Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 24. Okt. 2012 - 1 BvR 2144/11

ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20121024.1bvr214411
published on 24/10/2012 00:00
Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 24. Okt. 2012 - 1 BvR 2144/11
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Gründe

1

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG); ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Zwar wird die Entscheidung des Amtsgerichts den Anforderungen an eine Sicherung der Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG nicht gerecht, doch wirkt sich dies nicht entscheidungserheblich aus.

2

1. Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG den Anspruch auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (vgl. BVerfGE 122, 39 <48 ff.>). Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Diese überschreiten den ihnen zustehenden Entscheidungsspielraum, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den die Rechtswahrnehmung für unbemittelte Rechtsuchende im Vergleich zu bemittelten Rechtsuchenden unverhältnismäßig eingeschränkt wird (vgl. BVerfGK 15, 438 <441>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2011 - 1 BvR 3151/10 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris, Rn. 25 ff.). Allerdings muss Beratungshilfe nicht zugesprochen werden, wenn ein Antrag voreilig gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2012 - 1 BvR 2852/11 -, juris, Rn. 11); dies ist der Fall, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ausnahmsweise ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung haben soll.

3

2. Ein Gericht verkennt in der Regel das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit, wenn es für einen Widerspruch, nicht aber für einen Antrag auf Feststellung einer aufschiebenden Wirkung desselben Beratungshilfe bewilligt.

4

3. Vorliegend wirkt sich allerdings die Auslegung des § 7 BerHG durch das Amtsgericht nicht entscheidungserheblich aus.

5

Voraussetzung für eine Bewilligung von Beratungshilfe für den Antrag auf Feststellung oder Anordnung einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, 2010, Rn. 960; Schoreit/Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 10. Auflage, 2010, § 1 BerHG Rn. 110). An diesem fehlt es hier. Der von der Beschwerdeführerin eingelegte Widerspruch gegen den sie noch belastenden Erstattungsbescheid und gegen die Aufrechnung hat aufschiebende Wirkung. § 39 Nr. 1 SGB II ist hier unanwendbar (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 86a Rn. 16b; Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, 2008, § 39 Rn. 12, 15). Deswegen ist der Beschwerdeführerin bereits mit dem Widerspruch gedient. Ein darüber hinaus gestellter Antrag auf Feststellung einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist ohne Vorliegen außergewöhnlicher Umstände überflüssig. Wer für einen solchen Antrag keine Beratungshilfe erhält, steht im Ergebnis nicht schlechter als bemittelte Rechtsuchende.

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Annotations

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zurückgewiesen oder durch den die Bewilligung von Amts wegen oder auf Antrag der Beratungsperson wieder aufgehoben wird, ist nur die Erinnerung statthaft.

(1) Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens und im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (Beratungshilfe) wird auf Antrag gewährt, wenn

1.
Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen können,
2.
keine anderen Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme den Rechtsuchenden zuzumuten ist,
3.
die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheint.

(2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 sind gegeben, wenn den Rechtsuchenden Prozeßkostenhilfe nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung ohne einen eigenen Beitrag zu den Kosten zu gewähren wäre. Die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt unentgeltlich oder gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars beraten oder vertreten zu lassen, ist keine andere Möglichkeit der Hilfe im Sinne des Absatzes 1 Nummer 2.

(3) Mutwilligkeit liegt vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen werden soll, obwohl Rechtsuchende, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen keine Beratungshilfe beanspruchen können, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würden, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen. Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit sind die Kenntnisse und Fähigkeiten der Rechtsuchenden sowie ihre besondere wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen.

Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
2.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder
3.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.