Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2004 - VI ZR 342/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Ehemann der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall getötet, für den die Beklagten voll haften. Die Beklagte zu 2 zahlt der Klägerin zusätzlich zu deren Witwenrente einen monatlichen Schadensersatzbetrag von 853,58 DM.Mit der Klage macht die Klägerin die Zahlung eines weiteren monatlichen Betrages von 2.354,70 DM bzw. die bei Ansatz dieses Betrages sich für die Vergangenheit ergebenden Rückstände geltend. Das Berufungsgericht hat die weiter geltend gemachten Ansprüche zum Teil zugesprochen und die Beklagten u.a. als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin über den bereits anerkannten Betrag von 853, 60 DM hinaus beginnend ab dem 1. September 2001 monatlich weitere 407, 95 übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Klägerin hat ihre Nichtzulassungsbeschwerde vor Einreichung einer Begründung zurückgenommen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Senat die Revision insoweit zugelassen, als die Beklagten verurteilt worden sind, über den 8. Dezember # %$ 2008 hinaus an die Klägerin monatlich weitere 407, 95 ! " evision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag im Umfang der Zulassung weiter.
Entscheidungsgründe
Soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung einer weiteren monatlichen Rente über den Zeitpunkt hinaus wendet, zu welchem der Getötete das 65. Lebensjahr vollendet hätte, ist ihre Revision begründet. 1. Nach §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 2 BGB hat der Schädiger dem Geschädigten bei Vorliegen der vom Berufungsgericht festgestellten weiteren Voraussetzungen insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet
gewesen wäre. Dies zwingt den Richter zu einer Prognose, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten. Er muß daher gemäß § 287 ZPO eine vorausschauende Betrachtung vornehmen , in die er alle voraussehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der (hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen , wäre er noch am Leben, einzubeziehen hat. Dabei hat der Tatrichter bei der Festsetzung der Unterhaltsrente für die Zukunft sämtliche für die Bemessung dieser Rente im Bezugszeitraum zukünftig maßgebend werdenden Faktoren zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 24. April 1990 - VI ZR 183/89 - VersR 1990, 907 und vom 4. November 2003 – VI ZR 346/02 – VersR 2004, 75, 77 m.w.N.). Im Hinblick darauf beanstandet die Revision zu Recht, daß das Berufungsgericht die Schadensersatzrente ohne zeitliche Befristung auf der Grundlage des zuletzt erzielten Nettoeinkommens des Getöteten zugesprochen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist in Anwendung der oben genannten Grundsätze eine Verdienstausfallrente auf die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Verletzten, wie sie sich ohne den Unfall gestaltet hätte, zu begrenzen. Dabei ist derzeit grundsätzlich bei einem nicht selbständig Tätigen auf den gesetzlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorgesehenen Eintritt in den Ruhestand abzustellen (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 1995 - VI ZR 165/94 - VersR 1995, 1321; vom 26. September 1995 - VI ZR 245/94 - VersR 1995, 1447, 1448; vom 28. November 2000 - VI ZR 386/99 - VersR 2001, 730, 731 und vom 5. November 2002 - VI ZR 256/01 - GesR 2003, 84 f.). In gleicher Weise ist bei dem Anspruch auf Entrichtung einer Geldrente wegen der Tötung eines Dritten zu berücksichtigen, daß sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs mit dem voraussichtlichen Ausscheiden des Getöteten aus dem Erwerbsleben verändert und der Schadensersatzrente ab diesem Zeitpunkt nicht
mehr das zuletzt erzielte Nettoeinkommen des Getöteten zugrundegelegt werden kann. Da der getötete Ehemann der Klägerin am 8. Dezember 1943 geboren ist, hätte das Berufungsgericht demnach mit Ablauf des Monats Dezember 2008 für die Höhe der Geldrente nicht mehr auf dessen fiktives Nettoeinkommen abstellen dürfen. 2. Die Revision macht überdies mit Erfolg geltend, daß das Berufungsgericht die Geldrente nicht auf die Zeit begrenzt hat, in der der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens unterhaltspflichtig gewesen wäre. Diese mutmaßliche Lebenserwartung ist gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu schätzen, wobei insbesondere die allgemeine Lebenserwartung der durch das Lebensalter gekennzeichneten Personengruppe, der der Betroffene angehört, und dessen besondere Lebens- und Gesundheitsverhältnisse zu berücksichtigen sind (vgl. Senatsurteil vom 25. April 1972 - VI ZR 134/71 - NJW 1972, 1515, 1516 f.). Beim Fehlen individueller Anhaltspunkte kann auf die vom statistischen Bundesamt herausgegebene zeitnächste "Sterbetafel" oder anderes möglichst zeitnah zum Todeszeitpunkt erhobenes statistisches Material abgestellt werden (vgl. OLG Hamm MDR 1998, 1414 f.). Der geschätzte Zeitpunkt der mutmaßlichen Lebenserwartung und die dementsprechende zeitliche Begrenzung der Leistungsverpflichtung der Beklagten ist im Urteil kalendermäßig anzugeben (vgl. RGZ 128, 218; Senatsurteil vom 17. Dezember 1985 - VI ZR 155/84 - VersR 1986, 463, 465).
3. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zur Veränderung der Unterhaltspflicht beim voraussichtlichen Ausscheiden des Getöteten aus dem Erwerbsleben und zu dessen mutmaßlicher Lebenserwartung zu treffen.
Müller Wellner Diederichsen Pauge Stöhr
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.
(2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.
(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.