Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 1 VR 1/18 (1 VR 8/17, 1 VR 10/17), 1 VR 1/18, 1 VR 8/17, 1 VR 10/17

ECLI:ECLI:DE:BVerwG:2018:260318B1VR1.18.0
bei uns veröffentlicht am26.03.2018

Gründe

I

1

Der Antragsteller, ein 1980 geborener tunesischer Staatsangehöriger, begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung Abschiebungsschutz.

2

Er reiste erstmals 2003 zu Studienzwecken in das Bundesgebiet ein. Bevor er 2008 ohne Abschluss exmatrikuliert wurde, heiratete er 2005 eine deutsche Staatsangehörige. Die Ehe wurde 2009 geschieden, nachdem ihn seine Ehefrau mehrfach wegen häuslicher Gewalt angezeigt hatte. 2010 wurde dem Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Im April 2013 wurde er von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Im Februar 2015 wurde der Antragsteller beim illegalen Grenzübertritt in Griechenland angetroffen. Im Juli 2015 wurde er unter dem Namen K. Nk. als angeblich syrischer Flüchtling in Ungarn registriert. Am 13. August 2015 reiste er unter dem Namen K. Vd. als Flüchtling von Frankreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 15. August 2016 wurde er mit auf den Namen K. Fk. ausgestellten Dokumenten in Frankfurt am Main aufgrund eines Auslieferungsersuchens der tunesischen Strafverfolgungsbehörde festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, in Tunesien an der Planung und Umsetzung von terroristischen Anschlägen, so an dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis am 18. März 2015 und an einem Angriff auf die tunesische Stadt Ben Guerdane, beteiligt gewesen zu sein. Am 4. November 2016 wurde er aus der Auslieferungshaft entlassen, da die tunesischen Behörden die dem deutsch-tunesischen Auslieferungsvertrag entsprechenden Unterlagen nicht fristgerecht übersandt hatten. Nach zwischenzeitlichen Ermittlungen der deutschen Sicherheitsbehörden wurde der Antragsteller am 1. Februar 2017 im Rahmen einer Antiterror-Razzia unter anderem wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Untersuchungshaft genommen. Mit Bescheid vom 9. März 2017 wies ihn die Stadt Frankfurt am Main gestützt auf § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung nach Tunesien an. Einen hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ab. Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde wurde als unzulässig verworfen. Zeitgleich mit dem Eilrechtsschutzantrag gegen die Ausweisungsverfügung stellte der Antragsteller, als er sich bereits zur Abschiebung am Flughafen befand, einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 24. März 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als offensichtlich unbegründet ab. Den hiergegen gerichteten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 5. April 2017 mit der Maßgabe ab, dass die tunesische Regierung näher benannte Zusicherungen abgibt. In einer Verbalnote vom 11. Juli 2017 versicherte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Tunesischen Republik unter anderem, dass sich die tunesischen Behörden im Rahmen ihrer Verbundenheit mit den demokratischen Werten zur Wahrung der in der neuen tunesischen Verfassung festgeschriebenen Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichten, und betonte, dass Tunesien ungeachtet der in Strafgesetzen angeordneten Todesstrafe diese auf der Grundlage eines Moratoriums nicht vollstrecke. Auf einen weiteren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hin hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main dem Antragsgegner die Abschiebung auf der Basis der Verbalnote vom 11. Juli 2017 untersagt.

3

Mit Verfügung vom 1. August 2017 ordnete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport auf der Grundlage des § 58a AufenthG die Abschiebung des Antragstellers nach Tunesien wegen dessen terroristischer Aktivitäten zugunsten des "Islamischen Staates" (IS) an. Mit Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17 - hat der erkennende Senat einen hiergegen gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Er ist auf der Grundlage einer Vielzahl von Erkenntnismitteln davon ausgegangen, dass ein beachtliches Risiko besteht, dass der Antragsteller einen Terroranschlag in Deutschland begeht (vgl. Beschluss vom 19. September 2017 Rn. 22-38). Die Ablehnung des Rechtsschutzantrags erfolgte mit der Maßgabe, dass zusätzlich zu der Verbalnote vom 11. Juli 2017 eine tunesische Regierungsstelle zusichert, dass im Falle der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Überprüfung der Strafe mit der Aussicht auf Umwandlung oder Herabsetzung der Haftdauer gewährt wird. Nach Eingang einer Zusicherung des Generalstaatsanwalts (Leiter der Strafverfolgungsbehörden) beim tunesischen Justizministerium vom 21. Dezember 2017 soll der Antragsteller nunmehr nach Tunesien abgeschoben werden.

4

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem neuerlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 3. Januar 2018 mit der Begründung, die Zusicherung vom 21. Dezember 2017 genüge nicht den von dem Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 19. September 2017 aufgestellten Anforderungen. Der Senat hat mit Verfügungen vom 25. Januar 2018, 12. Februar 2018 und 14. März 2018 ergänzende Auskünfte des Auswärtigen Amtes eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und insbesondere die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 3., 16., 23. und 25. Januar 2018, 11. und 16. Februar 2018, 14. und 26. März 2018 (nebst Anlagen) verwiesen.

II

5

Der Senat nimmt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Antragsgegner eine Abschiebung des Antragstellers nach Tunesien zu untersagen, mit Blick auf die in diesem Verfahren (über den Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht) abgegebene Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 12. Januar 2018 (Bl. 57 ff. der Gerichtsakte) und die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 (Bl. 225 ff. der Gerichtsakte), vom 7. März 2018 (Bl. 409 ff. der Gerichtsakte) sowie vom 20. März 2018 (Bl. 556 ff. der Gerichtsakte) zum Anlass, nach § 80 Abs. 7 VwGO seinen Beschluss vom 19. September 2017 zu ändern und von einer Maßgabe abzusehen (1.). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen, weil es auf das Vorliegen einer förmlichen Zusicherung, die der aufgehobenen Maßgabe entspricht, nicht mehr ankommt und sich der Antragsteller auch in der Sache nicht auf ein Abschiebungsverbot berufen kann (2.).

6

1. Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Gegenstand dieses Abänderungsverfahrens ist die Prüfung, ob eine zuvor im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffene gerichtliche Entscheidung über die Bestätigung oder Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise geändert oder aufgehoben werden soll. Dabei geht es nicht um die ursprüngliche Richtigkeit der im vorangegangenen Verfahren getroffenen Entscheidung, sondern um den Fortbestand der im Aussetzungsverfahren getroffenen Eilentscheidung. Prüfungsmaßstab ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die aufschiebende Wirkung geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2016 - 4 VR 13.16 - BauR 2016, 1770 Rn. 6 m.w.N.). Es ist grundsätzlich nur über die Aufrechterhaltung des verfügenden Teils der ursprünglichen Aussetzungsentscheidung zu befinden (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 190 f.). Während § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO die besonderen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit eines Abänderungsantrags eines Beteiligten bestimmt, regelt § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO die Aufhebungs- und Änderungskompetenz von Amts wegen. Die Abänderung von Amts wegen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts der Hauptsache, das nach den gleichen Grundsätzen auszuüben ist, wie sie für das Verfahren bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgebend sind. Gemessen hieran war der Senat zur Abänderung seines Beschlusses vom 19. September 2017 befugt.

7

Der Senat ist auf der Grundlage der eingeholten Auskünfte und Erklärungen tunesischer Stellen nunmehr davon überzeugt, dass dem Vollzug der Abschiebungsanordnung keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegenstehen. Auf die Zusicherung der Möglichkeit einer Überprüfung einer (etwaigen) lebenslangen Freiheitsstrafe mit der Aussicht auf Umwandlung und Herabsetzung der Haftdauer kann daher verzichtet werden. Diese Auskünfte und Erklärungen sind im Rahmen der Prüfung, ob an dem Erfordernis einer förmlichen Zusicherung in dem Beschluss vom 19. September 2017 festzuhalten ist, unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie den Anforderungen an die in jenem Beschluss geforderte Zusicherung entsprechen; entscheidend ist, ob sich der Antragsteller auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot berufen kann, weil ihm in Tunesien eine gegen Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoßende Behandlung droht. Dies ist nicht der Fall, so dass auch die Maßgabe in dem Beschluss vom 19. September 2017 aufzuheben ist. Der Antragsteller ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

8

a) Der Senat sieht allerdings weiterhin eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ("real risk"), dass dem Antragsteller die Verhängung der Todesstrafe, die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe droht.

9

aa) Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 und dem dieser beigefügten Schreiben des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018 werden dem Antragsteller folgende Taten zur Last gelegt:

10

(1) Dem Fahndungsersuchen der tunesischen Strafverfolgungsbehörden vom 11. Juli 2016 liegt der Haftbefehl Nr. 1240/36 vom 3. Juni 2016 zugrunde. Dem Ersuchen zufolge soll der Antragsteller Planer und Organisator des Anschlags auf das Bardo-Museum und des Versuchs, die Stadt Ben Guerdane zu erobern, gewesen sein. Hierfür sieht das Gesetz Nr. 25 aus dem Jahr 2015 eine Freiheitsstrafe von maximal 20 Jahren vor (vgl. Ziffer 1 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018).

11

Mit Entscheidung vom 21. Juni 2017 hat der tunesische Ermittlungsrichter die diesbezüglichen Ermittlungen abgeschlossen, die begangenen Handlungen als Verbrechen bewertet und die Sache an die Anklagekammer überwiesen. Nach dieser Entscheidung kann gemäß Art. 72 des tunesischen Strafgesetzbuchs (CP) die Todesstrafe verhängt werden, die jedoch aufgrund eines Moratoriums nicht angewendet wird (vgl. Ziffer 3 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018).

12

(2) Dem Auslieferungs- und Festnahmeersuchen von 2016, dem der internationale Haftbefehl vom 5. September 2016 - Az: 36/1240 - zugrunde liegt, ist eine Anklageschrift des stellvertretenden Staatsanwalts bei der Juristischen Abteilung für Terrorismusbekämpfung beim erstinstanzlichen Gericht in Tunis beigefügt, wonach dem Antragsteller unter anderem Tötungsdelikte, gemeingefährliche Delikte, Gewaltdelikte, illegaler Bombenbau, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Planung von Terrorakten vorgeworfen werden. Das Auslieferungsersuchen war ursprünglich darauf gestützt, dass der Antragsteller im Jahr 2013 Tunesien in Richtung Syrien verlassen und sich dort dem IS-Terrornetzwerk angeschlossen habe. Zudem habe er den Messenger-Dienst Telegram genutzt, um Sympathisanten des Terrornetzwerks "IS" anzuwerben und potentielle terroristische IS-Anhänger nach Syrien zu schleusen. Die Tatvorwürfe wurden später dahingehend ergänzt, der Antragsteller habe einem verdeckten Ermittler ("W.") den Plan anvertraut, einen Sprengstoffanschlag auf eine Kaserne in El-Gorjani oder auf einen Stützpunkt der tunesischen Nationalgarde in El-Aouina zu verüben, und sich gegenüber dem verdeckten Ermittler bereit erklärt, einen Bombenexperten zu beherbergen sowie Mord- und Bombenanschläge in Tunis zu verüben. Die Strafbarkeit ergebe sich aus dem Antiterrorismusgesetz vom 7. August 2015 (LAT), dem tunesischen Strafgesetzbuch sowie dem Waffengesetz. Wegen dieser Delikte drohe eine Freiheitsstrafe von bis zu 30 Jahren (vgl. Ziffer 2 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018).

13

(3) Dem Fahndungsersuchen vom 25. Januar 2018 zufolge, dem der Haftbefehl vom 3. November 2017 - Az: 2379/12 - zugrunde liegt, soll der Antragsteller unter anderem im Jahr 2015 Personen dabei behilflich gewesen sein, nach Syrien zu reisen, um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Dem Antragsteller werden in diesem Zusammenhang insbesondere Aufruf zur Begehung terroristischer Straftaten und Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation, Störung der öffentlichen Ordnung, des Friedens oder der internationalen Sicherheit in Tunesien oder im Ausland und Verwendung des Terrorismus als Mittel zur Erreichung seiner Ziele zur Last gelegt. Rechtliche Grundlage sind Art. 32 CP und verschiedene Bestimmungen des Antiterrorismusgesetzes. Wegen dieser Taten drohe eine "lebenslange Freiheitsstrafe von maximal 20 Jahren" (vgl. Ziffer 4 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018).

14

(4) Ferner ergibt sich aus einer Auskunft der Justizkommission zu Tunis vom 23. August 2016, dass gegen den Antragsteller vier Haftbefehle vorliegen, wonach er unter anderem im Fokus von Ermittlungen der Anti-Terror-Einheit der Polizei und der regionalen Abteilung für Terrorismusbekämpfung stand. Die betreffenden Straftaten ermöglichten die Verhängung einer Freiheitsstrafe von höchstens zwölf Jahren (vgl. Ziffer 5 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018).

15

bb) Unter Würdigung der unter aa) (1) bis (4) näher bezeichneten Strafverfolgungsmaßnahmen sieht der Senat weiterhin eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ("real risk"), dass gegen den Antragsteller die Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird. Der Antragsteller weist zu Recht darauf hin, dass die in Ziffer 2. d) des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018 genannten Art. 90 und 91 LAT Verjährungsvorschriften betreffen und nicht den Strafrahmen bezeichnen und daher die angegebene Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu 30 Jahren) nicht zutreffen kann. Da die dem Antragsteller unter Ziffer 2. c) des aufgeführten Schreibens zur Last gelegten Taten unter anderem auch Tötungsdelikte und Gewaltdelikte umfassen, ist nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass ihm insoweit die Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe droht. Denn Art. 14 LAT sieht bereits bei dem Versuch der Tötung eines Menschen die Todesstrafe und bei Gewalttätigkeiten eine lebenslange Freiheitsstrafe vor (vgl. Anlage 4 der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 sowie Ziffer 3 des Schreibens des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018). Vor dem Hintergrund des in Tunesien praktizierten Moratoriums (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 S. 17) mündet auch eine verhängte Todesstrafe aufgrund der Umwandlung anlässlich einer Begnadigung in eine lebenslange (oder zeitige) Freiheitsstrafe ein (vgl. dazu unten b)).

16

b) Die drohende Verhängung der Todesstrafe begründet im Fall des Antragstellers kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. Dem Antragsteller droht weder die Vollstreckung der Todesstrafe (aa) noch die faktische lebenslange Inhaftierung ohne Überprüfungsmöglichkeit infolge der Nichtvollstreckung der Todesstrafe (bb).

17

aa) Es steht nicht zu befürchten, dass eine gegen den Antragsteller etwaig verhängte Todesstrafe vollstreckt würde. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des in Tunesien seit Jahren bestehenden Moratoriums und der Ausführungen in der Verbalnote des tunesischen Außenministeriums vom 11. Juli 2017 fest (vgl. Beschluss vom 19. September 2017 - 1 VR 8.17 - Rn. 48 ff.; siehe auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 und vom 20. März 2018 ).

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bb) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt auch insoweit nicht vor, als dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet ist, die nicht vollstreckte Todesstrafe, die faktisch wie eine lebenslange Freiheitsstrafe wirkt, mit der Aussicht auf Entlassung überprüfen zu lassen.

19

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbietet die Europäische Menschenrechtskonvention grundsätzlich nicht, einen erwachsenen Straftäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ebenso wenig verstößt es gegen die Konvention, wenn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter seine Strafe bis zu seinem Lebensende verbüßen muss. Gegen Art. 3 EMRK kann indes eine de jure und de facto nicht reduzierbare lebenslange Freiheitsstrafe verstoßen (EGMR, Urteil vom 12. Februar 2008 - Nr. 21906/04, Kafkaris/Zypern - Rn. 97). Reduzierbar in diesem Sinne ist eine lebenslange Freiheitsstrafe dann, wenn sie überprüft werden kann und eine Aussicht auf Entlassung für den Gefangenen besteht (EGMR , Urteil vom 9. Juli 2013 - Nr. 66069/09, 130/10 und 3896/10, Vinter u.a./U.K. - Rn. 110 ff.). Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Weiteren festgestellt hat, kann ein Gefangener nur in Haft gehalten werden, solange es legitime Strafgründe für die Inhaftierung gibt, die Bestrafung, Abschreckung, Schutz der Öffentlichkeit und Resozialisierung einschließen (EGMR , Urteile vom 26. April 2016 - Nr. 10511/10, Murray/Niederlande - Rn. 100 und vom 17. Januar 2017 - Nr. 57592/08, Hutchinson/U.K. - Rn. 42). Die Überprüfung, die erforderlich ist, damit eine lebenslange Freiheitsstrafe reduzierbar ist, soll den innerstaatlichen Behörden erlauben zu erwägen, ob eine Änderung des Gefangenen und ein Fortschritt in Richtung seiner Resozialisierung von solcher Bedeutung sind, dass die weitere Inhaftierung nicht länger durch legitime Strafgründe gerechtfertigt ist (EGMR, Urteil vom 4. September 2014 - Nr. 140/10, Trabelsi/Belgien - Rn. 115; EGMR , Urteil vom 26. April 2016 - Nr. 10511/10, Murray/Niederlande - Rn. 100). Außerdem haben zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte ein Recht darauf, schon bei Strafantritt zu wissen, was sie tun müssen, um für eine Entlassung in Betracht gezogen zu werden, und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist (EGMR, Urteile vom 20. Mai 2014 - Nr. 73593/10, László Magyar/Ungarn - Rn. 53 und vom 4. September 2014 - Nr. 140/10, Trabelsi/Belgien - Rn. 115; EGMR , Urteil vom 17. Januar 2017 - Nr. 57592/08, Hutchinson/U.K. - Rn. 44). Es bedarf mithin objektiver und vorher bestimmter Kriterien, unter welchen Voraussetzungen eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt.

20

Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob es im Falle der (isolierten) Verhängung einer Todesstrafe rechtlich geboten ist, diese (nicht vollstreckte) Todesstrafe wie eine lebenslange Freiheitsstrafe zu behandeln, und daher die eben dargestellten Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anzuwenden sind. Der Gerichtshof hat sich bisher zu dieser Frage nicht ausdrücklich geäußert. In der Rechtssache Kaboulov/Ukraine (Urteil vom 19. November 2009 - Nr. 41015/04 - Rn. 99 ff.) hat er seine rechtliche Prüfung bei einer aufgrund eines Moratoriums nicht vollstreckten Todesstrafe indes nicht auch darauf erstreckt, ob die (faktisch) als lebenslange Freiheitsstrafe anzusehende Strafe konventionskonform ist. Selbst wenn man die nicht vollstreckte Todesstrafe wie eine lebenslange Freiheitsstrafe behandeln würde und wie bei einer solchen die Möglichkeit der Überprüfung der Strafe und Aussicht auf Entlassung voraussetzen müsste, stünde dies hier der Abschiebung nicht entgegen. Der Antragsteller hat nämlich auch für den Fall der Verhängung der Todesstrafe im Ergebnis eine hinreichende, dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 3 EMRK angestrebten Schutzniveaus genügende Gewähr, dass er eine Überprüfung seiner Strafe bewirken kann.

21

Dies folgt aus dem in den Art. 353 und 354 der tunesischen Strafprozessordnung (CPP) verankerten Recht auf eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung in Kombination mit dem in den Art. 371 und 372 CPP statuierten Begnadigungsrecht des Staatspräsidenten.

22

Der Senat verkennt nicht, dass - im Falle einer verhängten Todesstrafe - sich eine hinreichende Überprüfungsmöglichkeit nicht allein aus den Art. 353 und 354 CPP ergibt. Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

Art. 353

Jedem, der zu einer oder mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden ist und durch sein Verhalten in der Haft seine Änderung unter Beweis gestellt hat oder dessen Entlassung als im Interesse der Gemeinschaft beurteilt wurde, kann die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eingeräumt werden.

Art. 354

Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung kann nur verurteilten Personen gewährt werden, die bereits einen Bruchteil der Strafe oder die Gesamtstrafe verbüßt haben, gleich oder größer als

1) nach Verbüßung der Hälfte der Strafdauer für die Erstverurteilten. Die Dauer der von der verurteilten Person verbüßten Strafe darf jedoch nicht weniger als drei Monate betragen;

2) nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafdauer für verurteilte Personen mit Vorstrafen. Die Dauer der von der verurteilten Person verbüßten Strafe darf jedoch nicht weniger als sechs Monate betragen.

"Die Bewährungszeit beträgt fünfzehn Jahre für diejenigen, die zu lebenslanger Haft verurteilt werden."

(Geändert durch Artikel 3 des Gesetzes Nr. 89-23 vom 27. Februar 1989).

23

Nach diesen Bestimmungen kann ein in Tunesien zu einer Freiheitsstrafe Verurteilter (auf entsprechenden Antrag des Häftlings oder seines Bevollmächtigten hin) auf Bewährung freigelassen werden, wenn dieser durch sein Verhalten in der Haft seine Änderung unter Beweis gestellt hat ("gute Führung") oder die Entlassung im Interesse des Gemeinwohls liegt.

24

Sie genügen den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die Überprüfbarkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Es bestehen objektive und vorher bestimmte Kriterien, die der Betroffene bereits bei Verhängung der Freiheitsstrafe kennt. Diese Kriterien knüpfen unter anderem auch an eine erfolgte Resozialisierung an. Die Art. 353, 354 CPP gelten gemäß Art. 4 LAT auch für Personen, die auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes vom 7. August 2015 verurteilt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 S. 2 f.< Bl. 225 ff. der Gerichtsakte> und Schreiben des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018, Anlage 1 der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 ). Das Auswärtige Amt hat zudem mitgeteilt, dass von dieser Möglichkeit der Strafrestaussetzung in der Praxis auch Gebrauch gemacht wird. Damit besteht auch de facto für nach dem Antiterrorismusgesetz vom 7. August 2015 verurteilte Personen die Möglichkeit, einen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zu stellen und die Freiheit wiederzuerlangen.

25

Ausweislich des Wortlauts der Art. 353 und 354 CPP und der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 (S. 2) finden diese Vorschriften jedoch nur auf Personen Anwendung, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Im Falle einer verhängten Todesstrafe - wie sie für den Antragsteller im Raum steht - sind diese Normen nicht unmittelbar anwendbar. Die Strafaussetzungsvorschriften kommen dem Antragsteller aber nach der Überzeugung des Senats in der Sache deshalb zugute, weil Todesstrafen im Wege der Begnadigung (Art. 371 f. CPP) früher oder später in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 S. 2). Die Todesstrafe wird durch einen formellen Gnadenakt, der durch den Präsidenten der Republik Tunesien ausgeübt wird, in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Dies gilt nach der Auskunftslage für jede verhängte Todesstrafe. Jedes Todesurteil wird zwingend und automatisch dem tunesischen Justizministerium übermittelt, das nach Anhörung der Gnadenkommission dem Staatspräsidenten einen Bericht zur Ausübung seines Gnadenrechts zuleitet. Durch den Gnadenakt wird die Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2018, Bl. 556 f. Gerichtsakte). Nach der Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe finden die Art. 353 und 354 CPP Anwendung und eröffnen die bereits für ausreichend befundene Überprüfungsmöglichkeit.

26

Art. 372 CPP räumt dem tunesischen Staatspräsidenten auf der Grundlage des Berichts des Staatssekretärs für Justiz nach Anhörung der Gnadenkommission das Recht zur Begnadigung ein. Dieses Recht bezieht sich nach Art. 371 CPP sowohl auf die Umwandlung einer Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe als auch auf die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung besteht das Begnadigungsrecht neben und ergänzend zu den Vorschriften der Art. 353 und 354 CPP.

27

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 (S. 4), die sich auf Erkenntnisse der Deutschen Stiftung für Internationale rechtliche Zusammenarbeit stützt, wurden im Zeitraum von September 2014 bis Juli 2015 im Wege der Begnadigung in folgendem Umfang die Reststrafe von Gefangenen zur Bewährung ausgesetzt:

Zeitraum Anträge gestellt Abgelehnte Anträge Genehmigte Anträge
16.09. - 30.10.2014 20 8 12
Nov. 2014 19 16 3
Dez. 2014 9 7 2
Jan. 2015 14 4 10
Feb. 2015 21 10 11
März 2015 3 3 0
April 2015 26 8 18
Mai 2015 29 3 23
Juni 2015 31 8 23
Juli 2015 15 5 10
28

Zudem wurden nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 (S. 4), die sich auf eine offizielle Mitteilung des tunesischen Justizministeriums stützt, in jüngerer Zeit folgende Fälle präsidentieller Begnadigungen bekannt:

13.01.2017: 3 706 Gefangene
20.03.2017: 1 433 Gefangene
14.01.2018: 1 389 Gefangene
29

Die letztgenannte Zahl wird durch Presseberichte bestätigt, wonach Präsident Beji Caid Essebsi am 14. Januar 2018 bei 1 389 Häftlingen per Gnadenerlass die Haftstrafen reduzierte beziehungsweise bei 459 Personen einen vollständigen Straferlass unterzeichnete (https://www.maghreb-post.de/gesellschaft/tunsien-feierlichkeiten-in-erinnerung-an-jasmine-revolution/).

30

Des Weiteren bezieht sich die Begnadigungspraxis auch auf die Umwandlung von Todesstrafen in lebenslange Freiheitsstrafen. Aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 (S. 2) geht hervor, dass als Folge des Moratoriums Begnadigungen auch bei Verurteilungen zum Tode nicht nur möglich sind, sondern der "gängigen Rechtspraxis" entsprechen, und zwar auch im Falle von aufgrund terroristischer Delikte verurteilten Straftätern (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 S. 3). Nach den Erläuterungen des "Chef du Cabinet" des tunesischen Justizministers besteht in Tunesien Konsens darüber, dass in der Praxis Todesurteile durch Gnadenentscheidungen des Staatspräsidenten als lebenslange oder gar zeitige Freiheitsstrafen behandelt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018 S. 2).

31

Das tunesische Justizministerium hat in seinem Schreiben vom 1. März 2018 (S. 1, Anlage 1 der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2018) über Gespräche unter anderem mit Vertretern des deutschen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ausgeführt, dass im Jahr 2012 insgesamt 122 Todesurteile in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt worden sind. Unter den Begünstigten befanden sich auch wegen terroristischer Straftaten Verurteilte. Wie dargelegt finden auf diesen Personenkreis sowohl die Vorschriften über die vorzeitige Haftentlassung nach den Art. 353 f. CPP Anwendung als auch die vorzeitige Haftentlassung im Wege der Begnadigung gemäß Art. 371 f. CPP. An der Richtigkeit der diesbezüglichen Auskunft des Auswärtigen Amtes hegt der Senat keine Zweifel. Der Antragsteller macht insoweit unter Vorlage eines Ausschnitts aus der Zeitschrift "Leaders" vom 10. Mai 2013 (vgl. Anlage A 13 des Schriftsatzes des Antragstellers vom 11. Februar 2018 ) zwar geltend, dass die meisten der 122 begnadigten Personen nicht wegen terroristischer Straftaten, sondern in Verschwörungsfällen gegen die Staatssicherheit zum Tode verurteilt worden seien. Dies vermag nach Überzeugung des Senats die Auskunft des Auswärtigen Amtes aber nicht zu entkräften. Denn die in Art. 14 ff. LAT aufgeführten terroristischen Straftaten umfassen auch Delikte gegen die innere und äußere Staatssicherheit. (z.B. Verursachung von Schäden am Sitz einer diplomatischen, konsularischen oder internationalen Organisation; Schädigung lebenswichtiger Ressourcen, Infrastruktur, Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen, vgl. Art. 14 LAT).

32

Dass bislang keine Begnadigungen von Häftlingen erfolgt sind, die wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Terrorismus nach dem neuen Antiterrorismusgesetz zum Tode verurteilt wurden, steht der Annahme einer künftigen Anwendung der generellen Rechtspraxis der Begnadigung mit der Folge der Umwandlung von Todesstrafen in lebenslange Freiheitsstrafen auch in Bezug auf diesen Personenkreis nicht entgegen. Dies ist nach Auffassung des Senats darauf zurückzuführen, dass die entsprechenden Verurteilungen neueren Datums sind und es für Begnadigungen nur wenige Jahre nach Einführung des Antiterrorismusgesetzes ersichtlich noch zu früh ist. Da dieses Gesetz erst seit dem 7. August 2015 in Kraft ist und bei einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein Antrag auf Strafaussetzung gemäß den Art. 353 und 354 CPP frühestens nach 15 Jahren Haft gestellt werden kann, können noch keine Präzedenzfälle zu diesem Gesetz vorliegen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 S. 4; Schreiben des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018 S. 1). Darüber hinaus entspricht es wie dargelegt Art. 4 LAT i.V.m. Art. 371 f. CPP, dass das Begnadigungsrecht des Staatspräsidenten für nach dem Antiterrorismusgesetz verurteilte Straftäter gilt (vgl. Schreiben des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018 S. 1).

33

Soweit in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2017 (S. 12) ausgeführt wird, dass von dem Begnadigungsrecht Personen ausgenommen seien, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden sind, wird dies in den jüngsten Auskünften des Auswärtigen Amtes aktualisierend korrigiert. Dem Lagebericht habe eine Äußerung aus dem politischen Raum zugrunde gelegen, die den tunesischen Staatspräsidenten aber nicht binden könne (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 S. 3; vgl. auch Schreiben des tunesischen Justizministeriums vom 1. März 2018 S. 1).

34

Diese Auskunftslage widerspricht nicht den in mehreren von dem Antragsteller vorgelegten Zeitungsartikeln (u.a. Zeitschrift "Die Araber" vom 12. Dezember 2017, "AL-Ittihad" vom 12. Dezember 2017 und "assabah" vom 9. Dezember 2017; Anlagen zu den Schriftsätzen vom 11. Februar 2018 und 26. März 2018) enthaltenen Meldungen, wonach ein Berater des tunesischen Staatspräsidenten oder auch dessen Staatssekretär geäußert haben sollen, dass einem terroristischen Straftäter keine Amnestie gewährt werden könne, wobei in einem Fall auch der Name des Antragstellers erwähnt worden sein soll. Zum einen schließt eine Amnestie, die auch schon vor einer Verurteilung ergehen kann, nicht eine individuell ergehende präsidentielle Gnadenentscheidung nach einer strafgerichtlichen Verurteilung und Verbüßung eines nennenswerten Teiles der Strafe aus. Zum anderen kann auch eine von einem Dritten geäußerte Auffassung den Staatspräsidenten nicht binden und eine von diesem geübte Rechtspraxis infrage stellen. Schließlich können die Aussagen auch dahin ausgelegt werden, dass derzeit keine Amnestie für terroristische Straftäter in Betracht komme und auch der Antragsteller hierzu gerechnet werde. Das sagt noch nichts darüber aus, dass eine Gnadenentscheidung nach Verstreichen eines Zeitraums möglich ist, der der 15-jährigen "Bewährungszeit" (im Sinne von Mindestverbüßungsdauer) nach Art. 354 CPP entspricht. Der Senat folgt auch in Ansehung anders lautender oder auslegbarer Pressemeldungen der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2018, wonach "jede verhängte Todesstrafe" durch Gnadenakt des Staatspräsidenten in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird (Antwort auf Frage 2). Das Auswärtige Amt kann über seine Botschaft in Tunesien die Rechtslage und deren tatsächliche Umsetzung kompetent beurteilen, der Senat hat das Auswärtige Amt auf Widersprüche hingewiesen, wie sie sich aus seinem von dem Antragsteller angeführten Lagebericht vom 16. Januar 2017 und Äußerungen tunesischer Stellen (u.a. des Leiters der Abteilung für Strafrecht und Internationale Zusammenarbeit im tunesischen Justizministerium N. nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2018 S. 3) ergeben. Das Auswärtige Amt hat mit seiner Auskunft vom 20. März 2018 dazu klar Stellung bezogen und ausgesagt, dass jede verhängte Todesstrafe in eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Der Senat hat keinen durchgreifenden Anlass, an dieser eindeutigen Aussage zu zweifeln.

35

Auch die mit Schriftsatz des Antragstellers vom 14. März 2018 vorgelegten Zeitungsartikel vom 19. Oktober 2013, 13. Januar 2015 und 11. Dezember 2016 (Bl. 532 ff. der Gerichtsakte) sowie die mit Schriftsatz vom 26. März 2018 eingereichten Zeitungsartikel (Bl. 575 ff. der Gerichtsakte) stehen der Anwendung der generellen Rechtspraxis auf die Begnadigung von Häftlingen, die wegen terroristischer Straftaten zum Tode verurteilt wurden, nicht entgegen. Teilweise beziehen sich diese Presseartikel auf Personen, die (noch) nicht verurteilt worden sind (z.B. Untersuchungsgefangene), oder auf ein Absehen von Verfolgung insgesamt. Dass sich in den Jahren 2013, 2015 und 2016 unter den begnadigten Personen keine wegen terroristischer Taten verurteilten Gefangenen befanden, sagt zudem nichts darüber aus, ob in den kommenden Jahren solche Begnadigungen - als Einzelakt oder im Rahmen einer Amnestie - bezüglich Personen ausgesprochen werden, die nach strafgerichtlicher Verurteilung einen nennenswerten Teil der Strafe verbüßt haben. Zudem folgt aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2018 (Bl. 556 der Gerichtsakte), dass jede verhängte Todesstrafe durch einen formellen Gnadenakt des Präsidenten in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird, mithin also auch solche Todesstrafen, die gegen terroristische Straftäter verhängt werden. Dem widerstreitet auch nicht die dem tunesischen Staatspräsidenten in den Presseartikeln vom 9. und 11. Dezember 2016 zugeschriebene Aussage, "er verweigere kategorisch die Gnade für tunesische Terroristen, die in den Reihen der Terrororganisationen wie 'Al Qaida' und 'Daesh' kämpf[t]en"; das von diesem abgelehnte "Gesetz der Reue" bezieht sich zudem nicht auf bereits verurteilte Personen, wenn betont wird, dass "man diese Verbrecher vor die Gerichte/Justiz stellen muss". Diese Aussage widerstreitet nicht der Praxis der Umwandlung einer verhängten Todesstrafe in eine der Strafaussetzung gemäß den Art. 353 und 354 CPP zugängliche lebenslange Freiheitsstrafe. Diese Praxis liegt in der Logik des von dem tunesischen Staat seit dem Jahr 1991 beachteten Moratoriums betreffend die Vollstreckung der Todesstrafe.

36

Ebenso wenig streitet gegen die hier vorgenommene Bewertung der Erkenntnislage durch den Senat, dass das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 7. Februar 2018 Folgendes ausgeführt hat (S. 3 zu Frage II.1.): "Das präsidentielle Begnadigungsrecht (Art. 371 ff. CPP) findet nach den vorgenannten Vorschriften auch auf Personen Anwendung, die nach dem Antiterrorismusgesetz verurteilt wurden. Allerdings wurde Justizminister J. im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Reform dieses Rechts zuletzt im Januar 2017 zitiert, dass man weiterhin an der Nichtbegnadigung von Terroristen festhalten werde (s.a. entsprechender Hinweis im Asyllagebericht der Botschaft). Dies war allerdings eine politische Äußerung, die den Präsidenten nicht präjudizieren kann. In der Vergangenheit hat es laut Auskunft von Herrn N. Begnadigungen von aufgrund terroristischer Taten verurteilten Straftätern in Tunesien gegeben. Herr N. betonte ferner ausdrücklich, dass in keiner Weise vorherzubestimmen sei, wie über ein Begnadigungsersuchen in vielen Jahren entschieden werde. Der Wegfall des Gefühls der terroristischen Bedrohung könne sicherlich dazu beitragen, dies eher ins Auge zu fassen." Dies bedeutet entgegen der persönlichen Einschätzung des Leiters der Abteilung für Strafrecht und Internationale Zusammenarbeit im tunesischen Justizministerium N. nicht, dass auch eine Umwandlung einer Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe dauerhaft ausgeschlossen oder ungewiss sei. Die Strafaussetzung einer umgewandelten Todesstrafe ist dann aber nicht nur nach den Regeln des Gnadenrechts möglich, sondern rechtlich vorherbestimmt durch die Art. 353 f. CPP.

37

Auf dieser Erkenntnisbasis erfüllt auch der - bei zum Tode Verurteilten - zunächst erforderliche Gnadenakt des Präsidenten die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die Überprüfbarkeit einer (hier nach erwartbarer Umwandlung einer etwa verhängten Todesstrafe) lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits betont, dass eine Begnadigung nicht von vornherein untauglich ist, um dem Verurteilten eine Chance auf Wiedererlangung der Freiheit einzuräumen (EGMR, Urteil vom 4. September 2014 - Nr. 140/10, Trabelsi/Belgien - Rn. 137). Vielmehr hat er unter Berufung auf die Doktrin des Beurteilungsspielraums ("margin of appreciation") darauf verwiesen, dass es nicht seine Aufgabe sei vorzuschreiben, in welcher Form die Überprüfung stattzufinden habe (EGMR, Urteil vom 9. Juli 2013 - Nr. 66069/09, 130/10 und 3896/10, Vinter u.a./U.K. - Rn. 120). Erforderlich ist aber, dass vorhersehbar ist, unter welchen Voraussetzungen von diesem Gnadenrecht Gebrauch gemacht wird beziehungsweise werden kann. Es bedarf objektiver und vorher bestimmter Kriterien (s.o.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Werden alle Todesurteile - wie es in Tunesien der Fall ist - in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt, ist für den Betroffenen bereits bei der Verurteilung absehbar, dass sein Todesurteil, dessen Vollstreckung er wegen des Moratoriums von Anbeginn nicht zu befürchten hat, - früher oder später - auch formell in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt werden wird und er danach die Möglichkeit der Bewährung unter den vorgesehenen Bedingungen (Art. 353 und 354 CPP) hat. Dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgestellten Grundsatz, wonach ein zu lebenslanger Haft verurteilter Gefangener ein Recht hat, von Anfang an zu wissen, was er tun muss, um für eine Entlassung in Betracht gezogen zu werden und unter welchen Bedingungen diese erfolgen kann, einschließlich der Frage, wann eine Überprüfung stattfindet oder beantragt werden kann (EGMR, Urteil vom 4. September 2014 - Nr. 140/10, Trabelsi/Belgien - Rn. 115; EGMR , Urteil vom 17. Januar 2017 - Nr. 57592/08, Hutchinson/U.K. - Rn. 44), wird hier Rechnung getragen. Wie sich aus dem tunesischen Begnadigungsrecht ergibt, kann der Staatspräsident, nachdem ihm das Justizministerium einen Bericht zur Ausübung seines Gnadenrechts zugeleitet hat, jederzeit die Begnadigung aussprechen. Hieraus folgt, dass es dem Verurteilten freisteht, jederzeit eine Überprüfung seiner Haft zu beantragen. Zudem ergibt sich aus Art. 354 CPP, dass die "Bewährungszeit" (im Sinne von Mindestverbüßungsdauer) für Personen, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, 15 Jahre beträgt. Diese Regelung bietet einen Anhaltspunkt auch für die Ausübung des Begnadigungsrechts. Wie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entnehmen ist, entspricht eine solche Vorgehensweise dem geforderten Überprüfungsmechanismus. Der Gerichtshof führt aus, dass es ihm nicht zustehe, darüber zu spekulieren, wie effektiv ein solches System, das ein Mindestmaß an Regulierung aufweist, in der Praxis generell funktionieren mag (EGMR , Urteil vom 17. Januar 2017- Nr. 57592/08 - Hutchinson/U.K. - Rn. 69):

"Turning to the facts of the present case, the Court does not consider that the concern expressed in Vinter regarding indeterminacy, and the repercussions of this for a whole life prisoner (Vinter and Others, cited above, § 122) can be said to arise for the applicant at present. As is stated in section 30 of the 1997 Act, the Secretary of State may order release 'at any time'. It follows, as the Government have confirmed, that it is open to the applicant to trigger, at any time, a review of his detention by the Secretary of State. It is not for the Court to speculate as to how efficiently such a system, which has minimum regulation, might generally operate in practice. It is the individual situation of the applicant that is the focus of these proceedings, and he has not suggested that he is prevented or deterred from applying to the Secretary of State at any time to be considered for release. Before concluding, though, the Court refers once again as it did in the Vinter case to the relevant comparative and international materials that show 'clear support for the institution of a dedicated mechanism guaranteeing a review no later than twenty-five years after the imposition of a life sentence, with further periodic reviews thereafter' (Vinter and Others, cited above, § 120; see more recently and in the same sense Murray, cited above, § 99)."

38

Bei dieser besonderen Ausgangslage ist hier auch hinzunehmen, dass es - soweit ersichtlich - an normierten Vorgaben fehlt, in welcher Art und Weise von dem Begnadigungsrecht Gebrauch gemacht werden soll. Die über eine lange Zeit gebildete Praxis bietet eine hinreichend verlässliche Gewähr für die Umwandlung in eine lebenslange Freiheitsstrafe. Eine absolute Sicherheit ist nicht zu fordern, weil es eine solche nicht geben kann. Selbst wenn das Begnadigungsverfahren eine dezidierte rechtliche Ausgestaltung erfahren hätte, wäre nicht sicher auszuschließen, dass die entsprechenden Regelungen zukünftig geändert werden. Ebenso wenig wie mit der Abschaffung des Moratoriums zu rechnen ist, ist auch nicht davon auszugehen, dass die über lange Jahre geübte Begnadigungspraxis geändert wird. Hierfür gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

39

Dem steht das Vorbringen des Antragstellers nicht entgegen, demzufolge die Vorschriften der Art. 353 f. CPP bisher in der Praxis noch nicht angewendet wurden, sondern Strafumwandlungen oder -erlasse immer durch Gnadenentscheidungen des Präsidenten erfolgten. Denn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter hat Anspruch auf Überprüfung der Haftfortdauer nach jenen Vorschriften. Wenn seinem Anliegen in der Praxis jeweils durch Begnadigung Rechnung getragen wird, stellt das die praktische Wirksamkeit der gesetzlichen Regelungen der tunesischen Strafprozessordnung nicht infrage.

40

Auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (in Auslieferungsfällen bei drohender Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe) verlangt, dass in dem Rechtssystem des ausländischen Staates jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit bestehen muss. Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen diese praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland gestärkt und gesichert wird, müssen dafür nicht erfüllt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Januar 2010 - 2 BvR 2299/09 - BVerfGK 16, 491 = juris Rn. 22; BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 - BVerfGE 113, 154 = juris Rn. 31). Maßgeblich ist nur, dass in einem anderen Rechtssystem jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Dabei kommt es auf die Gesamtbeurteilung der Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens an. Es besteht auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Begnadigung in einem justizförmigen Verfahren, sofern das Begnadigungsrecht eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 - BVerfGE 113, 154 = juris Rn. 38). Diesen Anforderungen genügen die Art. 353 und 354 CPP und die Art. 371 und 372 CPP in ihrer konkreten Anwendung und ihrem Zusammenwirken. Die Möglichkeit der Begnadigung und der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung sichern dem Antragsteller auch im Falle einer Verhängung der Todesstrafe die praktische Chance auf Wiedererlangung seiner Freiheit.

41

c) Die dem Antragsteller neben der Verhängung einer (nicht vollstreckten und später in eine Freiheitsstrafe umgewandelten) Todesstrafe drohende Verhängung einer originär lebenslangen oder zeitigen Freiheitsstrafe vermag nach dem Vorstehenden ebenfalls ein Abschiebungsverbot nicht zu begründen.

42

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbietet die Europäische Menschenrechtskonvention es grundsätzlich nicht, einen erwachsenen Straftäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Auch verstößt es nicht gegen die Konvention, wenn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter seine Strafe bis zu seinem Lebensende verbüßen muss. Erforderlich ist jedoch, dass die Möglichkeit besteht, dass die Strafe überprüft wird. Insoweit kann auf die Ausführungen unter b) verwiesen werden.

43

2. Der Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner eine Abschiebung zu untersagen, hat keinen Erfolg. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache unter anderem eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung).

44

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Hierbei kommt es nach der Aufhebung der Maßgabe in dem Beschluss vom 19. September 2017 (dazu 1.) nicht (mehr) darauf an, ob die von dem tunesischen Justizministerium unter dem 21. Dezember 2017 abgegebene Zusicherung die in dem Beschluss des Senats vom 19. September 2017 aufgestellten Anforderungen im Hinblick auf eine hinreichend verlässliche Garantie erfüllt, dass im Falle der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Überprüfung der Strafe mit Aussicht auf Umwandlung oder Herabsetzung der Haftdauer gewährt wird.

45

Aus den zu 1. dargelegten Gründen steht dem Antragsteller auch sonst kein Anordnungsanspruch zur Seite, dem Antragsgegner seine Abschiebung nach Tunesien zu untersagen.

46

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts gründet auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 und § 52 Abs. 2 GKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 1 VR 1/18 (1 VR 8/17, 1 VR 10/17), 1 VR 1/18, 1 VR 8/17, 1 VR 10/17

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Referenzen - Gesetze

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 26. März 2018 - 1 VR 1/18 (1 VR 8/17, 1 VR 10/17), 1 VR 1/18, 1 VR 8/17, 1 VR 10/17 zitiert 11 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

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(1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Auswe

Referenzen

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Die oberste Landesbehörde kann gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Die Abschiebungsanordnung ist sofort vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung bedarf es nicht.

(2) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat kann die Übernahme der Zuständigkeit erklären, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht. Die oberste Landesbehörde ist hierüber zu unterrichten. Abschiebungsanordnungen des Bundes werden von der Bundespolizei vollzogen.

(3) Eine Abschiebungsanordnung darf nicht vollzogen werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 gegeben sind. § 59 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Die Prüfung obliegt der über die Abschiebungsanordnung entscheidenden Behörde, die nicht an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren gebunden ist.

(4) Dem Ausländer ist nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich zuvor anwaltlichen Beistands versichert; er ist hierauf, auf die Rechtsfolgen der Abschiebungsanordnung und die gegebenen Rechtsbehelfe hinzuweisen. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung zu stellen. Die Abschiebung darf bis zum Ablauf der Frist nach Satz 2 und im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht vollzogen werden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.