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Das Klageverfahren war auszusetzen (§ 74 Finanzgerichtsordnung -FGO-) und die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen (Art. 234 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 EGVtr in der Fassung von Amsterdam/Nizza), weil es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits darauf ankommt, ob Art. 57 Abs. 1 EGVtr so auszulegen ist, dass es sich bei § 8a KStG in der für das Streitjahr 1995 anwendbaren Fassung um eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen handelt, die am 31. Dezember 1993 bereits bestand, und ob Art. 56 Abs. 1 EGVtr so auszulegen ist, dass er eine Regelung wie § 8a KStG in der damaligen Fassung verbietet, weil sie den Kapitalverkehr zwischen dem EU-Mitgliedsland Deutschland und dem Drittland Schweiz beschränkt hat, ohne dass dies gerechtfertigt gewesen wäre (Art. 58 EGVtr).
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1. Die Beteiligten streiten über die Anwendung von § 8a KStG a.F. auf Zinsen, die die im Inland ansässige Klägerin im Lauf des Jahres 1995 an ihre Gesellschafterin, die in der Schweiz ansässige L-AG gezahlt hat. Die Darlehnsgeberin L-AG hat das Darlehn aufgrund des mit Datum vom 5. Januar 1995 abgeschlossenen Vertrags gewährt und am 10. Januar 1995 im vereinbarten Gesamtbetrag von 700.000 DM an die Klägerin ausgezahlt. Die Klägerin hat einen Teil des Darlehns in Höhe von 87.867,36 DM im Streitjahr getilgt, so dass sie am 31.12.1995 noch 612.132,64 DM schuldete.
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Die Beteiligten stimmen darin überein, dass § 8a KStG a.F. seinem Inhalt nach die steuerliche Behandlung der fraglichen Zinsen regelt, weil es sich bei dem Darlehn der L-AG um Fremdkapital handelt, das die Klägerin als unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft von ihrer Gesellschafterin erhalten hat, die nicht zur Anrechnung von KSt berechtigt war und im ganzen Wirtschaftsjahr 1995 wesentlich am Stammkapital der Klägerin beteiligt war (§ 8 a Abs. 1 Satz 1 KStG a.F.). Die Klägerin beruft sich jedoch darauf, dass § 8 a KStG a.F. nicht angewendet werden dürfe, weil damit der Kapitalverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz EU-rechtlich unzulässig beschränkt werde (Art. 56 Abs. 1 EGVtr). Das FA macht demgegenüber geltend, eine etwaige Beschränkung sei EU-rechtlich zulässig, weil sie am 31. Dezember 1993 bereits bestanden habe (Art. 57 Abs. 1 EGVtr). Im Falle der Anwendung von § 8 a KStG a.F. ist ferner umstritten, ob für die Höhe des anteiligen Eigenkapitals der L-AG an der Klägerin (die für die Berechnung des "schädlichen" Teils der gezahlten Zinsen maßgebend ist, § 8 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG a.F.) auf die Höhe zum 31.12.1994 abzustellen ist (§ 8 a Abs. 2 Satz 1 KStG a.F.) oder ob die Umstände des vorliegenden Falles es gebieten, auf das Eigenkapital an einem anderen Stichtag (31.12.1995) abzustellen. Ferner ist umstritten, ob das von der L-AG gezeichnete Stammkapital um die am 31.12.1994 noch ausstehenden Einlagen zu kürzen ist (§ 8 a Abs. 2 Satz 2 KStG a.F.) oder ob eine Kürzung zu unterbleiben hat, weil die Einlagen am 31.12.1994 bereits eingefordert waren.
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2. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt somit zunächst davon ab, ob die steuerrechtliche Vorschrift des § 8 a KStG a.F. im Sinn von Art. 57 Abs. 1 EGVtr (in der Fassung von Amsterdam/Nizza, früher Art. 73c in der Fassung des Vertrags von Maastricht) am 31. Dezember 1993 bereits "bestanden" hat. Falls § 8 a KStG a.F. an diesem Stichtag "bestanden" hat, wird diese Vorschrift auf die umstrittenen Zinszahlungen der Klägerin auch dann anzuwenden sein, wenn sie eine nach Art. 56 Abs. 1 EGVtr (i.V.m. Art. 58 EGVtr) verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern enthält. Nach Art. 57 Abs. 1 EGVtr sind nämlich solche Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang (u.a.) mit Direktinvestitionen von dem in Art. 56 Abs. 1 EGVtr geregelten Verbot von Beschränkungen ausgenommen, die "am 31. Dezember 1993 bestehen". Da es sich bei dem Darlehn, das die inländische Klägerin bei ihrer in der Schweiz ansässigen Gesellschafterin, der L-AG, aufgenommen hat, um einen Vorgang des Kapitalverkehrs zwischen dem Mitgliedsstaat Deutschland und dem dritten Land Schweiz handelt, der als Direktinvestition zu qualifizieren ist, kann eine am 31. Dezember 1993 bestehende Beschränkung EU-rechtlich zulässig und daher anwendbar sein und bleiben.
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§ 8 a KStG a.F. wurde durch Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes (Standortsicherungsgesetz -StandOG-) vom 13. September 1993 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I 1993, 1596, Bundessteuerblatt - BStBl. - I 1993, 774) in das KStG eingefügt. Dieses Gesetz ist nach seinem Art. 20 Abs. 1 am Tag nach seiner Verkündung, also am 14. September 1993 in Kraft getreten, wurde somit vor dem 1. Januar 1994 rechtswirksam. In dem zugleich durch Art. 2 Nr. 21 in das KStG eingefügten § 54 (später § 34) Abs. 6a (später Abs. 6b) KStG ist jedoch geregelt, dass § 8 a KStG bei Steuerpflichtigen grundsätzlich erstmals anzuwenden ist auf das Wirtschaftsjahr, das nach dem 31. Dezember 1993 beginnt.
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Im Hinblick auf die in Art. 57 Abs. 1 EGVtr vorgesehene sog. stand-still-Klausel stand demnach am 31. Dezember 1993 zwar bereits fest, dass Darlehnsgewährungen durch nicht anrechnungsberechtigte, also ausländische Gesellschafter in Zukunft steuerlich in bestimmtem Sinn nachteilig behandelt werden sollten. Nach dem Zusammenhang dieser Regelung wirkte sie sich jedoch am 31. Dezember 1993 noch nicht unmittelbar auf die an diesem Tag bestehenden oder neu begründeten Rechtsverhältnisse aus, weil der steuerliche Nachteil erst in einer späteren, frühestens einen Tag nach dem Stichtag beginnenden Zeit durchgesetzt werden konnte.
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Für die Beurteilung, dass es sich bei § 8 a KStG a.F. um eine bereits am 31. Dezember 1993 "bestehende" Beschränkung des Kapitalverkehrs handelt, könnte die Überlegung sprechen, dass das Gesetz schon einige Zeit vor diesem Stichtag veröffentlicht und in Kraft getreten ist und demnach sein Inhalt in der Öffentlichkeit und den interessierten Wirtschaftskreisen bereits berücksichtigt werden konnte. Auch wenn die vorgesehene steuerliche Belastung für die betroffenen Vorgänge des Kapitalverkehrs erst später wirksam werden konnte, wurde das Verhalten der beteiligten Wirtschaftssubjekte schon zuvor durch die feststehende künftige steuerliche Auswirkung beeinflusst. Die somit schon an dem nach Art. 57 Abs. 1 EGVtr maßgebenden Stichtag 31. Dezember 1993 deutlich werdende Beschränkung wird durch die Einzelheiten der Anwendungsvorschrift in § 54 (später § 34) Abs. 6a (später Abs. 6b) KStG bestätigt, wonach § 8 a KStG a.F. in Zukunft (wenn auch unter einschränkenden Umständen) auch auf Fremdkapital anzuwenden sein sollte, das bereits seit dem 9. Dezember 1992 - also seit dem öffentlichen Beginn des Gesetzgebungsverfahrens - aufgenommen worden war.
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Andererseits spricht es gegen das "Bestehen" einer beschränkenden Regelung, wenn ihre effektiven rechtlichen Auswirkungen aufgrund der ausdrücklichen Anwendungsvorschriften des Gesetzes (§ 54 (später § 34) Abs. 6a (später Abs. 6b) KStG) an dem EU-rechtlich maßgebenden Stichtag 31. Dezember 1993 tatsächlich noch nicht eingreifen konnten.
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3. Falls Art. 57 Abs. 1 EGVtr dahin auszulegen sein sollte, dass § 8 a KStG a.F. als am 31. Dezember 1993 "bestehende" rechtliche Regelung zu werten wäre, die sich auf den Kapitalverkehr zwischen dem EU-Mitglied Deutschland und dem Drittland Schweiz auswirkt, wäre sie EU-rechtlich unbedenklich und vom Gericht anzuwenden. Die Entscheidung hinge dann von der innerstaatlichen Anwendung des § 8 a KStG a.F. auf den vorliegenden Fall im Einzelnen ab.
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Wird die hierzu gestellte Frage jedoch dahin beantwortet, dass § 8 a KStG a.F. infolge der dazu geltenden Anwendungsvorschrift am 31. Dezember 1993 noch nicht "bestanden" hat, wird es für die Entscheidung des Rechtsstreits zunächst darauf ankommen, ob Art. 56 Abs. 1 EGVtr so auszulegen ist, dass sie eine Regelung wie § 8 a KStG a.F. untersagt, weil sie den Kapitalverkehr zwischen einem EU-Mitgliedsstaat und einem Drittland einschränkt, und ob eine solche Einschränkung im Sinn von Art. 58 EGVtr gerechtfertigt ist. Nur falls die Vorschrift von § 8 a KStG a.F. dann mangels effektiv einschränkender Wirkung oder aufgrund einer anzuerkennenden Rechtfertigung mit dem EU-Recht vereinbar wäre, kommt es auf ihre Anwendung im Einzelfall an.
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Nach Ansicht des Senats liegt eine den Kapitalverkehr im Sinn von Art. 56 Abs. 1 EGVtr beschränkende Wirkung von § 8 a KStG a.F. sehr nahe, denn er belegt in seinem Anwendungsbereich die grenzüberschreitende Darlehnsaufnahme durch eine inländische Kapitalgesellschaft unmittelbar mit für die Darlehnsschuldnerin steuerlich nachteiligen Folgerungen, indem der Abzug der gezahlten Darlehns-Zinsen als Betriebsausgaben in bestimmtem Umfang versagt und stattdessen eine Gewinnausschüttung fingiert wird, die zu erheblich höherer Steuerbelastung führt, als sie bei entsprechender Gestaltung zwischen beiderseits inländischen Vertragspartnern eintreten würde. Da der ausländische Darlehnsgeber zugleich als Gesellschafter der Schuldnerin durch deren Besteuerung in seinem Kapitalinteresse nachteilig beeinflusst wird, bewirkt die Vorschrift eine Einschränkung des Kapitalverkehrs in Form der Darlehnsgewährung durch ausländische Investoren bei inländischen Gesellschaften, an denen sie selbst als Gesellschafter beteiligt sind. Der Kapitalverkehr erscheint daher vergleichbar beeinträchtigt wie die gewerbliche Niederlassung (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2002 C-324/00, Sammlung der Rechtsprechung des EuGH -EuGHE- I 2002, 11779, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -ABI EG- 2003, Nr. C 31, 2). Ebenso erscheint die hier gegebene steuerliche Benachteiligung vergleichbar mit der unmittelbaren Besteuerung von Darlehnsverträgen durch eine Verkehrssteuer (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Oktober 1999 C-439/97, EuGHE I 1999, 7041; vgl. außerdem EuGH-Urteile vom 21. November 2002 C-436/00, EuGHE I 2002, 10829, und vom 4. März 2004 C-334/02, Amtsblatt der Europäischen Union -ABI EU- 2004, Nr. C 94, 4, sowie Urteile vom 15. Juli 2004 C-315/02, Internationales Steuerrecht -IStR- 2004, 522, und C-242/03 n.v.).
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Eine Rechtfertigung der somit nahe liegenden Beschränkung des Kapitalverkehrs ist - ebenso wie in der angeführten EuGH-Rechtsprechung - nicht ersichtlich (Art. 58 EGVtr). § 8 a KStG a.F. bildet offensichtlich auch keine steuerrechtliche Vorschrift, die einen Steuerpflichtigen aufgrund seines unterschiedlichen Wohnorts (Betriebssitzes) oder eines unterschiedlichen Kapitalanlageorts anders behandelt als andere Steuerpflichtige (Art. 58 Abs. 1 EGVtr). Die steuerlich nachteiligen Folgerungen für den inländischen Steuerpflichtigen werden vielmehr an den Sitz des Kapitalgebers im Ausland angeknüpft. Anscheinend liegt auch kein anderer Rechtfertigungsgrund vor (vgl. die angeführte EuGH-Rechtsprechung zu den gleichlautenden Regelungen über die Niederlassungsfreiheit).
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Der Senat entscheidet über die Aussetzung und Einholung der Vorabentscheidung des EuGH ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten damit einverstanden sind (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
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Während der Aussetzung wird das Klageverfahren bis zur Entscheidung des EuGH einstweilen nicht fortgesetzt (§ 74 FGO). Erst nach Ergehen der Vorabentscheidung des EuGH ist abschließend über das Klagebegehren und die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
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