Landgericht Freiburg Beschluss, 17. Aug. 2012 - 3 Qs 44/12

bei uns veröffentlicht am17.08.2012

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts ... vom 29. März 2012 aufgehoben.

Der Antrag des C. auf Zulassung als Nebenkläger in vorliegendem Verfahren wird abgelehnt.

2. Die Gerichtskosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
Mit Strafbefehlen vom jeweils 16.12.2012 hat das Amtsgericht ... gegen die Angeklagte A. wegen des Vorwurfs der Verleumdung eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30.- EUR und gegen den Angeklagten B. eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30.- EUR wegen des Vorwurfs der versuchten Nötigung und der Verleumdung in zwei Fällen – jeweils begangen zum Nachteil des Anzeigeerstatters C. – festgesetzt. Hiergegen haben die Angeklagten über ihre Verteidiger fristgerecht Einspruch eingelegt. Der Hauptverhandlungstermin ist noch nicht bestimmt.
Auf die über seinen Verfahrensbevollmächtigten abgegebene Anschlusserklärung hin hat das Amtsgericht ... den Anzeigeerstatter mit Beschluss vom 29.03.2012 als Nebenkläger zugelassen. Hiergegen haben die beiden Verteidiger Beschwerde eingelegt. Die Staatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel mit Verfügung vom 23.04.2012 entgegengetreten. Der Verfahrensbevollmächtigte des Anzeigeerstatters hat im Beschwerdeverfahren keine Erklärung abgegeben.
Die Beschwerden sind gemäß § 304 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. § 305 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 396, Rdnr. 19). Die Angeklagten sind durch die Zulassungsentscheidung auch beschwert. Denn der Nebenkläger tritt aus ihrer Sicht als weiterer, nach § 397 Abs. 1 StPO mit weit reichenden Befugnissen ausgestatteter „Gegner“ neben die Staatsanwaltschaft. Im Falle einer Verurteilung träfe die Angeklagten zudem eine zusätzliche Kostenlast (vgl. KG StraFo 2010, 294 f.).
Die Rechtsmittel sind auch begründet.
Die dem Angeklagten B. vorgeworfene versuchte Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 bis 3 StGB stellt von vornherein kein nebenklagefähiges Delikt dar und wird insbesondere nicht von § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO erfasst. Gemäß § 395 Abs. 3 StPO wäre die Zulassung als möglicher Verletzter eines Beleidigungsdeliktes gemäß den §§ 185 ff. StGB nur dann möglich, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint. Dies bedeutet im Gegensatz zur alten Fassung vor dem Inkrafttreten des 2. OpferRRG zum 01.10.2009 für nach den §§ 185 ff. StGB mutmaßlich Verletzte, dass auch bei ihnen zusätzliche besondere Gründe für ihre Zulassung vorliegen müssen. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum 2. OpferRRG war es umstritten, ob die Beleidigungsdelikte überhaupt weiterhin zur Nebenklage berechtigen sollen. Die gefundene Regelung ist als Kompromissregelung der Befürworter und Gegner einer Beibehaltung anzusehen (vgl. zum Ganzen Weiner in Beck'scher Online-Kommentar StPO, Stand 01.06.2012, § 395 Rdnr. 17). Der als Korrektiv zur ansonsten uferlosen Weite des § 395 Abs. 3 StPO geschaffene materielle Anschlussgrund erfordert mithin, dass besondere Gründe den Anschluss zur Wahrnehmung der Interessen des Verletzten gebieten (vgl. BGH Beschluss vom 09.05.2012 – 5 StR 523/11 -, zitiert nach juris Rdnr. 6).
Hintergrund der vorliegenden Verleumdungsvorwürfe ist eine zivilrechtliche Auseinandersetzung, in der es um ein lebenslanges Nutzungs- und Zufahrtsrecht des Anzeigeerstatters mit aus seiner Sicht bestehenden Beschränkungen und Störungen der Zufahrt zu seinem Gewerbebetrieb durch die Angeklagten geht, während die Angeklagte A. als Eigentümerin des Geländes und der Angeklagte B. als ihr Lebensgefährte sich wiederum durch den Lieferverkehr des Anzeigeerstatters beeinträchtigt fühlen und zudem das vom Anzeigeerstatter einbehaltene Nutzungsentgelt einfordern. Beiden Seiten geht es somit primär um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Dies allein begründet jedoch nicht die für eine Nebenklagezulassung im Sinne des § 395 Abs. 3 StPO erforderliche Schutzbedürftigkeit; vielmehr bietet hier der Zivilprozess hinreichende Möglichkeiten zur Durchsetzung dieser Ansprüche (vgl. BGH a.a.O., juris Rdnr. 9). Dass der Anzeigeerstatter – wie er in seiner schriftlichen Erklärung vom 14.05.2011 vorgetragen hat – durch die Behinderung seiner Zufahrtsrechte durch die Angeklagten in der Fortführung seines Gewerbes derart beschränkt worden sei, dass er das Gewerbe zur Vermeidung der Insolvenz zum Ende des dritten Quartals 2011 habe abmelden müssen, wäre ebenfalls nicht Folge der in Rede stehenden Delikte gemäß § 187 StGB, sondern Konsequenz der etwaigen Besitzstörung. Dass sich dagegen die streitigen, hier möglicherweise gegenüber dem anliefernden Lkw-Fahrer D. erfolgten Bezeichnungen des Anzeigeerstatters durch die Beschuldigten als „Zechpreller, Betrüger und Mietnomade“ bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise in schwerwiegender Form auf den Gewerbebetrieb des Anzeigeerstatters ausgewirkt hätten, ist in keiner Form ersichtlich. Besondere Gründe, die es vorliegend geböten, den Anzeigeerstatter als Nebenkläger zuzulassen, liegen daher nach Auffassung der Kammer im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht vor.
Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde hat die Staatskasse die Gerichtskosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten im Rechtsmittelverfahren zu tragen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 473 Rdnr. 2).

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Landgericht Freiburg Beschluss, 17. Aug. 2012 - 3 Qs 44/12 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 304 Zulässigkeit


(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

Strafgesetzbuch - StGB | § 240 Nötigung


(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die

Strafprozeßordnung - StPO | § 395 Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger


(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach 1. den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,2. den §§ 211 und 212

Strafprozeßordnung - StPO | § 305 Nicht der Beschwerde unterliegende Entscheidungen


Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaub

Strafgesetzbuch - StGB | § 187 Verleumdung


Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit F

Strafprozeßordnung - StPO | § 397 Verfahrensrechte des Nebenklägers


(1) Der Nebenkläger ist, auch wenn er als Zeuge vernommen werden soll, zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist zur Hauptverhandlung zu laden; § 145a Absatz 2 Satz 1 und § 217 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend. Die Befugnis zur Abl

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Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2012 - 5 StR 523/11

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Nachschlagewerk: ja BGHSt : nein Veröffentlichung : ja StPO § 396 Abs. 2 Satz 2 StPO § 395 Abs. 3 Das Revisionsgericht bindende Nebenklagezulassung gemäß § 396 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 395 Abs. 3 StPO. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden.

(1) Der Nebenkläger ist, auch wenn er als Zeuge vernommen werden soll, zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist zur Hauptverhandlung zu laden; § 145a Absatz 2 Satz 1 und § 217 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend. Die Befugnis zur Ablehnung eines Richters (§§ 24, 31) oder Sachverständigen (§ 74), das Fragerecht (§ 240 Absatz 2), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 Absatz 2) und von Fragen (§ 242), das Beweisantragsrecht (§ 244 Absatz 3 bis 6) sowie das Recht zur Abgabe von Erklärungen (§§ 257, 258) stehen auch dem Nebenkläger zu. Dieser ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, im selben Umfang zuzuziehen und zu hören wie die Staatsanwaltschaft. Entscheidungen, die der Staatsanwaltschaft bekannt gemacht werden, sind auch dem Nebenkläger bekannt zu geben; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Der Nebenkläger kann sich des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen. Der Rechtsanwalt ist zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt. Er ist vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn seine Wahl dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt wurde.

(3) Ist der Nebenkläger der deutschen Sprache nicht mächtig, erhält er auf Antrag nach Maßgabe des § 187 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung schriftlicher Unterlagen, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Das Revisionsgericht bindende Nebenklagezulassung gemäß
§ 396 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 395 Abs. 3 StPO.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 5 StR 523/11
LG Göttingen –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 9. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Mai 2012

beschlossen:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 24. Juni 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Beanstandung formellen wie sachlichen Rechts gestützten Revision ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Revision ist zulässig. Die von Amts wegen durch das Revisionsgericht zu prüfende Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers ist hier gegeben.
3
a) Anders als im Falle einer lediglich feststellenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Anschlusserklärung in den Fällen des § 396 Abs. 2 Satz 1 StPO, die das Rechtsmittelgericht nicht bindet (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 1995 – 2 StR 470/95, BGHSt 41, 288, 289), ist die durch das Tatgericht nach § 395 Abs. 3 i.V.m. § 396 Abs. 2 Satz 2 StPO festgestellte Nebenklageberechtigung konstitutiv (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 396 Rn. 14 aE). Ob sich die Bindung auch auf die formellen Anschlussvorausset- zungen erstreckt (vgl. Meyer-Goßner aaO, Rn. 19), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, weil diese hier unzweifelhaft gegeben sind.
4
Der Nebenkläger ist Verletzter der von der Staatsanwaltschaft angeklagten Untreuehandlung. Nach § 395 Abs. 3 StPO kann ausnahmsweise auch die Untreue gemäß § 266 StGB zum Nebenklageanschluss berechtigen. Mit der Neufassung des § 395 Abs. 3 StPO durch das Zweite Opferrechtsreformgesetz vom 1. Oktober 2009 (BGBl. I S. 2280) wurde ein Auffangtatbestand für die Nebenklagebefugnis von Opfern mit besonders schwerwiegenden Tatfolgen geschaffen (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 9, 30 f.). Entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift sind nunmehr alle rechtswidrigen Taten grundsätzlich anschlussfähig. Auch den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass besonderer Wert auf einen nicht abschließenden Regelungsbereich des § 395 Abs. 3 StPO gelegt worden ist (BT-Drucks. aaO, S. 30). Dieses Normverständnis liegt auch der – überwiegend kritischen – Rezeption im Schrifttum zugrunde (vgl. nur Hilger, GA 2009, 657, 658; Weigend in Festschrift Schöch 2009, S. 947, 956; Safferling, ZStW 2010, 87, 95; Bung, StV 2009, 430, 435; Hermann, ZIS 2010, 236, 241).
5
b) Eine Prüfung, ob das Tatgericht den besonderen Grund als materielle Anschlussvoraussetzung im Sinne der § 395 Abs. 3, § 396 Abs. 2 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen hat, ist dem Revisionsgericht dagegen nicht eröffnet. Mit der vom Landgericht vorgenommenen Zulassungsentscheidung nach § 396 Abs. 2 Satz 2 StPO ist dessen Vorliegen für das Revisionsgericht bindend festgestellt.
6
aa) Der als Korrektiv zur ansonsten uferlosen Weite der Norm (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 29) geschaffene materielle Anschlussgrund erfordert , dass besondere Gründe den Anschluss zur Wahrnehmung der Interessen des Verletzten gebieten. Maßgeblich für die Zuerkennung der privilegierten Rechtsstellung eines Nebenklägers ist die im Einzelfall zu prüfende prozessuale Schutzbedürftigkeit des möglicherweise durch die Tat Verletzten.
Eine solche ist in aller Regel bei rechtswidrigen Taten nach §§ 242, 263 und 266 StGB ausgeschlossen.
7
(1) Durch die Neuregelung des Rechts der Nebenklage sollte – über die durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2496) generell erstrebte Verbesserung der Rechtsstellung sämtlicher möglicher Verletzter hinaus (BT-Drucks. 10/5305, S. 8) – staatlichen Schutzpflichten für besonders schutzwürdige Verletzte entsprochen werden (BT-Drucks. aaO, S. 11; vgl. hierzu Weigend aaO, S. 957 f.). Diese besondere Schutzbedürftigkeit antizipierte der Gesetzgeber bei den vom Katalog des § 395 Abs. 1 StPO erfassten Taten. Aber auch der damals eingeführte Absatz 3, ursprünglich auf die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) beschränkt, trug diesem Regelungskonzept Rechnung. Anerkannt werden sollte eine Nebenklageberechtigung danach im Einzelfall etwa bei schweren Tatfolgen (BT-Drucks. aaO, S. 12). Daran hat auch der Gesetzgeber des 2. Opferrechtsreformgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2280) im Grundsatz festgehalten (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 29 ff.; systemfremd bleibt freilich § 395 Abs. 1 Nr. 6 StPO).
8
(2) Anhaltspunkte für die notwendige besondere Schutzbedürftigkeit können nach dem Willen des Gesetzgebers schwere Folgen der Tat darstellen , etwa durch Aggressionsdelikte ausgelöste körperliche oder seelische Schäden sowie Traumata oder Schockzustände, die bereits eingetreten oder zu erwarten sind. In Betracht zu ziehen ist ferner eine im Verfahren möglicherweise notwendige Abwehr von Schuldzuweisungen durch den Angeklagten (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 11; BT-Drucks. 16/12098, S. 12, 29 ff.; vgl. hierzu bereits Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, 1984, Rn. 120; Weigend aaO, S. 958; Böttcher in Festschrift Widmaier, 2008, S. 81, 82).
9
(3) Allein das wirtschaftliche Interesse eines möglichen Verletzten an der effektiven Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Angeklagten ist zur Begründung besonderer Schutzbedürfnisse unzureichend. Hierfür stellt das Zivilprozessrecht hinreichende Möglichkeiten zur Verfügung (vgl. BVerfG [Kammer], NJW 1988, 405), welche durch die ohnehin bestehenden Möglichkeiten des Adhäsionsverfahrens (§§ 403 ff. StPO) und die Verletztenbefugnisse nach §§ 406d ff. StPO strafprozessual bereits erheblich zu Lasten des Angeklagten erweitert werden. Der anderenfalls gerade in umfangreichen Betrugsverfahren mit zahlreichen möglichen Verletzten verursachte zeitliche und organisatorische Aufwand ist regelmäßig geeignet, vorrangigen Zielen des Strafverfahrens sowie dem Gebot zügiger Verfahrensführung zuwiderzulaufen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 96/10, wistra 2010, 272). Einer solchen ersichtlich nicht beabsichtig- ten Wesensänderung der Nebenklage hat der Gesetzgeber gerade durch das beibehaltene materielle Anschlusserfordernis entgegengewirkt (aA Herrmann, ZIS 2010, 236, 241).
10
bb) Die Entscheidung des Landgerichts nach § 395 Abs. 3 StPO wird ersichtlich diesem rechtlichen Maßstab nicht gerecht. Die dem Angeklagten zur Last gelegte Untreue betraf in besonderem Maße in der Schweiz angelegtes Wertpapierdepotvermögen in Millionenhöhe, das der Nebenkläger „den deutschen Steuerbehörden verheimlichte“ (UA S. 7). Ausweislich seiner Anschlusserklärung ist er durch die Tat in einen „wirtschaftlichen Engpass“ geraten. Damit ist kein besonderer Grund dargetan (vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 1 StR 633/10). Denkbar wäre allenfalls eine zu besonderer Schützbedürftigkeit führende gravierende Beweisnot, die durch einen Auslandsbezug begründet sein kann und eine nur von den Strafgerichten herbeizuführende Rechtshilfe erforderlich macht. Hierauf hat das Landgericht seine Zulässigkeitsentscheidung aber nicht gestützt.
11
cc) Gleichwohl bindet der Beschluss nach § 396 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 395 Abs. 3 StPO das Revisionsgericht und begründet so die notwendige Zulässigkeitsvoraussetzung für das Revisionsverfahren. Dies folgt zunächst aus der Systematik des Regelungsregimes der Nebenklage, weil nach § 396 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 StPO die Entscheidung über den materiellen An- schlussgrund (§ 395 Abs. 3 StPO) unanfechtbar ist. Einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung ist sie daher entzogen (§ 336 Satz 2 StPO). Gleiches gilt für eine rügeunabhängige Überprüfung, etwa im Wege der von Amts wegen gebotenen Nachprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision. Der Gesetzgeber hat eine eigene Bewertung der besonderen Gründe durch das Revisionsgericht und damit eine nachträgliche oder rückwirkende Änderung der wertenden Entscheidung des mit der Sache zuvor befassten Gerichts bewusst ausschließen wollen (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 13). Anderenfalls wäre – gerade mit Blick auf die maßgeblich vom Gesetzgeber erstrebte verbesserte Rechtsstellung des Verletzten (BT-Drucks. aaO, S. 3) – eine Regelung über die Folgen in der Rechtsmittelinstanz aberkannter besonderer Gründe zu erwarten gewesen. Daher streitet auch der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für die gesetzliche Konzeption einer Unabänderbarkeit der Entscheidung.
12
2. In der Sache bleibt der Revision indes aus den zutreffenden, hilfsweise ausgeführten Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. März 2012 der Erfolg versagt (§ 349 Abs. 2 StPO).
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(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.