Bundessozialgericht Beschluss, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 639/15 B

bei uns veröffentlicht am12.10.2016

Tenor

Die Verfahren zu den Aktenzeichen B 4 AS 639/15 B und B 4 AS 640/15 B werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Führend ist das Verfahren B 4 AS 639/15 B.

Auf die Beschwerden der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. September 2015 (L 15 AS 76/12 und L 15 AS 117/12) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem Verfahren zu dem Aktenzeichen B 4 AS 639/15 B stehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1.12.2009 bis 31.5.2010 und in dem Verfahren zu dem Aktenzeichen B 4 AS 640/15 B vom 1.12.2010 bis 31.5.2011 im Streit.

2

Die Klägerin bewohnte im streitigen Zeitraum gemeinsam mit R.B. eine Wohnung. Sie bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. R.B. stand im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte ging davon aus, dass R.B. und die Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft iS einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft bildeten. Er gewährte der Klägerin daher Sozialgeld unter Berücksichtigung ihres Renteneinkommens, bereinigt um die gesetzlichen Absetzbeträge und Wohngeld. Der Bedarfsberechnung legte er neben dem Regelbedarf, einen Mehrbedarf wegen des Merkzeichens "G" und kopfteilige Unterkunfts- und Heizaufwendungen - ausgehend von der tatsächlichen Höhe der entstandenen Kosten - zugrunde. Für den von der Klägerin zu zahlenden Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung erbrachte er Leistungen nach § 26 Abs 4 SGB II bzw zog diesen als Absetzbetrag von dem Renteneinkommen vor der Berücksichtigung bei der Berechnung des Sozialgeldes ab.

3

Gegen die Bewilligungsbescheide ist die Klägerin mit Feststellungs- und Anfechtungsklagen vorgegangen. Sie hat vorgebracht, aus dem SGB II-Leistungsbezug herauszunehmen zu sein, denn sie bilde keine Bedarfsgemeinschaft mit R.B. Ohne Einstehen für R.B. verbliebe ihr mehr von ihrer Rente und sie erhielte Leistungen nach dem SGB XII. Im Übrigen habe der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung nicht nur vom Einkommen abgesetzt, sondern habe - soweit im streitigen Zeitraum angefallen - als Leistung erbracht werden müssen. Das SG hat die Klagen durch Gerichtsbescheide vom 16.2. und 13.3.2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zum einen seien die Klagen betreffend der Feststellung des Nichtbestehens einer Bedarfsgemeinschaft bereits unzulässig, denn die Klägerin verfüge insoweit über kein berechtigtes Interesse. Im Hinblick auf die Anfechtung der Bescheide wegen der Leistungsgewährung nach dem SGB II fehle es an einer Klagebefugnis. Im Übrigen seien die Klagen unbegründet, denn die Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig. Nach Vernehmung des R.B. als Zeugen in einem anderen Rechtsstreit vor derselben Kammer sei das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und R.B. als erwiesen anzusehen. Den Krankenkassenzusatzbeitrag habe der Beklagte entsprechend der jeweiligen Rechtslage zutreffend behandelt. Mit ihren hiergegen gerichteten Berufungen ist die Klägerin mit im Wesentlichen derselben Begründung ebenfalls erfolglos geblieben.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revisionen in den zuvor benannten Entscheidungen durch das LSG hat die Klägerin privatschriftlich Beschwerden zum BSG eingelegt und zugleich die Bewilligung von PKH beantragt. Sie hat insbesondere vorgebracht, weder zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung, noch in den Verfahren vor den beiden Vorinstanzgerichten prozessfähig gewesen zu sein. Nachdem die Klägerin Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. I eingeholt vom SG Osnabrück (4. Kammer) - vorgelegt hat, aus denen das SG auf die Prozessunfähigkeit der Klägerin geschlossen hat, hat der erkennende Senat, ebenso wie der 8. Senat des BSG in dem Verfahren B 8 SO 22/14 B, Rechtsanwalt K (O) durch Beschluss vom 23.3.2016 zum besonderen Vertreter bestellt und ihn im Rahmen der bewilligten PKH beigeordnet (Beschluss vom 13.1.2016). Der besondere Vertreter rügt die mangelnde Prozessfähigkeit der Klägerin. Das LSG habe für sie einen besonderen Vertreter nach § 72 Abs 1 SGG bestellen müssen. Wäre ein solcher bestellt worden, hätte dieser für die Klägerin nach entsprechendem Hinweis des LSG sachdienliche Anträge mit Bezug zum materiellen Recht stellen können. Im angestrebten Revisionsverfahren sei zudem ein Antrag auf Beiladung des Sozialhilfeträgers zu stellen, der als zuständiger Träger für die Leistungserbringung in Betracht komme, denn eine Bedarfsgemeinschaft mit R.B. bestehe nicht.

5

II. Die Beschwerden der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des LSG vom 29.9.2015 führten nach § 160a Abs 5 SGG zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Nach dieser Vorschrift kann das BSG das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

6

Die gerügten Verfahrensmängel des Verstoßes gegen § 72 Abs 1 SGG liegen vor, denn das LSG hat zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für die bereits in den Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähige Klägerin abgesehen. An der Prozessunfähigkeit bestehen angesichts der von der Klägerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Gutachten keine durchgreifenden Zweifel. Die Klägerin war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem im Regelfall unterstellt wird, dass die Entscheidung des LSG auf ihm beruht (zu dieser Voraussetzung siehe § 162 SGG).

7

Ausnahmen von der Vertreterbestellung sind in der Rechtsprechung zwar dann für zulässig erachtet worden, wenn das Rechtsmittel unter Anlegung eines strengen Maßstabs "offensichtlich haltlos" ist (BSG vom 28.5.1957 - 3 RJ 98/54 - BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 23/11 R - SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10; siehe auch BSG vom 17.12.2014 - B 8 SO 83/14 B - juris RdNr 8). In einem solchen Fall hat der vom Revisionsgericht bestellte besondere Vertreter und im Rahmen der PKH beigeordnete Prozessbevollmächtigte das Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler darzulegen. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Vertreters in seinem Schriftsatz vom 19.7.2016 zum Leistungsanspruch in dem streitigen Zeitraum.

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Tenor Die Verfahren zu den Aktenzeichen B 4 AS 639/15 B und B 4 AS 640/15 B werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Führend ist das Verfahren B 4 AS 639/15 B.

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(1) Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Absatz 3 des Versicherungsvertragsgesetzes genügen, versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs ein Zuschuss zum Beitrag geleistet; der Zuschuss ist begrenzt auf die Höhe des nach § 152 Absatz 4 des Versicherungsaufsichtsgesetzes halbierten Beitrags für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung, den Hilfebedürftige zu leisten haben. Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig oder freiwillig versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs ein Zuschuss in Höhe des Beitrags geleistet, soweit dieser nicht nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 abgesetzt wird; Gleiches gilt für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1, die nicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 2a des Fünften Buches versicherungspflichtig sind.

(2) Für Personen, die

1.
in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig oder freiwillig versichert sind oder
2.
unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 erster Halbsatz privat krankenversichert sind und die
allein durch die Zahlung des Beitrags hilfebedürftig würden, wird ein Zuschuss zum Beitrag in Höhe des Betrages geleistet, der notwendig ist, um die Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 gilt die Begrenzung des Zuschusses nach Absatz 1 Satz 1 zweiter Halbsatz entsprechend.

(3) Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld, die gegen das Risiko Pflegebedürftigkeit bei einem privaten Versicherungsunternehmen in Erfüllung ihrer Versicherungspflicht nach § 23 des Elften Buches versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs ein Zuschuss zum Beitrag geleistet; der Zuschuss ist begrenzt auf die Hälfte des Höchstbeitrags in der sozialen Pflegeversicherung. Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2, die in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs ein Zuschuss in Höhe des Beitrags geleistet, soweit dieser nicht nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 abgesetzt wird; Gleiches gilt für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1, die nicht nach § 20 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2a des Elften Buches versicherungspflichtig sind.

(4) Für Personen, die

1.
in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sind oder
2.
unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 Satz 1 erster Halbsatz privat pflegeversichert sind und die
allein durch die Zahlung des Beitrags hilfebedürftig würden, wird ein Zuschuss zum Beitrag in Höhe des Betrages geleistet, der notwendig ist, um die Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 gilt die Begrenzung des Zuschusses nach Absatz 3 Satz 1 zweiter Halbsatz entsprechend.

(5) Der Zuschuss nach Absatz 1 Satz 1, nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 2, nach Absatz 3 Satz 1 und nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 ist an das private Versicherungsunternehmen zu zahlen, bei dem die leistungsberechtigte Person versichert ist. Der Zuschuss nach Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 Satz 2 ist an die Krankenkasse zu zahlen, bei der die leistungsberechtigte Person versichert ist.

(6) Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld, die Mitglied in einer in § 176 Absatz 1 des Fünften Buches genannten Solidargemeinschaft sind, gelten die Absätze 1 und 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 entsprechend. Für Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld, die nach § 21a Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs ein Zuschuss in Höhe des Beitrags geleistet, soweit dieser nicht nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 abgesetzt wird.

Tenor

Die Beschwerden der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. September 2013 - L 8 SO 304/13, L 8 SO 310/13 und L 8 SO 312/13 - und vom 1. Oktober 2013 - L 8 SO 300/13, L 8 SO 301/13, L 8 SO 302/13, L 8 SO 303/13, L 8 SO 305/13, L 8 SO 306/13, L 8 SO 307/13, L 8 SO 308/13, L 8 SO 309/13, L 8 SO 311/13, L 8 SO 313/13 und L 8 SO 314/13 - werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten mit insgesamt zwölf Anträgen für die Zeit von Oktober 2011 bis November 2012 Leistungen für Unterkunft und Heizung für jeweils einen Monat (mit Ausnahme für Januar und Mai 2012) und mit drei weiteren Anträgen ergänzende Leistungen der Sozialhilfe. Die Beklagte leitete diese Anträge an das Jobcenter Osnabrück weiter, weil sie der Auffassung war, die Klägerin lebe in eheähnlicher Gemeinschaft mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und sei deshalb von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ausgeschlossen. Wegen der Nichtbescheidung durch die Beklagte hat die Klägerin in den Monaten Oktober 2012 bis Mai 2013 insgesamt 15 Untätigkeitsklagen beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben; im Laufe dieser Verfahren hat die Beklagte alle 15 Anträge abgelehnt (Bescheide vom 26.6.2013).

2

Auf Anfragen des SG, "ob das Anerkenntnis angenommen werde und der Rechtsstreit damit seine Erledigung gefunden habe", teilte die Klägerin mit, sie nehme "ein Anerkenntnis" nicht an, weil nicht erkennbar sei, dass die Beklagte etwas anerkannt habe. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klagen abgewiesen, weil Untätigkeit nicht mehr vorliege und ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht mehr bestehe; die Kosten habe die Beklagte jeweils zur Hälfte zu erstatten (Gerichtsbescheide vom 22.7.2013). Gegen diese Gerichtsbescheide hat die Klägerin (mit einem Schriftsatz vom 28.7.2013) jeweils Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie hat dabei jeweils beantragt, den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die für das Verfahren entstandenen Kosten in voller Höhe zu erstatten, weil sie vollständig obsiegt habe und die Beklagte zur Erstellung des von ihr beantragten Bescheides verurteilt worden sei. Das LSG hat nach Anhörung die jeweilige Berufung mit Beschluss als unzulässig verworfen; der Entscheidung durch Beschluss stehe nicht entgegen, dass erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden sei, weil die Klägerin sich lediglich gegen die Kostenentscheidung des SG wende (Beschlüsse vom 3.9.2013 und vom 1.10.2013).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in den Beschlüssen wendet sich die Klägerin mit ihren Beschwerden zum Bundessozialgericht (BSG), die der Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. Sie rügt Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Eine verständige Würdigung ihres Vorbringens ergebe, dass sie nicht lediglich die Kostenentscheidungen des SG habe angreifen wollen, sondern sich gegen die klageabweisenden Entscheidungen des SG gewandt habe. Das LSG habe aus diesem Grund auch unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Beschlüsse ohne mündliche Verhandlung entschieden und §§ 158, 62 SGG verletzt. Damit sei das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen; hierin liege ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung).

4

II. Die Beschwerden der Klägerin sind zulässig, aber unbegründet. Sie sind nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe fristgerecht erhoben und genügen hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die Klägerin macht mit den Beschwerden geltend, um ihr Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein, indem schon das SG durch Gerichtsbescheide ohne mündliche Verhandlung entschieden und das LSG die Berufungen nach § 158 Satz 2 SGG verworfen habe. Grundsätzlich bedarf es keines weiteren Vortrags zum Beruhen der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, sein Recht auf mündliche Verhandlung sei verletzt worden (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62); die gerügten Verfahrensmängel liegen aber nicht vor. Es ist nicht zu beanstanden, dass das LSG ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter in allen 15 Verfahren die Berufungen durch Beschluss als unzulässig verworfen hat.

5

Zutreffend hat es den Berufungsschriftsatz der Klägerin dahin ausgelegt, dass diese sich mit ihren Berufungen ausschließlich gegen die Kostenentscheidung des SG gewandt hat. Damit ist eine Berufung wegen § 144 Abs 4 SGG in allen 15 Verfahren ausgeschlossen, unabhängig davon, ob in den einzelnen Verfahren wegen der vor dem SG in der Hauptsache geltend gemachten Untätigkeit der Beklagten der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro überschritten hat(zum Wert des Beschwerdegegenstandes bei Untätigkeitsklagen BSG SozR 4-1500 § 144 Nr 7). Die Anträge im Schriftsatz vom 28.7.2013 und die kurze Begründung zu den Berufungen sind ausdrücklich und allein gegen die jeweilige Kostenentscheidung des SG gerichtet. Einziges Ziel der Berufung ist die Korrektur der Kostenentscheidung; die Klägerin hat weder geltend gemacht, ihr Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sei dahin auszulegen gewesen, dass anstelle der Untätigkeit der Beklagten nunmehr eine für sie günstige Entscheidung in der Sache begehrt werde, noch hat sie in Zweifel gezogen, dass Untätigkeit der Beklagten nach Erlass der Bescheide vom 26.6.2013 nicht mehr vorlag. Soweit der Schriftsatz Sachvortrag enthält, bezieht sich dieser ausschließlich auf zugleich geführte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Auch der Hinweis im Schriftsatz vom 12.9.2013, sie - die Klägerin - habe "voll-umfänglich gewonnen", ist als Begründung für die aus Sicht der Klägerin fehlerhafte Kostenentscheidung des SG anzusehen.

6

Das LSG durfte durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG entscheiden. Nach § 158 Satz 2 SGG "kann" die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ergehen. Damit ist dem Berufungsgericht - insoweit vergleichbar der Regelung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG - Ermessen eingeräumt, ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung kann im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, dh etwa sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde gelegt hat (vgl zu § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 38 mwN). Nicht grundlegend anders als im Rahmen von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG(vgl dazu: BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 6 ff; BSG, Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 28/02 R) ist die Möglichkeit, nach § 158 Satz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, grundsätzlich eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Eine Einschränkung, über eine unzulässige - weil schon nicht statthafte - Berufung nicht nach § 158 Satz 2 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ist aber jedenfalls in solchen Fällen nicht geboten, in denen erstinstanzlich ein Gerichtsbescheid ergangen ist, der nur wegen der Kostenentscheidung angegriffen wird.

7

Das Gebot des fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung gebieten es zwar im Grundsatz, von einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG abzusehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet(vgl BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2), und auch die Ausgestaltung des vereinfachten Berufungsverfahrens im SGG (Fälle des § 153 Abs 4 SGG und des § 158 SGG) ist nach dem Willen des Gesetzgebers allgemein an Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) orientiert, wonach jede Person das Recht hat, dass ua über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist mündlich verhandelt wird; dabei werden (entgegen dem innerstaatlichen Rechtsverständnis) vom Begriff "zivilrechtliche Ansprüche" in diesem Sinne auch sozialrechtliche Ansprüche erfasst (vgl nur Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 6 RdNr 14 und 17 mwN). Ob eine Verletzung von Art 6 Abs 1 EMRK vorliegt, beurteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jedoch anhand einer Würdigung im Hinblick auf die Besonderheiten des Verfahrens in seiner Gesamtheit. Es ist notwendig, das gesamte innerstaatliche Verfahren, wie es in der innerstaatlichen Rechtsordnung geregelt ist, und die Rolle des Berufungsgerichts in seiner Gesamtheit zu betrachten (vgl EGMR vom 29.10.1991 - 22/1990/213/275 -, EuGRZ 1991, 415, 416 mwN).

8

Wegen einer Angelegenheit, die ausschließlich noch die Frage der Kosten des gerichtlichen Verfahrens betrifft, besteht unter dieser Prämisse einerseits nach der Konzeption des Gesetzgebers nie ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung und ist andererseits eine inhaltliche Befassung des Rechtsmittelgerichts allein mit der Kostenentscheidung in jedem Fall ausgeschlossen. Erledigt sich vor dem SG ein Rechtsstreit in der Hauptsache auf andere Weise als durch Urteil (oder einen dem Urteil gleichstehenden Gerichtsbescheid) und ist nur noch die Erstattung der Kosten für das gerichtliche Verfahren zwischen den Beteiligten in Streit, hat der Gesetzgeber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung allein wegen dieser Kosten nicht vorgeschrieben. Das Gericht hat über die Kosten des Verfahrens in diesen Fällen nur durch Beschluss zu entscheiden; eine mündliche Verhandlung muss nicht stattfinden (§ 193 Abs 1 Satz 3 SGG und ausdrücklich für die Klagerücknahme § 102 Abs 3 Satz 1 SGG iVm § 124 Abs 3 SGG). Da seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) am 1.4.2008 nicht nur die Beschwerde zum LSG gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG ausgeschlossen ist(§ 172 Abs 3 Nr 3 SGG wie § 102 Abs 3 Satz 2 SGG), sondern im Fall des Berufungsausschlusses wegen § 144 Abs 4 SGG auch eine Nichtzulassungsbeschwerde dem Betroffenen nicht zur Eröffnung der Rechtsmittelinstanz verhelfen kann(vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 5.8.2008 - B 13 R 153/08 B -, juris RdNr 13 mwN), ist kein Grund ersichtlich, dass ein entsprechendes Anliegen vom Rechtsmittelgericht in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müsste. Denn der Weg zu einer Entscheidung durch Urteil, das im Regelfall aufgrund mündlicher Verhandlung gefällt wird (§ 124 Abs 1 SGG), ist von vornherein verschlossen; gesetzlich vorgesehen ist vielmehr nur ein Beschluss (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG), der eine mündliche Verhandlung gerade nicht voraussetzt (§ 124 Abs 3 SGG).

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Für einen nicht prozeßfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter kann der Vorsitzende bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen.

(2) Die Bestellung eines besonderen Vertreters ist mit Zustimmung des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters auch zulässig, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist.

(3) bis (5) (weggefallen)

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. März 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind mehrere Anträge des Klägers, im Revisionsverfahren vorrangig seine wirksame Vertretung im sozialgerichtlichen Verfahren.

2

Der 1955 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Psychose leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Im November 2008 beantragte er bei der Beklagten ua die Übernahme der Anschaffungskosten für Telefon und Internetempfangsgeräte, Computer und Multifunktionsdrucker sowie für Spracherkennungssoftware, die Übernahme laufender Telefonkosten samt Internetflatrate, die Übernahme der Studiengebühren für ein Studium an 20 Fakultäten diverser Hochschulen, die Feststellung seines Rechts auf Bildung, Weiterbildung, medizinische Rehabilitation, Wiedereingliederung in die Gesellschaft, Forschung und Entwicklung, auf künstlerische Tätigkeit, freie Meinungsäußerung, auf Ausübung der Religion und politische Tätigkeit und die Feststellung einer Schwerbehinderung. Die Beklagte lehnte die Anträge ab (Bescheid vom 19.12.2008, zugestellt am 2.1.2009).

3

Die bereits am 19.12.2008 erhobene Klage blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 9.3.2009; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25.3.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Berufung sei wegen Prozessunfähigkeit des Klägers unzulässig. Die Prozessunfähigkeit habe Dr. V in seinem Gutachten vom 21.6.2009, das er in einem weiteren anhängigen Verfahren vor dem SG erstellt habe, überzeugend bejaht. Dies bestätige sich für den Senat aus den in zahlreichen gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätzen. Es habe davon abgesehen werden können, einen besonderen Vertreter (§ 72 Sozialgerichtsgesetz) zu bestellen, weil die Klage offensichtlich haltlos im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei. Die Verpflichtungsklage auf Bewilligung eines internetfähigen Computers sei schon unzulässig, weil zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch kein ablehnender Bescheid vorgelegen habe und die unzulässige Klage auch nicht durch dessen Bekanntgabe zulässig werde. Auch die Feststellungsklagen seien offensichtlich unzulässig, weil weder ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis noch ein berechtigtes Feststellungsinteresse ersichtlich sei.

4

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 72 SGG. Das LSG habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters abgesehen, weil auch in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die durch den besonderen Vertreter eingelegte Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits im Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht (zu dieser Voraussetzung siehe § 162 SGG). Abgesehen davon, dass bei absoluten Revisionsgründen § 170 Abs 1 Satz 2 SGG regelmäßig keine Anwendung findet(vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 170 RdNr 5a mwN zur Rspr), kann vorliegend ohnedies noch nicht beurteilt werden, ob sich die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen in vollem Umfang als richtig erweist, weil das Klagebegehren des prozessunfähigen Klägers (dazu später) noch einer genauen Klärung bedarf und damit die Klage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als unzulässig angesehen werden kann.

7

Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.

8

Dies war und ist beim Kläger nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. V vom 21.6.2009 der Fall. Der Kläger leidet unter einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit in Form von nicht nachvollziehbaren Verfolgungsgedanken und sieht sich Beeinträchtigungen, Bedrohungen und Schädigungen ausgesetzt. Insbesondere ist ihm eine geistig geordnete Reaktion auf Schreiben von Behörden oder Gerichten nicht möglich. Sein Verhalten ist dabei ständig von paranoid verfälschter Wahrnehmung und Ideenbildung bestimmt. Die Beurteilung durch Dr. V wird bestätigt durch das prozessuale Gesamtverhalten des Klägers, der sich mit in der Regel mehrere hundert Seiten umfassenden unstrukturierten Schriftstücken an die Beklagte und das Gericht wendet, die inhaltlich über weite Strecken seine Verfolgungsideen widerspiegeln.

9

Im Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter für den prozessunfähigen Kläger zu bestellen. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein besonderer Vertreter in jedem Fall im Hinblick auf die besondere Fürsorgepflicht des Gerichts zu bestellen ist. Jedenfalls ist dies auf dem Gebiet der Sozialhilfe der Fall, wenn - wie hier - die Hilfebedürftigkeit auf demselben Mangel beruht, der auch zur Prozessunfähigkeit führt (vgl BVerwG, Beschluss vom 9.12.1986 - 2 B 127/86 - juris). Das dem Vorsitzenden in § 72 Abs 1 SGG eingeräumte Ermessen ("kann") ist zumindest in diesen Fällen nicht als Entscheidungsoption hinsichtlich des "Ob" der Bestellung eines besonderen Vertreters zu verstehen, sondern lediglich als Ausdruck seiner Wahlmöglichkeit, entweder auf die Vertretung des Prozessunfähigen durch einen gesetzlichen Vertreter hinzuwirken oder dort, wo dies nicht möglich ist, einen besonderen Vertreter zu bestellen(so bereits BSGE 5, 176, 178; Ulmer in Hennig, SGG, § 72 RdNr 2, Stand Februar 2004; Leitherer, aaO, § 72 RdNr 2b). Eine Klageabweisung bzw eine Verwerfung der Berufung wegen mangelnder Prozessfähigkeit ist daher im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig (BSGE aaO). Die Bestellung eines besonderen Vertreters dient dabei zwar der Prozessökonomie (Leitherer, aaO, § 72 RdNr 1a; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 72 RdNr 1; Littmann in Handkommentar-SGG, 4. Aufl 2012, § 72 RdNr 2), weil die Einrichtung einer Betreuung oder die Bestellung eines Vormunds durch das Vormundschaftsgericht nicht abgewartet werden muss, um den Prozess fortführen zu können; vorliegend aber sichert die Bestellung eines besonderen Vertreters die Verwirklichung der prozessualen Rechte eines Prozessunfähigen durch die Sicherstellung seines Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ), in dem der besondere Vertreter alle Rechte des Prozessunfähigen wahrnehmen kann (§ 72 Abs 1 SGG). Steht - wie vorliegend - die Prozessunfähigkeit fest, kann der Prozess grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (BSGE 91, 146 ff RdNr 5 = SozR 4-1500 § 72 Nr 1).

10

Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht von sich gibt oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (vgl BSGE 91, 146 ff RdNr 11 = SozR 4-1500 § 72 Nr 1). Diese Ausnahmen sind jedoch, wie die aufgeführten Beispiele zeigen, vorrangig auf materiellrechtliche Erwägungen gestützt worden und insoweit nur in seltenen Konstellationen zulässig, in denen bereits der Schutzbereich des Art 19 Abs 4 GG nicht berührt ist und damit keine Nachteile für den Prozessunfähigen verbunden sind. Denn der nach Art 19 Abs 4 GG garantierte Rechtsschutz dient keinem Selbstzweck, sondern soll sicherstellen, dass der Betroffene mit gerichtlicher Hilfe die ihm zustehenden materiellen Ansprüche durchsetzen bzw rechtswidrige Eingriffe abwehren kann (BSG SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 6), wenn auch nicht zwingend in derselben Angelegenheit mehrfach (vgl auch Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 12.9.2005 - 2 BvR 1435/05 - juris RdNr 2).

11

Ein derartiges, in der Sache offensichtlich haltloses Begehren, das das Absehen von einer Vertreterbestellung rechtfertigen könnte, ist vorliegend nicht zu bejahen. Es ist nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer, aaO, § 92 RdNr 12 mwN) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

12

Bei der prozessualen Begründung eines offensichtlich haltlosen Klagebegehrens, wie sie das LSG mit der Annahme einer aus anderen Gründen als der Prozessunfähigkeit unzulässigen Klage seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist deshalb besondere Zurückhaltung geboten. Die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens und damit die Auslegung von Verfahrensvorschriften hat immer in einem angemessenen Verhältnis zu dem auf Sachverhaltsaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrensziel zu stehen. Dies gilt nicht nur für den Weg zu den Gerichten, der nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl BVerfGE 35, 263, 274; 40, 272, 274 f; 77, 275, 284), sondern in gleicher Weise innerhalb des Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv rechtliches Gehör zu verschaffen (BVerfGE 81, 123, 129). Der Einzelne darf nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein; vielmehr muss er vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen (stRspr; vgl grundlegend BVerfGE 1, 418, 429; zuletzt BVerfGE 107, 395 ff).

13

Diesen Maßstäben wird das Vorgehen des LSG bei der Anwendung und Auslegung des § 72 Abs 1 SGG nicht gerecht. Es hat von der Bestellung eines besonderen Vertreters abgesehen, weil es die prozessualen Voraussetzungen für die vom (prozessunfähigen) Kläger formulierten Verpflichtungs- bzw Feststellungsanträge, die es ausdrücklich nur "sinngemäß" ausgelegt hat, nicht als erfüllt bewertet. Dies verkürzt zwangsläufig die Rechte eines Prozessunfähigen. Ob und unter welchen Voraussetzungen allein aus prozessualen Gesichtspunkten überhaupt Ausnahmen von der Bestellung eines besonderen Vertreters gemacht werden können, kann daneben offenbleiben. Schon die Frage, welche Klageart dem Begehren des Klägers hinreichend Rechnung trägt, kann nämlich nicht ohne Berücksichtigung dessen beantwortet werden, was der Kläger tatsächlich begehrt; Anspruch und prozessuale Durchsetzung stehen immer in einem engen Zusammenhang und dürfen nicht isoliert voneinander gesehen werden. Hierauf beruht auch § 106 SGG. Die Vorschrift statuiert ua eine Pflicht des Vorsitzenden, auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken (vgl § 106 Abs 1 3. Alt SGG). Gerade die beim Kläger vorliegende Prozessunfähigkeit ist und war der Grund dafür, wie er sein Klagebegehren formuliert hat, dessen genaues Ziel noch der Klärung bedarf. Deren Nachholung war im Revisionsverfahren nicht zwingend erforderlich, weil daraus ggf Amtsermittlungspflichten (§ 103 SGG) resultieren, denen das Revisionsgericht nicht unterliegt.

14

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers werden die Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. März 2014 - L 4 SO 192/13 und L 4 SO 193/13 -, vom 26. März 2014 - L 4 SO 190/13 -sowie vom 9. April 2014 - L 4 SO 302/13 und L 4 SO 304/13 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persön-lichkeits- und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Seine (wiederholten) Anträge auf Übernahme von Kosten für den Mitgliedsbeitrag eines Automobilclubs, für Medikamente sowie für ein fachpsychiatrisches Gutachten und seinen Antrag auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines geringeren Einkommens, das sich um seine Aufwendungen für die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis vermindere, lehnte der Beklagte ab. Die beim Sozialgericht (SG) Gießen erhobenen Klagen blieben ohne Erfolg.

2

Das hiergegen jeweils angerufene Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Klägers als unzulässig verworfen (Beschlüsse vom 19.3.2014, 26.3.2014, 9.4.2014). Die Berufungen seien unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes jeweils 750 Euro nicht übersteige und die Berufung im jeweiligen Urteil des SG nicht zugelassen worden sei.

3

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revisionen in den bezeichneten Beschlüssen rügt der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 SGG abgesehen, weil auch in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.

4

II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des Klägers eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Sie genügt hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Da die gerügten Verfahrensmängel auch vorliegen, konnten die angefochtenen Beschlüsse gemäß § 160a Abs 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

5

Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits in den Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass die Entscheidung des LSG auf ihm beruht (zu dieser Voraussetzung siehe § 162 SGG).

6

Gemäß § 72 Abs 1 SGG muss der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden die freie Willensbestimmung ausschließenden Zu-stand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).

7

Eine solche partielle Prozessunfähigkeit im Hinblick auf die Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten liegt beim Kläger vor, wie der Senat im Einzelnen in dem Beschluss vom 8.4.2014 (B 8 SO 48/13 B) unter Bezugnahme auf aktenkundige psychiatrische Gutachten ausgeführt hat; zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.

8

In den Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die Prozessunfähigkeit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortgeführt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn das Rechtsmittel unter Anlegung eines strengen Maßstabs "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).

9

Ein solches haltloses Begehren liegt aber regelmäßig nicht schon dann vor, wenn - wie hier - das LSG die Berufung (aus anderen Gründen als der Prozessunfähigkeit) als unzulässig angesehen hat. Da der Kläger auch vor dem SG nicht ordnungsgemäß vertreten war, lag jedenfalls ein Verfahrensmangel vor, der bei Beratung durch das Gericht auf entsprechende Beschwerde hin (vgl § 144 Abs 2 Nr 3 SGG) einer Überprüfung durch das LSG zugänglich wäre. Es ist darüber hinaus nicht erkennbar, dass jedenfalls die im Klagewege geltend gemachten Ansprüche des Klägers auf Übernahme von Kosten für Medikamente von vornherein ein haltloses Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz darstellen. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Anträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.

10

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.