Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2017 - 5 StR 433/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger des Angeklagten Al. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten , auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen gegen den Schuldspruch. Sie beanstandet, dass das Landgericht die Angeklagten nicht wegen besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt hat. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
- 2
- 1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
- 3
- Die Angeklagten befanden sich am Morgen des 5. Dezember 2015 gemeinsam mit zwei unbekannten Personen in der Nähe eines U-Bahnhofs in Berlin. Spontan entschloss sich die Gruppe, den an der Treppe des U-Bahnhofs stehenden Zeugen G. gegebenenfalls unter Anwendung oder Androhung körperlicher Gewalt dazu zu bringen, sein Geld und sein Handy herauszugeben bzw. deren Wegnahme geschehen zu lassen.
- 4
- Die Angeklagten sowie eine der unbekannt gebliebenen Personen gingen auf den Zeugen zu und der Angeklagte AI. verlangte erfolglos die Herausgabe des Mobiltelefons. Daraufhin baute sich der Angeklagte A. bedrohlich vor dem Zeugen G. auf, hielt ihn an der linken Hosentasche fest und forderte die Herausgabe von Geld. Mittlerweile war auch die vier- te Person aus der Gruppe an den Zeugen herangetreten, so dass dieser „komplett umringt“ war. Der Angeklagte AI. hielt den Zeugen G. nunmehr am rechten Oberarm fest und er sowie der Angeklagte A. forderten von dem Zeugen erneut die Herausgabe seiner Sachen. Für die Angeklagten überraschend griff der dritte TatbeteiIigte in seine Hosentasche, holte ein Messer mit einer KIingenIänge von etwa 10 cm heraus, klappte es auf, sprang zwischen den Angeklagten hindurch auf den Zeugen zu und stach in Richtung dessen Oberkörpers. Während der Zeuge G. zurückwich und dabei zu Fall kam, versuchte dieser unbekannte Tatbeteiligte noch mehrfach, ihn mit dem Messer zu treffen, wodurch jedoch lediglich der Gurt der Umhängetasche des Zeugen teilweise durchtrennt wurde. Nachdem der Zeuge wieder aufgestanden war und eine Boxerhaltung eingenommen hatte, kamen alle vier TatbeteiIigten auf ihn zu und versuchten, ihn zu schlagen, um an seine Wertgegenstände zu gelangen. Der Zeuge G. äußerte immer wieder, dass er keine Probleme haben wolle; sie sollten aufhören. Diese Aufforderung blieb jedoch erfolglos. Das Messer hatte der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte an „andere Personen, die das Geschehen ohne sich einzumischen beobachteten“, weitergereicht. Als den sich wehrenden Zeugen G. die Kräfte verließen, drehte er sich zu den umstehenden Personen und bat um Hilfe. Als er sich wieder dem Angeklagten A. zuwandte, versetzte dieser ihm einen gezielten Faustschlag auf die Nase. Der Zeuge entledigte sich daraufhin seiner Jacke und seiner Tasche, um sich besser wehren zu können. Einer der unbekannten Tatbeteiligten entnahm sodann der Tasche ein Mobiltelefon sowie 40 € Bargeld.
- 5
- Der Geschädigte erlitt einen Nasenbeinbruch, einen Bruch des kleinen rechten Fingers sowie Rückenschmerzen.
- 6
- 2. Das Landgericht hat das Geschehen als Raub nach § 249 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gewürdigt. Die Verwendung des Messers hat es den Angeklagten nicht zugerechnet. Diese sei weder vom Tatplan umfasst gewesen, noch sei das Messer im weiteren Verlauf benutzt worden. Zwar sei nach dem Einsatz des Messers weiter auf den Zeugen eingewirkt worden, um ihm seine Wertsachen abzunehmen. Hieraus könne jedoch nicht auf ein Billigen geschlossen werden, da das Messer danach „sofort aus dem Geschehen quasi herausgenommen wurde“, weshalb sie seinenEinsatz weder ausgenutzt noch sich zu eigen gemacht hätten.
II.
- 7
- Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Denn die revisions- gerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 8
- 1. Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend von den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft ausgegangen.
- 9
- Eine solche liegt dann vor, wenn in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehenen – auch wenn dies in wesentlichen Punkten von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in eine bereits begonnene Aus- führungshandlung als Mittäter eingetreten wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was schon vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die strafbare Verantwortlichkeit nicht zu begründen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280; vgl. ferner Beschluss vom 20. August 2013 – 3 StR 237/13).
- 10
- Ein vollständig abgeschlossenes Geschehen lag hier schon im Hinblick darauf nicht vor, dass die Wegnahme der Sachen noch nicht erfolgt war. Die Weitergabe des Messers durch die unbekannte Person an außenstehende Dritte stellte auch nicht etwa einen (Teil-)Rücktritt von der Qualifikation des § 250 Abs. 2 StGB dar. Durch den Gebrauch des Messers war das Qualifikationsmerkmal bereits verwirklicht und die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 – 2 StR 34/07, NStZ 2007, 468).
- 11
- 2. Soweit das Landgericht sich nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass die Angeklagten den erfolgten Messereinsatz des unbekannten Mittäters gebilligt haben, erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.
- 12
- a) Das Landgericht hat bei seiner Würdigung maßgeblich darauf abgestellt , dass das Messer nach dem Einsatz „sofort wieder aus dem Geschehen genommen worden sei“. Diese sich nur in der Beweiswürdigung und den Rechtsausführungen wiederfindende Erwägung wird jedoch von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Denn danach versuchte der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte mehrmals, auf den Zeugen einzustechen, der auswich und zu Boden fiel, wieder aufstand, von allen vier Tatbeteiligten mit Schlägen attackiert wurde und diese zum Aufhören aufforderte. Der sich hieran anschließenden Mitteilung, dass der unbekannt gebliebene Tatbeteiligte „das Messer ... an andere Personen ... weitergereicht“ habe, lässt sich gerade nicht entnehmen , wann dies genau bzw. dass es „sofort“ erfolgt sein soll.
- 13
- b) Im Übrigen kann die Feststellung, dass ein Täter die von ihm für möglich gehaltenen Folgen seines Handelns gebilligt hat, sofern er dies bestreitet, vor allem durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen getroffen werden (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2002 – 3 StR 296/02; vom 23. Mai 2002 – 3 StR 513/01). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen , für deren Vorliegen – selbst bei nicht widerlegbaren, aber durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten – keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15). Nichts anderes gilt für die Billigung eines Mittäterexzesses bei sukzessiver Mittäterschaft. Unter diesem Blickwinkel begegnet die Feststellung, die Angeklagten hätten den Messereinsatz bei ihren diesem nachfolgenden Handlungen (unter anderem: mehrfaches Ansetzen zu Schlägen, Faustschlag ins Gesicht, Wegnahme von Handy und Geld) nicht gebilligt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 14
- 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- 15
- a) Die strafmildernde Erwägung im angefochtenen Urteil, die Angeklagten seien als Ausländer ohne hiesige soziale Kontakte besonders haftempfindlich , widerspricht den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen.
- 16
- b) Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB erfordert keine Abhängigkeitserkrankung. Ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16 mwN). Eine „Neigung zum Drogenmissbrauch“ der zur Tatzeit erheblich alkoholisierten sowie unter „anderen Drogen“ stehenden und deshalb nur vermindert schuldfähigen Angeklagten hat das Landgericht festgestellt.
Dölp König
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Annotations
(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub - a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, - c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
- 2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.
(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet, - 2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder - 3.
eine andere Person - a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn
- 1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub - a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, - c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
- 2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.
(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet, - 2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder - 3.
eine andere Person - a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.