Bundesgerichtshof Urteil, 26. Jan. 2010 - X ZR 25/06

bei uns veröffentlicht am26.01.2010
vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 44/04, 23.11.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 25/06 Verkündet am:
26. Januar 2010
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Insassenschutzsystemsteuereinheit
EPÜ Art. 69; PatG § 14
Die Angabe "weitgehend geschlossen" in einem Patentanspruch kann dahin
auszulegen sein, dass ein vollständiger Verschluss nicht erfasst ist (hier in einem
Fall ausgesprochen, in dem für den Stand der Technik ein solcher Verschluss
kennzeichnend war).
Nach einer Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen
Verhandlung über eine Patentnichtigkeitsklage braucht ein zweites Sachverständigengutachten
nicht allein deshalb erhoben zu werden, weil das schriftliche
Gutachten des angehörten Sachverständigen patentrechtliche Vorgaben
noch nicht hinreichend berücksichtigt hatte.
BGH, Urteil vom 26. Januar 2010 - X ZR 25/06 - Bundespatentgericht
vom 26. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die
Richter Keukenschrijver, Gröning, Dr. Berger und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. November 2005 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das europäische Patent 667 822 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seines Patentanspruchs 8 für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 90/100 und die Beklagte 10/100.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 667 822 (Streit- patents), das am 5. November 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 92 15 382 vom 11. November 1992 und der deutschen Offenlegungsschrift 43 22 488 vom 6. Juli 1993 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlicht und umfasst zehn Ansprüche, die insgesamt angegriffen sind.
2
Patentanspruch 1 lautet: "Steuereinheit für ein bei einem entsprechend schweren Verkehrsunfall auszulösendes Insassenschutzsystem eines Fahrzeugs , mit mindestens einem auf Druckanstieg in einem Hohlkörper ansprechenden, in einem Seitenteil der Fahrzeugkarosserie angeordneten Detektor, der als Sensor zur Erkennung des einen Seitenaufprall darstellenden Verkehrsunfalls dient, dadurch gekennzeichnet , dass ein weitgehend geschlossenes Seitenteil der Fahrzeugkarosserie als Hohlkörper dient und ein Steuergerät des Insassenschutzsystems den bei dem Seitenaufprall in dem Hohlkörper auftretenden, durch den Sensor erfassten stoßartigen und weitgehend adiabatischen Luftdruckanstieg auswertet."
3
Wegen der weiteren angegriffenen und jeweils auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
4
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, denn er sei weder neu noch beruhe er auf erfinderischer Tätigkeit. Zu Unrecht sei die Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 92 15 382 in Anspruch genommen.

5
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig erklärt.
6
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, wobei sie Anspruch 8 nicht mehr verteidigt. Sie beantragt im Übrigen hauptsächlich, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
8
Im Auftrag des Senats hat Professor Dr.-Ing. W. , Institut , für Kraftfahrwesen, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


9
Soweit das Streitpatent nicht mehr verteidigt wird (Patentanspruch 8), verbleibt es bei der Nichtigerklärung durch das Patentgericht (st. Rspr., vgl. Sen.Urt. v. 14.9.2004 - X ZR 149/01, GRUR 2005, 145, 146 - elektronisches Modul). Im Übrigen hat die zulässige Berufung der Beklagten Erfolg.
10
A. Das Streitpatent betrifft eine Steuereinheit, die bei einem schweren, die Fahrzeugseite betreffenden Verkehrsunfall Insassenschutzsysteme, insbesondere Airbags, zuverlässig auslösen soll.

11
I. Die Beschreibung des Streitpatents gibt an, dass aus der deutschen Offenlegungsschrift 1 944 289 eine Steuereinheit bekannt sei, die einen oder mehrere miteinander verbundene, lang gestreckte Hohlkörper rund um die Karosserie aufweise, die mit einem flüssigen oder gasförmigen Medium gefüllt seien. An den Enden oder an den Anschlussstellen seien Auslöser in Form von Ventilen angebracht, die bei einer Verformung des Hohlkörpers die sich ausbreitende Druckwelle erkennen.
12
Eine aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung 305 654 bekannte Steuereinheit weise zur Messung von durch einen Aufprall hervorgerufenen Schall- und Körperschallschwingungen mehrere Körperschallsensoren und Mikrofone auf. Dabei würden die akustischen Leistungsspektren der Schallund Körperschallsignale hinsichtlich Art und Richtung des Aufpralls ausgewertet.
13
II. An der erstgenannten Steuereinheit kritisiert die Beschreibung, dass diese einen zu komplexen Aufbau aufweise. Durch die Anordnung rohrförmiger Hohlkörper könne zudem nur ein Aufprall erkannt werden, der den Hohlkörper mit seinen kleinen Abmessungen verforme. Eine großflächige Verlegung der mit einem Medium gefüllten Hohlkörper sei andererseits aus Gewichtsgründen nicht praktikabel und zu aufwändig. Des Weiteren könne durch die Anordnung von Auslösern an den Enden der Hohlkörper und insbesondere bei flüssigen Medien in den Hohlkörpern die Zeitspanne zwischen dem Aufprall und der Aufnahme der Druckwelle durch den Auslöser sehr groß sein. Bei der zuletzt genannten Steuereinheit sei nachteilig, dass die akustischen Leistungsspektren von Schall- und Körperschallsignalen keine Aussage hinsichtlich der Schwere eines Aufpralls zuließen.
14
III. Durch das Streitpatent soll demnach unter Vermeidung dieser Nachteile eine einfache Steuereinheit für ein Insassenschutzsystem eines Fahrzeugs zur Verfügung gestellt werden, die die Schwere eines Unfalls schnell erkennt.
15
IV. Nach Patentanspruch 1 soll dies durch eine Steuereinheit für ein bei einem entsprechend schweren Verkehrsunfall auszulösendes Insassenschutzsystem eines Fahrzeugs folgender Merkmalskombination erreicht werden: 1. Sie hat mindestens einen Detektor, der
a) als Sensor zur Erkennung des einen Seitenaufprall darstellenden Verkehrsunfalls dient,
b) auf einen Druckanstieg in einem Hohlkörper anspricht,
c) in einem Seitenteil der Fahrzeugkarosserie angeordnet ist, (1) das weitgehend geschlossen ist (2) und als Hohlkörper dient,
d) den bei einem Seitenaufprall dort auftretenden stoßartigen und weitgehend adiabatischen Luftdruckanstieg erfasst.
2. Ein Steuergerät des Insassenschutzsystems wertet den auftretenden stoßartigen und weitgehend adiabatischen Luftdruckanstieg aus.
16
Die nachfolgend verkleinert wiedergegebenen Zeichnungen aus der Streitpatentschrift zeigen ein Halbleiter-Mikrofon als Luftdrucksensor der erfindungsgemäßen Steuereinheit (Figur 2) sowie eine beispielhafte Einbausituation in einer Fahrzeugtür (Figur 1):
17
V. Die patentierte Lehre zum technischen Handeln setzt auf Druckanstiege , wie sie typisch für Aufprallsituationen sind, die ein Auslösen eines Insassenschutzsystems erfordern, und nach der zum Stand der Technik gehörenden deutschen Offenlegungsschrift 1 944 289 beim Zusammendrücken eines auch in einem Seitenteil angeordneten geschlossenen Hohlraums erfasst werden. Anders als bei einem Geschehen, das ein Auslösen beispielsweise eines Airbags keinesfalls rechtfertigt, ergeben sich dann ausweislich Sp. 3 Z. 31 ff. extrem niederfrequente Komponenten, die einen Luftdruckanstieg in einem Hohlraum innerhalb von wenigen msec kennzeichnen. Der Patentanspruch 1 drückt das dahin aus, dass patentgemäß ein stoßartiger und weitgehend adiabatischer Luftdruckanstieg erfasst werde (Merkmal 1 d). Der gerichtliche Sachverständige hat diese Deutung als fachlicher Sicht entsprechend bestätigt.

18
In Abkehr von der zum Ausgang der Darstellung in der Beschreibung genommenen Lösung im Stand der Technik soll die Erfassung eines derartigen Druckanstiegs jedoch nicht mit Hilfe eines geschlossenen Hohlkörpers erfolgen. Diese Deutung ergibt sich aus der Wortwahl des Streitpatents. Es bezeichnet das in der deutschen Offenlegungsschrift 1 944 289 vorgeschlagene System als Hohlkörper (Sp. 1 Z. 7). Dieses besteht aus rohrförmigen Gebilden, die bei einem Unfall verformt werden und hierdurch einen Druckstoß bereitstellen, der zur Auslösung von die Unfallgefahren mindernden Funktionen genutzt wird. Diese Hohlkörper müssen - wie ein Fachmann auch aus der Darstellung in Sp. 1 Z. 5 ff. der Beschreibung des Streitpatents erkennt - notwendiger Weise gänzlich geschlossen sein. Könnte man sich auch patentgemäß eines solchen Hohlkörpers bedienen, hätte es aus fachlicher Sicht ausgereicht, zur Kennzeichnung der geschützten Lehre ebenfalls den bloßen Begriff Hohlkörper zu verwenden. Der Patentanspruch enthält jedoch den Zusatz "weitgehend geschlossen". Das weist im Vergleich zu der Lösung nach der deutschen Offenlegungsschrift 1 944 289 auf eine Einschränkung hin, eben weil dort ein geschlossenes System erforderlich ist. Dass es gerade darum geht, sich einen solchen Hohlkörper zu ersparen, und stattdessen einen Raum zu nutzen, der nur weitgehend geschlossen ist, wird sodann dadurch bestätigt, dass der pa- tentgemäß vorausgesetzte umschlossene Raum außerdem seiner Funktion nach beschrieben ist. Laut Merkmal 1 c (2) dient er nur als Hohlkörper; er ist also kein Hohlkörper, wie er aus dem Stand der Technik bekannt war.
19
Die Erläuterung der Erfindung in der Beschreibung und den Figuren des Streitpatents steht dieser Auslegung des Patentanspruchs 1 nicht entgegen. Die vorgenommene Wertung erklärt vielmehr, warum in Figur 1 die Seitentür selbst als umschlossener Raum dargestellt ist, der die Erfassungsvorrichtung aufnimmt. Unter diesen Umständen kann auch aus der Darstellung in Sp. 4 Z. 12 ff. der Beschreibung, auf welche die Klägerin in der mündlichen Verhandlung wesentlich abgehoben hat, Gegenteiliges nicht hergeleitet werden. Die dort erwähnte Vergrößerung der Empfindlichkeit der Erfassung im Falle eines weitgehend dichten abgeschlossenen Hohlkörpers kann auch zwanglos als Vergleich mit einem weitgehend offenen System und als Hinweis verstanden werden , dass bei Einhaltung einer hinreichenden Abgeschlossenheit, nämlich einer, welche die gemäß Merkmal 1 d vorgesehene Erfassung eines stoßartigen und weitgehend adiabatischen Luftdruckanstiegs erlaubt, die Genauigkeit der Steuereinheit entweder bei der Konstruktion des den Sensor aufnehmenden Seitenteils über das Maß der weitgehenden Geschlossenheit oder über die Auswahl unter vorhandenen, in ihrer Geschlossenheit aber unterschiedlichen Seitenteilen beeinflusst werden kann.
20
Patentanspruch 1 sieht schließlich als Erfassungsvorrichtung einen Sensor vor, der als einzige Qualifikation die Befähigung besitzen muss, auf einen Druckanstieg in einem geschlossenen Hohlkörper anzusprechen. Nach der Lehre des Streitpatents ist ein solcher Sensor nunmehr freilich in einem lediglich als Hohlkörper dienenden, weil nur weitgehend geschlossenen Raum eines Seitenteils der Fahrzeugkarosserie vorzusehen.
21
Die Lösung nach dem Streitpatent erfüllt hiernach das in Sp. 1 Z. 35 f. der Beschreibung genannte technische Problem, eine einfache Steuereinheit zur Verfügung zu stellen. Denn sie zeichnet sich dadurch aus, keinen besonderen umschlossenen Bauteil als Seitenteil in der Fahrzeugkaroserie vorsehen zu müssen, sondern - wenn erwünscht - dort ohnehin vorhandene Seitenteile nutzen zu können, ohne für aufwändige Abdichtungen sorgen zu müssen, ferner keinen besonderen Detektor für nur weitgehend geschlossene Räume zu brau- chen, weil auf einen Sensor zurückgegriffen werden kann, der in geschlossenen Hohlkörpern auf Luftdruckanstieg anspricht, und schließlich auch noch dessen Anbringungsort in dem als Hohlkörper dienenden Seitenteil frei wählen zu können.
22
B. I. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu (Art. 54 EPÜ).
23
1. Angesichts des durch Auslegung bestimmten Inhalts (Sinngehalts) des Patentanspruchs 1 offenbart die japanische Offenlegungsschrift Hei 5-66228 dessen Lehre nicht, so dass dahinstehen kann, ob das Streitpatent die Priorität des deutschen Gebrauchsmusters 92 15 382 vom 11. November 1992 wirksam in Anspruch genommen hat.
24
Die japanische Offenlegungsschrift Hei 5-66228 schlägt zwar ebenfalls eine Einrichtung zur Seitenaufprallerfassung bei Fahrzeugen vor. Sie lehrt jedoch , zwischen der Außen- und der Innenwand einer Seitentüre eine Trennwand einzuziehen, so dass sich zur Außenwand hin ein geschlossener dichter Raum ergibt. Die von der Klägerin angeführten elastischen Körper 8 stellen das nicht in Frage. Denn sie schützen vor Eindringen von Regenwasser in den Raum zwischen der Innenwand und der Trennwand. Die Dichtigkeit des zwischen der Trennwand und der Außenwand gebildeten Bereichs beeinflussen sie jedoch nicht. In diesem abgedichteten Raum sollen zum Beispiel Mikrofone arbeiten , die im Fall einer Verformung der Türe die dort stattfindende Druckerhöhung erfassen. Weder beschrieben noch gezeigt ist damit der Einsatz eines Sensors in einem nur weitgehend geschlossenen Seitenteil der Fahrzeugkarosserie gemäß Merkmal 1 c (1), das gemäß Merkmal 1 c (2) lediglich als Hohlkörper dient.
25
2. Auch die deutsche Offenlegungsschrift 42 01 822 betrifft eine Steuereinheit für ein bei einem Verkehrsunfall auszulösendes Insassenschutzsystem. Der Detektor ist wahlweise als piezoelektrisches Element, Beschleunigungssensor oder Magnetanker mit Eisenkern ausgebildet und in einem weitgehend geschlossenen Raum, nämlich innerhalb des aus Innenwandung und Außenwandung gebildeten Innenraums einer Fahrzeugtür angeordnet. Nicht offenbart wird jedoch, den Sensor auf einen Luftdruckanstieg ansprechen zu lassen (Merkmal 1 b) und in einem als Hohlkörper dienenden, weil weitgehend geschlossenen Seitenteil einen Luftdruckanstieg zu erfassen (Merkmal 1 c). Soweit in der Sp. 2 Z. 26-27 der deutschen Offenlegungsschrift 42 01 822 die Verwendung eines druckempfindlichen Sensorelements erwähnt wird, detektiert dieses, wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, den Deformationsweg eines Verstärkungselements, das in der Tür als zusätzliches Bauteil vorgesehen ist, damit beispielsweise ein Airbag nicht schon bei geringfügiger Beschädigung der Außenwandung der Tür auslöst.
26
3. Alle anderen Entgegenhaltungen kommen dem Patentanspruch 1 nicht näher. Zusammenfassend kann man sagen, dass der mit Hilfe eines Luftdruckanstiegs detektierende Stand der Technik - wie durch die japanischen Offenlegungsschrift Hei 5-66228 belegt - durch die Erfassung in einem abgeschlossenen Hohlkörper geprägt ist. Dies trifft insbesondere auch im Hinblick auf den in der japanischen Offenlegungsschrift Hei 2-249740 (Anmeldung 1-72628) gezeigten, in einer Seitentüre verbauten Lufttank zu, der zwar im Normalbetrieb über ein Ventil mit der Außenwelt verbunden und daher nicht vollständig dicht ist, bevor es zu einem Unfallgeschehen kommt, das eine Auslösung des Insassenschutzsystems erfordert. Im Falle eines derartigen Seitenaufpralls wird das Ventil aber geschlossen, um die Erfassung des Druckan- stiegs in einem dann geschlossenen Raum zu ermöglichen (Übersetzung S. 12, Z. 20 - S. 13, Z. 7).
27
II. Nach dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung vermag der Senat nicht die Wertung zu treffen, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für einen Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hat (Art. 56 EPÜ).
28
1. Auf Grund der Erörterung dieser Frage mit den Parteien und dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon aus, dass zum Anmeldezeitpunkt Entwicklungen auf dem hier interessierenden Gebiet der Technik üblicherweise von Universitäts- oder Fachhochschulingenieuren des Maschinenbaus oder der Elektrotechnik bzw. von DiplomPhysikern mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Sicherheitseinrichtungen für Kraftfahrzeuge vorgenommen wurden, die entweder in der Fahrzeugentwicklung bei einem Automobilhersteller oder bei einem größeren Zulieferbetrieb beschäftigt waren und sich auch mit der Entwicklung geeigneter Sensoren befassten.
29
2. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für einen solchen Fachmann aus einer Kombination des Inhalts der deutschen Offenlegungsschriften 19 44 289 und 42 01 822 ergeben habe.
30
Wie bereits erwähnt, offenbart die deutsche Offenlegungsschrift 19 44 289 die Verwendung von rohrförmigen Gebilden, die bei einem Unfall verformt werden und hierdurch einen Druckstoß bereitstellen, der als Betätigungskraft zur Auslösung von die Unfallgefahren mindernden Funktionen dient. Die deutsche Offenlegungsschrift 42 01 822 hingegen sieht innerhalb der Tür ein Verstärkungselement vor, das im Falle eines Unfalls deformiert wird. Der daran bzw. daneben angeordnete Sensor ist dazu bestimmt, den Deformationsweg bzw. die Beschleunigung des Verstärkungselements zu messen. Das bedeutet einen prinzipiellen Unterschied in der Konstruktion, der aus fachlicher Sicht nicht an eine Kombination denken lässt. Jedenfalls ist aber auch für den Fall, dass eine kombinatorische Nutzung von Elementen in Betracht gezogen wird, in keiner der Schriften eine Anregung erkennbar, die in Richtung der wesentlichen Erkenntnis des Streitpatents geht, dass ein nur weitgehend geschlossenes Seitenteil der Fahrzeugkarosserie als Hohlkörper für einen Luftdrucksensor dienen und dort mittels eines für die Luftdruckmessung in geschlossenen Räumen geeigneten Sensors stoßartiger und weitgehend adiabatischer Luftdruckanstieg erfasst werden kann.
31
3. Auch durch die deutsche Offenlegungsschrift 42 01 822 in Verbindung mit der Offenbarung in dem japanischen Dokument Sho 59-146247 wurde der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht nahe gelegt.
32
Dies ergibt sich schon daraus, dass entgegen der Ansicht der Klägerin das japanische Dokument nicht die Erfassung eines stoßartigen und weitgehend adiabatischen Luftdruckanstiegs offenbart. Aus fachlicher Sicht behandelt diese Entgegenhaltung nur leichte Kollisionen beim Einparken eines Fahrzeugs und stellt eine Art Abstandwarngerät mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln bereit. Denn der einzige Schutzanspruch fordert eine Mitteilung des Ereignisses an den Fahrer, was nur dann sinnvoll ist, wenn von diesem auch eine Reaktion erwartet werden kann. Dies erscheint bei einem schweren, sich innerhalb von nur wenigen Millisekunden abspielenden Unfall wenig sachgerecht. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass ein Fachmann diese Veröf- fentlichung in dem hier interessierenden Zusammenhang gar nicht in Erwägung gezogen hat. Der gerichtliche Sachverständige hat dies bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ebenso gesehen.
33
4. Ebenfalls ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass die nachfolgend angeführten drei Entgegenhaltungen jeweils in Verbindung mit dem S. -Datenbuch 1990/91, das auf Seite 95 in Bild 4 einen Differenzdrucksensor offenbart, wie er mit Figur 2 in der Streitpatentschrift abgebildet ist, den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nahe gelegt hätten.
34
a) Schon ein Grund, warum ein Fachmann auf die Idee hätte kommen können, den S. -Sensor im Rahmen oder in Abwandlung der in der deutschen Offenlegungsschrift 19 44 289 vorgeschlagenen Lösung einzusetzen, ist nicht ersichtlich. Denn beim oben bereits abgehandelten Gegenstand der deutschen Offenlegungsschrift 19 44 289 bildet der völlig abgeschlossene rohrförmige Hohlkörper, der mit einem beliebigen Medium gefüllt ist, selbst die Gebeeinrichtung , die auf die Verformung der umgebenden Teile sowie die eigene Verformung anspricht. Eines Sensors bedarf es hier nicht. Zum Auffinden der Lehre des Streitpatents hätte abgesehen davon auch noch gehört, sich die Erkenntnis zu erschließen, dass auf die Druckmessung in einem herkömmlichen, abgeschlossenen Hohlkörper verzichtet werden und stattdessen ein weitgehend geschlossenes Seitenteil der Fahrzeugkarosserie als Hohlkörper im Sinne einer Messumgebung für den Drucksensor verwendet werden kann. Hierfür geben beide Entgegenhaltungen nichts her.
35
b) Angesichts dessen, was oben über die deutsche Offenlegungsschrift 42 01 822 bereits gesagt ist, gibt der dort gemachte Vorschlag einen anderen Weg als das Streitpatent vor, weil innerhalb der Tür ein Verstärkungselement vorzusehen ist, das im Falle eines Unfalls deformiert wird. Der Sensor, auch der in Sp. 2 Z. 26-27 der deutschen Offenlegungsschrift 42 01 822 beschriebene, ist demgemäß dazu bestimmt, den Deformationsweg oder die Beschleunigung des Verstärkungselements zu messen. Inwiefern sich ein Fachmann, der sich von dieser Offenbarung ausgehend an einer Weiterentwicklung versucht, für das S. -Datenbuch 1990/1991 und den darin enthaltenen Differenzdrucksensor überhaupt interessiert haben sollte, ergibt sich auch aus den Darlegungen der Klägerin nicht.
36
c) Schließlich lässt sich das Naheliegen auch nicht aus der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470 in Verbindung mit dem S. -Datenbuch 1990/1991 und seinem Sensor herleiten.
37
Die deutsche Offenlegungsschrift 40 18 470 befasst sich mit der sachgerechten Anordnung eines Seitenairbags. Sie offenbart, dass dieser in der Lehne des Sitzes eines Fahrzeugs untergebracht werden kann, und schlägt hierfür bestimmte Gestaltungen vor. Das begründet Zweifel, ob ein Fachmann sich mit dieser Schrift überhaupt näher beschäftigte, wenn es zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents seine Aufgabe war, eine Steuereinheit für die Erfassung und Auswertung eines Seitenaufpralls zu entwickeln. Die Erörterung dieser Frage mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hat diese Zweifel bestätigt.
38
Die Zweifel betreffen auch die eher beiläufige Erwähnung in der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470, dass ein Sensor, der auf die Verformung der Außenhaut der Tür anspricht, an der Innenseite der Außenhaut angebracht werden kann, wie es in Figur 2 dieser Entgegenhaltung dargestellt ist. Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass der Fachmann sich für die deutsche Of- fenlegungsschrift 40 18 470 und dabei auch für diese Darstellung interessierte, kann nicht angenommen werden, dass sie geeignet war, den Weg zu der Lehre des Streitpatents zu weisen. Denn angesichts der Beiläufigkeit der Darstellung des Sensors in der Figur 2, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie in Figur 4 nicht wiederholt ist, konnte man sie zwanglos lediglich als ganz allgemein gehaltenen Hinweis verstehen, dass selbstverständlich ein Auslösemittel benötigt werde, das auf einen Seitenaufprall anspricht, und wo dies angebracht werden könne. Durch ein solches naheliegendes ganz im Allgemeinen bleibendes Verständnis war der Blick des Fachmanns, was die konkrete Ausgestaltung der Örtlichkeit und des Detektors anbelangt, auf die Vorbilder im Stand der Technik verwiesen. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, waren diese aber selbst für Fachleute, die auf Luftdruckmessung setzten und die deshalb auch den S. -Sensor im Blick gehabt haben könnten, dadurch gekennzeichnet , dass ein auf einen Druckanstieg in einem geschlossenen Hohlkörper ansprechender Sensor auch in einem solchen geschlossenen Hohlkörper eingesetzt wurde. Ausweislich der japanischen Offenlegungsschrift Hei 2-249740 hielt der Entwickler dieser 1989 angemeldeten Neuerung es sogar für nötig, dafür zu sorgen, dass das Ventil, das einen Austausch der Luft in dem Tank mit der Umgebungsluft erlaubt, im Falle eines Seitenaufpralls geschlossen wird, um den damit verbundenen Druckanstieg in einem vollständig geschlossenen Hohlkörper zu erfassen. Unter diesen Umständen verbietet sich auch die Annahme, für einen Fachmann, der daran ging, für einen nach Maßgabe der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470 gestalteten Seitenairbag eine konkrete Steuereinheit , die den Luftdruckanstieg erfasst und auswertet, zu konstruieren, sei ohne erfinderisches Bemühen etwas anderes in Betracht gekommen, als ebenfalls Sorge zu tragen, dass der Sensor in einem geschlossenen Hohlraum arbeitet.
39
Eine andere Bewertung rechtfertigt auch nicht der Beschreibungsteil in Sp. 2 Z. 45-61 der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470. Diese Textstelle lässt vielmehr sogar fraglich sein, dass - wie soeben unterstellt - ein Fachmann auf Grund der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470 überhaupt Anregung erhielt, eine nach Maßgabe der deutschen Offenlegungsschrift 40 18 470 gestaltete Konstruktion mit Hilfe einer Erfassung des Luftdruckanstiegs zu betreiben. Der dort verwendete Begriff "piezoelektrisch" kann zwar auch benutzt werden , wenn ein Aufprall nur mittelbar über den Anstieg des Drucks in einem Hohlkörper erfasst wird. Nach den Erläuterungen des Sachverständigen im Termin kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass ein Fachmann - wenn er diese Schrift nicht ohnehin bei Seite legte, weil sie nur eine Neuerung für die Anbringung des Airbags verspricht - die zitierte Beschreibungsstelle ausschließlich dahingehend verstand, dass ein hydraulischer bzw. piezoelektrischer Drucksensor oder ein Membranschalter zur Feststellung des Seitenaufpralls verwendet werden könne, mit dem eine unmittelbare Erfassung der Verformung in Form von Druckenergie direkt an der Außenwand der Tür erfolge. Bei diesem Verständnis konnte weder der S. -Sensor als Mittel der Wahl erscheinen, noch war sonst ein Weg zu dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents eröffnet, weil dieser eine mittelbare Erfassung über den Luftdruckanstieg lehrt, wobei sich der Luftdrucksensor an einer beliebigen Stelle im Inneren des lediglich als Hohlkörper dienenden Raums im Seitenteil befinden kann.
40
C. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, deren Beantragung die Klägerin trotz Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat, hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 115 Abs. 1 PatG; § 412 Abs. 1 ZPO). Wie die Klägerin schriftsätzlich zu Recht geltend gemacht hatte, hat der gerichtliche Sachverständige zwar in Anbetracht der Bedeutung, die er dem in Figur 2 des Streitpa- tents abgebildeten S. -Sensor zugeschrieben hat, der Erfassung des Inhalts des Patentanspruchs 1 in seinem schriftlichen Gutachten eine Betrachtungsweise zu Grunde gelegt, die dem patentrechtlich Gebotenen nicht entspricht. Der Senat hat dem Sachverständigen zu Beginn der mündlichen Verhandlung die patentrechtlich maßgeblichen Auslegungsgrundsätze jedoch erläutert , die Befragung auf dieser Grundlage durchgeführt und den Antworten entnommen, dass sie das patentrechtlich Gebotene nicht außer Acht gelassen haben. Auch die Klägerin hat nicht geltend gemacht, dass die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen in dieser Hinsicht noch zu beanstanden seien. Zum anderen bedeutet die Auslegung eines Patentanspruchs keine Tatsachenfeststellung etwa dahin, wie ein Fachmann den Wortlaut des Patentanspruchs versteht. Sie besteht vielmehr in der Bestimmung, wie dessen Lehre zum technischen Handeln nach objektiven Maßstäben aus fachlicher Sicht zu bewerten ist (vgl. Sen.Urt. v. 22.12.2009 - X ZR 56/08 Tz. 29 - Kettenradanordnung II, für BGHZ vorgesehen) und erfordert ebenso wie die Bejahung oder Verneinung erfinderischer Tätigkeit einen Akt wertender Entscheidung über eine Rechtsfrage (st. Rspr. seit BGH, Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116, 117 f. - Prospekthalter; vgl. z.B. BGHZ 160, 204, 212 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ; BGHZ 180, 215, 220 Tz. 16 - Straßenbaumaschine), die allein und eigenverantwortlich das Gericht zu treffen hat (BGHZ 180, 215, 220 Tz. 18 f. - Straßenbaumaschine m.w.N.). Sachverständige Äußerungen hierzu haben im Patentnichtigkeitsverfahren wie im Patentverletzungsprozess (vgl. BGHZ 171, 120 Tz. 18 - Kettenradanordnung I; GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe; Sen.Urt. v. 22.12.2009 - X ZR 55/08; Sen.Urt. v. 22.12.2009, - X ZR 56/08) lediglich die Aufgabe, dem Gericht gegebenenfalls die für die jeweilige Bewertung erforderlichen technischen Zusammenhänge zu erläutern und den erforderlichen Einblick in die Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen der jeweils typischen, im Durchschnitt der beteiligten Kreise angesiedelten Ver- treter der einschlägigen Fachwelt einschließlich ihrer methodischen Herangehensweise zu vermitteln (Sen.Urt. v. 22.12.2009 - X ZR 56/08 Tz. 26 - Kettenradanordnung II, für BGHZ vorgesehen). Soweit - wie hier - aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen im Termin für den Senat kein weiterer dahingehender Erläuterungsbedarf mehr besteht, erfordert daher allein die Tatsache , dass das schriftliche Gutachten patentrechtliche Vorgaben noch nicht hinreichend berücksichtigt hatte, nicht die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens.
41
D. Die Unteransprüche 2 bis 7 und 9 bis 10 haben aufgrund ihrer Abhängigkeit von Anspruch 1 ebenfalls Bestand.
42
E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG i.V. mit § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Scharen Keukenschrijver Gröning
Berger Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 23.11.2005 - 4 Ni 44/04 (EU) -

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(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 412 Neues Gutachten


(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. (2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein S

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

Patentgesetz - PatG | § 115


(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. (2) Die Anschließung erfolgt durch Einreichung

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Bundesgerichtshof Urteil, 22. Dez. 2009 - X ZR 56/08

bei uns veröffentlicht am 22.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 56/08 Verkündet am: 22. Dezember 2009 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Dez. 2009 - X ZR 55/08

bei uns veröffentlicht am 22.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 55/08 Verkündet am: 22. Dezember 2009 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

Referenzen

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist.

(2) Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Bundesgerichtshof und ist bis zum Ablauf von zwei Monaten nach der Zustellung der Berufungsbegründung zu erklären. Ist dem Berufungsbeklagten eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt, ist die Anschließung bis zum Ablauf dieser Frist zulässig.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. § 110 Abs. 4, 5 und 8 sowie § 112 Abs. 3 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder verworfen wird.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist.

(2) Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Bundesgerichtshof und ist bis zum Ablauf von zwei Monaten nach der Zustellung der Berufungsbegründung zu erklären. Ist dem Berufungsbeklagten eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt, ist die Anschließung bis zum Ablauf dieser Frist zulässig.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. § 110 Abs. 4, 5 und 8 sowie § 112 Abs. 3 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder verworfen wird.

(1) Das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet.

(2) Das Gericht kann die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 56/08 Verkündet am:
22. Dezember 2009
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Kettenradanordnung II

a) Fehlt im Verletzungsprozess Parteivortrag zu unmittelbaren Tatumständen, die
Anhaltspunkte beispielsweise dafür zu geben vermögen, welche technischen Zusammenhänge
für das Verständnis der unter Schutz gestellten Lehre bedeutsam
sein könnten, wer als Durchschnittsfachmann in Betracht zu ziehen sein und welche
Ausbildung seine Sicht bestimmen könnte (z.B. zum technischen Gebiet, auf
dem die Erfindung liegt, zu den auf diesem Gebiet tätigen Unternehmen, der Ausbildung
von deren Mitarbeitern bzw. zum Vorhandensein eigener Entwicklungsabteilungen
), hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich dazu vollständig
erklären.

b) Selbst wenn solche dem unmittelbaren Beweis zugängliche Tatsachen zwischen
den Parteien unstreitig sind, kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens
geboten sein, wenn die Kenntnis dieser Tatsachen allein je nach Fall nicht
ausreicht, um auf die ihrerseits dem unmittelbaren Beweise nicht zugängliche
Sicht des Fachmanns zu schließen oder die technischen Zusammenhänge zuverlässig
zu bewerten. Das Verletzungsgericht prüft in jedem Einzelfall eigenverantwortlich
, ob es aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuzieht.

c) Der Entschluss des Verletzungsgerichts, die Patentansprüche auszulegen, ohne
im Hinblick auf für die Auslegung maßgebliche, dem unmittelbaren Beweis nicht
zugängliche Gesichtspunkte einen Sachverständigen hinzuziehen, unterliegt der
uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht.

d) Wird die Verurteilung wegen Verletzung des Klagepatents in von dessen Wortsinn
abweichender Form erstrebt, muss sich aus dem Klageantrag ergeben, in welchen
tatsächlichen Gestaltungen sich die Abweichung von den Vorgaben des Patentanspruchs
verkörpert.

e) Ergibt sich aus dem klägerischen Sachvortrag, dass (auch) eine Verletzung des
Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form geltend gemacht werden soll,
ohne dass dies in den Anträgen einen Niederschlag gefunden hat, hat das Tatsachengericht
dies im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung, auf die Stellung
sachdienlicher Anträge hinzuwirken, zu erörtern.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 56/08 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter
Asendorf, Gröning, Dr. Berger und Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 20. März 2008 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, inzwischen wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschenen europäischen Patents 313 345 (Klagepatents), dessen Anspruch 1 in der Verfahrenssprache lautet: "A multistage sprocket assembly for a bicycle comprising at least one larger diameter sprocket (1), at least one smaller diameter sprocket (2) and a drive chain (3), and the or each larger diameter sprocket (1) having at its outer periphery a given number of teeth which are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3) and the or each smaller diameter sprocket (2) having at its outer periphery teeth which are smaller in number than the teeth of said larger diameter sprocket (1) and are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3), said sprockets (1) and (2) being assembled so that the centre (O2) between a pair of adjacent teeth of said larger diameter sprocket (1) is positioned on a tangent extending form the centre (O1) between a pair of adjacent teeth of said smaller diameter sprocket, said tangent extending along the path of travel of the driving chain (3) in engagement with said smaller diameter sprocket (2) when said chain (3) shifted therefrom into engagement with said larger diameter sprocket (1), the distance between said centres (O1, O2) being at least substantially an integer multiple of the chain pitch, characterised in that said larger diameter sprocket (1) is provided with a chain guide surface (4) on the inside surface of the sprocket (1) facing the smaller diameter sprocket (2) and at a position on said larger diameter sprocket (1) which corresponds to the path of travel between said centres (O1, O2) between adjacent teeth of the sprocket where the chain makes contact with the larger diameter sprocket (1), said chain guide surface (4) having such a shape and size as to receive an entire link plate of a link of said chain and to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket (1) as the chain leaves the smaller diameter sprocket and starts to engage with a tooth of the larger diameter sprocket (1), said tooth being the tooth behind said centre (O2) between adjacent teeth of the larger diameter sprocket in the direction of drive rotation."
2
In der Klagepatentschrift ist dieser Anspruch wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt: "Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, enthaltend mindestens ein Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser, mindestens ein Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser und eine Antriebskette (3), wobei das Kettenrad (1) oder jedes der Kettenräder (1) mit einem größeren Durchmesser an seinem Außenumfang eine gegebene Anzahl an Zähnen aufweist, die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, sowie das Kettenrad (2) oder jedes der Kettenräder (2) mit einem kleineren Durchmesser an seinem Außenumfang Zähne aufweist, deren Anzahl kleiner als die Anzahl der Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser ist und die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, und wobei die Kettenräder (1) und (2) derart angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser sich auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser aus entlang des Laufwegs der Antriebskette (3) im Eingriff mit dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser erstreckt, wenn die Kette (3) von dort in Eingriff mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den genannten Mitten (O1, O2) mindestens im Wesentlichen ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, dadurch gekennzeichnet, dass das genannte Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an seiner Innenoberfläche mit einer Kettenführungsoberfläche (4) versehen ist, die dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, und auf dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an einer Position , die im Laufweg zwischen den genannten Mitten (O1, O2) zwi- schen benachbarten Zähnen der Kettenräder, wo die Kette mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser in Kontakt kommt, wobei die Kettenführungsoberfläche (4) eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie eine ganze Gliedplatte eines Gliedes der Kette aufnimmt und bewirkt, dass das Glied in Richtung auf das Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser vorgespannt wird, wenn die Kette das Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser verlässt und beginnt, mit einem Zahn des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser in Eingriff zu kommen, wobei dieser Zahn der Zahn hinter der Mitte (O2) zwischen benachbarten Zähnen des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser in der Antriebsdrehrichtung ist."
3
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 war, und die Beklagte zu 3 vertreiben in der Bundesrepublik Deutschland unter den Bezeichnungen "S. 5.0" und "S. 7.0" Zahnkränze (Kassetten) für Fahrräder , wegen deren Ausgestaltung auf die Abbildungen im Tatbestand des in derselben Sache ergangenen Senatsurteils vom 13. Februar 2007 (BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I) verwiesen wird. Die Klägerin sieht das Klagepatent durch diese Erzeugnisse verletzt und nimmt die Beklagten deswegen auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch und begehrt des Weiteren die Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz.
4
Das Landgericht hat, sachverständig beraten, im Wesentlichen antragsgemäß erkannt. Das Berufungsgericht hat die Klage nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgewiesen. Diese Entscheidung hat der Senat durch sein vorgenanntes Urteil vom 13. Februar 2007 aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Klage abermals abgewiesen hat. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


5
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Das Klagepatent betrifft eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad mit Kettenrädern (Ritzeln) unterschiedlicher Durchmesser, zwischen denen zum Gangwechsel die Antriebskette versetzt wird.
7
Der Klagepatentschrift zufolge war im Stand der Technik bekannt, Kettenräder mit kleinerem und solche mit (nächst)größerem Durchmesser so anzuordnen , dass sich die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads erstreckt, und dass die Entfernung zwischen diesen Mittelpunkten ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands (der Teilung) der Kette beträgt. Diese Anordnung soll ermöglichen , dass beim Schalten vom kleineren auf das größere Kettenrad durch Schrägstellen ("biase") der Antriebskette ein in Antriebsdrehrichtung hinter der genannten Mitte angeordneter erster Zahn des größeren Kettenrads leicht in Eingriff mit der Kette gebracht wird. Die Kette passt dabei besonders gut auf den "ersten Zahn", wenn das betreffende Glied der Kette, die abwechselnd aus Paaren innerer und äußerer Gliedplatten besteht, ein Kettenglied mit äußeren Gliedplatten ist.
8
Die Klagepatentschrift bemängelt, dass selbst wenn ein solches Kettenglied mit dem "ersten Zahn" korrespondiert, die Endfläche des Kettenstifts und die äußere Oberfläche der äußeren Gliedplatte an der inneren Oberfläche des größeren Kettenrads störend angreifen, so dass die Kette nicht weiter in Richtung auf dieses hin transportiert wird und infolgedessen den ersten Zahn nicht zuverlässig ergreifen kann. Als ähnlich problematisch wird der Schaltvorgang für den Fall geschildert, dass ein Kettenglied mit inneren Gliedplatten mit dem "ersten Zahn" korrespondiert. Unter Berücksichtigung dieser geschilderten Schwierigkeiten soll das technische Problem gelöst werden, die Zuverlässigkeit des Schaltvorgangs weiter zu verbessern.
9
Erfindungsgemäß soll dies durch eine mehrstufige Kettenradanordnung erreicht werden, die nach Maßgabe der nachfolgenden Merkmalsgliederung
a) zumindest ein Kettenrad mit größerem Durchmesser,
b) zumindest ein Kettenrad mit kleinerem Durchmesser und
c) eine Antriebskette umfasst, wobei
d) jedes Kettenrad an seinem Umfang eine gegebene Anzahl von Zähnen aufweist, deren Abstand voneinander der Teilung der Antriebskette entspricht,
e) die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit kleinerem Durchmesser geringer als die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit größerem Durchmesser ist,
f) die Kettenräder so angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Tangente befindet, die sich f1) von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads ("extending from the centre …") aus, f2) entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt, wenn die Kette von dort in Eingriff mit dem größeren Kettenrad versetzt wird, f3) wobei der Abstand zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) jedenfalls im Wesentlichen ("at least substantially" ) ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung ist, und wobei
g) das größere Kettenrad mit einer Kettenführungsfläche versehen ist, die g1) an der inneren Oberfläche dieses Kettenrads dem kleineren Kettenrad zugewandt ist und g2) sich dort befindet, wo die Kette auf dem Laufweg zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) mit dem größeren Kettenrad in Berührung kommt, und wobei
h) die Kettenführungsfläche eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie h1) eine ganze Gliedplatte eines Kettengliedes aufnimmt ("to receive an entire link plate of a link …") und h2) bewirkt, dass das Kettenglied in Richtung auf das größere Kettenrad schräggestellt wird ("to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket"), wenn die Kette das kleinere Kettenrad verlässt und der Eingriff mit einem Zahn des größeren Kettenrads beginnt, h3) wobei der betreffende Zahn in Antriebsdrehrichtung hinter der Mitte (O2) liegt.
10
Wegen der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat wird auf die Randnummern 21 ff. des Urteils vom 13. Februar 2007 Bezug genommen. Die Verwirklichung dieser Merkmale durch die angegriffenen Ausführungsformen ist danach unstreitig geworden.
11
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, für die Auslegung des Merkmalselements "jedenfalls im Wesentlichen" sei maßgeblich, dass die Zusammenwirkensfunktion des Merkmals f3 mit den anderen, der verbesserten Schalttechnik dienenden Merkmalen für den Fachmann noch erkennbar gegeben sei, wobei er reine Fertigungstoleranzen als von diesem Begriff selbstverständlich umfasst ansehe. Es hat des Weiteren gemeint, der tatsächliche Vortrag der Klägerin sei nicht geeignet, eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals f3 - dessen Benutzung mit abgewandelten Mitteln die Klägerin nicht geltend mache - durch die angegriffenen Ausführungsformen zu belegen. Die von der Klägerin vorgetragenen Messwerte offenbarten ausnahmslos Abweichungen vom ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung oberhalb der vom Sachverständigen als zulässig erachteten Fertigungs- bzw. Messtoleranzen von 0,2 mm.
12
Es sei damit zu prüfen, ob die von der Klägerin gemessenen Abweichungen zu Funktionsabweichungen hinsichtlich der Lehre des Klagepatents führten. Die von der Klägerin angewandte Messmethode habe faktisch zur Folge, dass als Bezugspunkt der Punkte O1 und O2 die Rollenmitte anzusetzen sei. Diese Festlegung sei jedoch nicht zwingend. Ausweislich der Beschreibung (Übersetzung S. 11, 3. Abs.) seien die Punkte O1 und O2 im Sinne der technischen Lehre des Klagepatents zwar nicht bestimmt, wohl aber bestimmbar. Diese Lehre beschränke sich insoweit auf die Angabe eines Verhältnisses der Punkte O1 und O2 zueinander und lege deren Lage nur insoweit fest, als sie im Zusammenspiel mit den anderen Merkmalen ihre Funktion noch ausüben könnten. Die im Kettenverlauf angelegte Gerade könne, da sie nach der Auslegung durch den Bundesgerichtshof keine Tangenteneigenschaft im mathematischen Sinn aufweisen müsse, in ihrer Lage variieren, denn der Berührpunkt zu den Kettenrädern verändere sich zwangsläufig, je nachdem, wo die Berührung an der Oberfläche des Zahns beginne. Dementsprechend seien die Punkte O1 und O2 in ihrer Lage auf den Mittellinien in bestimmten Grenzen variabel, und, wann ein ganzzahliges Vielfaches bei einer angegriffenen Ausführungsform mit den nach dem Klagepatent erwünschten technischen Wirkungen vorliege, müsse im Einzelfall nach der Verhältnisangabe im Merkmal f3 geklärt werden.
13
Es sei Sache der Klägerin, die zwar nicht bestimmten, aber bestimmbaren Punkte O1 und O2 entsprechend der Verhältnisangabe nach der Lehre des Klagepatents bei den angegriffenen Ausführungsformen festzulegen. Die von der Klägerin ermittelten tatsächlichen Abweichungen bei den angegriffenen Ausführungsformen seien ohne exakte Bestimmung der Lage der Punkte O1 und O2 dort nach der Lehre des Klagepatents gemessen worden und deshalb nicht aussagekräftig, denn die Messmethode gehe in diesem Fall mit den Rollenmitten von zwei Punkten aus, deren technische Unabdingbarkeit nicht festliege , und die daher eine andere Bestimmungsmethode als die angewandte erfordere.
14
III. Die Ausführungen des Berufungsgerichts bieten keine tragfähige Grundlage für die ausgesprochene Klageabweisung.
15
1. Weiteren Vortrags der Klägerin zur Position der Mitten O1 und O2, bei den angegriffenen Ausführungsformen bedurfte es entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht. Es hätte vielmehr zu prüfen gehabt, ob die Klägerin die Positionen der Mitten O1 und O2 in einer Weise bestimmt und ihren Mes- sungen zugrunde gelegt hat, die der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat entsprach. An diese Auslegung war das Berufungsgericht auch bei Auslegung des Merkmals f3 gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO), weil die Position der Punkte O1 und O2 auf der Winkelhalbierenden in Merkmal f3 nicht neu und anders als in den Merkmalen f, f1 und f2 bestimmt, sondern damit identisch ist. Der eigenständige Sinngehalt des Merkmals f3 beschränkt sich auf die Vorgaben für die Bemessung des Abstands O1 - O2.
16
a) Das Klagepatent bestimmt die Position der Punkte O1 und O2 anhand zweier Parameter. Es legt sie zum einen in die "Mitte" ("the centre") zwischen zwei Zähnen des größeren (O2) bzw. des kleineren (O1) Kettenrads (Merkmale f und f1) und ordnet zum anderen an, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Geraden (Tangente ) befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads aus entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt. Der Senat hat das Klagepatent im Urteil vom 13. Februar 2007 insoweit dahin ausgelegt, dass sich die Lage der Punkte O1 und O2 aus den Schnittpunkten der Mittellinie zwischen den zwei Zahnpaaren mit einer in Übereinstimmung mit dem Kettenverlauf angelegten Geraden ergebe (aaO Tz. 23).
17
Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Antriebskette realiter keine ideal reduzierte Linie darstellt, sondern einen dreidimensionalen körperlichen Gegenstand mit bestimmten Abmessungen bildet. Als ein solches körperliches Gebilde kann die Kette die besagte Mittellinie dementsprechend an verschiedenen Stellen schneiden, was sich wiederum auf die Länge der Strecke O1 - O2 auswirken kann, je nachdem, wie der Schnittpunkt bestimmt wird. Hinzu kommt, dass die Kette nicht bei jedem Schaltvorgang zwangsläufig immer in gleicher Position vom kleinen Zahnrad abläuft, was wiederum den Verlauf und die Länge der Strecke O1 - O2 beeinflussen kann. Patentanspruch 1 des Klagepatents trifft keine konkreteren Anweisungen zur Lokalisierung der Punkte O1 - O2 und legt es damit in die Hände des Fachmanns, die Position der beiden Punkte zu bestimmen.
18
b) Dass der Anspruch in diesem Punkt offen formuliert ist, wird den Fachmann aus technischen Gründen nicht überraschen. Denn die in der Merkmalsgruppe f zusammengefassten Merkmale gehören - bis auf die Relativierung des Abstands O1 - O2 als ein "jedenfalls im Wesentlichen ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung" - nicht zum kennzeichnenden Teil des Klagepatents , sondern stellen dem Fachmann vertrauten Stand der Kettenschaltungstechnik dar. Die Klagepatentschrift spricht davon, dass die Kettenräder "herkömmlicherweise" so angeordnet werden, dass der Abstand O1 - O2 ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung beträgt.
19
c) Bei Festlegung der Bezugspositionen für die Punkte O1 - O2, für die aus fachmännischer Sicht eine gewisse Bandbreite von radialen Positionen der Punkte O1 - O2 in Betracht kommt (vorstehend III 1 a), wird der Fachmann einen standardisierten Mittelwert anstreben, der Gewähr dafür bietet, dass das mit der Auslegung des Abstands der beiden Punkte verfolgte Ziel möglichst oft erreicht wird. Dieses besteht darin, dass der erste Zahn hinter dem Punkt O1 des größeren Kettenrades beim Gangwechsel zum Kettenrad mit dem größeren Durchmesser leicht in Eingriff mit der Antriebskette gebracht wird (Beschr. Sp. 1 Z. 11-30 [Übers. S. 1, 2. Abs.]). Aus fachmännischer Sicht wird es naheliegen, die radialen Positionen der Punkte O1 und O2 so festzulegen, dass sie auf der Mitte zwischen zwei Zähnen des größeren und des kleineren Kettenrads (den Winkelhalbierenden) liegen, und zwar in der Höhe, die bei mittig auf den Zahn- fußausrundungen aufliegender Kette dem Kreismittelpunkt der Kettenrolle entspricht.
20
2. Das Klagepatent sieht für die Einstellung des Abstands O1 - O2 im Unterschied zum Stand der Technik gewisse Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung vor, deren zulässige Größenordnung es durch die Angabe "jedenfalls im Wesentlichen" ("at least substantially") umschreibt. Das Berufungsgericht hat diese Anweisung nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe dahin ausgelegt, dass diese Abweichungen die Fertigungstoleranzen , die es im Anschluss an die Erläuterungen des Sachverständigen auf 0,2 mm bemessen hat, nicht überschreiten. Dagegen wendet die Revision sich ebenfalls zu Recht.
21
a) Das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis, dass die gemäß Merkmal f3 möglichen Abweichungen auf Fertigungstoleranzen begrenzt sein sollen, findet in der Klagepatentschrift keinen Rückhalt. Es sind vielmehr die Ausführungen in der Beschreibung zu dem Problem, dass der Durchmesser der Zahnfußausrundungen größer sein kann, als der Durchmesser der Kettenrollen (elliptische oder Langlochform; vgl. dazu Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]), die Hinweise auf die Größenordnung der Abweichungen geben, die das Klagepatent aus technischen Gründen im Auge hat. Wenn die Kette bei solchen Ausgestaltungen vom kleineren auf das größere Kettenrad versetzt wird, stößt die Rolle am kleineren Kettenrad an der rückwärtigen Oberfläche eines Zahns vor der Rolle in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads an. Die Rolle, die sich in Richtung zum größeren Kettenrad hin bewegt, soll an der vorderen Oberfläche des ersten Zahns (11) in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads anstoßen, um von deren Zahn gefangen zu werden. Damit das trotz des durch die vergrößerten Zahnfußausrundungen verlängerten Laufwegs der Kette reibungslos gelingt, werden beide Kettenräder so ausgerichtet, dass der Abstand L etwas kleiner als ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands der Kette (Kettenteilung) ist, (vgl. Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]).
22
Ersichtlich geht es dem Klagepatent mit der Relativierung "jedenfalls im Wesentlichen" also darum, die durch die unterschiedlich weiten Ausformungen der Zahnfußausrundungen auftretenden Differenzen bei der Positionierung der Ritzel durch eine gewisse Abweichung vom exakten Vielfachen der korrespondierenden Zähne zueinander auszugleichen. Außerdem ist aus fachmännischer Sicht zu bedenken, dass die Schaltungstechnik als solche durch einen vergleichsweise groben mechanischen Ablauf - die Kette wird beim Schalten vom kleineren Kettenrad durch mechanische Krafteinwirkung schräg gestellt, bis sie auf dem größeren Ritzel aufliegt - gekennzeichnet ist, der ebenfalls spürbare Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung als angemessen erscheinen lassen kann.
23
b) Das Berufungsgericht wird das Merkmal f3 unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erneut auszulegen haben. Bei Würdigung des zur Verletzung vorgetragenen Sachverhalts wird das Berufungsgericht zu beachten haben, ob die Positionierung der Punkte O1 - O2, die diesem Vorbringen zugrunde liegt, im Bereich der nach fachmännischem Verständnis (oben III 1 c) dafür in Betracht kommenden Festlegungen liegt, und die - an sich dem Stand der Technik entnommene und lediglich um die Relativierung "...jedenfalls im Wesentlichen..." ergänzte Merkmalsgruppe f verwirklicht ist, um sich gegebenenfalls dann der Prüfung der Merkmalsgruppe h zuzuwenden.
24
IV. Das Berufungsgericht hat zu der Frage, wann im Patentverletzungsprozess ein Sachverständiger einzuschalten sei, erwogen, ob es, wenn das Patent aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt werde, prozessual erforderlich sei, dass zu den Grundlagen des Verständnisses des Durchschnittsfachmanns, etwa zu seiner Ausbildung und seiner Fachkunde am Prioritätszeitpunkt, von den Parteien vorgetragen werde. Die Instanzentscheidungen in Verletzungsverfahren enthielten regelmäßig keine Feststellungen zu den tatsächlichen Grundlagen, die den (fiktiven) Durchschnittsfachmann in die Lage versetzten, das eine oder andere Verständnis vom Patent und seinen Ansprüchen zu entwickeln. Ob das Verständnis des Durchschnittsfachmanns von einem nicht-technisch besetzten Gericht ohne technische Unterstützung beurteilt werden könne, insbesondere dann, wenn die als Beurteilungsgrundlage für das Verständnis des Schutzrechts erforderlichen Grundlagen von den Parteien nicht vorgetragen worden seien, sei eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Das Patent werde in solchen Fällen zwar aus Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt, warum dieser eine bestimmte Sicht habe, bleibe aber weitestgehend ungeklärt. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts geben zu den folgenden Ausführungen über die Grundlagen der Patentauslegung Gelegenheit.
25
1. Patentansprüche haben nach der Rechtsprechung des Senats Rechtsnormcharakter (Sen.Beschl. vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; BGHZ 180, 215 Tz. 16 - Straßenbaumaschine ). Deshalb ist es originär richterliche Aufgabe, den objektiven Sinngehalt der mit dem jeweiligen Schutzrecht unter Schutz gestellten Lehre eigenständig durch Auslegung der Patentansprüche - gegebenenfalls unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - zu ermitteln. Darum hat der Senat es in der Vergangenheit beanstandet, wenn das Berufungsgericht sich die vom Sachverständigen "als Durchschnittsfachmann" vorgenommene Auslegung eines Klagepatents ohne erkennbar eigene Wertung zu eigen gemacht und seine Entscheidung darauf gestützt hat, anstatt das Klagepatent selbst auszulegen (BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel; vgl. auch BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. v. 12.2.2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 - Mehrgangnabe) oder wenn es sich nicht in der Lage gesehen hat, die Frage der Patentverletzung zu entscheiden, nachdem der gerichtliche Sachverständige erklärt hatte, ein Merkmal des Klagepatents nicht definieren zu können (BGHZ 180, 215 - Straßenbaumaschine).
26
2. Soweit das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil davon spricht, das Patent sei "aus der Sicht des (Durchschnitts-)Fachmanns auszulegen", besteht Anlass zu weiterer Klarstellung. Auch wenn das fachmännische Verständnis der im Patentanspruch verwendeten Begriffe und des Gesamtzusammenhangs des Patentanspruchs Grundlage der objektiven Patentauslegung ist (vgl. etwa Sen.Urt. GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe), heißt das gerade nicht, dass das Gericht lediglich das Sprachrohr des vom Sachverständigen dargelegten fachmännischen Verständnisses ist. Aufgabe des vom Gericht gegebenenfalls zurate gezogenen Sachverständigen ist es vielmehr, wie der Senat vielfach ausgesprochen hat, lediglich, dem Gericht gegebenenfalls die für das Verstehen der unter Schutz gestellten Lehre erforderlichen technischen Zusammenhänge zu erläutern und den erforderlichen Einblick in die Kenntnisse , Fertigkeiten und Erfahrungen der jeweils typischen, im Durchschnitt der beteiligten Kreise angesiedelten Vertreter der einschlägigen Fachwelt einschließlich ihrer methodischen Herangehensweise zu vermitteln. Die hierzu gemachten Angaben fließen in die gerichtliche Auslegung der Patentansprüche lediglich ein (vgl. BGHZ 171, 120 Tz. 18, - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe; vgl. zur strukturell ähnlich gelagerten Frage, ob ein Sachverständiger auch dazu befragt werden kann, ob Schäden oder Mängel eines Gebäudes für dessen Eigentümer bzw. Bewohner erkennbar waren BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09). Dagegen zielt die Hinzuziehung des Sachverständigen nicht auf die Beantwortung von Rechtsfragen, was unzulässig wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09 Tz. 10).
27
3. Ob im Hinblick auf die vom Gericht vorzunehmende Auslegung der Patentansprüche ein Sachverständiger hinzugezogen werden muss, hängt zunächst davon ab, ob und gegebenenfalls welchen streitigen Vortrag die Parteien zu tatsächlichen Umständen gehalten haben, die des unmittelbaren Beweises mit zivilprozessual zulässigen Beweismitteln zugänglich sind und als solche für sich oder zusammen mit anderen derartigen Umständen Anhaltspunkte beispielsweise dafür zu geben vermögen, welche technischen Zusammenhänge bedeutsam sein könnten, wer als Durchschnittsfachmann in Betracht zu ziehen sein könnte, welche Ausbildung seine Sicht bestimmen könnte etc. Dies ist dem Beibringungsgrundsatz geschuldet, der im Patentverletzungsprozess beachtet werden muss, weil er als Zivilprozess geführt wird. Fehlt Vortrag der Parteien hierzu, obwohl Angaben zu solchen unmittelbaren Tatumständen erwartet werden können, oder erscheint der gehaltene Vortrag insoweit unvollständig, hat das Gericht außerdem § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu beachten. Es hat dann darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich ausreichend erklären. So werden regelmäßig Angaben dazu verlangt werden können, auf welchem technischen Gebiet die Erfindung liegt, welche Unternehmen auf diesem Gebiet tätig sind, wie die beschäftigten Mitarbeiter ausgebildet sind bzw., ob sie eigene Entwicklungsabteilungen mit besonders geschultem oder erfahrenem Personal unterhalten.
28
Selbst wenn diese oder andere dem unmittelbaren Beweis zugängliche Tatsachen zwischen den Parteien unstreitig sind, kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten sein, weil es Fälle geben kann, in denen die Kenntnis derartiger Tatsachen allein nicht ausreicht, um auf die ihrerseits dem unmittelbaren Beweise nicht zugängliche Sicht des Fachmanns zu schließen oder die technischen Zusammenhänge zuverlässig zu bewerten. Dies bedingt , dass das Verletzungsgericht in jedem Einzelfall eigenverantwortlich prüft, ob es aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuzieht. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet dem Tatrichter § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
29
Im Hinblick darauf, dass bereits die Antwort auf Fragen, welche technischen Zusammenhänge beachtlich sind, und welche fachmännische Sicht zugrunde zu legen ist, ihrerseits nur auf Grund einer Wertung zu finden ist, unterliegt der im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffene Entschluss des Verletzungsgerichts, die Patentansprüche auszulegen, ohne zuvor einen Sachverständigen hinzuzuziehen, jedoch nicht lediglich der Ermessenskontrolle, die bei § 144 Abs. 1 ZPO normaler Weise nur erfolgen darf. Denn als Wertung ist schon die die technischen Zusammenhänge und die Sicht des Fachmanns betreffende Würdigung Teil der die Patentauslegung ausmachenden Bestimmung , wie der betreffende Patentanspruch zu bewerten ist. Damit greift auch insoweit die ständige Rechtsprechung, wonach die Patentauslegung der uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt.
30
V. Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin eine Verwirklichung der Merkmalsgruppe f in vom Wortsinn abweichender Form nicht geltend gemacht habe. Sie verweist dazu auf Schriftsätze der Klägerin in den Tatsacheninstanzen, in denen die Klägerin sich die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Z. zu eigen gemacht habe, wonach die Merkmalsgruppe f in den angegriffenen Ausführungsformen jedenfalls als Ganzes äquivalent benutzt sein soll.
31
Mit diesem Vorbringen allein wird der geltend gemachte Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts nicht hinreichend dargelegt (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ZPO). Ob der Kläger die Verurteilung (zumindest) wegen Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form begehrt, ist nicht allein eine Frage des Sachvortrags, sondern in erster Linie eine solche der entsprechenden Antragstellung. Aus dem Klageantrag muss sich ergeben, welche Ausführung der Kläger als Verletzungsform angreift. Die Ausführung ist im Hinblick auf die Vorgaben des Patentanspruchs zu beschreiben. Soll eine Ausführungsform als vom erteilten Klagepatent erfasst angegriffen werden, die nach Ansicht des Klägers eine vom Wortsinn abweichende Gestalt aufweist, muss sich aus dem Antrag ergeben, in welcher tatsächlichen Gestaltung sich die Abweichung von den Vorgaben des Patentanspruchs verkörpern soll. Dazu trägt die Revision nichts vor und die im angefochtenen Berufungsurteil enthaltenen Anträge haben in Bezug auf die Merkmalsgruppe f lediglich eine dem Wortsinn des Patentanspruchs entsprechende Verletzungsform zum Gegenstand.
32
Ergibt sich aus dem klägerischen Sachvortrag, dass (auch) eine Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form geltend gemacht werden soll, ohne dass dies in den Klageanträgen einen Niederschlag gefunden hat, hat das Tatsachengericht dies im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung , auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), zu erörtern.
33
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren bemerkt der Senat, dass die Frage einer möglichen Verletzung in vom Wortsinn abweichender Form sich, wenn bei der Auslegung des Merkmals f3 auf Funktions- und nicht lediglich auf Fertigungstoleranzen abgestellt wird, gegebenenfalls anders stellt, als bisher, insbesondere dann, wenn die Funktionstoleranzen erheblich größer zu bemes- sen sind, als die vom Berufungsgericht festgestellten Fertigungstoleranzen. Wenn schon die wortsinngemäße Verletzung eine deutliche Abweichung vom exakt Mehrfachen der Kettenteilung erfasst, bleibt für eine Verletzung unter Benutzung abgewandelter Mittel unter dem Gesichtspunkt zusätzlicher Streckentoleranzen möglicherweise nur noch enger Raum, was sich abschließend aber erst in einer Gesamtschau aller Merkmale beurteilen lässt.

Scharen Asendorf Gröning
Berger Grabinski
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 11.06.2003 - 21 O 21210/00 -
OLG München, Entscheidung vom 20.03.2008 - 6 U 4058/03 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 55/08 Verkündet am:
22. Dezember 2009
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter
Asendorf, Gröning, Dr. Berger und Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 20. März 2008 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundes1 republik Deutschland erteilten, inzwischen wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschenen europäischen Patents 313 345 (Klagepatents), dessen Anspruch 1 in der Verfahrenssprache lautet:
"A multistage sprocket assembly for a bicycle comprising at least one larger diameter sprocket (1), at least one smaller diameter sprocket (2) and a drive chain (3), and the or each larger diameter sprocket (1) having at its outer periphery a given number of teeth which are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3) and the or each smaller diameter sprocket (2) having at its outer periphery teeth which are smaller in number than the teeth of said larger diameter sprocket (1) and are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3), said sprockets (1) and (2) being assembled so that the centre (O2) between a pair of adjacent teeth of said larger diameter sprocket (1) is positioned on a tangent extending form the centre (O1) between a pair of adjacent teeth of said smaller diameter sprocket, said tangent extending along the path of travel of the driving chain (3) in engagement with said smaller diameter sprocket (2) when said chain (3) shifted therefrom into engagement with said larger diameter sprocket (1), the distance between said centres (O1, O2) being at least substantially an integer multiple of the chain pitch, characterised in that said larger diameter sprocket (1) is provided with a chain guide surface (4) on the inside surface of the sprocket (1) facing the smaller diameter sprocket (2) and at a position on said larger diameter sprocket (1) which corresponds to the path of travel between said centres (O1, O2) between adjacent teeth of the sprocket where the chain makes contact with the larger diameter sprocket (1), said chain guide surface (4) having such a shape and size as to receive an entire link plate of a link of said chain and to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket (1) as the chain leaves the smaller diameter sprocket and starts to engage with a tooth of the larger diameter sprocket (1), said tooth being the tooth behind said centre (O2) between adjacent teeth of the larger diameter sprocket in the direction of drive rotation."
2
In der Klagepatentschrift ist dieser Anspruch wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt: "Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, enthaltend mindestens ein Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser, mindestens ein Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser und eine Antriebskette (3), wobei das Kettenrad (1) oder jedes der Kettenräder (1) mit einem größeren Durchmesser an seinem Außenumfang eine gegebene Anzahl an Zähnen aufweist, die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, sowie das Kettenrad (2) oder jedes der Kettenräder (2) mit einem kleineren Durchmesser an seinem Außenumfang Zähne aufweist, deren Anzahl kleiner als die Anzahl der Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser ist und die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, und wobei die Kettenräder (1) und (2) derart angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser sich auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser aus entlang des Laufwegs der Antriebskette (3) im Eingriff mit dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser erstreckt, wenn die Kette (3) von dort in Eingriff mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den genannten Mitten (O1, O2) mindestens im Wesentlichen ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, dadurch gekennzeichnet, dass das genannte Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an seiner Innenoberfläche mit einer Kettenführungsoberfläche (4) versehen ist, die dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, und auf dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an einer Position , die im Laufweg zwischen den genannten Mitten (O1, O2) zwischen benachbarten Zähnen der Kettenräder, wo die Kette mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser in Kontakt kommt, wobei die Kettenführungsoberfläche (4) eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie eine ganze Gliedplatte eines Gliedes der Kette aufnimmt und bewirkt, dass das Glied in Richtung auf das Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser vorgespannt wird, wenn die Kette das Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser verlässt und beginnt, mit einem Zahn des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser in Eingriff zu kommen, wobei dieser Zahn der Zahn hinter der Mitte (O2) zwischen benachbarten Zähnen des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser in der Antriebsdrehrichtung ist." Die unter der Geschäftsführung der Beklagten zu 2 bis 4 stehende Be3 klagte zu 1 vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland unter den Bezeichnungen "P. " Zahnkränze (Kassetten) für Fahrräder, wegen deren Ausgestaltung auf die Abbildungen im Tatbestand des in derselben Sache ergangenen Senatsurteils vom 13. Februar 2007 - X ZR 73/05 - verwiesen wird (das in einem Parallelrechtsstreit am selben Tag ergangene Sen.Urt. ist in BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I veröffentlicht). Die Klägerin sieht das Klagepatent durch diese Erzeugnisse verletzt und nimmt die Beklagten deswegen auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch und begehrt des Weiteren die Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz. Das Landgericht hat, sachverständig beraten, im Wesentlichen antrags4 gemäß erkannt. Das Berufungsgericht hat die Klage nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgewiesen. Diese Entscheidung hat der Senat durch sein vorgenanntes Urteil vom 13. Februar 2007 aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Klage abermals abgewiesen hat. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
5
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. I. Das Klagepatent betrifft eine mehrstufige Kettenradanordnung für
6
ein Fahrrad mit Kettenrädern (Ritzeln) unterschiedlicher Durchmesser, zwischen denen zum Gangwechsel die Antriebskette versetzt wird. Der Klagepatentschrift zufolge war im Stand der Technik bekannt, Ket7 tenräder mit kleinerem und solche mit (nächst)größerem Durchmesser so anzuordnen , dass sich die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads erstreckt, und dass die Entfernung zwischen diesen Mittelpunkten ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands (der Teilung) der Kette beträgt. Diese Anordnung soll ermöglichen , dass beim Schalten vom kleineren auf das größere Kettenrad durch Schrägstellen ("biase") der Antriebskette ein in Antriebsdrehrichtung hinter der genannten Mitte angeordneter erster Zahn des größeren Kettenrads leicht in Eingriff mit der Kette gebracht wird. Die Kette passt dabei besonders gut auf den "ersten Zahn", wenn das betreffende Glied der Kette, die abwechselnd aus Paaren innerer und äußerer Gliedplatten besteht, ein Kettenglied mit äußeren Gliedplatten ist. Die Klagepatentschrift bemängelt, dass, selbst wenn ein solches Ketten8 glied mit dem "ersten Zahn" korrespondiert, die Endfläche des Kettenstifts und die äußere Oberfläche der äußeren Gliedplatte an der inneren Oberfläche des größeren Kettenrads störend angreifen, so dass die Kette nicht weiter in Richtung auf dieses hin transportiert wird und infolgedessen den ersten Zahn nicht zuverlässig ergreifen kann. Als ähnlich problematisch wird der Schaltvorgang für den Fall geschildert, dass ein Kettenglied mit inneren Gliedplatten mit dem "ersten Zahn" korrespondiert. Unter Berücksichtigung dieser geschilderten Schwierigkeiten soll das technische Problem gelöst werden, die Zuverlässigkeit des Schaltvorgangs weiter zu verbessern. Erfindungsgemäß soll dies durch eine mehrstufige Kettenradanordnung
9
erreicht werden, die nach Maßgabe der nachfolgenden Merkmalsgliederung
a) zumindest ein Kettenrad mit größerem Durchmesser,
b) zumindest ein Kettenrad mit kleinerem Durchmesser und
c) eine Antriebskette umfasst, wobei
d) jedes Kettenrad an seinem Umfang eine gegebene Anzahl von Zähnen aufweist, deren Abstand voneinander der Teilung der Antriebskette entspricht,
e) die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit kleinerem Durchmesser geringer als die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit größerem Durchmesser ist,
f) die Kettenräder so angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Tangente befindet, die sich f1) von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads ("extending from the centre …") aus, f2) entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt, wenn die Kette von dort in Eingriff mit dem größeren Kettenrad versetzt wird, f3) wobei der Abstand zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) jedenfalls im Wesentlichen ("at least substantially" ) ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung ist, und wobei
g) das größere Kettenrad mit einer Kettenführungsfläche versehen ist, die g1) an der inneren Oberfläche dieses Kettenrads dem kleineren Kettenrad zugewandt ist und g2) sich dort befindet, wo die Kette auf dem Laufweg zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) mit dem größeren Kettenrad in Berührung kommt, und wobei
h) die Kettenführungsfläche eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie h1) eine ganze Gliedplatte eines Kettengliedes aufnimmt ("to receive an entire link plate of a link …") und h2) bewirkt, dass das Kettenglied in Richtung auf das größere Kettenrad schräggestellt wird ("to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket"), wenn die Kette das kleinere Kettenrad verlässt und der Eingriff mit einem Zahn des größeren Kettenrads beginnt, h3) wobei der betreffende Zahn in Antriebsdrehrichtung hinter der Mitte (O2) liegt.
10
Wegen der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat wird auf die Randnummern 21 ff. des Urteils vom 13. Februar 2007 Bezug genommen. Die Verwirklichung dieser Merkmale durch die angegriffenen Ausführungsformen ist danach unstreitig geworden.
11
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, für die Auslegung des Merkmalselements "jedenfalls im Wesentlichen" sei maßgeblich, dass die Zusammenwirkensfunktion des Merkmals f3 mit den anderen, der verbesserten Schalttechnik dienenden Merkmalen für den Fachmann noch erkennbar gegeben sei, wobei er reine Fertigungstoleranzen als von diesem Begriff selbstverständlich umfasst ansehe. Es hat des Weiteren gemeint, der tatsächliche Vortrag der Klägerin sei nicht geeignet, eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals f3 - dessen Benutzung mit abgewandelten Mitteln die Klägerin nicht geltend mache - durch die angegriffenen Ausführungsformen zu belegen. Die von der Klägerin vorgetragenen Messwerte offenbarten ausnahmslos Abweichungen vom ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung oberhalb der vom Sachverständigen als zulässig erachteten Fertigungs- bzw. Messtoleranzen von 0,2 mm.
12
Es sei damit zu prüfen, ob die von der Klägerin gemessenen Abweichungen zu Funktionsabweichungen hinsichtlich der Lehre des Klagepatents führten. Die von der Klägerin angewandte Messmethode habe faktisch zur Folge, dass als Bezugspunkt der Punkte O1 und O2 die Rollenmitte anzusetzen sei. Diese Festlegung sei jedoch nicht zwingend. Ausweislich der Beschreibung (Übersetzung S. 11, 3. Abs.) seien die Punkte O1 und O2 im Sinne der technischen Lehre des Klagepatents zwar nicht bestimmt, wohl aber bestimmbar. Diese Lehre beschränke sich insoweit auf die Angabe eines Verhältnisses der Punkte O1 und O2 zueinander und lege deren Lage nur insoweit fest, als sie im Zusammenspiel mit den anderen Merkmalen ihre Funktion noch ausüben könnten. Die im Kettenverlauf angelegte Gerade könne, da sie nach der Auslegung durch den Bundesgerichtshof keine Tangenteneigenschaft im mathematischen Sinn aufweisen müsse, in ihrer Lage variieren, denn der Berührpunkt zu den Kettenrädern verändere sich zwangsläufig, je nachdem, wo die Berührung an der Oberfläche des Zahns beginne. Dementsprechend seien die Punkte O1 und O2 in ihrer Lage auf den Mittellinien in bestimmten Grenzen variabel, und, wann ein ganzzahliges Vielfaches bei einer angegriffenen Ausführungsform mit den nach dem Klagepatent erwünschten technischen Wirkungen vorliege, müsse im Einzelfall nach der Verhältnisangabe im Merkmal f3 geklärt werden.
13
Es sei Sache der Klägerin, die zwar nicht bestimmten, aber bestimmbaren Punkte O1 und O2 entsprechend der Verhältnisangabe nach der Lehre des Klagepatents bei den angegriffenen Ausführungsformen zu bestimmen. Die von der Klägerin ermittelten tatsächlichen Abweichungen bei den angegriffenen Ausführungsformen seien ohne exakte Bestimmung der Lage der Punkte O1 und O2 dort nach der Lehre des Klagepatents gemessen worden und deshalb nicht aussagekräftig, denn die Messmethode gehe in diesem Fall mit den Rollenmitten von zwei Punkten aus, deren technische Unabdingbarkeit nicht festliege , und die daher eine andere Bestimmungsmethode als die angewandte erfordere.
14
III. Die Ausführungen des Berufungsgerichts bieten keine tragfähige Grundlage für die ausgesprochene Klageabweisung.
15
1. Weiteren Vortrags der Klägerin zur Position der Mitten O1 und O2, bei den angegriffenen Ausführungsformen bedurfte es entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht. Es hätte vielmehr zu prüfen gehabt, ob die Klägerin die Positionen der Mitten O1 und O2 in einer Weise bestimmt und ihren Messungen zugrunde gelegt hat, die der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat entsprach. An diese Auslegung war das Berufungsgericht auch bei Auslegung des Merkmals f3 gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO), weil die Position der Punkte O1 und O2 auf der Winkelhalbierenden in Merkmal f3 nicht neu und anders als in den Merkmalen f, f1 und f2 bestimmt, sondern damit identisch ist. Der eigenständige Sinngehalt des Merkmals f3 beschränkt sich auf die Vorgaben für die Bemessung des Abstands O1 - O2.
16
a) Das Klagepatent bestimmt die Position der Punkte O1 und O2 anhand zweier Parameter. Es legt sie zum einen in die "Mitte" ("the centre") zwischen zwei Zähnen des größeren (O2) bzw. des kleineren (O1) Kettenrads (Merkmale f und f1) und ordnet zum anderen an, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Geraden (Tangente ) befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads aus entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt. Der Senat hat das Klagepatent im Urteil vom 13. Februar 2007 insoweit dahin ausgelegt, dass sich die Lage der Punkte O1 und O2 aus den Schnittpunkten der Mittellinie zwischen den zwei Zahnpaaren mit einer in Übereinstimmung mit dem Kettenverlauf angelegten Geraden ergebe (aaO Tz. 23).
17
Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Antriebskette realiter keine ideal reduzierte Linie darstellt, sondern einen dreidimensionalen körperlichen Gegenstand mit bestimmten Abmessungen bildet. Als ein solches körperliches Gebilde kann die Kette die besagte Mittellinie dementsprechend an verschiedenen Stellen schneiden, was sich wiederum auf die Länge der Strecke O1 - O2 auswirken kann, je nachdem, wie der Schnittpunkt bestimmt wird. Hinzu kommt, dass die Kette nicht bei jedem Schaltvorgang zwangsläufig immer in gleicher Position vom kleinen Zahnrad abläuft, was wiederum den Verlauf und die Länge der Strecke O1 - O2 beeinflussen kann. Patentanspruch 1 des Klagepatents trifft keine konkreteren Anweisungen zur Lokalisierung der Punkte O1 - O2 und legt es damit in die Hände des Fachmanns, die Position der beiden Punkte zu bestimmen.
18
b) Dass der Anspruch in diesem Punkt offen formuliert ist, wird den Fachmann aus technischen Gründen nicht überraschen. Denn die in der Merkmalsgruppe f zusammengefassten Merkmale gehören - bis auf die Relativierung des Abstands O1 - O2 als ein "jedenfalls im Wesentlichen ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung" - nicht zum kennzeichnenden Teil des Klagepatents , sondern stellen dem Fachmann vertrauten Stand der Kettenschaltungstechnik dar. Die Klagepatentschrift spricht davon, dass die Kettenräder "herkömmlicherweise" so angeordnet werden, dass der Abstand O1 - O2 ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung beträgt.
19
c) Bei Festlegung der Bezugspositionen für die Punkte O1 - O2, für die aus fachmännischer Sicht eine gewisse Bandbreite von radialen Positionen der Punkte O1 - O2 in Betracht kommt (vorstehend III 1 a), wird der Fachmann einen standardisierten Mittelwert anstreben, der Gewähr dafür bietet, dass das mit der Auslegung des Abstands der beiden Punkte verfolgte Ziel möglichst oft erreicht wird. Dieses besteht darin, dass der erste Zahn hinter dem Punkt O1 des größeren Kettenrades beim Gangwechsel zum Kettenrad mit dem größeren Durchmesser leicht in Eingriff mit der Antriebskette gebracht wird (Beschr. Sp. 1 Z. 11-30 [Übers. S. 1, 2. Abs.]). Aus fachmännischer Sicht wird es naheliegen, die radialen Positionen der Punkte O1 und O2 so festzulegen, dass sie auf der Mitte zwischen zwei Zähnen des größeren und des kleineren Kettenrads (den Winkelhalbierenden) liegen, und zwar in der Höhe, die bei mittig auf den Zahnfußausrundungen aufliegender Kette dem Kreismittelpunkt der Kettenrolle entspricht.
20
2. Das Klagepatent sieht für die Einstellung des Abstands O1 - O2 im Unterschied zum Stand der Technik gewisse Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung vor, deren zulässige Größenordnung es durch die Angabe "jedenfalls im Wesentlichen" ("at least substantially") um- schreibt. Das Berufungsgericht hat diese Anweisung nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe dahin ausgelegt, dass diese Abweichungen die Fertigungstoleranzen , die es im Anschluss an die Erläuterungen des Sachverständigen auf 0,2 mm bemessen hat, nicht überschreiten. Dagegen wendet die Revision sich ebenfalls zu Recht.
21
a) Das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis, dass die gemäß Merkmal f3 möglichen Abweichungen auf Fertigungstoleranzen begrenzt sein sollen, findet in der Klagepatentschrift keinen Rückhalt. Es sind vielmehr die Ausführungen in der Beschreibung zu dem Problem, dass der Durchmesser der Zahnfußausrundungen größer sein kann, als der Durchmesser der Kettenrollen (elliptische oder Langlochform; vgl. dazu Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]), die Hinweise auf die Größenordnung der Abweichungen geben, die das Klagepatent aus technischen Gründen im Auge hat. Wenn die Kette bei solchen Ausgestaltungen vom kleineren auf das größere Kettenrad versetzt wird, stößt die Rolle am kleineren Kettenrad an der rückwärtigen Oberfläche eines Zahns vor der Rolle in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads an. Die Rolle, die sich in Richtung zum größeren Kettenrad hin bewegt, soll an der vorderen Oberfläche des ersten Zahns (11) in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads anstoßen, um von deren Zahn gefangen zu werden. Damit das trotz des durch die vergrößerten Zahnfußausrundungen verlängerten Laufwegs der Kette reibungslos gelingt, werden beide Kettenräder so ausgerichtet, dass der Abstand L etwas kleiner als ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands der Kette (Kettenteilung) ist, (vgl. Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]).
22
Ersichtlich geht es dem Klagepatent mit der Relativierung "jedenfalls im Wesentlichen" also darum, die durch die unterschiedlich weiten Ausformungen der Zahnfußausrundungen auftretenden Differenzen bei der Positionierung der Ritzel durch eine gewisse Abweichung vom exakten Vielfachen der korrespondierenden Zähne zueinander auszugleichen. Außerdem ist aus fachmännischer Sicht zu bedenken, dass die Schaltungstechnik als solche durch einen vergleichsweise groben mechanischen Ablauf - die Kette wird beim Schalten vom kleineren Kettenrad durch mechanische Krafteinwirkung schräg gestellt, bis sie auf dem größeren Ritzel aufliegt - gekennzeichnet ist, der ebenfalls spürbare Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung als angemessen erscheinen lassen kann.
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b) Das Berufungsgericht wird das Merkmal f3 unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erneut auszulegen haben. Bei Würdigung des zur Verletzung vorgetragenen Sachverhalts wird das Berufungsgericht zu beachten haben, ob die Positionierung der Punkte O1 - O2, die diesem Vorbringen zugrunde liegt, im Bereich der nach fachmännischem Verständnis (oben III 1 c) dafür in Betracht kommenden Festlegungen liegt, und die - an sich dem Stand der Technik entnommene und lediglich um die Relativierung "...jedenfalls im Wesentlichen..." ergänzte Merkmalsgruppe f verwirklicht ist, um sich gegebenenfalls dann der Prüfung der Merkmalsgruppe h zuzuwenden.
24
IV. Das Berufungsgericht hat zu der Frage, wann im Patentverletzungsprozess ein Sachverständiger einzuschalten sei, erwogen, ob es, wenn das Patent aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt werde, prozessual erforderlich sei, dass zu den Grundlagen des Verständnisses des Durchschnittsfachmanns, etwa zu seiner Ausbildung und seiner Fachkunde am Prioritätszeitpunkt, von den Parteien vorgetragen werde. Die Instanzentscheidungen in Verletzungsverfahren enthielten regelmäßig keine Feststellungen zu den tatsächlichen Grundlagen, die den (fiktiven) Durchschnittsfachmann in die Lage versetzten, das eine oder andere Verständnis vom Patent und seinen Ansprüchen zu entwickeln. Ob das Verständnis des Durchschnittsfachmanns von einem nicht-technisch besetzten Gericht ohne technische Unterstützung beurteilt werden könne, insbesondere dann, wenn die als Beurteilungsgrundlage für das Verständnis des Schutzrechts erforderlichen Grundlagen von den Parteien nicht vorgetragen worden seien, sei eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Das Patent werde in solchen Fällen zwar aus Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt, warum dieser eine bestimmte Sicht habe, bleibe aber weitestgehend ungeklärt. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts geben zu den folgenden Ausführungen über die Grundlagen der Patentauslegung Gelegenheit.
25
1. Patentansprüche haben nach der Rechtsprechung des Senats Rechtsnormcharakter (Sen.Beschl. vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; BGHZ 180, 215 Tz. 16 - Straßenbaumaschine ). Deshalb ist es originär richterliche Aufgabe, den objektiven Sinngehalt der mit dem jeweiligen Schutzrecht unter Schutz gestellten Lehre eigenständig durch Auslegung der Patentansprüche - gegebenenfalls unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - zu ermitteln. Darum hat der Senat es in der Vergangenheit beanstandet, wenn das Berufungsgericht sich die vom Sachverständigen "als Durchschnittsfachmann" vorgenommene Auslegung eines Klagepatents ohne erkennbar eigene Wertung zu eigen gemacht und seine Entscheidung darauf gestützt hat, anstatt das Klagepatent selbst auszulegen (BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel; vgl. auch BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. v. 12.2.2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 - Mehrgangnabe) oder wenn es sich nicht in der Lage gesehen hat, die Frage der Patentverletzung zu entscheiden, nachdem der gerichtliche Sachverständige erklärt hatte, ein Merkmal des Klagepatents nicht definieren zu können (BGHZ 180, 215 - Straßenbaumaschine).
26
2. Soweit das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil davon spricht, das Patent sei "aus der Sicht des (Durchschnitts-)Fachmanns auszulegen", besteht Anlass zu weiterer Klarstellung. Auch wenn das fachmännische Verständnis der im Patentanspruch verwendeten Begriffe und des Gesamtzusammenhangs des Patentanspruchs Grundlage der objektiven Patentauslegung ist (vgl. etwa Sen.Urt. aaO, GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe), heißt das gerade nicht, dass das Gericht lediglich das Sprachrohr des vom Sachverständigen dargelegten fachmännischen Verständnisses ist. Aufgabe des vom Gericht gegebenenfalls zurate gezogenen Sachverständigen ist es vielmehr, wie der Senat vielfach ausgesprochen hat, lediglich, dem Gericht gegebenenfalls die für das Verstehen der unter Schutz gestellten Lehre erforderlichen technischen Zusammenhänge zu erläutern und den erforderlichen Einblick in die Kenntnisse , Fertigkeiten und Erfahrungen der jeweils typischen, im Durchschnitt der beteiligten Kreise angesiedelten Vertreter der einschlägigen Fachwelt einschließlich ihrer methodischen Herangehensweise zu vermitteln. Die hierzu gemachten Angaben fließen in die gerichtliche Auslegung der Patentansprüche lediglich ein (vgl. BGHZ 171, 120 Tz. 18, - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe; vgl. zur strukturell ähnlich gelagerten Frage, ob ein Sachverständiger auch dazu befragt werden kann, ob Schäden oder Mängel eines Gebäudes für dessen Eigentümer bzw. Bewohner erkennbar waren BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09). Dagegen zielt die Hinzuziehung des Sachverständigen nicht auf die Beantwortung von Rechtsfragen, was unzulässig wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09 Tz. 10).
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3. Ob im Hinblick auf die vom Gericht vorzunehmende Auslegung der Patentansprüche ein Sachverständiger hinzugezogen werden muss, hängt zunächst davon ab, ob und gegebenenfalls welchen streitigen Vortrag die Parteien zu tatsächlichen Umständen gehalten haben, die des unmittelbaren Beweises mit zivilprozessual zulässigen Beweismitteln zugänglich sind und als solche für sich oder zusammen mit anderen derartigen Umständen Anhaltspunkte beispielsweise dafür zu geben vermögen, welche technischen Zusammenhänge bedeutsam sein könnten, wer als Durchschnittsfachmann in Betracht zu ziehen sein könnte, welche Ausbildung seine Sicht bestimmen könnte etc. Dies ist dem Beibringungsgrundsatz geschuldet, der im Patentverletzungsprozess beachtet werden muss, weil er als Zivilprozess geführt wird. Fehlt Vortrag der Parteien hierzu, obwohl Angaben zu solchen unmittelbaren Tatumständen erwartet werden können, oder erscheint der gehaltene Vortrag insoweit unvollständig, hat das Gericht außerdem § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu beachten. Es hat dann darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich ausreichend erklären. So werden regelmäßig Angaben dazu verlangt werden können, auf welchem technischen Gebiet die Erfindung liegt, welche Unternehmen auf diesem Gebiet tätig sind, wie die beschäftigten Mitarbeiter ausgebildet sind bzw., ob sie eigene Entwicklungsabteilungen mit besonders geschultem oder erfahrenem Personal unterhalten.
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Selbst wenn diese oder andere dem unmittelbaren Beweis zugängliche Tatsachen zwischen den Parteien unstreitig sind, kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten sein, weil es Fälle geben kann, in denen die Kenntnis derartiger Tatsachen allein nicht ausreicht, um auf die ihrerseits dem unmittelbaren Beweise nicht zugängliche Sicht des Fachmanns zu schließen oder die technischen Zusammenhänge zuverlässig zu bewerten. Dies bedingt , dass das Verletzungsgericht in jedem Einzelfall eigenverantwortlich prüft, ob es aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuzieht. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet dem Tatrichter § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Im Hinblick darauf, dass bereits die Antwort auf Fragen, welche technischen Zusammenhänge beachtlich sind, und welche fachmännische Sicht zugrunde zu legen ist, ihrerseits nur auf Grund einer Wertung zu finden ist, un- terliegt der im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffene Entschluss des Verletzungsgerichts, die Patentansprüche auszulegen, ohne zuvor einen Sachverständigen hinzuzuziehen, jedoch nicht lediglich der Ermessenskontrolle, die bei § 144 Abs. 1 ZPO normaler Weise nur erfolgen darf. Denn als Wertung ist schon die die technischen Zusammenhänge und die Sicht des Fachmanns betreffende Würdigung Teil der die Patentauslegung ausmachenden Bestimmung , wie der betreffende Patentanspruch zu bewerten ist. Damit greift auch insoweit die ständige Rechtsprechung, wonach die Patentauslegung der uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt.
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V. Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin eine Verwirklichung der Merkmalsgruppe f in vom Wortsinn abweichender Form nicht geltend gemacht habe. Sie verweist dazu auf Schriftsätze der Klägerin in den Tatsacheninstanzen, in denen die Klägerin sich die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Z. zu eigen gemacht habe, wonach die Merkmalsgruppe f in den angegriffenen Ausführungsformen jedenfalls als Ganzes äquivalent benutzt sein soll.
31
Mit diesem Vorbringen allein wird der geltend gemachte Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts nicht hinreichend dargelegt (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ZPO). Ob der Kläger die Verurteilung (zumindest) wegen Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form begehrt, ist nicht allein eine Frage des Sachvortrags, sondern in erster Linie eine solche der entsprechenden Antragstellung. Aus dem Klageantrag muss sich ergeben, welche Ausführung der Kläger als Verletzungsform angreift. Die Ausführung ist im Hinblick auf die Vorgaben des Patentanspruchs zu beschreiben. Soll eine Ausführungsform als vom erteilten Klagepatent erfasst angegriffen werden, die nach Ansicht des Klägers eine vom Wortsinn abweichende Gestalt aufweist, muss sich aus dem Antrag ergeben, in welcher tatsächlichen Gestaltung sich die Abweichung von den Vorgaben des Patentanspruchs verkörpern soll. Dazu trägt die Revision nichts vor und die im angefochtenen Berufungsurteil enthaltenen Anträge haben in Bezug auf die Merkmalsgruppe f lediglich eine dem Wortsinn des Patentanspruchs entsprechende Verletzungsform zum Gegenstand.
32
Ergibt sich aus dem klägerischen Sachvortrag, dass (auch) eine Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form geltend gemacht werden soll, ohne dass dies in den Klageanträgen einen Niederschlag gefunden hat, hat das Tatsachengericht dies im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung , auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), zu erörtern.
33
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren bemerkt der Senat, dass die Frage einer möglichen Verletzung in vom Wortsinn abweichender Form sich, wenn bei der Auslegung des Merkmals f3 auf Funktions- und nicht lediglich auf Fertigungstoleranzen abgestellt wird, gegebenenfalls anders stellt, als bisher, insbesondere dann, wenn die Funktionstoleranzen erheblich größer zu bemessen sind, als die vom Berufungsgericht festgestellten Fertigungstoleranzen. Wenn schon die wortsinngemäße Verletzung eine deutliche Abweichung vom exakt Mehrfachen der Kettenteilung erfasst, bleibt für eine Verletzung unter Benutzung abgewandelter Mittel unter dem Gesichtspunkt zusätzlicher Streckentoleranzen möglicherweise nur noch enger Raum, was sich abschließend aber erst in einer Gesamtschau aller Merkmale beurteilen lässt.

Scharen Asendorf Gröning
Berger Grabinski
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 16.07.2003 - 21 O 7147/01 -
OLG München, Entscheidung vom 20.03.2008 - 6 U 4259/03 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 56/08 Verkündet am:
22. Dezember 2009
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Kettenradanordnung II

a) Fehlt im Verletzungsprozess Parteivortrag zu unmittelbaren Tatumständen, die
Anhaltspunkte beispielsweise dafür zu geben vermögen, welche technischen Zusammenhänge
für das Verständnis der unter Schutz gestellten Lehre bedeutsam
sein könnten, wer als Durchschnittsfachmann in Betracht zu ziehen sein und welche
Ausbildung seine Sicht bestimmen könnte (z.B. zum technischen Gebiet, auf
dem die Erfindung liegt, zu den auf diesem Gebiet tätigen Unternehmen, der Ausbildung
von deren Mitarbeitern bzw. zum Vorhandensein eigener Entwicklungsabteilungen
), hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich dazu vollständig
erklären.

b) Selbst wenn solche dem unmittelbaren Beweis zugängliche Tatsachen zwischen
den Parteien unstreitig sind, kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens
geboten sein, wenn die Kenntnis dieser Tatsachen allein je nach Fall nicht
ausreicht, um auf die ihrerseits dem unmittelbaren Beweise nicht zugängliche
Sicht des Fachmanns zu schließen oder die technischen Zusammenhänge zuverlässig
zu bewerten. Das Verletzungsgericht prüft in jedem Einzelfall eigenverantwortlich
, ob es aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuzieht.

c) Der Entschluss des Verletzungsgerichts, die Patentansprüche auszulegen, ohne
im Hinblick auf für die Auslegung maßgebliche, dem unmittelbaren Beweis nicht
zugängliche Gesichtspunkte einen Sachverständigen hinzuziehen, unterliegt der
uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht.

d) Wird die Verurteilung wegen Verletzung des Klagepatents in von dessen Wortsinn
abweichender Form erstrebt, muss sich aus dem Klageantrag ergeben, in welchen
tatsächlichen Gestaltungen sich die Abweichung von den Vorgaben des Patentanspruchs
verkörpert.

e) Ergibt sich aus dem klägerischen Sachvortrag, dass (auch) eine Verletzung des
Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form geltend gemacht werden soll,
ohne dass dies in den Anträgen einen Niederschlag gefunden hat, hat das Tatsachengericht
dies im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung, auf die Stellung
sachdienlicher Anträge hinzuwirken, zu erörtern.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 56/08 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter
Asendorf, Gröning, Dr. Berger und Dr. Grabinski

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 20. März 2008 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, inzwischen wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschenen europäischen Patents 313 345 (Klagepatents), dessen Anspruch 1 in der Verfahrenssprache lautet: "A multistage sprocket assembly for a bicycle comprising at least one larger diameter sprocket (1), at least one smaller diameter sprocket (2) and a drive chain (3), and the or each larger diameter sprocket (1) having at its outer periphery a given number of teeth which are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3) and the or each smaller diameter sprocket (2) having at its outer periphery teeth which are smaller in number than the teeth of said larger diameter sprocket (1) and are spaced at intervals corresponding to the pitch of the chain (3), said sprockets (1) and (2) being assembled so that the centre (O2) between a pair of adjacent teeth of said larger diameter sprocket (1) is positioned on a tangent extending form the centre (O1) between a pair of adjacent teeth of said smaller diameter sprocket, said tangent extending along the path of travel of the driving chain (3) in engagement with said smaller diameter sprocket (2) when said chain (3) shifted therefrom into engagement with said larger diameter sprocket (1), the distance between said centres (O1, O2) being at least substantially an integer multiple of the chain pitch, characterised in that said larger diameter sprocket (1) is provided with a chain guide surface (4) on the inside surface of the sprocket (1) facing the smaller diameter sprocket (2) and at a position on said larger diameter sprocket (1) which corresponds to the path of travel between said centres (O1, O2) between adjacent teeth of the sprocket where the chain makes contact with the larger diameter sprocket (1), said chain guide surface (4) having such a shape and size as to receive an entire link plate of a link of said chain and to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket (1) as the chain leaves the smaller diameter sprocket and starts to engage with a tooth of the larger diameter sprocket (1), said tooth being the tooth behind said centre (O2) between adjacent teeth of the larger diameter sprocket in the direction of drive rotation."
2
In der Klagepatentschrift ist dieser Anspruch wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt: "Mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad, enthaltend mindestens ein Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser, mindestens ein Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser und eine Antriebskette (3), wobei das Kettenrad (1) oder jedes der Kettenräder (1) mit einem größeren Durchmesser an seinem Außenumfang eine gegebene Anzahl an Zähnen aufweist, die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, sowie das Kettenrad (2) oder jedes der Kettenräder (2) mit einem kleineren Durchmesser an seinem Außenumfang Zähne aufweist, deren Anzahl kleiner als die Anzahl der Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser ist und die in Abständen voneinander angeordnet sind, die dem Lochabstand der Kette (3) entsprechen, und wobei die Kettenräder (1) und (2) derart angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser sich auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des Kettenrads mit einem kleineren Durchmesser aus entlang des Laufwegs der Antriebskette (3) im Eingriff mit dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser erstreckt, wenn die Kette (3) von dort in Eingriff mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser versetzt wird, wobei die Entfernung zwischen den genannten Mitten (O1, O2) mindestens im Wesentlichen ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstandes der Kette ist, dadurch gekennzeichnet, dass das genannte Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an seiner Innenoberfläche mit einer Kettenführungsoberfläche (4) versehen ist, die dem Kettenrad (2) mit einem kleineren Durchmesser zugewandt ist, und auf dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser an einer Position , die im Laufweg zwischen den genannten Mitten (O1, O2) zwi- schen benachbarten Zähnen der Kettenräder, wo die Kette mit dem Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser in Kontakt kommt, wobei die Kettenführungsoberfläche (4) eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie eine ganze Gliedplatte eines Gliedes der Kette aufnimmt und bewirkt, dass das Glied in Richtung auf das Kettenrad (1) mit einem größeren Durchmesser vorgespannt wird, wenn die Kette das Kettenrad mit einem kleineren Durchmesser verlässt und beginnt, mit einem Zahn des Kettenrads (1) mit einem größeren Durchmesser in Eingriff zu kommen, wobei dieser Zahn der Zahn hinter der Mitte (O2) zwischen benachbarten Zähnen des Kettenrads mit einem größeren Durchmesser in der Antriebsdrehrichtung ist."
3
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 war, und die Beklagte zu 3 vertreiben in der Bundesrepublik Deutschland unter den Bezeichnungen "S. 5.0" und "S. 7.0" Zahnkränze (Kassetten) für Fahrräder , wegen deren Ausgestaltung auf die Abbildungen im Tatbestand des in derselben Sache ergangenen Senatsurteils vom 13. Februar 2007 (BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I) verwiesen wird. Die Klägerin sieht das Klagepatent durch diese Erzeugnisse verletzt und nimmt die Beklagten deswegen auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch und begehrt des Weiteren die Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz.
4
Das Landgericht hat, sachverständig beraten, im Wesentlichen antragsgemäß erkannt. Das Berufungsgericht hat die Klage nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgewiesen. Diese Entscheidung hat der Senat durch sein vorgenanntes Urteil vom 13. Februar 2007 aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das die Klage abermals abgewiesen hat. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


5
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Das Klagepatent betrifft eine mehrstufige Kettenradanordnung für ein Fahrrad mit Kettenrädern (Ritzeln) unterschiedlicher Durchmesser, zwischen denen zum Gangwechsel die Antriebskette versetzt wird.
7
Der Klagepatentschrift zufolge war im Stand der Technik bekannt, Kettenräder mit kleinerem und solche mit (nächst)größerem Durchmesser so anzuordnen , dass sich die Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads auf einer Tangente befindet, die sich von der Mitte zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads erstreckt, und dass die Entfernung zwischen diesen Mittelpunkten ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands (der Teilung) der Kette beträgt. Diese Anordnung soll ermöglichen , dass beim Schalten vom kleineren auf das größere Kettenrad durch Schrägstellen ("biase") der Antriebskette ein in Antriebsdrehrichtung hinter der genannten Mitte angeordneter erster Zahn des größeren Kettenrads leicht in Eingriff mit der Kette gebracht wird. Die Kette passt dabei besonders gut auf den "ersten Zahn", wenn das betreffende Glied der Kette, die abwechselnd aus Paaren innerer und äußerer Gliedplatten besteht, ein Kettenglied mit äußeren Gliedplatten ist.
8
Die Klagepatentschrift bemängelt, dass selbst wenn ein solches Kettenglied mit dem "ersten Zahn" korrespondiert, die Endfläche des Kettenstifts und die äußere Oberfläche der äußeren Gliedplatte an der inneren Oberfläche des größeren Kettenrads störend angreifen, so dass die Kette nicht weiter in Richtung auf dieses hin transportiert wird und infolgedessen den ersten Zahn nicht zuverlässig ergreifen kann. Als ähnlich problematisch wird der Schaltvorgang für den Fall geschildert, dass ein Kettenglied mit inneren Gliedplatten mit dem "ersten Zahn" korrespondiert. Unter Berücksichtigung dieser geschilderten Schwierigkeiten soll das technische Problem gelöst werden, die Zuverlässigkeit des Schaltvorgangs weiter zu verbessern.
9
Erfindungsgemäß soll dies durch eine mehrstufige Kettenradanordnung erreicht werden, die nach Maßgabe der nachfolgenden Merkmalsgliederung
a) zumindest ein Kettenrad mit größerem Durchmesser,
b) zumindest ein Kettenrad mit kleinerem Durchmesser und
c) eine Antriebskette umfasst, wobei
d) jedes Kettenrad an seinem Umfang eine gegebene Anzahl von Zähnen aufweist, deren Abstand voneinander der Teilung der Antriebskette entspricht,
e) die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit kleinerem Durchmesser geringer als die Anzahl der Zähne des Kettenrads mit größerem Durchmesser ist,
f) die Kettenräder so angeordnet sind, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Tangente befindet, die sich f1) von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads ("extending from the centre …") aus, f2) entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt, wenn die Kette von dort in Eingriff mit dem größeren Kettenrad versetzt wird, f3) wobei der Abstand zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) jedenfalls im Wesentlichen ("at least substantially" ) ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung ist, und wobei
g) das größere Kettenrad mit einer Kettenführungsfläche versehen ist, die g1) an der inneren Oberfläche dieses Kettenrads dem kleineren Kettenrad zugewandt ist und g2) sich dort befindet, wo die Kette auf dem Laufweg zwischen den Mittelpunkten (O1, O2) mit dem größeren Kettenrad in Berührung kommt, und wobei
h) die Kettenführungsfläche eine derartige Gestalt und Größe aufweist, dass sie h1) eine ganze Gliedplatte eines Kettengliedes aufnimmt ("to receive an entire link plate of a link …") und h2) bewirkt, dass das Kettenglied in Richtung auf das größere Kettenrad schräggestellt wird ("to cause the link to be biased towards the larger diameter sprocket"), wenn die Kette das kleinere Kettenrad verlässt und der Eingriff mit einem Zahn des größeren Kettenrads beginnt, h3) wobei der betreffende Zahn in Antriebsdrehrichtung hinter der Mitte (O2) liegt.
10
Wegen der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat wird auf die Randnummern 21 ff. des Urteils vom 13. Februar 2007 Bezug genommen. Die Verwirklichung dieser Merkmale durch die angegriffenen Ausführungsformen ist danach unstreitig geworden.
11
II. Das Berufungsgericht hat angenommen, für die Auslegung des Merkmalselements "jedenfalls im Wesentlichen" sei maßgeblich, dass die Zusammenwirkensfunktion des Merkmals f3 mit den anderen, der verbesserten Schalttechnik dienenden Merkmalen für den Fachmann noch erkennbar gegeben sei, wobei er reine Fertigungstoleranzen als von diesem Begriff selbstverständlich umfasst ansehe. Es hat des Weiteren gemeint, der tatsächliche Vortrag der Klägerin sei nicht geeignet, eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals f3 - dessen Benutzung mit abgewandelten Mitteln die Klägerin nicht geltend mache - durch die angegriffenen Ausführungsformen zu belegen. Die von der Klägerin vorgetragenen Messwerte offenbarten ausnahmslos Abweichungen vom ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung oberhalb der vom Sachverständigen als zulässig erachteten Fertigungs- bzw. Messtoleranzen von 0,2 mm.
12
Es sei damit zu prüfen, ob die von der Klägerin gemessenen Abweichungen zu Funktionsabweichungen hinsichtlich der Lehre des Klagepatents führten. Die von der Klägerin angewandte Messmethode habe faktisch zur Folge, dass als Bezugspunkt der Punkte O1 und O2 die Rollenmitte anzusetzen sei. Diese Festlegung sei jedoch nicht zwingend. Ausweislich der Beschreibung (Übersetzung S. 11, 3. Abs.) seien die Punkte O1 und O2 im Sinne der technischen Lehre des Klagepatents zwar nicht bestimmt, wohl aber bestimmbar. Diese Lehre beschränke sich insoweit auf die Angabe eines Verhältnisses der Punkte O1 und O2 zueinander und lege deren Lage nur insoweit fest, als sie im Zusammenspiel mit den anderen Merkmalen ihre Funktion noch ausüben könnten. Die im Kettenverlauf angelegte Gerade könne, da sie nach der Auslegung durch den Bundesgerichtshof keine Tangenteneigenschaft im mathematischen Sinn aufweisen müsse, in ihrer Lage variieren, denn der Berührpunkt zu den Kettenrädern verändere sich zwangsläufig, je nachdem, wo die Berührung an der Oberfläche des Zahns beginne. Dementsprechend seien die Punkte O1 und O2 in ihrer Lage auf den Mittellinien in bestimmten Grenzen variabel, und, wann ein ganzzahliges Vielfaches bei einer angegriffenen Ausführungsform mit den nach dem Klagepatent erwünschten technischen Wirkungen vorliege, müsse im Einzelfall nach der Verhältnisangabe im Merkmal f3 geklärt werden.
13
Es sei Sache der Klägerin, die zwar nicht bestimmten, aber bestimmbaren Punkte O1 und O2 entsprechend der Verhältnisangabe nach der Lehre des Klagepatents bei den angegriffenen Ausführungsformen festzulegen. Die von der Klägerin ermittelten tatsächlichen Abweichungen bei den angegriffenen Ausführungsformen seien ohne exakte Bestimmung der Lage der Punkte O1 und O2 dort nach der Lehre des Klagepatents gemessen worden und deshalb nicht aussagekräftig, denn die Messmethode gehe in diesem Fall mit den Rollenmitten von zwei Punkten aus, deren technische Unabdingbarkeit nicht festliege , und die daher eine andere Bestimmungsmethode als die angewandte erfordere.
14
III. Die Ausführungen des Berufungsgerichts bieten keine tragfähige Grundlage für die ausgesprochene Klageabweisung.
15
1. Weiteren Vortrags der Klägerin zur Position der Mitten O1 und O2, bei den angegriffenen Ausführungsformen bedurfte es entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht. Es hätte vielmehr zu prüfen gehabt, ob die Klägerin die Positionen der Mitten O1 und O2 in einer Weise bestimmt und ihren Mes- sungen zugrunde gelegt hat, die der Auslegung der Merkmale f, f1 und f2 durch den Senat entsprach. An diese Auslegung war das Berufungsgericht auch bei Auslegung des Merkmals f3 gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO), weil die Position der Punkte O1 und O2 auf der Winkelhalbierenden in Merkmal f3 nicht neu und anders als in den Merkmalen f, f1 und f2 bestimmt, sondern damit identisch ist. Der eigenständige Sinngehalt des Merkmals f3 beschränkt sich auf die Vorgaben für die Bemessung des Abstands O1 - O2.
16
a) Das Klagepatent bestimmt die Position der Punkte O1 und O2 anhand zweier Parameter. Es legt sie zum einen in die "Mitte" ("the centre") zwischen zwei Zähnen des größeren (O2) bzw. des kleineren (O1) Kettenrads (Merkmale f und f1) und ordnet zum anderen an, dass die Mitte (O2) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des größeren Kettenrads sich auf einer Geraden (Tangente ) befindet, die sich von der Mitte (O1) zwischen einem Paar benachbarter Zähne des kleineren Kettenrads aus entlang des Laufwegs der Antriebskette im Eingriff mit dem kleineren Kettenrad erstreckt. Der Senat hat das Klagepatent im Urteil vom 13. Februar 2007 insoweit dahin ausgelegt, dass sich die Lage der Punkte O1 und O2 aus den Schnittpunkten der Mittellinie zwischen den zwei Zahnpaaren mit einer in Übereinstimmung mit dem Kettenverlauf angelegten Geraden ergebe (aaO Tz. 23).
17
Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Antriebskette realiter keine ideal reduzierte Linie darstellt, sondern einen dreidimensionalen körperlichen Gegenstand mit bestimmten Abmessungen bildet. Als ein solches körperliches Gebilde kann die Kette die besagte Mittellinie dementsprechend an verschiedenen Stellen schneiden, was sich wiederum auf die Länge der Strecke O1 - O2 auswirken kann, je nachdem, wie der Schnittpunkt bestimmt wird. Hinzu kommt, dass die Kette nicht bei jedem Schaltvorgang zwangsläufig immer in gleicher Position vom kleinen Zahnrad abläuft, was wiederum den Verlauf und die Länge der Strecke O1 - O2 beeinflussen kann. Patentanspruch 1 des Klagepatents trifft keine konkreteren Anweisungen zur Lokalisierung der Punkte O1 - O2 und legt es damit in die Hände des Fachmanns, die Position der beiden Punkte zu bestimmen.
18
b) Dass der Anspruch in diesem Punkt offen formuliert ist, wird den Fachmann aus technischen Gründen nicht überraschen. Denn die in der Merkmalsgruppe f zusammengefassten Merkmale gehören - bis auf die Relativierung des Abstands O1 - O2 als ein "jedenfalls im Wesentlichen ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung" - nicht zum kennzeichnenden Teil des Klagepatents , sondern stellen dem Fachmann vertrauten Stand der Kettenschaltungstechnik dar. Die Klagepatentschrift spricht davon, dass die Kettenräder "herkömmlicherweise" so angeordnet werden, dass der Abstand O1 - O2 ein ganzzahliges Vielfaches der Kettenteilung beträgt.
19
c) Bei Festlegung der Bezugspositionen für die Punkte O1 - O2, für die aus fachmännischer Sicht eine gewisse Bandbreite von radialen Positionen der Punkte O1 - O2 in Betracht kommt (vorstehend III 1 a), wird der Fachmann einen standardisierten Mittelwert anstreben, der Gewähr dafür bietet, dass das mit der Auslegung des Abstands der beiden Punkte verfolgte Ziel möglichst oft erreicht wird. Dieses besteht darin, dass der erste Zahn hinter dem Punkt O1 des größeren Kettenrades beim Gangwechsel zum Kettenrad mit dem größeren Durchmesser leicht in Eingriff mit der Antriebskette gebracht wird (Beschr. Sp. 1 Z. 11-30 [Übers. S. 1, 2. Abs.]). Aus fachmännischer Sicht wird es naheliegen, die radialen Positionen der Punkte O1 und O2 so festzulegen, dass sie auf der Mitte zwischen zwei Zähnen des größeren und des kleineren Kettenrads (den Winkelhalbierenden) liegen, und zwar in der Höhe, die bei mittig auf den Zahn- fußausrundungen aufliegender Kette dem Kreismittelpunkt der Kettenrolle entspricht.
20
2. Das Klagepatent sieht für die Einstellung des Abstands O1 - O2 im Unterschied zum Stand der Technik gewisse Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung vor, deren zulässige Größenordnung es durch die Angabe "jedenfalls im Wesentlichen" ("at least substantially") umschreibt. Das Berufungsgericht hat diese Anweisung nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe dahin ausgelegt, dass diese Abweichungen die Fertigungstoleranzen , die es im Anschluss an die Erläuterungen des Sachverständigen auf 0,2 mm bemessen hat, nicht überschreiten. Dagegen wendet die Revision sich ebenfalls zu Recht.
21
a) Das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis, dass die gemäß Merkmal f3 möglichen Abweichungen auf Fertigungstoleranzen begrenzt sein sollen, findet in der Klagepatentschrift keinen Rückhalt. Es sind vielmehr die Ausführungen in der Beschreibung zu dem Problem, dass der Durchmesser der Zahnfußausrundungen größer sein kann, als der Durchmesser der Kettenrollen (elliptische oder Langlochform; vgl. dazu Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]), die Hinweise auf die Größenordnung der Abweichungen geben, die das Klagepatent aus technischen Gründen im Auge hat. Wenn die Kette bei solchen Ausgestaltungen vom kleineren auf das größere Kettenrad versetzt wird, stößt die Rolle am kleineren Kettenrad an der rückwärtigen Oberfläche eines Zahns vor der Rolle in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads an. Die Rolle, die sich in Richtung zum größeren Kettenrad hin bewegt, soll an der vorderen Oberfläche des ersten Zahns (11) in Antriebsdrehrichtung dieses Kettenrads anstoßen, um von deren Zahn gefangen zu werden. Damit das trotz des durch die vergrößerten Zahnfußausrundungen verlängerten Laufwegs der Kette reibungslos gelingt, werden beide Kettenräder so ausgerichtet, dass der Abstand L etwas kleiner als ein ganzzahliges Vielfaches des Lochabstands der Kette (Kettenteilung) ist, (vgl. Sp. 7 Z. 46 ff. [Übers. S. 11, 2. vollständiger Abs.]).
22
Ersichtlich geht es dem Klagepatent mit der Relativierung "jedenfalls im Wesentlichen" also darum, die durch die unterschiedlich weiten Ausformungen der Zahnfußausrundungen auftretenden Differenzen bei der Positionierung der Ritzel durch eine gewisse Abweichung vom exakten Vielfachen der korrespondierenden Zähne zueinander auszugleichen. Außerdem ist aus fachmännischer Sicht zu bedenken, dass die Schaltungstechnik als solche durch einen vergleichsweise groben mechanischen Ablauf - die Kette wird beim Schalten vom kleineren Kettenrad durch mechanische Krafteinwirkung schräg gestellt, bis sie auf dem größeren Ritzel aufliegt - gekennzeichnet ist, der ebenfalls spürbare Abweichungen vom exakten ganzzahligen Vielfachen der Kettenteilung als angemessen erscheinen lassen kann.
23
b) Das Berufungsgericht wird das Merkmal f3 unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erneut auszulegen haben. Bei Würdigung des zur Verletzung vorgetragenen Sachverhalts wird das Berufungsgericht zu beachten haben, ob die Positionierung der Punkte O1 - O2, die diesem Vorbringen zugrunde liegt, im Bereich der nach fachmännischem Verständnis (oben III 1 c) dafür in Betracht kommenden Festlegungen liegt, und die - an sich dem Stand der Technik entnommene und lediglich um die Relativierung "...jedenfalls im Wesentlichen..." ergänzte Merkmalsgruppe f verwirklicht ist, um sich gegebenenfalls dann der Prüfung der Merkmalsgruppe h zuzuwenden.
24
IV. Das Berufungsgericht hat zu der Frage, wann im Patentverletzungsprozess ein Sachverständiger einzuschalten sei, erwogen, ob es, wenn das Patent aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt werde, prozessual erforderlich sei, dass zu den Grundlagen des Verständnisses des Durchschnittsfachmanns, etwa zu seiner Ausbildung und seiner Fachkunde am Prioritätszeitpunkt, von den Parteien vorgetragen werde. Die Instanzentscheidungen in Verletzungsverfahren enthielten regelmäßig keine Feststellungen zu den tatsächlichen Grundlagen, die den (fiktiven) Durchschnittsfachmann in die Lage versetzten, das eine oder andere Verständnis vom Patent und seinen Ansprüchen zu entwickeln. Ob das Verständnis des Durchschnittsfachmanns von einem nicht-technisch besetzten Gericht ohne technische Unterstützung beurteilt werden könne, insbesondere dann, wenn die als Beurteilungsgrundlage für das Verständnis des Schutzrechts erforderlichen Grundlagen von den Parteien nicht vorgetragen worden seien, sei eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Das Patent werde in solchen Fällen zwar aus Sicht des Durchschnittsfachmanns ausgelegt, warum dieser eine bestimmte Sicht habe, bleibe aber weitestgehend ungeklärt. Diese Erwägungen des Berufungsgerichts geben zu den folgenden Ausführungen über die Grundlagen der Patentauslegung Gelegenheit.
25
1. Patentansprüche haben nach der Rechtsprechung des Senats Rechtsnormcharakter (Sen.Beschl. vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; BGHZ 180, 215 Tz. 16 - Straßenbaumaschine ). Deshalb ist es originär richterliche Aufgabe, den objektiven Sinngehalt der mit dem jeweiligen Schutzrecht unter Schutz gestellten Lehre eigenständig durch Auslegung der Patentansprüche - gegebenenfalls unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - zu ermitteln. Darum hat der Senat es in der Vergangenheit beanstandet, wenn das Berufungsgericht sich die vom Sachverständigen "als Durchschnittsfachmann" vorgenommene Auslegung eines Klagepatents ohne erkennbar eigene Wertung zu eigen gemacht und seine Entscheidung darauf gestützt hat, anstatt das Klagepatent selbst auszulegen (BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel; vgl. auch BGHZ 171, 120 - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. v. 12.2.2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 - Mehrgangnabe) oder wenn es sich nicht in der Lage gesehen hat, die Frage der Patentverletzung zu entscheiden, nachdem der gerichtliche Sachverständige erklärt hatte, ein Merkmal des Klagepatents nicht definieren zu können (BGHZ 180, 215 - Straßenbaumaschine).
26
2. Soweit das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil davon spricht, das Patent sei "aus der Sicht des (Durchschnitts-)Fachmanns auszulegen", besteht Anlass zu weiterer Klarstellung. Auch wenn das fachmännische Verständnis der im Patentanspruch verwendeten Begriffe und des Gesamtzusammenhangs des Patentanspruchs Grundlage der objektiven Patentauslegung ist (vgl. etwa Sen.Urt. GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe), heißt das gerade nicht, dass das Gericht lediglich das Sprachrohr des vom Sachverständigen dargelegten fachmännischen Verständnisses ist. Aufgabe des vom Gericht gegebenenfalls zurate gezogenen Sachverständigen ist es vielmehr, wie der Senat vielfach ausgesprochen hat, lediglich, dem Gericht gegebenenfalls die für das Verstehen der unter Schutz gestellten Lehre erforderlichen technischen Zusammenhänge zu erläutern und den erforderlichen Einblick in die Kenntnisse , Fertigkeiten und Erfahrungen der jeweils typischen, im Durchschnitt der beteiligten Kreise angesiedelten Vertreter der einschlägigen Fachwelt einschließlich ihrer methodischen Herangehensweise zu vermitteln. Die hierzu gemachten Angaben fließen in die gerichtliche Auslegung der Patentansprüche lediglich ein (vgl. BGHZ 171, 120 Tz. 18, - Kettenradanordnung I; Sen.Urt. GRUR 2008, 779 Tz. 31 f. - Mehrgangnabe; vgl. zur strukturell ähnlich gelagerten Frage, ob ein Sachverständiger auch dazu befragt werden kann, ob Schäden oder Mängel eines Gebäudes für dessen Eigentümer bzw. Bewohner erkennbar waren BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09). Dagegen zielt die Hinzuziehung des Sachverständigen nicht auf die Beantwortung von Rechtsfragen, was unzulässig wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.2009 - V ZB 84/09 Tz. 10).
27
3. Ob im Hinblick auf die vom Gericht vorzunehmende Auslegung der Patentansprüche ein Sachverständiger hinzugezogen werden muss, hängt zunächst davon ab, ob und gegebenenfalls welchen streitigen Vortrag die Parteien zu tatsächlichen Umständen gehalten haben, die des unmittelbaren Beweises mit zivilprozessual zulässigen Beweismitteln zugänglich sind und als solche für sich oder zusammen mit anderen derartigen Umständen Anhaltspunkte beispielsweise dafür zu geben vermögen, welche technischen Zusammenhänge bedeutsam sein könnten, wer als Durchschnittsfachmann in Betracht zu ziehen sein könnte, welche Ausbildung seine Sicht bestimmen könnte etc. Dies ist dem Beibringungsgrundsatz geschuldet, der im Patentverletzungsprozess beachtet werden muss, weil er als Zivilprozess geführt wird. Fehlt Vortrag der Parteien hierzu, obwohl Angaben zu solchen unmittelbaren Tatumständen erwartet werden können, oder erscheint der gehaltene Vortrag insoweit unvollständig, hat das Gericht außerdem § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu beachten. Es hat dann darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich ausreichend erklären. So werden regelmäßig Angaben dazu verlangt werden können, auf welchem technischen Gebiet die Erfindung liegt, welche Unternehmen auf diesem Gebiet tätig sind, wie die beschäftigten Mitarbeiter ausgebildet sind bzw., ob sie eigene Entwicklungsabteilungen mit besonders geschultem oder erfahrenem Personal unterhalten.
28
Selbst wenn diese oder andere dem unmittelbaren Beweis zugängliche Tatsachen zwischen den Parteien unstreitig sind, kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten sein, weil es Fälle geben kann, in denen die Kenntnis derartiger Tatsachen allein nicht ausreicht, um auf die ihrerseits dem unmittelbaren Beweise nicht zugängliche Sicht des Fachmanns zu schließen oder die technischen Zusammenhänge zuverlässig zu bewerten. Dies bedingt , dass das Verletzungsgericht in jedem Einzelfall eigenverantwortlich prüft, ob es aus diesem Grund einen Sachverständigen hinzuzieht. Die gesetzliche Handhabe hierzu bietet dem Tatrichter § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
29
Im Hinblick darauf, dass bereits die Antwort auf Fragen, welche technischen Zusammenhänge beachtlich sind, und welche fachmännische Sicht zugrunde zu legen ist, ihrerseits nur auf Grund einer Wertung zu finden ist, unterliegt der im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO getroffene Entschluss des Verletzungsgerichts, die Patentansprüche auszulegen, ohne zuvor einen Sachverständigen hinzuzuziehen, jedoch nicht lediglich der Ermessenskontrolle, die bei § 144 Abs. 1 ZPO normaler Weise nur erfolgen darf. Denn als Wertung ist schon die die technischen Zusammenhänge und die Sicht des Fachmanns betreffende Würdigung Teil der die Patentauslegung ausmachenden Bestimmung , wie der betreffende Patentanspruch zu bewerten ist. Damit greift auch insoweit die ständige Rechtsprechung, wonach die Patentauslegung der uneingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt.
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V. Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin eine Verwirklichung der Merkmalsgruppe f in vom Wortsinn abweichender Form nicht geltend gemacht habe. Sie verweist dazu auf Schriftsätze der Klägerin in den Tatsacheninstanzen, in denen die Klägerin sich die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Z. zu eigen gemacht habe, wonach die Merkmalsgruppe f in den angegriffenen Ausführungsformen jedenfalls als Ganzes äquivalent benutzt sein soll.
31
Mit diesem Vorbringen allein wird der geltend gemachte Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts nicht hinreichend dargelegt (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ZPO). Ob der Kläger die Verurteilung (zumindest) wegen Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form begehrt, ist nicht allein eine Frage des Sachvortrags, sondern in erster Linie eine solche der entsprechenden Antragstellung. Aus dem Klageantrag muss sich ergeben, welche Ausführung der Kläger als Verletzungsform angreift. Die Ausführung ist im Hinblick auf die Vorgaben des Patentanspruchs zu beschreiben. Soll eine Ausführungsform als vom erteilten Klagepatent erfasst angegriffen werden, die nach Ansicht des Klägers eine vom Wortsinn abweichende Gestalt aufweist, muss sich aus dem Antrag ergeben, in welcher tatsächlichen Gestaltung sich die Abweichung von den Vorgaben des Patentanspruchs verkörpern soll. Dazu trägt die Revision nichts vor und die im angefochtenen Berufungsurteil enthaltenen Anträge haben in Bezug auf die Merkmalsgruppe f lediglich eine dem Wortsinn des Patentanspruchs entsprechende Verletzungsform zum Gegenstand.
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Ergibt sich aus dem klägerischen Sachvortrag, dass (auch) eine Verletzung des Klagepatents in vom Wortsinn abweichender Form geltend gemacht werden soll, ohne dass dies in den Klageanträgen einen Niederschlag gefunden hat, hat das Tatsachengericht dies im Rahmen der ihm obliegenden Verpflichtung , auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), zu erörtern.
33
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren bemerkt der Senat, dass die Frage einer möglichen Verletzung in vom Wortsinn abweichender Form sich, wenn bei der Auslegung des Merkmals f3 auf Funktions- und nicht lediglich auf Fertigungstoleranzen abgestellt wird, gegebenenfalls anders stellt, als bisher, insbesondere dann, wenn die Funktionstoleranzen erheblich größer zu bemes- sen sind, als die vom Berufungsgericht festgestellten Fertigungstoleranzen. Wenn schon die wortsinngemäße Verletzung eine deutliche Abweichung vom exakt Mehrfachen der Kettenteilung erfasst, bleibt für eine Verletzung unter Benutzung abgewandelter Mittel unter dem Gesichtspunkt zusätzlicher Streckentoleranzen möglicherweise nur noch enger Raum, was sich abschließend aber erst in einer Gesamtschau aller Merkmale beurteilen lässt.

Scharen Asendorf Gröning
Berger Grabinski
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 11.06.2003 - 21 O 21210/00 -
OLG München, Entscheidung vom 20.03.2008 - 6 U 4058/03 -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.