Landgericht Köln Urteil, 11. Feb. 2015 - 25 O 350/11
Tenor
1. Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2012 zu zahlen.
2. Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 1.674,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2010 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche vergangenen materiellen Schäden, die ihr aus der rechtswidrigen Behandlung entstanden sind, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin zu 97 % und der Beklagte zu 1) zu 3 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen die Klägerin zu 93 % und der Beklagte zu 1) zu 7 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die am 04.08.1958 geborene Klägerin ist selbstständige Physiotherapeutin und Osteopathin. Der Beklagte zu 1) ist niedergelassener Facharzt für Orthopädie. Am 08.06.2007 ließ die Klägerin wegen seit circa 4 Monaten persistierender Schmerzen in der linken Schulter eine MRT-Untersuchung durchführen. Das MRT wurde wie folgt befundet: „Impingement Grad III. mit Teilruptur im Supraspinatus und ausgeprägten Ergüssen in den Bursen wie beschrieben.“ Die Klägerin stellte sich sodann wegen ihrer Schulterbeschwerden unter dem 12.06.2007 bei dem Beklagten zu 1) vor. Der Beklagte zu1 ) diagnostizierte den Verdacht auf eine Teilruptur der Supraspinatussehne bei Verdacht auf Tendinitis calcarea in Auflösung. Er empfahl der Klägerin eine konservative Therapie mit Injektionen, Physiotherapie und Antiphlogistika. Unter dem 21.06.2007 stellte sich die Klägerin erneut bei dem Beklagten vor. Es wurden im einzelnen streitige bildgebende Untersuchungen durchgeführt und es kam zu einer erneuten Wiedervorstellung der Klägerin bei dem Beklagten zu 1) am 13.07.2007. Der Klägerin wurde weiterhin eine konservative Therapie empfohlen. Wegen progredienter Schmerzen in der linken Schulter stellte sich die Klägerin am 09.08.2007 ein weiteres Mal bei dem Beklagten zu 1) vor. Es wurde eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Der Klägerin wurde nunmehr eine operative Versorgung empfohlen. Der Eingriff selbst wurde am 20.08.2007 von dem Beklagten zu 1) durchgeführt. Es wurde nach entsprechender Schnitterweiterung über die arthroskopische Dekompression hinaus eine Rotatorenmanschetten-Rekonstruktion vorgenommen. Am 22.08.2007 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. Unter dem 03.09.2007 kam es im häuslichen Umfeld zu einem Treppensturzereignis auf die operierte linke Schulter. Daraufhin wurde von dem Beklagten zu 1) eine konservative Therapie eingeleitet. Die Beschwerden der Klägerin persistierten. Im Dezember 2007 wurde eine weitere MRT-Untersuchung der linken Schulter durchgeführt. Der Beklagte zu 1) empfahl die Fortsetzung der konservativen Therapie. Die Klägerin stellte sich auch Anfang 2008 noch mehrfach wegen der Schmerzproblematik in der Praxis des Beklagten zu 1) vor, zuletzt am 01.02.2008. Im Zeitraum vom 05.03.2008 bis zum 02.04.2008 fand – von dem Beklagten zu 1) ebenso wie der weitere Behandlungsverlauf mit Nichtwissen bestritten – eine Anschlussheilbehandlung im P- Klinikum in D statt. Am 13.05.2008 wurde ein Funktions-MRT durchgeführt und eine Teilruptur der Supraspinatussehne diagnostiziert. Die Klägerin wurde unter dieser Diagnose am 05.06.2008 im OCM in München operiert.
3Die Klägerin behauptet, von dem Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt worden zu sein. Am 21.06.2007 sei eine Ultraschallkontrolle und die Infiltration mit einem kortisonhaltigen Medikament erfolgt. Am 13.07.2007 sei eine Röntgenuntersuchung der Schulter erfolgt. Die Klägerin behauptet, die von dem Beklagten zu 1) am 20.08.2007 durchgeführte Operation sei in diesem Umfang medizinisch nicht indiziert gewesen. Auch nach dem Sturzereignis am 03.09.2007 habe der Beklagte zu 1) sie fehlerhaft behandelt. Er habe es versäumt, unverzüglich eine kernspintomographische Untersuchung durchzuführen. Bei Durchführung derselben wäre mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Re-Ruptur der Supraspinatussehne festgestellt worden, was zu einer frühzeitigen weiteren Operation im September 2007 geführt hätte. Diese wäre dann geeignet gewesen, die Funktion der Rotatorenmanschette dauerhaft wieder herzustellen und damit eine belastungs- und bewegungsfähige Schulter innerhalb eines Zeitraums von 4-6 Wochen wieder herzustellen. Die dann letztendlich zeitlich verzögert erst im Juni 2008 durchgeführte Revisionsoperation habe ein derart zufriedenstellendes Ergebnis medizinisch nicht mehr erreichen können. Die Klägerin behauptet, infolge des Behandlungsfehlers seien weitere stationäre Folgebehandlungen erforderlich geworden. Auch die ambulante Heilbehandlung sei nach wie vor noch nicht abgeschlossen. Sie leide unter dauerhaften und sehr weitgehenden Beeinträchtigungen des linken Armes sowie Schmerzen. Wegen der Fehlbelastung durch die Bewegungseinschränkungen komme es des weiteren zu Nackenschmerzen, Kopfschmerzen und Schulterschmerzen rechts. Sie sei arbeitsunfähig in ihrer Tätigkeit als Physiotherapeutin und Osteopathin und nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihren Haushalt zu versorgen. Sie sei in ihrem Freizeitverhalten eingeschränkt. Infolge der Beeinträchtigungen sei es auch zu massiven psychischen Beeinträchtigungen gekommen. In Anbetracht der erlittenen Beeinträchtigungen hält die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 60.000 € für angemessen. Sie macht darüber hinaus die Kosten der vorgerichtlichen Begutachtung der Behandlung durch einen Privatsachverständigen geltend.
4Die Klägerin erhebt des weiteren die Aufklärungsrüge. Sie behauptet insoweit, auf entsprechende Nachfrage hin habe der Beklagte zu 1) ihr bestätigt, dass es sich um einen kleineren Eingriff handele und sie in spätestens 3 Wochen wieder ihrer Berufstätigkeit nachgehen könne. Über weitergehende Eingriffe und Operationserweiterungen sei vor der Operation am 20.08.2007 nicht gesprochen worden. Aufgeklärt worden sei nur über eine Arthroskopie des Schultergelenkes mit einer Glättung der Supraspinatussehne. Von einer AC-Gelenkplastik, einer Ausschneidung der Rotatorenmanschette sowie einer offenen Rotatorenmanschetten-Rekonstruktion sei im Rahmen der Aufklärung nicht die Rede gewesen. Auch über weitergehende Risiken und die längere Rehabilitationsdauer durch die Operationserweiterung sei sie nicht aufgeklärt worden. Die Klägerin behauptet, sie hätte sich angesichts ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden.
5Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, 1) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung am 20.08.2007 sowie den fehlerhaften Behandlungen zwischen dem 03.09.2007 und dem 01.02.2008 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch 60.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.09.2008, 2) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin aus den o.g. fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen 1.674,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2010 zu zahlen, 3) festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus den o.g. fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
6Sie hat die Klage gegen die Beklagte zu 2) zurückgenommen. Insoweit sind ihr mit Beschluss vom 11.07.2012 die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) auferlegt worden.
7Die Klägerin beantragt nunmehr,
81. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung am 20.08.2007 sowie den fehlerhaften Behandlungen zwischen dem 03.09.2007 und dem 01.02.2008 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch 60.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.09.2008,
92. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin aus den o.g. fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen 1.674,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2010 zu zahlen,
103. festzustellen, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus den o.g. fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
11Der Beklagte zu 1) beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Der Beklagte zu 1) bestreitet den Behandlungsfehlervorwurf. Er behauptet, die Behandlung der Klägerin sei vollumfänglich lege artis erfolgt. Die operative Versorgung sei bei progredienten Schulterbeschwerden trotz zunächst durchgeführter intensiver konservativer Therapiemaßnahmen indiziert gewesen. Der Eingriff selbst sei fachgerecht durchgeführt worden. Die Notwendigkeit einer operativen Versorgung der Rotatorenmanschette habe sich erst intraoperativ gezeigt. Die postoperativ persistierenden Beschwerden der Klägerin beruhten auf einer capsulitis adhävisa mit Teilsteife, die als mögliche Komplikation nach einem Schultertrauma oder postoperativ auftreten könnten. Diese sei von dem Beklagten zu 1) adäquat behandelt worden.
14Der Beklagte zu 1) behauptet, die Klägerin sei vor dem operativen Eingriff vollumfänglich über die bestehenden Therapieoptionen und über die Operation selbst aufgeklärt worden. Ihr sei insbesondere die Vorgehensweise, inklusive einer eventuell notwendig werdenden Erweiterung des Eingriffs, die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und die Art und Weise der Nachbehandlung eingehend erläutert worden, dies anhand von Erklärungen am Modell, einer Skizzenzeichnung und einem standardisierten Aufklärungsbogen. Hinsichtlich der Operationserweiterung wegen des sich intraoperativ darstellenden Befundes beruft sich der Beklagte zu 1) darüber hinaus auf ein mutmaßliches Einverständnis der Klägerin mit einer operativen Mitversorgung der Rotatorenmanschette im Rahmen des operativen Eingriffes zur Vermeidung einer weiteren Operation. Der Beklagte zu 1) hält das geltend gemachte Schmerzensgeld für überhöht. Er macht im Einzelnen Einwände gegen die geltend gemachten materiellen Schäden geltend. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 27.02.2012 Bezug genommen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.
16Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 30.03.2012 in Verbindung mit dem Beschluss vom 12.11.2014 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und schriftliche sowie mündliche Erläuterung desselben durch den Sachverständigen und durch Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 1). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L vom 15.12.2012, die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 31.01.2014 und das Protokoll der Sitzung vom 12.11.2014 Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin hat Ansprüche gegen den Beklagten zu 1) aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrag in Verbindung mit §§ 280, 249 ff., 253 II, 611 ff. BGB und aus § 823 BGB nur in dem tenorierten Umfang.
19I.
20Nicht zur Überzeugung der Kammer beweisen können hat die Klägerin nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, dass sie von dem Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt worden ist und infolge dieser Behandlung einen Gesundheitsschaden erlitten hat, § 286 ZPO. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L ist in seinem Gutachten vom 15.12.2012 unter sorgfältiger Auswertung der Behandlungsunterlagen und einer eigenen Untersuchung der Klägerin nebst Anfertigung eigener Röntgenbilder im Gegenteil zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Behandlungsfehler nicht vorliege. Er hat ausgeführt, die Indikation zur Arthroskopie des linken Schultergelenkes nach Versagen der konservativen Therapie sei bei bestehendem Schulterengesyndrom gegeben gewesen. Bei intraoperativem Nachweis einer in der vorangegangenen MRT-Diagnostik nicht beschriebenen Teilruptur der Supraspinatussehne habe auch eine medizinische Indikation zu einer Naht der Sehne bestanden. Die Operation selbst sei lege artis durchgeführt worden. Sie habe ausweislich der ärztlichen Dokumentation auch zunächst zu einer Besserung geführt, die sich erst im weiteren Verlauf wieder verschlechtert habe. Eine sofortige kernspintomographische Untersuchung nach dem Trauma vom 03.09.2007 sei nicht indiziert gewesen, da mittels Sonographie mehrfach ein regelhafter postoperativer Befund konstatiert worden sei. Die sonographischen Ergebnisse seien – so der Sachverständige in der ergänzenden Stellungnahme – durchaus ebenso gut wie die kernspintomographischen Ergebnisse nach offener Rotatorenmanschettennaht. Es hätte sich bei sofortiger Durchführung einer MRT-Untersuchung auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis im Sinne einer erneuten Rotatorenmanschettenruptur ergeben. Denn auch die letztlich am 13.12.2007 durchgeführte MRT-Untersuchung habe keinen eindeutigen Hinweis auf das Vorliegen einer erneuten Rotatorenmanschettenruptur ergeben. Der Sachverständige hat insoweit im Rahmen seiner mündlichen Gutachtenerläuterung sehr eindeutig klargestellt, dass er persönlich davon ausgehe, dass ein Riss oder sonstige reaktionspflichtige Befunde bei einem frühzeitig angefertigten MRT nicht diagnostiziert worden wären. Er hat auf Nachfrage hin klargestellt, dass er aus seiner sachverständiger Sicht davon ausgeht, dass das Rissereignis erst später, d.h. nach dem im Dezember 2007 gefertigten MRT überhaupt stattgefunden habe. Das Gutachten ist überzeugend und nachvollziehbar, dabei eingehend und fundiert. Die Fachkunde des Sachverständigen steht außer Zweifel.
21Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist auch ein kausaler auf die Behandlung durch den Beklagten zu 1) zurückzuführender Gesundheitsschaden der Klägerin nicht bewiesen. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L hat insoweit ausgeführt, die klägerseits beklagten Beschwerden lägen zwar vor, hätten ihre Ursache aber eher in der Grunderkrankung an sich. Ein am 05.05.2010 durchgeführtes MRT der linken Schulter und der Thoraxwand habe bei der Klägerin eine AC-Gelenksarthrose mit beginnenden osteophytären knöchernen Anbauten darstellen können. Weiterhin habe bei der Klägerin eine chronisch degenerative Tendinopathie der Rotatorenmanschette vorgelegen, insbesondere der Supraspinatussehne. Die ebenfalls in der MRT-Diagnostik dargestellten Metallartefakte seien hingegen ohne Krankheitswert. In Abrede gestellt hat der Sachverständige auch die Sinnhaftigkeit einer frühzeitigeren Re-Operation. Er hat insoweit in der mündlichen Gutachtenerläuterung darauf verwiesen, dass auch die Folgebehandler zunächst alle weiterhin konservativ vorgegangen seien und einem operativen Vorgehen zögerlich gegenüber gestanden hätten. Dies hat er anschaulich damit begründet und erläutert, dass die Möglichkeiten, mit einer Operation im Bereich der Schulter Gutes zu bewirken, in der gegebenen Situation der Klägerin begrenzt seien. Es könne insoweit immer nur um Schadensbegrenzung gehen.
22II.
23Die Klägerin hat jedoch Ansprüche gegen den Beklagten zu 1) in der tenorierten Höhe. Denn die Kammer geht von einer rechtswidrigen Operationserweiterung aus, die nicht von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin nach vorangegangener ordnungsgemäßer Aufklärung getragen war.
24Insoweit geht die Kammer auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. L davon aus, dass aus medizinischer Sicht auch über die tatsächlich stattgefundene Operationserweiterung auf die Versorgung der Rotatorenmanschette vor Vornahme derselben aufzuklären gewesen wäre. Insoweit hat der Sachverständige ausgeführt, es habe sich bei dem im Rahmen der Operationserweiterung vorgenommenen Eingriff einerseits nicht um einen dringlichen Eingriff gehandelt, der im Rahmen der Operation am 20.08.2007 zwingend habe durchgeführt werden müssen. Zum anderen habe die Operationserweiterung und der damit einhergehende Übergang von der arthroskopischen Vorgehensweise auf die mini-open Technik eine zeitliche Verzögerung des Heilungsverlaufs gegenüber einer reinen Dekompression um circa 6 Wochen nach sich gezogen. Außerdem sei eine Narbe entstanden, die bei einer rein arthroskopischen Vorgehensweise so nicht entstanden wäre. Diese Punkte seien mit dem Patienten vorher abzustimmen und müssten von seiner Einwilligung getragen werden. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, er erlebe in seiner klinischen Praxis immer wieder Patienten, die bei entsprechender Aufklärung einen derartigen Eingriff aus zeitlichen Gründen ablehnten.
25Die Kammer ist nach erfolgter mündlicher Anhörung beider Parteien nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass eine mit diesem Inhalt gebotene Aufklärung im vorliegenden Fall ordnungsgemäß erfolgt ist. Zwar hat der Beklagte zu 1) in seiner mündlichen Anhörung ausgesagt, er habe die Klägerin auch über eine mögliche in Betracht kommende Naht der Kapsel oder Sehnennaht (Rotatorenmanschette) aufgeklärt. Aus diesem Grund sei das entsprechende Kästchen im schriftlichen Aufklärungsformular handschriftlich angekreuzt. Er sei sich sicher, dass er mit der Klägerin auch über eine mögliche Naht im Bereich der Rotatorenmanschette und die dann zur Anwendung gelangende mini-open-Technik gesprochen habe. Dies hat die Klägerin indes entschieden in Abrede gestellt wie auch den Umstand, dass sich das entsprechende Kreuz im schriftlichen Aufklärungsformular vor ihrer Unterschriftsleistung befunden habe. Sie hat in ihrer mündlichen Anhörung zwar eingeräumt, über die Operationsrisiken aufgeklärt worden zu sein. Indes hat sie glaubhaft eine Aufklärung über einen möglichen Eingriff im Bereich der Rotatorenmanschette verneint. Dies hat sie für die Kammer nachvollziehbar und plausibel damit erklärt, die Dauer des Heilungsverlaufs sei für sie aufgrund ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit von großer Bedeutung gewesen. Die Klägerin ist nach dem persönlichen Eindruck, den die Kammer von ihr gewonnen hat, auch glaubwürdig. Vor diesem Hintergrund vermag sich die Kammer keine sichere Überzeugung davon zu verschaffen, dass über die vorgenannten Fragen im Zusammenhang mit der Operationserweiterung wie geboten gesprochen worden ist, dies auch in Anbetracht des Umstandes, dass nach den Behandlungsunterlagen und auch nach der eigenen Einlassung des Beklagten zu 1) von ihm seinerzeit im Vorfeld angesichts des MRT vom 09.08.2007 zum Zeitpunkt des Aufklärungsgespräches nicht davon ausgegangen worden ist, dass die Operationserweiterung notwendig werden würde. Er ging davon aus, dass eine Ruptur nicht vorliege. Von daher fügt sich die klägerseitige Sachverhaltsdarstellung auch stimmig in den Behandlungsverlauf. Auch der gerichtliche Sachverständige hat zu erkennen gegeben, dass ausweislich der von ihm ausgewerteten Behandlungsunterlagen die Möglichkeit einer offenen Gelenkrevision anscheinend nicht in Betracht gezogen worden sei und die Dekompression als Gegenstand der anstehenden Behandlung eindeutig im Vordergrund gestanden habe. Was die schriftliche Aufklärungsdokumentation angeht, ist ergänzend zu sehen, dass sich dort – selbst wenn das Kreuz sich bereits vor der Unterschriftsleistung durch die Klägerin in dem 5. Kästchen befunden haben sollte – kein Hinweis auf einen möglichen Übergang zur mini-open-Technik und auf einen in dem Fall deutlich verzögerten Heilungsverlauf befindet. Eine Aufklärung hierüber hat der gerichtliche Sachverständige indes für erforderlich gehalten. Auch von einer mutmaßlichen Einwilligung der Klägerin bei Kenntnis des intraoperativen Befundes kann in der gegebenen Situation aus Sicht der Kammer nicht ausgegangen werden. Die Klägerin hat plausibel gemacht, dass sie sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, ob sie den Eingriff, der Gegenstand der Operationserweiterung war, hätte durchführen lassen. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der zeitlichen Verzögerung des Heilungsverlaufs und der Auswirkungen einer solchen Verzögerung auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin nachvollziehbar und plausibel.
26War die vorgenommene Operationserweiterung rechtswidrig, schuldet der Beklagte zu 1) der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld. Insoweit erscheint der Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 € als angemessen, aber auch ausreichend. Bei der Bemessung hat die Kammer berücksichtigt, dass zwar nicht der arthroskopische Eingriff als solcher, wohl aber die im mini-open-Verfahren erfolgte Naht der Rotatorenmanschette als kausale Folge der nicht ordnungsgemäßen Aufklärung zu werten und im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen ist. Kausale Folge der Operationserweiterung ist des weiteren eine circa 5 cm große Narbe auf der Schulter der Klägerin, die dauerhaft verbleiben wird. Es ist außerdem nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen von einer Heilungsverzögerung in einer Größenordnung von 6 Wochen infolge der Operationserweiterung auszugehen. Weitere kausale Folgen sind aus Sicht der Kammer bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Insoweit hat der gerichtliche Sachverständige eindeutig festgestellt, die von der Klägerin beklagten Restbeschwerden seien nicht auf die offene Vorgehensweise und die Operationserweiterung zurückzuführen. Restbeschwerden seien nach Schulterarthroskopien generell nicht selten. Eine vollständige Erholung sei oftmals nicht zu erreichen. Zudem sei durch das Trauma vom 03.09.2007 eine erneute kurzfristige Verschlechterung eingetreten, die den Heilungsverlauf insgesamt negativ beeinflusst habe.
27III.
28Der Beklagte zu 1) schuldet der Klägerin des weiteren aus §§ 823, 249 ff. BGB die Kosten des vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens. Denn die Klägerin als medizinischer Laie konnte die Hinzuziehung sachverständiger Hilfe zur Beurteilung ihrer Erfolgschancen und zur Vorbereitung dieses Rechtsstreits für erforderlich erachten. Die als Anlage K 11 vorgelegte Rechnung des vorgerichtlich tätig gewordenen Sachverständigen Prof. Dr. T beläuft sich auf den tenorierten Betrag in Höhe von 1.674,33 €.
29IV.
30Begründet ist ferner der Feststellungsantrag, jedoch nur bezogen auf vergangene materielle Schäden. Hinsichtlich zukünftiger materieller wie immaterieller Schäden sind kausal auf die Operationserweiterung zurückzuführende zukünftige Schäden nach den eindeutigen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht denkbar.
31Der Zinsanspruch der Klägerin beruht hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruches auf § 291 BGB. Die Klageschrift ist dem Beklagten zu 1) unter dem 02.01.2012 zugestellt worden. Die Zinshöhe ergibt sich aus dem Gesetz, § 288 I BGB. Ein früherer Verzugseintritt ist seitens der Klägerin nicht substantiiert dargetan worden, insbesondere war die vorgerichtliche Zahlungsaufforderung wegen der erheblichen Zuvielforderung nicht geeignet, einen Verzugseintritt herbeizuführen.
32Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Sachverständigenkosten befindet sich der Beklagte zu 1) seit dem 11.09.2010 in Verzug, §§ 284 ff. BGB. Der hinter ihm stehende Versicherer ist seitens der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.08.2010 unter Fristsetzung auf den 10.09.2010 zur Zahlung aufgefordert worden. Die Zinshöhe ergibt sich wiederum aus dem Gesetz, § 288 I BGB.
33Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I, 100, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Bei der Kostenentscheidung hat die Kammer hinsichtlich der Gerichtskosten sowie der außergerichtlichen Kosten der Klägerin einen fiktiven Streitwert zugrunde gelegt, da insoweit zu berücksichtigen war, dass sich die Klage ursprünglich gegen zwei Beklagte richtete. Bei den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) ist hingegen der tatsächliche Streitwert zugrunde gelegt worden. Im Hinblick auf den Feststellungsantrag hat die Kammer im Rahmen der Kostenentscheidung diesen nur in einer Größenordnung von 2.500 € als werthaltig angesehen und zugunsten der Klägerin berücksichtigt. Denn unter Zugrundelegung der Feststellungen des Sachverständigen können materielle Schäden lediglich im Zeitraum der Behandlungsverzögerung von 6 Wochen entstanden sein, die durch die Operationserweiterung verursacht wurde. Die weitergehenden Beschwerden und Belastungen der Klägerin beruhen nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht auf der Operationserweiterung, sondern auf der Grunderkrankung, der von der Einwilligung der Klägerin gedeckten Arthroskopie der Schulter und dem Sturzereignis.
34Streitwert: 91.674,33 €
35(Klageantrag zu 1): 60.000 €
36Klageantrag zu 2): 1.674,33 €
37Klageantrag zu 3): 30.000 €)
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.