Landesarbeitsgericht Hamburg Urteil, 20. Juli 2017 - 7 Sa 40/17
Gericht
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 8. Februar 2017 (27 Ca 277/16) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Fahrzeiten des Klägers von seinem Wohnsitz zum ersten Kunden (zu wartende Aufzugsanlagen) bzw. vom letzten Kunden zu seinem Wohnsitz als Arbeitszeit zu vergüten.
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Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung, dem Vertrieb, der Installation und Wartung von Aufzügen, Fahrtreppen und anderen Transportsystemen. Sie unterhält bundesweit insgesamt 39 Niederlassungen, an denen sie ca. 2.400 Mitarbeiter überwiegend für Montagetätigkeiten im Außendienst beschäftigt.
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Der Kläger ist seit dem 04. Januar 1988 bei der Beklagten am Standort Hamburg als Aufzugs-/Inspektionsmonteur zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von € 4.376,00 bei einer regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden tätig. Der Schwerpunkt seiner Arbeitstätigkeit betrifft die Wartung, Montage und Reparatur u.a. von Aufzugsanlagen. Hierfür stellt die Beklagte dem Kläger ein Kraftfahrzeug mit den entsprechenden Werkzeugen, Ersatzteilen etc. zur Verfügung, das nach Vereinbarung auch privat genutzt werden kann. Der Kläger ist zudem Betriebsratsmitglied und nimmt entsprechende Aufgaben wahr.
- 4
Jeder Monteur der Niederlassung Hamburg betreut ca. 50-80 Anlagen, sog. „Routen“, von denen monatlich etwa 20-25 zu warten sind. Dabei weist die Beklagte ihren Monteuren die im jeweiligen Monat im Rahmen von Wartungsarbeiten zu betreuenden Aufzugsanlagen auf der Grundlage sog. Sammelaufträge zu. Der Kläger kann vorbehaltlich etwaiger Not- und Störfälle (in denen er angewiesen ist, unter Zurückstellung der von ihm geplanten Kundenbesuche an bestimmten Anlagen tätig zu werden) die täglichen Fahrstrecken im Wesentlichen frei einteilen, d.h. selbst festlegen, in welcher Reihenfolge er im Laufe des Tages welche Kunden bzw. Aufzugsanlagen aufsucht.
- 5
Die Anfahrten des Klägers zum ersten Kunden und die Rückfahrten vom letzten Kunden werden von der Beklagten nicht als Arbeitszeit vergütet. Die Beklagte zahlt unter den entsprechenden Voraussetzungen lediglich eine Nahauslösung nach Maßgabe des Bundestarifvertrags für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie („BMTV“), der arbeitsvertraglich einbezogen ist (Ziff. 6 des Arbeitsvertrags vom 04.01.1988, Anlage B 8, Bl. 132 d.A.). Entsprechend wurde an den Kläger z.B. im Zeitraum von Dezember 2015 bis April 2016 ein Betrag in Höhe von € 1.742,35 gezahlt (vgl. Anlage B 15 bis B19, Bl. 153 ff. d.A.).
- 6
Der BMTV (Anl. B 11, Bl. 139 ff d.A.) differenziert zwischen Nah- und Fernmontage. Nahmontage ist gegeben, wenn die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt (z.B. die Wohnung des Montagestammarbeiters, § 4.4.1 BMTV) zumutbar ist (§ 4.1 BMTV). Das ist der Fall, wenn die Entfernung vom Ausgangspunkt zur Montagestelle 80 km nicht übersteigt (§ 4.1.2 BMTV). Fernmontage liegt vor, wenn ein auswärtiges Übernachten erforderlich ist. Gemäß § 4.5 wird grundsätzlich Fahrgeld erstattet. Zudem sieht der BMTV für die Nahmontage für Montagestammarbeiter u.a. folgende Regelungen vor:
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„5.1 Nahauslösung
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Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht.
- 9
Montagestelle ist die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet wird und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt.
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…
- 11
5.2 Die Nahauslösung wird gestaffelt nach der Entfernung zwischen Ausgangspunkt und Montagestelle festgelegt.
- 12
5.2.1 Zur Ermittlung der Nahauslösung ist die gemäß § 4.3 zu berechnende Entfernung nur insoweit zu berücksichtigen, als sie außerhalb der Arbeitszeit des Montagestammarbeiters zurückgelegt wird. Dabei sind der maßgebliche Hin- und Rückweg zu addieren und durch zwei zu teilen. …
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5.2.2 Es werden folgende Entfernungszonen gebildet:
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1. Zone über 7 km bis 20 km …
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5.2.3 Die Höhe der Nahauslösungen wird im Tarifvertrag für Auslösungssätze und Fahrkosten nach folgender Staffelung festgelegt:
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Auslösungsstaffel I
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…
- 18
Auslösungsstaffel II
- 19
Für Montagestammarbeiter, die auf Anordnung des Arbeitgebers ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenken… Diese um 25 % höhere Nahauslöse wird gezahlt für die Lenkzeit bzw. den unterstellen höheren Aufwand.
- 20
…
- 21
Innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit des Montagestammarbeiters zurückgelegte Reisewege werden wie Arbeitszeit bezahlt.
- 22
…
- 23
5.4 Für … Montageeinsätze mit täglich wechselnder Entfernung können abweichend von § 5.2 durch freiwillige Betriebsvereinbarung tarifliche Nahauslösungszonen zusammengelegt und die entsprechenden Nahauslösungssätze pauschaliert werden.
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…“
- 25
In § 6 BMTV sind Regelungen für die Fernmontage enthalten. Hiernach wird u.a. die notwendige Reisezeit bis zu 12 Stunden je Kalendertag grundsätzlich wie Arbeitszeit bezahlt.
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Eine Zeiterfassung erfolgt nicht. Die Monteure reichen bei der Beklagten Wochenmeldungen ein, aus denen sich nach den Vorgaben der Beklagten nicht ergibt, zu welchen Zeiten die Monteure morgens losgefahren sind bzw. beim Kunden die Arbeit aufgenommen haben bzw. wann sie ihren Tageseinsatz beendet haben. Vielmehr werden in den Wochenmeldungen zu Abrechnungszwecken grundsätzlich nur Arbeitstage, jeweilige Kunden-/Auftragsnummer und die aufgewendete Arbeitszeit (gerundet) erfasst.
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Bis zum 05. Dezember 2016 war dem Kläger kein fester Arbeitsort/-platz zugewiesen. Vielmehr fuhr er morgens von seiner eigenen Wohnung zum ersten Kunden bzw. zur ersten Aufzugsanlage der Beklagten los und abends vom letzten Kunden wieder nach Hause. Den Betrieb der Beklagten suchte der Kläger lediglich für organisatorische Tätigkeiten (z.B. Abgabe Wochenmeldungen) auf oder um seinen Betriebsratsaufgaben nachzugehen bzw. sich mit Ersatzteilen, Werkzeug etc. zu versorgen.
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Ab dem 05. Dezember 2016 wurde der Kläger angewiesen, seine tägliche Arbeit an einem festgelegten Sammelpunkt (S.-Straße Hamburg) aufzunehmen und zu beenden (Anlage B 20, Bl. 210 d.A.). Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Anweisung wirksam erfolgt ist.
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Am 15. Dezember 2016 wurde für den Betrieb der Beklagten in Hamburg durch Spruch der Einigungsstelle eine Teil-Regelung zur regelmäßigen Arbeitszeit beschlossen (vgl. Anlage A 3, Bl. 174 ff. d.A.). Gem. Ziff. 4.1. („Tatsächliche Arbeitszeit („Ist-Arbeitszeit“)“) dieser Regelung gilt Folgendes:
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„Für Monteure, die mit ihrem Dienstfahrzeug unter Mitführung ihrer Werkzeuge und Ersatzteile direkt von der Wohnung zur Anlage des Kunden fahren und von einer Anlage des Kunden direkt wieder zur Wohnung zurückkehren, beginnt die Arbeitszeit mit Abfahrt von der Wohnung. Die Arbeitszeit endet mit Beendigung der Fahrttätigkeit bei Erreichen der Wohnung des Mitarbeiters.
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Dies gilt nur, solange der Arbeitgeber keine wirksame Anordnung trifft, wonach die Arbeit im Betrieb (H.-Weg) oder ein einem anderen Ort aufzunehmen ist. Sofern der BMTV Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei dieser Entscheidung einräumt, sind diese zu beachten.“
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Der Kläger hat vorgetragen, dass seine tägliche Arbeitszeit bereits bei Fahrtantritt an seinem Wohnsitz beginnt bzw. dort erst bei Fahrtende endet. Die entsprechenden Fahrzeiten zum ersten Kunden bzw. vom letzten Kunden nach Hause seien keine Privatangelegenheit, sondern gehörten zu seinen Hauptleistungspflichten und seien daher als Überstunden zu vergüten. Der Kläger könne die von ihm geschuldeten Montagetätigkeiten nur außerhalb des Betriebs vor Ort bei den Kunden der Beklagten und damit an täglich wechselnden Einsatzorten erbringen. Dementsprechend seien für die Monate Dezember 2015 bis November 2015 insgesamt 278 Überstunden angefallen (vgl. die Monatsaufstellung Bl. 3 d.A. sowie Bl. 169 d.A.), die mit einem Stundensatz von € 35,20 zu vergüten seien. Weder seien die Regelungen des BMTV insoweit abschließend noch seien die Fahrzeiten bereits in den Vorgabezeiten der Beklagten für einzelne Aufträge berücksichtigt. Die nach seiner Rechtsauffassung noch abzurechnenden und gesondert zu vergütenden Fahrzeiten habe er im Einzelnen in seinen Wochenmeldungen mit dem Code „A1000“ für die Hinfahrten zum ersten Kunden und mit dem Code „B2000“ für die Rückfahrt vom letzten Kunden gegenüber der Beklagten angegeben. Die Verdienstabrechnungen für die jeweiligen Monate habe er seit Dezember 2015 innerhalb der Ausschlussfristen entsprechend beanstandet (vgl. Anlagenkonvolut A 2, Bl. 15 ff. d.A, für die Monate Dezember 2015 bis März 2016, sowie Anlagenkonvolut A 4, Bl. 179 ff. d.A., für die Monate Mai 2016 bis November 2016).
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Mit der am 02.08.2016 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Klage hat der Kläger beantragt:
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1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von € 9.785,60 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf
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€ 774,40 seit dem 1.1.2016, auf
€ 1.135,20 seit dem 1.2.2016, auf
€ 880,00 seit dem 1.3.2016, auf
€ 1.082,40 seit dem 1.4.2016, auf
€ 686,40 seit dem 1.5.2016, auf
€ 633,60 seit dem 1.6.2016, auf
€ 1.003,20 seit dem 1.7.2016, auf
€ 924,00 seit dem 1.8.2016, auf
€ 176,00 seit dem 1.9.2016, auf
€ 915,20 seit dem 1.10.2016, auf
€ 739,20 seit dem 1.11.2016, auf
€ 836,00 seit dem 1.12.2016.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Beginn der Arbeitszeit des Klägers auf die Abfahrt von der Wohnung zum ersten Kunden und deren Ende auf das Erreichen der Wohnung nach Besuch des letzten Kunden festzulegen, solange dem Kläger als Wartungsmonteur keine festen Arbeitsorte zugewiesen sind.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat vorgetragen, dass einem Anspruch auf Vergütung der Fahrzeiten des Klägers von seinem Wohnsitz zum ersten Kunden bzw. vom letzten Kunden zu seinem Wohnsitz als Arbeitszeit schon die Regelungen des BMTV entgegenstünden. Generell handele es sich dabei nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit, weil der Kläger während seiner Fahrten nicht den Anweisungen der Beklagten unterstehe und seine tägliche Tagestour selbst frei planen könne. Im Übrigen sei die Klagforderung unsubstantiiert, da der Kläger nur eine Gesamtsumme der in den einzelnen Monaten zurückgelegten Fahrzeiten vorgetragen habe. Die Beklagte könne weder Einfluss darauf nehmen noch sei für sie nachvollziehbar, welche Anlagen der Kläger an welchen Tagen in welcher Reihenfolge von wo aus aufgesucht habe, welche Strecken er dementsprechend an den einzelnen Tagen gefahren sei oder wie die Verkehrsverhältnisse gewesen seien. Unklar bleibe daher auch, ob unter Berücksichtigung der Entfernungskilometer von einer Nah- bzw. Fernmontage auszugehen sei. Die Beklagte könne die pauschal geltend gemachten An- und Abfahrtszeiten daher nur mit Nichtwissen bestreiten. Etwaige Überstunden wären schließlich allenfalls mit einem Stundenlohn von € 28,85 zu vergüten. Im Übrigen habe der Kläger die nach dem BMTV einschlägigen Ausschlussfristen aus unterschiedlichen Gründen nicht gewahrt. Hilfsweise rechne sie mit der für die Nahmontage gemäß BMTV gezahlten Nahauslösung auf. Der Feststellungsantrag zu 2.) sei im Übrigen bereits unzulässig.
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Mit Urteil vom 8. Februar 2017 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Klagforderung sei nicht hinreichend begründet, da es an einer hinreichenden Substantiierung der Klagforderung fehle. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil vom 8. Februar 2017 Bezug genommen (Bl. 256 ff d.A.).
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Das Urteil ist dem Kläger 27. Februar 2017 zugestellt worden. Hiergegen hat er am 21. März 2017 Berufung eingelegt. Die Berufung ist mit Schriftsatz vom 29. Mai 2017, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründet worden nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 29. Mai 2017.
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Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Es bestehe ein Feststellungsinteresse. Die Beklagte vertrete nach wie vor die Auffassung, dass der Beginn der Arbeitszeit mit Aufnahme der Arbeitstätigkeit an der ersten Anlage bzw. mit Erreichen des zugewiesenen Sammelpunktes beginne und an der letzten Anlage mit Beendigung der Tätigkeit ende. Außerdem fehle es an einer Zustimmung des Betriebsrats gem. § 4.4.4 des BMTV. Insoweit sei das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht entfallen, auch weil sich die Beklagte über die Regelungen der Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit hinwegsetze. Die Frage, ob die Anweisung des Sammelpunktes rechtmäßig erfolgt sei, hätte das Arbeitsgericht inzident prüfen müssen. Im Übrigen habe er ausreichend zu den Fahrzeiten vorgetragen. Minutengenaue Fahrzeiten seien nicht anzugeben, da der Kläger nach den Vorgaben des sog. FOD-Handbuchs Eintragungen für die inaktiven Phasen in Industriestunden und -minuten anzugeben habe und ¼-Stundensprüge zu erfolgen hätten (vgl. Anl A 5, Bl. 291 d.A). Außerdem habe er auf die Wochenmeldungen, die der Beklagten im Original – unstreitig – vorlägen, verwiesen, in denen er die Fahrzeiten angegeben habe (so beispielhaft die Wochenmeldungen vom Dezember 2015, Anl. A 6, Bl. 292 ff d.A.). Die Fahrzeiten seien der Beklagten somit bekannt gewesen. Sie hätte darlegen müssen, aus welchen Gründen sie diese Fahrzeiten als Arbeitszeiten ablehne. Im Hinblick auf die Einwendungen der Beklagten sei ferner zu fragen, ob diese innerhalb der 3-monatigen tariflichen Ausschlussfrist wirksam geltend gemacht worden seien. In rechtlicher Hinsicht sei festzustellen, dass der BMTV nicht regele, dass bei der sog. Nahmontage Fahrzeiten als Arbeitszeiten gewertet werden sollen. Für die Nahmontage sehe der BMTV den Montagezuschlag vor sowie die Nahauslösung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken solle. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolge hierdurch ausdrücklich nicht. Die Auslösung stelle nur eine Pauschale für den mit einer Auswärtstätigkeit verbundenen Mehraufwand, z.B. für Verpflegung und Getränke, dar. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger täglich wechselnde Montagestellen aufsuchen müsse, zu denen er auch nicht vom Arbeitgeber entsandt werde, sondern bei denen er frei im Rahmen seines monatlichen Arbeitspensums entscheiden könne, in welcher Reihenfolge er die wechselnden Montagestellen abarbeite. Dies seien üblicherweise auch mehrere Montagestelle täglich. Insoweit entspreche sein Arbeitseinsatz nicht dem des sog. Montagearbeiters gemäß § 2.2.1 des BMTV. Zudem führe er während der gesamten Fahrzeiten Werkzeuge und Ersatzteile mit sich. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts sei davon auszugehen, dass die Arbeitszeit des Klägers mit der Abfahrt von der Wohnung zum ersten Kunden beginne und nach Besuch des letzten Kunden bei Erreichen der Wohnung ende. Schließlich verbiete sich eine Aufrechnung der Nahauslösung mit Entgeltansprüchen des Klägers.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 08. Februar 2017, Geschäftszeichen 27 Ca 277/16, wie folgt zu erkennen:
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1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von € 9.785,60 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf
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€ 774,40 seit dem 1.1.2016, auf
€ 1.135,20 seit dem 1.2.2016, auf
€ 880,00 seit dem 1.3.2016, auf
€ 1.082,40 seit dem 1.4.2016, auf
€ 686,40 seit dem 1.5.2016, auf
€ 633,60 seit dem 1.6.2016, auf
€ 1.003,20 seit dem 1.7.2016, auf
€ 924,00 seit dem 1.8.2016, auf
€ 176,00 seit dem 1.9.2016, auf
€ 915,20 seit dem 1.10.2016, auf
€ 739,20 seit dem 1.11.2016, auf
€ 836,00 seit dem 1.12.2016.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Beginn der Arbeitszeit des Klägers auf die Abfahrt von der Wohnung zum ersten Kunden und deren Ende auf das Erreichen der Wohnung nach Besuch des letzten Kunden festzulegen, solange dem Kläger als Wartungsmonteur keine festen Arbeitsorte zugewiesen sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und trägt vor, der Feststellungsantrag sei zu Recht als unzulässig abgewiesen worden, der Zahlungsantrag zu Recht als unbegründet. Der Kläger habe nicht nur auf eingereichte Unterlagen Bezug nehmen können. Auch sei sein Vortrag nicht einlassungsfähig gewesen. Im Hinblick auf den BMTV sei festzustellen, dass bei der Nahauslösung die Montagestelle die maßgebliche Stelle sei, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet werde. In Fällen der Fernmontage hingegen gelte die An- und Abreise als Reisezeit, die zu vergüten sei. Der BMTV sei auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Montagestammarbeiter nur eine Montagestelle dauerhaft aufsuche (vgl. § 5.4 BMTV). Der für die Berechnung der Nahauslösung maßgebliche Ausgangspunkt sei mit Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 4.4 BMTV geregelt worden, nämlich in der Betriebsvereinbarung vom 8. Dezember 1981 (Anl. B 33, Bl. 354 f. d.A.). Hiervon sei die Beklagte zu keinem Zeitpunkt abgewichen. Außerdem sei nunmehr nach dem Spruch der Einigungsstelle vom 15.12.2016 in einer Betriebsvereinbarung geregelt, wann und wo die Arbeitszeit beginne und ende. Sie habe zudem u.a. den Kläger angewiesen, die Arbeit an einem Sammelpunkt aufzunehmen. Insoweit sei im Dezember 2016 die Entscheidung getroffen worden, dass die Monteure ihre Arbeitszeit in der Nähe des Einsatzortes beginnen und beenden sollen. So habe sie für die Monteure eine Planungssicherheit in Bezug auf die Wegezeiten geschaffen. Die Wahl des Wohnsitzes könne hiernach ausgerichtet werden. Als Sammelpunkt gewählt habe sie den Mittelpunkt aller zugeordneten Anlagen (Routenmittelpunkt), wobei sie nicht verlange, dass die Arbeit am Sammelpunkt tatsächlich aufgenommen und beendet werde. Daher werde der Kläger auch nicht gezwungen, einen Umweg zu seinen Tätigkeitsorten zu fahren. Der Sammelpunkt habe nichts mit dem Ausgangspunkt für die Nahauslöse zu tun. Dieser ergebe sich weiterhin aus der Betriebsvereinbarung vom 8.12.1981. Schließlich bewege sie sich mit der Anweisung in Bezug auf den Sammelpunkt im Rahmen der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Im Hinblick auf die Wochenmeldungen sei festzuhalten, dass es keine Regelung gebe, wonach der Kläger seinen zeitlichen Aufwand in Industriestunden oder -minuten oder Viertelstundensprüngen zu erfassen habe. Die Anlage A 5 sei veraltet. Es gebe ein neues Berichtswesen (Anl. B 36, Bl. 361 ff d.A.). Der Kläger komme seiner Darlegungslast in Bezug auf die behaupteten Fahrzeiten nur nach, wenn er genaue Zeitangaben mache. Das sei nicht erfolgt, auch nicht mit der Anlage A 6. Zudem mache der Kläger auch Fahrzeiten für Fahrten zum Betrieb der Beklagten geltend, wenn der Kläger Betriebsratstätigkeiten oder Büroarbeit erledigt habe. Warum auch solche Fahrzeiten zu vergüten seien, habe der Kläger nicht dargelegt. Schließlich sei sie berechtigt, hilfsweise mit der gezahlten Nahauslösung aufzurechnen, sollte dem Kläger ein Entgeltanspruch für die Fahrzeiten zustehen. Einem Entgelt für Fahrzeiten stünden jedoch die ausdrücklichen Regelungen im BMTV entgegen. Außerdem könne der Kläger allenfalls € 28,85 brutto pro Stunde verlangen, nicht jedoch den Prämienlohn. Im Übrigen seien die Ansprüche nicht innerhalb bestehender Ausschlussfristen geltend gemacht worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist zulässig, aber nicht begründet, denn die Klage ist nicht begründet.
1.
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Die Berufung der klagenden Partei ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 a ArbGG statthaft. Sie wurde im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6, ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet.
2.
- 54
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist jedenfalls insgesamt nicht begründet. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
a)
- 55
Ob der Klagantrag zu 2) unzulässig ist, weil es an einem Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO fehlt, kann dahinstehen. Denn der Feststellungsantrag ist jedenfalls unbegründet.
- 56
Das Feststellungsinteresse ist nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung (BAG, 7.11.1995, 3 AZR 959/94; 10. Dezember 1992, 8 AZR 134/92; vgl. auch BAG, 12.2.2003, 10 AZR 299/02; zit. nach juris). Für die Abweisung einer Feststellungsklage ist ein Feststellungsinteresse des Klägers jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn auch die in Betracht kommende Leistungsklage abzuweisen wäre. Ein Urteil, das eine Leistungsklage abweist, wirkt wie ein negatives Feststellungsurteil.
- 57
Vorliegend geht es dem Kläger mit dem Feststellungsantrag im Kern um die Vergütung der Fahrzeiten von seiner Wohnung zur ersten zu wartenden Anlage sowie von der letzten Anlage zurück zu seiner Wohnung als normale Arbeitszeit. Das ergibt, worauf bereits das Arbeitsgericht hingewiesen hat, die Auslegung des Feststellungsantrags. Da der insoweit geltend gemachte Anspruch nicht besteht und deshalb eine Leistungsklage unbegründet wäre, ist auch die Feststellungsklage als unbegründet abzuweisen. Auf das Vorliegen eines Feststellungsinteresses kommt es daher nicht an.
b)
- 58
Da dem Kläger kein Anspruch auf Vergütung der Fahrten von seiner Wohnung zur ersten zu wartenden (oder reparierenden) Anlage sowie von der letzten Anlage zurück zu seiner Wohnung wie normale Arbeitszeit zusteht, waren beide Anträge unbegründet und die Berufung des Klägers abzuweisen. Für die geltend gemachten Ansprüche fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.
aa)
- 59
Auf eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach die Fahrzeiten von der Wohnung zur ersten Anlage und zurück von der letzten Anlage zur Wohnung wie Arbeitszeit mit dem dafür vorgesehenen Stundenlohn (ggf. Prämienlohn) zu vergüten wären, hat sich der Kläger nicht berufen. Eine solche existiert unstreitig auch nicht. Die Fahrzeiten wurden auch bislang nicht wie Arbeitszeit bezahlt.
bb)
- 60
Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass auf ihr Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundesmontagetarifvertrag (BMTV) Anwendung findet. Somit hängt die Einordnung der streitgegenständlichen Fahrzeiten als Arbeitszeit und deren Vergütungspflicht davon ab, ob sie nach den tariflichen Bestimmungen Bestandteil der tariflichen Arbeitszeit und mit dem tariflichen bzw. vertraglichen Stundenlohn zu vergüten sind. Dabei ergibt die Auslegung des anwendbaren Bundesmontagetarifvertrags, dass vorliegend die Fahrzeiten zur (ersten) Anlage und zurück von der letzten Anlage nicht zur tariflichen Arbeitszeit zählen, jedenfalls nicht mit dem tariflichen bzw. vertraglichen Entgelt zu vergüten sind.
- 61
aaa)
- 62
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr. BAG, vgl. 26.10.2016, 5 AZR 226/16; 29.6.2016, 5 AZR 696/15; zit. nach juris).
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bbb)
- 64
Danach zeigt sich, dass die Fahrzeiten von der Wohnung des Klägers zur (ersten) Anlage und zurück von der letzten Anlage wieder zur Wohnung nicht zur tariflichen Arbeitszeit zählen, jedenfalls nicht mit dem tariflichen bzw. vertraglichen Entgelt zu vergüten sind. Insoweit hat er ausschließlich Anspruch auf die Nahauslösung des BMTV (§ 5).
i)
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Fahrzeiten von der Betriebsstätte zur auswärtigen Arbeitsstelle sind schon nicht Bestandteil der tariflichen Arbeitszeit.
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Eine ausdrückliche Bestimmung hierzu enthält der BMTV nicht. Doch wird aus den verschiedenen Regelungen deutlich, dass der BMTV Fahrzeiten wie die streitgegenständlichen nicht zur tariflichen Arbeitszeit zählt:
- 67
Zunächst ist festzustellen, dass der BMTV zwischen Nah- und Fernmontage unterscheidet, wobei der Kläger unter die Nahmontage fällt, da ihm die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt (gemäß Ziff. 3 der Betriebsvereinbarung vom 8.12.1981 (Anl. B 33) i.V.m. § 4.4.1 BMTV seine Wohnung) zumutbar ist. Das ist nämlich der Fall, wenn die Entfernung zwischen Ausgangspunkt und Montagestelle 80 km nicht übersteigt. Das trifft auf die Fahrwege des Klägers zu.
- 68
Für die Nahmontage sieht der BMTV eine Nahauslösung vor, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeitern im Nahbereich abdecken soll (§ 5.1, 1. Abs. BMTV). Ferner ist die Montagestelle die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt (§ 5.1, 2. Abs. BMTV). Nach Ziff. 5.2.1 BMTV ist zur Ermittlung der Nahauslösung die gemäß § 4.3 zu berechnende Entfernung nur insoweit zu berücksichtigen, als sie außerhalb der Arbeitszeit des Montagestammarbeiters zurückgelegt wird. D.h., der Anspruch auf Nahauslösung setzt voraus, dass an der Montagestelle die Berechnung der Arbeitszeit beginnt. Der Umkehrschluss zeigt, dass die Fahrt dorthin nicht zur Arbeitszeit zählt. Gleiches gilt sodann vice versa für die Rückfahrt. Mit dieser Regelung bringt der Tarifvertrag zum Ausdruck, dass An- und Rückfahrt vom Ausgangspunkt (im Fall des Klägers seine Wohnung) zur bzw. von der auswärtigen Arbeitsstelle nicht zur tariflichen Arbeitszeit zählen. Anderenfalls würde der Anspruch auf Auslösung stets eine Überschreitung der betriebsüblichen täglichen Arbeitszeit voraussetzen. Außerdem zeigt diese Regelung, dass dem Arbeitgeber für die auswärtige Montagestelle die volle, nicht durch An- und Abfahrt geschmälerte betriebsübliche tägliche Arbeitszeit zur Verfügung stehen soll, ohne dass er mitbestimmungspflichtige und ggf. zuschlagspflichtige Überstunden gewärtigen muss (vgl. BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; zit. nach juris).
ii)
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Aber auch unabhängig von der Frage, ob die streitgegenständlichen Fahrzeiten (tarifliche) Arbeitszeit darstellen, besteht kein Anspruch auf die übliche tarifliche/vertragliche Vergütung dieser Fahrzeiten. Dies folgt aus den detaillierten tariflichen Bestimmungen zur „Entlohnung“ der Fahrzeiten mit der Nahauslösung.
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Im Einzelnen:
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Unerheblich für das Ob und Wie der Vergütung der streitgegenständlichen Fahrzeiten ist es, ob die Fahrzeiten im Fall des Klägers arbeitszeitschutzrechtlich der Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz zugerechnet werden. Denn die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit im Sinne des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts führt nicht zwingend zu einer Vergütungspflicht, wie umgekehrt die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit nicht die Vergütungspflicht ausschließen muss (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; 16.5.2012, 5 AZR 347/11; 20.4.2011, 5 AZR 200/10; zit. nach juris).
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Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; 20.4.2011, 5 AZR 200/10; zit. nach juris). Dazu zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise von deren Erbringung unmittelbar zusammenhängt (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; 19.9.2012, 5 AZR 678/11; zit. nach juris). Zu den im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB„versprochenen Diensten“ kann auch das vom Arbeitgeber angeordnete Fahren von der Wohnung zu einer auswärtigen Arbeitsstelle gehören (BAG, 22.4.2009, 5 AZR 292/08; EuGH, 10.9.2015, C-266/14; zit. nach juris). So jedenfalls dann, wenn eine An- und Abreise zu einem Kunden auf Anordnung des Arbeitgebers erfolgt und der Arbeitnehmer bei der An- und Abreise selbst tätig werden muss (BAG, 22.4.2009, 5 AZR 292/08; zit. nach juris). Derartige Fahrten sind eine primär fremdnützige, den betrieblichen Belangen des Arbeitgebers dienende Tätigkeit und damit „Arbeit“ (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; zit. nach juris). Durch das Anordnen solcher Fahrten macht der Arbeitgeber diese zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung.
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Mit der Einordnung der Fahrzeiten als Teil der im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB„versprochenen Dienste“ ist aber noch nicht geklärt, wie sie zu vergüten sind. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrzeiten vom Betrieb zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; 19.9.2012, 5 AZR 678/11; zit. nach juris). Eine solche gesonderte Vergütungsregelung enthält im Streitfall der BMTV.
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Schon der Umstand, dass die tariflichen Vorschriften die Fahrzeiten zur Nahmontagestelle nicht ausdrücklich der tariflichen Arbeitszeit zuordnen (siehe oben), spricht dafür, dass diese nicht mit dem „normalen“ Stundenlohn entgolten werden sollen. Vielmehr enthält der BMTV in § 5 („Nahmontage für Montagestammarbeiter) eine eigenständige und abschließende Regelung für die„Entlohnung“ des mit der Arbeit an auswärtigen Arbeitsstellen verbundenen (Zeit-)Aufwands. Zusätzlich ist in § 4.5 BMTV vorgesehen, dass für angeordnete Fahrten Fahrgeld erstattet wird.
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Des Weiteren sieht § 5 BMTV für die Nahmontage eine nach Entfernung zur auswärtigen Arbeitsstelle gestaffelte, vom tatsächlichen Aufwand und steuerrechtlichen Pauschalbeträgen losgelöste Auslösung vor (§ 5.2.2, § 5.2.3 BMTV). Die Höhe der Nahauslösungen ist im Tarifvertrag für Auslösungssätze und Fahrtkosten geregelt (§ 5.2.3, 1. Abs. BMTV). Montagestammarbeiter, die auf Anordnung des Arbeitgebers ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenken, erhalten für die Lenkzeiten eine um 25% höhere Nahauslösung (§ 5.2.3, 3. Abs. BMTV). Im Gegensatz hierzu werden innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit zurückgelegte Reisewege wie Arbeitszeit bezahlt (§ 5.3 BMTV). Dass zusätzlich zu diesen Leistungen die Fahrzeit zur auswärtigen Arbeitsstelle (und zurück) mit dem „normalen“ Stundenlohn vergütet werden soll, ist nicht geregelt.
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Auch aus dem Begriff „Auslösung“ folgt nichts anderes. Mit dem Begriff „Auslösung“ wird zwar gemeinhin ein pauschalierter Aufwendungsersatz bezeichnet, der Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten abdecken soll (BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; zit. nach juris; vgl. auch ErfK/Preis 17. Aufl. § 611 BGB Rn. 517). Die „Auslösung“ bei täglicher An- und Rückreise zur bzw. von der Montagestelle hat jedoch vorliegend - zumindest auch - Entgeltcharakter: Fahrgeld wird – wie dargelegt – gesondert erstattet, Übernachtungskosten fallen bei täglicher Heimfahrt nicht an und höhere Verpflegungskosten als bei einer Arbeit im Betrieb müssen nicht zwingend entstehen. Zudem bemisst sich die Höhe der „Auslösung“ bei täglicher Hin- und Rückfahrt nach der Entfernung, wobei sie mit steigender Entfernung zunimmt. Bei einer solchen Ausgestaltung hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft, wenn neben den in § 5 BMTV (und § 4.5 BMTV) vorgesehenen Leistungen für die Arbeit auf auswärtigen Arbeitsstellen zusätzlich die Fahrzeit mit dem normalen Stundenlohn vergütet werden soll.
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Das belegt auch die Differenzierung zur Fernmontage: hier wird die Reisezeit wie Arbeitszeit vergütet (§ 6 BMTV). Ebenso die Bestimmung, dass innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit des Nahmontagestammarbeiters zurückgelegte Reisewege wie Arbeitszeit bezahlt werden. Aus diesen Bestimmungen folgt im Umkehrschluss, dass andere Reisezeiten und damit auch die streitgegenständlichen Fahrzeiten nicht mit dem normalen Stundenlohn zu vergüten sind (vgl. auch BAG, 12.12.2012, 5 AZR 355/12; zit. nach juris).
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Insgesamt zeigen die vorgenannten Regelungen aus ihrem Gesamtzusammenhang, dass die Nahauslösung (jedenfalls auch) eine Wegezeitvergütung für die Fahrten zur Montagestelle und zurück, im Fall des Klägers für die Fahrten zur ersten Anlage und von der letzten zurück zu seiner Wohnung, darstellt. Hiermit soll die zusätzliche Wegezeit entlohnt werden, die dem Arbeitnehmer dadurch entsteht, dass er nicht am Betriebssitz arbeiten kann, sondern an – wechselnden – Außenstellen tätig wird. Ebenso zeigen die Regelungen im BMTV, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, dass die Arbeitszeit an der Montagestelle beginnt und endet (beim Kläger an der ersten bzw. letzten Anlage). Vor allem die Umstände, dass die Nahauslösung mit steigender Kilometerzahl zunimmt und dass die Lenkzeiten für Mitarbeiter, die bei der An- und Rückfahrt auf Anordnung des Arbeitgebers ein werkseitig gestelltes Fahrzeug lenken, mit einer 25%ig höheren Nahauslösung vergütet werden, belegen, dass mit der Nahauslösung die zusätzliche Wegezeit, d.h. der zusätzliche Aufwand des Montagestammarbeiters, der seinen Wohnsitz aufgrund der wechselnden Arbeitsstätten nicht betriebsnah wählen kann, vergütet werden soll (vgl. auch BAG, 30.9.1987, 4 AZR 229/87; zit. nach juris). Dass etwa auch ein Verpflegungsmehraufwand mit der Nahauslösung gezahlt werden soll, ergibt sich aus den tariflichen Regelungen nicht, wäre im Übrigen aber auch unschädlich. Die Regelungen zeigen jedenfalls deutlich, dass über die Nahauslösung hinaus eine Vergütung für die streitgegenständlichen Fahrzeiten nicht erfolgen soll, da es sich um abschließende, weitere Vergütungsansprüche ausschließende Bestimmungen handelt. Das folgt schließlich auch aus § 5.1, 1. Abs., 2. Satz BMTV: „Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht“, wobei sich aus dem Zusammenhang mit den weiteren, bereits dargestellten Bestimmungen ergibt, dass mit „Vergütung“ die übliche tarifliche oder vertragliche Vergütung gemeint ist. Denn eine Vergütung dieser Zeiten im weiteren Sinne erfolgt – wie dargelegt – mit der Nahauslösung.
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ccc)
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Soweit der Kläger einwendet, der BMTV passe nicht auf seine Tätigkeit, daher seien dessen Regelungen auf seine Tätigkeit nicht anwendbar, kann dem nicht zugestimmt werden.
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Zum einen haben sich die Parteien vertraglich auf die Anwendung des BMTV verständigt.
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Zum anderen fügt sich die Tätigkeit des Klägers ein in das System des BMTV. In § 5.4 BMTV ist nämlich bestimmt, dass für Montageeinsätze mit täglich wechselnder Entfernung abweichende Regelungen durch Betriebsvereinbarung getroffen werden können. Das zeigt, dass der BMTV auch täglich wechselnde auswärtige Arbeitsstätten umfasst, was beim Kläger der Fall ist. Dass der Kläger darüber hinaus mehrere tägliche Arbeitsstätten anzufahren hat, ist unschädlich. Es geht nur um die Frage der Vergütung der Anfahrt zur ersten Stätte und der Rückfahrt von der letzten Arbeitsstätte. Insoweit unterscheidet sich der Fahrweg des Klägers nicht von dem des Montagestammarbeiters, der ebenfalls täglich wechselnde Arbeitsstätten anzufahren und somit täglich unterschiedliche Fahrstrecken zu bewältigen hat.
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cc)
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Ob der Kläger seiner Darlegungslast im Hinblick auf die streitgegenständlichen Fahrzeiten nachgekommen ist, kann nach alldem dahinstehen.
II.
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Die Kosten der Berufung trägt die klagende Partei (§ 97 ZPO). Die Revision war zuzulassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).
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Annotations
(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
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eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.