tat im Wege der Gesamtstrafenbildung zu einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe geführt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei über 1 Jahr Gesamtfreiheitsstrafe gelegen hätte. Bei einer derart hohen Straferwartung wäre dem Angeschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen gewesen, worauf der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 24.06.2016 zutreffend hingewiesen hat.

9

Darüber hinaus drohen dem Angeschuldigten noch weitere sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeschuldigte infolge einer Verurteilung zu gewärtigen hat, weil er hinsichtlich des Urteils des Landgerichts Magdeburg vom 3. Juli 2008 und des Amtsgerichts Aschersleben vom 06.11.2009 (Ziffer 4. und 5. des BZR vom 27.05.2016) noch unter Bewährung hinsichtlich der dort noch nicht vollstreckten Strafreste steht. Demzufolge hätte das Amtsgericht über den Antrag zeitnah zu befinden gehabt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 24. Juni 2016 war auch mit einer Verfahrenseinstellung – wie sich aus dem Akteninhalt ergibt – noch nicht zu rechnen, denn das Amtsgericht hat erst am 25. August 2016 die Sache mit der Bitte um Prüfung einer Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben. Erst im Ergebnis dessen beantragte die Staatsanwaltschaft am 2. September 2016 die Einstellung des Verfahrens.

10

Aus den vorgenannten Gründen war der amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben und die Beiordnung von Rechtsanwalt F mit Wirkung vom 24. Juni 2016 (Eingang des Antrags beim Amtsgericht) rückwirkend auszusprechen.

11

Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel zulässig (§ 310 Abs. 2 StPO).


ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Magdeburg Beschluss, 11. Okt. 2016 - 23 Qs 18/16, 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16)

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landgericht Magdeburg Beschluss, 11. Okt. 2016 - 23 Qs 18/16, 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16)

Referenzen - Gesetze

Landgericht Magdeburg Beschluss, 11. Okt. 2016 - 23 Qs 18/16, 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16) zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 140 Notwendige Verteidigung


(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Strafprozeßordnung - StPO | § 310 Weitere Beschwerde


(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie 1. eine Ver

Referenzen

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Beschlüsse, die von dem Landgericht oder von dem nach § 120 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Oberlandesgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, können durch weitere Beschwerde angefochten werden, wenn sie

1.
eine Verhaftung,
2.
eine einstweilige Unterbringung oder
3.
einen Vermögensarrest nach § 111e über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro
betreffen.

(2) Im übrigen findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde ergangenen Entscheidungen nicht statt.