Landgericht Kiel Beschluss, 21. Nov. 2014 - 10 Qs 57/14
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Gericht
Tenor
Es wird die Rechtswidrigkeit der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Durchsuchungsanordnung festgestellt. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der in ihm enthaltenen Beschlagnahmeanordnung, wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
- 1
Im Zeitraum vom 18. Juli bis zum 4. September 2008 schrieb die Region K., eine Verwaltungseinheit der Russischen Föderation, die Beschaffung von vier Computertomographen für das von ihr betriebene Gesundheitsversorgungssystem öffentlich aus. Den Zuschlag erhielt das Angebot der in Moskau ansässigen Firma M., welches die Lieferung von Computertomographen „...“ des Herstellers Ph.Inc. zu einem Stückpreis von 29,75 Millionen Rubel zum Gegenstand hatte.
- 2
Im Oktober 2008 verkaufte Ph.Inc. vier Computertomographen „...“ mit den Seriennummern …, …, … und … zu einem Stückpreis von 404.535,- Euro an die Beschwerdeführerin. Von der Beschwerdeführerin wurden die vier Computertomographen im November 2008 an die in H. ansässige T.GmbH weiterverkauft, und zwar zu einem Stückpreis von 455.000,- Euro. Die T.GmbH wiederum veräußerte die vier Computertomographen noch im gleichen Monat an die ebenfalls in Hamburg ansässige K. GmbH weiter, und zwar zu einem Stückpreis von 758.010,- Euro. Von der K.GmbH wurden die vier Computertomographen ebenfalls noch im November 2008 an die Firma M. verkauft, und zwar zu einem Stückpreis von 827.921,45 Euro. Die Firma M. lieferte die vier Computertomographen anschließend an die Region K. aus, welche im Gegenzug den Gesamtkaufpreis in Höhe von 119 Millionen Rubel an die Firma M. zahlte.
- 3
Danach wurde gegen die Beschuldigte, welche vom 23. Juni 2008 bis zum 15. April 2009 Geschäftsführerin der K.GmbH gewesen war, von den dafür zuständigen Stellen der Russischen Föderation ein Strafverfahren mit der Nummer 289946 eröffnet. Gegenstand dieses Verfahrens ist der Vorwurf, die Beschuldigte habe sich dadurch eines Betruges gemäß § 159 Abs. 4 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation schuldig gemacht, dass sie „bei der Ausstellung der Wettbewerbsunterlagen, die für die Ausschreibung um die Beschaffung der genannten Tomografen eingereicht wurden, vorsätzlich falsche, überhöhte Angaben zum Preis der Geräte gemacht“ (vgl. dazu Bl. 6 d.A.) habe. Hierdurch sei der Region K. ein Schaden in Höhe von 59.516.172,- Rubel entstanden, denn der tatsächliche Marktpreis für einen dieser Computertomographen habe sich damals auf 14.870.957,- Rubel belaufen.
- 4
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2013 ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation beim Bundesamt für Justiz um die Beschlagnahme sämtlicher bei der Beschwerdeführerin vorhandenen Unterlagen, welche den Kauf und Verkauf der vier Computertomographen betreffen, im Wege der internationalen Rechtshilfe.
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Am 20. Februar 2014 hat das Amtsgericht Norderstedt die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin und die Beschlagnahme sämtlicher dort vorhandener Unterlagen, welche den Kauf und Verkauf der vier Computertomographen betreffen, angeordnet. Durchsuchung und Beschlagnahme haben stattgefunden am 27. Mai 2014.
- 6
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 2. Juni 2014 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt vom 20. Februar 2014 eingelegt.
- 7
Das Amtsgericht Norderstedt hat der Beschwerde mit Verfügung vom 4. Juni 2014 nicht abgeholfen.
II.
1.
- 8
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (vgl. dazu Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 67 IRG Rn 23). Auch dass die in dem angefochtenen Beschluss angeordnete Durchsuchung bereits abgeschlossen ist, also – anders als die Beschlagnahme – nicht fortwirkt, steht der Zulässigkeit der Beschwerde nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, Vor § 296 Rn 18a).
2.
- 9
Darüber hinaus ist die Beschwerde auch begründet, denn die Beschuldigte ist der Begehung eines Betruges nicht verdächtig.
- 10
Schon das Vorliegen einer Täuschungshandlung der Beschuldigten erscheint zweifelhaft, denn allein das Fordern eines bestimmten, überhöhten Preises enthält für sich genommen keine Täuschung, es sei denn, dass aufgrund besonderer Umstände auf das bloße Verlangen eines marktüblichen Preises vertraut werden durfte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. April 2011, Az. 1 StR 458/10, Rn 16 (zitiert nach juris)).
- 11
Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Region K. ein strafrechtlich relevanter Vermögensschaden entstanden wäre. Denn die von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg in dem Auslieferungsverfahren gegen die Beschuldigte (dortiges Az. 5201 AR 12/12 bzw. Ausl 43/12) angestellten Recherchen (vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung auf Bl. 231ff. der Auslieferungsverfahrensakte sowie den zugehörigen Sonderband) haben ergeben, dass der von der Region K. für einen Computertomografen gezahlte Preis im zweiten Halbjahr des Jahres 2008 marktüblich war, woraufhin bereits das Oberlandesgericht Hamburg die Auslieferung der Beschuldigten an die Russische Föderation in seinen Beschlüssen vom 15. März (vgl. dazu Bl. 138-140 d.A.) und 15. April 2013 (vgl. dazu Bl. 141-143 d.A.) für unzulässig erklärte. Für ihre Recherchen griff die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg auf andere bei ihr anhängig gewesene Rechtshilfeersuchen der Russischen Föderation zurück, welche den Kauf gleicher oder vergleichbarer Computertomographen im Zeitraum Juni 2008 bis November 2009 durch Träger öffentlicher Gesundheitseinrichtungen zum Gegenstand hatten. Dabei ergab sich, dass ein gleiches Gerät bereits im Juni 2008 von der Region K. für 29,75 Millionen Rubel pro Stück gekauft worden war. Im November 2008 wurde ein vergleichbares Gerät des Herstellers S. von dem Gebiet Irkutsk für 31.807.960,- Rubel gekauft. Vergleichbare Geräte des Herstellers T. wurden im Juni 2008 vom Gebiet R. für 30,905 Millionen Rubel, im August 2009 von einer nicht näher bekannten Verwaltungseinheit für 29.782.600,- Rubel und im November 2009 von dem Gebiet U. für 24.491.216,- Rubel gekauft. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Kaufpreis von 29.356.355,- Rubel.
3.
- 12
Infolge der Begründetheit der Beschwerde war der angefochtene Beschluss hinsichtlich der fortwirkenden Beschlagnahmeanordnung aufzuheben. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der nicht fortwirkenden Durchsuchungsanordnung, war dessen Rechtswidrigkeit festzustellen (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, Vor § 296 Rn 18a).
III.
- 13
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
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Annotations
(1) Gegenstände, deren Herausgabe an einen ausländischen Staat in Betracht kommt, können, auch schon vor Eingang des Ersuchens um Herausgabe, beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden. Zu diesem Zweck kann auch eine Durchsuchung vorgenommen werden.
(2) Gegenstände können unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 auch dann beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden, wenn dies zur Erledigung eines nicht auf Herausgabe der Gegenstände gerichteten Ersuchens erforderlich ist. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
(3) Die Beschlagnahme und die Durchsuchung werden von dem Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Handlungen vorzunehmen sind. § 61 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.
(4) Bei Gefahr im Verzug sind die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) befugt, die Beschlagnahme und die Durchsuchung anzuordnen.
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.