Bundesverfassungsgericht Beschluss, 03. Juni 2011 - 2 BvC 7/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2011:cs20110603.2bvc000711
bei uns veröffentlicht am03.06.2011

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin hat die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag mit der Begründung angefochten, aus Gründen der Wahlgleichheit müssten Parlamentssitze, die rechnerisch auf die an der 5 %-Sperrklausel gescheiterten Parteien entfallen würden, unbesetzt bleiben und dürften nicht auf die im Parlament vertretenen Parteien verteilt werden.

II.

2

Der Berichterstatter hat der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27. April 2011 Folgendes mitgeteilt:

3

"(…) die von Ihnen erhobene Beschwerde, die als Wahlprüfungsbeschwerde im Sinne von Art. 41 Abs. 2 des Grundgesetzes und § 48 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes aufzufassen sein dürfte, dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben.

4

Die von Ihnen eingereichten Beitrittserklärungen sind nicht mit hinreichender Sicherheit Ihrer Beschwerde zuzuordnen: Den undatierten und weder mit Ihrem Namen noch mit einer anderen Individualisierung versehenen Erklärungen lässt sich nicht entnehmen, welchem Rechtsbehelf bzw. welchem Beschwerdeführer die Unterzeichner beitreten wollen. Ihre Beschwerde dürfte daher bereits nach § 48 Abs. 1 und Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes unzulässig sein.

5

Ihre Beschwerde hätte aller Voraussicht nach aber auch in der Sache keinen Erfolg. Die Forderung, Parlamentssitze, die rechnerisch auf die an der 5 %-Sperrklausel gescheiterten Parteien entfallen würden, müssten unbesetzt bleiben und dürften nicht auf die im Parlament vertretenen Parteien verteilt werden, findet weder im einfachen Recht noch im Grundgesetz eine Stütze.

6

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes (BWG) besteht der Deutsche Bundestag vorbehaltlich der sich aus dem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten. Eine Abweichung ist für den Fall des Scheiterns von Parteien an der 5 %-Sperrklausel nicht vorgesehen. Vielmehr sind nach § 6 Abs. 1, Abs. 2 BWG alle Parlamentssitze auf die zu berücksichtigenden Parteien zu verteilen.

7

Diese Regelung unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Grundsatz der gleichen Wahl beeinträchtigt wäre. Dieser Grundsatz fordert für die Verhältniswahl, dass der politische Wille der Wählerschaft in der Verteilung der Parlamentssitze möglichst wirklichkeitsnah abzubilden ist. Dies erfolgt nach der gesetzlichen Regelung dadurch, dass die Stimmen für die an der 5 %-Klausel gescheiterten Parteien im weiteren Verfahren der Sitzvergabe keine Berücksichtigung mehr finden, insoweit also - worauf Sie zutreffend hinweisen - wie ungültige Stimmen behandelt werden. Das Verhältnis der Stimmanteile der im Parlament vertretenen Parteien zueinander wird durch die Vergabe aller Sitze danach grundsätzlich nicht verändert.

8

Soweit Sie zu anderen Ergebnissen kommen, beruht dies erkennbar auf der Annahme, die Wähler voraussichtlich an der 5 %-Klausel scheiternder Parteien wollten mit ihrer Stimme gegen die sog. etablierten Parteien und für die - von welchen Parteien auch immer künftig gebildete - Opposition votieren, und dem Postulat, dies müsse in der Zusammensetzung des Parlaments zum Ausdruck kommen. Dass der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verpflichtet sein kann, das Wahlrecht auf der Grundlage eines derartigen hypothetischen, dem Ziel, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, zuwiderlaufenden Wählerwillens zu konzipieren, dürfte indes auf der Hand liegen.

9

Ich gebe Ihnen Gelegenheit, zu überdenken, ob Sie das Verfahren fortführen oder Ihre Beschwerde zurücknehmen möchten. Ihrer Antwort sehe ich innerhalb von zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens entgegen."

III.

10

Die Wahlprüfungsbeschwerde ist aus den im Schreiben des Berichterstatters vom 27. April 2011 mitgeteilten Erwägungen unzulässig und wäre auch offensichtlich unbegründet. Die Stellungnahme der Beschwerdeführerin dazu gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 24 Satz 2 BVerfGG abgesehen.

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Unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge können durch einstimmigen Beschluß des Gerichts verworfen werden. Der Beschluß bedarf keiner weiteren Begründung, wenn der Antragsteller vorher auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründe

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 48


(1) Die Beschwerde gegen den Beschluß des Bundestages über die Gültigkeit einer Wahl, die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 des Grundgesetzes unterliegen, oder den Verlu

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(1) Der Deutsche Bundestag besteht aus 630 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen gewählt. (2) Für die Wahl zum Deutschen Bundestag gelten die Grundsätze der V

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(1) Die Beschwerde gegen den Beschluß des Bundestages über die Gültigkeit einer Wahl, die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 des Grundgesetzes unterliegen, oder den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag kann der Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, eine wahlberechtigte Person oder eine Gruppe von wahlberechtigten Personen, deren Einspruch vom Bundestag verworfen worden ist, eine Fraktion oder eine Minderheit des Bundestages, die wenigstens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfaßt, binnen einer Frist von zwei Monaten seit der Beschlußfassung des Bundestages beim Bundesverfassungsgericht erheben; die Beschwerde ist innerhalb dieser Frist zu begründen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht kann von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn von ihr keine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist.

(3) Erweist sich bei Prüfung der Beschwerde einer wahlberechtigten Person oder einer Gruppe von wahlberechtigten Personen, dass deren Rechte verletzt wurden, stellt das Bundesverfassungsgericht diese Verletzung fest, wenn es nicht die Wahl für ungültig erklärt.

(1) Der Deutsche Bundestag besteht aus 630 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen gewählt.

(2) Für die Wahl zum Deutschen Bundestag gelten die Grundsätze der Verhältniswahl. Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl nach Kreiswahlvorschlägen und eine Zweitstimme für die Wahl nach Landeswahlvorschlägen, auf denen die zur Wahl zugelassenen Parteien ihre Bewerber benennen (Landeslisten).

(3) Für die Vergabe der auf die Landeslisten entfallenden Sitze werden, vorbehaltlich der Regelungen des § 6, vorrangig Bewerber berücksichtigt, die in einer Wahl nach Kreiswahlvorschlägen in 299 Wahlkreisen ermittelt werden. Jede Partei erhält in jedem Land für diejenigen ihrer Bewerber, die in den Wahlkreisen in diesem Land die meisten Erststimmen erhalten haben, die Sitzzahl, die von den auf die Partei entfallenden Zweitstimmen gedeckt ist (Zweitstimmendeckung).

(4) Die Wahl in den Wahlkreisen steht Bewerbern, die nicht von einer Partei vorgeschlagen werden, nach den sich aus diesem Gesetz ergebenden Anforderungen offen.

Unzulässige oder offensichtlich unbegründete Anträge können durch einstimmigen Beschluß des Gerichts verworfen werden. Der Beschluß bedarf keiner weiteren Begründung, wenn der Antragsteller vorher auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit seines Antrags hingewiesen worden ist.