Dienstgericht für Richter für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 21. Juli 2021 - DG-12/2020

ECLI:dgnrw
bei uns veröffentlicht am30.07.2021

Eingereicht durch

Rechtsanwalt

Robert Hotstegs LL.M. | Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Gericht

Dienstgericht für Richter für das Land Nordrhein-Westfalen


Der Dienstgerichtshof für Richter für das Land Nordrhein-Westfalen ist für disziplinarrechtliche und dienstrechtliche Fragen der Richterinnen und Richter zuständig. Gesetzliche Grundlagen sind die §§ 66 ff. des Richter- und Staatsanwältegesetzes für

Richter

Leitsätze der/s Einreichenden

1. Zulässiger und begründeter Antrag auf vorläufige Dienstenthebung einer Richterin am Amtsgericht gem. § 81 Abs. 1 S. 1 LRiStaG NRW, § 77 Abs. 1 LRiStaG NRW, § 38 Abs. 1 S. 2 LDG NRW wegen wesentlicher Beeinträchtigung des Dienstbetriebes.


2. Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes kann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch die Anwesenheit der Antragsgegnerin und die von ihr hervorgerufenen disziplinarrechtlich erheblichen Umstände eine sachgerechte Erfüllung der dienstlichen Aufgaben in ihrer Dienststelle wahrscheinlich gefährdet würde.

3. Ist es in der Vergangenheit – ohne dass es auf die Frage der Vorwerfbarkeit und des Verschuldens ankommt – in über 50 Straf- und Familiensachen zu irregulären Verfahrensabläufen gekommen und hat die Betroffene u.a. Versäumnisse und in über 13 Verfahren Rückdatierungen, sowie eine diagnostizierte Impulskontrolle und einen Verlust der Steuerungsfähigkeit eingeräumt, liegt ein besonderer rechtfertigender Grund vor. Die Vielzahl der eingeräumten Fälle hat auch die Schwelle einer hinnehmbaren Schlechtleistung im Einzelfall überschritten.

4. Ein Mentoring einer Richterin am Amtsgericht, das die Art und Weise richterlicher Dienstausübung gestaltet, ist problematisch. Jede kontinuierliche inhaltliche Kontrolle nach der Reihenfolge der Bearbeitung der Verfahren oder nach der Absetzung von Entscheidungen, würde eine unzulässige Ausübung von Dienstaufsicht darstellen. Weder kann eine Richterin auf ihre richterliche Unabhängigkeit verzichten, noch darf den Rechtsuchenden entgegen Art. 97 Abs. 1 GG die Rechtsprechung durch eine derart kontrollierte Richterin „angeboten“ werden.

5. Die Abordnung durch das Dienstgericht käme grundsätzlich als milderes Mittel gegenüber einer vorläufigen Dienstenthebung in Betracht. Allerdings ist die Abordnung aus disziplinarischen oder anderen dienstlichen Gründen eine Entscheidung des Dienstherrn. (Abgrenzung § 81 Abs. 2 LRiStaG NRW zu Abs. 1)

  1. Die Antragsgegnerin wird vorläufig des Dienstes enthoben.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
     

Gründe:

 

I.

 

Die am … geborene Antragsgegnerin trat am … als Richterin auf Probe in den richterlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Am … wurde sie zur Richterin am Amtsgericht am Amtsgericht F. ernannt. Mit Wirkung vom … wurden ihr durch die Geschäftsverteilung im Wesentlichen Familien- und Strafsachen zur Bearbeitung zugewiesen.

 

Mit Verfügung vom … leitete der Präsident des Landgerichts R. ein Disziplinarverfahren gegen die Antragsgegnerin ein, das mit Verfügungen vom … und … ausgedehnt wurde. Im Wesentlichen wird der Antragsgegnerin vorgeworfen

 

in insgesamt acht Strafverfahren entgegen der gesetzlichen Fristen Urteilsgründe über Zeiträume bis zu 16 Monate nicht schriftlich abgefasst zu haben und die Vollstreckung bzw. den Fortgang der Verfahren erheblich verzögert zu haben,

 

in mindestens zwei weiteren Strafverfahren die mit vollständigen Gründen versehenen Urteile nicht oder bis zu 202 Tage nach Ablauf der Absetzungsfrist zu den Akten gebracht zu haben,

weitere 41 Verfahren inhaltlich nicht oder nur verzögert gefördert zu haben,

in vier Straf- und drei Familiensachen für den Verlust der Verfahrensakten verantwortlich zu sein und

in einem weiteren Strafverfahren das Protokoll der Hauptverhandlung eigenhändig abgeändert zu haben, um zu verschleiern, dass in dem Termin ein Urteil verkündet wurde.

 

Darüber hinaus wurde der Vorwurf erhoben, die nachträgliche Abfassung der Urteile sei durch Rückdatierungen verschleiert und die Fristüberschreitung verheimlicht worden. In einem Fall sollen auch gegenüber Verfahrensbeteiligten bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht und ein Beschluss zurückdatiert worden sein.

 

Wegen des dem Disziplinarverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts ist ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Antragsgegnerin durch die Staatsanwaltschaft G. zum Az. … eingeleitet worden.

 

Die Antragsgegnerin ist zuletzt im April 2017 mit dem Gesamtergebnis „überdurchschnittlich“ dienstlich beurteilt worden.

 

Sie ist seit dem … durchgängig dienstunfähig erkrankt.

 

Am 16.11.2020 hat der Antragsteller den Antrag auf vorläufige Dienstenthebung gestellt. Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, durch das Verbleiben der Antragsgegnerin im Dienst werde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt und die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der erwarteten Disziplinarmaßnahme – einer möglichen Entfernung aus dem Dienst – auch nicht außer Verhältnis. Die vorläufige Dienstenthebung sei unabhängig von der Frage der Dienstfähigkeit der Antragsgegnerin zur Wiederherstellung und Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes erforderlich. Der eingetretene Vertrauensverlust stehe einem Wiedereintritt der Antragsgegnerin in den Dienst entgegen.

 

Der Antragsteller beantragt,

 

die Antragsgegnerin gemäß §§ 77 Abs. 1, 81 Abs. 1 LRiStaG i.V.m. § 38 Abs. 1 S. 1 LDG NRW vorläufig des Richterdienstes zu entheben.

 

Die Antragsgegnerin beantragt,

 

den Antrag zurückzuweisen.

 

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin im Wesentlichen vor, eine vorläufige Dienstenthebung sei bereits aufgrund ihrer andauernden Dienstunfähigkeit nicht erforderlich. Zudem fehlten auch die weiteren Voraussetzungen für die beantragte vorläufige Dienstenthebung, insbesondere seien die angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen im Hinblick auf die Erkrankung nicht vorwerfbar bzw. nicht verschuldet.

 

Das Dienstgericht hat mit richterlichem Hinweis 26.02.2021 mitgeteilt, es erwäge eine Abordnung an das Landgericht P. Der Antragsteller ist dem Hinweis entgegengetreten, die Antragsgegnerin hat ihr Einverständnis mit einer Abordnung angekündigt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der Personalakten und Disziplinarvorgänge Bezug genommen.

 

II.

 

Der Antrag ist zulässig und begründet.

 

1. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 Landesrichter- und Staatsanwältegesetz (LRiStaG), § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 Satz 1 Landesdisziplinargesetz Nordrhein-Westfalen (LDG NRW) kann das Dienstgericht auf Antrag des Justizministeriums einen Richter vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarklageverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Richterdienstverhältnis erkannt werden wird. Gemäß § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW kann das Dienstgericht auf Antrag des Justizministeriums einen Richter auch dann vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.

 

Das Verfahren über die vorläufige Dienstenthebung ist gegenüber dem gerichtlichen Disziplinarverfahren selbstständig.

 

Vgl.        Fischer, Disziplinarrecht und Richteramt, S. 160.

 

Es kann offenbleiben, ob im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf eine Entfernung aus dem Richterdienstverhältnis erkannt werden wird, weil dies maßgeblich auch von den medizinischen und therapeutischen Feststellungen und deren Bewertung im Rahmen der Schuldzumessung und des Verschuldens abhängig sein dürfte.

 

Vgl.        insbesondere auch Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2012, Az. 1 DGH 2/11, juris.

 

Der Antrag auf vorläufige Dienstenthebung des Antragsgegners kann aber dessen ungeachtet mit Erfolg auf § 81 Abs. 1 S. 1 LRiStaG, § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 S. 2 LDG NRW gestützt werden.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW kann ein Richter vorläufig des Dienstes enthoben werden, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Eine vorläufige Diensthebung setzt hiernach zunächst voraus, dass durch das Verbleiben des Richters im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden.

 

Dies ist vorliegend der Fall. Zwar gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden, d.h. bei ihrem Verbleib im Dienst die nahe liegende Gefahr bestehen würde, dass das disziplinarrechtliche Verfahren nicht durch umfassende Sachverhaltsermittlung zu einem ordnungsgemäßen Abschluss gebracht werden könnte.

 

Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 23.

 

Aber durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst würde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt.

 

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes kann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch die Anwesenheit der Antragsgegnerin und die von ihr hervorgerufenen disziplinarrechtlich erheblichen Umstände eine sachgerechte Erfüllung der dienstlichen Aufgaben in ihrer Dienststelle wahrscheinlich gefährdet würde.

 

Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 22.

 

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs (§ 38 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 LDG NRW) ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und hierunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist.

 

Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25. März 2013 – 19 ZD 4/13 -, juris, Rn. 8; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Dezember 2013 – 16a DS 13.706 -, juris, Rn. 87.

 

Ist es wie vorliegend offen, ob eine Dienstentfernung im Disziplinarverfahren in Betracht kommen kann, so bedarf es zudem eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür, dass eine Richterin in der Zeit von der Einleitung des Disziplinarverfahrens an bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss ihren sich aus dem bestehenden Dienstverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung ihres Amtes vorübergehend verliert. Eine pauschale Begründung reicht dabei nicht aus. Erforderlich ist die Darlegung, in welchen besonderen Umständen im Falle der Weiterbeschäftigung der Richterin die Gefährdung oder Störung der dienstlichen Belange liegen könnte. Zur Feststellung einer wesentlichen Beeinträchtigung bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß der unmittelbaren Gefährdung oder Störung des Dienstbetriebes und den nachteiligen Auswirkungen und Belastungen für den Betroffenen.

 

Vgl. zum Beamtenrecht: BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 -, juris, Rn. 40; BVerwG, Beschluss vom 1. September 2000 – 1 DB 16/00 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 16. Mai 1994 – 1 DB 7/94 -, juris, Rn. 13 (zu § 91 BDO); OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2016 – 3d B 547/16.O -, juris, Rn. 56.

 

Eine diesen Anforderungen genügende Darlegung einer wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes bei einer Amtsausübung der Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens ist dem Antrag und der Disziplinarakte hinreichend deutlich zu entnehmen.

 

Danach ist es in der Vergangenheit – ohne dass es auf die Frage der Vorwerfbarkeit und des Verschuldens der Antragsgegnerin ankommt – in über 50 Straf- und Familiensachen zu irregulären Verfahrensabläufen gekommen.

 

Die Antragsgegnerin hat derzeit einen Teil der erhobenen Vorwürfe als unstreitig eingeräumt. Danach habe sie elf konkret benannte Verfahren nicht nach Durchführung der Hauptverhandlung ordnungsgemäß zu Ende bearbeitet, sodass ein schriftlich abgefasstes Urteil abgesetzt und zur Akte gebracht worden wäre (Bl. 33 GA). In 13 Verfahren habe sie die unter dem Urteil befindliche Verfügung zurückdatiert (Bl. 34 GA). In weiteren 41 Verfahren hat die Antragsgegnerin eingeräumt, die Verfahren nicht betrieben zu haben (Bl. 34 GA).

 

Die Antragsgegnerin trägt vor, sie leide unter einer diagnostizierten Störung der Impulskontrolle und einem Verlust der Steuerungsfähigkeit. Sie bedürfe daher eines Mentorings und einer Begleitung (Bl. 44 GA).

 

Der Antrag verweist im Ergebnis unstreitig und zur derzeitigen Überzeugung des Gerichts zum einen auf die zahlreichen der Antraggegnerin zur Last gelegten Dienstvergehen und zum anderen auf die besondere Vertrauensstellung als Richterin am Amtsgericht, die strukturell in keinen Spruchkörper von anderen Berufsrichter:innen eingebunden ist und die ihr Richteramt auch weisungsungebunden ausüben muss. Damit ist etwa jedes Mentoring, das die Art und Weise richterlicher Dienstausübung gestaltet problematisch.

 

Darüber hinaus ist aber aktuell – unabhängig von der Frage eines Verschuldens oder einer Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens der Antragsgegnerin – aus therapeutischer Sicht wie auch aus Sicht der Antragsgegnerin selbst damit zu rechnen, dass es zu weiteren Verstößen insbesondere gegen gesetzliche Absetzungsfristen kommen wird.

 

Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts, der auf zeitnahe gerichtliche Entscheidungen ausgerichtet ist und der der Realisierung des Justizgewährleistungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG dient, wäre hierdurch erheblich gestört. Nicht durch die Antragsgegnerin abgeschlossene Verfahren müssten entweder von anderen Richter:innen im Wege der Geschäftsverteilung übernommen und ggf. unter Wiederholung von Beweiserhebungen, mündlichen Verhandlungen und Hauptverhandlungen erneut behandelt und sodann entschieden werden oder derartige Verfahren würden ohne Schlussentscheidung Gegenstand von Verzögerungsrügen, Beschleunigungsrügen oder Rechtsmitteln. Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts wäre erheblich eingeschränkt seine gesetzlich zugewiesene Aufgabe wahrzunehmen.

 

Die vorläufige Dienstenthebung dient damit auch der Sicherstellung der Rechtspflege. Würde dem Antrag nicht entsprochen, könnte die Antragsgegnerin jederzeit aus der Dienstunfähigkeit in den Dienst zurückkehren. Ihr stünde sodann unmittelbar eine amtsangemessene und inhaltlich unabhängig auszuübende, rechtsprechende Beschäftigung zu.

 

Da die Antragsgegnerin selbst dargelegt hat, dass sie die Nichtförderung von Verfahren oder Nichtabsetzung von Entscheidungen nicht steuern oder vorhersehen konnte, erscheint es nach derzeitigem Kenntnisstand ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin einen – wie auch immer gestalteten – Anteil an der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts eigenständig wahrnimmt. Sie bedürfte derzeit einer organisatorischen Kontrolle, die weder durch eine Serviceeinheit, noch durch Richterkolleginnen und -kollegen oder gar die Gerichtsleitung wahrgenommen werden könnte. Denn jede kontinuierliche inhaltliche Kontrolle nach der Reihenfolge der Bearbeitung der Verfahren oder nach der Absetzung von Entscheidungen, würde eine unzulässige Ausübung von Dienstaufsicht darstellen. Weder kann die Antragsgegnerin auf ihre richterliche Unabhängigkeit verzichten, noch darf den Rechtsuchenden entgegen Art. 97 Abs. 1 GG die Rechtsprechung durch eine derart kontrollierte Richterin „angeboten“ werden.

 

Würde die Antragsgegnerin nicht vorläufig des Dienstes enthoben und würde sie sich wieder zum Dienst zurückmelden, bestünde die greifbare Gefahr, dass sie erneut Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß betreiben und abschließen würde. Dies führt zu einer Mehrbelastung der Rechtsmittelinstanzen, in Fällen der Rückverweisung auch zu einer Mehrbelastung von Richter:innen des Amtsgerichts, vor allem aber wird der Anspruch der Parteien der Verfahren auf ein zügiges Verfahren vereitelt. Die Vielzahl der bislang dokumentierten und unstreitig eingeräumten Fälle hat auch die Schwelle einer hinnehmbaren Schlechtleistung im Einzelfall überschritten.

 

Weder dem Dienstherrn, noch den rechtsuchenden Parteien oder der Strafverfolgung ist dies zumutbar.

 

Es gehört im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren zum notwendigen Inhalt eines Bescheides über eine vorläufige Dienstenthebung, dass die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, dargestellt werden und der dem Beamten zur Last gelegte Sachverhalt möglichst nach Datum, Zeit, Ort und Geschehensablauf konkret bezeichnet wird. Es muss klar erkennbar sein, aus welchen Tatsachen dem Beamten Vorwürfe gemacht werden. Hierzu gehört eine so hinreichende Substantiierung, dass dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung möglich ist und das Disziplinargericht in die Lage versetzt wird, den in bestimmter Hinsicht erhobenen und dem Umfang nach klar abgegrenzten Vorwürfen nachzugehen.

 

Vgl. hierzu VG Magdeburg, Beschluss vom 24. September 2018 – 15 B 23/18 -, juris, Rn. 10; VG Düsseldorf, Beschluss vom 03. April 2019 – 35 L 148/19.O –, Rn. 16 – 17, juris.

 

Diese Anforderungen sind auch im dienstgerichtlichen Verfahren an die Antragsschrift und ihre Begründung zu stellen.

 

Die Antragsschrift und die Disziplinarakte werden diesen Anforderungen gerecht, ohne dass es einer Beiziehung aller streitgegenständlichen Verfahrensakten der Familien- und Strafsachen bedurfte. Die Antragsgegnerin hat die verzögerten und manipulierten Verfahren auch unter Angabe der Aktenzeichen unstreitig gestellt.

 

2. Die derzeit noch andauernde Dienstunfähigkeit der Antragsgegnerin steht der vorläufigen Dienstenthebung nicht entgegen. Anders als im Verfahren DG-3/2019 ist nämlich derzeit eine Versetzung in den Ruhestand (noch) nicht zu erwarten.

 

3. Die vom Dienstgericht im Hinweis vom 26.02.2021 erwogene Abordnung käme grundsätzlich als milderes Mittel gegenüber einer vorläufigen Dienstenthebung in Betracht. Allerdings ist die Abordnung aus disziplinarischen oder anderen dienstlichen Gründen eine Entscheidung des Dienstherrn.

 

Vgl. § 81 Abs. 2 LRiStaG NRW, der die durch das Gericht von Amts wegen zu treffenden Maßnahmen enumerativ aufzählt und in Abgrenzung zu Abs. 1 die Abordnung nicht erwähnt; insofern ungenau: Erkelenz in Absenger/Addicks/Erkelenz/Heinlein/Helmbrecht/Neubert/Priebe/Wais, Richter- und Staatsanwältegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, § 80, Rn. 13.

 

Da ein entsprechender Antrag und auch kein Einverständnis auf Seiten des Antragstellers vorliegt, kommt weder eine Abordnung im Rahmen einer Verständigung noch im Rahmen einer dienstgerichtlichen Entscheidung in Betracht.

 

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 77 Abs. 1 LRiStaG NRW, § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 1 VwGO. Für eine Kostenentscheidung in besonderen Fällen (§ 95 LRiStaG NRW) sind die Voraussetzungen nicht gegeben.

 

Bei veränderten Umständen kann die Antragsgegnerin gem. § 81 Abs. 4 LRiStaG NRW die Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung beantragen.

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Dienstgericht für Richter für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 21. Juli 2021 - DG-12/2020 zitiert 3 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 97


(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. (2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Ge

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Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 24. Sept. 2018 - 15 B 23/18

bei uns veröffentlicht am 24.09.2018

Gründe 1 Die Antragstellerin ist Bürgermeisterin und Hauptverwaltungsbeamtin der Stadt A-Stadt und wendet sich - erneut - gegen ihre vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vom 03.02.2017

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

Gründe

1

Die Antragstellerin ist Bürgermeisterin und Hauptverwaltungsbeamtin der Stadt A-Stadt und wendet sich - erneut - gegen ihre vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vom 03.02.2017 durch den Antragsgegner als Stadtrat der Stadt A-Stadt. Sie begehrt letztendlich die Abänderung des Beschlusses des Disziplinargerichts vom 25.04.2017 (15 B 3/17 MD; juris), mit welchem das Disziplinargericht den Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung nach § 61 DG LSA ablehnte. Das Disziplinargericht führte in dem Beschluss aus:

2

"Der Stadtrat beschloss am 10.03.2016 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Antragstellerin, welches unter dem 23.06.2016, 10.11.2016 und 02.02.2017 ausgedehnt wurde. Die noch nicht abgeschlossenen behördlichen disziplinarrechtlichen Ermittlungen beinhalten eine Vielzahl möglicher beamtenrechtlicher Pflichtverletzungen hinsichtlich des statusrechtlichen Verhältnisses zwischen der Antragstellerin als Bürgermeisterin und dem Antragsgegner als Dienstvorgesetzten und der diesbezüglichen kommunalverfassungsrechtlichen Ausgestaltung nach dem Kommunalverfassungsgesetz Sachsen-Anhalt (KVG LSA), wie Weisungsverstöße, Verstoß gegen Unterrichtungs- und Beteiligungspflichten, Nichtumsetzung von Stadtratsbeschlüssen, umstrittene Personalentscheidungen und Nebentätigkeit durch die Antragstellerin.

3

Die Suspendierungsverfügung wird darauf gestützt, dass die Vielzahl der vorgehaltenen disziplinarrechtlich relevanten Pflichtverletzungen die Prognose nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA begründeten, dass im späteren (gerichtlichen) Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Unabhängig von dem späteren Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme sei die Suspendierung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA auszusprechen. Denn durch das Verbleiben der Antragstellerin im Dienst würden der Dienstbetrieb und die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt werden und die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Bereits aus den disziplinarrelevanten Vorwürfen ergebe sich, dass von einer wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes auszugehen sei. Denn im Verhältnis zum Stadtrat bzw. jedenfalls zu einer Mehrheit der Mitglieder des Stadtrates sei eine gedeihliche Zusammenarbeit zum Wohle der Kommune nicht mehr gegeben. Dies zeige sich auch in den umstrittenen Personalmaßnahmen der Antragstellerin. Weiter sei davon auszugehen, dass die andauernden disziplinarrechtlichen Ermittlungen bei einem Verbleib der Antragstellerin im Dienst nicht erfolgreich durchgeführt werden könnten. So sei es bereits zu Behinderungen der Ermittlungsführerin durch nicht herausgegebene Akten seitens der Antragstellerin gekommen. Auch dem Stadtrat seien Unterlagen nicht herausgegeben worden. Weiter sei davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Stadtbediensteten bei einem augenblicklichen Verbleiben der Antragstellerin im Dienst sich scheuten, die Antragstellerin im Disziplinarverfahren zu belasten bzw. bei der Aufklärung des Sachverhaltes konstruktiv mitzuwirken. Schließlich stehe die Suspendierung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Denn jedenfalls sei mit einer gehörigen Disziplinarmaßnahme zu rechnen.

4

[…]

5

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist unbegründet. Die vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige disziplinarrechtliche Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.

6

1.) Nach § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einem Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA). Vorliegend stützt der Antragsgegner als zuständiger Dienstvorgesetzter die vorläufige Dienstenthebung auf beide Tatbestände.

7

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und den Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen.

8

2.) Das Disziplinargericht legt seiner Entscheidung allein die tragende Begründung zur vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA zugrunde. Die Suspendierungstatbestände nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA stehen selbständig nebeneinander; liegt einer dieser Tatbestände vor, genügt dies zum Ausspruch der vorläufigen Dienstenthebung, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit des anderen Tatbestandes ankommt.

9

Ob die der Antragstellerin vorgehaltenen zahlreichen beamtenrechtlichen und kommunalverfassungsrechtlichen sowie statusrechtlichen Pflichtverletzungen tatsächlich vorliegen und bereits zum gegenwärtigen entscheidungserheblichen Zeitpunkt die Prognose rechtfertigen, dass bei Fortgang der Ermittlungen und Erhebung der Disziplinarklage tatsächlich zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen, muss vorliegend nicht geprüft werden und darf der sorgfältigen und umfassenden Prüfung im weiteren anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren vorbehalten bleiben.

10

a.) Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (vgl. nur: VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; vgl. zusammenfassend zuletzt: VG Magdeburg, Beschluss v. 26.05.2016, 15 B 8/16 MD; alle juris).

11

b.) Verfahrensfehler in behördlichen Disziplinarverfahren, welche auch auf die streitbefangene Suspendierungsverfügung durchschlagen würden, sind nicht ersichtlich.

12

a. a.) Als Bürgermeisterin ist die Antragstellerin (hauptamtlicher) "Beamter auf Zeit" und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen (§ 6 BeamtStG; § 7 LBG LSA; § 60 Abs. 1 KVG LSA, 1 Abs. 1 DG LSA; vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil vom 06.11.2013, 8 A 9/12 MD und Beschluss v. 26.05.2016, 15 B 8/16 MD mit weiteren Nachweisen auch zu ehrenamtlichen Bürgermeistern; alle juris). Der Antragsgegner ist als Stadtrat der Stadt H… zugleich Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde (§ 45 Abs. 5 KVG LSA) gegenüber der Antragstellerin als Bürgermeisterin und zur Einleitung des Disziplinarverfahrens (§ 17 Abs. 1 DG LSA), Erhebung der Disziplinarklage (§ (34 Abs. 2 DG LSA) und damit zur vorläufigen Dienstenthebung (§ 38 Abs. 1 DG LSA) berufen.

13

b. b.) Das Disziplinargericht folgt nicht den Ausführungen der Antragstellerin, wonach bereits keine "zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte" für den Verdacht eines Dienstvergehens vorliegen. Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens von Amts wegen setzt am Legalitätsprinzip an (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Danach muss der Verdacht eines Dienstvergehens hinreichend konkret sein und bloße Vermutungen sind nicht ausreichend. Dadurch soll die Sachaufklärung sichergestellt werden. Ermittlungen nach § 17 DG LSA dürfen nur eingeleitet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Das schließt Ermittlungen aus, durch die erst festgestellt werden soll, ob solche Tatsachen vorliegen. Es genügen also nicht bloße Vermutungen, Gerüchte oder ähnliches (zweifelhaft: anonyme Anzeige). Hinreichende Tatsachen können sich ergeben aus Hinweisen von Verwaltungsangehörigen, Aktenvorgängen, aber auch aus schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen von Verwaltungsfremden. Die dem Dienstvorgesetzten bekannt gewordenen Tatsachen müssen den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, d. h. dass eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegen würde, wenn sich die verdächtigten Tatsachen als wahr erweisen würden. Der Verdacht bezieht sich zunächst also nur auf das Vorliegen einschlägiger Tatsachen. Über die Rechtsfrage, ob die verdächtigte Tat auch den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllt, muss Gewissheit bestehen (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11 MD; Thüringer OVG, Urteil v. 06.11.2008, 8 DO 584/07; juris; zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, § 17, Rz. 5).

14

Der Einleitungsverfügung lagen zunächst Vorwürfe bezüglich der Nichtunterrichtung des Stadtrates nach § 65 Abs. 2 KVG LSA, der Nichtumsetzung bzw. Vereitelung von Beschlüssen des Hauptausschusses, umstrittener Personalentscheidungen sowie der Nebentätigkeit der Antragstellerin zugrunde. Diese auf Tatsachen gegründeten Vorhalte wurden in den Ausdehnungen um weitere Sachverhalte fortgeführt. Die Vorwürfe sind somit nicht "aus der Luft gegriffen" oder "als pflichtwidrig erfunden" anzusehen, wie die Antragstellerin meint, sondern gründen auf konkrete und benannte Sachverhalte. Einem Disziplinarverfahren dieser Art gegen die Hauptverwaltungsbeamtin ist es zwangsläufig gemein, dass es auf eine Vielzahl konkreter organisatorischer Probleme stößt, zumal wenn es mangels Übernahme durch die Kommunalaufsicht im eigenen Hause geführt werden muss. Von einer rechtlich vorzuwerfenden Wahrnehmung der disziplinarrechtlichen Befugnisse nach dem "Gießkannenprinzip", wie es die Antragstellerin nennt, kann jedenfalls augenblicklich nicht ausgegangen werden. Gleichwohl darf auch das Disziplinargericht darauf hinweisen, dass eine Bündelung der Vielzahl der Vorhalte und deren Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Effektivität und letztendlich des Beschleunigungsgrundsatzes (§ 4 DG LSA) angeraten erscheint. Derartige mögliche (rechtliche) Mängel mögen aber bei tatsächlicher Erhebung der Disziplinarklage relevant sein können.

15

c .c.) Eine Anhörung des Beamten vor Erlass der vorläufigen Dienstenthebung ist im Disziplinarrecht selbst nicht geregelt. Eine Unterrichtung, Belehrung und Anhörung und ein Akteneinsichtsrecht des Beamten ergeben sich aus § 20 DG LSA für das – laufende – Disziplinarverfahren. Dies wurde beachtet. Da die Suspendierung – wie ausgeführt – keine Disziplinarmaßnahme ist, ergibt sich ein Anhörungsrecht allenfalls aus den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen (§ 3 DG LSA; § 28 VwVfG). Insoweit ist aber auch anerkannt, dass die fehlende Anhörung grundsätzlich nach § 45 VwVfG heilbar ist, so dass dem verfassungsrechtlichen Gebot rechtlichen Gehörs genüge getan ist (vgl. nur: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 05.08.2016, 2 MB 23/16; juris).

16

d. d.) Das Disziplinargericht hat auch keinen Anlass anzunehmen, dass die Beschlussfassung über die Suspendierung mangels ordnungsgemäßer Einberufung der Stadtratssitzung an einem durchgreifenden rechtlichen Fehler leiden würde. Unbestritten trägt der Antragsgegner vor, dass die Bekanntmachung der Sitzung - wie auf Veranlassung der Antragstellerin seit eineinhalb Jahren üblich - durch Aushänge des Stadtratsbüros am 24.01.2017 für den 02.02.2017 geschah. Soweit Stadtrat Dr. R… die Einladung rügte, weil sie auf rechtlich ungeklärter Grundlage erfolgt sei, bezog sich dies auf eine angeblich nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung der 1. Änderung zur Hauptsatzung. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Frau R… vom 06.02.2017 hat diese die Einladung bei dem Stadtrat N… am 18.01.2017 in den Briefkasten gesteckt. Stadtrat N… hat im Übrigen seine Rüge nicht weiter begründet. Ausweislich des Protokolls stellte der Stadtratsvorsitzende die Ordnungsmäßigkeit der Einladung und die Beschlussfähigkeit fest.

17

b.) Zutreffend wurde die Suspendierung auch auf § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA gestützt. Danach kann der Beamte suspendiert werden, "wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahmen nicht außer Verhältnis" steht.

18

Die Suspendierung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA entspricht der früheren Rechtsprechung in den Fällen, in denen eine Dienstentfernung mangels möglicher Höchstmaßnahme erkennbar nicht in Betracht kam. Denn die Disziplinarordnungen der Länder und des Bundes (vgl. nur: § 78 DO LSA; § 91 BDO) kannten nur die vorläufige Dienstenthebung bei Einleitung des sog. "förmlichen Disziplinarverfahrens", welches der Ahndung durch Degradierung und Entfernung vorbehalten war. Somit bedurfte und bedarf es bei einer Suspendierung ohne Prognose der späteren Maßnahmenverhängung des Verhältnismäßigkeitsgebots als Korrelat dafür, dass der Beamte seinen aus dem bestehenden Beamtenverhältnis resultierenden Anspruch auf Ausübung des Amts vorübergehend verliert (BVerwG, Beschluss v. 16.05.1994, 1 DB 7.94; juris). Damit fordert die vorläufige Dienstenthebung im Zusammenhang mit einem anhängigen Disziplinarverfahren als lex specialis gegenüber dem allgemeinen beamtenrechtlichen Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG nicht nur die objektive Gefährdung des Dienstes, sondern auch ein diesbezügliches vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten (vgl. nur: BayVGH, Beschluss v. 20.03.2017, 3 ZB 16.921; juris m. w. Nachw.). Die diesbezüglichen Ermessenserwägungen sind in der Suspendierungsverfügung darzulegen. Die pauschale Berufung auf die Tatbestände genügt gerade nicht (BVerwG, Beschluss v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; juris). Damit dient die Suspendierung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA aber auch insoweit dem dienstlichen Interesse, dass der Beamte aus der "Schusslinie" genommen wird und Ruhe in die Ermittlungen und den Dienstbetrieb gebracht werden. Diese Vorgehensweise erscheint dem Gericht vorliegend zwingend geboten.

19

Zur Überzeugung des Disziplinargerichts führt ein Verbleiben der Antragstellerin im Dienst zur wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes und auch der weiterzuführenden disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungen. Dabei weist das Disziplinargericht darauf hin, dass aufgrund der Alternativbezeichnung "oder" im Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA das Vorliegen eines der beiden Voraussetzungen bereits genügt. Schließlich hat der Antragsgegner dies auch zutreffend begründet.

20

a. a) Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs (§ 38 Abs. 1 Satz 2, Alt. 1 DG LSA) ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und hierunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann (OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; VG Regensburg, Beschluss v. 05.12.2016, RN 10A DS 16.1666; beide juris). Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (BayVGH, Beschluss vom 11.12. 2013, 16a DS 13.706; Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand November 2012, Art. 39 Rn. 21 BayDG; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Oktober 2012, § 38 Rdnr. 16), oder wenn durch die Anwesenheit des Beamten der Betriebsfrieden so stark gestört wird, dass sich dadurch die Aufgabenerledigung durch andere Bedienstete oder der Dienststelle insgesamt wesentlich erschwert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00;; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4). Denkbar ist auch, dass durch die Anwesenheit des Beamten Druck auf andere Bedienstete ausgeübt wird (Bay.VGH, Beschluss v. 03.11.2010, 16 a DS 10.1010; juris mit Verweis auf Findeisen, BayDG. 3. Aufl., 2006, Anm. 2.1.2. zu Art. 39).

21

Die allgemeine Stigmatisierung des öffentlichen Dienstes durch die Begehung einer Straftat im Dienst reicht für die Suspendierung nicht aus. So wäre für ein notwendiges Fernhalten des straffällig gewordenen Beamten vom Dienst von Belang, ob er mit dem dienstlichen Inventar oder aus den dienstlichen Räumen heraus die vorgehaltenen Straftaten begangen hat. Gleiches gilt, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte im Dienst aufgrund der ihm dienstlich zur Verfügung stehenden Mittel erneut auffällig wird (VG Magdeburg, Beschluss v. 11.02.2015, 8 B 19/14; juris).

22

Zur Überzeugung des Disziplinargerichts sind diese Voraussetzungen zutreffend von dem Antragsgegner gesehen worden. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Antragstellerin als (gewählter) Bürgermeisterin und Hauptverwaltungsbeamtin der Stadt A-Stadt nicht (nur) um eine innerhalb der Behördenhierarchie eingebundene und weisungsgebundene Beamtin handelt, sondern sie vielmehr die unmittelbare Dienstvorgesetzte aller in der Verwaltung der Stadt A-Stadt beschäftigten Beamten und Angestellten ist. Zur festen Überzeugung der Disziplinarkammer besteht aufgrund dieser Vorgesetzteneigenschaft und der Autorität der Antragstellerin als Bürgermeisterin und Behördenleiterin die Besorgnis, dass der Dienstbetrieb und die Ermittlungsergebnisse wesentlich beeinträchtigt werden können, viel stärker als dies bei einem "normalen" Laufbahnbeamten der Fall wäre. Denn einen solchen Beamten könnte man beamtenrechtlich - vorübergehend - einen anderen Aufgabenbereich zuordnen und insoweit "unter Kontrolle" und aus der "Schusslinie" halten. Solches ist jedoch bei der Antragstellerin aufgrund ihrer hierarchischen Funktion und Stellung im kommunalen Dienstbetrieb als Behördenleiterin nicht möglich (so zum Bürgermeister auch: VG Meiningen, Beschluss vom 07.04.2004, 6 D 60017/03.Me; juris).

23

Dies hat der Antragsgegner in seiner Begründung zu § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA auch zutreffend erkannt und ausgeführt. Das Potential der Dienstbeeinträchtigung ist bei einem Behördenleiter um ein Vielfaches höher als bei einem unterstufigen Beamten. Es ist nachvollziehbar und entspricht der Lebenswirklichkeit, dass sich bei dienstlicher Anwesenheit des Behördenleiters die Ermittlungen ungemein erschweren und Bedienstete nicht unbeschwert aussagen wollen oder können. Dies beeinträchtigt nicht nur die Ermittlungen, sondern stört auch den gedeihlichen Dienstbetrieb. Dabei darf das Disziplinargericht auch darauf hinweisen, dass sich aus den gerichtbekannten Akten und Unterlagen aber auch aus der öffentlichen Berichterstattung durchaus der Eindruck aufdrängt, dass die Antragstellerin ein starke und selbstbewusste Persönlichkeit darstellt, die in der Lage und es auch gewöhnt ist, ihre Belange zu vertreten. Ohne Frage ist aufgrund der leider langjährigen mannigfaltigen Auseinandersetzungen zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner auch der Betriebsfrieden bzw. der Dienstbetrieb innerhalb der Stadt A-Stadt als Kommunalverwaltung erheblich gestört. Dies zeigt sich auch durch die gerichtsbekannte starke Berichterstattung in der örtlichen Presse.

24

Dabei kommt es auch nicht entscheidend darauf an, von welcher Seite diese – auch gerichtlichen - Auseinandersetzungen zu vertreten sind bzw. worin der Auslöser dafür bestand. Entscheidung für die Suspendierung nach § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA muss vielmehr die objektive Sicherstellung des behördlichen Dienstapparates und/oder der weiteren disziplinarrechtlichen Ermittlungen sein. Ist dies bereits bei jedem Beamten innerhalb seiner Einbindung in die hierarchische Beamtenstruktur problematisch, muss dies bei der Antragstellerin als Bürgermeisterin und damit Behördenleiterin erst recht gelten. Dabei ist ebenso wenig entscheidend, dass die Antragstellerin ihr Bürgermeisteramt aufgrund einer demokratisch legitimierten Wahl und damit direkt vom Volke ableitet. Denn - und dies ist unstreitig und bedarf keiner weiteren Ausführungen - die Antragstellerin unterliegt auch als Wahlbeamtin der Disziplinargewalt nach dem Disziplinargesetz, welche vom Antragsgegner als Stadtrat und damit Dienstvorgesetzen ausgeübt wird. Mögen insoweit auch unterschiedliche politische Auffassungen und Interessen zwischen der gewählten Antragstellerin und dem gewählten Antragsgegner zutage treten, ist entscheidend, dass es vorliegend jedenfalls bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht um diese politische Auseinandersetzung geht, sondern unabhängig davon um die Sicherstellung der kommunalrechtlichen Handlungsfähigkeit der Stadt A-Stadt als Kommune und der ordnungsgemäßen Durchführung der weiteren disziplinarrechtlichen Ermittlungen. Gerade wegen der bereits lang andauernden behördlichen disziplinarrechtlichen und jetzt auch strafrechtlichen Ermittlungen und des stetig weiter eskalierenden Streites zwischen den Beteiligten ist die Gefahr der schädlichen Auswirkungen auf den kommunalen Dienstbetrieb auch aufgrund von "Lagerbildung" nicht von der Hand zu weisen. Insoweit darf auch die nachweislich stark gestörte Zusammenarbeit mit dem Stadtrat als Kriterium herangezogen werden (vgl. VG Regensburg, Beschluss v. 05.12.2016, RN 10A DS 16.1666; juris). Aufgrund dieses hohen Gutes der dienstlichen und damit auch öffentlichen Interessen der Kommunalverwaltung erscheinen auch dem Disziplinargericht die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA als gegeben.

25

b. b. ) Schließlich sieht das Disziplinargericht auch die Voraussetzungen dafür als erfüllt an, dass bei einem Verbleiben der Antragstellerin im Dienst die weiteren (disziplinarrechtlichen) Ermittlungen wesentlich erschwert (§ 38 Abs. 1 Satz 2, Altern. 2 DG LSA) werden würden.

26

Eine wesentliche Beeinträchtigung der Ermittlungen ist zu befürchten, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass die während des Disziplinarverfahrens durchzuführenden Ermittlungen bei einem Verbleib des Beamten im Dienst nicht erfolgreich durchgeführt werden können. Davon ist etwa dann auszugehen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu erwarten ist, der Beamte werde seinen Aufenthalt im Dienstgebäude zur Vernichtung von Beweismitteln ausnutzen, oder wenn zu befürchten ist, dass Mitarbeiter oder sonstige Angehörige der Dienstbehörde an der Aufklärung des Sachverhalts nicht konstruktiv mitwirken (Gansen, a. a. O., § 38 Rdnr. 16b). Die allgemeine Befürchtung, eine derartige Situation könne eintreten, reicht nicht aus (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris). Allerdings darf sich die Beurteilung dieser Voraussetzungen nicht nur auf Fakten im Sinne bereits vorgefallener Geschehnisse, sondern auch auf Prognosen stützen (Bay.VGH, Beschluss vom 03.11.2010, 16 a DS 10.1010; juris).

27

Im Rahmen dieser nach § 61 Abs. 2 DG LSA vorzunehmenden Prüfung kann und darf das Disziplinargericht – wie eingangs ausgeführt - auch die weiteren nach dem Erlass der Suspendierungsverfügung bekanntgewordenen Umstände berücksichtigen. Denn dadurch werden die bereits in der Suspendierungsverfügung ausgeführten Umstände weiter untermauert. Insoweit ist von besonderer Bedeutung, dass nach dem augenblicklichen Sach- und Aktenstand davon auszugehen ist, dass die auf dem Dienstrechner der Antragstellerin vorhandenen - dienstlichen - Daten umfassend gelöscht und damit manipuliert wurden. Die Sachgebietsleiterin IT, Frau S…, hat in einer zur Akte gereichten dienstlichen Erklärung ausgeführt, dass sie den von der Antragstellerin angeordneten IT-Dienst während der Ausschusssitzungen am 03.02.2017 selbst wahrgenommen und dabei festgestellt habe, dass das dienstliche Verzeichnis der Antragstellerin leer gewesen sei. Das Verzeichnis habe nur noch eine Größe von 128 KB (eine Datei) gehabt, so dass nahezu alle Daten gelöscht worden seien. Das User-Verzeichnis sei am 02.02.2017 um 16.30 Uhr letztmalig verändert worden. Frau S… habe das Verzeichnis im Umfang von 1,36 GB, 549 Dateien und 65 Ordnern wiederhergestellt. Bei einer späteren Sicherung des PC's habe sie festgestellt, dass die Festplatte neu installiert und erstellt worden sei. Das Löschen von Daten aus dem personalisiertem User-Verzeichnis könne nur durch die IT-Administratoren oder durch die Antragstellerin selbst mittels eigenem Passwort vorgenommen worden sein. Ebenso seien über 9.000 Einträge aus dem Postfach gelöscht worden.

28

Dieser Sachverhalt zeigt zur Überzeugung des Disziplinargerichts, dass am Dienstrechner der Antragstellerin ganz erheblich manipuliert wurde und es somit auf der Hand liegt, dass weitere disziplinarrechtliche Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt werden konnten oder könnten. Diese Erkenntnisse sind in der vorliegenden Entscheidung auch berücksichtigungsfähig und rechtlich verwertbar; sie unterliegen nicht etwa einem Verwertungsverbot. Auf eine Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter kommt es demnach überhaupt nicht an. Denn entscheidend ist, dass Frau S… als Sachgebietsleiterin Informationstechnologie bei der Stadt A-Stadt berechtigt war, Datenverlusten entgegenzuwirken. Nach Punkt 4.1.7 der Dienstanweisung Datenschutz der Stadt A-Stadt vom 01.08.2002 oblag es ihr, unerwartetes Systemverhalten, ungewöhnliche Ereignisse sowie jeglichen Datenverlust dem Systembetreuer zu melden. Darüber hinaus ordnete die Antragstellerin ausweislich eines Protokollauszuges der Dienstberatung vom 15.12.2015 an, dass während der Ausschusssitzungen das Sachgebiet IT zwingend besetzt werden müsse, um die Sicherstellung der Funktionalität des Netzwerkes hinsichtlich des jederzeitigen Datenaustausches bzw. benötigter Unterlagen zu gewährleisten. Die bereits vor der entscheidenden Beschlussfassung über die Suspendierung der Antragstellerin durch Frau S... festgestellten Datenmanipulationen sind daher nicht dem laufenden Disziplinarverfahren zuzuordnen, sondern dem alltäglichen Pflichtenkreis der Frau S... als Sachgebietsleiterin der Informationstechnologie. Die Maßnahmen dienten daher ausschließlich dem Schutz der eigenen IT-Infrastruktur und sind nicht als Durchsuchung anzusehen. Sie betrafen vielmehr die bestimmungsgemäße Behandlung von Daten sowie die Ausübung von Befugnissen durch die Nutzer sowie hier durch Frau S... als Sachgebietsleiterin IT. Kann somit eine Manipulation des Dienstrechners bzw. der dortigen Daten der Antragstellerin nur durch die Administratoren bzw. denjenigen, welcher über das von der Antragstellerin vergebene Passwort verfügt, durchgeführt werden, rechtfertigt dies zum augenblicklichen Zeitpunkt jedenfalls die Annahme der wesentlichen Beeinträchtigung der weiteren Ermittlungen.

29

Schließlich belegt auch die im Rahmen der IT-Sicherheit wiederhergestellte E-Mail der Antragstellerin vom 29.01.2017 an die Kollegin K… die realistische Gefahr der Einflussnahme auf die Ermittlungen durch die Antragstellerin. Denn mit der Wendung:

30

"Dann müssen wir besprechen, dass Y… oder/und die Azubis ALLE Unterlagen bei der W… rausholen und sichern in einem Raum. Frag dazu mal bitte C…",

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"regte" die Antragstellerin "nicht lediglich an, die Sicherung der Akten unter Hinzuziehung von Verwaltungspersonal zu besprechen", wie es die Antragstellerin meint. Auch die "Sicherung in einem separaten Raum" ändert daran nichts, solange dieser Raum unbekannt ist und nur ihrer "Sicherung" untersteht. Im Übrigen sind der Verbleib der im Büro von Frau W… „sichergestellten“ Akten und Gegenstände, deren Anzahl sowie genau Auflistung gerade streitig zwischen den Beteiligten. In der Verfügungsgewalt der Stadt A-Stadt befinden sich die Unterlagen jedenfalls nicht. Gerade deswegen wird nunmehr auch strafrechtlich gegen die Antragstellerin ermittelt (Az.: 586 Js 11754/17). Insoweit darf auch bezweifelt werden, ob diese "Sicherung" aus "dienstlichen Gründen notwendig" war, wie die Antragstellerin meint. Aus der nunmehr vorliegenden Aufstellung der aus dem Dienstzimmer der Frau W... abhanden gekommenen Gegenstände ergibt sich eine Vielzahl von Gegenständen, Akten und Unterlagen, die nichts mit dem arbeitsgerichtlichen Verfahren zwischen der Antragstellerin als Vertreterin der Stadt A-Stadt und Frau W... als abgemahnter stellvertretender Bürgermeisterin zu tun haben können. Dabei ist zum augenblicklichen für das Disziplinargericht entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch nicht ausschlaggebend, ob die Antragstellerin tatsächlich für die Wegnahme der Gegenstände rechtlich verantwortlich ist; dies bleibt dem augenblicklichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vorbehalten. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die durch Frau s... wiederhergestellte E-Mail einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Denn entscheidend ist, dass die Antragstellerin unstreitig den Auftrag zur "Sicherstellung" von Akten im Büro der Frau W... durch den Bediensteten K… gegeben hat und dies auch geschehen ist.

32

c. c.) Ebenso sieht das Disziplinargericht die weiteren Voraussetzungen der auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA gestützten vorläufigen Dienstenthebung, nämlich die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, als gegeben an. Die vorläufige Dienstenthebung kann nur angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Der disziplinarrechtliche Vorwurf muss deshalb von einigem Gewicht sein und muss mutmaßlich zu einer Disziplinarmaßnahme führen, die eine vorläufige Dienstenthebung vertretbar erscheinen lässt. So liegt es hier. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich in einer herausgehobenen Position befindet und die disziplinarrechtlichen Vorwürfe von einigem Gewicht sind und durchaus zu einer erheblichen Disziplinarmaßnahme führen können. Es stehen nicht nur beamtenrechtliche Pflichtverletzungen, sondern auch solche kommunalverfassungsrechtlicher und statusrechtlicher Art im Raum, welche nicht nur oder überwiegend der politischen Auseinandersetzung geschuldet sind, sondern vielmehr den Kernbereich ihres Pflichtenkreises berühren und nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind."

II.

33

An dieser Einschätzung hat sich zur Überzeugung des Disziplinargerichts nichts geändert. Für die Änderung oder Aufhebung von Beschlüssen über Anträge nach § 61 Abs. 1 DG LSA gilt § 80 Abs. 7 VwGO entsprechend (§ 61 Abs. 3 DG LSA). Danach kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben. Andernfalls verbleibt es bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGOrechtskräftig getroffenen Entscheidung und der Antragsteller muss den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten(vgl. zum Ganzen nur: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rz. 196). Dies bedeutet, dass die Antragstellerin aufgrund neuer Umstände das Disziplinargericht überzeugen muss, von seiner nach § 61 i.V.m. § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA - rechtskräftig - getroffenen Entscheidung abzuweichen; ansonsten muss der Ausgang des Weiteren behördlichen Disziplinarverfahrens abgewartet werden.

34

Wegen dieser speziellen Regelung in § 61 Abs. 3 DG LSA ist es der Antragstellerin verwehrt eine erneute gerichtliche Überprüfung der ursprünglichen Suspendierungsentscheidung nach § 61 Abs. 1 DG LSA herbeizuführen. Denn die Rechtskraft der dazu ergangen gerichtlichen Entscheidung im Beschluss vom 25.04.2017 soll nur unter den Voraussetzungen nach § 80 Abs. 7 VwGO durchbrochen werden können. Auf die von der Antragstellerin vorgetragenen fehlenden Voraussetzungen der Höchstmaßnahmeprognose nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kommt es demnach hier nicht an. Denn das Disziplinargericht hat seine damalige Entscheidung allein auf die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1Satz 2 DG LAS gestützt

35

Diesen Abänderungsanforderungen wird der Vortrag der Antragstellerin nicht gerecht. Das Disziplinargericht teilt nicht die Einschätzung der Antragstellerin, dass "aufgrund neuer entlastender Ermittlungsergebnisse, in Folge derer gewichtige und als tragend bezeichnete Vorwürfe entfallen und der von der Antragstellerin vorgebrachten ausführlichen und substantiierten Stellungnahme, die selbst beim Antragsgegner Zweifel an der Richtigkeit der Vorwürfe weckten, […] die ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung aufzuheben" sei.

36

Soweit die Antragstellerin diese neuen Erkenntnisse auf die nunmehr im Keller des Rathauses in A-Stadt aufgefundenen zuvor vermissten Akten bezieht, entlastet dies die Antragstellerin nicht von dem ihr gegenüber erhobenen disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Vorwurf der Aktenunterdrückung. Denn wie und durch wen diese Akten dorthin gelangten, ist weiterhin unklar.

37

Die zunächst mit Abschlussbericht vom 01.02.2018 beendeten disziplinarrechtlichen Ermittlungen sind mit Beschluss des Antragsgegners vom 07.06.2018 auch aufgrund der ausführlichen Stellungnahme und der zahlreichen von der Antragstellerin vorgebrachten verfahrensrechtlichen Anträge wieder aufgenommen worden. Darin einen Beleg für die Entlastung der Antragstellerin bzw. dafür, dass auch der Antragsgegner "nicht mehr von der unzweifelhaften Richtigkeit der Vorwürfe ausgeht", vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen.

38

Vielmehr bleibt es bei der Einschätzung des Disziplinargerichts, dass das Verbleiben der Antragstellerin als „Behördenleiterin“ zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes (§ 38 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 DG LSA) und auch der weiterzuführenden disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungen führt (§ 38 Abs.1 Satz 2 Alt. 2 DG LSA). Denn nach wie vor ist das Verhältnis zwischen den Beteiligten derart angestrengt, dass die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorliegen, ohne dass es bewertet werden muss, welche Partei dafür verantwortlich ist. Auf die oben wiedergegebenen Ausführungen in dem Beschluss vom 25.04.2017 darf daher zur weiteren Begründung verwiesen werden.


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.