Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 24. Juni 2015 - 4 K 1372/13 Z

Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin war Inhaberin eines Zolllagers. In den Jahren 2006-2012 überführte sie im eigenen Namen dort eingelagerte Waren ihrer Tochterunternehmen in den zollrechtlich freien Verkehr. Hierbei handelte es sich um Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und in Vietnam des Lieferanten A Ltd. (im Folgenden: A) und des Herstellers B Ltd. (im Folgenden: B). Der Beklagte setzte mit Einfuhrabgabenbescheiden Antidumpingzoll nach der Verordnung (EG) Nr. 1472/2006 (VO Nr. 1472/2006) des Rates vom 5. Oktober 2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam (ABl. EU Nr. L 275/1) gegen die Klägerin fest.
3Mit Schreiben vom 6. Juli 2010, beim Beklagten eingegangen am 22. Juli 2010, beantragte die Klägerin, die mit den vorgenannten Einfuhrabgabenbescheiden festgesetzten Antidumpingzölle für den Zeitraum von Juni 2007 bis Juni 2010 zu erstatten. Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 erweiterte sie diesen Antrag bis zum Monat Dezember 2010 und mit Schreiben vom 7. Mai 2012 seit dem Jahr 2006 an. Zur Begründung verwies sie auf die seit Ende des Jahres 2006 zunächst beim Gericht der Europäischen Union (EuG), später beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängigen Verfahren in den Rechtssachen C-247/10 P und C-249/10 P.
4Der EuGH erklärte mit Urteil vom 2. Februar 2012 Rs. C-249/10 P die VO Nr. 1472/2006 für nichtig, soweit sie unter anderem die Unternehmen A und B betraf.
5Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung unter dem 17. Oktober 2012 für die Zolllagerabgänge im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 21. Juli 2007 ab. Hierbei handelte es sich um einen Gesamtbetrag von 839.316,19 €. Eine Erstattung komme wegen Ablaufs der Frist von drei Jahren nach Art. 236 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 nicht mehr in Betracht.
6Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein und trug vor: Die Frist des Art. 236 Abs. 2 ZK von drei Jahren gelte nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Ausführer eine Antidumpingzollverordnung unmittelbar vor dem EuGH angefochten habe. In diesem Fall sei die Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung sowie auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Antidumpingzölle auf Ausfuhren des Unternehmens B gerichtet gewesen. Unerheblich sei dabei, dass die Antidumpingzölle durch die Einführer gezahlt worden seien. Auch ihnen komme die Rückwirkung des Urteils sowie effektiver Rechtsschutz zugute. Jedenfalls sei die Frist für die Einführer gehemmt gewesen. Darüber hinaus mache sie einen Anspruch auf 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz geltend, welcher sich aus dem Unionsrecht ergebe.
7Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 28. März 2013 als unbegründet zurück. Die Frist des Art. 236 Abs. 2 ZK sei für alle Vorgänge vor dem 22. Juli 2007 bereits abgelaufen gewesen. Auch eine Verlängerung der Frist komme nicht in Betracht, da es sich nach der Rechtsprechung des EuGH bei seinen Urteilen weder um ein unvorhersehbares Ereignis noch um höhere Gewalt handele. Dementsprechend komme auch kein Zinsanspruch in Betracht.
8Mit ihrer Klage wiederholt und vertieft die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass sich die Pflicht zur Rückzahlung der Antidumpingzölle als Folgenbeseitigungsanspruch unmittelbar und ohne die Notwendigkeit der Durchführung eines Verfahrens auf nationaler Ebene aus dem Urteil des EuGH selbst i.V.m. Art. 266 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.V.m. Art. 19 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) ergebe. Das gelte im Unterschied zum Vorabentscheidungsverfahren gerade für die Nichtigkeitsklage, welche durch die Ausführer auch im Interesse der Einführer erhoben worden sei. Andernfalls käme es zu einer Häufung von Verfahren mit der Folge fehlender Verfahrensökonomie und der Diskriminierung der eigentlich Privilegierten. Hinsichtlich dieser Fragestellung rege sie an, das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
9Die Klägerin beantragt,
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1. den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 17. Oktober 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. März 2013 zu verpflichten, ihr einen Betrag von 839.316,19 € Antidumpingzoll für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 21. Juli 2007 zu erstatten;
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2. den Beklagten zu verpflichten, Zinsen auf die zu erstattenden Beträge in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt der Zahlung der festgesetzten Antidumpingzölle zu zahlen;
3. hilfsweise die Revision zuzulassen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er trägt ergänzend vor, Art. 266 AEUV selbst komme nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht, sondern sei durch spezielle Anspruchsgrundlagen auszufüllen. Art. 236 Abs. 2 ZK fülle insofern als sekundärrechtliche Anspruchsgrundlage das Primärrecht aus. Die Frist sei dabei Ausfluss des Grundsatzes der Rechtssicherheit, den der EuGH bereits mehrfach bestätigt habe. Unterschiede infolge der Ungültig- oder Nichtigerklärung einer Verordnung seien gerade nicht anzunehmen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
19Die Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 17. Oktober 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. März 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Ihr steht kein Anspruch auf Erstattung von Antidumpingzöllen für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 21. Juli 2007 über 839.316,19 € zu.
20Anders als die Klägerin meint, kommt als einzige Anspruchsgrundlage für eine Erstattung nur Art. 236 ZK in Betracht. Aus dem Unionsrecht ergibt sich kein vorrangiger Erstattungsanspruch.
21Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Mitgliedstaat grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten. Dies stellt eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Fehlt in diesen Fällen eine unionsrechtliche Regelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener inländischer Abgaben, dann ist es nach der Rechtsprechung des EuGH Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010, Direct Parel Distribution Belgium, Rs. C-264/08, Slg. 2010, I-731, Randnr. 45 f.). Aber auch bei den Abgaben, die - wie die Zölle - für Rechnung der Union von den Mitgliedstaaten erhoben werden, fallen Streitigkeiten über die Erstattung der erhobenen Beträge in die Zuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte und sind von diesen nach ihrem innerstaatlichen formellen und materiellen Recht zu entscheiden. Das gilt allerdings nur, soweit das Unionsrecht auf diesem Gebiet nichts anderes bestimmt (EuGH, Urteil vom 12. Juni 1980, Express Dairy Food Limited, Rs. C-130/79, Slg. 1980, 1887). Der allgemeine unionsrechtliche Erstattungsanspruch gilt daher nur mangels anderweitiger spezieller Regelungen des Unionsrechts (EuGH, Urteile vom 28. Januar 2010, Direct Parel Distribution Belgium, Rs. C-264/08, Slg. 2010, I-731, Randnr. 46; vom 14. Juni 2012, CIVAD, Rs. C-533/10, ZfZ 2012, 185).
22Im vorliegenden Fall ist auf unionsrechtlicher Ebene eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, nämlich in Art. 236 ZK, für die Erstattung von gesetzlich nicht geschuldeten Einfuhrabgabenbeträgen einschlägig. Eine weitere, speziellere Anspruchsgrundlage des Unionsrechts ist demgegenüber nicht gegeben. Insbesondere gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die VO Nr. 1472/2006 nicht in einem Vorabentscheidungsverfahren für ungültig, sondern in einem Verfahren nach Art. 263 Abs. 4 AEUV für nichtig erklärt worden ist, die Klägerin im maßgebenden Zeitraum Einführerin von Waren der in diesem Verfahren klagenden Hersteller und Lieferanten war sowie im Fall der Klägerin die Antragsfrist des Art. 236 Abs. 2 ZK bereits abgelaufen war.
23Aus dem Urteil des EuGH vom 2. Februar 2012 Rs. C-249/10 P selbst ergeben sich über die Nichtigkeitserklärung der VO Nr. 1472/2006 nach Art. 264 Abs. 1 AEUV hinaus keine unmittelbaren Erstattungsansprüche der Klägerin (vgl. Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 263 Randnr. 3). Denn der Tenor des Urteils des EuGH vom 2. Februar 2012 Rs. C-249/10 P ist ausdrücklich nur dahingehend gefasst, dass die VO Nr. 1472/2006 bezüglich bestimmter Hersteller und Lieferanten für nichtig erklärt worden ist.
24Auch in Verbindung mit Art. 266 Abs. 1 AEUV begründet das vorgenannte Urteil keinen speziellen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten. Art. 266 AEUV begründet nur Rechte und Pflichten für die Beteiligten des konkreten Gerichtsverfahrens (Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 266 Randnr. 25 f.). Die darin geregelte Pflicht zur Folgenbeseitigung richtet sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur an die Unionsorgane, welchen das für nichtig erklärte Verhalten zur Last fällt, welche also Beklagte des jeweiligen Rechtsstreits sind. Dementsprechend kann auch ein unmittelbar hierauf gestützter Anspruch auf Folgenbeseitigung nur gegenüber denjenigen Unionsorganen geltend gemacht werden, welche wiederum Beklagte eines gegebenenfalls folgenden Nichtigkeits- oder Untätigkeitsverfahrens sein können (Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, Art. 266 Randnr. 3 ff., 12 f.). Als solche kommen die nationalen Finanzverwaltungen, so auch der Beklagte, nicht in Betracht, auch wenn sie das Unionsrecht vollziehen. Die Klägerin wäre zudem weder klagebefugt noch materiell antragsberechtigt gewesen. In diesem Zusammenhang bestehen keine Unterschiede zum Vorabentscheidungsverfahren. Denn auf dieses wird Art. 266 AEUV entsprechend angewendet mit der Folge, dass damit die eigentlich nicht am Verfahren beteiligten Organe der Union verpflichtet werden können (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008, Société Régie Networks, Rs. C-333/07, Slg. 2008, I-10807 Randnr. 124).
25Anders als die Klägerin meint, stellt dieses Ergebnis keine Beeinträchtigung der unionsrechtlichen Grundsätze des effektiven Rechtsschutzes und der Verfahrensökonomie nach Art. 6 EUV i.V.m. Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte dar. Denn der Klägerin stand der Weg eines Antrags nach Art. 236 ZK offen. Dieses Verfahren muss auch nicht zwingend in einem Klageverfahren mit Vorabentscheidungsersuchen und damit verbundener doppelter Befassung des EuGH mit der jeweiligen Verordnung enden. Vielmehr steht der Einführer der Ware in stets engem Kontakt zu den Herstellern und Lieferanten, die eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV erheben können. Wird diese, wie vorliegend, kurze Zeit nach Inkrafttreten der Verordnung erhoben, kann der Einführer noch über einen Zeitraum von fast drei Jahren einen Antrag nach Art. 236 ZK mit Verweis auf dieses Verfahren stellen mit der Folge, dass die Zollverwaltung das Antrags- oder Rechtsbehelfsverfahren zum Ruhen bringen und auf die Entscheidung des EuGH warten kann. So hat auch der Beklagte im vorliegenden Fall über den Erstattungsantrag erst nach dem Ergehen des Urteils des EuGH vom 2. Februar 2012 Rs. C-249/10 P entschieden. Selbst wenn das außergerichtliche Verfahren im Einzelfall in einem Klageverfahren mit Vorabentscheidungsersuchen enden sollte, weil die Zollverwaltung das Verfahren weiter betreibt, widerspricht dies nicht den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes und der Verfahrensökonomie. Zunächst kann auch das nationale Gericht das Verfahren im Hinblick auf das bereits anhängige Verfahren aussetzen. Im Übrigen ist diese etwaige Parallelität der Verfahren Ausfluss des in Art. 263 Abs. 4 AEUV auf Unionsebene ausdrücklich nur begrenzt vorgesehenen Individualrechtsschutzes.
26Auch aus der Loyalitätspflicht und dem Effektivitätsgrundsatz des Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt sich nichts anderes. Art. 236 ZK stellt gerade die Erstattung von gesetzlich nicht geschuldeten Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben sicher. Verjährungsfristen sind nach der Rechtsprechung des EuGH vor diesem Hintergrund zulässig. Der Gerichtshof hat die Vereinbarkeit einer nationalen Verfahrensvorschrift, mit der eine angemessene Frist festgesetzt wird, innerhalb deren ein Wirtschaftsbeteiligter verpflichtet ist, bei Meidung der Verjährung die Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe zu verlangen, mit dem Unionsrecht anerkannt. Eine solche Verjährungsfrist ist nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 17. November 1998, Aprile, Rs. C-228/96, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 19; vom 24. März 2009, Danske Slagterier, Rs. C-445/06, Slg. 2009, I-2119, Randnr. 32 sowie vom 15. April 2010, Barth, Rs. C-542/08, Slg. 2010, I-3189, Randnr. 28). Diese Grundsätze wendet der EuGH auch im Fall des Art. 236 Abs. 2 ZK an, wenn sich der Unionsgesetzgeber ausnahmsweise entscheidet, die Verfahrensmodalitäten, die für Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben gelten, zu harmonisieren. Eine angemessene Ausschlussfrist liegt unabhängig davon, ob sie durch das nationale Recht oder das Unionsrecht vorgeschrieben wird, im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Bürger und die betreffende Verwaltung schützen, und hindert gleichwohl den Bürger nicht daran, die durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte auszuüben (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012, CIVAD, Rs. C-533/10, Randnr. 22 f.). Auch in den Fällen, in denen die Hersteller und/oder Lieferanten gegen eine Antidumpinzollverordnung zunächst keine Klage erheben oder sich das Klageverfahren - wie vorliegend - über die dreijährige Antragsfrist hinaus erstreckt, ist es dem Einführer unbenommen, zum Schutz seiner eigenen Rechte innerhalb von drei Jahren einen Antrag nach Art. 236 ZK zu stellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gerichtshof im vorgenannten Urteil in der Rechtssache CIVID zwischen den möglichen Verfahren der Nichtigkeitsklage und des Vorabentscheidungsersuchens unterscheiden wollte. Vielmehr sind seine Ausführungen allgemein gehalten und beziehen sich lediglich auf die „Rechtswidrigkeit“ einer Verordnung.
27Schließlich führen die von der Klägerin zitierten Urteile des EuGH zu keinem anderen Ergebnis, da der EuGH gerade die Voraussetzungen des Art. 236 ZK geprüft und nicht zu einem ungeschriebenen speziellen Folgenbeseitigungsanspruch gelangt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010, Direct Parcel Distribution Belgium, Rs. C-264/08, Slg. 2010, I-731, Randnr. 44 f.). Ferner sagt die Frage der Begrenzung der zeitlichen Wirkung eines Urteils nichts über die Anspruchsgrundlage für einen Erstattungsanspruch nebst etwaigen Fristen aus (vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2012, Zhejiang, Rs. C-247/10 P, Randnr. 39-41).
28Nach Art. 236 ZK steht der Klägerin kein Erstattungsanspruch zu, da im vorliegenden Fall die Frist von drei Jahren des Art. 236 Abs. 2 UAbs. 1 ZK bei Antragstellung frühestens am 22. Juli 2010 für die Vorgänge in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 21.Juli 2007 - unstreitig - bereits abgelaufen war.
29Eine Verlängerung der Frist nach Art. 236 Abs. 2 UAbs. 2 ZK kommt nicht in Betracht. Hiernach wird die Frist verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.
30Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf höhere Gewalt berufen. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Art. 236 ZK als Ausnahmevorschrift und damit auch der Begriff der höheren Gewalt eng auszulegen. Im Kontext der Zollregelung sind unter höherer Gewalt grundsätzlich ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Der Begriff der höheren Gewalt erfasst demgemäß ein objektives Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, und ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Was das objektive Merkmal angeht, kann die Rechtswidrigkeit einer Antidumpingverordnung nicht als ungewöhnlicher Umstand betrachtet werden. Die Union ist eine Rechtsunion, in der ihre Organe, Institutionen und Einrichtungen der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob ihre Handlungen insbesondere mit dem EUV und dem AEUV vereinbar sind. Es liegt in der Natur der Sache des Rechts der Union, dass bestimmte Normen für nichtig erklärt werden können. Was das subjektive Merkmal angeht, kommt es darauf an, ob der Betroffene bei der ersten Entrichtung der Antidumpingzölle einen Erstattungsantrag zu dem Zweck hätte stellen können, insbesondere die Gültigkeit dieser Verordnung anzufechten (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012, CIVAD, Rs. C-533/10, Randnr. 24 ff.).
31Diese Rechtsprechung ist auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem eine Verordnung im Verfahren nach Art. 263 Abs. 4 AEUV für nichtig erklärt worden ist. Denn der EuGH hat in seinem vorgenannten Urteil undifferenziert lediglich auf die „Rechtswidrigkeit“ einer Verordnung abgestellt. Im Übrigen befindet sich die Klägerin in einer mit der dortigen Klägerin vergleichbaren Situation, da auch sie selbst die Möglichkeit hatte, fristgerecht einen Erstattungsantrag zu stellen und in einem gegebenenfalls nachfolgenden Gerichtsverfahren gegen die Antidumpingzollverordnung vorzugehen. Das angerufene Gericht hätte nämlich den EuGH auch im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zur Frage der Gültigkeit der VO Nr. 1472/2006 befragen können.
32Die Klägerin war auch nicht infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses daran gehindert, ihren Erstattungsantrag fristgerecht zu stellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das unvorhersehbare Ereignis ein Unterfall der höheren Gewalt (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012, CIVAD, Rs. C-533/10, Randnr. 27). Dementsprechend muss auch in diesem Fall ein objektives Merkmal, der unvorhersehbare, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstand, sowie ein subjektives Merkmal verbunden mit der Verpflichtung des Betroffenen, sich gegen die Folgen unvorhersehbarer Ereignisse zu wappnen, gegeben sein. Ungeachtet dessen, ob die Rechtswidrigkeit einer Verordnung objektiv vorhersehbar ist oder nicht, lag jedenfalls im Streitfall in subjektiver Hinsicht eine Vorhersehbarkeit vor. Denn der Klägerin hätte aufgrund der engen Verbindung mit ihren Herstellern und Lieferanten schon seit der Erhebung der Nichtigkeitsklage bekannt sein können und müssen, dass die VO Nr. 1472/2006 gegebenenfalls nichtig gewesen sein könnte. Die Erhebung der Klage vor dem EuG in der Rechtssache T-401/06 am 28. Dezember 2006 ist im Amtsblatt der Europäischen Union (Nr. C 42/34 vom 24. Februar 2007) bekannt gegeben worden. Daher hätte die Klägerin geeignete Vorkehrungen treffen können und müssen. Insbesondere hätte sie spätestens nach der Bekanntgabe der Klageerhebung in der Rechtssache T-401/06 noch innerhalb der Frist des Art. 236 Abs. 2 UAbs. 2 ZK einen Erstattungsantrag stellen können.
33Da der Klageantrag zu 1) keinen Erfolg hat, ist auch über den Klageantrag zu 2) nicht mehr zu entscheiden.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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Soweit die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.