Landgericht Flensburg Beschluss, 04. Nov. 2005 - II Qs 35/05

ECLI: ECLI:DE:LGFLENS:2005:1104.IIQS35.05.0A
published on 04.11.2005 00:00
Landgericht Flensburg Beschluss, 04. Nov. 2005 - II Qs 35/05
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Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts Niebüll vom 07.03.2005 - Az. 16 Cs 241/04 - aufgehoben und der Antrag des Verurteilten in der Fassung vom 21.02.2005, die durch Strafbefehl vom 31.08.2004 angeordnete Sperrfrist auf den 15. März 2005 abzukürzen, zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte.

Gründe

1

Der Verurteilte ist durch Strafbefehl des Amtsgerichts Niebüll vom 31.08.2004 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ihm ist die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und es ist eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von noch acht Monaten verhängt worden. Die Entscheidung ist seit dem 16.09.2004 rechtskräftig.

2

Auf Antrag des Verurteilten hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 07.03.2005 die Sperrfrist gem. § 69a Abs. 7 StGB aufgehoben.

3

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.

4

Die Staatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Rechtsmittels Folgendes ausgeführt:

5

"Im Strafbefehl wurde festgestellt, dass der Verurteilte 26 Minuten nach der Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,76 o/oo aufwies. Weiter ist festgestellt worden, dass es sich um eine vorsätzliche Tat handelte. Nach § 69 a Abs. 7 StGB kann die Sperre zwar vorzeitig aufgehoben werden. Dies setzt indes u.a. voraus, dass sich Grund zu der Annahme ergibt, dass eine Ungeeignetheit des Verurteilten zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr besteht. Erforderlich ist, dass erhebliche neue Tatsachen zu einer Gesamtwürdigung führen, die den Täter nicht mehr als ungeeignet erscheinen lassen. Grundsätzlich kann dabei Berücksichtigung  finden, dass der Verurteilte durch eine Nachschuldung eine risikobewusstere Einstellung im Straßenverkehr entwickelt hat. Eine derartige Nachschulung hat der Verurteilte nachgewiesen. Sie reicht jedoch bei diesem Verurteilten nicht aus. Insoweit verweise ich auf das "Informationsblatt zur Aufhebung der Führerscheinsperre in Schleswig-Holstein", Bl. 70 a d. A..

6

Die dem Verurteilten am Tattage 26 Minuten nach der Tat entnommene Blutprobe enthielt noch 1,76 o/oo Alkohol, Bl. 13 d. A.. Ein Kraftfahrer, der mit einer BAK von 1,6 o/oo und mehr ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr führt, ist nach gesicherten verkehrsmedizinischen- und psychologischen Erkenntnissen ein Gewohnheitstrinker. Seine individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit liegt deutlich über der noch nicht oder jedenfalls noch mit solch hohen Werten aufgefallenen Kraftfahrern, zumal wenn bei ihm - wie im vorliegenden Falle - vorsätzliches Verhalten festgestellt worden ist.

7

Ein derart zu charakterisierender Gewohnheitstrinker ist nur dann - wieder - geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er zu einem glaubhaften Entschluss zu dauerhafter, vollständiger Alkoholabstinenz gekommen ist und in der Lage ist, diesen auch zu realisieren. Dazu gehört eine glaubhafte wenigstens 6 Monate lange Abstinenz sowie zur Stabilisierung des Abstinenzentschlusses die Bereitschaft, eine psychosoziale Beratungsstelle bzw. Suchberatungsstelle aufzusuchen und /oder regelmäßig an Sitzungen einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen zitiert nach Ostendorf, Schleswig-Holsteiner Anzeigen 1996 S. 5. Für diesen Personenkreis (BAK-Wert über 1,6 o/oo) ist u. a. also ein entsprechender Nachschulungskurs von mindestens sechsmonatiger Dauer u. a. Voraussetzung, um überhaupt nach Ablauf der Sperrfrist den Führerschein zu erlangen, vgl. Ostendorf aaO.

8

Die Grenze von1,6 o/oo im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Abkürzung gemäß § 69 a Abs. 7 StGB ist mithin auch nicht willkürlich. Sie wird von allen anderen Amtsgerichten im Landgerichtsbezirk Flensburg zur Grundlage ihrer Entscheidungen in diesem Zusammenhang gemacht. Es ist daher auch aus dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Rechtssprechung geboten, die Entscheidung des Landgerichts anzurufen."

9

Dem folgt die Kammer grundsätzlich und weist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landgerichts Hildesheim (NStZ-RR 2003, 312 ff.) und des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (NZV 1992, 379) ergänzend auf folgende Überlegungen hin:

10

Bei Verkehrsteilnehmern, die mit einer BAK von bis zu 1,6 %o Alkohol erstmals einschlägig auffällig geworden sind, kann die erfolgreiche Teilnahme an einem geeigneten Nachschulungskurs, wie ihn der Verurteilte absolviert hat (sog. Modell "Leer-E" bzw. "TÜV Nord"), zu einer Verkürzung der Sperrfrist führen, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände gegen eine solche Entscheidung sprechen.

11

Anders verhält es sich nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn - wie hier - der Verurteilte mit einer BAK von mehr als 1,6 %o Alkohol - nämlich mit 1,73 %o - im Straßenverkehr auffällig geworden ist. In diesen Fällen ist nach der Rechtsprechung des OVG Schleswig (aaO.) ein Kraftfahrer, der mit einer solchen BAK ein Kfz führt, "nach gesicherten verkehrsmedizinischen und -psychologischen Erkenntnissen ein Gewohnheitstrinker. Seine individuelle Rückfallwahrscheinlichkeit liegt deutlich über der der noch nicht oder jedenfalls nicht mit so hohen Werten aufgefallenen Kraftfahrer. Ein in der Art zu charakterisierender Gewohnheitstrinker ist nur dann - wieder - geeignet zum Führen von Kfz, wenn er zu einem glaubhaften Entschluss zu dauerhafter, vollständiger Alkoholabstinenz gekommen und in der Lage ist, diesen auch zu realisieren. Dazu gehört eine glaubhafte wenigstens 6-monatige Abstinenz sowie zur Stabilisierung des Abstinenzentschlusses die Bereitschaft, eine psychosoziale Beratungsstelle bzw. Suchtberatungsstelle aufzusuchen und/oder regelmäßig an Sitzungen einer Selbsthilfegruppe teilzunehmen."

12

Diese Auffassung wird auch von der Generalstaatsanwaltschaft am OLG Schleswig geteilt (vgl. Ostendorf, SchlHA 1996, 5 f.) und entspricht dem von der Verteidigung zitierten und vorgelegten Informationsblatt, in dem ausdrücklich auf Kurse "für Ersttäter mit einem nachgewiesenen Trunkenheitsgrad bis zu 1,6 Promille" hingewiesen wird. Für eine vorzeitige Abkürzung der Sperrfrist wird in dem zitierten Aufsatz von Ostendorf eine BAK von unter 1,6 %o als Voraussetzung genannt.

13

Im vorliegenden Fall kommt eine Abkürzung der Sperrfrist nach dem Modell "Leer-E" deshalb nicht in Betracht, weil der Verurteilte zur Tatzeit eine BAK von deutlich über 1,6 %o aufgewiesen hat und sich - wie der gutachterlichen Stellungnahme des Verkehrspsychologischen Beratungs- und Schulungszentrums Hamburg vom 07.12.2004 zu entnehmen ist - gerade nicht zur vollständigen Abstinenz entschlossen, geschweige denn diese auch glaubhaft realisiert hat. Die als erfolgreich attestierte Nachschulung des Verurteilten entsprechend dem Modell "Leer-E" und das im Gutachten dargestellte, in Zukunft beabsichtigte Verhalten des Verurteilten im Umgang mit Alkohol ergibt nach Auffassung der Kammer noch keinen Grund für die Annahme, dass er nunmehr deshalb schon zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist. Eine vorzeitige Aufhebung der Sperre kommt deshalb nicht in Betracht.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.


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(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß

Annotations

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.

(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.

(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.