Landgericht Hagen Beschluss, 14. Juli 2016 - 3 T 95/16
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 21.06.2016 (Az. 88 XIV (B) 80/16) wird aufgehoben, soweit die Haft für längere Zeit als bis zum 19.08.2016 einschließlich angeordnet ist.
Ferner wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Hagen vom 21.06.2016 (Az. 88 XIV (B) 80/16) bis zum 14.07.2016 rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzte.
Im Übrigen wird die Beschwerde vom 28.06.2016 zurückgewiesen.
Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des Haftbeschlusses wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Beteiligte zu 2).
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene wurde am 20.06.2016 von der Polizei Hagen bei einer allgemeinen Kontrolle festgenommen, da er sich nicht ausweisen konnte. Er besitzt nach eigenen Angaben die togoische Staatsangehörigkeit und reiste nach eigenen Angaben ca. drei Monate vor dem 21.06.2016 in die BRD ein. Nach dem Abgleich der Fingerabdrücke durch die Polizei Hagen und der Eurodac Anfrage beim BKE Wiesbaden stellte sich heraus, dass der Betroffene bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Der Betroffene ist im Besitz einer italienischen Identitätskarte, auf der vermerkt ist, dass der Betroffene sich nicht in anderen Ländern als Italien aufhalten darf („non valida per l‘espatrio – dt.: nicht gültig für die Ausreise/Auswanderung).
4Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lagen somit Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (Dublin-III-VO) vor.
5Laut Mitteilung des BAMF vom 11.07.2016 wurde ein Übernahmeersuchen am 24.06.2016 gestellt, Italien hat binnen 2 Wochen nicht geantwortet.
6Der Betroffene hat im Bundesgebiet keinen Asylantrag gestellt und sich auch sonst innerhalb seines bisher dreimonatigen Aufenthalts nicht mit der Ausländerbehörde in Verbindung gesetzt, um eventuelle Aufenthaltsmodalitäten zu klären.
7Er war in dieser Zeit zu Besuch bei seinem Onkel in Essen und wurde durch die Polizei am 20.06.2016 um 11:01 Uhr bei einer Club-Bekanntschaft, Frau C, in Hagen angetroffen, wo er statt dieser die Tür geöffnet hatte.
8Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im italienischen Asylverfahren liegen nicht vor, individuelle Gründe, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen, hat der Betroffene nicht geltend gemacht.
9Nach weiterer Mitteilung des BAMF kann die Abschiebung jedenfalls bis zum Ende der 33. Kalenderwoche (19.08.2016) erfolgen bei Zugrundelegung des folgenden Ablaufs: Rücklauf der Fragebögen bis 25.07.16, sodann oder auch ohne Rücklauf Erlass des Abschiebungsbescheides, nach Zustellung und Ablauf der Rechtsmittelfrist von 1 Woche innerhalb der 31. Kalenderwoche Organisation der Abschiebung im Flugwege, die erfahrungsgemäß ca. 1-2 Wochen, somit bis 32.-33. Kalenderwoche, dauert. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass auch eine Laissez-passer für den Betroffenen ausgestellt werden muss.
10Ferner hat der Betroffene im Rahmen seiner Anhörung beim Amtsgericht angegeben, anlässlich seines Besuchs bei seinem Onkel festgestellt zu haben, dass er Asyl in Deutschland Asyl in Italien vorziehe.
11Auf den Haftantrag der antragstellenden Behörde (Bl. 1 ff. d.A.), auf den im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Hagen mit Beschluss vom 21.06.2016 (Bl. 21 ff d.A.), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat nach Anhörung des Betroffenen, wegen deren Ablauf auf das Protokoll vom selben Tage (Bl. 18 ff.) Bezug genommen wird, die Abschiebungshaft bis zum 05.09.2016 sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
12Gegen diesen Beschluss hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 28.06.2016, am gleichen Tage beim Amtsgericht Hagen eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt und für den Fall einer Haftentlassung beantragt, festzustellen, dass der Haftbeschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
13Mit Beschluss vom 06.07.2016 hat das Amtsgericht Hagen der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.
14Die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 12.07.2016, auf dessen Inhalt verwiesen wird, ausführlich begründet und beantragt, das Verfahren gem. § 69 I FamFG an das Amtsgerichtsgericht Hagen zurückzuverweisen und den Vollzug des Haftbeschlusses nach § 64 III FamFG auszusetzen.
15Die Kammer hat den Betroffenen am 14.07.2016 persönlich angehört, wegen des Inhalts der Anhörung wird auf das Protokoll vom gleichen Tage verwiesen.
16Insoweit ist zu ergänzen, dass der Betroffene nach seinen Angaben den ihm vom BAMF übersandten Fragebogen bereits ausgefüllt hat.
17Die Haft wird in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in Büren vollzogen.
18II.
19Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Haftanordnung ist nicht aufzuheben, aber bis zum 19.08.2016 einschließlich zu beschränken. Ferner war die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung bis zum heutigen Tage festzustellen.
20Im Einzelnen:
211.
22Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht kam nicht in Betracht. Gem. § 69 I 2 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Eine Sachentscheidung ist jedoch erfolgt, sowohl durch den Haftbeschluss als auch durch die Nichtabhilfeentscheidung vom 06.06.2016. Dass das Amtsgericht nach Gewährung der Akteneinsicht nach Rückreichung der Akte vor Ablauf der zur Akteneinsicht gewährten Frist die Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat, ändert hieran nichts.
23Eine Zurückverweisung gem. § 69 I 3 ZPO auf Antrag kann erfolgen, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre. Zwar liegen Verfahrensmängel vor (s.u.), allerdings ist aus diesem Grund keine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig.
24Ohnehin eröffnen die genannten Vorschriften Ermessen, das gerade unter Berücksichtigung des seitens der Verfahrensbevollmächtigen in Bezug genommenen Beschleunigungsgrundsatzes vorliegend dahin auszuüben wäre, dass keine Zurückverweisung erfolgt.
25Aus diesem Grund ist auch eine Aussetzung nicht veranlasst.
262.
27Der Haftantrag ist zulässig.
28Der Haftantrag ist entgegen der Ansicht der Beschwerde jedenfalls derzeit – insbesondere unter Berücksichtigung der Mitteilung vom 11.07.2016 und der weiteren Angaben des BAMF laut Vermerk vom 13.07.2016, die die Antragstellerin sich zu Eigen gemacht hat – hinreichend iSd. § 417 II FamFG begründet, da der zeitliche Ablauf nach Anfrage an Italien und die notwendige Flugkoordination dargelegt ist, ferner die zuvor erforderliche Ausstellung eines Laissez-passer.
29Im Haftantrag begründet wurde auch die Verlassenspflicht des Betroffenen angesichts der unerlaubten Einreise, die zur sofortigen Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht führt (vgl. § 58 II Nr. 1 AufenthaltsG), und auch die seitens des BAMF geplante Verfügung ist dort in Bezug genommen, wobei entgegen der Ansicht der Beschwerde ein bereits ergangener Verwaltungsakt nicht erforderlich ist.
30Eine Erlaubnis für die Einreise ist nicht ersichtlich, vielmehr ist die Identitätskarte ausschließlich in Italien und nicht für die Ausreise gültig. Über weitere Papiere, die die Ausreise aus Italien und die Einreise in die BRD gestatten sollen, verfügt der Betroffene nach seinen Angaben bei der Anhörung vom 14.07.2016 nicht.
31Nachdem Italien nicht binnen 2 Wochen auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet hat, ist gem. Art. 28 III 5 Dublin-III-VO auch davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung von Italien nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
323.
33Die Voraussetzungen der Haftanordnung sind erfüllt.
34Es handelt sich um eine Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO.
35Grundlage für eine solche Haftanordnung ist Art. 28 II, Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO iVm § 2 Abs. 15 AufenthG (BGH, FGPrax 2016, 140). Danach ist Überstellungshaft nur möglich, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
36Entgegen der Beschwerdebegründung hat das Amtsgericht auch Sicherungshaft, nicht lediglich Vorbereitungshaft, angeordnet, wobei unerheblich ist, dass Grundlage für die Haftanordnung Art. 28 II, Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO iVm § 2 Abs. 15 AufenthG ist und nicht § 62 III 1 AufenthaltsG, zumal das Amtsgericht auf § 2 Abs. 15 AufenthG verwiesen hat.
37Die ausgeführten Voraussetzungen sind erfüllt:
38a)
39Die Zuständigkeit eines anderen Staates – hier Italien – liegt nach Ablauf der 2-wöchigen Frist zur Beantwortung des Übernahmeersuchens gem. Art. 28 III 5 der Dublin-III-VO vor.
40b)
41Ein Haftgrund besteht:
42Der Betroffene ist unerlaubt eingereist, war nämlich aufgrund der ihm ausgestellten italienischen Identitätskarte nicht zu einem Aufenthalt in anderen EU-Ländern als Italien berechtigt („non valida per l’espatrio“ – dt.: nicht gültig für die Ausreise/Auswanderung, wie vom seitens der Kammer herangezogenen Dolmetscher mit Schreiben vom 11.07.2016 übersetzt).
43Er hat auch gem. § 2 Nr. 14, 15 S. 2 AufenthaltsG Italien vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen, und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet deuten konkret darauf hin, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will. Dieser Haftgrund genügt den Anforderungen von Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO und kann daher Grundlage für die Anordnung von Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-VO sein (BGH, FGPrax 2016, 140).
44Die Voraussetzungen des § 2 Nr. 14, 15 S. 2 AufenthaltsG liegen vor.
45Denn der Betroffene hat sich nach Deutschland begeben, obwohl er, wie bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, wusste, dass die ID-Card ihn nur zum Aufenthalt in Italien berechtigte.
46Soweit er bei seiner Anhörung durch die Kammer am 14.07.2016 angegeben hat, er müsse falsch verstanden worden sein, in Wirklichkeit habe er geglaubt, mit der Karte in der gesamten EU reisen zu können, hält die Kammer dies für eine Schutzbehauptung. Denn die differenzierte Darstellung im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vom 21.06.2016 – nicht berechtigende Identitätskarte einerseits, aber beim Onkel vorhandene weitere italienische Papiere, die den Betroffenen dazu berechtigten, auch andere europäische Länder zu besuchen, andererseits – würde über ein bloßes Missverständnis weit hinausgehen und eine Konfabulation der protokollierenden Person und/oder des Dolmetschers darstellen. Dies hält die Kammer für so unwahrscheinlich, dass sie die protokollierten Angaben als solche des Betroffenen zugrunde legt. Nicht zuletzt ist der Betroffene auch des Lesens mächtig und spricht französisch, so dass ein Irrtum aufgrund der Inaugenscheinnahme der Karte dahingehend, er dürfe damit in der gesamten EU reisen, angesichts des derselben Sprachfamilie entstammenden Aufdrucks „non valida per l’espatrio“ nicht möglich erscheint.
47Nach seiner unerlaubten Einreise hat sich der Betroffene über 3 Monate in Deutschland aufgehalten.
48Hierbei kann dahinstehen, ob er, wie bei seiner Vernehmung bei der Polizei angegeben, nach dem Besuch bei seinem Onkel bei seiner Club-Bekanntschaft, Frau C, eingezogen ist, oder ob er, wie er bei seiner Anhörung am 14.07.2016 angegeben hat, bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal bei Frau C war, sie aber schon vorher gesehen hatte.
49Denn bereits der Aufenthalt für drei Monate in - wie ausgeführt zugrundezulegender -Kenntnis der mangelnden Berechtigung hierzu genügt, um anzunehmen, dass der Betroffene den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will. Umstände, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen, wie etwa in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 18/4097, S. 34) für kurze Besuche oder zum Einkaufen angenommen, liegen nicht vor. Vielmehr besteht der für den Betroffenen nach seinen Angaben in der Anhörung am 14.07.2016 motivierende Umstand zum Aufenthalt – Erkrankung der Ehefrau seines Onkels, Zeitmangel des Onkels selbst – fort, gleiches gilt, soweit die Begründung einer häuslichen Gemeinschaft mit Frau C wie bei Zugrundelegung der Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung anzunehmen ist. Überdies wollte der Betroffene nach seinen Angaben bei der Anhörung am 14.07.2016 von Anfang an für drei Monate bleiben, hatte aber von Anfang an und auch bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme keinerlei Vorkehrungen für eine Rückkehr getroffen. Er hat überdies auch keine Anstrengungen unternommen, um seinen Aufenthaltsstatus mit dem Behörden zu klären, sondern offenbar mangels Schwierigkeiten bei der Aus- und Einreise und bei seinem Aufenthalt in der BRD – insoweit folgt die Kammer seinen Ausführungen in der Anhörung am 14.07.2016 – gehofft, den weiteren Aufenthalt komplikationslos bis auf Weiteres ausdehnen zu können.
50Fluchtgefahr besteht auch im Weiteren unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls.
51Ebenso wie den Angaben, die mangelnde Berechtigung zur Einreise in die BRD nicht gekannt zu haben, ist den Beteuerungen des Betroffenen nicht zu glauben, sich nunmehr umgehend nach Italien begeben zu wollen. Dass er nach seinen Angaben nun nicht etwa aus der Haft heraus einen Asylantrag in der BRD gestellt hat, steht dem nicht entgegen, da der nach seinen weiteren – insoweit nicht protokollierten - Angaben im Rahmen der Anhörung darauf hingewiesen worden ist, dass er bei vorangehendem Antrag in Italien in der BRD nicht mehr erfolgversprechend Asyl beantragen könne.
52c)
53Entgegen der Beschwerdebegründung ist nicht ersichtlich, dass mildere Maßnahmen in Betracht kommen.
54Der Betroffene hat seinen Onkel besucht und dann anlässlich des Aufenthalts in der BRD nach seinen Angaben in der mündlichen Anhörung beim Amtsgericht beschlossen, dass er den Aufenthalt hier demjenigen in Italien vorzieht. Auch insoweit hält die Kammer ein Missverständnis bei der Anhörung und Übersetzung für so unwahrscheinlich, dass diese Angaben zugrunde gelegt werden. Nach seinen Ausführungen ist der Betroffene ferner in der Lage, eine Club-Bekanntschaft zu machen und sodann – für wie lange auch immer – bei dieser unterzukommen, wobei auch zu sehen ist, dass zwischen dem Wohnort des Onkels in Essen und dem der Frau C in Hagen eine nicht unerhebliche Entfernung liegt.
55Sonstige persönliche Bindungen, die einer Fluchtgefahr des Betroffenen entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch andere Maßnahmen, wie eine regelmäßige Meldepflicht bei den Behörden, die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Sicherheit, das Einreichen von Papieren oder die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (vgl. Art. 7 III RL #####/####/EG), nicht erfolgversprechend.
56d)
57Die Haftanordnung ist auch verhältnismäßig.
58e)
59Auch die weiteren Voraussetzungen für die Haftanordnung – jedenfalls bis zum 19.08.2016 - sind eingehalten:
60Gem. Art. 28 III 5 der Dublin-III-VO erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 III Dublin-III-VO keine aufschiebende Wirkung mehr hat.
61Italien wurde rechtzeitig gem. Art. 28 III 2 der Dublin-III-VO am 24.06.2016 ersucht, ein zeitlicher Abstand von der Inhaftierung am 21.06.2016 bis zur Antragsstellung am 24.06.2016 stellt noch keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die beteiligten Behörde dar. Die Frist lief 2 Wochen später am 08.07.2016 ab. Damit ist der Betroffene binnen 6 Wochen danach zu überstellen. Jedenfalls danach dürfte der Betroffene nicht mehr in Haft gehalten werden; soweit schon jetzt absehbar wäre, dass der Betroffene länger als 6 Wochen danach, also bis einschließlich 19.08.2016, in Haft gehalten wird, wäre der Beschluss aufzuheben (vgl. weitergehend LG Potsdam, Beschluss vom 18.02.2016 - 8 T 14/16 BeckRS 2016, 07660). Diese Frist ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch einzuhalten.
62Auch die Anforderungen des Art. 28 III 1 der Dublin-III-VO, wonach die Haft so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein hat, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird, sind bei Verkürzung auf die Zeit bis zum 19.08.2016 unter Zugrundelegung der Ausführungen des BAMF vom 13.07.2016, die sich die antragsstellende Behörde zu Eigen gemacht hat, erfüllt.
63Aus den Ausführungen des BAMF, die sich die antragstellende Behörde zu Eigen gemacht hat, ergibt sich auch, dass das Beschleunigungsgebot gewahrt wurde. Insbesondere stellt ein zeitlicher Abstand von der Inhaftierung am 21.06.2016 bis zur Antragsstellung am 24.06.2016 noch keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die beteiligten Behörden dar. Im Anhörungstermin vom 14.07.2016 hat der Vertreter der antragsstellenden Behörde insoweit weiter erläutert, dass er unter Berücksichtigung dienstlich veranlasster Abwesenheit am 22.06.2016 das Notwendige am 23.06.2016 veranlasst hat.
64Insoweit sind entgegen der Rüge der Beschwerde Feststellungen zur möglichen Zeitdauer der Zurückschiebung getroffen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Zurückschiebung von vornherein nicht innerhalb der Fristen erfolgen kann. Soweit die Beiziehung der Akte der Zentralen Flugkoordination Bielefeld beantragt ist, war dem nicht nachzugehen, da bisher nicht festzustellen ist, wann und nach wo die Zurückschiebung im Luftwege zu erfolgen hat.
65Soweit die Beschwerdebegründung die Haftanordnung mangels Feststellung einer Belehrung des Betroffenen gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 (ABl. L 39 vom 8. Februar 2014, S. 1) für rechtswidrig hält, ist davon auszugehen, dass eine solche Belehrung stets erteilt wird (vgl. BGH, FGPrax 2016, 140 f.), unabhängig davon, dass dem Betroffenen seine Pflichten, wie bereits ausgeführt, insoweit auch bekannt waren.
66Soweit mit der Beschwerde gerügt wird, in der Unterbringungseinrichtung würden Dublin-III-Gefangene mit Drittstaatenangehörigen zusammen in einer Abteilung untergebracht, ist hierfür nichts Konkretes ersichtlich; ohnehin gehört der Betroffene einem Drittstaat (Togo) an.
674.
68Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, besteht nach dem derzeitigen, im Beschwerdeverfahren zugrundezulegenden Erkenntnisstand keine Grundlage für eine über den 19.08.2016 hinausreichende Haftanordnung, diese war daher insoweit aufzuheben.
695.
70Ferner war die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung bis zum 14.07.2016 festzustellen.
71Denn die durch den Betroffenen ausweislich des Protokolls vom 21.06.2016 gewünschte Benachrichtigung des Konsulates durch das Amtsgericht ist in der Tat nicht aus der Akte ersichtlich. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind aber zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043; vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag). Die Benachrichtigung muss ferner durch das Gericht selbst erfolgen, die Eröffnung der Möglichkeit etwa im Rahmen der Haft genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043).
72Die hierin liegende Verletzung der Rechte des Betroffenen aus Art. 36 I b 1, 3 WÜK stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2010 - V ZB 165/10, BeckRS 2010, 31043) und deshalb auch nicht rückwirkend geheilt werden kann (vgl. LG Paderborn, Beschluss vom 07.01.2014 - 5 T 429/13, BeckRS 2014, 19069; Budde, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 62 Rn. 31, § 432 Rn. 2).
73Eine Heilung ist allerdings für die Zukunft möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2011 - V ZB 188/11, BeckRS 2011, 22380; LG Stade, Beschluss vom 21.05.2014 - Aktenzeichen 9 T 52/14, BeckRS 2014, 22951; nachfolgend BGH, Beschluss vom 6.11.2014 - V ZB 105/14; LG Paderborn, Beschluss vom 07.01.2014 - 5 T 429/13 BeckRS 2014, 19069) und durch den im Anhörungstermin vom 14.07.2016 unter erneuter Bezugnahme auf die Möglichkeit, das Konsulat benachrichtigen zu lassen, nunmehr erklärten Verzicht des Betroffenen hierauf erfolgt.
74Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass sich aus dem Protokoll der erstinstanzlichen Anhörung entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht ergibt, dass eine Kommunikation des Gerichts mit dem Betroffenen mit Hilfe der Dolmetscherin nicht möglich gewesen wäre bzw. eine Kommunikation zwischen Dolmetscherin und Betroffenem nicht möglich gewesen wäre. Der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass in der Anhörung vor dem Landgericht dies jedenfalls unter Zuhilfenahme des Dolmetschers der Fall war, dieser und der Betroffene sprachen auch erkennbar beide französisch.
75III.
76Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 I 1, 2 FamFG.
77Es entspricht der Billigkeit, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen und der Beteiligten zu 2) trotz der teilweisen Unbegründetheit der Beschwerde vollumfänglich die Kosten aufzuerlegen. Denn erst die durch die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen eingelegte Beschwerde führte dazu, dass die Mängel der erstinstanzlichen Haftanordnung im Rahmen der Anhörung vor dem Beschwerdegericht geheilt werden konnten, und überdies war die Haftanordnung der Dauer nach zu beschränken.
78Dr. X |
K |
Dr. L |
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Hagen Beschluss, 14. Juli 2016 - 3 T 95/16
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Urteil einreichenLandgericht Hagen Beschluss, 14. Juli 2016 - 3 T 95/16 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.
(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.
(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:
- 1.
Kindergeld, - 2.
Kinderzuschlag, - 3.
Erziehungsgeld, - 4.
Elterngeld, - 5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, - 6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und - 7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.
(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:
- 1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19), - 2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und - 3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).
(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).
(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.
(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.
(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).
(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.
(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.
(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.
(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung, - 2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.
(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der
- 1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder - 2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).
(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn
- 1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will, - 2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
- a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht, - b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und - c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober oder November 2008 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde 2009 be- standskräftig zurückgewiesen. Trotz entsprechender Aufforderungen reiste der Betroffene nicht aus.
- 2
- Am 14. April 2010 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 15. April 2010 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko bis längstens 14. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach der Belehrung, dass das für ihn zuständige Konsulat bzw. die Botschaft von seiner Inhaftierung informiert werde, wenn er dies wünsche, bat der Betroffene um eine entsprechende Unterrichtung und um Benachrichtigung seiner Schwester.
- 3
- Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
- 4
- Die - ungeachtet der Erledigung der Hauptsache statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rechte des Betroffenen aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK nicht gewahrt worden sind. Dies stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.).
- 5
- Nach der genannten Vorschrift sind die konsularischen Vertretungen des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich von dessen Inhaftierung zu unterrichten (Satz 1); auf dieses Recht ist der Betroffene unverzüg- lich hinzuweisen (Satz 3). Das Gericht hat deshalb neben der Belehrung des Betroffenen sicherzustellen, dass eine von diesem verlangte Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Da es sich bei den Rechten aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen um Verfahrensgarantien handelt, muss deren Beachtung für die Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar sein und daher aktenkundig gemacht werden. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag).
- 6
- So verhält es sich hier. Ausweislich des Protokolls über die Anhörung des Betroffenen vom 15. April 2010 ist dieser von dem Amtsgericht zwar über sein Recht belehrt worden, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Dass die von ihm verlangte Unterrichtung erfolgt ist, lässt sich der Verfahrensakte dagegen nicht entnehmen; diese enthält keinen Hinweis auf eine schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit dem Konsulat. Lediglich hinsichtlich der Bitte des Betroffenen um Benachrichtigung seiner Schwester findet sich in einer Protokollabschrift ein Erledigungsvermerk; dass sich dieser auch auf die Benachrichtigung des Konsulats beziehen soll, ist nach seiner räumlichen Anordnung auszuschließen.
- 7
- Der Verstoß gegen Art. 36 WÜK ist nicht dadurch geheilt worden, dass die marokkanische Botschaft im späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung des Betroffenen erhalten hat. Das Recht auf konsularische Hilfe kann nur dann effektiv in Anspruch genommen werden, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK vor- geschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE).
III.
- 8
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19). Krüger Stresemann Czub Roth Brückner
AG Hannover, Entscheidung vom 15.04.2010 - 44 XIV 3210 B -
LG Hannover, Entscheidung vom 27.05.2010 - 8 T 24/10 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ohne Pass und Visum mit Hilfe einer Schleuserorganisation in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 wies er sich mit einem gefälschten französischen Identitätspapier aus und wurde festgenommen. Der Betroffene äußerte in seiner polizeilichen Vernehmung, dass er einen Asylantrag stellen wolle. Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland.
- 2
- Bei dem Amtsgericht gingen nach dem Inhalt der Verfahrensakten per Telefax die ersten beiden Seiten des Formularantrags der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung ein; die dritte Seite mit der Darstellung des Sachverhalts, der Antragsbegründung und der Unterschrift fehlte. Das Amtsgericht ordnete am 19. Oktober 2009 nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 18. Dezember 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem ein am 19. Oktober 2009 gestellter Asylantrag registriert ist, richtete ein Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden.
- 3
- Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Betroffene die fehlende Vorlage der "Ausländerakten" gerügt, auf seinen zwischenzeitlich gestellten Asylantrag hingewiesen, eine inhaltlich unzureichende Anhörung durch den Haftrichter und ferner geltend gemacht hat, dass die Zurückschiebung nach Griechenland vor dem Hintergrund der verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht innerhalb des angeordneten Haftzeitraums durchgeführt werden könne, hat das Beschwerdegericht ohne erneute Anhörung des Betroffenen nach Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 16. November 2009 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
- 4
- Das Beschwerdegericht meint, der Asylantrag stehe nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Der im Rahmen der Vernehmung formlos gestellte Antrag des aus einem sicheren Drittstaat eingereisten Betroffenen habe noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG zur Folge. Der förmliche Asylantrag sei erst aus der Haft heraus gestellt worden.
- 5
- Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Festnahme und Anhörung des Betroffenen habe das Amtsgericht nicht auf den Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 zurückgreifen müssen. Ausländerakten seien im Übrigen noch nicht angelegt gewesen. Zudem sei ein etwaiger Verfahrensfehler durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
- 6
- Zwar lägen wegen des Asylantrags die Voraussetzungen des in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrundes nicht mehr vor. Die Sicherungshaft könne jedoch auf den begründeten Verdacht gestützt werden, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Die Haftfristen seien gewahrt, die Inhaftierung sei nicht unverhältnismäßig. Da die Personalien des Betroffenen feststünden, sei nicht ersichtlich, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG durchgeführt werden könne. Der Haftrichter sei an die Entscheidung der Beteiligten zu 2, den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben, gebunden.
- 7
- Schließlich sei der Betroffene nicht nach Ablauf von vier Wochen seit Stellung des Asylantrags aus der Haft zu entlassen. Denn diese Frist gelte nach § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AsylVfG nicht, weil das BAMF ein Übernahmeersuchen an einen zur Übernahme verpflichteten Staat gestellt habe.
- 8
- Von der mündlichen Anhörung habe abgesehen werden können, weil hiervon neue Erkenntnisse nicht zu erwarten gewesen seien und die wesentlichen Feststellungen anhand des Verwaltungsvorgangs hätten getroffen werden können.
III.
- 9
- 1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). An der Statthaftigkeit des Rechtsmittels ändert die zwischenzeitliche Erledigung der Hauptsache nichts. Die Regelung in § 62 FamFG, nach der das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn er an der Feststellung - wie hier - ein berechtigtes Interesse hat, gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 9). Denn unter dem Blickwinkel effektiven Rechtsschutzes ist es unerheblich, in welchem Stadium des Verfahrens sich die angegriffene Entscheidung in der Hauptsache erledigt (vgl. BVerfGK 6, 303, 311).
- 10
- Mit dem auf Feststellung gerichteten Antrag greift der Betroffene einen Beschluss an, der eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet; damit bleibt die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG zulassungsfrei (Senat, aaO, Rdn. 10).
- 11
- 2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet. Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts, die ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung durch den Senat ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 14), als auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist fehlerhaft und hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
- 12
- a) Im Zeitpunkt der Haftanordnung lag nach dem Inhalt der Verfahrensakten ein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) nicht vor. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist jedoch Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat , Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, juris, Rdn. 7).
- 13
- aa) Ob es im Hinblick auf die Sollvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG zwingend eines unterschriebenen Antrags auf Freiheitsentziehung bedarf , kann allerdings ebenso offen bleiben wie die Frage, ob der von dem Vertreter der Beteiligten zu 2 bei der Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht mündlich gestellte Haftantrag rechtswirksam war (vgl. hierzu BKBahrenfuss /Rüntz, FamFG, § 25 Rdn. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 25 Rdn. 19; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG [2009], § 23 Rdn. 10, § 25 Rdn. 13; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann, aaO, § 25 Rdn. 30 f.). Denn der Antrag war jedenfalls mangels vollständiger Begründung unzulässig.
- 14
- bb) Die Begründung des Haftantrags ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend; ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG, 12. Aufl., § 417 Rdn. 5; BK-Bahrenfuss/Grotkopp, aaO, § 417 Rdn. 4, 6; Keidel/Budde, aaO, § 417 Rdn. 3; Prütting/Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 6). Für Abschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht , zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und ggf. für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23. Juni 2008, BT-Drs. 16/9733 S. 299).
- 15
- cc) Danach war der dem Amtsgericht nach dem Inhalt der Verfahrensakten vorliegende schriftliche Antrag der Beteiligten zu 2 unzureichend begründet.
- 16
- (1) Aus dem per Telefax übersandten Antragsfragment und den zusätzlich überreichten Unterlagen ergaben sich die Identität des Betroffenen, die unerlaubte Einreise über den Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 und das Fehlen eines festen Wohnsitzes im Bundesgebiet. Hieraus konnte der Haftrichter zu den Voraussetzungen der Haft, zu ihrer Verhältnismäßigkeit sowie zu der Erforderlichkeit der Haftdauer keine Anhaltspunkte für eine Überprüfung und weitere Aufklärung des Sachverhalts entnehmen. Über die fehlende Antragsbegründung können die Angaben des Betroffenen in seiner Anhörung nicht hinweghelfen.
- 17
- (2) Daran ändert das Vorbringen der Beteiligten zu 2 nichts, dass anhand des in ihrem Verwaltungsvorgang enthaltenen Telefax-Sendeberichts und auf Grund der Angaben des Betroffenen von einem vollständigen Zugang des Haftantrags auszugehen sei. Sinn und Zweck der Antragsbegründung (s. dazu die Ausführungen unter 2. a) bb) a.E.) erfordern es, dass ihr Vorliegen bei der Anhörung des Betroffenen aus den Verfahrensakten ersichtlich ist. Diese müssen entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde.
- 18
- (3) Da hier aus den Verfahrensakten, die der Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092; Jansen /Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 27 Rdn. 90; Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 74 Rdn. 27), nicht ersichtlich ist, dass ein vollständiger Haftantrag vorlag oder gestellt wurde, ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass er fehlte.
- 19
- dd) Durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit dem vollständigen Haftantrag in der Beschwerdeinstanz konnte der Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG nicht geheilt werden (vgl. hierzu KG InfAuslR 2009, 356, 357; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 23). Denn bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine Verfahrensgarantie , deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 24; Prütting/ Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 10).
- 20
- ee) Wegen des Verstoßes gegen diese Verfahrensgarantie hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
- 21
- b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt ebenfalls nicht stand.
- 22
- aa) Da ihm der Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 vorlag, fehlte es allerdings nicht mehr an dem Antrag der zuständigen Behörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG).
- 23
- (1) Die Beteiligte zu 2 war für die Stellung des Haftantrags sachlich und örtlich zuständig. Sie ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde. Ihr sind nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 13).
- 24
- (2) Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag der Haftantrag der Beteiligten zu 2 dem Beschwerdegericht im Original vor. Aus der Seite 3 des Antrags ergeben sich die für die Haftanordnung nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Darlegungen. Darauf hat die Beteiligte zu 2 in ihrer Beschwerdeerwiderung Bezug genommen.
- 25
- bb) Mit Erfolg macht der Betroffene jedoch geltend, das Beschwerdegericht habe ihn nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anhören müssen. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Anhörung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) lagen nicht vor. Der Betroffene hatte nämlich zuvor keine Gelegenheit, zu einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Haft und damit zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung zu äußern und persönlich zu den Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsentzie- hung ankommt, insbesondere zu den von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG geforderten Grundlagen. Nach dem Protokoll der Anhörung am 19. Oktober 2010 ist nämlich davon auszugehen, dass dem Betroffenen bei dem Amtsgericht lediglich der fragmentarisch vorhandene Haftantrag übersetzt worden ist.
- 26
- cc) Wegen dieses Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs hat auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 12 m.w.N.).
IV.
- 27
- Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffen zu verpflichten.
- 28
- Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Klein Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
AG Tiergarten, Entscheidung vom 19.10.2009 - 381 XIV 198/09 B -
LG Berlin, Entscheidung vom 16.11.2009 - 84 T 441/09 B -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober oder November 2008 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde 2009 be- standskräftig zurückgewiesen. Trotz entsprechender Aufforderungen reiste der Betroffene nicht aus.
- 2
- Am 14. April 2010 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 15. April 2010 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko bis längstens 14. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach der Belehrung, dass das für ihn zuständige Konsulat bzw. die Botschaft von seiner Inhaftierung informiert werde, wenn er dies wünsche, bat der Betroffene um eine entsprechende Unterrichtung und um Benachrichtigung seiner Schwester.
- 3
- Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
- 4
- Die - ungeachtet der Erledigung der Hauptsache statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rechte des Betroffenen aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK nicht gewahrt worden sind. Dies stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.).
- 5
- Nach der genannten Vorschrift sind die konsularischen Vertretungen des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich von dessen Inhaftierung zu unterrichten (Satz 1); auf dieses Recht ist der Betroffene unverzüg- lich hinzuweisen (Satz 3). Das Gericht hat deshalb neben der Belehrung des Betroffenen sicherzustellen, dass eine von diesem verlangte Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Da es sich bei den Rechten aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen um Verfahrensgarantien handelt, muss deren Beachtung für die Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar sein und daher aktenkundig gemacht werden. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind zu dokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag).
- 6
- So verhält es sich hier. Ausweislich des Protokolls über die Anhörung des Betroffenen vom 15. April 2010 ist dieser von dem Amtsgericht zwar über sein Recht belehrt worden, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Dass die von ihm verlangte Unterrichtung erfolgt ist, lässt sich der Verfahrensakte dagegen nicht entnehmen; diese enthält keinen Hinweis auf eine schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit dem Konsulat. Lediglich hinsichtlich der Bitte des Betroffenen um Benachrichtigung seiner Schwester findet sich in einer Protokollabschrift ein Erledigungsvermerk; dass sich dieser auch auf die Benachrichtigung des Konsulats beziehen soll, ist nach seiner räumlichen Anordnung auszuschließen.
- 7
- Der Verstoß gegen Art. 36 WÜK ist nicht dadurch geheilt worden, dass die marokkanische Botschaft im späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung des Betroffenen erhalten hat. Das Recht auf konsularische Hilfe kann nur dann effektiv in Anspruch genommen werden, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK vor- geschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE).
III.
- 8
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19). Krüger Stresemann Czub Roth Brückner
AG Hannover, Entscheidung vom 15.04.2010 - 44 XIV 3210 B -
LG Hannover, Entscheidung vom 27.05.2010 - 8 T 24/10 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsbürger, reiste im März 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde im Juni 2009 bestandskräftig abgelehnt. Aufgrund dieser Entscheidung ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen. Seit Juli 2010 war der Aufenthalt des Betroffenen unbekannt. Seine letzte bekannte Wohnanschrift war in P. .
- 2
- Der Betroffene verfügt über keine Identitätspapiere. Die Beschaffung eines Passes scheiterte, weil die zuständigen Behörden die Ausstellung von Heimreisedokumenten wegen offensichtlich unvollständiger oder unrichtiger Angaben des Betroffenen verweigerten.
- 3
- Der Betroffene wurde am 25. Juli 2011 in O. durch die Polizei festgenommen. An demselben Tag hat auf Antrag der beteiligten Behörde das Amtsgericht gegen den Betroffenen für die Dauer von drei Monaten die Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Auf die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 5. August 2011 festgestellt, dass die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht den Betroffenen bis zum 1. August 2011 in seinen Rechten verletzt hat; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
- 4
- Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung , soweit er durch sie beschwert ist, die Aufhebung der Haftanordnung erreichen. Zugleich beantragt er die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der aufrechterhaltenen Haft im Wege der einstweiligen Anordnung.
II.
- 5
- Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung rechtswidrig , weil das Amtsgericht den Betroffenen nicht über seine Rechte nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK belehrt hat. Jedoch hätten die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft habe der Abschiebung des Betroffenen zugestimmt; er sei über seine Rechte nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) belehrt worden; es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor; der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen , sondern seit Juli 2010 untergetaucht; zudem habe er in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht erklärt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Es sei zu erwarten, dass der Betroffene nach seiner Teilnahme an einer Vorführungsrunde zur Feststellung seiner Identität zwischen dem 13. und 20. September 2011 sowie unter Berücksichtigung der Regelungen in dem mit der Republik Vietnam vereinbarten Rückübernahmeabkommen mit einem Sammelflug am 18. Oktober 2011 abgeschoben werden könne.
III.
- 6
- Gründe für die Aussetzung der Vollziehung der Haftanordnung liegen nicht vor.
- 7
- 1. Der Aussetzungsantrag ist zwar in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschluss vom 14. April 2011 - V ZB 76/11 Rn. 5, juris; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440) und auch im Übrigen zulässig.
- 8
- 2. Er ist aber unbegründet. Bei der gebotenen summarischen Prüfung (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440) ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben wird.
- 9
- a) Die Beteiligte zu 2 ist die für die Stellung des Haftantrags zuständige Verwaltungsbehörde (vgl. § 1 Ausländer- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZV des Landes Brandenburg). Zudem bleibt diejenige Ausländerbehörde, die für den dem Asylbewerber zugewiesenen Aufenthaltsort zuständig ist, für diesen auch dann zuständig, wenn der Ausländer sich unerlaubt aus ihrem Bezirk entfernt, um sich einer angedrohten Abschiebung zu entziehen (Senat, Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156, 157 Rn. 13).
- 10
- b) Die Rüge des Betroffenen, das Beschwerdegericht habe die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen, weil das notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erstmals in dem Beschwerdeverfahren vorgelegen habe, dürfte ohne Erfolg bleiben.
- 11
- aa) Zutreffend ist, dass in dem Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG dargelegt werden muss, dass die zuständige(n) Staatsanwaltschaft(en) allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erklärt hat (haben), wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig ist; das Fehlen entsprechender Ausführungen ist dann schon ein Begründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Antrags führt (s. nur Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10 Rn. 9, juris). Ob der Umstand, dass in dem Haftantrag ausgeführt ist, das erforderliche Einvernehmen müsse noch eingeholt werden, die Unzulässigkeit zur Folge hat oder der Haftantrag in diesen Fällen unbegründet ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft vor.
- 12
- bb) Deshalb ist es unerheblich, dass nach der Rechtsprechung des Senats die mit der Inhaftierung aufgrund eines unzulässigen Haftantrags einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10 Rn. 7, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 14, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 19). Liegt nämlich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (en) vor, kann das dazu führen, dass insoweit erstmals ein zulässiger Haftantrag vorhanden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27. April 2011 - V ZB 71/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Das ist dann der Fall, wenn die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung neh- men kann (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27. April 2011 - V ZB 71/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 13, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedenfalls im Hinblick auf das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) nicht mehr an einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft. Deshalb bestehen insoweit auch keine Bedenken gegen die Begründetheit des Antrags.
- 13
- So ist es hier. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am 1. August 2011 im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten und eines Dolmetschers persönlich angehört. Der dabei ebenfalls anwesende Vertreter der beteiligten Behörde hat laut Protokoll über den Anhörungstermin Ablichtungen der staatsanwaltschaftlichen Zustimmungen zu der Abschiebung überreicht. Diese befinden sich auch in den Ausländerakten.
- 14
- c) Die von dem Beschwerdegericht vorgenommene Belehrung des Betroffenen nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II S. 1585 - Wiener Konsularübereinkommen, WÜK), dessen Vertragsstaat Vietnam ist (BGBl. II 1994, 308), reicht für das Aufrechterhalten der Haft aus. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass das Recht auf konsularische Hilfe nur dann effektiv in Anspruch genommen werden kann, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes , wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK vorgeschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPRax 2010, 212 Rn. 17 aE), so dass eine Heilung nicht in Betracht kommt, wenn etwa die Botschaft in dem späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung eines Staatsangehörigen erhält (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 23/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, InfAuslR 2011, 119, 120 Rn. 7). Es ist hier aber weder über eine rückwirkende Heilung des Verfahrensfehlers noch über eine zufällige Kenntnis der Vertretung des Heimatstaates von der Inhaftierung zu entscheiden. Es geht vielmehr allein um die Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung , mit der die Haft für die Zukunft aufrechterhalten wird. Diese ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Betroffene ist während seiner Anhörung belehrt worden und war nunmehr in der Lage zu entscheiden, ob er konsularische Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Damit ist dem Sinn und Zweck des Art. 36 WÜK ab diesem Zeitpunkt Rechnung getragen.
- 15
- d) Die nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG von dem Beschwerdegericht angestellte Prognose ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift darf Sicherungshaft nur angeordnet werden, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 14 mwN). Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Vorführungsrunde im September 2011 sowie der Regelung über das Listenverfahren in dem Protokoll zu dem deutschvietnamesischen Rückübernahmeabkommen vom 21. Juli 1995 die Abschiebung des Betroffenen am 18. Oktober 2011 und somit innerhalb des verbleibenden Haftzeitraums erfolgen kann. Eine etwaige mit diesen Erwägungen verbleibende Ungewissheit geht bei der - wie hier - erstmaligen Anordnung der Haft für drei Monate zu Lasten des Betroffenen (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 122/11 Rn. 14, juris; BVerfG, NJW 2009, 2659 f. Rn. 19).
- 16
- e) Die Beteiligte zu 2 dürfte auch das Beschleunigungsgebot (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) beachtet haben. Dass die Vorführungsrunde erst im September 2011 stattfinden kann, ist der Behörde nicht zuzurechnen, weil sie auf die Bearbeitung der Verfahren durch die beteiligten ausländischen Behörden keinen Einfluss hat und der Ausländerbehörde dortige Verzögerungen nicht zuzurechnen sind (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 Rn. 16, juris).
- 17
- f) Ob und in welchem Umfang das amtsgerichtliche Verfahren an Mängeln leidet, bedarf keiner Entscheidung. Die entsprechenden Rügen in der Beschwerdebegründung gehen ins Leere. Das Beschwerdegericht hat nämlich festgestellt, dass die Haftanordnung rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Damit hat es im Wege der Auslegung des Rechtsschutzinteresses des Betroffenen über den aufgrund der Vollstreckung bis zum 1. August 2011 erledigten Teil der amtsgerichtlichen Haftanordnung nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden. Dass das Beschwerdegericht daneben die Haftanordnung für diesen Zeitraum nicht (auch) ausdrücklich aufgehoben hat, ist unschädlich. Die konkludente Aufhebung ergibt sich aus dem Tenor im Zusammenhang mit den Gründen seiner Entscheidung. Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Roth Weinland
AG Oranienburg, Entscheidung vom 25.07.2011 - 43c XIV 3/11 -
LG Neuruppin, Entscheidung vom 05.08.2011 - 5 T 154/11 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
- 1
- Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2014 gegen den Betroffenen , einen türkischen Staatsangehörigen, Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 27. Mai 2014 angeordnet. Auf dessen Beschwerde hat das Landgericht festgestellt, dass der Vollzug der Sicherungshaft bis zur Anhörung durch die Kammer am 21. Mai 2014 rechtswidrig war. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu 70% diesem und zu 30% der beteiligten Behörde auferlegt. Am 22. Mai 2014 wurde der Betroffene in die Türkei abgeschoben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt er die Fest- stellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn auch über den 21. Mai 2014 hinaus in seinen Rechten verletzt hat. Außerdem beantragt er, seine notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren vollständig der beteiligten Behörde aufzuerlegen.
II.
- 2
- Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die über den 21. Mai 2014 hinausgehende Haft rechtmäßig. Bei der Kostenentscheidung sei berücksichtigt worden, dass dem Antrag auf Aufhebung der Haft im Verhältnis zum Feststellungsbegehren das höhere Gewicht zukomme.
III.
- 3
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Von einer Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
- 4
- 2. Allerdings ist die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens in dem angefochtenen Beschluss zu ändern. Die Auffassung des Beschwerdegerichts , dass dem Antrag auf Aufhebung der Haft im Verhältnis zu dem Feststellungsbegehren das höhere Gewicht zukomme und dies bei der Kostenentscheidung entsprechend zu berücksichtigen sei, ist unzutreffend. Das Rechtsschutzziel der Aufhebung einer noch bestehenden wirksamen freiheitsentziehenden Maßnahme ist „wesensgleich“ mit dem Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme (vgl. BVerfGK 6, 303, 311; Keidel/Budde, FamFG, 18. Aufl., § 62 Rn. 8). Daher können die beiden Rechtsschutzziele bei der Kostenentscheidung keine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Angesichts des nur geringfügigen Unterliegens des Betroffenen in dem Beschwerdeverfahren entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Beschwerdeverfah- rens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen dem Landkreis Cuxhaven aufzuerlegen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 2 und 5 Abs. 5 EMRK analog).
Weinland Kazele
Vorinstanzen:
AG Otterndorf, Entscheidung vom 15.04.2014 - 3 XIV 637 B -
LG Stade, Entscheidung vom 21.05.2014 - 9 T 52/14 -