Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2002 - X ZR 157/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin übernahm 1994 die Erstellung der Brandmeldeanlagen für das von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft, errichtete D. in U.. Hierfür hatte die Beklagte zunächst einen Auftrag über einen Festpreis von 39.459,72 DM erteilt. Änderungen und Erweiterungen des Auftrags mußten vereinbarungsgemäß durch den Auftraggeber schriftlich genehmigt werden. In der Fol-
gezeit kam es im Rahmen weiterer Bauabschnitte auf Grund mündlicher Auftragserteilungen durch den damaligen Mitarbeiter L. der Beklagten zu erheblichen Ausweitungen des Leistungsumfangs. Die Klägerin stellte der Beklagten, die hinsichtlich der Montageleistungen und des Zubehörs um Rechnungsstellung an sich selbst gebeten hatte, insgesamt 453.990,70 DM in Rechnung, worauf die Beklagte schlieûlich - teilweise erst nach Klageerhebung - 230.000,-- DM bezahlt hat. Den Differenzbetrag verlangt die Klägerin im vorliegenden Verfahren. Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte in Höhe eines Teilbetrags von 139.581,08 DM nebst Zinsen Erfolg. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Schriftformvereinbarung habe sich nur auf den ersten Bauabschnitt bezogen, nicht aber auf Leistungen in weiteren Bauabschnitten. Diese mögliche tatrichterliche Auslegung des Vertragsinhalts wird von der Revision nicht angegriffen.
II. Das Berufungsgericht meint weiter, die Beklagte, die die Kontakte mit der Klägerin im Zusammenhang mit der Maûnahme ihrem Mitarbeiter L. überlassen habe, habe die Rechnungen teilweise jedenfalls dadurch genehmigt und die Forderungen anerkannt, indem sie erklärt habe, diese beträfen sie und würden durch sie bezahlt.
Dies wird, wie die Revision mit Recht geltend macht, von den getroffenen tatrichterlichen Feststellungen nicht getragen. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, weshalb die Beklagte Anlaû gehabt haben sollte, die Forderungen anzuerkennen. Ebenso fehlt es, wie die Revision ebenfalls mit Recht beanstandet, an Feststellungen, die die Annahme eines Rechtsbindungswillens seitens der Beklagten tragen. Das vom Berufungsgericht herangezogene Schreiben der Beklagten vom 26. Juli 1996 läût sich zwanglos auch dahin verstehen, daû es lediglich der Klärung der Passivlegitimation dienen sollte. Diese naheliegende Möglichkeit hat das Berufungsgericht nicht erwogen.
III. Dem Senat ist eine abschlieûende Beurteilung verwehrt, ob sich das Berufungsurteil aus einem anderen Grund als zutreffend erweist.
1. Nach dem im Tatbestand des Berufungsurteils festgehaltenen Vortrag der Klägerin hat der früher bei der Beklagten beschäftigte Mitarbeiter L. der Klägerin die Aufträge erteilt, aus denen sich die vom Berufungsgericht zuerkannten Forderungen ergeben. Die Beklagte hat dem nur entgegengesetzt, daû der Zeuge zu einer Auftragserteilung nicht bevollmächtigt gewesen sei. Wie sich aus dem im Tatbestand des Berufungsurteils in Bezug genommenen Vorbringen der Beklagten ergibt, hat diese dazu näher ausgeführt, L. sei nicht
zur Vergabe von Aufträgen in dem gegebenen Umfang bevollmächtigt gewesen ; die Gröûe der Beklagten bringe es nämlich mit sich, daû die Unterzeichnungspflicht durch die Geschäftsleitung erst von einem gewissen Volumen an, das sich nach dem Gesamtgewicht des Geschäftsvorfalls bestimme, eintrete, weil der Arbeitsaufwand von der Geschäftsleitung sonst nicht zu bewältigen sei. Das relevante Volumen sei im vorliegenden Fall überschritten worden (GA II 313 f.). Soweit die Beklagte weiter hat vortragen lassen (GA II 316), L. habe im Hinblick auf die Auftragserteilung keinerlei Entscheidungsbefugnisse gehabt , betrifft dies nicht notwendig die Frage der Vertretungsmacht, sondern es kann sich auch allein auf seine Befugnisse im Innenverhältnis beziehen, von denen die Vertretungsmacht grundsätzlich nicht abhängt (vgl. MünchKomm. zum BGB/Schramm, 4. Aufl., § 164 Rdn. 74). Somit ist für das Revisionsverfahren nicht auszuschlieûen, daû die Beklagte eine - von der Klägerin behauptete (GA II 254 f.) - jedenfalls konkludente Bevollmächtigung des Zeugen L. an sich nicht bestritten, sondern lediglich einen ausreichenden Umfang der Vollmacht in Abrede gestellt hat. Daû L. nicht für die Beklagte, sondern für ein anderes Unternehmen tätig geworden sei, worauf sich die Revision stützt, war nicht Gegenstand des Streits im Berufungsverfahren.
2. Sofern, was das Berufungsgericht bei seiner erneuten Befassung zu prüfen haben wird, davon auszugehen ist, daû eine Bevollmächtigung von L. an sich erfolgt war, wird weiter zu prüfen sein, ob sich eine Bevollmächtigung dieses Zeugen für die hier in Frage stehenden Geschäfte aus der in den Tatsacheninstanzen nicht berücksichtigten Bestimmung des § 54 HGB ergibt. Aus dem Vortrag der Beklagten, den sich die Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 21. Juli 1999 (GA II 349 ff.) zu eigen gemacht hat, kann sich ergeben, daû der Zeuge L. als seinerzeitiger Arbeitnehmer der Beklagten (GA
II 316) Aufträge, die der Geschäftsbetrieb der Beklagten als Formkaufmann (§ 3 AktG) mit sich bringt in einem bestimmten, nicht näher bezeichneten Umfang erteilen durfte. Demnach erscheint es als denkbar, daû L. jedenfalls zur Vornahme einzelner zu dem Handelsgewerbe der Beklagten gehöriger Geschäfte ermächtigt war, wozu es einer besonderen Form nicht bedurfte (vgl. nur Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 54 Rdn. 8; Heymann/Sonnenschein, HGB, § 54 Rdn. 7). Eine sich hieraus ergebende Handlungsvollmacht erstreckte sich aber kraft Gesetzes auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt (§ 54 Abs. 1 HGB).
Davon können auch die streitgegenständlichen Aufträge erfaût worden sein. Aus dem Vortrag der Beklagten kann sich ergeben, daû derartige Auftragsvergaben für Alten- und Pflegeheime bei ihr in groûem Umfang vorkamen. Die Beklagte hat selbst darauf verwiesen, daû sie als Generalunternehmerin im Rahmen des Baus zahlreicher Alten- und Pflegeheime im ganzen Bundesgebiet tätig ist; sie hat sich weiter auf die Gröûe ihres Unternehmens und die damit verbundene Menge der täglich anfallenden Geschäftsvorfälle berufen (GA II 313). Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, können aber bei einem groûen Unternehmen auch Vertragsabschlüsse von erheblicher finanzieller Tragweite noch zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb zu rechnen sein, so daû ein Dritter in Ermangelung gegenteiliger Äuûerungen davon ausgehen kann, eine aus schlüssigem Verhalten zu entnehmende Handlungsvollmacht erstrecke sich auf derartige Verträge wie auch auf Rechtsgeschäfte, die ihrer Durchführung dienen (BGH, Urt. v. 8.5.1978 - II ZR 209/76, Betrieb 1978, 2118 f. = GmbHR 1979, 271 f.; Baumbach/Hopt aaO. Rdn. 11; Heymann /Sonnenschein aaO. Rdn. 25 ff.). Auch wenn die in der zunächst geschlossenen Vereinbarung enthaltene Schriftformklausel hieran Zweifel mag
aufkommen lassen haben, ob die in ihrem Umfang erheblichen weiteren Aufträge von L. erteilt werden durften, kann es sich, was das Berufungsgericht zu prüfen haben wird, auch im vorliegenden Fall so verhalten haben, weil diese Zweifel bereits durch den Umstand ausgeräumt sein können, daû sich die Klausel nicht auf die späteren Bauabschnitte bezog, um die es vorliegend noch geht.
3. Die von der Beklagten behauptete Beschränkung der Handlungsvollmacht muû sich die Klägerin nur dann vorhalten lassen, wenn sie diese kannte oder kennen muûte (§ 54 Abs. 3 HGB). Hierzu hat die Beklagte nur geltend gemacht, die Klägerin habe sich infolge der Unterzeichnung des ersten Auftrags durch den Vorstand der Beklagten darüber im klaren sein müssen, daû dieser auch für die weiteren Bauabschnitte ausschlieûlicher Ansprechpartner gewesen sei. Dies ist schon mit dem sonstigen Vortrag der Beklagten schwer vereinbar, nach dem nur für Geschäfte einer bestimmten Gröûenordnung eine Einschaltung des Vorstands vorgesehen war. Zudem hat die Beklagte nicht vorgetragen, daû sie die Beschränkung der Vollmacht in irgendeiner Weise nach auûen verlautbart habe. Auf dieser Grundlage ist weder die Annahme einer positiven Kenntnis einer beschränkten Vollmacht des Mitarbeiters L. noch die einer fahrlässigen Nichtkenntnis gerechtfertigt (vgl. Baumbach/Hopt aaO. Rdn. 19; Heymann/Sonnenschein aaO. Rdn. 37 m.w.N.).
IV. Das Berufungsgericht wird nach alledem Gelegenheit haben, unter Berücksichtigung etwaigen weiteren Vortrags der Parteien, insbesondere zu
dem bisher nicht berücksichtigten Gesichtspunkt einer Handlungsvollmacht, die Frage neu zu prüfen, ob sich die Beklagte das Handeln ihres Mitarbeiters L. zuzurechnen lassen hat.
Melullis Jestaedt Scharen
Keukenschrijver Asendorf
Annotations
(1) Ist jemand ohne Erteilung der Prokura zum Betrieb eines Handelsgewerbes oder zur Vornahme einer bestimmten zu einem Handelsgewerbe gehörigen Art von Geschäften oder zur Vornahme einzelner zu einem Handelsgewerbe gehöriger Geschäfte ermächtigt, so erstreckt sich die Vollmacht (Handlungsvollmacht) auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
(2) Zur Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozeßführung ist der Handlungsbevollmächtigte nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis besonders erteilt ist.
(3) Sonstige Beschränkungen der Handlungsvollmacht braucht ein Dritter nur dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie kannte oder kennen mußte.
(1) Die Aktiengesellschaft gilt als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens nicht im Betrieb eines Handelsgewerbes besteht.
(2) Börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes sind Gesellschaften, deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist.
(1) Ist jemand ohne Erteilung der Prokura zum Betrieb eines Handelsgewerbes oder zur Vornahme einer bestimmten zu einem Handelsgewerbe gehörigen Art von Geschäften oder zur Vornahme einzelner zu einem Handelsgewerbe gehöriger Geschäfte ermächtigt, so erstreckt sich die Vollmacht (Handlungsvollmacht) auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
(2) Zur Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozeßführung ist der Handlungsbevollmächtigte nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis besonders erteilt ist.
(3) Sonstige Beschränkungen der Handlungsvollmacht braucht ein Dritter nur dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie kannte oder kennen mußte.