Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2017 - 5 StR 433/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:250417U5STR433.16.0
bei uns veröffentlicht am25.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 433/16
vom
25. April 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:250417U5STR433.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger des Angeklagten Al. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten , auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen gegen den Schuldspruch. Sie beanstandet, dass das Landgericht die Angeklagten nicht wegen besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt hat. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Die Angeklagten befanden sich am Morgen des 5. Dezember 2015 gemeinsam mit zwei unbekannten Personen in der Nähe eines U-Bahnhofs in Berlin. Spontan entschloss sich die Gruppe, den an der Treppe des U-Bahnhofs stehenden Zeugen G. gegebenenfalls unter Anwendung oder Androhung körperlicher Gewalt dazu zu bringen, sein Geld und sein Handy herauszugeben bzw. deren Wegnahme geschehen zu lassen.
4
Die Angeklagten sowie eine der unbekannt gebliebenen Personen gingen auf den Zeugen zu und der Angeklagte AI. verlangte erfolglos die Herausgabe des Mobiltelefons. Daraufhin baute sich der Angeklagte A. bedrohlich vor dem Zeugen G. auf, hielt ihn an der linken Hosentasche fest und forderte die Herausgabe von Geld. Mittlerweile war auch die vier- te Person aus der Gruppe an den Zeugen herangetreten, so dass dieser „komplett umringt“ war. Der Angeklagte AI. hielt den Zeugen G. nunmehr am rechten Oberarm fest und er sowie der Angeklagte A. forderten von dem Zeugen erneut die Herausgabe seiner Sachen. Für die Angeklagten überraschend griff der dritte TatbeteiIigte in seine Hosentasche, holte ein Messer mit einer KIingenIänge von etwa 10 cm heraus, klappte es auf, sprang zwischen den Angeklagten hindurch auf den Zeugen zu und stach in Richtung dessen Oberkörpers. Während der Zeuge G. zurückwich und dabei zu Fall kam, versuchte dieser unbekannte Tatbeteiligte noch mehrfach, ihn mit dem Messer zu treffen, wodurch jedoch lediglich der Gurt der Umhängetasche des Zeugen teilweise durchtrennt wurde. Nachdem der Zeuge wieder aufgestanden war und eine Boxerhaltung eingenommen hatte, kamen alle vier TatbeteiIigten auf ihn zu und versuchten, ihn zu schlagen, um an seine Wertgegenstände zu gelangen. Der Zeuge G. äußerte immer wieder, dass er keine Probleme haben wolle; sie sollten aufhören. Diese Aufforderung blieb jedoch erfolglos. Das Messer hatte der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte an „andere Personen, die das Geschehen ohne sich einzumischen beobachteten“, weitergereicht. Als den sich wehrenden Zeugen G. die Kräfte verließen, drehte er sich zu den umstehenden Personen und bat um Hilfe. Als er sich wieder dem Angeklagten A. zuwandte, versetzte dieser ihm einen gezielten Faustschlag auf die Nase. Der Zeuge entledigte sich daraufhin seiner Jacke und seiner Tasche, um sich besser wehren zu können. Einer der unbekannten Tatbeteiligten entnahm sodann der Tasche ein Mobiltelefon sowie 40 € Bargeld.
5
Der Geschädigte erlitt einen Nasenbeinbruch, einen Bruch des kleinen rechten Fingers sowie Rückenschmerzen.
6
2. Das Landgericht hat das Geschehen als Raub nach § 249 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gewürdigt. Die Verwendung des Messers hat es den Angeklagten nicht zugerechnet. Diese sei weder vom Tatplan umfasst gewesen, noch sei das Messer im weiteren Verlauf benutzt worden. Zwar sei nach dem Einsatz des Messers weiter auf den Zeugen eingewirkt worden, um ihm seine Wertsachen abzunehmen. Hieraus könne jedoch nicht auf ein Billigen geschlossen werden, da das Messer danach „sofort aus dem Geschehen quasi herausgenommen wurde“, weshalb sie seinenEinsatz weder ausgenutzt noch sich zu eigen gemacht hätten.

II.


7
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Denn die revisions- gerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend von den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft ausgegangen.
9
Eine solche liegt dann vor, wenn in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehenen – auch wenn dies in wesentlichen Punkten von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in eine bereits begonnene Aus- führungshandlung als Mittäter eingetreten wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was schon vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die strafbare Verantwortlichkeit nicht zu begründen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280; vgl. ferner Beschluss vom 20. August 2013 – 3 StR 237/13).
10
Ein vollständig abgeschlossenes Geschehen lag hier schon im Hinblick darauf nicht vor, dass die Wegnahme der Sachen noch nicht erfolgt war. Die Weitergabe des Messers durch die unbekannte Person an außenstehende Dritte stellte auch nicht etwa einen (Teil-)Rücktritt von der Qualifikation des § 250 Abs. 2 StGB dar. Durch den Gebrauch des Messers war das Qualifikationsmerkmal bereits verwirklicht und die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 – 2 StR 34/07, NStZ 2007, 468).
11
2. Soweit das Landgericht sich nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass die Angeklagten den erfolgten Messereinsatz des unbekannten Mittäters gebilligt haben, erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.
12
a) Das Landgericht hat bei seiner Würdigung maßgeblich darauf abgestellt , dass das Messer nach dem Einsatz „sofort wieder aus dem Geschehen genommen worden sei“. Diese sich nur in der Beweiswürdigung und den Rechtsausführungen wiederfindende Erwägung wird jedoch von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Denn danach versuchte der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte mehrmals, auf den Zeugen einzustechen, der auswich und zu Boden fiel, wieder aufstand, von allen vier Tatbeteiligten mit Schlägen attackiert wurde und diese zum Aufhören aufforderte. Der sich hieran anschließenden Mitteilung, dass der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte „das Messer ... an andere Personen ... weitergereicht“ habe, lässt sich gerade nicht entnehmen , wann dies genau bzw. dass es „sofort“ erfolgt sein soll.
13
b) Im Übrigen kann die Feststellung, dass ein Täter die von ihm für möglich gehaltenen Folgen seines Handelns gebilligt hat, sofern er dies bestreitet, vor allem durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen getroffen werden (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2002 – 3 StR 296/02; vom 23. Mai 2002 – 3 StR 513/01). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen , für deren Vorliegen – selbst bei nicht widerlegbaren, aber durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten – keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15). Nichts anderes gilt für die Billigung eines Mittäterexzesses bei sukzessiver Mittäterschaft. Unter diesem Blickwinkel begegnet die Feststellung, die Angeklagten hätten den Messereinsatz bei ihren diesem nachfolgenden Handlungen (unter anderem: mehrfaches Ansetzen zu Schlägen, Faustschlag ins Gesicht, Wegnahme von Handy und Geld) nicht gebilligt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
15
a) Die strafmildernde Erwägung im angefochtenen Urteil, die Angeklagten seien als Ausländer ohne hiesige soziale Kontakte besonders haftempfindlich , widerspricht den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen.
16
b) Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB erfordert keine Abhängigkeitserkrankung. Ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16 mwN). Eine „Neigung zum Drogenmissbrauch“ der zur Tatzeit erheblich alkoholisierten sowie unter „anderen Drogen“ stehenden und deshalb nur vermindert schuldfähigen Angeklagten hat das Landgericht festgestellt.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

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(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 301/07
vom
18. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Mord u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2006 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge schuldig ist;
b) im Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten K. aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieses Rechtsmittels - an eine als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit der auf die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen das Urteil. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Sie wird vom Generalbundesanwalt vertreten und erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge. Während das Rechtsmittel des Angeklagten keinen Erfolg hat, ist das Urteil, soweit es den Angeklagten K. betrifft, auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Schuldspruch zu ändern und im Strafausspruch aufzuheben.
2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Nachmittag des 29. Oktober 2005 überfielen die Angeklagten S. und K. den 62-jährigen W. in seinem Schrebergarten, um dessen Fahrzeug gewaltsam zu entwenden. Die beiden Angeklagten hatten sich zuvor darauf verständigt, das Opfer niederzuschlagen, um ihm die Autoschlüssel abzunehmen und die Zeit der Ohnmacht oder Benommenheit zur Wegnahme des Autos und zur Flucht zu nutzen. Der Angeklagte K. sollte dazu W. nach Wasser und Arbeit fragen; währenddessen sollte sich der Angeklagte S. unbemerkt von hinten anschleichen und das Opfer niederschlagen. Die Mitangeklagte D. hatte diese Absprache mitbekommen und war damit einverstanden, in der Nähe des Fahrzeugs zu warten und gegebenenfalls vor herannahenden Personen zu warnen. K. und D. wussten, dass der Angeklagte S. ein Fahrtenmesser in der Lederscheide am Gürtel bei sich trug.
4
Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend verwickelte der Angeklagte K. W. in ein Gespräch. Der Angeklagte S. hatte sich zunächst im Hintergrund gehalten. In ihm war plötzlich der Gedanke gereift, W. mit seinem mitgeführten Messer zu erstechen, um ungestört und ohne Angst vor späteren Folgen mit dem entwendeten Pkw weiterreisen zu können. Er zog deshalb mit der rechten Hand sein Fahrtenmesser aus der Lederscheide und schlich sich - ansonsten absprachegemäß - von hinten an den völlig ahnungslosen W. heran. Als er dicht hinter ihm angekommen war, schlug er W. nicht - wie vom Angeklagten K. dem Tatplan gemäß erwartet - nieder, sondern umschlang ihn mit dem linken Arm von hinten im Schulterbereich und zog ihn zu sich her. Gleichzeitig führte er mit der rechten Hand mit dem gezückten Messer in Tötungsabsicht zwei heftige Stiche tief in die linke Halsseite, wodurch die Halsschlagader durchtrennt wurde. W. sank zu Boden, versuchte aber in höchster Lebensangst zu schreien und sich durch Arm- und Beinbewegungen zu wehren. Der Angeklagte S. stürzte sich auf ihn und stach weitere neun Mal schnell und heftig vor allem auf die linke Brustseite des Opfers ein. Der nun wehrlose, tödlich getroffene W. gab nur noch schwache Lebenszeichen von sich.
5
Um der Gefahr der zufälligen Entdeckung durch Passanten auf dem nur wenige Meter entfernten Weg zu entgehen, begann der Angeklagte S. W. nach hinten in das Grundstück zu ziehen. Da ihm dies alleine zu schwer und zu langsam ging, forderte er den Angeklagten K. auf, ihm zu helfen. K. hatte, als er die wahre Absicht des Angeklagten S. erkannte, versucht wegzulaufen, war aber an den Spalierdrähten der Sträucher gescheitert. Als er auf die Aufforderung nicht gleich reagierte, drohte ihm der Angeklagte S. , dass ihm dasselbe geschehe. Da es dem Angeklagten K. vor dem Hintergrund ihrer bedrängten Lage (keine finanziellen Mittel, keine Bleibe) und wegen seines angeschlagenen körperlichen Zustandes (Blasen an den Füßen) nach wie vor darum ging, in den Besitz des Fahrzeugs zu gelangen, um damit gemeinsam schnell und bequem nach München fahren zu können, schob er seine Bedenken wegen des Zustechens durch S. beiseite und entschloss sich, diesem zu helfen. Er nahm die rechte Hand von W. , dessen Tod auch er alsbald erwartete, und schleifte gemeinsam mit dem Angeklagte S. das bereits bewusstlos gewordene Opfer rund zehn Meter Richtung Grundstücksmitte, um es zu verstecken.
6
Während der Angeklagte K. sich nun auf Anweisung des Angeklagten S. auf den Weg zum Auto machte, nahm der Angeklagte S. den Schlüsselbund, an dem sich unter anderem der Autoschlüssel befand, aus der Hosentasche des Opfers. Die Angeklagte D. war während des Geschehens absprachegemäß in der Nähe des Fahrzeugs geblieben, um den Weg zu beobachten und gegebenenfalls rechtzeitig zu warnen. Die drei Angeklagten flüchteten anschließend mit dem Auto des Opfers. W. verstarb an den ihm zugefügten Verletzungen.
7
II. Die Revision des Angeklagten K. ist unbegründet, da eine Überprüfung des Urteils weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Sachrüge geltend macht, das Landgericht habe § 35 Abs. 2 StGB übersehen, dringt er nicht durch. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 StGB liegen nach den getroffenen Feststellungen offensichtlich nicht vor, so dass die Kammer in den Urteilsgründen auch nicht darauf eingehen musste. http://www.juris.de/jportal/portal/t/j8i/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE044103307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/j8i/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE044103307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/jit/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE004118042&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 7 -
8
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge erstrebt, hat Erfolg. Die von der Kammer getroffenen Feststellungen tragen diesen Schuldspruch.
9
1. Zwar sind dann, wenn lediglich einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg verursacht hat, die übrigen nach § 251 StGB grundsätzlich nur strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Gewaltanwendungen erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist, und wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist. Ein Beteiligter haftet somit gemäß § 251 StGB als Mittäter nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hat.
10
Nicht jede Abweichung des tatsächlichen Geschehens von dem vereinbarten Tatplan beziehungsweise von den Vorstellungen des Mittäters begründet die Annahme eines Exzesses. Vielmehr liegt sukzessive Mittäterschaft vor, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehenen - auch wenn dieses in wesentlichen Punkten von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht - in eine bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eintritt. Sein Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass ihm das gesamte Verbrechen strafrechtlich zugerechnet wird. "Nur für das, was schon vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis ... die strafbare Verantwortlichkeit nicht zu begründen" (BGHSt 2, 344, 346). Der die Mittäterschaft begründende Eintritt ist demnach noch möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat noch nicht beendet hat, selbst wenn sie strafrechtlich schon vorher vollendet war (BGH JZ 1981, 596).

11
2. Von diesen Grundsätzen ausgehend tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge.
12
Der Angeklagte K. hat in Verfolgung des gemeinsamen Tatplanes die tödlich verlaufenden Körperverletzungen, die sein Mittäter - im Rahmen verabredeter Gewaltausübung - dem Opfer beigebracht hatte, dazu ausgenutzt, sich und seine Tatgenossen in den Besitz des Kraftfahrzeugs zu bringen. Dass die tatsächliche Tatausführung von der ursprünglich geplanten abwich, ist dabei unerheblich. Der Angeklagte K. hatte nach den Feststellungen das Geschehen unmittelbar mitverfolgt und trat in Kenntnis und Billigung dieser Umstände in die bereits begonnene, von der ursprünglichen Absprache abweichende Ausführungshandlung ein, indem er mit dem Angeklagten S. das Opfer, "dessen Tod auch er alsbald erwartete" (UA S. 19), versteckte. Um bequem nach München fahren zu können, schob er seine Bedenken wegen des Zustechens durch S. beiseite. Dadurch sowie durch das Ansichnehmen der Kfz-Schlüssel aus der Kleidung des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten und durch das folgende Entwenden des Fahrzeugs hat sich sein Vorsatz sukzessiv auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters S. erstreckt (vgl. BGH NJW 1998, 3361, 3362; BGH, Beschl. vom 1. Februar 2007 - 5 StR 494/06; Fischer, StGB 55. Aufl. § 251 Rdn. 10). Der Angeklagte K. handelte im Hinblick auf die von ihm gebilligten Tathandlungen des Angeklagten S. und durch die eigene Mithilfe beim Verstecken des tödlich verletzten Opfers bezüglich des Todeseintritts jedenfalls leichtfertig. Dies bedarf aufgrund der Art des Messereinsatzes durch den Angeklagten S. keiner näheren Ausführung.
13
Somit hat er sich als Mittäter des Raubes mit Todesfolge gemäß §§ 251, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Gleichzeitig wurde er Gehilfe des Mörders mit den eigenen Mordmerkmalen "aus Habgier" und "zur Ermöglichung einer Straftat" nach §§ 211, 27 StGB.
14
3. Da weitere Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst.
15
IV. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die dazu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von der Änderung des Schuldspruchs nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende weitere Feststellungen hierzu kann der neue Tatrichter treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
16
Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, hat der Senat die Sache zur Bemessung einer neuen Strafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft an eine als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 237/13
vom
20. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
20. August 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. März 2013, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Jugendstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sichverschaffen von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und ihn deswegen unter Einbeziehung eines Urteils des Amtsgerichts Springe vom 10. November 2011 zu der Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat keinen Bestand.
3
1. Nach den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen drangen der Angeklagte , die Mitangeklagten A. und S. sowie eine weitere Mitangeklagte zusammen in die Wohnung des Geschädigten D. ein, um ihm in erster Linie Marihuana, aber auch vorgefundenes Bargeld oder andere Wertgegenstände zu entwenden. Gemeinsam fühlten sie sich dem dort wie erwartet allein angetroffenen D. überlegen und gingen deshalb davon aus, dieser werde keinen nennenswerten Widerstand leisten. Ohne dass dies verabredet gewesen wäre, hielt es der Angeklagte aber für möglich, er oder ein anderer Beteiligter werde, falls erforderlich, auch körperliche Gewalt gegen D. einsetzen.
4
Der Angeklagte forderte D. auf, sein gesamtes Marihuana herbeizuholen. Da dieser das Auftreten der Besucher als bedrohlich empfand, legte er vorhandene 4-5 Gramm auf den Wohnzimmertisch. Der Angeklagte nahm das Marihuana sowie ein daneben liegendes Mobiltelefon an sich und erklärte, beides gehöre jetzt ihm. Auf D. s Frage, was dies solle, wies der Angeklagte ihn an, er solle keine falsche Bewegung machen und keine Gegenwehr leisten.
5
Der Mitangeklagte A. , der, wie auch der Angeklagte wusste, Unterricht im Thai-Boxen nahm, "befürchtete nun eine körperliche Gegenwehr" des Geschädigten. Um eine solche zu unterbinden, versetzte er ihm unter Verwendung eines "verstärkenden Tatmittels" - Näheres hierzu kann das Landgericht ebenso wenig feststellen wie die Kenntnis der Begleiter von dessen Mitführung - einen Faustschlag gegen die vordere linke Kopfseite. D. erlitt eine Rißwunde mit spritzender Blutung und eine ohne intensivmedizinische Versorgung lebensbedrohliche Schädelimpressionsfraktur mit epiduralem Bruchspalthämatom ; ein Teil des Schädelknochens musste später entfernt und durch eine Plastik ersetzt werden.
6
Der Angeklagte erkannte die Schwere der Verletzung und "nahm diese billigend in Kauf". "An dieser Stelle" kam er mit dem Mitangeklagten A. stillschweigend überein, gegen das Opfer "weiter gemeinschaftlich Gewalt zur Wegnahme noch anderer Gegenstände" auszuüben. Er ergriff einen auf dem Wohnzimmertisch befindlichen Laptop, den D. ihm aber wieder entreißen konnte. Vom Angeklagten auf ein Sofa geschubst verbarg er das Gerät unter sich. Um es dennoch an sich zu bringen, schlugen der Angeklagte und der Mitangeklagte nun mit Fäusten und einem von der Wand genommenen Bilderrahmen aus Plexiglas auf den Geschädigten ein. Erst als der Mitangeklagte S. , der das Geschehen beenden wollte, vorgab, es nähere sich eine Nachbarin, ließen sie von ihm ab.
7
2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei sich möglicher Wirkungen von Schlägen des Mitangeklagten A. bewusst gewesen. Deswegen habe er auch die Schwere und die Folgen der durch dessen ersten Faustschlag hervorgerufenen Verletzungen billigend in Kauf genommen. Schon wegen der Schwere der Schuld sei daher - ungeachtet ebenfalls bestehender schädlicher Neigungen - die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich. Auch bei deren Bemessung müssten sich die Intensität der Gewalteinwirkung und die erheblichen Folgen der Tat für den Geschädigten erschwerend auswirken.
8
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
Zwar schloss es der Angeklagte beim Betreten der Wohnung des Geschädigten nicht aus, er oder einer seiner Begleiter werde, wenn der Geschädigte doch Widerstand leiste, bei der geplanten Wegnahme von Gegenständen körperliche Gewalt anwenden. Jedoch ergibt sich nichts dafür, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als der Mitangeklagte A. den ersten Faustschlag führte , davon ausging, eine solche Situation sei eingetreten. Marihuana und Mobiltelefon hatte er bereits an sich gebracht; der Geschädigte hatte es bei verbalem Widerspruch belassen. Zu weiteren, nunmehr gewaltsamen Wegnahmehandlungen im Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten A. entschloss er sich erst nach dessen Angriff auf den Geschädigten. Zudem geht das Landgericht bei der Würdigung der Beweise rechtsfehlerfrei auch davon aus, dass Verletzungen dieser Schwere ohne die Verwendung eines die Faust verstärkenden Gegenstandes allenfalls dann zu erwarten gewesen wären, wenn der Schlag mit einer Frakturen der Schlaghand bewirkenden Kraftentfaltung geführt worden wäre. Umstände, die auf die mögliche Benutzung eines solchen Gegenstandes durch den Mitangeklagten A. hindeuten konnten, waren dem Angeklagten indes nicht bekannt.
10
Danach stellt sich der für die Schädelverletzungen des Geschädigten ursächliche Faustschlag als Exzess des Mitangeklagten A. dar. Zwar hat der Angeklagte den Schlag und seine Folgen nachträglich gebilligt, so dass er ihm nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft als Mittel der Nötigung bei der anschließend gemeinsam versuchten Wegnahme des Laptop zuzurechnen ist. Dies ändert aber nichts daran, dass ihm das zum Zeitpunkt seines Entschlusses zu den weiteren Tathandlungen bereits beendete Geschehen bei der Strafzumessung nicht mehr als von ihm unmittelbar und schuldhaft herbeigeführt zur Last gelegt werden kann.
11
Über die den Angeklagten treffende Rechtsfolge ist deshalb neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Schäfer Pfister Mayer
Gericke Ri'inBGH Dr. Spaniol ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Schäfer

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 597/15
vom
1. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:010616U1STR597.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 16. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Totschlags gegenüber seinem Bruder und einer anschließend an seiner Lebensgefährtin begangenen gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, mit der sie insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet. Das insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat hinsichtlich des Freispruchs vom Vorwurf des Totschlags Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten folgende Taten zur Last:
3
a) Bei einer Auseinandersetzung wurde der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2015 in seiner Wohnung von seinem Bruder, dem später getöteten Sch. , massiv geschlagen. Nachdem die beiden Brüder von der Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin S. , getrennt worden waren, griff der Angeklagte zu einem im Wohnzimmerregal liegenden zweiteiligen Ziermesser, das er auseinanderzog, sodass er in beiden Händen jeweils ein Messer hielt. Nachdem die Zeugin S. in die Küche geflohen war, flüchtete Sch. in den Flur in Richtung des Treppenabgangs zum Ausgang. Dort drehte er sich nochmals zu dem Angeklagten um. In diesem Moment versetzte ihm der Angeklagte mit dem größeren der beiden Messer, das er in seiner rechten Hand hielt, in Tötungsabsicht zwei wuchtige Stiche in den Thoraxbereich, die jeweils in die Brusthöhle eindrangen und den linken Lungenlappen verletzten. Als sich Sch. daraufhin in die Toilette flüchten wollte, versetzte ihm der Angeklagte mit diesem Messer einen weiteren wuchtigen Stich von hinten in den unteren Rückenbereich. Dieser Stich drang ebenfalls in den linken Lungenlappen und das Herz ein. Mit dem mitgeführten kleineren Messer stach der Angeklagte seinem Bruder außerdem noch in die rechte Hüfte. Sch. verstarb unmittelbar nach den Stichen an den ihm zugefügten Verletzungen.
4
b) Anschließend ging der Angeklagte zum Badezimmer, in dem sich seine Lebensgefährtin aufhielt, packte sie am Kopf und schlug diesen gegen die Waschmaschine. Anschließend trat er mehrfach mit den Worten „jetzt hast du, was du wolltest“ auf die am Boden liegende Geschädigte ein, die mehrere Hä- matome erlitt.
5
2. Demgegenüber hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen :
6
a) Der Angeklagte und der später getötete Sch. sind Brüder. Zwischen beiden kam es zeitlebens zu heftigen, immer wieder auch körperlich ausgetragenen Auseinandersetzungen, die nicht nur auf die unterschiedliche Lebensweise, sondern vor allem auch auf den besonderen Charakter Sch. s zurückzuführen waren. Er zeichnete sich durch zwei völlig entgegengesetzte Wesenszüge aus: Einerseits war er überaus gutmütig, hilfsbereit und großzügig, andererseits aber auch extrem reizbar, jähzornig und außerordentlich cholerisch. Aus dem nichtigsten Anlass heraus und für andere unvor- hersehbar und überraschend konnte er binnen Sekunden „explodieren“ und vollständig die Kontrolle über sich selbst verlieren, was sich sowohl in äußerst verletzenden verbalen Angriffen als auch in körperlichen Übergriffen äußerte. Sch. war dem Angeklagten in körperlicher Hinsicht klar überlegen, sodass der Angeklagte für Sch. , wenn es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, niemals ein ebenbürtiger Gegner war.
7
An Silvester 2014 begaben sich die beiden Brüder mit der Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin S. , in eine Gaststätte, um dort den Jahreswechsel zu feiern. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit seinem Bruder zog sich der Angeklagte gegen 0.30 Uhr verärgert in seine Wohnung zurück. Zuvor machte er zumindest gegenüber seiner Lebensgefährtin klar, dass er seinen Bruder in dieser Nacht nicht mehr sehen wolle.
8
Gegen 1.30 Uhr begleitete Sch. gleichwohl die Zeugin S. in die Wohnung des Angeklagten. Auf das Erscheinen der beiden reagierte der Angeklagte sichtlich verärgert. Daraufhin begann Sch. völlig unvermittelt eine körperliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf er dem Angeklagten mindestens 20 massive Faustschläge gegen den Kopf versetzte. Nachdem die Zeugin S. zunächst vergeblich versucht hatte, die beiden Brüder zu trennen, ließ Sch. schließlich vom Angeklagten ab und stand auf.
9
Um seinen Bruder aus dem Haus zu weisen, griff der Angeklagte nach einem im Wohnzimmerregal direkt neben ihm aufbewahrten zweiteiligen Ziermesser. Er zog dieses Ziermesser auseinander, wodurch er nun in der einen Hand ein Messer mit einer Klingenlänge von 18 cm und in der anderen Hand ein solches mit einer Klingenlänge von 13,5 cm hielt. Mit den Messern in den erhobenen Händen forderte der Angeklagte seinen Bruder mit äußerstem Nachdruck zum Verlassen der Wohnung auf. Sch. , der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, ging den Flur entlang in Richtung der Treppe, die ins Erdgeschoss und zum Ausgang führt. Der Angeklagte folgte seinem Bruder mit einem gewissen Abstand, wobei er weiterhin die Messer in den Händen hielt, da er sichergehen wollte, dass sein Bruder auch tatsächlich das Haus verlässt.
10
Am oberen Treppenabsatz, an dem eine Tür in einen Abstellraum führt, drehte sich Sch. noch einmal um. Als er seinen „kleinen Bruder“ mit den Messern hinter sich erblickte, geriet er erneut in Zorn und ging den Angeklagten sogleich verbal massiv an. Dem Angeklagten war klar, dass Sch. nun nicht mehr bereit war, das Haus umgehend zu verlassen. Er sah sich einem erneuten Angriff seines Bruders gegenüber, da Sch. ihm eindeutig zu verstehen gab, dass er sich auf keinen Fall gefallen lasse, vom Angeklagten mit Messern aus dem Haus geworfen zu werden. In Erinnerung an die massiven Schläge im Wohnzimmer stach der Angeklagte nunmehr aus Angst um sein Leben und in der Absicht, sich zu verteidigen, dreimal von vorne auf den Oberkörper seines Bruders ein. Zwei Stiche, die zeitlich unmittelbar hintereinander in den Bereich der linken Achsel erfolgten, drangen in die Brusthöhle ein und verletzten jeweils den linken Lungenoberlappen. Ein weiterer Stich traf Sch. in die rechte Hüfte. Sch. bewegte sich nach den ersten drei Stichen in einer ersten Reaktion auf den Angeklagten zu, welcher seinem Bruder weiterhin in Todesangst und wiederum von vorne einen vierten Stich in den Rücken nahe der linken Flanke versetzte, indem er um den Oberkörper des Bruders herumgriff. Der vierte Stich durchdrang den linken Lungenunterlappen, eröffnete den Herzbeutel und penetrierte sodann die linksseitige Herzhinterwand. Sch. verstarb an den zugefügten Stichverletzungen im Abstellraum der Wohnung. Die auf Betreiben des Angeklagten und der Zeugin S. herbeigerufenen Rettungskräfte konnten nur noch seinen Tod feststellen.
11
Im Tatzeitpunkt betrug die Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten 1,86 Promille, bei seinem Bruder Sch. 1,18 Promille.
12
b) Ob der Angeklagte nach den Stichen auf seinen Bruder seiner Lebensgefährtin überhaupt Schläge zufügte, konnte das Landgericht nicht feststellen.
13
3. Das Landgericht hat den Angeklagten hinsichtlich des ihm zur Last liegenden Tötungsdelikts aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen, hinsichtlich des Vorwurfs der Körperverletzung gegenüber der Zeugin S. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
14
a) Bezüglich des Tatvorwurfs der vorsätzlichen Tötung seines Bruders hat es die Feststellungen weitgehend unter „Anwendung des Zweifelssatzes“ getroffen.
15
aa) Der Angeklagte ließ sich in der Hauptverhandlung ein, er habe seinen Bruder im Wohnzimmer nach dem Auseinanderziehen des Ziermessers zum Verlassen der Wohnung aufgefordert. Daraufhin habe ihn sein Bruder erneut angegriffen, weshalb er mit beiden Messern zugestochen habe. Sein Bruder habe ihn trotz der Stiche nicht losgelassen, weshalb er erneut auf ihn eingestochen habe. Alle vier Stiche seien seiner Erinnerung nach im Wohnzimmer erfolgt. Er habe auf seinen Bruder eingestochen, weil er befürchtet habe, dieser würde ihn sonst totschlagen.
16
bb) Bezüglich des Ortes der Messerstiche und der Art und Weise der Stichführung hält das Landgericht die Einlassung des Angeklagten für widerlegt. Es hat sich insbesondere im Hinblick auf die festgestellten Blutspuren davon überzeugt, dass die Messerstiche nicht im Wohnzimmer, sondern im Bereich der Tür zur Abstellkammer zugefügt wurden. Es konnte jedoch nicht feststellen , dass der Angeklagte das Gericht zum eigentlichen Tatgeschehen bewusst angelogen hat. Im Hinblick auf eine beim Angeklagten festgestellte Mischintoxikation mit Alkohol und Drogen konnte das Landgericht nicht ausschließen , dass der Angeklagte unter einer anterograden Amnesie litt.
17
cc) Die Aussage der einzigen Zeugin von Teilen des Tatgeschehens, der Zeugin S. , hält das Landgericht nicht für glaubhaft. Es hat deren Angaben daher nur insoweit herangezogen, als sie durch andere Beweise bestätigt wurden.
18
dd) Angesichts der außergewöhnlichen Charakterstruktur des Tatopfers konnte das Landgericht im Ergebnis nicht ausschließen, dass der Angeklagte die Messerstiche aus einer Notwehrsituation heraus gesetzt hat. Ausgehend von der bestehenden Beweislage sah es sich gezwungen, „das eigentliche Tat- geschehen zu rekonstruieren und die dabei verbleibenden Sachverhaltslücken gemäß dem Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten zu schließen“. Es hat dabei bei ungeklärten Sachverhaltsalternativen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ den Feststellungen jeweils die für den Angeklagten günstigere zugrun- de gelegt.
19
(1) Auf diese Weise hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte nicht seinem Bruder nachging, um sich für die vorangehenden Prügel zu rä- chen, sondern um „sein Hausrecht auszuüben und den Abgang seines Bruders sicherzustellen“ (UA S. 20).
20
(2) Nach dem Zweifelssatz ist es zudem zur Reihenfolge der Messerstiche davon ausgegangen, dass der erste Messerstich nicht während der Verfolgung von hinten erfolgte, sondern Sch. sich erst umdrehte und dann die Messerstiche erhielt.
21
(3) Weiterhin ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass ein erneuter Angriff Sch. s auf den Angeklagten unmittelbar bevor stand. Es sei „ausgehend von der charakterlichen Disposition und dem Verhältnis der beiden Menschen sogar naheliegend, dass es sich Sch. gerade von seinem jüngeren Bruder nicht bieten lassen wollte, dass dieser ihn mit Messern in der Hand aus dem Haus jagte“ (UA S. 22).
22
(4) Schließlich ergab sich für das Landgericht aus einer letzten Anwendung des Zweifelssatzes, dass der unter anderem den Herzbeutel verletzende Stich in den Rücken ebenfalls von vorne erfolgt ist. Es ging zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er seinen Bruder nicht von hinten in den Rücken gestochen habe, sondern dass er von vorn um dessen Oberkörper herumgegriffen und ihm dann in den Rücken gestochen habe. Da die Geschehensvariante , dass der Angeklagte diesen Stich erst nach beendetem Angriff seines Bruders gesetzt habe, wegen eines extensiven Notwehrexzesses sowohl die Berufung auf § 32 StGB als auch auf § 33 StGB ausschließe, sei in dubio pro reo nicht von dieser Variante auszugehen.
23
ee) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hält das Landgericht die Messerstiche des Angeklagten für durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt. Der Angeklagte habe sich bei den Stichen einem unmittelbar bevorstehenden Angriff seines Bruders auf seine körperliche Integrität, wenn nicht sogar auf sein Leben, gegenüber gesehen. Dieser sei auch rechtswidrig gewesen, weil das Nachgehen und Drohen mit den Messern seitens des Angeklagten keinen rechtswidrigen Angriff auf seinen Bruder darstelle, sondern vielmehr seinerseits durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Denn es habe ein rechtswidriger Angriff Sch. s auf das Hausrecht des Angeklagten vorgelegen.
24
b) Im Hinblick auf die nicht glaubhaften Angaben der Zeugin S. konnte sich das Landgericht auch nicht von einer zu ihrem Nachteil begangenen Körperverletzung überzeugen.

II.


25
Der Freispruch vom Vorwurf des Totschlags hat keinen Bestand.
26
1. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
27
a) Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichter- liche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178). Dem Tatgericht obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, wistra 2016, 78, vom 1. Juli 2008 – 1 StR 654/07 und vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, wistra 2008, 398; jeweils mwN).
28
Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 368/09, NStZ 2010, 292). Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, wistra 2008, 398 mwN). Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15 Rn. 43, wistra 2016, 78, vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 und vom 6. August 2003 – 2 StR 180/03, NStZ-RR 2003, 369, 370 mwN).
29
b) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatvorwurfs des Totschlags nicht.
30
aa) Das Landgericht hat den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel , die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83 mwN).
31
Das Landgericht hat bereits einen rechtsfehlerhaften Ansatz gewählt, in- dem es der Auffassung war, es könne „Sachverhaltslücken“ jeweils unabhängig vom restlichen Sachverhalt gemäß dem Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten schließen. Denn hierdurch hat es die Betrachtung auf diejenigen Beweisanzeichen verengt, denen es eine unmittelbare Aussagekraft für das jeweilige Sachverhaltselement beigemessen hat. Das Landgericht hätte statt einer isolierten Beweiswürdigung für einzelne Sachverhaltselemente eine Gesamtbewertung aller be- und entlastenden Beweisanzeichen mit dem ihnen jeweils zukommenden Beweiswert vornehmen müssen.
32
Die gebotene Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände hätte dem Tatgericht möglicherweise eine sichere Überzeugung von einem nicht in Verteidigungsabsicht vorgenommenen Messerangriff des Angeklagten vermitteln können. Denn erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffs entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt.
33
bb) Indem das Landgericht unter mehrfacher isolierter Anwendung des Zweifelssatzes den für den Angeklagten günstigsten Geschehensablauf annimmt , der nicht einmal mit der Einlassung des Angeklagten in Einklang zu bringen ist, hat das Landgericht zudem verkannt, dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen außer nicht widerlegbaren und durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 37, NStZ-RR 2015, 83 mwN).
34
cc) Die Feststellung des Landgerichts, es „könne unter besonderer Be- rücksichtigung der ganz außergewöhnlichen Charakterstruktur des Tatopfers nicht ausschließen, dass der Angeklagte, wie von ihm geschildert, die Messer- stiche aus einer Notwehrsituation heraus“ gesetzt habe (UA S. 18), lässt zudem besorgen, das Landgericht habe nicht beachtet, dass für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit nicht erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 368/09, NStZ 2010, 292).
35
2. Der Freispruch vom Vorwurf des Totschlags hat ferner deshalb keinen Bestand, weil die Annahme des Landgerichts, die Messerstiche des Angeklagten seien durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen, auch ausgehend von den getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
36
a) Nicht rechtswidrig handelt nur derjenige, der eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist (§ 32 Abs. 1 StGB). Dabei erfordert das Merkmal der Gebotenheit im Einzelfall sozialethisch begründete Einschränkungen an sich erforderlicher Verteidigungshandlungen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97). Die Verteidigung ist dann nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu verlangen ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 32 Rn. 36).
37
b) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist das Gebotensein des vom Angeklagten gewählten tödlichen Messereinsatzes nicht dargetan. Denn das Landgericht hat zwei Umstände, die zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führen konnten, rechtsfehlerhaft nicht in den Blick genommen.
38
aa) Zum einen könnte eine Notwehrprovokation vorgelegen haben. Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten zur Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13, NStZ 2014, 451, 452). Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65 mwN; zur Rechtsprechung zur Notwehrprovokation vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, Rn. 28, NStZ 2014, 147 mwN und vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 f.; zur Notwehreinschränkung bei Angriffsprovokation umfassend Fasten, Die Grenzen der Notwehr im Wandel der Zeit, 2011, 151 ff. mwN).
39
Vorliegend war der Angeklagte seinem Bruder mit Messern in den Händen gefolgt, obwohl die vorherige Auseinandersetzung bereits beendet war und sich der Bruder, der sich bereits wieder beruhigt hatte, auf dem Weg zum Ausgang befand. Hierin konnte – jedenfalls angesichts des Umstandes, dass von Sch. zu diesem Zeitpunkt kein Angriff auf das Hausrecht mehr ausging (UA S. 7) – ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten liegen, das zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führte. Es hätte deshalb ergänzender Feststellungen und Erörterungen bedurft, ob der Angeklagte mit dem Verfolgen des Bruders mit Messern den Anschein eines bevorstehenden, von ihm ausgehenden Angriffs erweckt hatte und damit sein Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen eingeschränkt war, sodass er hätte versuchen müssen, dem Angriff seines Bruders auszuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R, BSGE 84, 54).
40
Schon bei der Verfolgung des Bruders mit Messern konnte sich der Angeklagte nicht auf Notwehr zur Durchsetzung des Hausrechts berufen. Ein Hausfriedensbruch gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 StGB liegt erst dann vor, wenn der Täter nach der Aufforderung, sich zu entfernen, den Raum nicht unverzüglich verlässt. Das weitere Verweilen muss dabei von solcher Dauer sein, dass es sich als Ungehorsam gegen die ergangene Aufforderung darstellt. Erst das Überschreiten dieser Grenze führt dazu, dass der Täter ohne Befugnis verweilt und damit ein rechtswidriger Angriff auf das Hausrecht vorliegt (vgl. Lilie in LKStGB , 12. Aufl., § 123 Rn. 65 f. mwN). Ein solches Verweilen hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Vielmehr leistete Sch. nach den Urteils- feststellungen der Aufforderung des Angeklagten, das Haus zu verlassen, unverzüglich Folge und begab sich zur Treppe, die zum Hausausgang führt.
41
bb) Ebenfalls zu einer Einschränkung des Notwehrrechts konnte das zwischen dem Angeklagten und seinem Bruder bestehende persönliche Näheverhältnis führen. Bei einer solchen engen familiären und persönlichen Beziehung , wie sie hier zwischen den beiden Brüdern bestand, dürfen lebensgefährliche Verteidigungsmittel nicht ohne Weiteres angewendet werden, wenn der Angreifer unbewaffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13, NStZ 2014, 451, 452 mwN) und statt einer Trutzwehr auch eine Schutzwehr möglich ist (vgl. Erb in Müko-StGB, 2. Aufl., § 32 Rn. 219; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Februar 1969 – 3 StR 322/68, NJW 1969, 802).
42
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

43
Der Freispruch vom Vorwurf der Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen hat demgegenüber Bestand. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt , aus welchen Gründen es sich nicht von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin S. zu diesem Tatvorwurf überzeugen konnte. Weitere Beweismittel sind ausweislich der Urteilsgründe nicht vorhanden.
Graf Jäger Radtke
Mosbacher Fischer

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 604/16
vom
12. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:120117B1STR604.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 12. Januar 2017 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 10. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte gehörte zu einer aus ca. 10 - 15 Personen bestehenden Clique von gleichaltrigen Heranwachsenden bzw. jungen Erwachsenen aus dem Gebiet der Stadt L. („L. er Gruppe“), die teilweise in Kon- flikt mit der ebenfalls aus ca. 10 - 15 gleichaltrigen Personen bestehenden Clique aus dem Gebiet der Gemeinde B. („B. er Gruppe“) geriet. Nachdem beide Gruppen bereits am 19. Oktober 2015 aufeinander getroffen waren, sollte am Abend des 23. Oktober 2015 ein weiteres Treffen erfolgen. Vor diesem Treffen hatte sich der Angeklagte ein von ihm verliehenes Springmesser mit einer ca. 10 cm langen einschneidigen und spitz zulaufenden Klinge zurückgeben lassen, das er ab diesem Zeitpunkt mit sich führte, um es ggf. einsetzen zu können.
4
Nachdem sich die beiden Gruppen zunächst erfolglos im Gemeindegebiet von B. gesucht hatten, trafen sie gegen ca. 23.30 Uhr in der Ortsmitte beim Rathaus sukzessive aufeinander, wobei sich zwischen einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen eine Schlägerei entwickelte. Dabei griff der Angeklagte zunächst W. an und es entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung. In das Geschehen griff der mit einer AnonymousGesichtsmaske maskierte La. schlichtend ein. Dem körperlich überlegenen Angeklagten gelang es, La. an der Kapuze zu packen und gegen einen Pfeiler zu drücken, bevor beide schließlich in einem anschließenden Gerangel das Gleichgewicht verloren und in einen Busch fielen, wobei La. auf dem Angeklagten zum Liegen kam. In dieser Situation zog der Angeklagte das von ihm mitgeführte Springmesser, ließ die Klinge herausfahren und stach La. sinngemäß mit den Worten „Ich stech dir das Messer in die Seite“ in die rechte Brustseite, wo- bei dem Angeklagten bewusst war, dass dieser Stich geeignet war, den Tod des Opfers herbei zu führen, was er billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurde in lebensgefährlicher Weise der obere rechte Lungenlappen verletzt und der Herzbeutel nur um ca. 1 cm verfehlt. Trotz der Stichverletzung gelang es La. , der vom Angeklagten nach dem Stich am Boden festgehalten wurde, sich loszureißen, aufzustehen und weg zu rennen, bevor er entkräftet zusammenbrach.
5
Wenige Augenblicke danach wollte der mit einer Sturmhaube maskierte E. , der aus einigen Metern Entfernung zwar den Sturz des Angeklagten , nicht aber den Messerangriff beobachtet hatte, den Angeklagten mit einem Pfefferspray angreifen, das aber nicht funktionsfähig war, weswegen er die Dose dem Angeklagten entgegen schleuderte, der nun auf ihn zustürmte. Nachdem der Angeklagte den ihm körperlich unterlegenen und nunmehr unbewaffneten E. erreicht hatte, packte er diesen mit der linken Hand am rechten Oberarm, holte mit der rechten Hand aus und stach mit dem Springmesser in der Hand mit nicht unerheblicher Wucht auf E. ein, der sich in diesem Moment selbst nicht zur Wehr setzte. Der Stich durchdrang das Bauchfell und verursachte bei E. vier Perforationen des Dünndarms auf einer Länge von 6 cm, wobei große Blutgefäße und die Hauptschlagader nur knapp verfehlt wurden. Anschließend versetzte der Angeklagte E. noch zwei weitere schmerzhafte Stiche in beide Oberarme, bevor es diesem gelang, sich mit einer Rechtsdrehung aus dem Griff des Angeklagten zu winden, in Panik davon zu rennen und bis zu einer Bushaltestelle zu flüchten, wo er schließlich zusammenbrach.
6
2. Das Landgericht geht bei den zum Nachteil der Geschädigten La. und E. ausgeführten Messerstichen jeweils von einem versuchten Totschlag aus, wobei beide Taten auf Grund der zeitlichen Zäsur zwischen den Verletzungen in Tatmehrheit zueinander stehen. Angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit der durch den Angeklagten geführten Messerstiche habe dieser jeweils mit dem Tod des Opfers gerechnet. Einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch verneint das Landgericht. Es geht jeweils von einem beendeten Versuch aus, da der Angeklagte nach seiner Vorstellung das Versterben der beiden Geschädigten allein auf Grund der äußerst schweren Verletzungen zumindest für möglich hielt. Unabhängig davon habe der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von möglichen weiteren Messerattacken Abstand genommen, da er die beiden Geschädigten auch nach den Stichen weiter festgehalten habe und es beiden erst gelungen sei, wegzurennen, nachdem sie sich losgerissen hatten.

II.


7
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei jeweils vom beendeten Versuch eines Tötungsdelikts nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB), hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mwN) nicht beachtet, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten.
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (st. Rspr.; vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f.; Urteil vom 19. Juli 1987 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Beschlüsse vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73 und vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, NStZ-RR 2015, 106 f. jeweils mit zahlr. Nachw.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH jeweils aaO).
10
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht in beiden Fällen des versuchten Totschlags nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Beiden Geschädigten war es nach den letzten vom Angeklagten ausgeführten Stichen gelungen, sich noch aus eigener Kraft vom Angeklagten loszureißen und wegzurennen, bevor sie letztlich entkräftet zusammenbrachen. Konkrete Feststellungen dazu, wel- che Distanz die beiden Geschädigten bis zu ihrem Zusammenbruch zurückgelegt hatten und ob der Angeklagte dies beobachtet und wahrgenommen hat, werden vom Landgericht nicht getroffen. Die bisherigen Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte, sofern er das Verhalten der Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung beobachtet hat, nicht mehr davon ausging, diese tödlich verletzt zu haben. Das gilt auch für die Tat zum Nachteil des Geschädigten La. . Trotz des sehr knappen Zeitraums bis zum Beginn der Auseinandersetzung mit dem GeschädigtenE. (UA S. 16), ist nicht sicher ausgeschlossen, dass der Angeklagte das Weglaufen des Geschädigten La. wahrgenommen hat. Damit kann der Senat auf Grund dieses Erörterungsmangels das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs nicht ausschließen.
11
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569 f. und vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
12
4. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aber aufrechterhalten , da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht hat jedoch zusätzliche Feststellungen zur Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags zu treffen, die mit den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

III.

13
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
14
1. Nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6/7) liegt bei dem Angeklagten spätestens seit Mitte 2015 ein polytoxikomaner Substanzmissbrauch vor, wobei der Angeklagte seit Juli 2015 seinen Konsum auf täglich 1,5 g Kokain steigerte und zum „Runterkommen“ und Entspannen auch seinen Cannabiskonsum zumindest am Wochenende aufrecht erhielt. Weiter konsumierte der Angeklagte in erheblichem Umfang auch Alkohol, wobei sich dies bei regelmäßigen „Feiern“ am Wochenende auf bis zu einer halben Fla- sche Wodka (0,7 l) steigerte. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt geht das Landgericht (UA S. 53/54) davon aus, dass bei dem Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Betäubungsmitteln oder Alkohol vorliegt, aber weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit gegeben ist, so dass es bereits an einem Hang fehlt, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, weil der Angeklagte seinen Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum in seinen Alltag „eingepasst“ und dieser keine wesentlichen Beeinträchtigungen des beruflichen und sozialen Lebensbereichs bewirkt hat. Auch bestünden „erhebliche Zweifel“ am Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinne des § 64 StGB, obwohl das Landgericht feststellt, dass beim Angeklagten ein sein Gehalt übersteigender Finanzbedarf bestand, den er durch Einnahmen illegaler Art und Weise zu steigern suchte (UA S. 9) und die vom Angeklagten gegenüber der B. er Gruppe geforderte „Schutzgeldzahlung“ von 5.000 Euro(UA S. 12) letztlich Auslöser für die körperlichen Auseinandersetzungen war.
15
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges und eines symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
16
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeitsund Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15).
17
b) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 - 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mit- hin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Raum Bellay Radtke Fischer Bär