Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2017 - 5 StR 8/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR8.17.0
28.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: nein
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Neben lebenslanger Freiheitsstrafe, auch bei Feststellung besonderer
Schuldschwere, ist die fakultative Anordnung der
Sicherungsverwahrung zulässig.
BGH, Urteil vom 28 Juni 2017 – 5 StR 8/17
LG Potsdam –
ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR8.17.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 8/17
vom 28. Juni 2017 in der Strafsache gegen

wegen Mordes u.a.

ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR8.17.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2017, an der teilgenommen haben: Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt N. , Rechtsanwalt Sp. als Verteidiger,
Rechtsanwältin N. als Vertreterin der Nebenklägerin St. ,
Rechtsanwalt M. als Vertreter der Nebenklägerin A. J. ,
Rechtsanwalt Sc. als Vertreter der Nebenkläger M. und K. J. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. Juli 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, je1 weils in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung mit Todesfolge und Körperverletzung, in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und Vergewaltigung, im anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Ferner hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen. Mit ihrer auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision beanstandet die
Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
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Der zur Tatzeit 32 Jahre alte Angeklagte verfügte kaum über soziale
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Kontakte. Er fühlte sich sexuell zu Frauen hingezogen. Es gelang ihm jedoch nicht, eine Paarbeziehung einzugehen. Er betrachtete regelmäßig Pornofilme, in denen Frauen erniedrigt und gewaltsam penetriert wurden. Kinderpornographie konsumierte er nicht. Seine Bedürfnisse nach Nähe und Sexualität befriedigte er an einer Puppe, die einem fünf bis sechsjährigen Kind ähnlich war. Er simulierte an ihr den Geschlechts- und Oralverkehr und filmte sich dabei.
Dem Angeklagten genügte diese Art der Bedürfnisbefriedigung schließ4 lich nicht mehr. Er beschloss, ein Kind zu entführen und seine sexuellen Wünsche an ihm auszuleben. Detailliert und teils schriftlich festgehalten plante er die Tat. Er deponierte im Auto Spielzeug und Gummibärchen, womit er Kinder anlocken wollte. In eine Tasche packte er Chloroform, ein Schlafmittel und eine Vielzahl von Fesselungswerkzeugen, um die Kinder zu überwältigen und ihnen jede Möglichkeit zur Gegenwehr zu nehmen. Zumindest seit Juli 2015 suchte er nach einem unbeaufsichtigten Kind, das er in seine Gewalt bringen und sexuell missbrauchen wollte. Es war ihm bewusst, dass er es nach dem Missbrauch werde töten müssen, um eine Entdeckung zu verhindern. In Umsetzung dieser Pläne tötete der Angeklagte zwei Kinder.
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Am 8. Juli 2015 lockte er einen sechsjährigen Jungen in sein Auto und betäubte ihn. Er fuhr mit ihm an einen unbekannten Ort, wo er ihn fesselte und über mehrere Stunden hinweg gewaltsam oral sowie anal sexuell missbrauchte. Spätestens am 9. Juli 2015 erstickte er ihn. Den Leichnam vergrub er auf einem Gartengrundstück.
Am 1. Oktober 2015 erschlich er auf dem Gelände des Landesamts für
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Gesundheit und Soziales („LaGeSo“) in Berlin das Vertrauen des vierjährigen Sohnes einer Asylbewerberin und entführte ihn. In dem Haus, das er mit seinen Eltern bewohnte, missbrauchte er auch diesen Jungen mehrere Stunden lang sexuell. Die Tat filmte er mit dem Mobiltelefon. Als er die Entdeckung fürchtete, beschloss er, den Jungen zu töten. Er würgte ihn, bis er annahm, er sei tot. Als der Junge gleichwohl zu weinen begann, betäubte er ihn mit Chloroform und erdrosselte ihn mit einem Gürtel. Den Leichnam bewahrte er bis zu seiner Wochen später erfolgten Festnahme abgedeckt mit Katzenstreu in einer Plastikwanne auf.
2. Das Landgericht hat für beide Taten jeweils lebenslange Freiheitsstra7 fe verhängt und den Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld hat es festgestellt. Sachverständig beraten hat es jedoch die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Die materiellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 StGB seien nicht gegeben, weil ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten und in der Folge die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit nicht hätten festgestellt werden können.
Die Schwurgerichtskammer hat ihre Wertung auf das Gutachten des
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psychiatrischen Sachverständigen gestützt. Dieser hatte ausgeführt, er könne mangels ausreichend breiter Beurteilungsbasis nicht wissenschaftlich fundiert abschätzen, ob beim Angeklagten ein eingeschliffener Zustand vorliege, der ihn immer wieder Straftaten begehen lasse. Die in sozialer Isolierung entwickelte Empathielosigkeit des Angeklagten sei kein „überdauerndes unkorrigierbares Konstrukt“. Deswegen könne auch in der Begehung der zweiten Tat noch kein Ausdruck eines Hangs gesehen werden. Es fehle an einem hierauf hindeutenden Vorleben des Angeklagten, das etwa durch das Quälen und/oder Töten von Tieren gekennzeichnet sei. Jedenfalls bestehe kein symptomatischer Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der selbstunsicheren Persönlichkeits- störung des Angeklagten. Der Weg zu den Taten sei für diesen kein „pathologischer“ gewesen. Deshalb könne auch keine bestimmte Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer Taten prognostiziert werden.

II.


Der Revision der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg nicht versagt.
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1. Die Revisionsbeschränkung auf den (unterbliebenen) Maßregelaus10 spruch ist wirksam. Bereits in Anbetracht der verhängten absoluten Einzelstrafen kann ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Strafausspruch und der Maßregelentscheidung ausgeschlossen werden. Dies gilt angesichts des menschenverachtenden Tatbildes auch für die Feststellung besonderer Schuldschwere.
2. Der Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Frei11 heitsstrafe stehen Rechtsgründe nicht entgegen.

a) Mit dem Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwah12 rung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3344) hat der Gesetzgeber in den Absät- zen 1, 2, 3 Satz 1 und 2 des § 66 StGB das bis dahin jeweils dem Wort „Frei-
heitsstrafe“ vorangestellte Adjektiv „zeitiger“ gestrichen. Dies geschah, um den Gerichten eine Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 14/8586, S. 5 f.; 14/9041, S. 1). Der Gesetzgeber hat damit Hinweise in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aufgegriffen, in denen der nach vormaligem Recht geltende Ausschluss der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe als „sachlich bedenklich“ bezeichnet worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2002 – 2 StR 62/02, NJW2002, 3559; Urteile vom 21. März 2000 – 5 StR 41/00, NStZ 2000, 417, 418; vom 23. August 1990 – 4 StR 306/90, BGHSt 37, 160,

161).


In Anbetracht der eindeutigen Gesetzesfassung und des dahinterstehen13 den gesetzgeberischen Willens entspricht es der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung – trotz geringer praktischer Auswirkungen – zur Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe hinzutreten kann, ohne dass dem die Maßgaben der Erforderlichkeit oder der Verhältnismäßigkeit entgegenstehen würden (eingehend BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, BGHSt 59, 56, 62 ff.). Das betrifft sowohl die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, aaO) als auch die hier in Frage stehende, von der vorgenannten Gesetzesänderung gleichfalls umfasste fakultative Anordnung der Maßregel gemäß § 66 Abs. 2 oder 3 StGB (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12 Rn. 5 f.; vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 – 2 StR 325/12 Rn. 2 f.; vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207 f.). Soweit in den zuletzt zitierten Entscheidungen die Unerlässlichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verneint bzw. in Zweifel gezogen wurde, ist dies durch den vom Bundesverfassungsgericht für die
Übergangszeit bis zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes im Recht der Sicherungsverwahrung vorgegebenen strikten Prüfungsmaßstab bedingt (BVerfGE 128, 326). Dieser strikte Prüfungsmaßstab ist aufgrund der Neufassung der einschlägigen Regelungen durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) für nach dessen Inkrafttreten begangene Anlasstaten aber nicht mehr anwendbar (vgl. Art. 316f Abs. 1 EGStGB).

b) Die Novellierung des Rechts der Sicherungsverwahrung durch das
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genannte Gesetz gibt keinen Anlass, die Frage anders zu beurteilen. Auch nach neuem Recht bleibt es aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers dabei, dass die (obligatorische und fakultative) Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe – auch bei Annahme besonderer Schuldschwere (aA Fischer, StGB, 64. Aufl., § 66 Rn. 74) – gesetzlich zulässig ist. Es kommt namentlich hinzu, dass auch der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte im Fall zusätzlicher Anordnung der Sicherungsverwahrung an der privilegierten Ausgestaltung des Strafvollzugs gemäß § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB teilnimmt, die ihm eine besondere Betreuung gewährt (im Einzelnen BT-Drucks. 17/9874 S. 18). Er steht auf diese Weise, was den Vollzug der Strafe anbelangt, besser als ein „nur“ zu lebenslanger Freiheitsstra- fe Verurteilter (zu denkbaren vollzugsöffnenden Maßnahmen trotz der Verweisung des § 66c Abs. 2 nur auf § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB vgl. etwa MüKoStGB /Ullen-bruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66c Rn. 70; SSWStGB /Jehle, 3. Aufl., § 66c Rn. 21, jeweils mwN). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erscheint deshalb die mit der Sanktionskumulation verbundene Belastung des Verurteilten in einem milderen Licht. Unter dem Blickwinkel der Erforderlichkeit war es womöglich Intention des Gesetzgebers, zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, die aufgrund des bei ihnen festgestellten Hangs zur Begehung erheblicher Straftaten besonderer Therapie bedürfen, die Maßnahmen nach § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht vorzuenthalten. Entsprechendes gilt für die durch § 67a Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 StGB geschaffene Möglichkeit der nachträglichen Überweisung in eine Maßregel nach §§ 63 oder 64 StGB bereits aus dem Strafvollzug heraus (dazu BT-Drucks. 17/9874 S. 18 f.).
3. Die Nichtanordnung der danach vorliegend in Betracht kommenden
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Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht ist zwar im Ansatz von einem zutreffenden Verständnis des Merkmals des Hangs ausgegangen. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Urteile vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14 Rn. 29; vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09 Rn. 4, jeweils mwN) hat es jedoch teilweise einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angewendet und nicht alle relevanten Umstände erkennbar erwogen.

a) Durchgreifende Bedenken bestehen, soweit die Schwurgerichtskam16 mer der Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen folgend darauf abgestellt hat, dass kein symptomatischer Zusammenhang zwischen der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und den Anlasstaten gegeben , der Weg zu den Taten für diesen also kein „pathologischer“ gewesen sei. Diese Wendungen lassen besorgen, dass das Landgericht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht hinreichend beachtet hat, wonach es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zur Begehung von Straftaten nicht ankommt (vgl. BGH, Urteile vom 12. Dezember 1979 – 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055; vom 16. Januar 2014 – 4 StR 496/13, NStZ 2014, 203, 206, jeweils mwN). Anders als die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB setzt die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen symp-
tomatischen Zusammenhang zwischen einem etwaigen psychischen Defekt des Angeklagten und den von ihm begangenen Taten voraus. Vielmehr muss den Anlasstaten Symptomwert hinsichtlich des festzustellenden Merkmals des Hangs beizumessen sein. Dass eine Persönlichkeitsstörung und eine damit einhergehende Neigung zur Begehung erheblicher Straftaten den Indizwert verstärken kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 509/09, NStZ-RR 2010, 238, 239), bleibt davon unberührt.

b) Im Ergebnis zutreffend weist der Generalbundesanwalt ferner darauf
17
hin, dass die sehr knappe Gesamtwürdigung des Landgerichts eine genügende Auseinandersetzung mit den näheren Gegebenheiten der durch den Angeklagten in rascher Folge begangenen schweren Straftaten vermissen lässt. Insbesondere hatte der Angeklagte die Taten bis in die Details hinein geplant und zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse in menschenverachtender Weise sowie geprägt von völliger Empathielosigkeit durchgeführt. Das hat sich im Nachtatverhalten fortgesetzt. Diese Umstände hätten auch eingedenk der zuvor bestehenden Straflosigkeit des Angeklagten sorgfältiger Gewichtung bedurft (vgl. etwa BGH, Urteile vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 388; vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204, 205; siehe auch Beschluss vom 9. Juni 2010 – 1 StR 187/10, insoweit in NStZ 2010, 650 nicht abgedruckt).
4. Die Sache bedarf deshalb hinsichtlich der Anordnung der Sicherungs18 verwahrung neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die danach durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Sofern das neue Tatgericht die Anwendungsvoraussetzungen des § 66
19
Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 StGB als gegeben ansehen sollte, wird es im Rahmen der dann zu treffenden Ermessensentscheidung namentlich zu erwä- gen haben, welche Wirkungen ein langer Strafvollzug sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters des noch recht jungen und nach den Ausführungen des Sachverständigen im Grundsatz therapiefähigen Angeklagten erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen haben werden und ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung unter diesen Umständen trotzdem angezeigt ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1996 – 4 StR 752/95, NStZ 1996, 331, 332; vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196, 198; MüKo-StGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 153 mwN). Das gilt in verstärktem Maße bei der hier verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe unter Annahme besonderer Schuldschwere. Wenn sich etwa wegen Therapieerwartungen im Regelvollzug belegen lässt, dass eine konkrete Chance zur Reduzierung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit besteht, kann von der Verhängung der Maßregel abzusehen sein (MüKo-StGB/Ullenbruch /Drenkhahn/Morgenstern, aaO mwN). Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass dem Verurteilten bei zusätzlicher Anordnung der Sicherungsverwahrung die in § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1, § 67a Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 StGB bezeichneten Möglichkeiten eröffnet werden.
Sander Dölp König
Berger Mosbacher

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgt in Einrichtungen, die

1.
dem Untergebrachten auf der Grundlage einer umfassenden Behandlungsuntersuchung und eines regelmäßig fortzuschreibenden Vollzugsplans eine Betreuung anbieten,
a)
die individuell und intensiv sowie geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die auf den Untergebrachten zugeschnitten ist, soweit standardisierte Angebote nicht Erfolg versprechend sind, und
b)
die zum Ziel hat, seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder sie für erledigt erklärt werden kann,
2.
eine Unterbringung gewährleisten,
a)
die den Untergebrachten so wenig wie möglich belastet, den Erfordernissen der Betreuung im Sinne von Nummer 1 entspricht und, soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen, den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst ist, und
b)
die vom Strafvollzug getrennt in besonderen Gebäuden oder Abteilungen erfolgt, sofern nicht die Behandlung im Sinne von Nummer 1 ausnahmsweise etwas anderes erfordert, und
3.
zur Erreichung des in Nummer 1 Buchstabe b genannten Ziels
a)
vollzugsöffnende Maßnahmen gewähren und Entlassungsvorbereitungen treffen, soweit nicht zwingende Gründe entgegenstehen, insbesondere konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, der Untergebrachte werde sich dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entziehen oder die Maßnahmen zur Begehung erheblicher Straftaten missbrauchen, sowie
b)
in enger Zusammenarbeit mit staatlichen oder freien Trägern eine nachsorgende Betreuung in Freiheit ermöglichen.

(2) Hat das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Urteil (§ 66), nach Vorbehalt (§ 66a Absatz 3) oder nachträglich (§ 66b) angeordnet oder sich eine solche Anordnung im Urteil vorbehalten (§ 66a Absatz 1 und 2), ist dem Täter schon im Strafvollzug eine Betreuung im Sinne von Absatz 1 Nummer 1, insbesondere eine sozialtherapeutische Behandlung, anzubieten mit dem Ziel, die Vollstreckung der Unterbringung (§ 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) oder deren Anordnung (§ 66a Absatz 3) möglichst entbehrlich zu machen.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 124/13
vom
24. Oktober 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHR: zu § 66 Abs. 1 StGB, nur zu II. 2.
BGHSt: nur zu II. 2.
Veröffentlichung: ja
____________________________
EGStGB § 316f Abs. 2 Satz 1
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 Absatz 1 StGB (in der nach
Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai
2011 - 2 BvR 2365/09 - anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Neuordnung
des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom
22. Dezember 2010) neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist zulässig.
BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013,
Staatsanwalt bei der Verkündung am 24. Oktober 2013
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013
als Verteidiger,
Rechtsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013
als Vertreter der Nebenklägerin J. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Dezember 2012 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Zugleich hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat zur Sache im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Der am 19. März 2012 aus der Strafhaft wegen einer Sexualstraftat entlassene Angeklagte lockte am Vormittag des 28. Mai 2012 die ihm unbekannte O. unter einem Vorwand in seine Wohnung, um sie dort zu vergewaltigen. O. war 58 Jahre alt, zierlich und litt an einer geistigen Behinderung. Nachdem die Geschädigte nichtsahnend das Haus und die Wohnung des Angeklagten betreten hatte, wurde sie von ihm im Wohnzimmer sofort von hinten angegriffen. Der Angeklagte hielt ihr den Mund zu und drückte sie zu Boden. Auf diese Weise wollte er die Geschädigte einschüchtern und wehrlos machen, um sie auszuziehen und den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr zu erzwingen. Da der Angeklagte seine körperliche Überlegenheit erkannte und rücksichtslos einzusetzen gedachte, rechnete er mit nur geringer Gegenwehr und einem kurzen Kampf. Für ihn völlig überraschend reagierte O. mit heftigstem Widerstand. Sie trat und schlug nach ihm und versuchte nach Hilfe zu schreien, was ihr aber wegen des zugehaltenen Mundes nicht gelang. Es entstand ein wildes Gerangel, bei dem der Angeklagte die Geschädigte trotz seiner überlegenen Körperkraft kaum unter Kontrolle behalten konnte. Er schaffte es gleichwohl, ihr Hose, Slip und Mieder auszuziehen und den BH über die Brüste zu schieben. Dabei verletzte er O. zumindest leicht an der Innenseite eines Oberschenkels und im Scheidenbereich , wobei es sich hierbei noch nicht um sexuelle Berührungen handelte. O. wehrte sich fortwährend mit aller Kraft. Schließlich erfasste der Angeklagte, dass er den gewünschten Geschlechtsverkehr wegen ihrer andauernden Abwehrbewegungen und vor allem wegen der Gefahr von Hilfeschreien nicht erreichen würde. Da das Wohnzimmerfenster offen stand, befürchtete er, dass Dritte eingreifen, wenn es der Geschädigten gelänge, sich bemerkbar zu machen. Dies schien ihm angesichts ihrer Ausdauer im Abwehrkampf nur eine Frage der Zeit zu sein. Er gab deshalb seinen Vergewaltigungsplan auf, entschloss sich aber zugleich, O. zu töten, um eine Entdeckung des (versuchten) Sexualdelikts zu verhindern. Er griff daher an ihren Hals und drückte mit Kraft zu, bis O. bewusstlos zurücksank. Unsicher, ob die Geschädigte bereits tot war, trug er sie in das Badezim- mer seiner Wohnung und legte sie in die Badewanne. Dort stach er ihr mit einem Klappmesser zweimal in die rechte Halsseite, um sie sicher zu töten und damit eine Entdeckung der Tat durch sie als Zeugin zu verhindern. Der erste Stich war nur oberflächlich, der zweite Stich drang etwa 6 cm tief in den Hals ein und verletzte eine Schlagader; dies führte in den folgenden Minuten bei O. zum Tod durch Verbluten.
4
Nach der Tat legte der Angeklagte die teilweise wieder angekleidete Leiche von O. in einem schlecht einsehbaren Bereich im Keller des von ihm mitbewohnten Hauses ab und reinigte seine Wohnung. Das Tatmesser und verschiedene Gegenstände aus dem Besitz von O. entsorgte er. Am 29. Mai 2012 begann er eine intime Beziehung mit der Zeugin K. , die er bereits vor der Tat über ein Internetportal kennen gelernt hatte, und übernachtete in den Folgetagen bei ihr. Er hielt Kontakt zu seinem Bewährungshelfer und nahm an einem Gruppengespräch in einer Therapieeinrichtung für Sexualstraftäter teil. Die Leiche von O. wurde am 10. Juni 2012 von einem Hausbewohner aufgefunden.
5
2. Das Landgericht ist von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen und hat das Verhalten des Angeklagten als versuchte Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und Mord (§ 211 StGB) gewertet. Als Mordmerkmal hat es Verdeckungsabsicht angenommen. Für die versuchte Vergewaltigung und die tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren festgesetzt und mit der lebenslangen Freiheitsstrafe für den Mord auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt.
6
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht auf § 66 Abs. 1 StGB i.V.m. der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09) gestützt. Dabei ist es nach sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangt, dass es sich bei dem seit 1989 unter anderem wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung , sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch eines Kindes mehrfach vorbestraften Angeklagten, der zur Tatzeit unter Führungsaufsicht stand und an einer ambulanten Therapie zur Aufarbeitung seiner Sexualproblematik teilzu- nehmen hatte, um einen „Gewohnheitsvergewaltiger“ handelt, der ohne pathologischen Hintergrund die „eindeutige Tendenz“ aufweist, sich bietende Gele- genheiten zu Vergewaltigungstaten zum Nachteil willkürlich ausgewählter Opfer zu nutzen. Auch sei der Angeklagte bereit, die jeweilige Tat um den Preis eines Menschenlebens zu verbergen. Die Rückfallgefahr in Bezug auf gewalttätige Sexualdelikte und Tötungsdelikte, insbesondere Verdeckungsmorde nach Sexualdelikten , sei ausgesprochen hoch. Taten wie die oben beschriebenen seien von ihm – ohne entsprechende Schutzmaßnahmen – nahezu mit Sicherheit wieder zu erwarten.

II.


7
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, weil das Urteil keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufweist. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
8
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die versuchte Vergewaltigung und die tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung zu dem Verdeckungsmord im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) ste- hen. Insoweit ist keine die Annahme einer Handlungseinheit und damit einer Tat im materiell-rechtlichen Sinn rechtfertigende Verbindung gegeben.
9
a) Eine Tateinheit im Sinne von § 52 StGB begründende Teilidentität der Ausführungshandlungen liegt nicht vor. Dies ist der Fall, wenn die objektiven Ausführungshandlungen des Täters in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil identisch sind und so dazu beitragen, den Tatbestand aller in Betracht kommenden Strafgesetze zu erfüllen (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 87/09, NStZ-RR 2010, 140, 141; Beschluss vom 21. März 1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165). Ein Zusammentreffen nur im subjektiven Tatbestand reicht dafür nicht aus (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 208/97, BGHSt 43, 149, 151; vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1955 – 5 StR 290/54, BGHSt 7, 149, 151). Der Bundesgerichtshof hat daher eine Tateinheit zwischen einem (versuchten) Verdeckungsmord und einer Sexualstraftat in einem Fall bejaht, in dem der Angeklagte noch während der Begehung des Sexualdeliktes mit der Tötungshandlung begann (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1990 – 5 StR 500/90, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung , dieselbe 22; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 – 4 StR 158/02, NStZ 2003, 371, 372), und die Annahme von Tatmehrheit in einem Fall bestätigt , in dem sich aus den Urteilsfeststellungen nicht ergab, dass der Täter noch weitere sexuelle Handlungen an seinem Opfer vornehmen wollte, als er zum Angriff auf dessen Leben ansetzte (BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 681/85, MDR 1986, 622 bei Holtz).
10
Daran gemessen kommt die Annahme von sich teilweise überschneidenden Tathandlungen hier nicht in Betracht. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 211 StGB durch ein Würgen des Tatopfers und die Beibringung von Stichver- letzungen verwirklicht. Keine dieser Handlungen ist mit den Gewalthandlungen identisch, die er zur Durchsetzung seines Vergewaltigungsvorhabens vornahm.
11
b) Auch eine natürliche Handlungseinheit liegt nicht vor. Von einer solchen ist auszugehen, wenn zwischen verschiedenen strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein so enger Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Tun darstellt. Dies setzt neben einem unmittelbaren räumlich-zeitlichen Zusammenhang voraus, dass die verschiedenen Ausführungshandlungen durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Beschluss vom 19. November 1997 – 3 StR 574/97, BGHSt 43, 312, 315; Urteil vom 27. März 1953 – 2 StR 801/52, BGHSt 4, 219, 220).
12
Das für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit erforderliche gemeinsame subjektive Element liegt hier nicht vor. Der Entschluss des Angeklagten , sein Opfer zu töten, beruhte auf einer neuen Willensentschließung (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 – 4 StR 573/08, Rn. 6). Er fiel zwar mit der Entscheidung zusammen, das (fehlgeschlagene) Vergewaltigungsvorhaben aufzugeben, war aber auf ein anderes Ziel gerichtet (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 681/85, MDR 1986, 622 bei Holtz). Allein die Absicht, die vorangegangene Tat zu verdecken, vermag eine (natürliche) Handlungseinheit nicht zu begründen (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1953 – 4 StR 258/53, S. 3).
13
2. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB neben lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe ist rechtlich bedenkenfrei.
14
a) Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung war nach § 66 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 und nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) hierzu aufgestellten Grundsätze (strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung ) zu entscheiden.
15
aa) Durch das am 1. Juni 2013 in Kraft getretene Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2425) wurden die Anordnungsvoraussetzungen für die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB für den hier zu entscheidenden Fall (Anlasstat am 28. Mai 2012) nicht verändert (vgl. BT-Drucks. 17/9874, S. 30 f., Renzikowski, NJW 2013, 1638, 1642). Aus der neu geschaffenen Überleitungsvorschrift in Art. 316f Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 EGStGB ergibt sich, dass auf Fälle, in denen die Anlasstat vor dem 31. Mai 2013 begangen worden ist, auch weiterhin die bis dahin geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden sind. Die dafür in Art. 316f Abs. 2 Sätze 2 bis 4 EGStGB bestimmten weiteren Maßgaben betreffen hier nicht gegebene Fallkonstellationen. Der insoweit unverändert gebliebene Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB sieht für nach dem 31. Dezember 2010 begangene Anlasstaten eine Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) vor. Ein Fall des § 354a StPO ist deshalb nicht gegeben.
16
bb) Der Senat besorgt nicht, dass § 66 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 und Ablauf der Frist aus der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 verfassungs- oder konventionswidrig ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil auch § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 in entsprechender Anwendung des § 78 Satz 2 BVerfGG für mit Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt (Ziffer II.1.b des Tenors, BGBl. I, S. 1003), doch hat es dies nicht aus der Regelung des § 66 StGB selbst, sondern aus dem Fehlen eines dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot entsprechenden gesetzlichen Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung hergeleitet (BVerfGE 128, 326, 387; Peglau, NJW 2011, 1924, 1925). Die in § 66 StGB festgelegten formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es nicht beanstandet. Sie verstoßen auch nicht aus anderen als den im Urteil vom 4.  Mai 2011 genannten Gründen gegen Bestimmungen des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, NJW 2012, 3357 zu § 66a StGB). Nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine verfassungsgemäße rechtliche Ausgestaltung des Maßregel- und Strafvollzugs nachgekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 – 1 StR 48/13, NJW 2013, 2295, 2296, zu Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB) und durch Art. 316f Abs. 3 EGStGB sichergestellt hat, dass die der Umsetzung des Abstandsgebotes dienenden Vorschriften auch in Altfällen zur Anwendung kommen, sind damit die Gründe weggefallen, die für die Beurteilung von § 66 StGB als verfassungswidrig maßgebend waren. Da das Bundesverfassungsgericht § 66 StGB nicht nach § 95 Abs. 3 Satz 1, § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig erklärt hat, ist die Vorschrift existent geblieben (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Mai 2009, § 35 Rn. 44; Benda/Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl., Rn. 1399).
17
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe nach § 66 Abs. 1 StGB ist rechtmäßig.
18
aa) Eine Rechtsanwendung, die die Zulässigkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe grundsätzlich in Frage stellt, widerspräche dem Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers, der mit Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I, S. 3344) den bis dahin geltenden § 66 StGB geändert und aus dessen Absätzen 1, 2, 3 Satz 1 und 2 das dem Wort Freiheitsstrafe vorangestellte Adjektiv „zeitiger“ gestrichen hat. Dies geschah, um den Gerichten eine Anordnungder Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe zu ermöglichen (vgl. Gesetzesentwurf vom 19. März 2002, BT-Drucks. 14/8586, S. 5 f.; Gesetzesentwurf vom 15. Mai 2002, BT-Drucks. 14/9041, S. 1; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256, 257; MüKoStGB/ Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 2. Aufl., § 66 Rn. 21; Bartsch, Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, 2010, S. 65 f.; Böhm, FS Schöch, 2010, S. 755, 762 f.; Passek, GA 2005, 96; Steinhilber, Mord und Lebenslang, 2012, S. 243 f.). Zuvor hatte es der Bundesgerichtshof mehrfach als „sachlich bedenklich“ bezeichnet, dass nach dem bis dahin geltenden Recht eine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur neben „zeitiger“ nicht aber lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe oder einer aus mehreren lebenslangen Einzelstrafen gebildeten lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe möglich war (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2002 – 2 StR 62/02, NJW 2002, 3559; Urteil vom 21. März 2000 – 5 StR 41/00, NStZ 2000, 417, 418; Urteil vom 23. August 1990 – 4 StR 306/90, BGHSt 37, 160, 161). In der Begründung zu den angeführten Gesetzesentwürfen wird auf die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 21. März 2000 und 23. August 1990 und die dort geäußerten Bedenken ausdrücklich Bezug genommen.
19
bb) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB neben lebenslanger Freiheitsstrafe verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
20
(1) Die Anordnung ist erforderlich, weil der angestrebte Zweck der Maßregel nicht durch ein den Angeklagten weniger belastendes Mittel erreicht werden kann.
21
(a) Der Umstand, dass die Vollstreckung der vor der Unterbringung zu vollziehenden lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur zur Bewährung ausgesetzt werden darf, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und ein für die Allgemeinheit gefährlicher Täter deshalb im Vollzug zu verbleiben hat, steht der Maßregelanordnung nicht entgegen (aA Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, § 66 Rn. 32; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 313 ff.; Kinzig, NJW 2002, 3204 f.; Kreuzer, StV 2011, 122, 123; zweifelnd MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 6). Zwar wird es aufgrund der insoweit vergleichbaren Bewertungsmaßstäbe kaum je der Fall sein, dass nach § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine Aussetzung des Vollzugs der Strafe verantwortet werden kann, aber die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmende Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass der Zweck der Maßregel (Verhütung hangbedingter rechtswidriger Taten) eine Unterbringung weiterhin erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12, Rn. 6; Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; Beschluss vom 6. Juli 2010 – 5 StR 142/10, NStZ-RR 2011, 41; Beschluss vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 564/85, BGHSt 33, 398, 401; MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 6; Bartsch, Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, 2010, S. 66 f.; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 317 f.; dieselbe , GA 2009, 586, 589 ff.; Kinzig, NJW 2002, 3204; Peglau, NJW 2000, 2980, 2981; Böhm, NJW 1982, 135, 139). Doch kommt es hierauf bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nicht an.
22
Die dem Schuldausgleich dienende Strafhaft und der schuldunabhängige präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterscheiden sich grundlegend in ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation (vgl. BVerfGE 130, 372, 389; 128, 326, 376; Frisch, ZStW 102 [1990] 343, 358 ff.; Ziffer, FS Frisch, 2013, S. 1077, 1078; MüKoStGB/ Radtke, 2. Aufl., vor §§ 38 ff. Rn. 69; ders., GA 2011, 636, 643 ff. jeweils mwN). Für ihre Anordnung, die wegen der Zweckverschiedenheit auch nebeneinander erfolgen kann (BVerfGE 130, 372, 392; Beschluss vom 22. Juni 2012 – 2 BvR 22/12, S. 6 jeweils mwN), gelten kategorial verschiedene Voraussetzungen , die getrennt voneinander zu beurteilen sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; Urteil vom 27. Oktober 1970 – 1 StR 423/70, BGHSt 24, 132, 133 f.). Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB ist neben der Strafe anzuordnen, wenn die dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen vorliegen und die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters die Anordnung seiner Unterbringung im Zeitpunkt der Entscheidung nötig macht (Kumulationsprinzip, vgl. LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., vor §§ 61 ff. Rn. 65). Dabei ist es – anders als in den Fällen der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB – grundsätzlich ohne Bedeutung, ob von dem Maßregelausspruch unabhängige Ereignisse – zu denen auch der Strafvollzug zählt – eine Unterbringung voraussichtlich verhindern (BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 511/64, S. 3; vgl. Beschluss vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 564/85, BGHSt 33, 398, 400) oder die Gefahr abwenden werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; Beschluss vom 23. März 1977 – 3 StR 67/77, S. 5; jeweils zu § 63 StGB; ferner BT-Drucks. IV/650, S. 214).
23
(b) Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Subsidiaritätsprinzip (vgl. dazu MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 7; SSWStGB /Jehle, § 72 Rn. 1) gilt bei freiheitsentziehenden Maßregeln nur für deren Vollstreckung (BT-Drucks. IV/650, S. 210; BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28; vgl. dazu auch Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07, Rn. 15; Urteil vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., S. 318; aA LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., vor §§ 61 ff. Rn. 61) und ist auf das Verhältnis zwischen Strafausspruch und Maßregelanordnung nicht anzuwenden (LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., vor § 61 Rn. 81; SSW-StGB/Schöch, vor §§ 61 ff. Rn. 27; NK-StGB/Pollähne, 4. Aufl., § 61 Rn. 60). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um eine besonders belastende Maßregel mit ultima-ratio-Charakter handelt (so aber Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 320; dieselbe, GA 2009, 586, 593 f.). Soweit der Bundesgerichtshof bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung den zu erwartenden Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs Bedeutung beigemessen hat, geschah dies nur im Zusammenhang mit der nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196, 198; Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11, Rn. 5; Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f.; Urteil vom 4. September 2001 – 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31; Urteil vom 17. Dezember 1998 – 5 StR 302/98, NStZ-RR 1999, 301) und – unter ganz engen Voraussetzun- gen – bei der Entwicklung der Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522, 523 f.; Urteil vom 19. Juli 2005 – 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; Urteil vom 7. April 1999 – 2 StR 440/98, Rn. 24, insoweit in NStZ 1999, 423 nicht abgedruckt).
24
(c) Darüber hinaus gibt es Fallkonstellationen, in denen ein umfassender Schutz der Allgemeinheit ohne eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gewährleistet wäre. Würde bei einem gefährlichen Hangtäter auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Rücksicht auf eine gleichzeitig ausgesprochene lebenslange Freiheitsstrafe verzichtet, könnte die gebotene Maßregelanordnung aufgrund des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht mehr nachgeholt werden, wenn es auf ein oder mehrere lediglich zugunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel zum Wegfall der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt und nur noch auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkannt wird (vgl. Böhm, FS Schöch, 2010, S. 755, 763; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 321 f.; dieselbe, GA 2009, 586, 595; Steinhilber, Mord und Lebenslang , 2012, S. 252 ff.). Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass rechtskräftige Urteile Bestand haben und diesem Aspekt daher nur ein geringes argumentatives Gewicht zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 292/95, NJW 1995, 3263; Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 201 zur mehrfachen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus), kann sich Gleiches ergeben, wenn das Urteil in einem zugunsten des Verurteilten geführten Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wird und in der erneuten Hauptverhandlung an die Stelle der lebenslangen Freiheitsstrafe eine zeitige Freiheitsstrafe tritt. Auch hier stünde das Verschlechterungsverbot (§ 373 Abs. 2 Satz 1 StPO) einer Nachholung der gebotenen Maßregelanordnung entgegen (BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 511/64, S. 3 f.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1956 – 2 StR 245/56, MDR 1956, 525 bei Dallinger zur mehrfachen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).
25
(2) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung steht bei dem Angeklagten auch mit Rücksicht auf die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 4. Mai 2011 hierzu aufgestellten Grundsätze nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe.
26
Im zweispurigen Sanktionensystem ist die Verhältnismäßigkeit des in der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB liegenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen grundsätzlich gewahrt, wenn die dort genannten tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. § 66 Abs. 1 StGB als verfassungsrechtlich gerechtfertigter Eingriffstatbestand hat insoweit auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da er nicht nur den Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Interesse erlaubt, sondern zugleich auch die äußersten Grenzen zulässiger Grundrechtseinschränkungen bestimmt (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2012, 385, 386; BVerfGE 130, 372, 391; 70, 297, 307). Die nach § 62 StGB vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitserwägungen erlangen erst bei der Festlegung des Maßstabes für die Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden hangbedingten Straftaten und der Bewertung der Gefährlichkeitsprognose in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine zusätzliche eingrenzende Bedeutung (BGH, Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 1; Urteil vom 12. Dezember 1979 – 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 f.; vgl. auch Beschluss vom 31. Juli 1997 – 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; Beschluss vom 20. Juni 1996 – 4 StR 281/96, NStZ-RR 1997, 2 jeweils zur wiederholten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung; LK-StGB/ Hanack, 11. Aufl., § 66 Rn. 168; SSW-StGB/Jehle, § 66 Rn. 34; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, 2004, S. 373; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., S. 237 f.). Angesichts der bei dem Angeklagten bestehen- den „ausgesprochen hohe(n) Rückfallgefahr in Bezug auf gewalttätigeSexualund Tötungsdelikte“, sind die vom Landgericht in diesem Zusammenhangge- troffenen Wertungen auch im Hinblick auf die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtlich bedenkenfrei.
27
(3) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist auch mit Rücksicht auf die dadurch ausgelöste Kumulation von Grundrechtseingriffen (vgl. BVerfGE 130, 372, 392; 112, 304, 320) verhältnismäßig.
28
Werden eine Freiheitsstrafe und eine freiheitsentziehende Maßregel nebeneinander angeordnet, weil die entsprechenden Voraussetzungen jeweils vorliegen, ist es geboten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei in das Freiheitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG mehr als notwendig eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 130, 372 zu § 67 Abs. 4 StGB und zur Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen; NStZ-RR 2012, 385 zur Anwendung von § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB nach der Erledigterklärung einer Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit nach § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB; BVerfGE 91, 1, 31 f. zur Anrechnungsbeschränkung in § 67 Abs. 4 StGB und zum Anrechnungsausschluss nach § 67 Abs. 4 Satz 2 StGB a.F.; BVerfGE 21, 378 zur Anrechenbarkeit von Disziplinararrest auf Frei- heitsstrafe). Auch müssen die Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Ganzen zumutbar bleiben (BVerfGE 130, 372, 392 f.).
29
Diesen Vorgaben werden die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Straf- und Maßregelvollzug gerecht.
30
Durch die Möglichkeit der Strafaussetzung gemäß § 57a Abs. 1 StGB und die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB dem Maßregelvollzug vorgeschaltete Überprüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert, wird sichergestellt, dass ein Verurteilter mit positiver Legalprognose, dessen lebenslange Freiheitsstrafe nach der Mindestverbüßungsdauer aussetzungsreif ist, nicht länger Freiheitsentzug erleiden muss als dies zur Erfüllung des Strafzwecks und zum Schutz der Allgemeinheit vor hangbedingten Straftaten (Maßregelzweck ) unbedingt erforderlich ist. Ein darüber hinaus gehender Grundrechtseingriff ist danach nicht zu besorgen.
31
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung Verurteilter, dessen Entlassung nach der Mindestverbüßungsdauer allein die Nichterstellbarkeit einer positiven Legalprognose entgegensteht, nach den dargestellten Grundsätzen in den Vollzug der Unterbringung nach § 66 StGB zu überweisen ist, um eine weitere – vom Erfordernis der Schuldangemessenheit zwar gedeckte (vgl. BVerfGE 117, 71, 90; aA Steinhilber, Mord und Lebenslang, 2012, S. 116 ff.) – aber nicht vollumfänglich spezialpräventiv ausgerichtete Strafvollstreckung zu vermeiden und den zum Schutz der Allgemeinheit unerlässlichen weiteren Freiheitsentzug unter den freiheits- und therapieorientierten Bedingungen des Maßregelvollzugs (Abstandsgebot) fortdauern zu lassen.

III.


32
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht in einer Rechtsfrage von anderen Strafsenaten ab (§ 132 Abs. 2 GVG). Soweit der 2. (Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; vgl. auch Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 2 StR 325/12, StV 2013, 630), 3. (Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12, Rn. 6) und 5. Strafsenat (Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525) die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe für nicht unerlässlich und deshalb rechtsfehlerhaft angesehen haben, wurde eine andere Rechtsfrage entschieden. Die genannten Entscheidungen betrafen die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens anhand des vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit formulierten eingeschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung in Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 111/12
vom
25. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2012,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Das Verfahren wird nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt worden ist (II. 2. der Urteilsgründe).
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22. Juli 2011 werden verworfen, die Revision des Angeklagten H. mit der Maßgabe, dass er wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in 2 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung , Beleidigung in 3 Fällen, davon in 2 Fällen jeweils in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Nötigung in 2 Fällen, davon in einem Fall versucht, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt ist.
3. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und der Einstellung sowie die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchsdiebstahls , vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, Beleidigung in drei Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall versucht, zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 6 a) der Urteilsgründe lediglich wegen Nötigung und nicht tateinheitlich wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat. Sie beanstandet zudem, dass die Strafkammer von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten H. abgesehen hat, weil sie rechtsfehlerhaft das Vorliegen der formellen Anordnungsvoraussetzungen verneint habe. Das vom Generalbundesanwalt zur Frage der Nichtanordnung der Maßregel vertretene Rechtsmittel hat keinen, dasjenige des Angeklagten H. nur den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg.

II.

2
Das Landgericht hat u.a. Folgendes festgestellt:
3
a) Der vielfach, u.a. wegen schwerer Körperverletzung, vorbestrafte Angeklagte war Mitglied des Motorradclubs "Bandidos MC, Chapter J. " und bekleidete dort eine führende Rolle. Als sog. "sergeant at arms" war er u.a.
- sofern dies erforderlich schien - für die Bewaffnung sowie die Vollstreckung von Strafen gegenüber Clubmitgliedern zuständig, die vom Präsidenten ausgesprochen wurden. Der "Bandidos MC J. " beanspruchte unter den Motorradclubs in Thüringen die Vormachtstellung und betrachtete unter Führung seines Präsidenten Weimar, Apolda, Jena und z.T. auch Erfurt als "seine Städte". Die Gründung und Entfaltung eines "Probecharters" des mit den Bandidos verfeindeten Motorradclubs der Hells Angels in E. wollten sie unbedingt verhindern. Ihr besonderer Hass richtete sich gegen L. und den Geschädigten F. , von denen sie annahmen, dass sie im "Probecharter" der Hells Angels in führender Position tätig seien. Bereits am 3. März 2009 hatte der Präsident der Bandidos den Angeklagten dazu bestimmt, L. zu töten. Eine Gelegenheit, den Tatplan umzusetzen, bot sich jedoch in der Folgezeit nicht.
4
Am Morgen des 28. Dezember 2009 nahmen der Angeklagte sowie der Mitangeklagte R. vor einem Motorradgeschäft in E. einen "Kuttenträger" des konkurrierenden Motorradclubs Hells Angels E. wahr, bei dem es sich um den - unbewaffneten - Geschädigten F. handelte. Die Angeklagten kamen überein, an dem Geschädigten ein Exempel zu statuieren. Sie sprangen aus ihrem Fahrzeug und liefen geradewegs und gezielt auf ihn zu. Der Angeklagte war mit einer Machete, die eine Klingenlänge von etwa 50 cm aufwies, R. entweder ebenfalls mit einer Machete oder einem großen Messer bewaffnet. Derartige Waffen führten die Mitglieder der Bandidos stets mit sich, um für den Fall des Zusammentreffens mit Anhängern verfeindeter Motorradclubs gewappnet zu sein. Dem Geschädigten gelang es zunächst, in das Motorradgeschäft zu flüchten, er kam jedoch im Bereich der Kleiderständer aus ungeklärten Gründen zum Liegen. Der Angeklagte und R. hackten in der Folge gemeinschaftlich mit äußerster Brutalität etwa 20 Sekunden ununterbrochen mittels der Klingen ihrer Hieb- und Stichwaffen auf den am Boden liegenden Ge- schädigten ein, indem sie auf ihn ständig mit Ausholbewegungen von oben nach unten kraftvoll und schnell einschlugen bzw. einstachen. Die Einwirkungen mit den Werkzeugen erfolgten dabei unkontrolliert auf den Kopf-, Brust- und Bauchbereich sowie die Extremitäten des Geschädigten, der Schmerzenslaute von sich gab. Der Geschädigte konnte sich zunächst nur mit dem rechten Arm schützen, den er zum Schutze seines Kopfes vor sein Gesicht hielt, schließlich gelang es ihm, zum Eigenschutz eine "Embryohaltung" einzunehmen. Bei der Tatbegehung beabsichtigten der Angeklagte und R. aufgrund der Art, Anzahl und Wucht der geführten Hiebe, Stiche und Schläge und weil sie dem Auftrag ihres Präsidenten E. vom 3. März 2009 entsprechen wollten, den Tod des Geschädigten. Der Geschädigte erlitt durch den Angriff zahlreiche potentiell, jedoch nicht konkret lebensgefährliche Verletzungen, u.a. eine 17 cm lange Wunde an der rechten Brustkorbvorderseite mit Eröffnung der Oberbauchregion verbunden mit einem Brustbeinbruch. Der Angeklagte ging nach der letzten Ausführungshandlung aufgrund der dem Geschädigten beigebrachten Verletzungen , insbesondere der auch für ihn deutlich sichtbaren, langen, tiefen, fleischigen und stark blutenden Wunde im Brustkorb- und Bauchbereich, davon aus, dass der Geschädigte versterben werde. Er entfernte sich gleichwohl vom Tatort, ohne dem reglos am Boden liegenden Geschädigten zu helfen. Bei seiner Flucht überzeugte er sich noch davon, ob der Geschädigte tatsächlich so schwer verletzt war, dass er versterben würde, indem er einen abschließenden Blick auf ihn warf.
5
Der Angeklagte beging die Tat aus Hass auf die Mitglieder des verfeindeten Motorradclubs der Hells Angels. Durch die Tat sollten andere Mitglieder des "Probecharters" verschreckt und so seine Festigung und Ausbreitung verhindert werden. Mit der spontanen Tat setzte er die Vorgaben des Präsidenten der Bandidos um und beabsichtigte, F. als vermeintlich führendes Mitglied des Probecharters der Hells Angels zu töten. Ferner handelte er, damit er das sog.
Patch (Abzeichen) "expect no mercy" ("erwarte keine Gnade") als Auszeichnung erhielt. Dieses wird den Mitgliedern der "Bandidos" dann verliehen, wenn sie ein Mitglied der verfeindeten Hells Angels töten oder schwer verletzen. Der Angeklagte ließ sich das Patch "expect no mercy" nach der Tat in der Haft tätowieren und verwandte in Briefen an den Mitangeklagten R. die Abkürzung "e.n.m.". Beides war ihm erst nach der Verleihung der Auszeichnung erlaubt.
6
b) Am 17. August 2007 wollte der Angeklagte den Zeugen S. , der im Außenbereich eines Restaurants in W. saß und eine Kutte des Motorradclubs "MC Sunriders" trug, dafür abstrafen, dass dieser sich ohne Anmeldung in einer der von den Bandidos beanspruchten Städte aufhielt. Er trat von hinten an den Zeugen heran und schlug ihm kraftvoll auf den Rücken, so dass dem Zeugen fast die Luft weg blieb. Sodann forderte der Angeklagte, der einen Totschläger in der Hand hielt, den Zeugen auf, das Abzeichen der "MC Sunriders" von seiner Lederweste zu trennen und ihm zu übergeben. Unter dem Eindruck der Bedrohung mit dem Totschläger leistete der Zeuge S. der Forderung des Angeklagten Folge.
7
c) Am 22. Dezember 2007 schlug der Angeklagte dem Zeugen T. , der sich nach einer vorübergehenden Probemitgliedschaft geweigert hatte, den Bandidos endgültig beizutreten, in der aufgrund der nahen Weihnachtsfeiertage voll besetzten Post in W. unvermittelt so kräftig in die rechte Gesichtshälfte auf die obere Zahnreihe, dass er in die Reihen der Wartenden stürzte.
8
2. Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des F. (II. 1 a) als versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet, von der Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht und insoweit eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Im Übrigen hat das Landgericht hieraus sowie aus den weiteren Einzelstrafen - u.a. einem Jahr und sechs Monate für die Tat zum Nachteil T. (II. 1 c) - eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe gebildet. Zur Sicherungsverwahrung hat das Landgericht ausgeführt, es habe keinen Zweifel daran, dass bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung schwerer Gewalttaten bestehe. Jedoch fehle es für die Anordnung der Maßregel an deren formellen Voraussetzungen.

III.

9
Die Revision des Angeklagten hat nur insoweit einen geringfügigen Teilerfolg , als sie zur Einstellung des Verfahrens im Fall II. 2. der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO und unter Wegfall der Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer entsprechenden Korrektur des Schuldspruchs führt. Im Übrigen bleibt die auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts , auf die Bezug genommen wird, ohne Erfolg.
10
Zur vom Angeklagten erhobenen Rüge der fehlerhaften Besetzung des Senates wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2012 verwiesen (2 BvR 610/12, 2 BvR 625/12).

IV.

11
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
12
1. Entgegen der Auffassung der Revision unterliegt die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten im Fall II. 6 a) der Urteilsgründe (oben II. 1 c: Tat vom 17. August 2007 zum Nachteil S. ) nicht tateinheitlich wegen Körperverletzung zu verurteilen, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die Bewertung der Strafkammer, welche angesichts der festgestellten Umstände die Erheblichkeitsgrenze zur strafbaren Körperverletzung als nicht überschritten angesehen hat, im Hinblick auf die geringfügige Dauer der Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens noch keinen Rechtsfehler erkennen lässt.
13
2. Auch die von der Staatsanwaltschaft angegriffene Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
14
a) Allerdings liegen entgegen der Auffassung des Landgerichts die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB nF, der bei den vor dem 31. Dezember 2010 begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB als das mildere Gesetz Anwendung findet, jedenfalls hinsichtlich folgender Taten vor:
15
(1) Verurteilung zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen einer am 1. Februar 2001 begangenen schweren Körperverletzung zum Nachteil des K. (Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 26. November 2003 - 6 Ns 13 Js 11681/01).
16
(2) Verurteilung im vorliegenden Verfahren zu einer Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen einer am 22. Dezember 2007 begangenen Körperverletzung zum Nachteil T. (oben II 1 c).
17
(3) Verurteilung im vorliegenden Verfahren zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe wegen des am 28. Dezember 2009 begangenen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen F. (oben II 1 a).
18
Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass die unter (1) bezeichnete Straftat zu berücksichtigen ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift insoweit die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nicht ein. Das Landgericht hat bei der Berechnung rechtsfehlerhaft auf die am 28. Dezember 2009 zum Nachteil des F. begangene Straftat abgestellt und dabei übersehen, dass als "folgende" Katalogtat im Sinne der Vorschrift von der am 22. Dezember 2007 begangenen Straftat zum Nachteil T. auszugehen ist. Legt man letztere zugrunde, sind mit Blick auf die gemäß § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB in die Fünfjahresfrist nicht einzurechnenden, rechtsfehlerfrei festgestellten Verwahrzeiten von 937 Tagen nicht mehr als fünf Jahre verstrichen.
19
Die Berücksichtigung der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil T. als Anlasstat für die Annahme der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB nF begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. auch Senat, Urteil vom 3. August 2011 - 2 StR 190/11). Dies gilt - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – auch unter Berücksichtigung der Entscheidung vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326 ff.), mit der das Bundesverfassungsgericht die Regelungen über die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt hat.
20
b) Das Urteil beruht jedoch nicht auf dem Rechtsfehler. Allerdings hat die Kammer, die - sachverständig beraten - das Vorliegen eines Hangs als materielle Anordnungsvoraussetzung der Sicherungsverwahrung bejaht hat, nicht erkennbar von dem ihr nach § 66 Abs. 2 StGB nF zustehenden Ermessen Ge- brauch gemacht. Dem Revisionsgericht ist es grundsätzlich verwehrt, die fehlende Ermessensentscheidung des Tatrichters zu ersetzen (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11). Der Senat schließt hier jedoch mit Rücksicht auf die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (a.a.O.) gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles aus, dass bei einer pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 StGB nF die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der lebenslangen Freiheitsstrafe verhängt werden könnte.
21
Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch neben lebenslanger Freiheitsstrafe möglich. § 66 Abs. 2 StGB ist jedoch nach den Feststellungen des BVerfG derzeit wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die Vorschrift bleibt bis zu einer Neuregelung - längstens bis 31. Mai 2013 - durch den Gesetzgeber nur unter eingeschränkten Voraussetzungen anwendbar (BVerfG aaO). Eingriffe in das Freiheitsrecht des Angeklagten dürfen in der Übergangsphase nach Maßgabe einer auf den Einzelfall bezogenen, besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betreffenden Lebensbereiches aufrecht zu erhalten.
22
Legt man diesen Maßstab zugrunde, so ist vorliegend im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung ein Nebeneinander von lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung nicht unerlässlich.
23
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Verurteilte weiterhin lebenslange Freiheitsstrafe und nicht die Maßregel zu verbüßen hat, wenn er auch nach der Mindestverbüßungsdauer noch als gefährlich einzuschätzen ist (vgl. § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V. mit § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Insoweit handelt es sich materiell um einen vergleichbaren Maßstab wie bei der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Deren Anordnung neben lebenslanger Freiheitsstrafe kann daher kaum praktische Bedeutung entfalten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. März 2012 - 5 StR 57/12 zur Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung nach § 66a i.V.m. § 66 Abs. 3 StGB). Denn auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, die bei der Prüfung zu beachten sind, ob der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO) entsprechen denjenigen, die das Gesetz für die Prüfung der Frage vorsieht , ob gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB nach Ende der Strafverbüßung eine im Urteil angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach dem Zweck der Maßregel noch erforderlich ist (§ 463 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO).
24
Hinzu kommt, dass im Rahmen der Ermessensausübung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 2 StGB nF Rechnung zu tragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, StV 2011, 482). Dieser erlangt hier mit Rücksicht gerade darauf, dass der Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, ein besonderes, unter Beachtung des seitens des Bundesverfassungsgerichts vorgegebenen strikten Verhältnismäßigkeitsmaßstabs ausschlaggebendes Gewicht.
25
Die genannten Umstände stehen zumindest derzeit der Annahme entgegen , dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB bei dem Angeklagten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 unerlässlich ist. Becker Fischer Schmitt RiBGH Dr. Eschelbach befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Berger Becker

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5
II. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch neben lebenslanger Freiheitsstrafe möglich. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326) ist § 66 StGB aber mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar und bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31. Mai 2013, während der Übergangszeit nur anwendbar, soweit der Eingriff unerlässlich ist, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten (BVerfG aaO S. 406). Wie bereits der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschieden hat (BGH, Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12, juris Rn. 22 ff.), ist im Rahmen der nach § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung ein Nebeneinander von lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung indes nicht unerlässlich. Dem schließt sich der Senat an.
5 StR 129/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 12. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Juni 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Su.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 9. Oktober 2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Achtel ermäßigt. Die gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren hat zu einem Achtel die Staatskasse zu tragen. Die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit der Sachrüge nur einen geringer gewichtigen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen lernte der wegen Vergewaltigung vorbestrafte Angeklagte nach Vollverbüßung der deswegen verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren im Jahr 2007 die später getötete L. kennen. Die Beziehung war streitbeladen bis hin zu handgreiflichen Ausein- andersetzungen. Gleichwohl wünschte sich L. vom Angeklagten ein Kind und wurde 2009 schwanger. Da der Angeklagte das Kind nicht wollte, verschlechterte sich die Beziehung nochmals gravierend. Im August 2009 schlug der Angeklagte L. und trat sie heftig gegen den Bauch. Deshalb zog sie aus der gemeinsamen Wohnung in Berlin aus und bezog eine Wohnung in Bautzen.
3
Am 18. März 2010 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Kurz vor der Geburt hatten L. und der Angeklagte wieder persönlichen Kontakt. Der Angeklagte war bei der Geburt anwesend. Es folgten gegenseitige Besuche an den Wochenenden und gemeinsame Ausflüge. Dennoch war auch diese Zeit geprägt von weiterenStreitigkeiten. L. unterhielt Beziehungen zu mehreren Männern. Dies war für den An- geklagten „schwer zu verkraften“ (UA S. 13). Im September2011 ging sie eine Beziehung ein, die ernster war als die vorherigen. Vor diesem Hintergrund bedrohte der Angeklagte sie mit einem Messer.
4
Am Wochenende vom 16. bis 18. Dezember 2011 besuchte der Angeklagte L. . Am Sonntagabend kam es zum Streit. Dem Angeklagten wurde dabei bewusst, dass eine Beziehung nicht mehr bestand und der neue Lebensgefährte auch in der Betreuung der Tochter seinen Platz einnahm. „Diese Situation war für den Angeklagten aufgrund seiner Ich-bezogenen Persönlichkeit nicht hinnehmbar“ (UA S. 20). Er schlug L. mit einem Hammer zweimal auf den Kopf. Nachdem sie zu Boden gestürzt war, würgte er sie mit großer Kraftanstrengung und trotz heftiger Gegenwehr, bis sie keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Er „hatte die Tat an diesem Abend nicht konkret vorausgeplant, die latente Bereitschaft dazu war in ihm bereits seit einiger Zeit vorhanden und wurde in der sich konkret ergebenden Situation in die Tat umgesetzt“ (UA S. 20).
5
2. Die Schwurgerichtskammer hat die Tat als Mord bewertet, weil der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Sachverständig beraten hat sie angenommen, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung verbunden mit deutlich geminderter Frustrationstoleranz, verstärkter Kränkbarkeit, Geltungsbedürfnis, begrenzter Konfliktfähigkeit, Verlustangst, Selbstmitleid erreiche nicht die nach §§ 20, 21 StGB erforderliche Schwere.
6
3. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist tragfähig begründet.
7
a) Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, und vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05, NStZ-RR 2006, 140, jeweils mwN). Subjektiv muss der Täter die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie – auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie Wut und Eifersucht – in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und zu steuern (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 1. März 2012 aaO). Gerade bei einer Tötung, die geschieht, weil sich die Intimpartnerin vom Täter abwendet, können tatauslösend und -bestimmend auch Gefühle der Verzweiflung, der inneren Ausweglosigkeit und erlittenen Unrechts sein, die eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation fraglich erscheinen lassen (BGH, Urteile vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 375/00, StV 2001, 228, und vom 2. Mai 1990 – 3 StR 11/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 18).
8
b) Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht wird diesen Maßstäben gerecht. Die Schwurgerichtskammer bezieht in ihre Würdigung ein, dass Gefühlsregungen wie Wut und Eifersucht in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen , wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 aaO). Sie stellt insoweit darauf ab, dass der Angeklagte „das Abwenden der L. von ihm und die neue Beziehung von ihr sowie die Beaufsichtigung des Kindes durch den neuen Partner“ verhindern wollte (UA S. 33). Er habe sie „aus eigensüchtigen Motiven, nämlich aus den narzisstischen Zügen re- sultierender Wut und Eifersucht“ getötet (UA S. 44). Namentlich vor dem Hin- tergrund des festgestellten gravierenden, bereits die Trennung begründenden Fehlverhaltens des Angeklagten gegenüber seiner Partnerin im Vorfeld der Tat hält sich dies ungeachtet von deren ambivalentem Verhalten, das ersichtlich auch maßgeblich von einer gewissen Achtung seiner Vaterrolle gegenüber dem gemeinsamen Kind bestimmt war, noch innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, und vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 47).
9
c) Auch die subjektive Seite des Mordmerkmals ist rechtsfehlerfrei belegt. Insbesondere erkennt die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer , dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten der Annahme der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals entgegenstehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Januar 1996 – 3 StR 588/95, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 32, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, aaO). Sie schließt dies indessen mit rechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen aus, weil der Angeklagte, der die Tötung im Vorfeld angekündigt hatte, durchaus in der Lage gewesen war, die maßgeblichen Umstände zu erkennen und seinen Impulsen zu widerstehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1978 – 2 StR 504/78, BGHSt 28, 210, 212 mwN). Soweit das Landgericht bei der Bewertung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten die einer jugendrechtlichen Sanktion zugrundeliegenden Umstände ungeachtet ihrer Unverwertbarkeit nach §§ 63, 51 BZRG herangezogen hat, schließt der Senat sicher aus, dass sich dies auf die vom Landgericht vorgenommene Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
10
4. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Landgericht insoweit die nicht verwertbare jugendrechtliche Sanktion heranzieht. Der Senat vertritt darüber hinaus die Auffassung , dass die Maßregelanordnung hier von vornhereinnicht erfolgen kann. Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung am 1. Juni 2013 (BGBl. I 2012, 2425) ist für „Altfälle“ weiterhin auf der Grundlage des bisherigen Maßstabs strikter Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 128, 326) zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12). Danach ist die Anordnung von Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe jedenfalls nicht unerlässlich (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12 – und vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1 StR 558/12). Dies führt zum Wegfall des Maßregelausspruchs.
11
5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung , dass der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel einen ausdrücklich erstrebten Teilerfolg erzielt hat.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay
2
Das Landgericht hat für seinen Maßregelausspruch § 66 Abs. 1 und 3 StGB in der für Anlasstaten, die bis zum 31. Dezember 2010 begangen wurden , gemäß Art. 316 e Abs. 1 Satz 2 EGStGB geltenden Fassung herangezogen , die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) in eingeschränktem Umfang weiter anwendbar ist. Es hat aber versäumt, dazu auch die nach den genannten Bestimmungen erforderliche Ermessensentscheidung zu treffen. Dem Revisionsgericht ist es grundsätzlich verwehrt, die fehlende Ermessensentscheidung des Tatrichters zu ersetzen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 5 5 / 1 3
vom
17. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. April 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Juni 2013 im Ausspruch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuld- und zum Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann hingegen keinen Bestand haben.
3
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung (BGBl. I 2012, S. 2425) am 1. Juni 2013 sind für Anlasstaten, die vor diesem Stichtag begangen wurden , gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden, hier - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nach Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB mithin § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Gesetzen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, S. 2300). Zur Tatzeit war diese Vorschrift indes gemäß der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326) nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" anwendbar, die Sicherungsverwahrung mithin nur anzuordnen, wenn der damit verbundene Eingriff gegen den Angeklagten unerlässlich war, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrecht zu erhalten (BVerfG aaO, BVerfGE 128, 326, 406).
4
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt dieser Maßstab aus Gründen des Vertrauensschutzes für Taten fort, die vor dem 31. Mai 2013 begangen wurden, und zwar nicht nur dann, wenn die Neuregelungen zwischen dem tatgerichtlichen Urteil und der Revisionsentscheidung in Kraft getreten sind (BGH, Urteile vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, BGHR StGB § 66 Verhältnismäßigkeit 2 und 5 StR 617/12, juris Rn. 19; Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; siehe auch Urteil vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735), sondern auch dann, wenn bereits das erstinstanzliche Urteil nach Inkrafttreten der Neuregelungen ergangen ist (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316).
5
Bei Durchführung der vorgenannten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung erweist sich im Rahmen der nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht als unerlässlich, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Strafe (vgl. § 57a StGB) und der Maßregel (vgl. § 67c StGB) in der Praxis gleich zu handhaben sind und deshalb ein Fall, in dem die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, aber gleichwohl die Maßregel wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Betroffenen noch vollstreckt werden dürfte, kaum denkbar erscheint (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - 3 StR 330/12, juris Rn. 6). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB (BGH aaO sowie Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8); für die Entscheidung nach § 66 Abs. 3 StGB gilt nichts anderes (BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat deshalb zu entfallen.
6
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Angesichts der aufgezeigten gleichen Handhabung der Voraussetzungen für die Aussetzung von Restfreiheitsstrafe und Maßregel führt der Wegfall der Sicherungsverwahrung nicht zu einer spürbaren Besserstellung des Angeklagten, so dass es nicht unbillig erscheint, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels, mit dem er sich umfänglich auch gegen den Schuld- und Strafausspruch gewandt hat, zu belasten.
Schäfer Hubert Mayer Gericke Spaniol

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

(1) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgt in Einrichtungen, die

1.
dem Untergebrachten auf der Grundlage einer umfassenden Behandlungsuntersuchung und eines regelmäßig fortzuschreibenden Vollzugsplans eine Betreuung anbieten,
a)
die individuell und intensiv sowie geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die auf den Untergebrachten zugeschnitten ist, soweit standardisierte Angebote nicht Erfolg versprechend sind, und
b)
die zum Ziel hat, seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder sie für erledigt erklärt werden kann,
2.
eine Unterbringung gewährleisten,
a)
die den Untergebrachten so wenig wie möglich belastet, den Erfordernissen der Betreuung im Sinne von Nummer 1 entspricht und, soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen, den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst ist, und
b)
die vom Strafvollzug getrennt in besonderen Gebäuden oder Abteilungen erfolgt, sofern nicht die Behandlung im Sinne von Nummer 1 ausnahmsweise etwas anderes erfordert, und
3.
zur Erreichung des in Nummer 1 Buchstabe b genannten Ziels
a)
vollzugsöffnende Maßnahmen gewähren und Entlassungsvorbereitungen treffen, soweit nicht zwingende Gründe entgegenstehen, insbesondere konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, der Untergebrachte werde sich dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entziehen oder die Maßnahmen zur Begehung erheblicher Straftaten missbrauchen, sowie
b)
in enger Zusammenarbeit mit staatlichen oder freien Trägern eine nachsorgende Betreuung in Freiheit ermöglichen.

(2) Hat das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Urteil (§ 66), nach Vorbehalt (§ 66a Absatz 3) oder nachträglich (§ 66b) angeordnet oder sich eine solche Anordnung im Urteil vorbehalten (§ 66a Absatz 1 und 2), ist dem Täter schon im Strafvollzug eine Betreuung im Sinne von Absatz 1 Nummer 1, insbesondere eine sozialtherapeutische Behandlung, anzubieten mit dem Ziel, die Vollstreckung der Unterbringung (§ 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) oder deren Anordnung (§ 66a Absatz 3) möglichst entbehrlich zu machen.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

29
aa) Wie das Landgericht zunächst im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, verlangt das Merkmal „Hang“ nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (etwa BGH, Urteile vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f. mwN). Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschlüsse vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09; zu den für den Hang bedeutsamen Kriterien näher Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 3, § 66 Rn. 126 ff.).
4
Die Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB setzt - neben formellen Umständen - voraus, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten einen Hang zu erheblichen Straftaten ergibt, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 4 9 6 / 1 3
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Januar
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. 1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 10. Juni 2013 wird
a) das Urteil im Fall II.1. der Entscheidungsgründe, im Ausspruch über die Gesamtstrafe und hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit den Feststellungen aufgehoben,
b) die Verfolgung im Fall II.2. gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der Körperverletzung beschränkt ,
c) der Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte im Fall II.2. der Körperverletzung und im Fall II.3. der besonders schweren sexuellen Nötigung schuldig ist. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 10. Juni 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. III. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung , (vorsätzlicher) Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 28. März 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachrüge. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt; sie beanstandet mit der Sachrüge, dass das Landgericht nicht die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat - nach einer Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO - hinsichtlich der Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, des Gesamtstrafenausspruchs sowie der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der Angeklagte im Juni 2002 nach Deutschland ein. Aus Langeweile und Frustration trank er - weiter gehend als noch in Kasachstan - nunmehr täglich Alkohol (Wodka und Bier) und begann, Haschisch und Heroin zu konsumieren. Wegen einer am 15. November 2002 unter Alkoholeinfluss (die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug 3,27 Promille) begangenen Vergewaltigung wurde er am 12. November 2003 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, die er voll verbüßte. Während der Strafhaft war der Angeklagte , bei dem ein Sachverständiger einen Mehrfachsubstanzmissbrauch festgestellt hatte, zu therapeutischen Gesprächen nicht bereit und nahm weiterhin Heroin und Haschisch zu sich. Dies führte am 27. Januar 2006 zu einer Verurteilung zu einer - ebenfalls voll verbüßten - einmonatigen Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Nach der Entlassung aus der Strafhaft setzte der Angeklagte bereits nach kurzer Zeit den Konsum von Heroin und Alkohol auch während der nunmehr angeordneten Führungsaufsicht fort. Wegen bereits ab Ende Oktober 2008 begangener Beschaffungstaten wurde er am 27. Mai 2009 wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Auch diese Strafe verbüßte der Angeklagte voll, wobei er während der Haft mit Methadon substituiert wurde. Eine bewilligte Drogenentwöhnungstherapie nach § 35 BtMG trat er nicht an; auch im Übrigen war er nicht gesprächs- und therapiebereit. Während der nach seiner Haftentlassung am 30. April 2012 angeordneten Führungsaufsicht wurde der Angeklagte auf sein Bemühen hin am 23. Juli 2012 zur Durchführung einer Langzeittherapie in die "Wohngemeinschaft " aufgenommen. Da er mit den strengen Regeln der Therapieeinrichtung nicht zu Recht kam und den Entzug von Methadon und Alkohol nicht aushielt, er aber die Einnahme von Medikamenten ablehnte, verließ er die Einrichtung - unter Verstoß gegen ihm im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisungen - eigenmächtig bereits am 31. Juli 2012. Am nächsten Tag meldete er sich in alkoholisiertem Zustand bei seinem Bewährungshelfer und sprach in der Folge wieder verstärkt dem Alkohol zu; eine Entwöhnungstherapie strebte er nicht mehr an. Wegen am 17. Juli 2012 und ab dem 8. August 2012 begangener Beschaffungs- und weiterer Taten wurde er schließlich am 11. Dezember 2012 vom Amtsgericht Detmold wegen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, wegen Hausfriedensbruchs in zwei Fällen und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, die das Landgericht Detmold auf die Berufung des Angeklagten hin mit Urteil vom 28. März 2013 auf acht Monate ermäßigte.
3
2. Zu den abgeurteilten Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
(1.) Im Rahmen der nach Vollverbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 27. Mai 2009 angeordneten Führungsaufsicht war dem Angeklagten unter anderem auferlegt worden, zur Überwachung seines Aufenthalts eine elektronische "Fußfessel" zu tragen. Mit deren Hilfe konnte sein Aufenthaltsort nach dem - weisungswidrigen - Verlassen der Therapieeinrichtung am 31. Juli 2012 festgestellt werden. Nachdem Polizeibeamte vergeblich versucht hatten, ihn aufzusuchen, durchtrennte ein Freund des Angeklagten mit dessen Einverständnis das Befestigungsband des Überwachungsgeräts, so dass dieses anschließend nicht mehr funktionsfähig war und der Aufenthaltsort des Angeklagten nicht mehr festgestellt werden konnte. In der Folge betrank sich der Angeklagte mehrfach (wodurch er sich gut fühlte) und wurde schließlich in ebenfalls alkoholisiertem Zustand von Polizeibeamten im Stadtpark aufgegriffen.
5
(2.) Im Januar 2013 hatte sich der Angeklagte "wiederum in Alkohol und Kokain geflüchtet"; das zu Beginn des Monats ausbezahlte Arbeitslosengeld hatte er bereits am 10. Januar vollständig - hauptsächlich für Alkohol und Drogen - ausgegeben. Nachdem er am Abend dieses Tages mit einem Freund eine Flasche Wodka konsumiert hatte, entschloss er sich, bei einem Bekannten eine von diesem versprochene, aber noch nicht geleistete Zahlung einzutreiben, um dafür unter anderem Drogen und Alkohol zu kaufen. Als dieser sich weigerte, ihm Geld zu geben, versetzte ihm der Angeklagte mehrere kräftige Schläge, die ihn zu Fall brachten. Der Lebensgefährtin des Opfers, der Zeugin L. , gelang es schließlich, den Angeklagten in ein Gespräch zu verwickeln. Während dessen konnte das Opfer in ein anderes Zimmer flüchten.
6
(3.) Nunmehr entschloss sich der Angeklagte, der Zeugin "sexuell näher zu kommen". Um den sicher erwarteten Widerstand der Zeugin mit einer "eindrucksvollen Drohung abzuwenden", nahm er ein Küchenmesser und hielt es ihr an den Hals. Sodann griff er unter ihr Kleid, "fasste ihr über dem Slip in den Schritt und streichelte schließlich ihre Brüste". Dies ließ die Zeugin aus Angst vor dem Einsatz des - vom Angeklagten inzwischen abgelegten - Messers geschehen , jedoch weigerte sie sich, der Aufforderung des Angeklagten nachzukommen , sich auszuziehen. Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab und verließ die Wohnung.
7
Die Strafkammer bewertete diese Taten als schwere sexuelle Nötigung, (vorsätzliche) Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Im Fall 3 verhängte sie eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, im Fall 2 eine solche von einem Jahr und im Fall 1 eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10 EUR. Hinsichtlich der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bejahte sie die Erfolgsaussichten, weil der Angeklagte sowohl unter der Führungsaufsicht als auch in der Hauptverhandlung gezeigt habe, "dass er an einer Bewältigung seiner Suchtproblematik interessiert und zu der erforderlichen Mitarbeit auch in der Lage" sei. Sein Verhalten im Rahmen der abgeur- teilten Sexualstraftat habe zudem gezeigt, dass er die sicher vorhandenen dissozialen Persönlichkeitszüge überwinden könne.
8
Den für eine Anordnung von Sicherungsverwahrung erforderlichen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten vermochte die Strafkammer - entgegen dem von ihr beigezogenen Sachverständigen - nicht festzustellen. Zudem sei die Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht verhältnismäßig und die Unterbringung nach § 64 StGB, die "Aussicht auf Erfolg" habe, vorrangig.

II.


9
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat im Fall II.1. der Urteilsgründe, hinsichtlich der vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafe sowie der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt Erfolg. Im Fall II.2. der Urteilsgründe beschränkt der Senat zudem die Verfolgung auf den Vorwurf der Körperverletzung.
10
1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1. wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
a) Aufgrund des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) besteht zwar seit dem 1. Januar 2011 die Möglichkeit, im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Überwachung des Aufenthaltes einer verurteilten Person durchzuführen ("elektronische Fußfessel", § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB). Gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB ist eine solche Weisung unter anderem aber nur dann zulässig, wenn sie erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Abs. 4 Satz 2 StPO, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art abzuhalten.
12
b) Dies ist - jedenfalls bislang - nicht hinreichend belegt.
13
Der Zweck einer Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB - eine Weisung nach dessen Nummer 2 wurde dem Angeklagten nicht erteilt - besteht zum einen in der erleichterten Kontrolle durch die Aufsichtsstelle, zum anderen in der Vermeidung einer kriminellen Gefährdung, der der Verurteilte außerhalb seines Wohn- oder Aufenthaltsbereichs ausgesetzt ist (BT-Drucks. 17/3403 S. 38). Auf eine solche kriminelle Gefährdung des Angeklagten außerhalb des Aufenthaltsbereichs "Kreis Lippe" und damit auch eine spezialpräventive Wirkung der Aufenthaltsüberwachung hat indes weder die Strafvollstreckungskammer noch die erkennende Strafkammer abgestellt. Angesichts der Feststellungen des Landgerichts zu den Umständen der hier abgeurteilten wie auch der vorangegangenen Straftaten des Angeklagten liegt es fern, dass deren Begehung dadurch hätte verhindert werden können, dass der Angeklagte den Kreis Lippe nicht verlassen durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2011 - 3 StR 439/10, NStZ-RR 2011, 244). Denn die Tatorte der nunmehr sowie der im Jahr 2012 abgeurteilten Straftaten befanden sich stets in Detmold, also inmitten des Kreises Lippe.
14
2. Auf die Revision des Angeklagten beschränkt der Senat im Fall II.2. der Urteilsgründe die Verfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts aus den von diesem in der Antragsschrift vom 13. November 2013 dargelegten Gründen auf den Vorwurf der (vorsätzlichen) Körperverletzung.
15
3. Im verbleibenden Umfang weisen die Schuld- und Einzelstrafaussprüche keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dagegen kann die von der Strafkammer insbesondere mit der hohen Rückfallgeschwindigkeit begründete Gesamtstrafe nach der Aufhebung der Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht keinen Bestand haben.
16
Der Senat schließt jedoch aus, dass der Tatrichter im Fall II.2. der Urteilsgründe eine geringere als die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr festgelegt hätte, wenn er den Angeklagten allein wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung verurteilt hätte. Denn die Strafkammer hat die Strafe zutreffend dem Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB entnommen und bei der konkreten Strafzumessung die tateinheitlich angenommene versuchte Nötigung nicht strafschärfend berücksichtigt.
17
Im Fall II.3. der Urteilsgründe berichtigt der Senat zudem den Schuldspruch. Unter den vom Landgericht rechtsfehlerfrei bejahten Voraussetzungen des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB lautet dieser selbst dann auf "besonders schwere sexuelle Nötigung", wenn - wie hier - ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 5 StGB bejaht wird (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 177 Rn. 78a; MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 25 jeweils mwN).
18
4. Keinen Bestand hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Denn die Annahme des Landgerichts, diese habe hinreichende Erfolgsaussichten, entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
19
a) Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist an die Voraussetzung geknüpft, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 25. Juli 2008 - 2 BvR 573/08 [juris Rn. 2]; vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 708/12 [juris Rn. 28] jeweils mwN). Erforderlich ist deshalb jedenfalls in Fällen, in denen sich dies angesichts der Feststellungen nicht von selbst versteht , die Darlegung im Urteil, dass sich unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums seiner Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen (BGH, Beschluss vom 18. Dezember2012 - 4 StR 453/12) in Persönlichkeit und Lebensumständen des Angeklagten konkret zu benennende Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass es innerhalb eines zumindest "erheblichen" Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48; vom 16. September 2008 - 5 StR 378/08; vom 13. Januar 2010 - 2 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 141; sowie vom 13. September 2011 - 3 StR 277/11).
20
b) Die auf dieser Grundlage gebotene Gesamtwürdigung konkret festgestellter Umstände lässt das landgerichtliche Urteil vermissen.
21
Vielmehr verweist die Strafkammer lediglich darauf, dass eine in früheren Urteilen als möglich angesehene hirnorganische Persönlichkeitsveränderung beim Angeklagten auf von diesem frei erfundenen Angaben beruht habe und mangelnde Therapiebereitschaft nicht mehr zu sehen sei, sondern der Angeklagte gezeigt habe, "dass er an einer Bewältigung seiner Suchtproblematik interessiert und zu der erforderlichen Mitarbeit auch in der Lage" sei (UA S. 25). Unerörtert geblieben sind hingegen der langjährige, teilweise in der Strafhaft fortgesetzte oder unmittelbar anschließend wieder begonnene, bereits mit einer "süchtigen Abhängigkeit" (UA S. 24) verbundene Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten, ferner der Umstand, dass er bereits mehrere Substitutionsund Therapieangebote erfolglos durchlaufen, abgelehnt oder nach wenigen Tagen abgebrochen hat. Im Hinblick auf dieses frühere Verhalten des Angeklagten wäre es für die Annahme eines die Behandlung im Maßregelvollzug erheblich überdauernden Therapieerfolgs zudem geboten gewesen, sich mit der Ernsthaftigkeit und dem Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten auseinanderzusetzen.
22
c) Der Senat schließt angesichts der vom Landgericht angeführten Strafzumessungserwägungen aus, dass dieses in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe ohne die angeordnete Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB geringere Einzelstrafen verhängt hätte. Diese können daher Bestand haben.
23
Ergänzend weist der Senat den neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter darauf hin, dass es an den Erfolgsaussichten fehlt, wenn eine erfolgreiche Therapie länger als zwei Jahren andauern müsste (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 4 StR 223/12 mwN; zum Einfluss einer Persönlichkeitsstörung auf die Erfolgsaussichten einer Therapie: Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 4 StR 455/11 [juris Rn. 12]).

III.


24
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Dies - aus den oben dargelegten Gründen - nicht nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO), soweit dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde,sondern - insofern in vollem Umfang - auch zum Nachteil des Angeklagten. Denn die Erwägungen, mit denen die Strafkammer von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, halten der Überprüfung nicht stand.
25
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht auf die Nicht-Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Es richtet sich vielmehr ausdrücklich gegen den gesamten Rechtsfolgenausspruch, wodurch der aus § 72 StGB herzuleitenden Verknüpfung der Maßregeln nach § 64 und § 66 bzw. § 66a StGB Rechnung getragen wird, die nicht losgelöst voneinander geprüft und beurteilt werden können (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - 1 StR 573/12, sowie unten 4.).
26
2. Soweit das Landgericht bereits wegen des Vorrangs der Maßregel des § 64 StGB und der daraus von ihm hergeleiteten Unverhältnismäßigkeit der den Angeklagten ungleich schwerer belastenden Sicherungsverwahrung von deren Anordnung abgesehen hat (UA S. 27), hat schon die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zur Folge, dass die Nicht-Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keinen Bestand haben kann.
27
a) Erweist sich die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich einer angeordneten Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§ 72 Abs. 1 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106, 107). Nichts anderes gilt im umgekehrten Fall, wenn also das Landgericht - wie hier - von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, weil es rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr schon durch die Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB und eine erfolgreiche Therapie begegnet werden kann.
28
b) Hinzu kommt, dass die Strafkammer im Rahmen der Prüfung des § 72 Abs. 1 StGB von einem falschen Maßstab ausgegangen ist:
29
Liegen die Voraussetzungen sowohl des § 66 StGB (bzw. § 66a StGB) als auch des § 64 StGB vor, erfordert das Absehen von der (vorbehaltenen) Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit, dass mit der alleinigen Unterbringung gemäß § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. Mai 2013 - 1 StR 573/12 [juris Rn. 19]; vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11 [juris Rn. 9]; vom 8. Juli 2010 - 4 StR 210/10, NStZ-RR 2011, 204 jeweils mwN). Unsicherheiten über den Erfolg der milderen Maßnahme müssen dagegen - bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen - zur kumulativen Anordnung der Maßregeln führen (§ 72 Abs. 2 StGB; vgl. auch BGH, Urteile vom 14. Mai 2013 - 1 StR 573/12 [juris Rn. 24]; vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106 jeweils mwN).
30
Ein solches hohes Maß an prognostischer Sicherheit des Erfolges der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird von der insoweit vom Landgericht allein angeführten Erwägung, "die durchzuführende Ent- wöhnungstherapie … [habe] Aussicht auf Erfolg" (UA S. 27) nicht belegt.
31
3. Auch die Ablehnung eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB durch die Strafkammer begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
32
a) Diese stützt das Landgericht - abweichend vom Sachverständigen - zum einen insbesondere darauf, dass den früher vom Angeklagten begangenen (Sexual- und Gewalt-)Straftaten kein Symptomwert für einen jetzt bestehenden Hang zu entnehmen sei, da es sich um lange zurückliegende Spontan- bzw. Beschaffungstaten gehandelt habe. Zum anderen sei bei den nunmehr abgeurteilten Taten das Maß der angewendeten Gewalt wesentlich geringer gewesen; der Angeklagte habe "eine Entwicklung weg von der Gewalt durchgemacht" und es sei eine "abnehmende Intensität seiner Taten" festzustellen (UA S. 26).
33
Abgesehen davon, dass die Strafkammer hierbei die mehrjährigen Strafverbüßungen durch den Angeklagten nicht berücksichtigt hat und der Senat angesichts der zu erheblichen Verletzungen führenden Misshandlungen im Fall II.2. sowie der Bedrohung mit dem Messer (am Hals des Opfers) im Fall II.3. der Urteilsgründe eine abnehmende Intensität der Taten nicht zu erkennen vermag, hat die Strafkammer nicht bedacht, dass die Neigung immer wieder straffällig zu werden, wenn sich die Gelegenheit bietet, auch bei sogenannten Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein kann (vgl. BGH, Urteile vom 3. August 2011 - 2 StR 190/11 [juris Rn. 9]; vom 17. November 2010 - 2 StR 356/10, NStZ-RR 2011, 77 jeweils mwN). Die Anwendung des § 66 oder des § 66a StGB unter dem Gesichtspunkt des Spontan- oder Gelegenheitscharakters der Tat ist lediglich dann ausgeschlossen, wenn eine äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat allein verursacht hat (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - 5 StR 316/06, NStZ 2007, 114). Dies hat das Landgericht weder festgestellt noch drängt es sich in einem Maße auf, dass es der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen kann.
34
b) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder eines entsprechenden Vor- behalts erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten nicht bereits dann ausscheidet, wenn die wiederholte Straffälligkeit eines Täters allein auf dessen Hang zu übermäßigem Konsum berauschender Mittel beruht; denn auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten kommt es nicht an (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2010 - 4 StR 210/10, NStZ-RR 2011, 204; vom 3. August 2011 - 2 StR 190/11 [juris Rn. 9]).
35
4. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs , da der Senat nicht von vorneherein ausschließen kann, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder eines entsprechenden Vorbehalts geringere Einzelstrafen oder eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe verhängen wird.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 645/10
vom
15. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. Februar 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2010 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zahlreicher Sexualdelikte (Einzelstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat gemäß § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen dargelegt, weshalb es entgegen dem in der Verhandlung von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

II.

2
Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben.
3
1. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung weist keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB jeweils aF (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) vorliegen. Es hat aber rechtsfehlerfrei in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S. den gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF erforderlichen Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten verneint.
4
Soweit die Staatsanwaltschaft eine fehlerhafte Ermessensausübung durch das Landgericht rügt, übersieht sie, dass der Begriff des Hangs ein Rechtsbegriff ist, der der rechtlichen Würdigung des Tatrichters unterliegt (vgl. u.a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3). Eine Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB aF für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nur dann zu treffen, wenn der Hang zu erheblichen Straftaten rechtsfehlerfrei festgestellt ist.
5
Das Landgericht ist von einem zutreffenden Verständnis des Rechtsbegriffs "Hang" ausgegangen. Das Merkmal "Hang" i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung (wobei der Rechtsbegriff "Hang" als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09 Rn. 9) - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner maßgebenden Umstände dem erkennenden Richter (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 5). Dem ist hier Genüge getan. Das Landgericht hat alle für das Vorliegen eines Hanges wesentlichen Gesichtspunkte einer umfassenden Würdigung unterzogen. Hierbei hat es durchaus die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände gesehen. Es hat aber im Einzelnen dargelegt und begründet, weshalb es letztlich ein eingeschliffenes Verhaltensmuster nicht erkennen kann. Das Landgericht hat sich dem Gutachter angeschlossen und dessen Erwägungen mitgeteilt, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist. Da es aber selbst die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat, ist nicht zu besorgen, es habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen.
6
Die Revision zeigt mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Zutreffend ist allerdings der Hinweis, dass in Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein kann. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft , ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - 1 StR 187/10 Rn. 12 mwN). Das Landgericht hat zwar die Vorverurteilung thematisiert und als nicht einschlägig im engeren Sinn bezeichnet und weiter auch angeführt, dass zwischen der im April 2002 begangenen Tat und den nunmehr gegenständlichen Taten ein Zeitraum von fast sieben Jahren liegt (UA S. 33), es hat diesen Umständen aber nach dem Gesamtkontext der Urteilsgründe kein maßgebliches Gewicht zur Verneinung eines Hanges beigemessen. Denn es hat sich aufgrund eigener Überzeugung (UA S. 32) auch die im Urteil wiedergegebenen (UA S. 31) Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. zu eigen gemacht, die gegen einen Hang des Angeklagten sprechen. So weise der Angeklagte keine dissoziale Persönlichkeitsstruktur oder dissozialen Verhaltensweisen auf und habe in den letzten Jahren keinen Alkohol- oder Drogenmissbrauch betrieben. Weiter sei das unterdurchschnittliche Aggressionspotential des Angeklagten und dessen vorgerücktes Alter von 57 Jahren zu berücksichtigen. Als prognostisch günstig sei zudem u.a. zu werten, dass im Arbeitsleben des Angeklagten weitgehend Kontinuität geherrscht und er erkennbar die Bereitschaft gezeigt habe, sich einer Therapie zu unterziehen. Weiterhin seien als prognostisch günstige Faktoren die spezifische Täter-Opfer-Beziehung, die relativ späte Umsetzung der Paraphilie auf der Verhaltensebene und der Umstand anzusehen, dass das delinquente Verhalten des Angeklagten durch den Arbeitsplatz begünstigt wurde, was ein erhebliches aktives Vorgehen seitens des Angeklagten nicht erforderlich gemacht habe.
7
Im Übrigen darf der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, indiziell in zurückhaltender Form durchaus in die notwendige Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit eingestellt werden und muss nicht ausgeblendet werden. Denn die Gesamtwürdigung ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 274/10 Rn. 4 mwN). So darf auch berücksichtigt werden, dass ein Angeklagter in der Lage war, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 356/10 Rn. 5).
8
Das Landgericht hat sich auch damit befasst, dass den Angeklagten "Warnhinweise" erreicht haben, hat aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargetan, dass hiermit keine deutliche Warnfunktion verbunden war. Es liegt daher kein Widerspruch vor, wenn im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend gewertet wird, dass er zweimal auf die von ihm vorgenommenen Massagen "angesprochen" wurde und sich dennoch in der Folgezeit nicht von den von ihm begangenen sexuellen Handlungen hat abhalten lassen (UA S. 27 und 28).
9
Das Landgericht hat weiter rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen nicht vorliegt. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als auch in § 67b Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 7 mwN). Dieser Unterscheidung wird das angefochtene Urteil im Ergebnis gerecht, wenn auch eine gewisse Gefährlichkeit des Angeklagten in entsprechenden Situationen nicht zu verkennen ist, die gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei einer etwaigen Reststrafaussetzung zur Bewährung berücksichtigt werden kann.
10
Durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300) hat sich die Rechtslage hinsichtlich des vorliegenden Falles nicht entscheidungserheblich geändert.
11
2. Soweit die Staatsanwaltschaft in zweiter Linie auch die Strafzumessung rügt, zeigt sie ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 187/10
vom
9. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte hat innerhalb von drei Monaten vier bewaffnete Raubdelikte , einen Mordversuch und zwei versuchte Totschlagsdelikte begangen. Das Landgericht hat ihn deshalb zu einer aus Einzelfreiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und sechs Monaten und zehn Jahren gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Der näheren Ausführungen bedarf nur Folgendes:
3
Die Revision rügt, dass vor der Verkündung des Urteils unter Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO keine (erneute) Urteilsberatung stattgefunden habe.
4
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
5
Nachdem die Strafkammer das Urteil umfassend beraten hatte, wurde die Beweisaufnahme wieder eröffnet und ein Hinweis nach § 265 StPO erteilt. Im Anschluss daran wurde die Beweisaufnahme erneut geschlossen. Die Ver- fahrensbeteiligten machten von der Gelegenheit, weitere Erklärungen zur Sache abzugeben, keinen Gebrauch, sondern nahmen lediglich auf ihre bereits gemachten Ausführungen Bezug. Sodann wurde das Urteil verkündet, ohne dass eine (erneute) Beratung stattgefunden hatte.
6
b) Die Revision und auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 29. April 2010 halten dieses Vorgehen zutreffend für rechtsfehlerhaft.
7
Gemäß § 260 Abs. 1 StPO hat das Urteil „auf die Beratung“ zu ergehen; diese muss der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgehen. Tritt das Gericht nach den Schlussvorträgen und der Beratung wieder in die Verhandlung ein, so muss es vor der Verkündung erneut beraten. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Wiedereintritt in die Verhandlung keinen neuen Prozessstoff ergeben hat (BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2; BGH NStZ-RR 1998, 142; BGH NStZ 2001, 106).
8
c) Der Senat kann jedoch hier ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel ausschließen. Bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll hat die Vorsitzende der Strafkammer in ihrer dienstlichen Äußerung erklärt, dass eine erneute Beratung deshalb unterblieben ist, weil nach dem Wiedereintritt in die Verhandlung von keinem der Verfahrensbeteiligten eine Äußerung erfolgt ist, die - nicht einmal in einem geringen Umfang - über die bloße Bezugnahme auf frühere Ausführungen hinaus inhaltliche Substanz gehabt hätte. Zusätzliche Erkenntnisse, die für den Straf- oder Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung hätten sein können, ergaben sich somit aus dem weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht. Für diesen Fall war nach der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden in der vor der Wiedereröffnung der Hauptverhandlung vorangegangenen Urteilsberatung zwischen den Mitgliedern der Strafkammer dahingehend Einigkeit erzielt worden, dass es bei dem Beratungsergebnis - einer Verurteilung des Angeklagten entsprechend dem erteilten rechtlichen Hinweis - bleiben sollte, ohne dies noch einmal zu beraten. Dementsprechend haben weder die Berufsrichter noch die Schöffen vor der Urteilsverkündung den Wunsch nach einer erneuten Beratung geäußert. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass hier ein Gerichtsmitglied zu einer anderen Entscheidung als zu der bereits umfassend vorberatenen gelangt wäre (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2 und 6; BGH NStZ 2001, 106).
9
2. Auch im Übrigen hat die aufgrund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils aus den von dem Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
10
3. Der Senat sieht jedoch Anlass zu folgendem Hinweis:
11
Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB abgelehnt. Sachverständig beraten hat es bei diesem trotz der „ungewöhnlich schwerwiegenden Tatserie“ wegen des kurzen Tatzeitraumes von drei Monaten einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB „noch“ nicht feststellen können.
12
Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen eines Hanges verneint hat, ist nicht zutreffend. Liegen wie im vorliegenden Fall die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, kann nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft, ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfter straffällig wurde oder dass nicht ein bestimmter zeitli- cher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07; Urt. vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08 m.w.N.). Vielmehr können gerade zeitlich dicht aufeinander folgende Taten in ihrer Häufung für einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters sprechen, der ihn immer neue Straftaten begehen lässt. Durch die daher nicht tragfähig abgelehnte Anordnung von Sicherungsverwahrung ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
Nack Wahl Rothfuß Graf Sander
5 StR 189/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 3. Januar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. In der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 nahm der Angeklagte an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die in seinem Haushalt lebten und ihm zur Betreuung anvertraut waren, unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor.
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen. Die formellen Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt, darüber hinaus weise der Angeklagte auch den notwendigen Hang zu erheblichen Straftaten auf, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
a) Das gilt auch für die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendschutzkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO).
6
aa) Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschwerdeführer zwei Anklagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in insgesamt mehr als 100 Fällen zum Nachteil der vier Kinder erhoben. Beide Anklagen wurden durch die Jugendschutzkammer verbunden und unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen; es wurden die reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG angeordnet und zunächst sieben Hauptverhandlungstermine anberaumt. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO wurde nicht erhoben.
7
Weder Anklageschriften noch Eröffnungsbeschluss setzten sich mit einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auseinander. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erging erst am siebten Hauptverhandlungstag, nachdem am vorherigen Verhandlungstag die Schlussvorträge gehalten worden waren, ohne jeweils auf eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzugehen, und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden war. Die Strafkammer beraumte weitere fünf Hauptverhandlungstage an und bestellte einen Sachverständigen zur Exploration des Angeklagten.
8
bb) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
9
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31.
August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss

8).


10
cc) Das Revisionsvorbringen muss danach erfolglos bleiben. Zwar wird der mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene besonders tiefe Eingriff in die Grundrechte eines Angeklagten es in der Regel – im Gleichklang mit der gesetzlich zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern und mit § 74f Abs. 3 GVG – angezeigt erscheinen lassen, bei Entscheidungen nach § 66 StGB von der Möglichkeit der Besetzungsreduktion abzusehen und wegen ihrer strukturellen Überlegenheit in einer Dreierbesetzung zu verhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 4; Rieß in Festschrift Schöch [2010], S. 895, 912; Heß/Wenske, DRiZ 2010, 262, 268 und ferner Begründung zu Artikel 1 Ziffer 4 des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.
11
b) Einer Entscheidung über die von der Revision ebenfalls beanstandete Verletzung des § 265 StPO bedarf es bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht.
12
Die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO lagen mangels veränderter Tatsachengrundlage (oben a) nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob für das Landgericht etwa ein zwingender Anlass für eine Verfahrensaussetzung in mindestens entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO bestanden hätte – was anschließend einen Neubeginn der Hauptverhandlung nach Änderung der Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG nahegelegt hätte (nach den Grundsätzen von BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8; vgl. ferner § 76 Abs. 5 Alternative 2 GVG-E in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Dafür mögen das Gewicht und der späte Zeitpunkt des Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO sprechen, dagegen freilich der Umstand, dass auch die Revision keinen konkreten Aufklärungsmangel – etwa im Wege einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – durch die späte Erstreckung der Hauptverhandlung auf die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a StPO oder ein konkretes Verteidigungsdefizit durch unzureichende Vorbereitung vorbringt. Die Frage kann letztlich offen bleiben.
13
Gegenstand der nach Ablehnung des Aussetzungsantrags der Verteidigung fortgesetzten Beweisaufnahme war hier allein noch die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Schuld- und Strafausspruch durch das Ergebnis der fortgeführten Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden wären. Deshalb und mit Blick auf den Schutzzweck des § 265 StPO ist ein über die Aufhebung des Maßregelausspruchs hinausreichender Erfolg der Verfahrensrüge auszuschließen; dieser wird hier indes schon durch die Sachrüge erreicht (vgl. nachfolgend 3).
14
Nichts anderes gilt im Blick auf den Umstand, dass die Verfahrensrüge naheliegend jedenfalls mit der Stoßrichtung hätte Erfolg haben müssen, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise den Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung beschieden. Auch insoweit bleiben die Belange des Angeklagten durch den Erfolg der Sachrüge umfassend gewahrt.
15
3. Die Begründung des Maßregelausspruchs hält – insbesondere unter Berücksichtigung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Das sachverständig beratene Landgericht nimmt – insoweit nachvollziehbar – an, dass sich beim Angeklagten über einen langen Zeitraum hinweg eine pädophile Störung verfestigt habe und an verschiedenen Kindern beiderlei Geschlechts ausgelebt worden sei. Der Angeklagte gehe mit seiner pädophilen Störung „unehrlich“ um, was prognostisch ungünstig einzuschätzen sei. Angesichts des breiten Spektrums der Geschädigten bestehe im Hinblick auf eine ohnehin anzunehmende verhältnismäßig hohe Rückfallrate bei wegen Kindesmissbrauchs verurteilten unbehandelten Tätern bei dem Angeklagten ein noch ungleich höheres Risikopotential und damit eine „nicht unerhebliche Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art“ (UA S. 32). Mit Blick auf das Streben des Angeklagten, „sich mit Kindern zu umgeben und diese zu missbrauchen“, hat die Strafkammer „nach Abwägung aller Umstände die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für notwendig und unumgänglich erachtet“ (UA S.

32).


17
b) Die Ausführungen zur Gefährlichkeit lassen besorgen, dass die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, den unehrlichen Umgang des Angeklagten mit seiner pädophilen Störung aus seinem Bestreiten der Taten geschlossen, damit aber die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hang- oder gefahrbegründend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482 mwN). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet („unehrlicher Umgang“), ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8). Zudem begegnet schon die Formulierung einer – lediglich – „nicht unerheblichen“ Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art Bedenken.
18
c) Die Urteilsgründe lassen überdies nicht hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessensbefugnis nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF Gebrauch gemacht wurde.
19
aa) Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem für den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit soll dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung getragen werden, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung regelmäßig zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN; ferner BGH, Beschlüsse vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, aaO, und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
20
bb) Einer Überprüfung an diesem Maßstab hält die Begründung des angefochtenen Urteils bislang nicht stand. Die möglichen Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den 49 Jahre alten Angeklagten hat die Strafkammer bei ihrer Ermessensausübung unerörtert gelassen. Das Tatgericht hat sich damit nicht nur den Blick auf mögliche, mit dem fortschreitenden Lebensalter einhergehende Verhaltensänderungen beim Angeklagten verstellt, sondern auch darauf, dass sich nunmehr durch den erstmaligen Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer langfristigen Therapie bietet. Auch aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte bereits im Jahre 2003 einem – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt sah und ihn dies nicht von dem „weiteren Vollzug“ gleich gelagerterHandlungen abgehalten hat, kann nicht zwingend auf die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs geschlossen werden.
21
d) Das neue Tatgericht wird – naheliegend nunmehr in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) – bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Maßgaben des vorstehend genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (aaO) zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und als verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung zeitlich bis zum 31. Mai 2013 begrenzt fort. Der Senat entnimmt der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (BVerfG aaO, S. 1946 Rn. 172) in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11) das Erfordernis eines strengen Maßstabs sowohl bei der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten als auch bei der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Ein solcher erfordert jedenfalls, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BGH aaO; ferner Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11 – und Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
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(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.