Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2008 - III ZR 282/07

published on 13/03/2008 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2008 - III ZR 282/07
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Previous court decisions
Amtsgericht Waiblingen, 9 C 2032/06, 21/03/2007
Landgericht Stuttgart, 5 S 90/07, 29/10/2007

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 282/07
Verkündet am:
13. März 2008
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB entfällt nicht nur bei Bereicherungsansprüchen
, die sich gegen die Initiatoren eines "Schenkkreises"
richten, sondern allgemein bei allen Zuwendungen im Rahmen
derartiger Kreise, ohne dass es auf eine einzelfallbezogene Prüfung der
Geschäftsgewandtheit und Erfahrenheit des betroffenen Gebers oder
Empfängers ankommt (Fortführung des Senatsurteils vom
10. November 2005 - III ZR 72/05 = NJW 2006, 45).
BGH, Urteil vom 13. März 2008 - III ZR 282/07 - LG Stuttgart
AG Waiblingen
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dr. Herrmann und Wöstmann

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2007 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsrechtszugs haben die Klägerin 25 v.H. und die Beklagte 75 v.H. zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Parteien beteiligten sich im Frühjahr 2004 an einem sogenannten "Schenkkreis". Diese Schenkkreise sind nach Art einer Pyramide organisiert; sie bestehen aus "Charts" zu jeweils 15 Plätzen, wobei jeder Platz mit mindestens zwei Mitspielern besetzt ist. An der Spitze steht ein Platz auf der Empfängerposition. Auf der zweiten Stufe stehen zwei, auf der dritten vier und auf der vierten , letzten Stufe acht Plätze, jeweils in Geberposition. Die auf der vierten Stufe stehenden Mitspieler leisten ihre "Schenkungen" an die in der Spitzenposition stehenden Mitglieder. Sobald diese sämtliche Zuwendungen von den auf der vierten Stufe stehenden Spielern erhalten haben, scheiden sie aus dem Spiel aus. Es werden sodann durch Aufteilung zwei neue Charts gebildet, an deren Spitze die beiden Plätze der bisherigen Stufe zwei treten. Die zweiten Stufen der neu gebildeten Charts werden von jeweils zwei der vier Positionen der dritten Stufe des Ursprungscharts besetzt. Die neu gebildeten dritten Stufen bestehen aus jeweils vier der acht Positionen der letzten Stufe des Ursprungscharts. Diesen Mitspielern obliegt es sodann, jeweils neue Mitspieler für acht Positionen der neu zu bildenden vierten Stufen der neuen Charts zu werben, so dass die volle Teilnehmerzahl von jeweils 15 Plätzen für die neuen Charts erreicht wird.
2
Die Klägerin leistete zwei "Schenkungen" in Höhe von jeweils 2.500 € an die Beklagte, die damals die Empfängerposition an der Spitze des betreffenden Charts innehatte. Sie verlangt diesen Einsatz nunmehr von der Beklagten zurück.
3
Das Amtsgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt ; das Landgericht hat die Verurteilung der Beklagten unter Berücksichtigung einer Hilfsaufrechnung auf 3.750 € nebst Zinsen herabgesetzt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin hat sich der Revision angeschlossen und erstrebt weiterhin die volle Verurteilung der Beklagten.

Entscheidungsgründe


4
Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin sind zulässig, aber jeweils nicht begründet.
I. Die Revision der Beklagten
5
Beide Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB - Leistungskondiktion) ein Anspruch auf Rückgewähr der geleisteten "Schenkungen" zusteht.
6
1. Diese Zuwendungen waren wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) nichtig. Bei den Schenkkreisen handelt es sich um ein Schneeballsystem, welches darauf angelegt ist, dass die ersten Mitglieder einen (meist) sicheren Gewinn erzielen , während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muss, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine neuen Mitglieder mehr geworben werden können. Dies verstößt - wie in der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist - gegen die guten Sitten (vgl. insbesondere Senatsurteil vom 10. November 2005 - III ZR 72/05 = NJW 2006, 45, 46 Rn. 9; ferner OLG Köln NJW 2006, 3288, 3289; jeweils m.w.N.). Das wird auch von der Revision nicht in Abrede gestellt.
7
2. Die Leistungen der Klägerin an die Beklagte sind somit ohne Rechtsgrund erbracht worden. Der hierauf gestützte Bereicherungsanspruch scheitert entgegen der Annahme der Revision nicht an § 817 Satz 2 BGB.
8
a) Zwar ist davon auszugehen, dass beide Parteien, also sowohl die Klägerin als Leistende als auch die Beklagte als Leistungsempfängerin, durch die Teilnahme am "Schenkkreis" gegen die guten Sitten verstoßen haben. Indessen sprechen der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (§ 138 Abs. 1 BGB) hier - ausnahmsweise - gegen eine Kondiktionssperre gemäß § 817 Satz 2 BGB (siehe in diesem Sinne insbesondere Senatsurteil vom 10. November 2005 aaO S. 46 Rn. 11 m.w.N.).
9
b) Der Schenkkreis zielte allein darauf ab, zugunsten einiger weniger "Mitspieler" leichtgläubige und unerfahrene Personen auszunutzen und sie zur Zahlung des "Einsatzes" zu bewegen. Einem solchen sittenwidrigen Verhalten steuert § 138 BGB entgegen, indem er für entsprechende Vereinbarungen Nichtigkeit anordnet. Dies würde aber im Ergebnis konterkariert, und die Initiatoren solcher "Spiele" würden zum Weitermachen geradezu eingeladen, wenn sie die mit sittenwidrigen Methoden erlangten Gelder - ungeachtet der das "Spiel" tragenden sozialschädlichen Abreden - behalten dürften.
10
c) Dementsprechend hat der Senat bereits im Urteil vom 10. November 2005 (aaO Rn. 12) entschieden, dass jedenfalls die Initiatoren derartiger Kreise dem Anspruch auf Rückerstattung der sittenwidrig erlangten Zuwendungen die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB nicht entgegenhalten können. Die Entscheidung hat im wissenschaftlichen Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (Möller, NJW 2006, 268; Armgardt, NJW 2006, 2070; Karsten Schmidt, JuS 2006, 265; differenzierend Schmidt-Recla, JZ 2008, 60), ist allerdings bei manchen Amtsgerichten auf Widerspruch gestoßen (z.B. AG Siegburg NJW-RR 2007, 1431). Der Senat sieht keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzugehen. Vielmehr sind entgegen der Auffassung der Revision und in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Köln (NJW 2006, 3288 f) die Grundsätze jener Senatsentscheidung auch zu Lasten solcher Bereicherungsschuldner anzuwenden, die nicht zu den Initiatoren des "Schenkkreises" zählen (so auch Staudinger/Lorenz, BGB [Neubearbeitung 2007] § 817 Rn. 10). Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise kann es daher nicht auf eine einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahren- heit des betroffenen Gebers oder Empfängers ankommen (gegen SchmidtRecla aaO S. 67). Innerhalb der Leistungskondiktion ist vielmehr maßgebend der Schutzzweck der jeweiligen nichtigkeitsbegründenden Norm, welcher durch den Kondiktionsausschluss nicht dadurch konterkariert werden darf, dass der durch sie zu verhindernde sittenwidrige Zustand perpetuiert oder weiterem sitten - und verbotswidrigen Handeln Vorschub geleistet würde (Staudinger/Lorenz aaO m.w.N.). Im Übrigen entstände, wie die Revisionserwiderung mit Recht geltend macht, ein Wertungswiderspruch, wenn allein bei den Initiatoren oder den Spielern auf der ursprünglichen Empfängerposition die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB aufgehoben wäre. Dadurch wären nämlich die Teilnahme an Schenkkreisen der vorliegenden Art für die Mitspieler auf der zweiten und dritten Stufe höchst profitabel, weil sie die von ihnen zuvor verschenkten Beträge zurückverlangen könnten, während ihnen die von Teilnehmern der folgenden Stufen gezahlten Beträge dauerhaft verbleiben würden (so auch OLG Köln aaO).
11
3. Der vorstehenden, § 817 Satz 2 BGB einschränkenden Wertung steht nicht entgegen, dass das aufgrund eines Spiels Geleistete gemäß § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zurückgefordert werden kann. Diese Vorschrift greift nur dann Platz, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist die "Spielvereinbarung" - wie hier - gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, gelten die allgemeinen Regeln (§ 812 ff BGB; Senatsurteil vom 10. November 2005 aaO Rn. 13 m.zahlr.w.N.).
II. Die Anschlussrevision der Klägerin
12
Das Berufungsgericht hat in Höhe eines Betrages von 1.250 € die Hilfsaufrechnung der Beklagten durchgreifen lassen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Anschlussrevision können keinen Erfolg haben.
13
1. Die Aufrechnung beruhte darauf, dass die Klägerin ihrerseits von einer weiteren Teilnehmerin eines "Schenkkreises" eine Zuwendung in Höhe von 1.250 € erhalten hatte. Den Rückforderungsanspruch jener anderen Mitspielerin hatte sich die Beklagte abtreten lassen.
14
Die a) Auslegung der schriftlichen Abtretungserklärung vom 30. März 2007 als Vollabtretung und nicht lediglich als Einziehungsermächtigung hält sich im Rahmen revisionsrechtlich nicht zu beanstandender tatrichterlicher Würdigung.
15
b) Dementsprechend stand jener anderen Mitspielerin gegen die Klägerin ihrerseits ein Bereicherungsanspruch auf Rückerstattung dieser Zuwendung zu. Es gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie für den Bereicherungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.
16
2. Das Vorbringen der Anschlussrevision über einen angeblich sittenwidrigen Hintergrund des Rechtsverhältnisses zwischen jener anderen Mitspielerin und der Beklagten ist unerheblich. Es würde zumindest für die Klägerin keinen Rechtsgrund dafür bieten können, die sittenwidrig erlangte "Schenkung" nunmehr doch behalten zu dürfen.
Schlick Wurm Kapsa
Herrmann Wöstmann
Vorinstanzen:
AG Waiblingen, Entscheidung vom 21.03.2007 - 9 C 2032/06 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 29.10.2007 - 5 S 90/07 -
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(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mi

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, we
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Annotations

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

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(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.

(1) Durch Spiel oder durch Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.

(2) Diese Vorschriften gelten auch für eine Vereinbarung, durch die der verlierende Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Spiel- oder einer Wettschuld dem gewinnenden Teil gegenüber eine Verbindlichkeit eingeht, insbesondere für ein Schuldanerkenntnis.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.