Landgericht Hagen Beschluss, 14. Juli 2016 - 3 T 95/16
Gericht
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 21.06.2016 (Az. 88 XIV (B) 80/16) wird aufgehoben, soweit die Haft für längere Zeit als bis zum 19.08.2016 einschließlich angeordnet ist.
Ferner wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Hagen vom 21.06.2016 (Az. 88 XIV (B) 80/16) bis zum 14.07.2016 rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzte.
Im Übrigen wird die Beschwerde vom 28.06.2016 zurückgewiesen.
Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des Haftbeschlusses wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Beteiligte zu 2).
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene wurde am 20.06.2016 von der Polizei Hagen bei einer allgemeinen Kontrolle festgenommen, da er sich nicht ausweisen konnte. Er besitzt nach eigenen Angaben die togoische Staatsangehörigkeit und reiste nach eigenen Angaben ca. drei Monate vor dem 21.06.2016 in die BRD ein. Nach dem Abgleich der Fingerabdrücke durch die Polizei Hagen und der Eurodac Anfrage beim BKE Wiesbaden stellte sich heraus, dass der Betroffene bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Der Betroffene ist im Besitz einer italienischen Identitätskarte, auf der vermerkt ist, dass der Betroffene sich nicht in anderen Ländern als Italien aufhalten darf („non valida per l‘espatrio – dt.: nicht gültig für die Ausreise/Auswanderung).
4Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lagen somit Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (Dublin-III-VO) vor.
5Laut Mitteilung des BAMF vom 11.07.2016 wurde ein Übernahmeersuchen am 24.06.2016 gestellt, Italien hat binnen 2 Wochen nicht geantwortet.
6Der Betroffene hat im Bundesgebiet keinen Asylantrag gestellt und sich auch sonst innerhalb seines bisher dreimonatigen Aufenthalts nicht mit der Ausländerbehörde in Verbindung gesetzt, um eventuelle Aufenthaltsmodalitäten zu klären.
7Er war in dieser Zeit zu Besuch bei seinem Onkel in Essen und wurde durch die Polizei am 20.06.2016 um 11:01 Uhr bei einer Club-Bekanntschaft, Frau C, in Hagen angetroffen, wo er statt dieser die Tür geöffnet hatte.
8Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im italienischen Asylverfahren liegen nicht vor, individuelle Gründe, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen, hat der Betroffene nicht geltend gemacht.
9Nach weiterer Mitteilung des BAMF kann die Abschiebung jedenfalls bis zum Ende der 33. Kalenderwoche (19.08.2016) erfolgen bei Zugrundelegung des folgenden Ablaufs: Rücklauf der Fragebögen bis 25.07.16, sodann oder auch ohne Rücklauf Erlass des Abschiebungsbescheides, nach Zustellung und Ablauf der Rechtsmittelfrist von 1 Woche innerhalb der 31. Kalenderwoche Organisation der Abschiebung im Flugwege, die erfahrungsgemäß ca. 1-2 Wochen, somit bis 32.-33. Kalenderwoche, dauert. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass auch eine Laissez-passer für den Betroffenen ausgestellt werden muss.
10Ferner hat der Betroffene im Rahmen seiner Anhörung beim Amtsgericht angegeben, anlässlich seines Besuchs bei seinem Onkel festgestellt zu haben, dass er Asyl in Deutschland Asyl in Italien vorziehe.
11Auf den Haftantrag der antragstellenden Behörde (Bl. 1 ff. d.A.), auf den im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Hagen mit Beschluss vom 21.06.2016 (Bl. 21 ff d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat nach Anhörung des Betroffenen, wegen deren Ablauf auf das Protokoll vom selben Tage (Bl. 18 ff.) Bezug genommen wird, die Abschiebungshaft bis zum 05.09.2016 sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
12Gegen diesen Beschluss hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 28.06.2016, am gleichen Tage beim Amtsgericht Hagen eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt und für den Fall einer Haftentlassung beantragt, festzustellen, dass der Haftbeschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
13Mit Beschluss vom 06.07.2016 hat das Amtsgericht Hagen der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.
14Die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 12.07.2016, auf dessen Inhalt verwiesen wird, ausführlich begründet und beantragt, das Verfahren gem. § 69 I FamFG an das Amtsgerichtsgericht Hagen zurückzuverweisen und den Vollzug des Haftbeschlusses nach § 64 III FamFG auszusetzen.
15Die Kammer hat den Betroffenen am 14.07.2016 persönlich angehört, wegen des Inhalts der Anhörung wird auf das Protokoll vom gleichen Tage verwiesen.
16Insoweit ist zu ergänzen, dass der Betroffene nach seinen Angaben den ihm vom BAMF übersandten Fragebogen bereits ausgefüllt hat.
17Die Haft wird in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren vollzogen.
18II.
19Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Haftanordnung ist nicht aufzuheben, aber bis zum 19.08.2016 einschließlich zu beschränken. Ferner war die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung bis zum heutigen Tage festzustellen.
20Im Einzelnen:
211.
22Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht kam nicht in Betracht. Gem. § 69 I 2 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Eine Sachentscheidung ist jedoch erfolgt, sowohl durch den Haftbeschluss als auch durch die Nichtabhilfeentscheidung vom 06.06.2016. Dass das Amtsgericht nach Gewährung der Akteneinsicht nach Rückreichung der Akte vor Ablauf der zur Akteneinsicht gewährten Frist die Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat, ändert hieran nichts.
23Eine Zurückverweisung gem. § 69 I 3 ZPO auf Antrag kann erfolgen, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre. Zwar liegen Verfahrensmängel vor (s.u.), allerdings ist aus diesem Grund keine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig.
24Ohnehin eröffnen die genannten Vorschriften Ermessen, das gerade unter Berücksichtigung des seitens der Verfahrensbevollmächtigen in Bezug genommenen Beschleunigungsgrundsatzes vorliegend dahin auszuüben wäre, dass keine Zurückverweisung erfolgt.
25Aus diesem Grund ist auch eine Aussetzung nicht veranlasst.
262.
27Der Haftantrag ist zulässig.
28Der Haftantrag ist entgegen der Ansicht der Beschwerde jedenfalls derzeit – insbesondere unter Berücksichtigung der Mitteilung vom 11.07.2016 und der weiteren Angaben des BAMF laut Vermerk vom 13.07.2016, die die Antragstellerin sich zu Eigen gemacht hat – hinreichend iSd. § 417 II FamFG begründet, da der zeitliche Ablauf nach Anfrage an Italien und die notwendige Flugkoordination dargelegt ist, ferner die zuvor erforderliche Ausstellung eines Laissez-passer.
29Im Haftantrag begründet wurde auch die Verlassenspflicht des Betroffenen angesichts der unerlaubten Einreise, die zur sofortigen Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht führt (vgl. § 58 II Nr. 1 AufenthaltsG), und auch die seitens des BAMF geplante Verfügung ist dort in Bezug genommen, wobei entgegen der Ansicht der Beschwerde ein bereits ergangener Verwaltungsakt nicht erforderlich ist.
30Eine Erlaubnis für die Einreise ist nicht ersichtlich, vielmehr ist die Identitätskarte ausschließlich in Italien und nicht für die Ausreise gültig. Über weitere Papiere, die die Ausreise aus Italien und die Einreise in die BRD gestatten sollen, verfügt der Betroffene nach seinen Angaben bei der Anhörung vom 14.07.2016 nicht.
31Nachdem Italien nicht binnen 2 Wochen auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet hat, ist gem. Art. 28 III 5 Dublin-III-VO auch davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung von Italien nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
323.
33Die Voraussetzungen der Haftanordnung sind erfüllt.
34Es handelt sich um eine Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO.
35Grundlage für eine solche Haftanordnung ist Art. 28 II, Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO iVm § 2 Abs. 15 AufenthG (BGH, FGPrax 2016, 140). Danach ist Überstellungshaft nur möglich, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
36Entgegen der Beschwerdebegründung hat das Amtsgericht auch Sicherungshaft, nicht lediglich Vorbereitungshaft, angeordnet, wobei unerheblich ist, dass Grundlage für die Haftanordnung Art. 28 II, Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO iVm § 2 Abs. 15 AufenthG ist und nicht § 62 III 1 AufenthaltsG, zumal das Amtsgericht auf § 2 Abs. 15 AufenthG verwiesen hat.
37Die ausgeführten Voraussetzungen sind erfüllt:
38a)
39Die Zuständigkeit eines anderen Staates – hier Italien – liegt nach Ablauf der 2-wöchigen Frist zur Beantwortung des Übernahmeersuchens gem. Art. 28 III 5 der Dublin-III-VO vor.
40b)
41Ein Haftgrund besteht:
42Der Betroffene ist unerlaubt eingereist, war nämlich aufgrund der ihm ausgestellten italienischen Identitätskarte nicht zu einem Aufenthalt in anderen EU-Ländern als Italien berechtigt („non valida per l’espatrio“ – dt.: nicht gültig für die Ausreise/Auswanderung, wie vom seitens der Kammer herangezogenen Dolmetscher mit Schreiben vom 11.07.2016 übersetzt).
43Er hat auch gem. § 2 Nr. 14, 15 S. 2 AufenthaltsG Italien vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen, und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet deuten konkret darauf hin, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will. Dieser Haftgrund genügt den Anforderungen von Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO und kann daher Grundlage für die Anordnung von Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-VO sein (BGH, FGPrax 2016, 140).
44Die Voraussetzungen des § 2 Nr. 14, 15 S. 2 AufenthaltsG liegen vor.
45Denn der Betroffene hat sich nach Deutschland begeben, obwohl er, wie bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, wusste, dass die ID-Card ihn nur zum Aufenthalt in Italien berechtigte.
46Soweit er bei seiner Anhörung durch die Kammer am 14.07.2016 angegeben hat, er müsse falsch verstanden worden sein, in Wirklichkeit habe er geglaubt, mit der Karte in der gesamten EU reisen zu können, hält die Kammer dies für eine Schutzbehauptung. Denn die differenzierte Darstellung im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vom 21.06.2016 – nicht berechtigende Identitätskarte einerseits, aber beim Onkel vorhandene weitere italienische Papiere, die den Betroffenen dazu berechtigten, auch andere europäische Länder zu besuchen, andererseits – würde über ein bloßes Missverständnis weit hinausgehen und eine Konfabulation der protokollierenden Person und/oder des Dolmetschers darstellen. Dies hält die Kammer für so unwahrscheinlich, dass sie die protokollierten Angaben als solche des Betroffenen zugrunde legt. Nicht zuletzt ist der Betroffene auch des Lesens mächtig und spricht französisch, so dass ein Irrtum aufgrund der Inaugenscheinnahme der Karte dahingehend, er dürfe damit in der gesamten EU reisen, angesichts des derselben Sprachfamilie entstammenden Aufdrucks „non valida per l’espatrio“ nicht möglich erscheint.
47Nach seiner unerlaubten Einreise hat sich der Betroffene über 3 Monate in Deutschland aufgehalten.
48Hierbei kann dahinstehen, ob er, wie bei seiner Vernehmung bei der Polizei angegeben, nach dem Besuch bei seinem Onkel bei seiner Club-Bekanntschaft, Frau C, eingezogen ist, oder ob er, wie er bei seiner Anhörung am 14.07.2016 angegeben hat, bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal bei Frau C war, sie aber schon vorher gesehen hatte.
49Denn bereits der Aufenthalt für drei Monate in - wie ausgeführt zugrundezulegender -Kenntnis der mangelnden Berechtigung hierzu genügt, um anzunehmen, dass der Betroffene den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will. Umstände, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen, wie etwa in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 18/4097, S. 34) für kurze Besuche oder zum Einkaufen angenommen, liegen nicht vor. Vielmehr besteht der für den Betroffenen nach seinen Angaben in der Anhörung am 14.07.2016 motivierende Umstand zum Aufenthalt – Erkrankung der Ehefrau seines Onkels, Zeitmangel des Onkels selbst – fort, gleiches gilt, soweit die Begründung einer häuslichen Gemeinschaft mit Frau C wie bei Zugrundelegung der Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung anzunehmen ist. Überdies wollte der Betroffene nach seinen Angaben bei der Anhörung am 14.07.2016 von Anfang an für drei Monate bleiben, hatte aber von Anfang an und auch bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme keinerlei Vorkehrungen für eine Rückkehr getroffen. Er hat überdies auch keine Anstrengungen unternommen, um seinen Aufenthaltsstatus mit dem Behörden zu klären, sondern offenbar mangels Schwierigkeiten bei der Aus- und Einreise und bei seinem Aufenthalt in der BRD – insoweit folgt die Kammer seinen Ausführungen in der Anhörung am 14.07.2016 – gehofft, den weiteren Aufenthalt komplikationslos bis auf Weiteres ausdehnen zu können.
50Fluchtgefahr besteht auch im Weiteren unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
51Ebenso wie den Angaben, die mangelnde Berechtigung zur Einreise in die BRD nicht gekannt zu haben, ist den Beteuerungen des Betroffenen nicht zu glauben, sich nunmehr umgehend nach Italien begeben zu wollen. Dass er nach seinen Angaben nun nicht etwa aus der Haft heraus einen Asylantrag in der BRD gestellt hat, steht dem nicht entgegen, da der nach seinen weiteren – insoweit nicht protokollierten - Angaben im Rahmen der Anhörung darauf hingewiesen worden ist, dass er bei vorangehendem Antrag in Italien in der BRD nicht mehr erfolgversprechend Asyl beantragen könne.
52c)
53Entgegen der Beschwerdebegründung ist nicht ersichtlich, dass mildere Maßnahmen in Betracht kommen.
54Der Betroffene hat seinen Onkel besucht und dann anlässlich des Aufenthalts in der BRD nach seinen Angaben in der mündlichen Anhörung beim Amtsgericht beschlossen, dass er den Aufenthalt hier demjenigen in Italien vorzieht. Auch insoweit hält die Kammer ein Missverständnis bei der Anhörung und Übersetzung für so unwahrscheinlich, dass diese Angaben zugrunde gelegt werden. Nach seinen Ausführungen ist der Betroffene ferner in der Lage, eine Club-Bekanntschaft zu machen und sodann – für wie lange auch immer – bei dieser unterzukommen, wobei auch zu sehen ist, dass zwischen dem Wohnort des Onkels in Essen und dem der Frau C in Hagen eine nicht unerhebliche Entfernung liegt.
55Sonstige persönliche Bindungen, die einer Fluchtgefahr des Betroffenen entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch andere Maßnahmen, wie eine regelmäßige Meldepflicht bei den Behörden, die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Sicherheit, das Einreichen von Papieren oder die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (vgl. Art. 7 III RL #####/####/EG), nicht erfolgversprechend.
56d)
57Die Haftanordnung ist auch verhältnismäßig.
58e)
59Auch die weiteren Voraussetzungen für die Haftanordnung – jedenfalls bis zum 19.08.2016 - sind eingehalten:
60Gem. Art. 28 III 5 der Dublin-III-VO erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 III Dublin-III-VO keine aufschiebende Wirkung mehr hat.
61Italien wurde rechtzeitig gem. Art. 28 III 2 der Dublin-III-VO am 24.06.2016 ersucht, ein zeitlicher Abstand von der Inhaftierung am 21.06.2016 bis zur Antragsstellung am 24.06.2016 stellt noch keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die beteiligten Behörde dar. Die Frist lief 2 Wochen später am 08.07.2016 ab. Damit ist der Betroffene binnen 6 Wochen danach zu überstellen. Jedenfalls danach dürfte der Betroffene nicht mehr in Haft gehalten werden; soweit schon jetzt absehbar wäre, dass der Betroffene länger als 6 Wochen danach, also bis einschließlich 19.08.2016, in Haft gehalten wird, wäre der Beschluss aufzuheben (vgl. weitergehend LG Potsdam, Beschluss vom 18.02.2016 - 8 T 14/16 BeckRS 2016, 07660). Diese Frist ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch einzuhalten.
62Auch die Anforderungen des Art. 28 III 1 der Dublin-III-VO, wonach die Haft so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein hat, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird, sind bei Verkürzung auf die Zeit bis zum 19.08.2016 unter Zugrundelegung der Ausführungen des BAMF vom 13.07.2016, die sich die antragsstellende Behörde zu Eigen gemacht hat, erfüllt.
63Aus den Ausführungen des BAMF, die sich die antragstellende Behörde zu Eigen gemacht hat, ergibt sich auch, dass das Beschleunigungsgebot gewahrt wurde. Insbesondere stellt ein zeitlicher Abstand von der Inhaftierung am 21.06.2016 bis zur Antragsstellung am 24.06.2016 noch keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die beteiligten Behörden dar. Im Anhörungstermin vom 14.07.2016 hat der Vertreter der antragsstellenden Behörde insoweit weiter erläutert, dass er unter Berücksichtigung dienstlich veranlasster Abwesenheit am 22.06.2016 das Notwendige am 23.06.2016 veranlasst hat.
64Insoweit sind entgegen der Rüge der Beschwerde Feststellungen zur möglichen Zeitdauer der Zurückschiebung getroffen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Zurückschiebung von vornherein nicht innerhalb der Fristen erfolgen kann. Soweit die Beiziehung der Akte der Zentralen Flugkoordination Bielefeld beantragt ist, war dem nicht nachzugehen, da bisher nicht festzustellen ist, wann und nach wo die Zurückschiebung im Luftwege zu erfolgen hat.
65Soweit die Beschwerdebegründung die Haftanordnung mangels Feststellung einer Belehrung des Betroffenen gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 (ABl. L 39 vom 8. Februar 2014, S. 1) für rechtswidrig hält, ist davon auszugehen, dass eine solche Belehrung stets erteilt wird (vgl. BGH, FGPrax 2016, 140 f.), unabhängig davon, dass dem Betroffenen seine Pflichten, wie bereits ausgeführt, insoweit auch bekannt waren.
66Soweit mit der Beschwerde gerügt wird, in der Unterbringungseinrichtung würden Dublin-III-Gefangene mit Drittstaatenangehörigen zusammen in einer Abteilung untergebracht, ist hierfür nichts Konkretes ersichtlich; ohnehin gehört der Betroffene einem Drittstaat (Togo) an.
674.
68Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, besteht nach dem derzeitigen, im Beschwerdeverfahren zugrundezulegenden Erkenntnisstand keine Grundlage für eine über den 19.08.2016 hinausreichende Haftanordnung, diese war daher insoweit aufzuheben.
695.
70Ferner war die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung bis zum 14.07.2016 festzustellen.
71Denn die durch den Betroffenen ausweislich des Protokolls vom 21.06.2016 gewünschte Benachrichtigung des Konsulates durch das Amtsgericht ist in der Tat nicht aus der Akte ersichtlich. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind aber zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043; vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag). Die Benachrichtigung muss ferner durch das Gericht selbst erfolgen, die Eröffnung der Möglichkeit etwa im Rahmen der Haft genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043).
72Die hierin liegende Verletzung der Rechte des Betroffenen aus Art. 36 I b 1, 3 WÜK stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043) und deshalb auch nicht rückwirkend geheilt werden kann (vgl. LG Paderborn, Beschluss vom 07.01.2014 - 5 T 429/13, BeckRS 2014, 19069; Budde, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 62 Rn. 31, § 432 Rn. 2).
73Eine Heilung ist allerdings für die Zukunft möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2011 - V ZB 188/11, BeckRS 2011, 22380; LG Stade, Beschluss vom 21.05.2014 - Aktenzeichen 9 T 52/14, BeckRS 2014, 22951; nachfolgend BGH, Beschluss vom 6.11.2014 - V ZB 105/14; LG Paderborn, Beschluss vom 07.01.2014 - 5 T 429/13 BeckRS 2014, 19069) und durch den im Anhörungstermin vom 14.07.2016 unter erneuter Bezugnahme auf die Möglichkeit, das Konsulat benachrichtigen zu lassen, nunmehr erklärten Verzicht des Betroffenen hierauf erfolgt.
74Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass sich aus dem Protokoll der erstinstanzlichen Anhörung entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht ergibt, dass eine Kommunikation des Gerichts mit dem Betroffenen mit Hilfe der Dolmetscherin nicht möglich gewesen wäre bzw. eine Kommunikation zwischen Dolmetscherin und Betroffenem nicht möglich gewesen wäre. Der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass in der Anhörung vor dem Landgericht dies jedenfalls unter Zuhilfenahme des Dolmetschers der Fall war, dieser und der Betroffene sprachen auch erkennbar beide französisch.
75III.
76Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 I 1, 2 FamFG.
77Es entspricht der Billigkeit, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen und der Beteiligten zu 2) trotz der teilweisen Unbegründetheit der Beschwerde vollumfänglich die Kosten aufzuerlegen. Denn erst die durch die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen eingelegte Beschwerde führte dazu, dass die Mängel der erstinstanzlichen Haftanordnung im Rahmen der Anhörung vor dem Beschwerdegericht geheilt werden konnten, und überdies war die Haftanordnung der Dauer nach zu beschränken.
78Dr. X |
K |
Dr. L |
Annotations
(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.
(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.
(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:
- 1.
Kindergeld, - 2.
Kinderzuschlag, - 3.
Erziehungsgeld, - 4.
Elterngeld, - 5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, - 6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und - 7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.
(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:
- 1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19), - 2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und - 3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).
(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).
(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.
(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.
(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).
(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.
(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.
(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.
(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung, - 2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.
(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der
- 1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder - 2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).
(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn
- 1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will, - 2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
- a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht, - b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und - c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.