Europäischer Gerichtshof Urteil, 19. Apr. 2018 - C-148/17

Gericht
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Markenrecht – Richtlinie 2008/95/EG – Art. 14 – Nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit oder des Verfalls einer Marke – Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen für den Verfall oder die Ungültigkeit vorliegen müssen – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Unionsmarke – Art. 34 Abs. 2 – Inanspruchnahme des Zeitrangs einer älteren nationalen Marke – Wirkungen dieser Inanspruchnahme auf die ältere nationale Marke“
In der Rechtssache C‑148/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. März 2017, in dem Verfahren
Peek & Cloppenburg KG, Hamburg
gegen
Peek & Cloppenburg KG, Düsseldorf
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
der Peek & Cloppenburg KG, Hamburg, vertreten durch Rechtsanwälte M. Petersenn und A. von Mühlendahl, |
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der Peek & Cloppenburg KG, Düsseldorf, vertreten durch Rechtsanwälte P. Lange, A. Auler und M. Wenz, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, É. Gippini Fournier und T. Scharf als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25) und von Art. 34 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unions]marke (ABl. 2009, L 78, S. 1). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Peek & Cloppenburg KG, Hamburg (im Folgenden: P & C Hamburg) und der Peek & Cloppenburg KG, Düsseldorf (im Folgenden: P & C Düsseldorf) über die nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit von nationalen Marken, deren Inhaberin P & C Hamburg war und auf die diese zuvor verzichtet hatte. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/95
3 |
Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95 lautet: „Die vorliegende Richtlinie sollte den Mitgliedstaaten das Recht belassen, die durch Benutzung erworbenen Marken weiterhin zu schützen; diese Marken sollten lediglich in ihrer Beziehung zu den durch Eintragung erworbenen Marken berücksichtigt werden.“ |
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Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt: „Diese Richtlinie findet auf Individual-, Kollektiv-, Garantie- und Gewährleistungsmarken für Waren oder Dienstleistungen Anwendung, die in einem Mitgliedstaat oder beim Benelux-Amt für geistiges Eigentum eingetragen oder angemeldet oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registriert worden sind.“ |
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Art. 12 („Verfallsgründe“) der Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor: „Eine Marke wird für verfallen erklärt, wenn sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen. Der Verfall einer Marke kann jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn nach Ende dieses Zeitraums und vor Stellung des Antrags auf Verfallserklärung die Benutzung der Marke ernsthaft begonnen oder wieder aufgenommen worden ist. Wird die Benutzung innerhalb eines nicht vor Ablauf des ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren der Nichtbenutzung beginnenden Zeitraums von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Verfallserklärung begonnen oder wieder aufgenommen, so bleibt sie unberücksichtigt, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber Kenntnis davon erhalten hat, dass der Antrag auf Verfallserklärung gestellt werden könnte.“ |
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Art. 14 („Nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit oder des Verfalls einer Marke“) der Richtlinie 2008/95 lautet: „Wird bei einer [Unions]marke der Zeitrang einer älteren Marke in Anspruch genommen, die Gegenstand eines Verzichts gewesen oder erloschen ist, so kann die Ungültigkeit oder der Verfall der Marke nachträglich festgestellt werden.“ |
Verordnung Nr. 207/2009
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In Art. 34 („Inanspruchnahme des Zeitrangs einer nationalen Marke“) der Verordnung Nr. 207/2009 heißt es: „(1) Der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat, einschließlich des Benelux-Gebiets, oder einer mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registrierten älteren Marke, der eine identische Marke zur Eintragung als [Unions]marke für Waren oder Dienstleistungen anmeldet, die mit denen identisch sind, für welche die ältere Marke eingetragen ist, oder die von diesen Waren oder Dienstleistungen umfasst werden, kann für die [Unions]marke den Zeitrang der älteren Marke in Bezug auf den Mitgliedstaat, in dem oder für den sie eingetragen ist, in Anspruch nehmen. (2) Der Zeitrang hat nach dieser Verordnung die alleinige Wirkung, dass dem Inhaber der [Unions]marke, falls er auf die ältere Marke verzichtet oder sie erlöschen lässt, weiter dieselben Rechte zugestanden werden, die er gehabt hätte, wenn die ältere Marke weiterhin eingetragen gewesen wäre. …“ |
8 |
Art. 35 („Inanspruchnahme des Zeitrangs nach Eintragung der [Unions]marke“) dieser Verordnung bestimmt in seinem Abs. 1: „Der Inhaber einer [Unions]marke, der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat, einschließlich des Benelux-Gebiets, oder einer mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registrierten identischen älteren Marke für Waren oder Dienstleistungen ist, die mit denen identisch sind, für welche die ältere Marke eingetragen ist, oder die von diesen Waren oder Dienstleistungen umfasst werden, kann den Zeitrang der älteren Marke in Bezug auf den Mitgliedstaat, in dem oder für den sie eingetragen ist, in Anspruch nehmen.“ |
Richtlinie (EU) 2015/2436
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Die Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1), mit der die Richtlinie 2008/95 neu gefasst wurde, ist am 12. Januar 2016, nach dem für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblichen Zeitpunkt, in Kraft getreten. Ihr Art. 6 lautet: „Wird bei einer Unionsmarke der Zeitrang einer nationalen Marke oder einer auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen mit Wirkung in dem betreffenden Mitgliedstaat eingetragenen Marke, die Gegenstand eines Verzichts gewesen oder die erloschen ist, in Anspruch genommen, so kann die Nichtigkeit oder der Verfall der Marke, die die Grundlage für die Beanspruchung des Zeitrangs bildet, nachträglich festgestellt werden, sofern die Nichtigkeit oder der Verfall zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Marke oder ihres Erlöschens hätte erklärt werden können. In diesem Fall entfaltet der Zeitrang keine Wirkung mehr.“ |
Deutsches Recht
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§ 49 („Verfall“) des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG) vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082) sieht in seinem Abs. 1 vor: „Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag wegen Verfalls gelöscht, wenn die Marke nach dem Tag der Eintragung innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 benutzt worden ist. Der Verfall einer Marke kann jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn nach Ende dieses Zeitraums und vor Stellung des Löschungsantrags eine Benutzung der Marke gemäß § 26 begonnen oder wieder aufgenommen worden ist. Wird die Benutzung jedoch im Anschluss an einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren der Nichtbenutzung innerhalb von drei Monaten vor der Stellung des Löschungsantrags begonnen oder wieder aufgenommen, so bleibt sie unberücksichtigt, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber der Marke Kenntnis davon erhalten hat, dass Antrag auf Löschung gestellt werden könnte. Wird der Antrag auf Löschung nach § 53 Abs. 1 beim Patentamt gestellt, so bleibt für die Berechnung der Frist von drei Monaten nach Satz 3 der Antrag beim Patentamt maßgeblich, wenn die Klage auf Löschung nach § 55 Abs. 1 innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Mitteilung nach § 53 Abs. 4 erhoben wird.“ |
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§ 125c („Nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit einer Marke“) MarkenG bestimmt: „(1) Ist für eine angemeldete oder eingetragene [Unions]marke der Zeitrang einer im Register des Patentamts eingetragenen Marke nach Artikel 34 oder 35 der Verordnung [Nr. 207/2009] in Anspruch genommen worden und ist die im Register des Patentamts eingetragene Marke wegen Nichtverlängerung der Schutzdauer … oder wegen Verzichts … gelöscht worden, so kann auf Antrag nachträglich die Ungültigkeit dieser Marke wegen Verfalls oder wegen Nichtigkeit festgestellt werden. (2) Die Feststellung der Ungültigkeit erfolgt unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Löschung wegen Verfalls oder wegen Nichtigkeit. Jedoch kann die Ungültigkeit einer Marke wegen Verfalls nach § 49 Abs. 1 nur festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen für die Löschung nach dieser Vorschrift auch schon in dem Zeitpunkt gegeben waren, in dem die Marke wegen Nichtverlängerung der Schutzdauer oder wegen Verzichts gelöscht worden ist. (3) Das Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit richtet sich nach den Vorschriften, die für das Verfahren zur Löschung einer eingetragenen Marke gelten, mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Löschung der Eintragung der Marke die Feststellung ihrer Ungültigkeit tritt.“ |
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
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P & C Düsseldorf ist Inhaberin der unter den Nummern 648526 und 648528 für Bekleidungsstücke eingetragenen deutschen Wort- und Bildmarken PuC mit Priorität aus dem Jahr 1953. |
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P & C Hamburg ist Inhaberin der Unionswortmarke PUC, die am 6. April 2001 unter der Nummer 242446 für Waren, insbesondere Bekleidungsstücke und Modeaccessoires, der Klassen 18 und 25 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen wurde. Dieser Marke kommt für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland der Zeitrang der zwei deutschen Wortmarken PUC zu, die 1978 und 1982 für Bekleidungsstücke angemeldet und unter den Nummern 966148 und 1027854 eingetragen wurden. |
14 |
Am 11. Februar 2005 erhob P & C Düsseldorf eine Klage auf Löschung der deutschen Wortmarken PUC wegen Verfalls. Nachdem P & C Hamburg am 7. Juli 2005 von sich aus beim Deutschen Patent- und Markenamt die Löschung dieser Marken beantragt hatte, erklärten die beiden Parteien des damaligen Rechtsstreits diesen in der Hauptsache für erledigt und die besagten Marken wurden am 9. und 31. August 2005 gelöscht. |
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Am 12. März 2010 erhob P & C Düsseldorf Klage beim Landgericht Hamburg (Deutschland), mit der sie erreichen wollte, dass P & C Hamburg den Zeitrang der deutschen Wortmarken PUC nicht länger in Anspruch nehmen kann. Sie machte dafür in erster Linie geltend, diese seien zu dem Zeitpunkt, zu dem sie aufgrund des Verzichts von P & C Hamburg gelöscht worden seien, auch wegen Verfalls löschungsreif gewesen. Hilfsweise berief sich P & C Düsseldorf darauf, dass die fraglichen Marken zu diesem Zeitpunkt auch wegen eigener älterer Rechte hätten gelöscht werden können. |
16 |
Das Landgericht Hamburg gab der Klage statt, und die Berufung von P & C Hamburg vor dem Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) wurde zurückgewiesen. Dieses befand in seiner Entscheidung, dass der Antrag von P & C Düsseldorf nach § 125c Abs. 1 und 2 sowie § 49 Abs. 1 MarkenG begründet sei, da die gelöschten deutschen Wortmarken, deren Zeitrang für die Unionsmarke PUC beansprucht werde, sowohl zum Zeitpunkt ihrer Löschung wegen Verzichts als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor ihm wegen Verfalls löschungsreif gewesen seien. |
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P & C Hamburg legte gegen diese Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland) ein. |
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Das vorlegende Gericht führt als Erstes aus, das Berufungsgericht habe § 125c Abs. 2 MarkenG zutreffend ausgelegt, als es befunden habe, dass die Voraussetzungen für die Löschung einer Marke wegen Verfalls nicht nur zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Marke, sondern auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Gericht, das mit dem Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit der Marke befasst sei, vorliegen müssten. Es fragt sich jedoch, ob diese Auslegung mit Art. 14 der Richtlinie 2008/95 vereinbar ist. |
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Zunächst stellt es fest, dass dieser Art. 14 die Bedingungen nicht näher regle, unter denen die Ungültigkeit der älteren nationalen Marke, die Gegenstand eines Verzichts gewesen oder erloschen sei, nachträglich festgestellt werden könne. Sodann weist es darauf hin, dass sich aus Art. 6 der Richtlinie 2015/2436 ergebe, dass unter deren Geltung nicht verlangt werden könne, dass die Verfallsvoraussetzungen auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage auf nachträgliche Verfallsfeststellung vorliegen müssten. Damit stelle sich die Frage, ob die Richtlinie 2015/2436 die Anforderungen an eine solche Feststellung neu geregelt habe oder ob sie nur die bereits nach Art. 14 der Richtlinie 2008/95 geltenden Anforderungen klargestellt habe. |
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Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, dass sich, falls die Auslegung von § 125c MarkenG, wie sie oben in Rn. 18 dargestellt worden ist, mit Art. 14 der Richtlinie 2008/95 vereinbar sein sollte, die Frage stelle, ob P & C Hamburg nach dem Verzicht auf ihre deutschen Wortmarken am 7. Juli 2005 diese rechtserhaltend habe benutzen können. Da das Berufungsgericht angenommen habe, dass Benutzungshandlungen nach dem Verzicht nicht berücksichtigt werden könnten, weil ihnen keine „Heilungswirkung“ zukomme, stelle sich die Frage, ob diese Analyse im Hinblick auf Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 zutreffend sei und welche Wirkung es insoweit habe, wenn der Zeitrang einer älteren nationalen Marke für eine Unionsmarke in Anspruch genommen werde. |
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Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Zu den Vorlagefragen
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Mit seinen zusammen zu prüfenden beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 der Richtlinie 2008/95 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, nach der die Ungültigkeit oder der Verfall einer älteren nationalen Marke, deren Zeitrang für eine Unionsmarke in Anspruch genommen wird, nachträglich nur dann festgestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder den Verfall nicht nur zum Zeitpunkt des Verzichts auf die ältere nationale Marke oder ihres Erlöschens, sondern auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellungsentscheidung vorlagen. |
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Nach Art. 34 der Verordnung Nr. 207/2009 kann der Inhaber einer älteren nationalen Marke, der eine identische Marke zur Eintragung als Unionsmarke für Waren oder Dienstleistungen anmeldet, die mit denen identisch sind, für welche die ältere nationale Marke eingetragen ist, in seiner Anmeldung der Unionsmarke den Zeitrang der älteren nationalen Marke in Bezug auf den Mitgliedstaat, in dem oder für den sie eingetragen ist, in Anspruch nehmen. Art. 35 dieser Verordnung sieht eine gleichartige Möglichkeit der Inanspruchnahme des Zeitrangs nach Eintragung einer Marke als Unionsmarke vor. |
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Gemäß Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 hat die Inanspruchnahme des Zeitrangs einer älteren nationalen Marke die alleinige Wirkung, dass ihrem Inhaber, falls er auf sie verzichtet oder sie erlöschen lässt, weiter dieselben Rechte zugestanden werden, die er gehabt hätte, wenn die ältere nationale Marke weiterhin eingetragen gewesen wäre. |
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Damit einer solchen Inanspruchnahme entgegengetreten werden kann, sieht Art. 14 der Richtlinie 2008/95 vor, dass die Ungültigkeit oder der Verfall der älteren nationalen Marke, die Gegenstand eines Verzichts gewesen oder erloschen ist, nachträglich festgestellt werden kann. |
26 |
Diese Vorschrift regelt zwar nicht, auf welchen Zeitpunkt genau für die Prüfung abzustellen ist, ob die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder den Verfall erfüllt sind, doch ergibt sich aus ihrem Wortlaut und Zweck, dass mit der fraglichen Prüfung rückblickend festgestellt werden soll, ob diese Voraussetzungen zu dem Zeitpunkt erfüllt waren, zu dem auf die ältere nationale Marke verzichtet wurde oder zu dem sie erlosch. Daraus folgt, dass es mit ihr nicht in Einklang steht, wenn verlangt wird, dass die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder den Verfall der älteren nationalen Marke auch zu dem Zeitpunkt erfüllt sein müssen, zu dem über den Antrag auf nachträgliche Feststellung der Ungültigkeit oder des Verfalls entschieden wird. |
27 |
Zudem beruht diese Anforderung, wie sich aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens ergibt, auf der These, dass Handlungen der Benutzung einer nationalen Marke nach dem Verzicht auf sie eine heilende rechtserhaltende Wirkung haben können. Eine solche These findet aber weder in der Richtlinie 2008/95 noch in der Verordnung Nr. 207/2009 eine Grundlage. |
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Zunächst ist nämlich festzustellen, dass die Möglichkeit der Benutzung einer nationalen Marke, auf die verzichtet wurde, nirgends in der Richtlinie 2008/95 vorgesehen ist. Außerdem ergibt sich aus dem fünften Erwägungsgrund und Art. 1 dieser Richtlinie, dass sie nur für eingetragene oder angemeldete Marken gilt, so dass eine gelöschte Marke aus Sicht der Richtlinie nicht mehr existiert. |
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Sodann ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/95, dass die Benutzung der Marke nur bis zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Verfallserklärung bzw. gegebenenfalls bis drei Monate davor (Unterabs. 3) berücksichtigt wird. Es wäre daher mit dieser Vorschrift nicht stimmig, wenn man im Rahmen eines Verfahrens auf nachträgliche Feststellung des Verfalls einer Marke eine Benutzung nach dem Zeitpunkt berücksichtigte, zu dem der Inhaber selbst den Verzicht auf die Marke erklärt oder sie erlöschen lassen hat. |
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Schließlich ergibt sich aus Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, dass der für eine Unionsmarke in Anspruch genommene Zeitrang einer älteren nationalen Marke die alleinige Wirkung hat, dass dem Inhaber der älteren nationalen Marke, der auf sie verzichtet oder sie erlöschen lassen hat, in dem Mitgliedstaat, in dem oder für den sie eingetragen war, weiter dieselben Rechte zugestanden werden, die er gehabt hätte, wenn sie weiterhin eingetragen gewesen wäre. Diese Bestimmung stellt somit eine Fiktion auf. Damit soll dem Inhaber der Unionsmarke ermöglicht werden, in diesem Mitgliedstaat weiter von dem Schutz zu profitieren, den die gelöschte ältere nationale Marke genoss. Nicht ermöglicht werden soll der Fortbestand der gelöschten älteren nationalen Marke als solche. Daraus folgt namentlich, dass eine etwaige Benutzung des in Rede stehenden Zeichens nach der Löschung in einem solchen Fall als Benutzung der Unionsmarke und nicht der gelöschten älteren nationalen Marke anzusehen ist. |
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Bestätigung findet die oben in Rn. 26 vorgenommene Auslegung von Art. 14 der Richtlinie 2008/95 im Übrigen in Art. 6 der nach dem für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblichen Zeitpunkt in Kraft getretenen Richtlinie 2015/2436, der als einzige Voraussetzung für eine nachträgliche Feststellung der Nichtigkeit oder des Verfalls der älteren nationalen Marke vorsieht, dass die Nichtigkeit oder der Verfall zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Marke oder ihres Erlöschens hätte erklärt werden können. |
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Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 14 der Richtlinie 2008/95 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, nach der die Ungültigkeit oder der Verfall einer älteren nationalen Marke, deren Zeitrang für eine Unionsmarke in Anspruch genommen wird, nachträglich nur dann festgestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder den Verfall nicht nur zum Zeitpunkt des Verzichts auf die ältere nationale Marke oder ihres Erlöschens, sondern auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellungsentscheidung vorlagen. |
Kosten
33 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 14 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unions]marke ist dahin auszulegen, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, nach der die Ungültigkeit oder der Verfall einer älteren nationalen Marke, deren Zeitrang für eine Unionsmarke in Anspruch genommen wird, nachträglich nur dann festgestellt werden kann, wenn die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder den Verfall nicht nur zum Zeitpunkt des Verzichts auf die ältere nationale Marke oder ihres Erlöschens, sondern auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellungsentscheidung vorlagen. |
Ilešič Lenaerts Toader Prechal Jarašiūnas Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Apri 2018. Der Kanzler A. Calot Escobar Der Präsident der Zweiten Kammer M. Ilešič |
( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

Annotations
(1) Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag für verfallen erklärt und gelöscht, wenn die Marke nach dem Tag, ab dem kein Widerspruch mehr gegen sie möglich ist, innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 benutzt worden ist. Der Verfall einer Marke kann jedoch nicht geltend gemacht werden, wenn nach Ende dieses Zeitraums und vor Stellung des Antrags auf Erklärung des Verfalls eine Benutzung der Marke gemäß § 26 begonnen oder wieder aufgenommen worden ist. Wird die Benutzung jedoch im Anschluß an einen ununterbrochenen Zeitraum von fünf Jahren der Nichtbenutzung innerhalb von drei Monaten vor der Stellung des Antrags auf Erklärung des Verfalls begonnen oder wieder aufgenommen, so bleibt sie unberücksichtigt, sofern die Vorbereitungen für die erstmalige oder die erneute Benutzung erst stattgefunden haben, nachdem der Inhaber der Marke Kenntnis davon erhalten hat, daß der Antrag auf Erklärung des Verfalls gestellt werden könnte. Wird der Antrag auf Erklärung des Verfalls nach § 53 Abs. 1 beim Deutschen Patent- und Markenamt gestellt, so bleibt für die Berechnung der Frist von drei Monaten nach Satz 3 der Antrag beim Deutschen Patent- und Markenamt maßgeblich, wenn die Klage auf Erklärung des Verfalls nach § 55 Abs. 1 innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Mitteilung nach § 53 Abs. 4 erhoben wird.
(2) Die Eintragung einer Marke wird ferner auf Antrag für verfallen erklärt und gelöscht,
- 1.
wenn die Marke infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers im geschäftlichen Verkehr zur gebräuchlichen Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, geworden ist; - 2.
wenn die Marke infolge ihrer Benutzung durch den Inhaber oder mit seiner Zustimmung für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, geeignet ist, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft dieser Waren oder Dienstleistungen zu täuschen oder - 3.
wenn der Inhaber der Marke nicht mehr die in § 7 genannten Voraussetzungen erfüllt.
(3) Liegt ein Verfallsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die Marke eingetragen ist, so wird die Eintragung nur für diese Waren oder Dienstleistungen für verfallen erklärt und gelöscht.