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Am 19.3.2003 fuhr der damals 9 Jahre alte Beklagte Ziffer 1 mit seinem Fahrrad in Eppingen auf der Straße H berg auf das auf der linken Straßenseite geparkte Fahrzeug Pkw Nissan der Klägerin auf, wodurch ein Sachschaden (einschließlich Sachverständigenkosten und Unkostenpauschale) in Höhe von 2.578,92 EUR entstand.
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Das Amtsgericht Heilbronn wies die von der Klägerin gegen den Beklagten Ziffer 1 und dessen Vater, den Beklagten Ziffer 2, erhobene Schadensersatzklage ab. Hinsichtlich des Beklagten Ziffer 1 führte das Amtsgericht aus, dass zu dessen Gunsten der Haftungsausschluss des § 828 Abs. 2 BGB durchgreife, der seinem Normzweck nach auch anwendbar sei, wenn ein unter 10 Jahre altes Kind in einen Unfall mit einem geparkten, motorisierten Fahrzeug verwickelt wird. Anhaltspunkte für eine teleologisch einschränkende Auslegung der Norm, dass der Ausschlusstatbestand nicht für ein Unfallgeschehen mit einem geparkten Fahrzeug gelte, bestünden nicht. Es sei vielmehr generell und damit auch in der konkreten Situation von einer Überforderung des Kindes auszugehen, weshalb der vom Gesetzgeber beabsichtigte umfassende Schutz auch in dieser Situation zum Tragen kommen müsse. Diese vom Wortlaut gebotene weite Auslegung der Norm vermeide zudem Abgrenzungsschwierigkeiten.
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Auch eine Haftung des Beklagten Ziffer 2 scheide aus, nachdem Anhaltspunkte für eine Verletzung der Aufsichtspflicht des Vaters nicht ersichtlich seien.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie ist der Auffassung, dass die Ausschlussnorm des § 828 Abs. 2 BGB im konkreten Fall nicht zugunsten des Beklagten Ziffer 1 eingreife. Vielmehr sei die Norm ihrem Zweck nach lediglich dann anzuwenden, wenn sich die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs verwirklicht haben, was bei einem geparkten Pkw gerade nicht der Fall sei. Auch der Beklagte Ziffer 2 sei wegen Verletzung der Aufsichtspflicht haftbar, nachdem er den Beklagten Ziffer 1 mit einem zu großen Fahrrad habe fahren lassen und – nachdem beklagtenseits vorgetragen wurde, der Unfall habe sich deshalb ereignet, weil die Hose des Beklagten Ziffer 1 sich zwischen Zahnkranz und Kette des Fahrrades verfangen habe – nicht dafür gesorgt habe, dass der Beklagte Ziffer 1 beim Fahrradfahren eine geeignete Hosenklammer benützt oder die Hose hochkrempelt.
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das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 15.1.2004 abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.578,92 EUR zu bezahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 1.5.2003.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Berufungskammer hat in der mündlichen Verhandlung die Parteien zum Sachverhalt informatorisch angehört sowie die Zeugen R. und E. vernommen. Auf den Inhalt des Protokolls (Bl. 82 bis 86 d. A.) wird Bezug genommen.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Das Rechtsmittel wurde insbesondere fristgemäß eingelegt und begründet.
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Die Berufung hat insoweit Erfolg, als das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn abzuändern und der Beklagte Ziffer 1 antragsgemäß zu verurteilen ist. Dagegen verbleibt es hinsichtlich des Beklagten Ziffer 2 bei der schon vom Amtsgericht ausgesprochenen Klageabweisung.
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Nach Auffassung der Kammer kann im vorliegenden Fall die Haftungsausschlussnorm des § 828 Abs. 2 BGB nicht zum Tragen kommen.
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Zwar genügt es nach dem Wortlaut der Norm, dass der Schaden bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug entstanden ist unabhängig davon, ob sich das an dem Unfall beteiligte Fahrzeug im fliesenden oder im ruhenden Straßenverkehr befunden hat. Die Vorschrift ist jedoch ihrem Normzweck nach einschränkend auszulegen.
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Ziel des Gesetzgebers war es, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Kinder frühestens ab dem vollendeten zehnten Lebensjahr im Stande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Verkehrs zu erkennen und sich den erkannten Gefahren entsprechend zu verhalten. Dies liege zum einen an den körperlichen Bedingungen, aufgrund derer es Kindern bis zum zehnten Lebensjahr nicht möglich sei, Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen. Zum anderen stünden kindliche Eigenheiten wie Lauf- und Erprobungsdrang, Impulsivität, Affektreaktion, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und gruppendynamisches Verhalten oft einem "verkehrsgerechten Verhalten" entgegen (vgl. BT-Drucksache 14/7752, Seite 16). Vom Gesetzgeber angesprochen ist damit der Schutz des Kindes vor den besonderen und typischen Gefahren des motorisierten Straßen- (oder Bahn-) Verkehrs, die regelmäßig zu einer Überforderung des Kindes führen. Ausschließlich diesem Schutz soll die Haftungsnorm dienen. Dies ergibt sich unter anderem auch aus der Begründung zu § 828 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Ausschlussnorm bei einer vorsätzlichen Verletzung durch das Kind nicht zur Anwendung kommt. Solche Fälle hätten "nichts mit der eingangs beschriebenen Überforderungssituation zu tun, denen sich Kinder im Straßenverkehr oft ausgesetzt sehen".
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Wenn aber – wie im vorliegenden Fall – sich der Verkehrsunfall zwischen dem Kind als Verkehrsteilnehmer und einem zwar motorisierten, aber geparkten Fahrzeug ereignet, ist dies gerade nicht auf die angesprochenen besonderen und typischen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zurückzuführen. Vielmehr unterscheiden sich die Gefahren, die von einem parkenden Kraftfahrzeug ausgehen, nicht von denjenigen, die von einem ordnungsgemäß abgestellten Fahrrad, von einem Baum oder von einer Mauer ausgehen (vgl. LG Trier, 1 S 104/03, Urteil vom 28.10.2003). Der Fall unterscheidet sich damit in nichts von einem Unfallgeschehen im nicht motorisierten Verkehr. Hinsichtlich des nicht motorisierten Verkehrs hat der Gesetzgeber aber bewusst von einer Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit abgesehen, da hier die Anforderungen, denen das Kind ausgesetzt ist, im Allgemeinen geringer sind. Das Kind wird aufgrund seiner altersbedingten Defizite seltener überfordert sein (vgl. Bundestagsdrucksache, Seite 27).
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Mithin muss die Haftungsausschlussnorm des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB dahingehend teleologisch reduziert ausgelegt werden, dass ein Unfall mit einem Kraftfahrzeug nur dann vorliegt, wenn sich die von einem in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr auch realisiert hat (LG Trier a. a. O.). Ansonsten kommt es zu erheblichen Wertungswidersprüchen und im Einzelfall zu untragbaren Ergebnissen.
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Abgrenzungsschwierigkeiten sind hinzunehmen und für den Einzelfall zu lösen. Jedenfalls dann, wenn wir hier das am Unfall beteiligte Kraftfahrzeug seit längerer Zeit am Straßenrand geparkt war und sich damit bereits im Stillstand befand, als sich die konkrete Unfallsituation durch Annäherung des Beklagten Ziffer 1 mit seinem Fahrrad anbahnte, haben sich die besonderen und typischen Risiken und Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs offensichtlich in keiner Weise verwirklicht. Ob der Fall anders zu beurteilen wäre, wenn das Fahrzeug der Klägerin mit laufendem Motor am Straßenrand gestanden hätte, bedarf hier keiner Beurteilung. Es dürfte jedoch für die Anwendbarkeit des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB weniger darauf ankommen, ob der Motor des Kraftfahrzeuges zum Zeitpunkt des Unfalles in Betrieb gewesen ist als vielmehr darauf, ob sich das Kraftfahrzeug in nahem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall in Bewegung befunden hat. Dies war aber vorliegend ersichtlich nicht der Fall, weshalb die Ausschlussnorm nicht zur Anwendung kommt.
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Der Beklagte Ziffer 1 hat den Unfallschaden fahrlässig herbeigeführt, wobei er zum Unfallzeitpunkt bereits die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht (§ 828 Abs. 3 BGB) hatte.
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Die Kammer erachtet die Sachverhaltsdarstellung der Beklagten zwar als glaubhaft, dass diesem bei seiner damaligen Fahrt mit dem Fahrrad die Hose in die Kette geriet. Dies lässt den Vorwurf (leicht) fahrlässigen Verhaltens des Beklagten Ziffer 1 jedoch nicht entfallen. Auch wenn durch die in die Kette geratene Hose die Bedienung der Pedale sowie gegebenenfalls auch der rechte Bremszug blockiert war, hätte der Beklagte Ziffer 1, nachdem er nach eigenen Angaben sowie denen seines Vaters und auch des Zeugen R. im Fahrradfahren schon recht geübt gewesen ist, bei besonnenem Verhalten die Gewalt über das Fahrrad behalten können. Hätte das Kind mit der linken Vorderradbremse das Fahrrad vorsichtig abgebremst und den Blick rechtzeitig wieder auf die Straße gerichtet, wäre es weder zu einem Querstellen des Fahrrades noch zu einem Überqueren der Fahrbahn auf die linke Straßenseite gekommen, wo der Beklagte Ziffer 1 mit dem Pkw der Klägerin kollidierte. Der vom Beklagten Ziffer 1 geschilderte Vorgang und insbesondere die Tatsache, dass er allein aufgrund des Hineingeratens der Hose in die Kette komplett auf die falsche Straßenseite geraten ist, impliziert einen Fahrfehler.
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Der Beklagte Ziffer 1 besaß zum Unfallzeitpunkt auch die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht. Eine solche Einsichtsfähigkeit ist bei einem neunjährigen in aller Regel vorhanden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beklagte Ziffer 1 zum Unfallzeitpunkt in seiner intellektuellen Einsichtsfähigkeit und individuellen Steuerungsfähigkeit zurückgeblieben gewesen wäre. Im Gegenteil, der Beklagte Ziffer 1 machte bei seiner Anhörung durch die Kammer einen für sein Alter aufgeweckten und vernünftigen Eindruck.
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Nach alledem ist der Beklagte Ziffer 1 für den entstandenen Schaden vollumfänglich haftbar.
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2. Dagegen kommt eine Haftung des Beklagten Ziffer 2, des Vaters des Beklagten Ziffer 1, wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 BGB) nicht in Betracht. Vielmehr ist die Kammer nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte Ziffer 2 im Hinblick auf die Fahrradfahrten seines Sohnes seiner Aufsichtspflicht hinreichend nachgekommen ist.
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Der Unfall ereignete sich, als der Beklagte Ziffer 1 mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einem Freund gewesen ist, in der unmittelbaren Umgebung des Wohnhauses des Beklagten Ziffer 1. Dem Amtsgericht ist beizupflichten, dass ein neunjähriges Kind beim Radfahren in vertrauter Umgebung nicht mehr ständig von den Eltern überwacht werden muss, wenn es – wie vorliegend der Beklagte Ziffer 1 bereits seit längerer Zeit Rad fährt.
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Aufgrund der Angaben der Beklagten sowie der Zeugen R. und E. ist die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagte Ziffer 1 von seinem Vater und insbesondere auch seinem Großvater hinreichend in die fahrtechnischen Erfordernisse des Radfahrens und Grundzüge der Regeln des Straßenverkehrs eingeführt worden ist.
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Der Beklagte Ziffer 2 hat auch nicht dadurch gegen seine Aufsichtspflicht verstoßen, dass er dem Beklagten Ziffer 1 erlaubt hätte, mit einem zu großen Fahrrad zu fahren. Nach den vorgelegten Lichtbildern, den Angaben der Beklagten und insbesondere den Angaben des Zeugen R. steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagte Ziffer 1 zum Zeitpunkt des Unfalles zumindest mit den Fußspitzen auf den Boden gekommen ist. Dies genügt aber, um ein sicheres Radfahren und insbesondere Anhalten zu gewährleisten.
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Schließlich kann dem Beklagten Ziffer 2 auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass der Beklagte Ziffer 1 zum Unfallzeitpunkt keine geeignete Hosenklammer getragen hat, so dass die Hose in die Kette geraten ist. Auch bei einem Fahrrad ohne Kettenschutz ist, sofern nicht ausnahmsweise Hosen mit einem sehr weiten Schlag getragen werden (der Beklagte Ziffer 1 trug zum Unfallzeitpunkt normale Jeans), nicht damit zu rechnen, dass das Hosenbein zwischen Zahnkranz und Kette gerät. In heutiger Zeit eher selten getragene Hosenklammern dienen vielmehr in aller Regel dem Schutz der Hose vor Verschmutzung aufgrund seitlicher Berührung mit der Kette. Die Kammer erachtet es daher nicht als pflichtwidrig, dass der Beklagte Ziffer 1 zum Unfallzeitpunkt keine Hosenklammer getragen hat, weshalb auch eine dahingehende Aufsichtspflichtverletzung des Beklagten Ziffer 2 nicht in Betracht kommt.
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Nach alledem verbleibt es bei der vom Amtsgericht ausgesprochenen Abweisung der Klage gegen den Beklagten Ziffer 2, weshalb die Berufung der Klägerin insoweit zurückzuweisen ist.
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