Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 27. Nov. 2012 - 3 Sa 376/12

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2012:1127.3SA376.12.0A
bei uns veröffentlicht am27.11.2012

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28.06.2012 - 9 Ca 702/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Der am ... März 1963 geborene, verheiratete und sechs in seinem Haushalt lebenden Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten seit dem 29. Oktober 1991 als Schweißer bzw. zuletzt als Prüfer in der Radiatorenabteilung beschäftigt.

3

Mit Schreiben vom 14. Juni 2007 (Bl. 47 d.A.) erteilte die Beklagte dem Kläger folgende Abmahnung:

4

"Abmahnung

5

Sehr geehrter Herr A.,

6

am Freitag, den 4. Mai 2007 haben Sie an Ihrem Arbeitsplatz nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen die Beherrschung verloren und Ihren Kontrahenten mit einem Faustschlag ins Gesicht nicht unerheblich verletzt.

7

Theoretisch wäre dies alleine Grund genug gewesen, Sie deshalb fristlos zu entlassen.

8

Alleine die Tatsachen, dass

9

a) der Geschädigte nach Ihrer Entschuldigung von einer Anzeige abgesehen hat,

b) Sie mehrfacher Familienvater mit hoher Verantwortung sind und

c) Sie in der langen Zeit der Betriebszugehörigkeit sich ansonsten noch nichts zu Schulden kommen ließen, hat uns dazu bewegt, von einer Kündigung abzusehen.

10

Sollten Sie aber in Zukunft noch ein einziges Mal die Beherrschung verlieren und gegen die Betriebsordnung verstoßen, werden Sie fristlos gekündigt.

11

Wir hoffen, dass Sie Ihre letzte Chance nutzen und es nicht so weit kommen lassen."

12

Am 26. Januar 2012 ging der Mitarbeiter S. C. am Arbeitsplatz des Klägers vorbei und sagte zu diesem im Vorbeigehen: "Nimm die Hände aus der Tasche". Daraufhin nahm der Kläger eine Flanschaufnahme in die Hand und warf diese in Richtung seines etwa 20 Meter entfernten Arbeitskollegen C.. Bei diesem Flanschverschluss handelt es sich um ein großes Metallteil (wie auf dem vorgelegten Foto dargestellt, Anlage B 5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18. April 2012 = Bl. 49 d.A.) mit einem Gewicht von ca. 5 kg. Der vom Kläger geworfene Flansch kam nach ca. 20 Metern etwa neben dem Mitarbeiter C. zum Liegen (wie auf dem nachgestellten Foto dargestellt, Anlage B 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18. April 2012 = Bl. 48 d.A.). Der Mitarbeiter C. zeigte dem Kläger den sog. "Scheibenwischer" und setzte dann ebenso wie der Kläger seine Arbeitstätigkeit fort. Die weiteren Einzelheiten des Vorfalls sind zwischen den Parteien streitig.

13

Mit Schreiben vom 7. Februar 2012 (Bl. 21 bis 24 d.A.) unterrichtete die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat über die von ihr beabsichtigte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Klägers; wegen der mitgeteilten Kündigungsgründe wird auf das Anhörungsschreiben vom 7. Februar 2012 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2012 (Bl. 25 d.A.) teilte der Betriebsratsvorsitzende der Beklagten mit, dass der Betriebsrat nach der Betriebsratssitzung am 7. Februar 2012 mehrheitlich gegen die außerordentliche Kündigung sowie gegen die ordentliche Kündigung des Klägers gestimmt habe und im Ergebnis daher dem beantragten Ausspruch der außerordentlichen Kündigung sowie der ordentlichen Kündigung nicht zustimme.

14

Die Beklagte kündigte sodann das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 8. Februar 2012 (Bl. 5 d.A.) fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstzulässigen Termin. Das dem Kläger am gleichen Tag übergebene Kündigungsschreiben vom 8. Februar 2012 ist vom Geschäftsführer der Beklagten, Herrn H., sowie dem Prokuristen der Beklagten, Herrn L., unterzeichnet.

15

Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 20. Februar 2012 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Kündigungsschutzklage.

16

Er hat vorgetragen, die von der Beklagten angeführten Kündigungsgründe würden weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Der ihm mit der Abmahnung vom 14. Juni 2007 gemachte Vorwurf, er habe den Mitarbeiter einer anderen Firma mit einem Faustschlag ins Gesicht verletzt, sei unrichtig. Im Übrigen könne diese Abmahnung auch aus rechtlichen Gründen wegen des Zeitablaufs von nahezu fünf Jahren keine Wirkung mehr zu seinen Lasten entfalten. Im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 26. Januar 2012 sei zu berücksichtigen, dass sich seit vielen Monaten bzw. sogar Jahren eingebürgert hätte, dass Herr C. versuche, ihn durch ständige anzügliche Bemerkungen in sexueller Hinsicht zu ärgern. Er habe auf die von ihm geschilderten anzüglichen Anspielungen und Beleidigungen grundsätzlich nicht mehr reagiert. Vermutlich aufgrund der vorangegangenen Diskussionen an seinem Arbeitsplatz mit Herrn K. und Herrn W. sei er noch so aufgeregt gewesen, dass er in diesem Moment, als Herr C. dann erneut die besagte anzügliche Bemerkung ihm gegenüber getätigt habe, wütend geworden sei und dann den Flansch ähnlich einem Kegel aus dem Stand in Richtung des Herrn C. geschleudert habe. Zu keinem Zeitpunkt sei jedoch Herr C. in irgendeiner Weise gefährdet worden. Er habe das Metallteil mit der linken Hand genommen und dieses ähnlich einer Bewegung beim Kegeln in Richtung des Herrn C. bewegt. Aufgrund der seitlich von unten her durchgeführten Bewegung wie beim Kegeln habe der Flansch sich daher auch allenfalls in einer Höhe von 50 cm in einer absteigenden Bahn bewegt. Von einem gezielten "Wurf" könne keine Rede sein. Vielmehr sei völlig klar gewesen, dass dieses Teil Herrn C. niemals würde treffen können. So sei der Flansch neben Herrn C. zum Liegen gekommen, ohne dass dieser eine Ausweichbewegung habe machen müssen, was auch zeige, dass die Energie längst abgebaut gewesen sei. Dementsprechend habe Herr C. letztlich auch völlig unaufgeregt reagiert. Im Übrigen hätte die Beklagte auf sein sicherlich nicht korrektes Verhalten auch mit einer Abmahnung reagieren können. Jedenfalls müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags des Klägers, insbesondere auch hinsichtlich seiner Stellungnahme zu den weiteren Kündigungsvorwürfen, wird auf seinen Schriftsatz vom 14. Mai 2012 verwiesen.

17

Der Kläger hat beantragt

18

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8. Februar 2012 aufgelöst worden ist.

19

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Sie hat erwidert, sie sei zum Ausspruch der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt gewesen. Der Kläger habe bereits zuvor am 4. Mai 2007 nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen die Beherrschung verloren und diesen mit der Faust so geschlagen, dass dieser aus der Nase geblutet habe. Nur im Hinblick auf die vielfachen Unterhaltsverpflichtungen des Klägers und seine lange Betriebszugehörigkeit sei damals von dem an sich berechtigten Ausspruch einer fristlosen Kündigung abgesehen und stattdessen nur eine Abmahnung ausgesprochen worden. Trotz dieser Abmahnung sei es zu dem kündigungsrelevanten Vorfall am 26. Januar 2012 gekommen. Es habe sich um einen gezielten Wurf des schweren Metallflansches gehandelt. Entgegen der Darstellung des Klägers sei der Flanschverschluss nicht auf einer Höhe von 50 cm über eine Strecke von fast 20 Metern sozusagen über den Boden "gekegelt" worden, weil dies technisch überhaupt nicht möglich sei. Tatsächlich hätte der Flanschverschluss Herrn C. tödlich treffen können. Der Kläger habe die Flanschaufnahme mit der rechten Hand in voller Wucht und in der offensichtlichen Absicht geworfen, Herrn C. zu treffen, was nur durch dessen Ausweichen verhindert worden sei. Es sei nur der glücklichen Reaktion des Herrn C. zu verdanken, dass dieser nicht erheblich verletzt worden sei. Auch wenn es sich um eine Affekthandlung gehandelt haben sollte, dürfe sich der Kläger zu einer derartigen Gefährdung von Arbeitskollegen nicht hinreißen lassen. Es möge sein, dass dem Betriebsrat Provokationen unter Kollegen in rassistischer und/oder sexistischer Hinsicht bekannt gewesen seien. Dann hätte der Betriebsrat sich hierum aber kümmern oder sie zumindest einmal informieren müssen. Sie selbst habe hiervon keine Kenntnis gehabt. Auch unter Berücksichtigung der 20-jährigen Beschäftigungszeit des Klägers könne der Vorfall vom 26. Januar 2012 nicht lediglich mit einer Abmahnung geahndet werden. Vielmehr sei auch eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Beklagten, insbesondere auch zu den weiteren zur Rechtfertigung der Kündigung angeführten Vorfälle vom 26. Januar 2012, wird auf ihre Schriftsätze vom 18. April 2012 und 11. Juni 2012 verwiesen.

22

Das Arbeitsgericht Koblenz hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C., J. und K.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28. Juni 2012 (Bl. 86 bis 98 d.A.) Bezug genommen. Mit Urteil vom 28. Juni 2012 - 9 Ca 702/12 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB gerechtfertigt sei. Das eskalierende Verhalten des Klägers vom 26. Januar 2012 in Gestalt des unstreitigen Werfens der ca. 5 kg schweren Flanschaufnahme in Richtung seines Arbeitskollegen C. sei an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme sei die Darstellung des Klägers, wonach er die Flanschaufnahme in ca. 50 cm Höhe mit der linken Hand sozusagen aus der Hand gekegelt habe, widerlegt. Angesichts der Unförmigkeit der Flanschaufnahme wäre diese aus Sicht der Kammer bereits in kurzer Entfernung auf den Boden geschlagen und hätte den Zeugen C. gar nicht erreichen können. Aufgrund des Wurfs mit der ca. 5 kg schweren Flanschaufnahme habe eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für Herrn C. bestanden. Der Wurf hätte auch dann zu einer erheblichen Körperverletzung führen können, wenn lediglich der Fuß oder der Kniebereich des Herrn C. getroffen worden wäre, was sicherlich nachhaltige Knochenbrüche ausgelöst hätte. Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung falle zugunsten der Beklagten aus. Auch unter Berücksichtigung der zugunsten des Klägers sprechenden Umstände sei die ausgesprochene außerordentliche Kündigung die aus Sicht der Kammer einzig zu erwartende Reaktion der Beklagten auf das Verhalten des Klägers gewesen. Der Kläger habe nämlich eine erhebliche Gesundheits-, wenn nicht gar Lebensgefährdung eines Arbeitskollegen in Kauf genommen. Insoweit könne sich der Kläger auch nicht auf ein etwaiges diskriminierendes Verhalten seines Vorgesetzten oder seines Arbeitskollegen bzw. die dem Vorfall vorausgegangene Provokation berufen. Eine Reaktion des Klägers auf die unstreitige Provokation des Herrn C. mittels Wurfes einer 5 kg schweren Flanschaufnahme sei in jedem Fall unverhältnismäßig gewesen, was der Kläger auch ohne weiteres habe erkennen können. Der Betriebsrat sei mit dem Anhörungsschreiben vom 7. Februar 2012 ordnungsgemäß angehört worden, so dass die Beklagte nach der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrates vom 7. Februar 2012 die streitgegenständliche Kündigung habe aussprechen können.

23

Gegen das ihm am 30. Juli 2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. August 2012, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 21. August 2012 eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28. September 2012, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 1. Oktober 2012 (Montag) eingegangen, begründet.

24

Der Kläger trägt vor, entgegen der Bewertung des Arbeitsgerichts sei der "Wurf" niemals objektiv geeignet gewesen, Herrn C. tatsächlich zu treffen oder gar zu verletzen. Bezeichnenderweise sei auch Herr C. diesem "Wurf" auch in keiner Weise ausgewichen, indem er z.B. zur Seite gesprungen wäre oder sich geduckt oder in einer anderen Weise eine Abwehrhandlung vorgenommen hätte. Auch wenn sein Verhalten falsch gewesen sei, könne darin keine Tätlichkeit zulasten eines Arbeitskollegen, sondern lediglich ein völlig unangebrachtes Verhalten gesehen werden, welches nicht den Ausspruch einer fristlosen Kündigung als die härteste aller Maßnahmen rechtfertige. Vielmehr hätte es andere Möglichkeiten gegeben, wie eine Abmahnung, einen Verweis, eine Versetzung oder eine fristgerechte Kündigung. Weder der Betriebsfrieden noch die Arbeitsdisziplin seien durch diesen Vorfall gefährdet worden. Das vermeintliche Opfer habe weder anlässlich des Vorfalls selbst und auch nicht im Rahmen der Beweisaufnahme die Notwendigkeit gesehen, hier belastend gegenüber ihm einzuwirken. Es habe sich um eine Aktion von wenigen Sekunden gehandelt, welche erst durch das anschließende Verhalten des Zeugen K. zu Weiterungen und Betriebsbeeinträchtigungen geführt habe, weil dieser sich veranlasst gesehen hätte, diesen Vorfall zu nutzen, um ihm nach dem vorangegangenen Streit "eins auszuwischen". Der Metallflansch könne bereits aus objektiv naturwissenschaftlicher Sicht unter Berücksichtigung seiner körperlichen Fähigkeit niemals lediglich einen Meter neben Herrn C. eingeschlagen sein, so dass diese Sachverhaltsdarstellung der Zeugen schlichtweg falsch und bereits naturwissenschaftlich zu widerlegen sei. Seine Handlung sei von Herrn C. selbst nie als gefährdende Tätlichkeit, sondern allenfalls als eine eher raue und grobe Reaktion auf sein eigenes Verhalten empfunden worden. Jedenfalls hätte die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen müssen, dass die Beklagte als Arbeitgeberin gehalten gewesen wäre, mildere Maßnahmen zu prüfen und ggf. in Ansatz zu bringen. Neben seinen Sozialdaten sei auch zu berücksichtigen, dass er sich zuvor schon mehrfach beim Betriebsrat über die ständigen rassistischen und sexistischen Beleidigungen beschwert habe. Der Betriebsratsvorsitzende habe diese Beschwerden nach seiner Aussage ihm gegenüber an die Betriebsleitung weitergegeben. Auch am streitgegenständlichen Tag sei er wieder vielfach und massiv gemobbt und beleidigt worden, dies zunächst von seinem Vorgesetzten, Herrn K., und anschließend von seinem Arbeitskollegen, Herrn C.. Zwar solle hiermit die letztlich von ihm durchgeführte Aktion nicht gerechtfertigt oder entschuldigt werden, weil er diese Handlung zulasten des Herrn C. nicht hätte ausführen dürfen. Sie sei jedoch vor dem Hintergrund der ständigen Provokationen zu verstehen, welchen er zuvor ausgesetzt gewesen sei und gegenüber denen er in keiner Weise durch die Betriebsleitung geschützt worden sei, obwohl der Betriebsleitung dieser nicht hinnehmbare Zustand bekannt gewesen sei. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei die ausgesprochene fristlose Kündigung bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht gerechtfertigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 28. September 2012 und den Schriftsatz des Klägers vom 21. November 2012 verwiesen.

25

Der Kläger beantragt,

26

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28. Juni 2012 - 9 Ca 702/12 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8. Februar 2012 aufgelöst worden ist.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Sie erwidert, ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung liege vor. Das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme habe belegt, dass der Wurf mit dem Flansch entgegen der Einschätzung des Klägers durchaus ein gezielter Wurf gewesen sei, der Herrn C. nur knapp verfehlt habe. Dass Herr C. dem Wurf nicht ausgewichen sei, möge auch daran gelegen haben, dass dieser entsprechend überrascht gewesen sei. Die Zeugenaussagen hätten bestätigt, dass es reiner Zufall gewesen sei, dass es vorliegend nicht zu erheblichen Verletzungen des Herrn C. gekommen sei. Das Arbeitsgericht habe zutreffend eine erhebliche Gesundheitsgefährdung durch das Verhalten des Klägers bejaht. Es sei von einem gezielten Wurf, ausgeführt durch eine Ausholbewegung über den Kopf, auszugehen, der sein Ziel nur mehr oder weniger zufällig verfehlt habe. Das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, dass die durchzuführende Interessenabwägung auch unter Berücksichtigung der Sozialdaten und der Beschäftigungsdauer des Klägers zu dessen Lasten ausfallen müsse. Sie könne schon aufgrund ihrer Fürsorgepflicht keine weitere Gefährdung anderer Kollegen durch den Kläger hinnehmen. Selbst wenn es zu den ihr nicht bekannten Provokationen des Klägers gekommen sein sollte, könne dies sein Verhalten nicht rechtfertigen. Entgegen der Annahme des Klägers habe weder die Geschäftsleitung noch die Personalleitung von den seitens des Klägers behaupteten rassistischen/sexistischen Äußerungen Kenntnis. Unabhängig davon sei die Reaktion auf Provokationen gleich welcher Art mittels Wurfes einer 5 kg schweren Flanschaufnahme in jedem Fall unverhältnismäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze vom 5. November 2012 und 26. November 2012 verwiesen.

30

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. c ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

32

Die Berufung des Klägers hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

I.

33

Gemäß der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts, auf die gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, ist die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 8. Februar 2012 gemäß § 626 BGB gerechtfertigt. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe sind unbegründet.

34

1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bereits der unstreitige Wurf des ca. 5 kg schweren Metallflansches durch den Kläger in Richtung seines Arbeitskollegen C. an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Das gilt wegen der damit verbundenen Gefährdung des betroffenen Arbeitskollegen auch dann, wenn der Kläger seinen Kollegen nicht gezielt treffen wollte.

35

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt bereits der unstreitige Geschehensablauf den Schluss darauf zu, dass aufgrund seines Fehlverhaltens am 26. Januar 2012 eine erhebliche Gefährdung des Arbeitskollegen C. eingetreten ist. Dabei kommt es auf die genauen Einzelheiten des von beiden Parteien beschriebenen Wurfs letztlich nicht entscheidungserheblich an. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger unstreitig ein schweres Metallteil (5 kg schwerer Flansch) jedenfalls mit einer derartigen Wucht aus Wut in Richtung seines Arbeitskollegen geworfen hat, dass dieses erst nach Überwindung einer erheblichen Distanz von etwa 20 Metern in unmittelbarer Nähe des Mitarbeiters C. zum Liegen kam. Bereits in diesem unkontrollierten Wutausbruch des Klägers liegt eine erhebliche Gefährdung des betroffenen Mitarbeiters, die aufgrund der Schwere des Metallteils bei ungünstigem Verlauf auch zu erheblichen Verletzungen hätte führen können. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass angesichts der Unförmigkeit und des Gewichts der Flanschaufnahme diese bei einem bloßen "Kegeln" im Sinne der Darstellung des Klägers den Mitarbeiter C. gar nicht hätte erreichen können. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass jedenfalls diese - verharmlosende - Darstellung des Klägers nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt ist.

36

Das vom Arbeitsgericht zu Recht als eskalierend bewertete Fehlverhalten des Klägers lässt sich weder durch das vorangegangene Geschehen am 26. Januar 2012 noch durch die von ihm geschilderten Provokationen bzw. Beleidigungen rechtfertigen oder entschuldigen. Davon ist auch der Kläger selbst ausgegangen. Es handelt sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war. Dementsprechend bedurfte es auch keiner vorherigen Abmahnung (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 15, NZA-RR 2012, 567).

37

2. Die Berufungskammer schließt sich auch der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung an, nach der der Beklagten aufgrund des schwerwiegenden Fehlverhaltens eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

38

Das Arbeitsgericht hat die sozialen Daten des Klägers (Unterhaltspflichten, Lebensalter, Betriebszugehörigkeit) bzw. die für ihn sprechenden Umstände, insbesondere seine langjährige Betriebszugehörigkeit seit Oktober 1991, die offenbar beanstandungsfreie Verrichtung seiner eigentlichen Arbeitsleistung und seine schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, zutreffend zu seinen Gunsten berücksichtigt. Weiterhin kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass es zu den von ihm geschilderten Beleidigungen und Provokationen gekommen ist und der Betriebsratsvorsitzende seine Beschwerden auch an die Betriebsleitung weitergegeben hat. Gleichwohl kann der Beklagten in Anbetracht von Art und Schwere der Pflichtverletzung eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist auch unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht mehr zugemutet werden. Das aggressive und unbeherrschte Verhalten des Klägers lässt sich in seiner Art und Intensität durch die von ihm geschilderten Beleidigungen/Provokationen oder durch das vorangegangene Geschehen nicht erklären und erscheint deshalb auch nicht in einem milderen Licht. Der Kläger hat mit dem Wurf des ca. 5 kg schweren Metallflansches in Richtung seines Arbeitskollegen C. diesen erheblich gefährdet. Der Beklagten kann aufgrund von Art und Schwere der vom Kläger begangenen Pflichtverletzung nicht zugemutet werden, auf diesen schwerwiegenden Vorfall lediglich mit einer Umsetzung bzw. Versetzung zu reagieren. Die Beklagte hat zu Recht darauf verwiesen, dass sie gegenüber den anderen Arbeitskollegen und Vorgesetzten ihrer Fürsorgepflicht nachkommen muss. Insbesondere lässt sich nicht hinreichend sicher verhindern, dass es nicht zu einem erneuten Wutausbruch des vollkommen unbeherrscht reagierenden Klägers - ggf. auch gegenüber anderen Arbeitskollegen - kommt. Hinzu kommt noch, dass dem Kläger bereits zuvor eine Abmahnung mit Schreiben vom 14. Juni 2007 wegen des Vorwurfs erteilt worden war, dass er am 4. Mai 2007 an seinem Arbeitsplatz nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen (Herrn S.) die Beherrschung verloren und diesen mit einem Faustschlag ins Gesicht körperlich angegriffen habe. Der Kläger hat hierzu im Termin vom 27. November 2012 auf Nachfrage erklärt, dass er mit seiner Faust in die Wange des Herrn S. gedrückt habe, woraufhin dieser geblutet habe, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil die Wange gegen seine Zähne gedrückt worden sei. Diese Einlassung des Klägers ändert nichts an der Bewertung, dass er bei diesem Vorfall nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen die Beherrschung verloren und diesen körperlich angegriffen sowie verletzt hatte, auch wenn er diesen nicht mit einem Faustschlag ins Gesicht, sondern dadurch verletzt haben sollte, dass er ihm seine Faust derart fest ins Gesicht gedrückt hatte, dass dieser geblutet hat. Anlässlich dieses Vorfalls wurde der Kläger in der ihm erteilten Abmahnung vom 14. Juni 2007 von der Beklagten ausdrücklich und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass ihm fristlos gekündigt werde, falls er in Zukunft noch ein einziges Mal die Beherrschung verlieren und gegen die Betriebsordnung verstoßen sollte. Das Abmahnungsschreiben endet mit der von der Beklagten zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, dass er seine letzte Chance nutze und es nicht so weit kommen lasse. Trotz des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs hätte dem Kläger ohne weiteres klar sein müssen, dass er seinen Arbeitsplatz, auf den er angesichts seiner sozialen Daten angewiesen ist, aufs Spiel setzt, wenn er nochmals nach einer verbalen Auseinandersetzung körperlich aggressiv gegenüber Arbeitskollegen reagiert. Gleichwohl ist es zu dem schwerwiegenden Vorfall am 26. Januar 2012 gekommen, bei dem der Kläger erneut die Ebene einer verbalen Auseinandersetzung verlassen und jegliche Beherrschung verloren hat, als er sich dazu hinreißen ließ, ein schweres Metallteil in Richtung seines Arbeitskollegen zu werfen. In Anbetracht dieser Eskalation ist der Beklagten jegliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zumutbar.

II.

39

Das Arbeitsgericht hat weiterhin zutreffend festgestellt, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist. Hiergegen hat der Kläger auch keine Rügen mehr erhoben.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

41

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet, gehbehindert und mit einem Grad von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war beim beklagten Land seit 1989 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staatlichen Immobilienmanagement, Niederlassung W (im Folgenden: Immobilienmanagement), tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 53 BAT war der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Im Jahr 2007 beschwerte sich eine beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin bei der Leitung der Niederlassung über den Kläger. Sie fühlte sich von ihm belästigt. Es kam zu einem Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit Schreiben vom 19. April 2007 teilte die Beschwerdestelle dem Kläger mit, dass die Mitarbeiterin weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

4

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 wandte sich eine andere, seit Februar 2009 beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an dessen Direktor. Dieser leitete das Schreiben am 12. Oktober 2009 an die zuständige Personalabteilung in der Zentrale weiter. In dem Schreiben erklärte die Mitarbeiterin, dass sie sich durch den Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt fühle. Obwohl sie sich ihm gegenüber deutlich abweisend geäußert habe, suche er weiterhin Kontakt zu ihr. In der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Anfang Oktober 2009 hatte der Kläger - unstreitig - insgesamt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mitarbeiterin versandt. Das beklagte Land teilte dem Kläger am 13. Oktober 2009 mit, dass eine Beschwerde gegen ihn vorliege, der Sachverhalt aber noch aufgeklärt werden müsse. Als „Sofortmaßnahme“ ordnete es an, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung jeden dienstlichen und privaten Verkehr mit der Beschwerdeführerin zu unterlassen habe und nur in dienstlichen Dingen über Dritte Kontakt zu ihr aufnehmen dürfe. Am 15. Oktober 2009 hörte das beklagte Land die Mitarbeiterin an, die ihm am 16. Oktober 2009 den gesamten E-Mail-Verkehr mit dem Kläger überließ. Noch am selben Tag wurde der Kläger schriftlich über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23. Oktober 2009. Mit Schreiben von diesem Tage, das beim beklagten Land am 26. Oktober 2009 einging, nahm er zu den Vorwürfen Stellung.

5

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 hörte das beklagte Land den Personalrat der Niederlassung W zu einer - nach noch einzuholender Zustimmung des Integrationsamts - beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung, hilfsweise jeweils mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. Juni 2010 an. Der Personalrat stimmte der Kündigung tags darauf zu. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 hörte das beklagte Land auch die örtliche Schwerbehindertenvertretung an. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragte es beim Integrationsamt die Zustimmung, die dieses am 13. November 2009 erteilte.

6

Noch mit Schreiben vom 13. November 2009 erklärte das beklagte Land gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2010.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor. Das beklagte Land habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen fehle es an einem wichtigen Grund. Nachdem die betreffende Mitarbeiterin Anfang September 2009 erklärt habe, keinen privaten Kontakt mehr mit ihm zu wünschen, habe er nur noch wenige Male den Kontakt zu ihr gesucht. Das beklagte Land habe ihn allenfalls abmahnen dürfen. Dass er zu einer Verhaltensänderung in der Lage sei, zeige sein Verhalten nach Erhalt des Schreibens vom 19. April 2007, welches freilich seinerseits gerade keine Abmahnung darstelle. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

8

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 weder fristlos noch mit Ablauf des 30. Juni 2010 beendet worden ist.

9

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bereits die außerordentliche fristlose Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Einer (weiteren) Abmahnung habe es nicht bedurft, nachdem der Kläger sich bereits im Jahr 2007 in vergleichbarer Weise pflichtwidrig verhalten habe.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die außerordentliche Kündigung vom 13. November 2009 an einem wichtigen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.

13

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem inhaltsgleichen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

14

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).

15

b) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 37, BAGE 134, 349). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

16

c) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).

17

2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, mangels einschlägiger Abmahnung sei die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 wegen Fehlens eines wichtigen Grundes iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, auf der Basis seiner bisher getroffenen Feststellungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme, eine Abmahnung sei im Streitfall nicht entbehrlich gewesen, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

18

a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei dem Schreiben der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 habe es sich nicht um eine Abmahnung gehandelt.

19

aa) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass das Schreiben nicht auf die Änderung eines generellen Verhaltens auch gegenüber anderen Beschäftigten des beklagten Landes abzielte. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die zu unterlassende Pflichtverletzung losgelöst vom konkreten Verstoß generalisierend beschreibt. Der mit einer Abmahnung verbundene Hinweis auf eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall erstreckt sich grundsätzlich auch auf vergleichbare Pflichtverletzungen. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit gegebene Abmahnungs- und potentielle Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

20

bb) Entgegen der - Teilen des Schrifttums folgenden - Auffassung des Klägers fehlt dem Schreiben vom 19. April 2007 auch nicht deshalb der Abmahnungscharakter, weil die darin für den Wiederholungsfall enthaltene Androhung von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ zur Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung nicht ausreichend wäre.

21

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion) (BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringen und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 76, 35). Der Senat hat einer „ordnungsgemäßen Abmahnung“ ein „nur als Abmahnung bezeichnetes Schreiben“ gegenübergestellt, in welchem nicht ausdrücklich auf kündigungsrechtliche Konsequenzen hingewiesen, sondern nur „mit weiteren rechtlichen Schritten“ für den Wiederholungsfall gedroht worden war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. Dezember 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 60). Die Androhung „arbeitsrechtlicher Schritte“ sei zur Erfüllung der Warnfunktion hingegen ausreichend (BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34: Androhung „individualrechtlicher Konsequenzen“).

22

(2) Im Schrifttum wird zumeist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt, dass die Abmahnung einen Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses enthalten muss, um ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; HaKo-Fiebig/Zimmermann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Hoyningen-Huene RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht unbedingt die ausdrückliche Androhung einer Kündigung notwendig, der Arbeitgeber müsse aber in einer dem Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Art und Weise konkret bestimmte Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstanden und damit den eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis verbinden, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen seien Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das Inaussichtstellen konkreter kündigungsrechtlicher Maßnahmen, etwa einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung bzw. einer Beendigungs- oder Änderungskündigung, sei hingegen nicht erforderlich (Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert aaO; APS/Dörner/Vossen aaO; HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO); es reiche die Androhung „kündigungsrechtlicher Konsequenzen“ (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO). Zum Teil wird auch der Hinweis auf „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für ausreichend gehalten (Beckerle Die Abmahnung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, jedenfalls unter besonderen Umständen, die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Schritte“ (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497 unter Hinweis auf BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Abmahnung als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber S. 164). Nach anderer Ansicht genügt die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ nicht, da dadurch nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher auf dem Spiel stehe; arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten auch Versetzungen, Umsetzungen oder weitere Abmahnungen sein (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO).

23

(3) Nach zutreffender Auffassung kann schon die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausgedrückt, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist dafür nicht erforderlich. Es ist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, der Arbeitgeber werde im Wiederholungsfall möglicherweise auch mit einer Kündigung reagieren.

24

cc) Das Schreiben vom 19. April 2007 stellt gleichwohl keine Abmahnung dar. Es fehlt an einer Rüge vorherigen Fehlverhaltens. In dem Schreiben ist als Ergebnis des Beschwerdeverfahrens lediglich dokumentiert, dass die betroffene Mitarbeiterin keinen Kontakt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außerdem - zur Vermeidung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ - die Beachtung dieses Wunsches der Mitarbeiterin für die Zukunft verlangt. Das Schreiben enthält aber nicht die eindeutige Bewertung, dass das vorangegangene Verhalten des Klägers eine Pflichtverletzung dargestellt habe.

25

b) Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen, hält dagegen - auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

26

aa) Es steht nicht fest, welchen Kündigungssachverhalt das Landesarbeitsgericht dieser Würdigung zugrunde gelegt hat. Es hat dahingestellt sein lassen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin eine Straftat oder jedenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung dargestellt oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründet habe. Es hat angenommen, der Kläger habe, selbst wenn nur sein Sachvortrag als wahr unterstellt werde, die ihm aufgrund des Arbeitsvertrags obliegenden Verhaltenspflichten in jedem Fall verletzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Basis des Vorbringens des beklagten Landes von einer erheblich schwerer wiegenden Pflichtverletzung auszugehen wäre. Festgestellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die betroffene Mitarbeiterin gesandten Nachrichten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes hatte sich der Kläger jedoch immer wieder auch auf andere Weise, wie etwa durch unerwünschte persönliche Kontaktaufnahmen, aufgedrängt. Das beklagte Land hat ua. geltend gemacht, der Kläger habe sich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mitarbeiterin wiederholt und zunehmend aggressiv und aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine Anstellung beim Land bekomme, und werde ihren Ehemann, der über keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, bei der Polizei und der Ausländerbehörde anzeigen. Bei der Mitarbeiterin habe dies massive Angstzustände verursacht.

27

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dem Kläger habe die Distanzlosigkeit seines Verhaltens und die damit einhergehende Pflichtverletzung „aufgrund des schleichenden Prozesses“ entgehen können, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, die betroffene Mitarbeiterin habe dem Kläger Anfang September 2009 den „eindeutigen“ Hinweis gegeben, nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen mit ihm Kontakt haben zu wollen. Warum dem Kläger die Pflichtwidrigkeit und der bedrängende Charakter seines Verhaltens auch nach diesem Hinweis nicht erkennbar gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Nach dem vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt war aus den dem Hinweis nachfolgenden Nachrichten gerade nicht herauszulesen, der Kläger habe, wie von ihm behauptet, weiterhin lediglich einen rein freundschaftlichen Kontakt gewollt. Die Nachrichten hätten vielmehr einen drohenden Charakter angenommen. Abweichende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

28

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht ausreichend geprüft, ob eine Abmahnung im Streitfall deshalb entbehrlich war, weil dem Kläger schon aufgrund des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens und des Schreibens der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 bewusst sein musste, dass die Verletzung der Privatsphäre von Mitarbeiterinnen durch beharrliche Kontaktaufnahme gegen deren Willen eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, deren abermalige Hinnahme durch das beklagte Land ausgeschlossen wäre. Dem stünde nicht entgegen, dass sich das Schreiben nur mit dem zu respektierenden Wunsch der damals betroffenen Mitarbeiterin befasste. Der Kläger konnte nicht annehmen, das beklagte Land würde den entsprechenden Wunsch einer anderen Mitarbeiterin nicht für gleichermaßen verbindlich halten.

29

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers stelle sich nicht als so gravierend dar, dass seine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land „unter keinen Umständen zuzumuten“ sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist erneut nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten das Landesarbeitsgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers steht jedenfalls nicht notwendig entgegen, dass dieser auf die entsprechende Aufforderung des beklagten Landes vom 13. Oktober 2009 hin jegliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Mitarbeiterin unterlassen hat. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger den Wunsch einer anderen Mitarbeiterin, ihre Privatsphäre zu respektieren, künftig wiederum solange missachten wird, wie ihn das beklagte Land nicht auffordert, ihm nachzukommen.

30

II. Die angegriffene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig oder sonst zur Endentscheidung reif. Ob die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann noch nicht beurteilt werden.

31

1. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem beklagten Land unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Weiterbeschäftigung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar war.

32

a) Der Kündigungssachverhalt ist bisher nicht umfassend festgestellt. Ob eine Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens entbehrlich war, kann der Senat daher nicht abschließend würdigen. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

33

b) Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liegt nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser hat die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Ob das Nachstellen zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere vom Ausmaß und von der Intensität der Pflichtverletzung und deren Folgen - vor allem für die betroffenen Mitarbeiter -, einer etwaigen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens. Die für diese Würdigung relevanten Umstände sind deshalb festzustellen.

34

2. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht geprüft, ob das beklagte Land die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt hat. Sollte es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB bestand, wird es dies nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.