Landgericht Dessau-Roßlau Urteil, 08. Okt. 2013 - 4 O 662/11

ECLI: ECLI:DE:LGDESSA:2013:1008.4O662.11.0A
published on 08/10/2013 00:00
Landgericht Dessau-Roßlau Urteil, 08. Okt. 2013 - 4 O 662/11
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Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 126,60 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06. April 2011 zu zahlen,

2. sowie an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06. April 2011 sowie Nebenkosten in Höhe von 867,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 31. Dezember 2011 zu zahlen,

3. es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche aus dem Eingriff vom 23. September 2008 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtstreits hat die Klägerin 29 %, der Beklagte 71 % zu tragen.

6. Das Urteil ist für die Parteien vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages; dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abzuwenden, es sei denn, die Klägerin leistet vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.


Beschluss:

Der Streitwert wird auf 17.126,60 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadenersatz, Schmerzensgeld und Feststellung wegen der Verletzung eines ärztlichen Behandlungsvertrages.

2

Die Klägerin befand sich bis zum Jahr 2010 in zahnärztlicher Behandlung bei dem Beklagten. Zum Zwecke der prothetischen Lückenversorgung in allen vier Quadranten riet im Jahr 2008 der Beklagte - auch zur Meidung von Schwierigkeiten mit der Krankenkasse - einen Weisheitszahn im linken Unterkiefer entfernen zu lassen. Es handelte sich um einen retinierten (im Kieferknochen verborgenen, äußerlich nicht sichtbaren) Zahn, der akut keine Probleme bereitete. Die Parteien vereinbarten den operativen Eingriff für den 23. September 2008 in der Praxis des Beklagten. Am 30. Juni 2008 fand dort auch ein Aufklärungsgespräch zwischen den Parteien statt, gelegentlich dessen die Klägerin eine Ausfertigung des Hinweisblattes „Operative Entfernung eines Weisheitszahnes im Unterkiefer“ (Anlage K 1, Anlagenband) erhalten und den Erhalt mit ihrer Unterschrift bestätigt hat. Das Hinweisblatt enthält auch handschriftliche Eintragungen. Zusätzlich fertigte der Beklagte eine EDV-Behandlungsdokumentation mit stichpunktartiger Beschreibung auch der Gegenstände des Aufklärungsgespräches (K 3). Im Laufe des Eingriffes am 23. September 2008 wurden im Knochen einige kleine rupturierte Fasern sichtbar. Aus Sorge, der Nerv könne betroffen sein, unterbrach der Beklagte die Operation und veranlasste die Fortführung des Eingriffs in der kieferchirurgischen Praxis des Dr. H.. Er bat die mit anwesende Tochter der Klägerin, diese nach D. zu verbringen. In der Zwischenzeit versorgte der Beklagte die Operationswunde mit einem Tupfer und einem Mucoperiostlappen. Nach Ablauf von etwa zweieinhalb Stunden wurde die Behandlung von Herrn Dr. H. fortgeführt. Dieser entfernte die im Kiefer verbliebenen Weisheitszahnreste. Durch den Eingriff war der Hauptnerv im Unterkieferbereich erheblich verletzt worden. In der Folge des Eingriffes beklagte die Klägerin Taubheitsgefühle in der linken Gesichtshälfte, am Unterkiefer und den Lippen, verbunden mit einem maskenartigen Äußeren der linken Gesichtshälfte, immer wieder auftretende Bissverletzungen beim Kauen sowie Schmerzen mit Nebenwirkungen, wie Verspannungen im Schulter/Nackenbereich, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Übelkeit, Brechreiz, Schwindel, Schlafstörungen und Abgespanntheit. Auch nach dem Eingriff suchte die Klägerin die Praxis des Beklagten über einen Zeitraum von zwei Jahren auf. Nachdem keine Besserung der Beschwerden eingetreten war, begab sie sich erneut in die kieferchirurgische Praxis des Dr. H.. Dort wurden zur Linderung des Beschwerdebildes Reizstrom und schmerztherapeutische Behandlungen verordnet. Die Klägerin hat von dem Beklagten Fahrtkosten und Schmerzensgeld verlangt. Sämtliche Ansprüche wurden von dem Beklagten bzw. dessen Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 05. April 2011 (K 7) zurückgewiesen.

3

Die Klägerin trägt vor, nach Bekunden des Dr. H. sei der Hauptnerv von dem Beklagten fast durchtrennt worden. Eine vollkommene Heilung könne nicht garantiert werden. Auch sei nicht zu verstehen, weshalb der Beklagte die Operation durchgeführt habe. Anhand der Röntgenaufnahmen sei zu erkennen gewesen, dass Komplikationen auftreten könnten, für deren Behebung der Beklagte weder über ausreichende Erfahrungen noch über hinreichende Medizintechnik verfüge. Hierauf angesprochen, habe der Beklagte gegenüber der Klägerin erklärt, dass er die Operation als Herausforderung empfunden habe und er die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit habe testen wollen. Wegen seiner Offenheit sei die Klägerin dann auch zur Nachbehandlung bei dem Beklagten verblieben. Eine zielgerichtete Nachbehandlung habe allerdings nicht stattgefunden. Die Klägerin meint, dass der Beklagte wegen Aufklärungs- und Behandlungsfehlern für den Eintritt des Verletzungserfolges zu haften habe. Der Eingriff sei bereits deshalb rechtswidrig gewesen, weil eine Risikoaufklärung unzureichend erfolgt sei. Zwar habe die Klägerin das Formular K 1 am 30. Juni 2008 unterschrieben. Dieses habe allerdings die handschriftlichen Anmerkungen bei Unterschriftsleistung nicht enthalten. Auch habe es ein umfassendes Gespräch über die Risiken, die sich bei der Klägerin verwirklicht haben, nicht gegeben. Vielmehr sei die Klägerin lediglich pauschal auf Operationsrisiken hingewiesen worden. Eine Erklärung, dass wegen der schwierigen Lage des Zahnes ein Nerv durchtrennt werden könnte, sei nicht erfolgt. Auch aus den von dem Beklagten gefertigten Patientenunterlagen (K 3) ergebe sich eine vollständige Aufklärung über das Risiko der Nervverletzung nicht. Bei hinreichender Aufklärung hätte sich die Klägerin nicht für den Eingriff entschieden oder zumindest eine Zweitmeinung eingeholt. Weiterhin habe der Beklagte den Hinweis unterlassen, dass Kieferchirurgen darauf spezialisiert seien, derartige Eingriffe durchzuführen. Bei einer entsprechenden Überweisung in eine Spezialpraxis hätte das erkennbare Verletzungsrisiko erheblich verringert werden können. Zudem liege ein Aufklärungsmangel darin, dass zwischen dem Aufklärungsgespräch am 30. Juni 2008 und dem Eingriff am 23. September 2008 fast drei Monate gelegen hätten. Schließlich habe der Beklagte den Zahn für die Dauer der Überfahrt nach D. nur unzureichend versorgt. So sei die Klägerin ca. zweieinhalb Stunden unbehandelt mit offenem Unterkiefer und unter starken Schmerzen gewesen. Auch dies habe sich ungünstig auf den Operationsverlauf ausgewirkt.

4

Die Klägerin beantragt

5

1. den Beklagte zu verurteilten, an sie Schadensersatz in Höhe von 126,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2011 zu zahlen,

6

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 05.0April 2011 sowie Nebenkosten in einer Höhe von 1.890,91 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Klageerhebung zu zahlen,

7

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung vom 30.06.2008 bis zum 17.08.2010, insbesondere aus der Operation vom 23.09.2008 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

8

Der Beklagte beantragt,

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Klageabweisung.

10

Er behauptet, am 30. Juni 2008 sei die Klägerin konkret über die individuell bestehende Situation aufgeklärt und auf unvermeidbare Risiken und Komplikationen hingewiesen worden. Wegen der Einzelheiten des Aufklärungsgespräches wird auf Bl. 29 und 30 d. A. Bezug genommen. Zutreffend sei zwar, dass sich während des Operationsverlaufs einige kleine rupturierte Fasern gezeigt hätten. Dies bedeute jedoch nicht, dass der Nerv fast durchtrennt worden wäre. Vielmehr habe der den Wurzelrest entfernende Zweitoperateur Dr. H. eine größere räumliche Beziehung zu den durchtrennten Nerven gehabt, so dass eine Beschädigung auch durch ihn eingetreten sein könnte. Weiterhin habe Einigkeit darüber bestanden, dass die Nachbehandlung und Kontrollen wegen des Sensibilitätsausfalles durch die Spezialpraxis Dr. H. vorgenommen werden sollten. Der Beklagte habe lediglich teilweise die Rückbildung der Gefühlsstörung fotografisch beobachtet und dokumentiert. Auch sei die Einschaltung eines Kieferchirurgen nicht zwingend geboten gewesen. Der Beklagte sei im Bereich der Implantologie speziell ausgebildet. Zudem sei auch die zahnärztliche Chirurgie, zu der auch schwierige Okteotomien gehörten, Bestandteil der zahnmedizinischen Ausbildung. Er, der Beklagte, habe daher für die Durchführung des Eingriffs über eine ausreichende Qualifikation verfügt. Schließlich bestreitet der Beklagte, dass die über die Empfindungsstörungen hinausgehenden Beschwerden der Klägerin auf den Eingriff vom 23. September 2008 zurückzuführen seien.

11

Wegen der gegenteiligen Behauptungen der Parteien hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und Gregor H.. Wegen der Einzelheiten der Zeugenvernehmung wird auf die Protokolle über die mündliche Verhandlung vom 21. August 2012, Blatt 83 ff. d. A. und vom 11. Dezember 2012, Blatt 125 ff. d. A., Bezug genommen. Zudem hat das Gericht ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. L. eingeholt. Wegen der Einzelheiten der sachverständigen Ausführungen wird auf das Gutachten vom 30. April 2013, Blatt 144 ff. d. A., Bezug genommen.

12

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

13

I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 2, 253 Abs. 2, 823 Abs. 1, 2, 223 Abs. 1, 224 Abs.1 StGB in Höhe von insgesamt 12.126,60 €.

14

1. Unstreitig bestand zwischen den Parteien zum Jahr 2010 ein Behandlungsvertrag. Grundsätzlich ist ein solcher Vertrag sowohl eines Privatpatienten als auch eines Kassenpatienten mit dem Zahnarzt als Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB zu qualifizieren (Martis-Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rdn. A 404).

15

2. Im vorliegenden Falle liegt eine Schadensersatz begründende Vertragsverletzung in Form eines Aufklärungsfehlers vor.

16

a) Anknüpfungspunkt an die seit dem 01. Januar 2002 in § 280 Abs. 1 BGB normierten vertraglichen Haftung des Arztes wegen Pflichtverletzung oder einer unverändert auf § 823 Abs. 1, 2 BGB beruhenden deliktischen Haftung für Aufklärungsfehler ist der Grundsatz, dass die Zustimmung des Patienten ihrerseits als Wirksamkeitsbedingung eine hinreichend ärztliche Selbstbestimmungsaufklärung voraussetzt. Bei der Selbstbestimmungsaufklärung geht es um die Frage, in wie weit der ärztliche Eingriff von einer durch Aufklärung getragenen Einwilligung des Patienten gedeckt sein muss, um rechtmäßig zu sein. Nach gefestigter Rechtsprechung erfüllt auch der gebotene fachgerecht ausgeführte ärztliche Heileingriff diagnostischer wie auch therapeutischer Art den Tatbestand der Körperverletzung im Sinne der §§ 823 Abs. 1 BGB, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB. Das Fehlen einer Einwilligung des Patienten bzw. deren Unwirksamkeit stellt daher eine Verletzung des Behandlungsvertrages dar und begründet eine Haftung des Arztes sowohl aus § 280 Abs. 1 als auch aus § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Die ärztliche Aufklärung soll es dem Patienten ermöglichen, Art, Bedeutung, Ablauf und Folgen eines Eingriffs zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den Grundzügen zu verstehen. Er soll zu einer informierten Risikoabwägung in der Lage sein. In diesem Rahmen ist er über den ärztlichen Befund, die Art, Tragweite, Schwere, den voraussichtlichen Verlauf und mögliche Folgen des geplanten Eingriffs sowie über die Art und die konkrete Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Risiken im Verhältnis zu den entsprechenden Heilungschancen, über mögliche andere Behandlungsweisen und über die ohne den Eingriff zu erwartenden Risiken einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu unterrichten. Dem Patienten müssen nicht alle denkbaren, medizinischen Risiken exakt oder in allen möglichen Erscheinungsformendargestellt werden. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Patient zum Zwecke der Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts über die mit der ordnungsgemäßen Durchführung des Eingriffs verbundenen spezifischen Risiken „im Großen und Ganzen“ aufgeklärt wird. Eine mindestens erforderliche Grundaufklärung ist in aller Regel nur dann erfolgt, wenn der Patient auch einen Hinweis auf das Schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko erhalten hat (vgl. Martis-Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rdn. A 504 ff.). Speziell bei der operativen Entfernung von Weisheitszähnen muss auf das erhöhte Risiko einer dauerhaften Schädigung der nervi alviolaris, mandibularis und auch des nervus lingualis hingewiesen werden (vgl. Martis-Winkhart, a. a. O., Rdn. A 2574).

17

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die im vorliegenden Fall erfolgte Grundaufklärung nicht zu beanstanden. Die Kammer stützt sich in diesem Punkte auf die glaubhaften Angaben der Zeugin K.. Diese ist seit 2001 in der Praxis des Klägers tätig und war auch im Jahre 2008 dort beschäftigt. Die Zeugin hat erklärt, dass sie sich zwar an die Klägerin, nicht jedoch an das konkrete Aufklärungsgespräch im Jahre 2008 erinnern könne. Sie hat allerdings ausgeführt, dass die Patienten immer gesondert zu den Aufklärungsgesprächen einbestellt würden, die stets in derselben Art und Weise abliefen. Zunächst würde anhand der Röntgenbilder gezeigt, wo genau der Zahn und die einzelnen Nerven lägen; auch würde auf deutsch – und nicht mit lateinischen Begriffen – erklärt, was im Einzelnen gemacht werde. Weiterhin würde darauf hingewiesen, dass dann, wenn der Nerv hoch liege, es zu einer Verletzung und zum Ausfall des Nervs, im schlechtesten Falle zu dauerhaften Beeinträchtigungen kommen könne, die sich durch Kribbeln bzw. in Taubheitsgefühlen äußern könnten. Die Erklärung orientiere sich exakt an den standardisierten Aufklärungsbögen und den unter der Überschrift „Mögliche Komplikationen“ ausgeführten Erklärungen. Besondere, individuelle Risikofaktoren würden gesondert besprochen und entsprechend durch die Helferin handschriftlich ergänzt. Eine Helferin nehme stets an den Aufklärungsgesprächen teil. Hierfür sei auch keine bestimmte Helferin vorgesehen, vielmehr seien sämtliche Helferinnen des Beklagten hierfür ausgebildet. Der Aufklärungsbogen werde durch die jeweils anwesende Helferin auch unterschrieben. Sofern die Aufklärung betreffend den Unterkieferhauptnerv und den Zungennerv ausdrücklich zusätzlich notiert sei, bedeute dies, dass dies auch ausdrücklich so besprochen worden sei. Auch meint die Zeugin K., dass der Aufklärungsbogen von der Klägerin in der Praxis unterschrieben worden sein müsse, weil die Unterschrift regelmäßig an das Aufklärungsgespräch anschließend im Behandlungszimmer eingeholt werde. Im Ergebnis der Zeugenvernehmung geht das Gericht davon aus, dass das Aufklärungsgespräch, so wie von der Zeugin beschrieben, abgelaufen ist. Die Zeugin verfügt über langjährige Erfahrung in der Praxis des Beklagten. Ihre Angaben waren auch zu Tatsachen von untergeordneter Bedeutung und zum Randgeschehen schlüssig und folgerichtig und waren mit dem vorliegenden Aufklärungsbogen in Einklang zu bringen.

18

Demnach geht die Kammer davon aus, dass die Grundaufklärung der Klägerin in zureichender Weise erfolgt ist. Ferner hat auf die Rechtmäßigkeit der Aufklärung keinen Einfluss, dass sie ca. drei Monate vor dem Eingriff lag (vgl. die Entscheidung des OLG Düsseldorf, VersR 2009, 546).

19

c) Allerdings liegt eine vorwerfbare Vertragsverletzung darin, dass der Beklagte trotz der von ihm erkannten schwierigen Lage des Weisheitszahnes die Klägerin nicht auf die Möglichkeit einer kieferchirurgischen Alternativbehandlung hingewiesen hat.

20

Zwar hat im Allgemeinen ein Arzt dem Patienten ungefragt nicht zu erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und was für oder gegen die eine oder andere dieser Methoden spricht, so lange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt. Die Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, dem stets die Entscheidung darüber zusteht, ob und in welchem Umfange er einen ihm angeratene ärztlichen Heileingriff mit den damit verbundenen Chancen und Risiken für seinen Körper und seine Gesundheit zustimmen will, kann darüber hinaus freilich auch die Unterrichtung über alternativ zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten erfordern. Stehen für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere Behandlungsmethoden zur Verfügung, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten, muss der Patient – selbstverständlich nach sachverständiger und verständnisvoller Beratung des Arztes – selbst prüfen können, was er an Belastungen und Gefahren im Hinblick auf möglicherweise unterschiedliche Erfolgschancen der verschiedenen Behandlungsmethoden auf sich nehmen will. Ist eine Spezialbehandlung angezeigt, die in der betreffenden Praxis nicht durchgeführt werden kann, ist eine Weiterverweisung des Patienten erforderlich; die Unterlassung wäre ein ärztlicher Behandlungsfehler. Nach den Ausführungen des Sachverständigen L. in seinem schriftlichen Gutachten vom 30. April 2013 treffe zwar zu, dass jeder Zahnarzt auch kieferchirurgisch tätig werden dürfe. Er dürfe allerdings lediglich die chirurgische Maßnahme durchführen, die er beherrsche und sich und seinem Team zutraue. Grundsätzlich verfüge auch ein Zahnarzt über die zahnchirurgische Ausstattung. Jedoch liege gerade bei notwendigen operativen Eingriffen im Zusammenhang mit Weisheitszähnen die Schwierigkeit darin, dass das Röntgenbild die tatsächlichen Verhältnisse wegen der Dicke und Kompaktheit des Unterkiefers nur eingeschränkt wiedergebe. Dies betreffe vor allem das Verhältnis der sehr unterschiedlich abgebogenen Wurzelspitzen zu dem wichtigen Unterkiefernerv. Diese eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten könnten nur durch einen gesteigerten Erfahrungsschatz kompensiert werden, wie er grundsätzlich jedem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen bzw. Oralchirurgen per se zu bescheinigen sei. Dies bedeute nicht, dass praktizierenden Zahnärzten derartige Fertigkeiten grundsätzlich abzusprechen seien. Sie müssten allerdings hinterfragt werden, wenn entsprechende Eingriffe – wie im vorliegenden Falle - nicht plangerecht abliefen. Im vorliegenden Falle habe das Röntgenbild – so der Sachverständige - dem kundigen Betrachter die leicht nachvollziehbare Erkenntnis aufgedrängt, dass bei der Behandlung der Klägerin wegen des sehr ungewöhnlichen Verlaufes des nervus mandibularis besondere Schwierigkeiten zu erwarten seien. Auf der Grundlage dieser Bewertung des Gutachters, die nachvollziehbar und folgerichtig ist und der sich die Kammer anschließt, wäre die Aufklärung über die Möglichkeit der Überweisung in eine Spezialpraxis wegen der besonderen Erfahrung der Chirurgen bei der Durchführung entsprechender Eingriffe angezeigt gewesen. Einen derartigen Hinweis hat der Beklagte – was unstreitig ist – unterlassen. Durch den entsprechenden Hinweis hätte das Risiko der schwierigen Behandlung minimiert werden können.

21

Insoweit ist der Eingriff des Beklagten als rechtswidrig zu qualifizieren.

22

3. Der Eingriff des Beklagten am 23.September 2008 hat auch zu körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin geführt. Der Einwand des Beklagten, die Nervverletzung könne ebenso durch den Nachbehandler Dr. H. eingetreten sein, hat sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. nicht bestätigt. Dieser beschreibt in seinem Gutachten, Blatt 2, dass sich das operative Vorgehen des Beklagten auf der Grundlage des Röntgenbildes 2 (Anlage 1 zum Gutachten) nachvollziehen lasse. Das Bild zeige die Entfernung des oberen Anteils der verlagerten Zahnkrone. Die unvollständige Trennungslinie reiche bis zur unteren Wurzel. Der Nerv verlaufe genau in dieser Trennungslinie. Unter Berücksichtigung der Operationsberichte des Beklagten und des Dr. H. sei die Nervverletzung plausibel bzw. „nahezu sicher“. Auf der Grundlage dieser Einschätzung, der keine sachlichen Gründe entgegenstehen, geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte die Nervverletzung herbeigeführt hat. Die Ausführungen stehen zudem im Einklang mit den Angaben des Dr. H. in seiner Vernehmung vom 11. Dezember 2012, Blatt 125 d. A. Danach habe sich nach Übernahme der Behandlung gezeigt, dass der Nerv teilrupturiert sei, d. h. dass Teile der Umhüllung des Nerven verletzt gewesen seien; eine vollständige Durchtrennung der Nerven habe nicht vorgelegen.

23

4. Weitere Behandlungsfehler des Beklagten können im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden.

24

a) Anhaltspunkte dafür, dass die Versorgung während des Transfers von dem Beklagten zu dem Nachbehandler Dr. H. nicht zureichend gewesen sei und hierdurch gesundheitliche Beeinträchtigungen der Beklagten herbeigeführt worden wären, sind nicht ersichtlich. Nach den Angaben des Zeugen H. sei die Klägerin mit abgedeckter Wunde und gestillter Blutung vorstellig geworden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. bestehen keine Anhaltspunkte, dass eine unzureichende Wundversorgung zu den festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen beigetragen hätte.

25

b) Auch kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – die Nachbehandlung unzureichend erfolgt sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen L. in seinem schriftlichen Gutachten sei ein Standard für die Nachbehandlung derartiger Nervverletzungen nicht bekannt. Der Versuch des Zeugen Dr. H., den Nerv mikrochirurgisch zusammenzufügen, sei sinnvoll. Im Übrigen gebe es nach der letzten wissenschaftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde aus dem Jahre 2003 keine Empfehlungen nach derartigen Nervverletzungen; eine medikamentöse Therapie sei nicht verfügbar. Bei fast kompletter Durchtrennung bestehe keine Aussicht auf vollständige Regeneration.

26

Demnach kann insoweit eine Pflichtverletzung des Beklagten nicht festgestellt werden.

27

5. Wegen der oben festgestellten Vertragsverletzung ist ein Schadensersatzanspruch bzw. Schmerzensgeldanspruch der Klägerin begründet.

28

a) Ein Schadensersatzanspruch ist in Höhe von 126,60 € wegen behandlungsbedingt angefallener Fahrtkosten gerechtfertigt. Wegen der Einzelpositionen wird dem Grunde und der Höhe nach auf Blatt 9/10 der Klageschrift vom 22.Dezember 2011 (Blatt 38 d. A.) Bezug genommen. Die Forderungen sind von dem Beklagten nicht bestritten worden.

29

b) Zum Ausgleich der zum Nachteil der Klägerin eingetretenen Schadensfolgen hält das Gericht einen Schmerzengeldbetrag in Höhe von 10.000,00 € für angemessen.

30

aa) Das Gericht hat zur Orientierung folgende Urteile bei ähnlichen Verletzungsbildern herangezogen:

31

Jäger/Luckei, 4. Aufl., Schmerzensgeld

32

Schädigung nervus alveolaris 3.500,00 € OLG Nürnberg vom 06.09.1999 – 5 U 1739/99; Kiefernervschädigung – Sensibilitätsstörungen der Lippe - Druckschmerzen 4.000,00 € OLG Schleswig, Urteil vom 11. März 1998 .- 4 U 80/97; Schädigung des nervus lingualis 6.000,00 € OLG Koblenz, Urteil vom 13.05.2004 – 5 U 41/03.

33

Hachs/Wellner/Hecker, 31. Aufl., Schmerzensgeldbeträge 2013,

34

Trennung des nervus lingualis 7.500,0 €, Landgericht Kassel, Urteil vom 07.01.1992 – 9 O 3010/89, Schädigung des nervus lingualis bei operativer Entfernung des Weisheitszahnes 7.500,00 €, Landgericht Marburg, 04.12.1991 – 5 O 72/90; Durchtrennung des nervus lingualis 7.000,00 € OLG München, 23.06.1994, 24 U 961/92; Verletzung des linken nervus menthalis bei Versuch, Zahn 35 zu entfernen 15.000,00 € Landgericht Wiesbaden 10.Januar 2006 – 7 O 274/03.

35

bb) Folgende Erwägungen liegen der Bildung des Schmerzensgeldbetrages im vorliegenden Falle zugrunde:

36

Nach den sachverständigen Feststellungen ist im vorliegenden Verletzungsfall typische Folge ein irreversibles Taubheitsgefühl des Unterkiefers bis zur Lippenmitte mit möglichen möglichen Bissverletzungen und entsprechenden Gefühlsbeeinträchtigungen beim Essen und Sprechen. Soweit der Sachverständige die Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich nicht als typische verletzungsbedingte oder mögliche Folgen des streitgegenständlichen Eingriffs qualifiziert hat, erscheinen sie doch in psychischer Hinsicht als nachvollziehbar. Hingegen sind auch nach sachverständiger Einschätzung fortdauernde Schmerzen und Kribbelgefühle verletzungstypisch. Die Klägerin begab sich nach Fortdauern der Beschwerden nach dem Eingriff in eine Schmerztherapie. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterzieht sie sich entsprechenden schmerztherapeutischen Maßnahmen in der Universitätsklinik L.. Die Unabsehbarkeit dieser Zustände rechtfertigt die Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldbetrages. Dieser liegt höher als die in vergleichbaren Fällen ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträge, jedoch gehen soweit ersichtlich die vergleichbaren Nervschädigungen, zwar mit bleibenden Sensibilitätsstörungen und Taubheitsgefühlen, nicht jedoch mit chronischen Schmerzen einher. Während in einem anderen Falle ein Betrag von 15.000,00 € für die Verletzung des nervus menthalis ausgeurteilt ist, ist der Kläger dort beim Sprechen, Essen und Schlafen dauerhaft eingeschränkt. Entsprechend massive Funktionseinschränkungen im alltäglichen Leben, die über das verletzungstypische Missempfinden hinausgingen, waren bei der Klägerin ausweislich des Gutachtens und auch gelegentlich ihres Erscheinens in der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen.

37

6. Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286 Abs. 2 Ziff. 3, 288 Abs. 1 S. 2 BGB begründet.

38

II. Wegen der fortdauernden Schmerzzustände ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet.

39

Da allerdings Fehler des Beklagten im Zusammenhang mit der Grundaufklärung und im Nachgange des Eingriffes nicht festzustellen waren, beschränkt sich die Feststellung auf Schadensfolgen, die sich aus dem Eingriff vom 23.September 2008 selbst ergeben.

40

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709 S. 1 und 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Wert des Feststellungsantrages wurde unter Berücksichtigung des bislang geltend gemachten Schadensersatzbetrages gemäß § 3 ZPO mit 2.000,00 € berücksichtigt.


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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

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(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.