Bundessozialgericht Beschluss, 01. März 2018 - B 8 SO 52/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:010318BB8SO5217B0
bei uns veröffentlicht am01.03.2018

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1940 geborene Kläger bezieht neben seiner Rente (zuletzt 1225,45 Euro) ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem SGB XII. Bei der Bedarfsberechnung berücksichtigte der Beklagte ua einen Beitrag zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers in Höhe des sog Basistarifs (monatlich 363,18 Euro). Nachdem die private Krankenversicherung dem Beklagten mitgeteilt hatte, dass der Kläger schon seit Jahren keine Beiträge mehr zahle, änderte der Beklagte den Bescheid über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ab 1.1.2016 ab und verfügte die Zahlung eines monatlichen Betrags von 192,13 Euro an die private Krankenversicherung (Bescheid vom 16.12.2015; Widerspruchsbescheid vom 6.1.2016).

3

Mit seiner am 1.2.2016 vor dem Sozialgericht (SG) Darmstadt erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Bescheide gewandt und zudem beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm "sofort und nach dem Gesetz aus meiner von den Beklagten verschuldeten Notlage zu helfen". Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 5.10.2016 ist als Antrag des Klägers protokolliert worden, "den Beklagten zu verurteilen, ihm sofort aus der vom Beklagten verschuldeten Notlage zu helfen". Das SG hat die Klage als unzulässig mit der Begründung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 7.10.2016), es fehle an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage; denn der Kläger habe die Gewährung einer einmaligen Beihilfe zur Behebung einer finanziellen Notlage bislang in dieser Form nicht beim Beklagten beantragt. Die Berufung hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit der Begründung zurückgewiesen, das SG habe die Klage zutreffend mit der Begründung abgewiesen, sie sei wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Denn der Kläger verfolge auch mit seiner Klage im Verfahren S 28 SO 116/16, die am 30.6.2016 erhoben worden sei, das gleiche Begehren. Der erstmalig im Erörterungstermin am 5.10.2016 gestellte Leistungsantrag sei damit wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (Urteil vom 17.5.2017).

4

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht Verfahrensfehler geltend. Das SG wie das LSG hätten den Streitgegenstand verkannt und gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verstoßen, dass sie seinen Antrag, gerichtet auf die Anfechtung der Bescheide, ignoriert hätten. Er habe nie diesen Antrag zurücknehmen wollen; es verbiete sich auch eine Umdeutung seines Klagebegehrens, denn der ihm vom SG in den Mund gelegte Antrag sei nicht in seinem Interesse gewesen. Zudem sei zu Unrecht ein Prozessurteil anstelle eines Urteils in der Sache erlassen worden. Denn anders als es das LSG meine, sei das vorliegende Verfahren mit dem Antrag, ihm aus seiner Notlage zu helfen, zeitlich vor dem Verfahren S 28 SO 116/16 anhängig gemacht worden, so dass diesem Verfahren Vorrang einzuräumen gewesen sei.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

6

Der gerügte Verfahrensfehler (Verletzung von § 123 SGG) liegt vor. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 123 RdNr 3; Schmidt aaO, § 112 RdNr 8). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen (vgl etwa BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; BSG Urteil vom 8.12.2010 - B 6 KA 38/09 R). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (vgl nur BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris RdNr 21; BSG Beschluss vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl etwa BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 16). Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 3 RdNr 22; BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 16).

7

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben konnte das SG bei verständiger Würdigung das Begehren des nicht anwaltlich vertretenen Klägers nicht so verstehen, dass dieser die Anfechtungsklage gegen die ihn belastenden Bescheide zurücknehmen und nur noch ein Klagebegehren verfolgen wollte, dem es nach Ansicht des SG bereits an der Zulässigkeit fehlt. Der Kläger hat mit seiner Klage neben den Leistungen zur "Behebung einer Notlage" (Leistungsantrag) erkennbar weiterhin die Auszahlung der Leistungen zur Deckung der Kosten für die private Krankenversicherung auf sein Konto angestrebt (Anfechtungsantrag). Ein irgendwie geartetes Interesse des Klägers, den Anfechtungsantrag nicht, dafür aber einen unzulässigen Leistungsantrag weiter zu verfolgen, bestand nicht. Es verstößt gegen das Gebot des fairen Verfahrens (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ) und gegen § 106 Abs 1 Satz 1 SGG, wenn ein Gericht bei einem nicht anwaltlich vertretenen Kläger darauf hinwirkt, dass ausschließlich ein nach der Rechtsansicht des Gerichts unzulässiges und damit erkennbar nicht sachdienliches Klagebegehren weiter verfolgt wird. Das umfassende Rechtsschutzbegehren des Klägers hätte nur dann durch den vom SG vorgeschlagenen Antrag beschränkt werden dürfen, wenn der Wille des nicht vertretenen Klägers zur Begrenzung des Streitgegenstands bzw der teilweisen Klagerücknahme klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen wäre. Hieran fehlt es. Insbesondere dem Protokoll des Erörterungstermins vom 5.10.2016 ist nichts zu entnehmen, was einen derartigen Schluss zuließe. Der Berufungsschriftsatz des Klägers, der das Verhalten des SG als "unsozial" bezeichnet, weil aus den Akten und seinen Anträgen eindeutig hervorgehe, was er erstrebe, was aber vom Gericht nicht gewürdigt worden sei, macht vielmehr das Gegenteil deutlich.

8

Dieser Verfahrensfehler hat sich vor dem LSG fortgesetzt. Das LSG hätte zur Korrektur des Verfahrensfehlers (dazu BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris RdNr 11) in der mündlichen Verhandlung das wahre Klagebegehren des Klägers - das sich allerdings schon in seinem Berufungsschriftsatz deutlich manifestiert hat - ermitteln und ihm die Möglichkeit einräumen müssen, seinen Antrag nunmehr richtigzustellen, bzw ggf die Sache wegen des Verfahrensfehlers an das SG zurückverweisen müssen.

9

Angesichts dessen kann eine Entscheidung über die vom Kläger außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben. Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung in der Sache Tatsachenfeststellungen notwendig sind.

10

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 123


Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 112


(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts. (2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Be

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Tenor Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2014 aufgehoben.

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bei uns veröffentlicht am 08.12.2010

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an

Referenzen

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung. Sie beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts.

(2) Sodann erhalten die Beteiligten das Wort. Der Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern und dahin zu wirken, daß sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche Anträge stellen.

(3) Die Anträge können ergänzt, berichtigt oder im Rahmen des § 99 geändert werden.

(4) Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, sachdienliche Fragen zu stellen. Wird eine Frage von einem Beteiligten beanstandet, so entscheidet das Gericht endgültig.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. November 2008 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht noch ein Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden Arzneimittels Polyglobin im Quartal IV/2000.

2

Der vom Berufungsgericht als "Beigeladener zu 4." geführte Dr. K., der als Arzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung in Berlin teilnimmt, betreibt eine onkologische Schwerpunktpraxis. In der Zeit vom 1.7.2000 bis zum 31.12.2004 übte er die vertragsärztliche Tätigkeit mit der als "Beigeladene zu 5." geführten Dr. D., einer Ärztin für Allgemeinmedizin, gemeinschaftlich aus. Im Quartal I/2000 verordnete Dr. K. sowie im Quartal IV/2000 ein Mitglied dieser Gemeinschaftspraxis der Patientin H., die bei der Klägerin - einer gesetzlichen Krankenkasse - versichert war, das Arzneimittel Polyglobin.

3

Aufgrund eines gegen die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. gerichteten Antrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin setzte der Prüfungsausschuss wegen dieser Verordnungen einen Regress in Höhe von 36 821,34 DM (18 826,45 Euro) gegen Dr. K. und Dr. D. fest. Auf den Widerspruch von Dr. K. und Dr. D. reduzierte der beklagte Beschwerdeausschuss mit seinem an die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. gerichteten Bescheid vom 25.3.2003 die Schadensersatzverpflichtung auf 15 162,56 DM (7752,49 Euro) mit der Begründung, dass Polyglobin im Quartal IV/2000 indikationsgerecht verordnet worden sei; im Übrigen (bezüglich des Quartals I/2000) wies er den Widerspruch zurück.

4

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und mit Schriftsatz vom 18.8.2003 beantragt, "den Widerspruchsbescheid des Beklagten … aufzuheben und eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K. in Höhe von 18 826,45 Euro festzusetzen". Zur Begründung hat sie ua ausgeführt, der Beklagte habe in seiner Entscheidung vom 25.3.2003 die zuvor vom Prüfungsausschuss festgesetzte Schadensersatzverpflichtung "gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. M. K." reduziert. Das SG hat die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkassenverbände (nachfolgend beschränkt auf den BKK-Landesverband) sowie - zu 3. - die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. beigeladen. In der öffentlichen Sitzung des SG hat die Klägerin zu Protokoll beantragt, den Bescheid des Beklagten aufzuheben, soweit für das Quartal IV/2000 die indikationsgerechte Verordnung von Polyglobin festgestellt worden ist, und den Beklagten zu verpflichten, eine Schadensersatzverpflichtung "gegenüber Dr. K. und Dr. D." in Höhe von 11 073,96 Euro festzusetzen. Das SG hat dem Antrag mit Urteil vom 1.11.2006 entsprochen. Das Urteil wurde den Rechtsanwälten D. + B., die ausweislich der mit der Unterschrift von Dr. K. und dem Stempel der Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. versehenen Prozessvollmacht zur Vertretung der Beigeladenen zu 3. bevollmächtigt waren, am 18.4.2007 zugestellt.

5

Dagegen haben Dr. K. am 14.5.2007 und Dr. D. am 30.5.2007 Berufung eingelegt. Das LSG hat mit Urteil vom 26.11.2008, in dessen Rubrum es die Gemeinschaftspraxis Dres. K./D. als Beigeladene zu 3., Dr. K. als "Beigeladenen zu 4." sowie als Berufungskläger und Dr. D. als "Beigeladene zu 5." sowie als Berufungsklägerin aufführt, das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da sich die Ansprüche gegen die (frühere) Gemeinschaftspraxis richteten, sodass ein Regress bzw eine Schadensersatzverpflichtung nur zu Lasten der Beigeladenen zu 3. habe festgesetzt werden dürfen. Einen diesbezüglichen Verpflichtungsantrag habe die Klägerin jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellt, während er zuvor darauf gerichtet gewesen sei, eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber Dr. K. festzusetzen. Durch diese (zulässige) Klageänderung dürften keine Sachurteilsvoraussetzungen umgangen werden; dies sei jedoch vorliegend der Fall. Denn entweder sei der Verpflichtungsantrag auf die Festsetzung eines Schadensersatzes gegenüber beiden Ärzten als Einzelpersonen gerichtet - dann fehle es an einem hierauf gerichteten Verfahren vor dem Beklagten - oder der Verpflichtungsantrag sei auf die Festsetzung eines Schadensersatzes gegenüber der Gemeinschaftspraxis gerichtet - dann fehle es an einer fristgerechten Klageerhebung, weil der erstmals in der mündlichen Verhandlung am 1.11.2006 gestellte Antrag die Klagefrist nicht wahre.

6

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, dass sich die Regressverpflichtung nur gegen die Gemeinschaftspraxis habe richten dürfen. Insbesondere habe es übersehen, dass sich die Haftung der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber Dritten nach den Grundsätzen der Offenen Handelsgesellschaft richte (§§ 128 bis 130 Handelsgesetzbuch). Nach § 128 HGB hafteten alle Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft - auch nach deren Beendigung - persönlich. Zulässigerweise richte sich ein Regressbescheid nicht nur gegen die Gemeinschaftspraxis, sondern auch bzw stattdessen gegen die einzelnen Gesellschafter. Im Übrigen habe das LSG ihren in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Antrag zu Unrecht als Klageänderung angesehen. Vor der Annahme einer Klageänderung hätte es zunächst eine Auslegung des Antrags vornehmen müssen, insbesondere deswegen, weil allen Beteiligten klar gewesen sei, dass es um eine Regressverpflichtung der Gemeinschaftspraxis gegangen sei. Dass dennoch eine Schadensersatzverpflichtung gegen Dr. K. und Dr. D. festgesetzt worden sei, dürfe dem Umstand geschuldet sein, dass dem SG möglicherweise aus einem Parallelverfahren bekannt gewesen sei, dass die Gemeinschaftspraxis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr existiert habe, und es mangels Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis versucht habe, das Problem durch Heranziehung der ehemaligen Gemeinschaftspraxispartner zu lösen. Das LSG habe auch die Voraussetzungen für eine fristgerecht erhobene Klage verkannt, denn nach der Rechtsprechung des BVerwG (Beschluss vom 20.1.1993 - 7 B 158/92 -) sei eine geänderte Klage selbst dann nicht unzulässig, wenn ein neuer Beklagter erst nach Ablauf der Klagefrist in das Verfahren einbezogen worden sei.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu(ver)weisen.

8

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und von einer Äußerung abgesehen.

9

           

Die Beigeladene zu 3. beantragt, wie sich aus den Ausführungen ihrer ehemaligen Mitglieder ergibt

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Dr. K. hält das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Ziel der Klage habe es nur sein können, eine Entscheidung zu Lasten des Adressaten der Entscheidung des Beklagten - also der Gemeinschaftspraxis -, nicht aber eine Entscheidung zu Lasten eines Dritten herbeizuführen. Bezüglich seiner - Dr. K. Inanspruchnahme fehle es bereits an der Durchführung eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens. Ein Verwaltungsakt, der eine Regressverpflichtung zum Inhalt habe, richte sich nur gegen die Gemeinschaftspraxis, nicht jedoch auch bzw stattdessen gegen die einzelnen Gesellschafter. Insoweit helfe auch § 128 HGB nicht weiter, denn es könne nur gegen die jeweils gerichtlich in Anspruch genommene Partei - also entweder die Gesellschaft oder die Gesellschafter - vollstreckt werden. Eine im Zivilprozess mögliche Klageerweiterung hinsichtlich einzelner Gesellschafter verbiete sich im Sozialgerichtsprozess, da dadurch das notwendige Verwaltungs- und Klageverfahren umgangen werde. Eine Auslegung des eindeutig formulierten Klageantrags sei ausgeschlossen. Die "Beigeladene zu 5." habe bis zur mündlichen Verhandlung nicht gewusst, dass ein Regress auch gegen sie als Gesellschafterin festgesetzt werden könnte; sie habe daher auf die Bestandskraft des Bescheides vertrauen können.

11

Dr. D. hält ebenfalls das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Im Laufe eines streitigen Sozialverfahrens könne nicht beliebig zwischen völlig verschiedenen Rechtssubjekten als Verfahrensbeteiligte hin und her gewechselt werden. Für die Klägerin habe die Pflicht bestanden, den Regressantrag hinreichend zu bestimmen. Zwischen einem Gesellschaftsprozess und einem Gesellschafterprozess sei streng zu unterscheiden. Zudem habe es bereits im erstinstanzlichen Verfahren an der notwendigen Beiladung der einzelnen Gesellschafter als nunmehr neue Regressadressaten gefehlt; diese könne insbesondere nicht durch eine Rubrumsberichtigung ersetzt werden.

12

Die übrigen Beigeladenen haben sich weder geäußert noch Anträge gestellt.

13

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 iVm § 124 Abs 2 SGG)einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Klägerin ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Das LSG hat die Klage der Klägerin zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.

15

1. Der Senat hat das Rubrum dahin gehend berichtigt, dass allein die (ehemalige) Gemeinschaftspraxis als Beigeladene (zu 3.) geführt und diese durch ihre früheren Mitglieder vertreten wird. Eine förmliche Beiladung von Dr. K. bzw Dr. D. ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt; eine konkludente Beiladung ist nicht möglich (BFHE 90, 428, 429 = BStBl II 1968, 122; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 75 RdNr 14a).

16

2. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG ist deshalb geboten, weil es den Streitgegenstand verkannt und damit § 123 SGG verletzt hat. Der Auffassung des LSG, die Klägerin habe ihren ursprünglich auf Festsetzung einer Schadensersatzverpflichtung gegenüber Dr. K. gerichteten Verpflichtungsantrag in der mündlichen Verhandlung in einen solchen auf Verpflichtung der Gemeinschaftspraxis geändert, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ergibt sich im Wege der Auslegung, dass von Anfang an eine Verpflichtung der Gemeinschaftspraxis gewollt war.

17

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, das sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3). Im Übrigen muss dann, wenn der Wortlaut eines Antrags nicht eindeutig ist, im Wege der Auslegung festgestellt werden, welches das erklärte Prozessziel ist (BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180; Keller aaO). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 BGB ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, welcher sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen - etwa dem Inhalt der Verwaltungsakten - ergeben kann. Allerdings können nur solche Umstände bei der Ermittlung des wirklichen Willens berücksichtigt werden, die für das Gericht und die anderen Prozessbeteiligten erkennbar sind (BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 180 unter Hinweis auf BVerfGE 54, 1, 7).

18

Bei der Auslegung geht das Gericht davon aus, was der Kläger mit der Klage erreichen möchte (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 123 RdNr 3). Im Zweifel wird dieser den Antrag stellen wollen, der ihm am Besten zum Ziel verhilft, wobei anzunehmen ist, dass er alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (Keller aaO mwN). Zur Auslegung ist auch ein Revisionsgericht berufen, ohne dabei an die durch das Tatsachengericht vorgenommene Auslegung gebunden zu sein (BSG Urteil vom 16.5.1995 - 9 RVs 11/94 - juris RdNr 13, unter Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 145 Nr 2 und auf BGHZ 4, 328, 334 mwN).

19

Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 18.8.2003 gewählte Formulierung des Antrags, "eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K. … festzusetzen", ganz offensichtlich auf einem Irrtum beruhte. Dies wird aus der nachfolgenden Begründung der Klage deutlich. Dort wird vorgetragen, der Beklagte habe die zuvor vom Prüfungsausschuss festgesetzte Schadensersatzverpflichtung "gegenüber dem Vertragsarzt Dr. med. K." reduziert; diese Aussage ist jedoch erkennbar unzutreffend, da sich sowohl der Prüfantrag der Klägerin als auch der Widerspruchsbescheid des Beklagten gegen die Gemeinschaftspraxis richteten, und die - allein noch streitgegenständliche - Stattgabe des Widerspruches das Quartal IV/2000 und somit eine gegen die Gemeinschaftspraxis gerichtete Forderung betraf.

20

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihren Anspruch nunmehr allein gegenüber Dr. K. geltend machen wollte, lassen sich demgegenüber weder aus dem Schriftsatz noch aus weiteren Umständen entnehmen. Zu einer Inanspruchnahme lediglich einzelner Mitglieder der Gemeinschaftspraxis bestand für die Klägerin keine Veranlassung. Insbesondere verbietet sich die Annahme, dass die Klägerin etwa ein Ausscheiden von Dr. D. aus der Gemeinschaftspraxis berücksichtigen wollte, denn zu dem Zeitpunkt, als der Schriftsatz vom 18.8.2003 verfasst wurde, bestand die von der umstrittenen Regressfestsetzung betroffene Gemeinschaftspraxis noch. Umgekehrt könnte der Umstand, dass die Gemeinschaftspraxis erst Mitte 2000 gegründet wurde und seinerzeit Verordnungsregresse betreffende Verfahren sowohl gegen die zuvor bestehende Einzelpraxis Dr. K. als auch gegen die Gemeinschaftspraxis anhängig waren, dafür sprechen, dass es hierdurch zu einer Verwechslung gekommen ist. Die für eine bloße Falschbezeichnung sprechenden Umstände waren auch für alle Beteiligten ohne weiteres erkennbar.

21

Ist somit davon auszugehen, dass die Klägerin eine Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung eines Regresses gegen die Gemeinschaftspraxis begehrte, so hat sich daran auch nichts dadurch geändert, dass in das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem SG - vermutlich auf Anregung des Gerichts - ein etwas anders formulierter Antrag aufgenommen worden ist, da nur ein auf Inanspruchnahme der Gemeinschaftspraxis gerichteter Antrag dem Interesse der Klägerin entsprach.

22

3. Im Übrigen ist das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel nur zu Lasten der Gemeinschaftspraxis hätte festgesetzt werden dürfen. Vielmehr kommt eine Regressfestsetzung sowohl gegen die Gemeinschaftspraxis als auch gegen deren Mitglieder in Betracht.

23

Zutreffend ist allerdings, dass im Regelfall die Gemeinschaftspraxis Regresse wie auch etwaige Honorarkürzungen zu tragen hat (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; BSG Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 21/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15; s auch BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17 sowie BSG SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 15). Der Senat hat dies damit begründet, dass die Gemeinschaftspraxis durch die gemeinsame Ausübung der (zahn)ärztlichen Tätigkeit geprägt ist und rechtlich gesehen eine Praxis darstellt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21; s auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15). So wird die Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise einer Gemeinschaftspraxis nicht bezogen auf den einzelnen Arzt, sondern bezogen auf die Gemeinschaftspraxis als Einheit geprüft (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 aaO); ebenso treffen sie die wirtschaftlichen Folgen von Falschabrechnungen bzw rechtswidrigen Verordnungen (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22). Die Behandlungen, Abrechnungen und Verordnungen eines Vertragsarztes im Rechtssinne sind solche der Gemeinschaftspraxis, solange er seine Tätigkeit im Status einer Gemeinschaftspraxis ausübt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 aaO; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16). Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinschaftspraxis zwischenzeitlich beendet wurde, weil sie in vertragsarztrechtlicher Hinsicht für nicht erfüllte Pflichten und Forderungen als fortbestehend gilt ( zum fiktiven Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis für schwebende Auseinandersetzungen um Forderungen und Verbindlichkeiten s § 730 Abs 2 Satz 1 BGB und BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 14; BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 11 ).

24

Jedoch tritt neben die Verpflichtung (bzw Haftung) der Gemeinschaftspraxis eine solche ihrer Gesellschafter. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass für Regressansprüche der Institutionen der vertragsärztlichen Versorgung nicht nur die Gemeinschaftspraxis selbst einzustehen hat, sondern auch jedes ihrer Mitglieder (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; BSG Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 21/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 57 RdNr 15). Sie sind persönlich haftende Schuldner für Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis, die sich zB im Falle rechtswidrigen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens von Praxispartnern ergeben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 mwN). Als Gesellschafter müssen sie für solche Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis auch in eigener Person einstehen (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 unter Hinweis auf zB Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 714 RdNr 10 ff mwN; vgl auch zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22); sie können jeder für sich in Anspruch genommen werden (BSGE 89, 90, 93 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22). Dementsprechend sind Regress- bzw Rückforderungsbescheide, die nur gegen einen Partner der Gemeinschaftspraxis gerichtet sind, nicht zu beanstanden (BSGE 89, 90, 93 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6; BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - RdNr 30, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

25

Umgekehrt hat der Senat dem einzelnen Praxispartner das Recht eingeräumt, Forderungen, die gegenüber der Gemeinschaftspraxis geltend gemacht werden, wahlweise zusammen mit seinen Praxispartnern gemeinschaftlich abzuwehren, oder sie - sowohl wenn sie nur gegenüber der Gemeinschaftspraxis als auch wenn sie auch ihm selbst gegenüber geltend gemacht werden - allein abzuwehren (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16 unter Hinweis auf BSGE 89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5 und BSG, MedR 2004, 172). Darauf, ob die Gemeinschaftspraxis noch fortbesteht oder bereits aufgelöst ist, kommt es auch insoweit nicht an (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16; s auch BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

26

4. In der Sache selbst weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin zu Recht die Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung eines Regresses begehrt hat. Der Senat hat bereits mit Urteilen vom 5.5.2010 (- B 6 KA 6/09 R - BSGE 106, 111 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27 und - B 6 KA 20/09 R -) in Verfahren, die ebenfalls Regresse wegen der Verordnung von Polyglobin durch Mitglieder der früheren Gemeinschaftspraxis betrafen, bestätigt, dass in derartigen Fällen ein Ersatzanspruch der Klägerin besteht.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer in Ungarn durchgeführten Versorgung mit Zahnersatz.

2

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ließ sich von der Beklagten über die Anfertigung von Zahnersatz für Ober- und Unterkiefer im Ausland (Ungarn) beraten. Er legte einen Heil- und Kostenplan des Zahnarztes S. vom 27.3.2009 vor. Die Beklagte erklärte sich mit der Zahnbehandlung im Ausland einverstanden. Sie wies darauf hin, dass die tatsächlich entstandenen Kosten, maximal jedoch die deutschen befundorientierten Festzuschüsse nach §§ 55 ff SGB V erstattungsfähig seien. Des Weiteren seien Abschläge für Praxisgebühr, Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung (10 vH, mindestens 3 und maximal 50 Euro) in Abzug zu bringen. Der Kläger ließ sich in Ungarn behandeln und legte vier Rechnungen über insgesamt 5305 Euro vor (12.5.2009 ; 16.6.2009 ; 22.7.2009 <11 Keramikkronen, ein Wurzelstift, 1955 Euro>; 2.9.2009 <12 Keramikkronen, Zahnsteinentfernung, 2070 Euro>). Die Beklagte erstattete unter Berücksichtigung von Abschlägen 1906,87 Euro (Bescheid vom 28.7.2008; Rechnung vom 12.5.2009; Abschlag 48,13 Euro), 74,50 Euro (Bescheid vom 28.7.2008; Rechnung vom 16.6.2009; Abschlag 1,87 Euro) und 2003,61 Euro (Bescheid vom 10.9.2009; Rechnung vom 2.9.2009; Abschlag 50 Euro). Eine Erstattung von Kosten für die Versorgung mit Implantaten (Rechnung vom 12.5.2009) lehnte sie ab (Bescheid vom 28.7.2009). Die Widersprüche des Klägers wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheide vom 17.11.2009). Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und einen "Fehlbetrag" von 2355,69 Euro als "Bezuschussung" neben weiteren 1520 Euro Kosten für seine "Rechtswahrnehmung" geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat er auf Anraten des Gerichts Kosten in Höhe von 1140 Euro "hinsichtlich befundbezogener Festzuschüsse" geltend gemacht. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Leistungsanspruch nach § 55 Abs 1 S 1 SGB V keine Implantate erfasse(Urteil vom 12.6.2012). Das LSG hat die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG aus den Gründen der angegriffenen Entscheidung zurückgewiesen(Beschluss vom 24.6.2014).

3

Der Kläger rügt mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss Verfahrensfehler und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

4

II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet.

5

1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

6

Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer fehlerhaften Anwendung des § 153 Abs 4 SGG liegt vor. Eine Verletzung des § 153 Abs 4 S 1 SGG führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO, bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist(BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 10; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13; BSG Urteil vom 8.11.2001 - B 11 AL 37/01 R - Juris RdNr 15; ebenso zu § 158 S 2: BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG SozR 4-1750 § 547 Nr 1; BSG SozR 4-6020 Art 6 Nr 1).

7

Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen ("kann"). Das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung schränken die Entscheidung eines LSG nach § 153 Abs 4 SGG ein, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Diese Entscheidung kann vom Revisionsgericht deshalb darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38). Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung des LSG, nach § 153 Abs 4 SGG zu verfahren, erkennbar auf einer solchen Fehleinschätzung.

8

Die mündliche Verhandlung, aufgrund der die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit regelmäßig entscheiden (§ 124 Abs 1 SGG), ist gleichsam das "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens und verfolgt den Zweck, dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen und mit ihnen den Streitstoff erschöpfend zu erörtern. Nur wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt und das Gericht nur noch darüber zu befinden hat, wie das Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 128 SGG zu würdigen und rechtlich zu beurteilen ist, ist das Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG sinnvoll(BSGE 44, 292 = SozR 1500 § 124 Nr 2). Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung also nur dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn etwa im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird. Diese Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung muss das Berufungsgericht auch bei seiner Entscheidung berücksichtigen, ob es im vereinfachten Verfahren gemäß § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden will. Demgemäß sind für diese Ermessensentscheidung - auch im Hinblick auf das in Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention jedermann gewährleistete Recht auf gerichtliches Gehör - die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen relevant (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG Beschluss vom 30.7.2009 - B 13 R 187/09 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 11.2.2015 - B 13 R 300/14 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 7.5.2014 - B 12 KR 30/12 B - Juris RdNr 9; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 15 ff mwN). Zu beachten ist auch der Anspruch der Beteiligten auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG), nach dem die Gestaltung des Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis zu dem auf Sachverhaltsaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrensziel stehen muss (vgl BVerfGE 88, 118, 124, 126 ff; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 f; BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 12; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 10; BSG Urteil vom 25.3.2003 - B 7 AL 76/02 R - Juris RdNr 8). Ist bei Abwägung aller danach zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen, liegt eine grobe Fehleinschätzung im obigen Sinne vor (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 f).

9

So ist der Fall hier zu beurteilen. Ausweislich der Klageschrift und auch des Antrags in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat der nicht anwaltlich vertretene Kläger als Erstattungsbetrag für die Auslandsbehandlung (§ 13 Abs 4 SGB V) einen befundbezogenen Festzuschuss entsprechend dem Heil- und Kostenplan seines Zahnarztes in angeblicher Höhe von 6231,07 Euro abzüglich erstatteter 3984,53 Euro geltend gemacht und dabei darauf hingewiesen, dass er nach den Angaben der Beklagten berechtigt gewesen sei, jede höherwertigere Behandlung in Anspruch zu nehmen, der Umfang der Erstattung allerdings auf die Höhe des Festzuschusses beschränkt sei. Er hat auch darauf hingewiesen, dass der Abschlag für die Wirtschaftlichkeitsprüfung "ZWEI mal" vorgenommen worden sei und zwei Widerspruchsbescheide vom 17.11.2009 existierten. Das SG hat in Verkennung dieses Begehrens versäumt, auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken. Der Antrag soll bestimmt gefasst und eindeutig sein, der prozessualen und materiellen Rechtslage Rechnung tragen und dem Gericht eine umfassende Entscheidung ermöglichen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 112 RdNr 8). Die vom SG "empfohlene" Antragsbeschränkung entsprach weder dem Begehren des Klägers noch der prozessualen und materiellen Rechtslage. Der auf die Höhe des befundbezogenen Festzuschusses gerichtete Anspruch auf Erstattung der Kosten für die zahnärztliche (Gesamt-)Behandlung verbietet die isolierte Beurteilung einer Teilrechnung. Die im Zusammenhang der Behandlung ergangenen Bescheide und Rechnungen sind insoweit als Einheit zu sehen. Allein wegen der Antragsbeschränkung brauchte sich das SG - aus seiner rechtlichen Sicht - ausschließlich mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Anspruch auf "Erstattung" der Kosten für die Versorgung mit Implantaten besteht. Dabei hat das SG es allerdings auch versäumt, im Rahmen des § 13 Abs 4 S 1 SGB V die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erstattung des Festzuschusses durch die Beklagte nach § 55 Abs 5 SGB V bei anderweitiger Versorgung zu prüfen, obwohl der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren hierauf hingewiesen hat.

10

Der Umgang des SG mit dem vom Kläger mit seiner Klage verfolgten Ziel der Erstattung eines befundbezogenen Festzuschusses entsprechend dem Heil- und Kostenplan seines Zahnarztes verstieß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG, das Rechtsstaatsprinzip und das Recht auf ein faires Verfahren (Art 19 Abs 4 und Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG). Das SG musste klären, was der Kläger mit der Klage erreichen will (BSGE 68, 190, 191 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1 S 1 f) und durfte das umfassende Rechtsschutzbegehren des Klägers nur dann durch den von ihm vorgeschlagenen Antrag beschränken, wenn der Wille des nicht vertretenen Klägers zur Begrenzung des Streitgegenstands bzw zur teilweisen Klagerücknahme klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen wäre. Hieran fehlt es. Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren des Klägers ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven und möglichst lückenlosen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt (Art 19 Abs 4 GG, BVerfGE 107, 395 = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1). Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 3 RdNr 22; BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 16; BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 = SozR 4-2500 § 85 Nr 14). Dies hat das SG nicht beachtet.

11

Die sachwidrige und gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßende Behandlung des Klagebegehrens durch das SG versperrte dem LSG die Möglichkeit, gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Klägers nach freiem Ermessen gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Das LSG hätte zur Korrektur des Verfahrensfehlers des SG vielmehr in einer mündlichen Verhandlung - soweit dies vom Kläger nicht bereits deutlich genug zum Ausdruck gebracht gewesen sein sollte - das wahre Klagebegehren erforschen und dem Kläger die Möglichkeit einräumen müssen, seinen Antrag nunmehr unter Einbeziehung der weiteren Bescheide vom 28.7.2009 sowie des Bescheids vom 2.9.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2009 richtigzustellen und die Höhe des von ihm begehrten Erstattungsbetrags zu korrigieren (vgl auch BSG Beschluss vom 18.11.2008 - B 2 U 44/08 B - Juris RdNr 6).

12

2. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Zwar hat die Frage grundsätzliche Bedeutung, ob ein Abschlag für eine fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung gerechtfertigt ist, obwohl eine solche mit der Vorlage des Heil- und Kostenplans erfolgt. Eine Zurückverweisung scheidet aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aber nur dann aus, wenn die aufgeworfenen Rechtsfragen in dem zu entscheidenden Fall klärungsfähig sind. Dies kann der Senat aber mangels tatsächlicher Feststellungen des LSG zum vorgelegten Heil- und Kostenplan, der danach geplanten tatsächlichen Versorgung und der zu bewilligenden Festzuschüsse sowie der in Ungarn konkret erfolgten Versorgung mit Zahnersatz nicht beurteilen (zur Bedeutung des Heil- und Kostenplans bei einer Versorgung mit Zahnersatz im EU-Ausland vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 21 RdNr 12 ff).

13

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.