Bundesgerichtshof Urteil, 19. Jan. 2006 - 4 StR 393/05

bei uns veröffentlicht am19.01.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

URTEIL
4 StR 393/05
vom
19. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Januar
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 6. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Der Verurteilte wurde am 15. Februar 2001 vom Landgericht Hagen wegen Vergewaltigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Aus beiden Einzelstrafen bildete das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Nach den Feststellungen jenes Urteils traf der Verurteilte an einem Abend im April 2000 die Geschädigte Michaela K. in einer Gaststätte und ging mit ihr, um gemeinsam einen "Joint" zu rauchen, nach draußen, wo es auch zum Austausch von Zärtlichkeiten kam. Als sie sich in einer nahegelegenen Unterführung zum Urinieren hinhockte, fühlte sich der deutlich alkoholisierte Verurteilte durch das distanzlose Verhalten der Frau „animiert“. Er zwang sie daraufhin unter Ausnutzung ihrer schutzlosen Lage , u.a. den Oralverkehr des Verurteilten an ihr zu dulden und an ihm auszuführen. In dem weiteren Fall lernte der Verurteilte am Tatabend im Mai 2000 die Geschädigte Angelika F. auf dem Bahnhofsvorplatz in Hagen kennen, von wo aus sie die Wohnung eines Bekannten aufsuchten. Dort und später auch auf dem Weg in die Hagener Innenstadt kam es zum einvernehmlichen Austausch von Zärtlichkeiten. Als die Geschädigte sich plötzlich weiteren Küssen des wiederum alkoholisierten Verurteilten widersetzte, akzeptierte dieser den Sinneswandel nicht. Vielmehr schubste er sie zu Boden, legte sich auf sie und faßte ihr, um ihre Hilferufe zu unterbinden, fest an den Hals, ließ dann aber auf ihre Bitte, sie nicht zu vergewaltigen, mit der Bemerkung von ihr ab: „Ich werde Dir nicht wehtun“.
3
2. Vor Begehung dieser Taten war der vielfach vorbestrafte Verurteilte bereits dreimal wegen sexueller Gewaltdelikte in Erscheinung getreten. Er wurde deshalb im November 1986 wegen einer im März jenes Jahres begangenen Vergewaltigung (der leicht alkoholisierte Verurteilte hatte eine Frau, die er zuvor in einer Discothek kennengelernt hatte, zu sich zum Frühstück eingeladen. Auf dem Weg zu seiner Wohnung führte er sie über einen Friedhof, wo er sie auf den Boden drückte und u.a. den Oralverkehr erzwang) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nur knapp vier Monate nach vollständiger Verbüßung überfiel der nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte Ende Juli 1990 auf offener Straße eine Frau, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren, und zerrte sie in ein Gebüsch; sie konnte ihm aber entkommen. Er wurde deshalb im Februar 1991 wegen versuchter Vergewaltigung zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Noch bevor diese Strafe vollstreckt wurde, kam es Ende Juli 1991 zu einer neuerlichen sexuel- len Gewalttat. Der wiederum nicht ausschließbar alkoholbedingt erheblich vermindert steuerungsfähige Verurteilte hatte sich mit einer Gruppe mehrerer sämtlich alkoholisierter Männer und Frauen, darunter auch die später Geschädigte , getroffen. Er veranlaßte sie, sich mit ihm von der Gruppe zu entfernen, wobei sie sich von ihm auch küssen ließ. Als sie aber weitere sexuelle Handlungen ablehnte, brachte der Verurteilte sie zu Fall und erzwang durch Schläge ins Gesicht und unter der Drohung, ihr mit einem Stein auf den Kopf zu schlagen , dass der Verurteilte den Oralverkehr an ihr ausüben und mit den Fingern in ihre Scheide eindringen konnte. Er wurde deshalb im Juni 1992 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Vergewaltigung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis Juni 1995 verbüßte.
4
3. Obwohl nach den Feststellungen des Ursprungsurteils sowohl die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB als auch – worauf das Landgericht allein abgestellt hat – die des Absatzes 3 der Vorschrift vorlagen, sah das Landgericht seinerzeit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ab, da der Gefährlichkeit des Verurteilten aus aktueller Sicht erfolgreich dadurch entgegengewirkt werden könne, dass er in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB untergebracht werde (UA 18). Im Vollzug dieser durch das Landgericht angeordneten Maßregel verweigerte der Verurteilte jedoch eine therapeutische Zusammenarbeit zunehmend, worauf die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. August 2002 gemäß § 67 d Abs. 5 StGB bestimmte, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen sei. Nach Abbruch des Maßregelvollzugs lehnte der Verurteilte sämtliche Behandlungsangebote der Justizvollzugsanstalt, auch in Bezug auf seine Sexual- und Gewaltproblematik , als für sich „völlig unangemessen“ (UA 24) ab. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Strafe vollständig bis zum 2. September 2004, verblieb aber weiterhin in Haft, nachdem das Landgericht am 1. September 2004 gemäß § 275 a Abs. 5 StPO seine einstweilige Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung angeordnet hatte.
5
Zum Verhalten des Verurteilten im Vollzug hat das Landgericht im angefochtenen Urteil im Übrigen folgende Feststellungen getroffen:
6
Ende Mai 2001 wurde der Verurteilte zur Vollstreckung der nach § 64 StGB angeordneten Maßregel in die Klinik verlegt. Dort suchte er alsbald den Kontakt und die Nähe zu Frau A., die erst seit kurzer Zeit als jüngste Pflegekraft auf seiner Station beschäftigt war. Der Verurteilte kam häufig zu ihr ins Dienstzimmer, machte ihr Komplimente und kochte sogar für sie, wenn sie Nachtdienst hatte. Da sie noch jung und unerfahren im Umgang mit Patienten war, den Verurteilten sympathisch und attraktiv fand und sich von seinen Komplimenten geschmeichelt fühlte (UA 19), unterhielt sie sich viel mit ihm und erzählte dabei auch von sehr persönlichen Umständen und durchaus auch sexualbetonten Gefühlen, so dass – auch wenn sie dabei keine Hintergedanken hegte – möglicherweise eine "knisternde Atmosphäre“ oder „erotische Spannung“ entstand (UA 20).
7
Spätestens Ende April 2002 beendete Frau A. diese "flirtive Situation" (UA 56) und ging auf Distanz zu dem Verurteilten. Dieser konnte mit ihrem Rückzug jedoch nicht umgehen. Seine bisherige Zuneigung schlug jetzt in Hass und Aggression um (UA 21). Dies zeigte sich in Drohungen und massiven Beleidigungen. So äußerte er noch Ende April 2002 zu dem Stationspsychologen, "wenn er enttäuscht werde, überlege er nur, wie er dem anderen schaden könne ; er habe sich für jeden aus dem Team eine Strafe überlegt". Als der Verurteilte wegen wiederholter Beleidigungen in den Kriseninterventionsraum verlegt wurde, fand man bei ihm ein Teppichmesser, welches er sich eigenmächtig be- schafft hatte und das er dazu benutzen wollte, sich selbst oder gegebenenfalls andere Personen zu verletzen (UA 22). Zudem fanden sich bei seiner persönlichen Habe die Adresse und Telefonnummer von Frau A. sowie "Briefe und Postkarten, in denen ein einseitiges, sehnsüchtiges Verliebtsein in Frau A. zum Ausdruck kam" (UA 22). Während eines Freigangs Anfang Juni 2002 traf er auf seinen früheren Bezugspfleger, dem gegenüber er äußerte, er werde "das Team von der Station 7 D in zwei Jahren, wenn er rauskomme, 'niedermetzeln'; ganz besonders … Frau A. und … Frau N. werde er übel mitspielen" (UA 23).

II.


8
Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings hat das Landgericht zutreffend die formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Jedoch sind die materiellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB nicht ausreichend dargetan.
9
1. Das Landgericht hat zur Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten die ärztliche Direktorin am Zentrum für forensische Psychiatrie ( ) in , Dr. med. S. , sowie den ärztlichen Direktor der Klinik in H. und Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin, Prof. Dr. T. , als Sachverständige gehört. Beide Sachverständigen sind in ihren Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Verurteilten liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, die aufgrund ihrer typischen Merkmale maßgeblich für das Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB spreche. Beide Sachverständigen sind ferner übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe nicht nur eine bestimmte, sondern eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Verurteilte wieder sexuelle Gewalttaten begehen werde. Für ein solches hohes Risiko künftiger Sexualde- likte spreche auch, dass der Verurteilte zur Sexualisierung von Alltagssituationen und -beziehungen neige, erotische Signale nicht relativieren könne und Situationen sexuell übersteigert interpretiere (UA 56). Dies habe sich insbesondere in dem Verhalten des Verurteilten in der Klinik in Bezug auf Frau A. gezeigt. Dadurch sei auch die auf das seinerzeit erstattete Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Sch. gestützte Einschätzung des Landgerichts Hagen in seinem Urteil vom 15. Februar 2001 widerlegt, wonach die Straftaten des Verurteilten "maßgeblich" auf seinen jahrelangen Missbrauch von Alkohol und den jeweils aktuell genossenen Alkohol zurückzuführen seien. Vielmehr sei nunmehr deutlich geworden, dass der Verurteilte auch unabhängig von einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation zu gleichen Verhaltensweisen wie bei seinen Sexualstraftaten neige und er somit unabhängig von einer akuten Alkoholisierung allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur gefährlich sei (UA 42).
10
Davon ausgehend, hat das Landgericht die für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung erforderlichen „neuen Tatsachen“ in dem „Verhalten des Verurteilten in der Klinik in in Bezug auf die Zeugin A.“ gesehen; „denn dadurch (habe) sich gezeigt, dass er unabhängig von dem konstellativen Faktor einer tatzeitbezogenen Alkoholintoxikation gefährlich ist“ (UA 42). Dies begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
2. Allerdings ergeben sich vorliegend aus dem Vollzugsverhalten des Verurteilten in der Unterbringung nach § 64 StGB gegenüber dem Ausgangsurteil „neue Tatsachen" (vgl. zu diesem Begriff BGH, Urteile vom 1. Juli 2005 - 2 StR 9/05 -, NJW 2005, 3078, und vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 -, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; Senatsbeschlüsse vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05 – und vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05), die im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen nach § 66 b Abs. 1 StGB Bedeutung erlangen können. Doch kommt den hierzu festgestellten Umständen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit das Gewicht erheblicher neuer Tatsachen zu, das erst den Weg zu der in § 66 b StGB geforderten Gesamtwürdigung des Verurteilten eröffnet (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05).
12
Das Landgericht hat nicht ausreichend dargetan, dass das Verhalten des Verurteilten in der Klinik auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweist, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen, wie sie die Annahme erheblicher neuer Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB voraussetzt (BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05). Insbesondere begegnet die auf die Gutachten der beiden gehörten Sachverständigen gestützte Wertung des Landgerichts, das Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. sei eine "Reinszenierung" seiner bisherigen, recht stereotyp verlaufenden Sexualstraftaten (UA 43), durchgreifenden Bedenken. Zwar war das Verhalten des Verurteilten von Hass und Aggression geprägt, nachdem Frau A. Ende April 2002 zu ihm auf Distanz gegangen war. Auch können die von dem Verurteilten angedeuteten oder ausdrücklich ausgesprochenen Drohungen unter Einbeziehung des bei ihm vorgefundenen Teppichmessers „neue Tatsachen“ von Gewicht im Sinne des § 66 b StGB sein. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers sollen auch "wiederholte verbal-aggressive Angriffe" ebenso "wie die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen", als Anknüpfungspunkt für eine weitere Prüfung in Betracht kommen (BTDrucks. 15/2887 S. 12). Doch ist bei der Frage der Erheblichkeit immer in Rechnung zu stellen, ob und inwieweit diese Umstände ihre Ursache nicht nur in der Vollzugssituation haben (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05).
Insoweit hätte das Landgericht hier berücksichtigen müssen, dass das Verhalten des Verurteilten eine nicht völlig unverständliche Reaktion auf die Zurückweisung durch Frau A. darstellte, nachdem sie die "notwendige professionelle Distanz" außer acht gelassen und durch diese "beruflichen Fehler" (UA 29) maßgeblich die "erotische Spannung" und die "Wunschfantasien" des Verurteilten (UA 20) mit verursacht hatte. Gegen die Wertung des Verhaltens des Verurteilten als „Reinszenierung“ seiner früheren Sexualstraftaten spricht schließlich, dass diesen nach den dazu im Urteil mitgeteilten Sachverhalten jeweils ein spontaner Entschluss des Verurteilten zur alsbaldigen Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse zugrunde lag. Davon unterscheidet sich das monatelange „werbende“, von gegenseitiger Sympathie getragene Verhalten des Verurteilten gegenüber Frau A. grundlegend.
13
Zudem hat das Landgericht nicht ausreichend dargetan, dass die Drohungen auch naheliegend Ausdruck der konkreten Gefahr sind, der Verurteilte werde seine im Vollzug geäußerten Drohungen auch in die Tat umsetzen (zur Bedeutung des Vollzugsverhaltens einschließlich des Auffindens verbotener Gegenstände (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05). Auch vor dem Hintergrund der Anlasstaten ergeben die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht, dass der Verurteilte etwa nur wegen der Situation im Vollzug an gewalttätigen Übergriffen gegenüber Frau A. oder anderen Personen gehindert gewesen wäre. Die Feststellungen legen vielmehr nahe, schließen es jedenfalls aber nicht aus, dass der Verurteilte sehr wohl des öfteren insbesondere auch mit Frau A. allein war, ohne dass jeweils andere Personen zu ihrem Schutz unmittelbar hätten eingreifen können. Die Annahme des Landgerichts, zu einer tatsächlichen Anwendung von Gewalt durch den Verurteilten – wie bei seinen früheren Straftaten – sei es nur deshalb nicht gekommen, weil sich das Geschehen diesmal im Maßregelvollzug und damit in einem „geschützten Raum“ abspielte (UA 43), stellt deshalb eine bloße Vermutung zu Lasten des Verurteilten dar.
14
Die Sache bedarf schon deshalb insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung.

III.


15
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
16
1. Soweit das Landgericht mit den beiden gehörten Sachverständigen die Gefährlichkeit des Verurteilten als "allein aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur" und "unabhängig von einer akuten Alkoholisierung" bestehend angesehen hat (UA 42), liegt in diesen Umständen hier für sich noch keine für die Prüfung der Voraussetzungen des § 66 b StGB erforderliche „neue Tatsache“. Zwar weicht die jetzige Beurteilung der Sachverständigen, der sich das Landgericht im angefochtenen Urteil angeschlossen hat, von derjenigen im Ausgangsverfahren insoweit ab, als danach das den Sexualdelikten des Verurteilten zu Grunde liegende Verhaltensmuster "primär" auf seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung beruhe, während eine akute Alkoholintoxikation nur ein zusätzlich enthemmender, nicht aber per se der tatauslösende Faktor sei (UA 44). Die Abweichung betrifft aber lediglich die Bewertung prognoserelevanter Ursachen der Sexualdelinquenz des Verurteilten, ohne dass damit neue Ursachen selbst zu Tage getreten wären (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 – 4 StR 483/05). Die vom psychiatrisch-psychologischen Sachverständigen zu verantwortende Diagnose einer Persönlichkeitsstörung als solche stellt auch dann, wenn sie von einem der international gebräuchlichen Klassifikationen (ICD oder DSM) erfasst wird, keine Tatsache dar; "nova" können sich immer nur auf die eine solche Diagnose begründenden Anknüpfungstatsachen beziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05). Zudem weist das angefochtene Urteil selbst aus, dass auch die jetzige psychiatrisch-psychologische Beurteilung des Verurteilten nicht "neu" ist. Denn bereits der psychiatrische Gutachter im Ausgangsverfahren hatte bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer psychischen und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen diagnostiziert (UA 17). Auch hatte der psychologische Sachverständige F. in dem Strafverfahren beim Landgericht Arnsberg schon 1992 die Sexualdelinquenz des Verurteilten "maßgeblich" auf seine "dissozialen Interaktionsmuster" (UA 44) zurückgeführt, was der jetzigen Beurteilung der Sachverständigen entspricht.
17
2. Eine berücksichtigungsfähige „neue Tatsache“ kann hier allerdings die Therapieverweigerung des Verurteilten sein, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung davon ausgehen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Erfolg versprechenden Therapie unterziehen (Senatsbeschluss vom 9. November 2005 aaO). Im Rahmen der dadurch eröffneten Gesamtwürdigung (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 1 StR 482/05) darf der Tatrichter jedoch nicht allein auf eine derartige Verweigerungshaltung abstellen (BVerfGE 109, 190 = NJW 2004, 750, 758; BGH NJW 2005, 2022). Vielmehr hat er dazu die Persönlichkeit des Verurteilten, seine bisherigen Straftaten und seine Entwicklung bis zur letzten tatrichterlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 485/05
vom
12. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Januar 2006 gemäß § 349 Abs.
4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 2. Juni 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Verurteilte war am 20. Dezember 1995 vom Landgericht Magdeburg wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden. Diese Freiheitsstrafe hatte er am 22. November 2004 vollständig verbüßt. Als Entlasstermin war der 5. November 2004 vorgesehen. Am 5. Oktober 2004 beantragte die Staatsanwaltschaft, die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB anzuordnen. Am 29. Oktober 2004 erging gegen den Verurteilten Unterbringungsbefehl nach § 275 a Abs. 5 StPO.
3
Gegenstand der Verurteilung war ein Tatgeschehen vom 17. Juni 1995, in dessen Verlauf der Verurteilte in alkoholisiertem Zustand (BAK zur Tatzeit 2,28 o/oo) seinem Nachbarn im Rahmen eines Streits mit erheblicher Kraft einen Messerstich in den Brustbereich versetzte, an dessen Folgen das Tatopfer wenig später verstarb. Das Landgericht ging davon aus, dass der Verurteilte bei Begehung der Anlasstat infolge des genossenen Alkohols in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war. Einen psychiatrischen Sachverständigen hatte das Landgericht in diesem Verfahren nicht hinzugezogen.
4
Vor Begehung dieser Tat war der Verurteilte bereits viermal wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Erscheinung getreten und deswegen in der ehemaligen DDR zwischen 1973 und 1987 - die letzte Tat ereignete sich am 5. September 1986 - dreimal zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Ein weiteres gegen den Verurteilten geführtes Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Tatzeit: 24. Mai 1992) wurde nach Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens im Hinblick auf das der Anlassverurteilung zugrunde liegende Strafverfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
5
2. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Recht nicht auf § 66 b Abs. 1 StGB gestützt. Eine nachträgliche Unterbringungsanordnung nach § 66 b Abs. 1 StGB scheidet hier schon deshalb aus, weil die Voraussetzungen des § 66 StGB, auf die § 66 b Abs. 1 StGB Bezug nimmt, nicht erfüllt sind. Die der Anlasstat vorausgegangenen Taten unterfallen der Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB und können deshalb zur Begründung der hier allein in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 StGB nicht herangezogen werden.
6
3. Das Landgericht hat jedoch die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB bejaht.
7
Als "neue Tatsachen" hat es, beraten durch zwei psychiatrische Sachverständige , gewertet, dass der Verurteilte eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Merkmalen aufweise. Auf der Grundlage dieser Persönlichkeitsstörung habe sich bei ihm eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer "Kernpädophilie" sowie ein Alkoholabusus entwickelt. Soweit der Verurteilte während des Strafvollzugs Auffälligkeiten gezeigt habe, sei diesen Umständen eine eigenständige Bedeutung als "neue Tatsachen" nicht beizumessen, da diese lediglich Ausdruck der Persönlichkeitsstörung des Verurteilten seien.
8
Das Landgericht ist sodann im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu der Einschätzung gelangt, der Verurteilte werde in Freiheit aufgrund der festgestellten Persönlichkeitsstörung und der Störung der Sexualpräferenz und aufgrund eines bei ihm bereits "eingeschliffenen Verhaltensmusters" mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig erhebliche Straftaten begehen, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
9
4. Diese Beurteilung begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
10
a) Das Landgericht ist bei seiner Prüfung zwar im Ansatz zutreffend von den Anordnungsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB ausgegangen. Die Anlassverurteilung erfüllt die Eingangsvoraussetzungen dieser Vorschrift, da der Verurteilte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden ist.
11
b) Auch bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 66 b Abs. 2 StGB weder im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 109, 133, 167) noch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebots aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG Bedenken. Angesichts des berechtigten Interesses der Allgemeinheit, potentielle Opfer vor schwersten Verletzungen durch Straftäter zu schützen, ist die gesetzgeberische Entscheidung, in besonderen Ausnahmefällen, bei denen die formellen Voraussetzungen etwaiger früherer Verurteilungen fehlen, die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
12
Dieser Beurteilung steht hier nicht entgegen, dass gegen den Verurteilten , selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 StGB, im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat Sicherungsverwahrung nicht hätte angeordnet werden dürfen. Der Verurteilte hatte die Anlasstat vor dem 1. August 1995 im Beitrittsgebiet begangen und unterfiel deshalb der Regelung des Art. 1 a EGStGB in der zurzeit des Strafurteils geltenden Fassung des SichVG vom 16. Juni 1995 (BGBl. I S. 818). Diese Vorschrift schloss - für einen Fall wie den vorliegenden - die Anwendbarkeit der Vorschriften der Sicherungsverwahrung generell aus.
13
Dieser Umstand mag - was der Senat nicht zu entscheiden braucht - unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung und insbesondere des Vertrauensschutzes bei Altfällen im Rahmen der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB von Bedeutung sein, weil diese Vorschrift auf § 66 StGB Bezug nimmt (zu dem vergleichbaren Fall des § 66 Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 1 a EGStGB i.d.F. des Gesetzes vom 26. Januar 1998 - BGBl. I S. 160 - vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Anders verhält es sich jedoch bei der hier allein in Betracht kommenden Anordnungsgrundlage des § 66 b Abs. 2 StGB, da diese Vorschrift gerade unabhängig vom Vorliegen der formellen Voraussetzungen des § 66 StGB Anwendung findet.
14
c) Den Anforderungen, die an das Vorliegen "neuer Tatsachen" zu stellen sind, wird das angefochtene Urteil indes nicht gerecht. An diese Voraussetzungen sind strenge Anforderungen zu stellen. Im Einzelnen:
15
aa) "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB sind zunächst nur solche , die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562). Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren, scheiden daher in jedem Fall aus. Aber auch Tatsachen, die ein sorgfältiger Tatrichter mit Blick auf § 244 Abs. 2 StPO hätte aufklären müssen, um entscheiden zu können, ob eine Maßregel nach §§ 63, 64, 66, 66 a StGB anzuordnen ist, waren erkennbar und sind nicht neu im Sinne des § 66 b StGB. Rechtsfehler, die durch Nichtberücksichtigung solcher Tatsachen entstanden sind, können nicht durch die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung korrigiert werden (BGH aaO). Eine Bewertung bereits bei der Anlassverurteilung bekannter oder erkennbarer Tatsachen stellt ebenfalls keine neue Tatsache dar (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
16
bb) Darüber hinaus müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten (BTDrucks. 15/ 2887 S. 12; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66 b Rdn. 4). Die Frage der Erheblichkeit der "neuen Tatsache" für die Gefährlichkeitsprognose ist eine Rechtsfrage , die vom Gericht in eigener Verantwortung ohne Bindung an die Auffassung der gehörten Sachverständigen zu beantworten ist. Aus der Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als einer zum Strafrecht im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehörenden Maßnahme, die an eine Straftat anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat bezieht (vgl. BVerfGE 109, 190, Leitsatz Ziff. 1 Buchst. a) folgt, dass die Erheblichkeit der berücksichtigungsfähigen "neuen Tatsache" vor dem Hintergrund der bei der Anlassverurteilung bereits hervorgetretenen Gefährlichkeit beurteilt werden muss. Die "nova" müssen daher in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (vgl. Senatsbeschluss aaO).
17
d) Diesen Grundsätzen tragen die Ausführungen des Landgerichts nicht hinreichend Rechnung.
18
aa) Die Auffassung des Landgerichts, die kombinierte (dissoziale) Persönlichkeitsstörung des Verurteilten stelle in Verbindung mit der Störung der Sexualpräferenz eine "neue Tatsache" dar, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, die Persönlichkeitsstörung sei beim Verurteilten zwar bereits im jungen Erwachsenenalter - etwa seit 1975 - vorhanden gewesen. Auch habe die Störung der Sexualpräferenz bereits im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat vorgelegen. Jedoch seien der erkennenden Strafkammer, diese Störungen weder bekannt noch erkennbar gewesen , da sie erstmals, jedenfalls in "ihrem vollen Ausmaß", durch die im vorliegenden Verfahren tätigen psychiatrischen Sachverständigen diagnostiziert worden seien.
19
Dieser Begründung des Landgerichts liegt bereits ein falscher Ansatz zugrunde, weil es rechtsfehlerhaft allein auf die Bewertung der Persönlichkeitsauffälligkeiten des Verurteilten abgestellt hat. Dabei hat das Landgericht verkannt , dass für die Beurteilung der Frage, ob "neue Tatsachen" gegeben sind, nicht die neue oder möglicherweise sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen maßgeblich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat bereits vorlagen und ob diese dem damaligen Tatrichter bekannt oder für ihn erkennbar waren. Es ist dabei - jedenfalls bei der Diagnose "Persönlichkeitsstörung" - nicht von Bedeutung, ob diese (Anknüpfungs-)Tatsachen bereits im Ausgangsverfahren oder in einem früheren Verfahren Grundlage einer sachverständigen Bewertung waren.
20
Dass maßgebliche, den diagnostizierten Störungen zugrunde liegende (Anknüpfungs-)Tatsachen bereits im Zeitpunkt der Aburteilung der Anlasstat gegeben waren, steht hier nach den getroffenen Feststellungen außer Frage. Diese Anknüpfungstatsachen - etwa Erkenntnisse zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten, insbesondere zu seinem Werdegang, der frühe Deliquenzbeginn , seine Alkoholproblematik und seine Vorstrafen, vor allem die mehrfachen Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, auf die die Diagnose "Störung der Sexualpräferenz" ausschließlich gestützt wird - waren im Ausgangsverfahren auch schon bekannt. Hinzu kommt, dass sich in jenem Verfahren in Anbetracht der erheblichen, auf eine Gewöhnung hindeutenden Alkoholisierung des Verurteilten bei der Anlasstat und zumindest bei einigen Vortaten einem sorgfältigen Tatrichter die Prüfung der Voraussetzungen einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB aufdrängen musste. Erkenntnisse, die er insoweit - etwa anhand der Vorstrafenakten - unter Aufklärungsgesichtspunkten hätte gewinnen können und müssen, waren für ihn, wie oben dargelegt , jedenfalls erkennbar und können als "neue Tatsachen" im vorliegenden Verfahren nicht mehr herangezogen werden.
21
Soweit das Landgericht darauf abstellt, die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten, sowie seine "Kernpädophilie" seien jedenfalls "in ihrem vollen Ausmaß" zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung nicht bekannt gewesen, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob diese Feststellung auf konkreten "neuen" Anknüpfungstatsachen gründet oder ob sie, was nicht ausreichend wäre, lediglich auf der jetzigen Bewertung schon im Ausgangsverfahren bekannter oder erkennbarer Tatsachen durch die Sachverständigen beruht.
22
bb) Soweit das Landgericht die "Kernpädophilie" des Verurteilten als "novum" heranzieht, kommt unabhängig davon, dass es sich dabei nicht um eine Tatsache, sondern um eine Wertung handelt, hinzu, dass nach den bisherigen Feststellungen nicht zu erkennen ist, ob dieser Umstand in einem für die Erheblichkeitsbeurteilung der "nova" erforderlichen prognoserelevanten, symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat steht. Die Erheblichkeit einer berücksichtigungsfähigen "neuen Tatsache" darf, wie oben dargelegt, nicht losgelöst von der bei der Anlasstat hervorgetretenen spezifischen Gefährlichkeit beurteilt werden, sondern muss eine innere Beziehung zu dieser Gefährlichkeit aufweisen. In Bezug auf die "Kernpädophilie" des Verurteilten ergeben dies die Urteilsgründe nicht. Bei der Anlasstat handelte es sich um ein aus einem Konflikt heraus begangenes, spontanes Gewaltdelikt. Inwieweit die auf die Kernpädophilie zurückzuführenden Sexualdelikte des Verurteilten, bei denen es zu keiner unmittelbaren Gewaltanwendung gegenüber den Tatopfern kam, eine wie auch immer geartete innere Verknüpfung zu der bei dem Tötungsdelikt zutage getretenen Gefährlichkeit aufweisen, ist nicht zu erkennen.
23
5. Der Senat kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass das Vollzugsverhalten, das bislang unter diesem Gesichtspunkt nicht Gegenstand tatrichterlicher Beurteilung war, die Annahme "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB rechtfertigen kann. Bei der dem neuen Tatrichter insoweit obliegenden Prüfung wird dieser allerdings zu beachten haben, dass nicht schon jeder während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam als "novum" im Sinne des § 66 b StGB herangezogen werden kann. Vielmehr ist bei Vollzugsauffällig- keiten - neben den oben dargelegten Grundsätzen - bei Beurteilung der Erheblichkeit in besonderem Maße zu prüfen, ob sie für sich genommen oder jedenfalls in ihrer Gesamtheit Gewicht haben im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung anderer (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Bedingungen des Vollzugs zu beurteilen. Haben Auffälligkeiten oder während der Haft begangene Straftaten ihre Ursache überwiegend in den besonderen Bedingungen des Vollzugs, wird ihnen in der Regel die erforderliche erhebliche Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten nicht zukommen (vgl. BGH, aaO; zum vergleichbaren Fall der Bewertung von Straftaten während der Unterbringung nach § 63 StGB: vgl. BGH NStZ 1998, 405; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26; Senatsbeschluss vom 25. August 1998 - 4 StR 385/98). Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 482/05
vom
8. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2005 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 6. Mai 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Der Verurteilte wurde am 13. Dezember 1996 vom Landgericht München I wegen versuchten Totschlags in Tatmehrheit mit Körperverletzung und zwei jeweils selbstständigen Fällen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Die Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis zum 10. Dezember 2004 vollständig verbüßt, wobei er vom 22. November 2002 bis zum 11. Juni 2003 in einer Entziehungsanstalt untergebracht war. Am 5. Oktober 2004 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verurteilten
die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB anzuordnen. Aufgrund Unterbringungsbefehl gemäß § 275a Abs. 5 StPO vom 6. Dezember 2004 ist der Verurteilte bis heute untergebracht. 2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Verurteilte wuchs teilweise bei seiner Mutter und deren wechselnden Lebenspartnern - sein Vater ist ihm unbekannt - und in verschiedenen Kinderheimen auf. Er besuchte ab dem zweiten Schuljahr eine Sonderschule, die er häufig schwänzte. Eine Ausbildung zum Maler wurde vom Lehrherrn nach ein bis zwei Monaten abgebrochen, weil der Verurteilte seiner Berufsschulpflicht nicht nachkam. Er lebte überwiegend von Sozialhilfe. Im Alter von 17 Jahren absolvierte er eine dreimonatige "Ausbildung" zum Kick-Boxer. Seit seinem zwölften Lebensjahr konsumierte er Cannabis-Produkte, seit dem 17. Lebensjahr auch Kokain sowie Heroin und seit seinem 24. Lebensjahr zusätzlich große Mengen Alkohol.
b) Der Bundeszentralregisterauszug des Verurteilten enthält zwölf Eintragungen. Mit 14 Jahren stand er zum ersten Mal - wegen Diebstahls - vor Gericht. Mit 18 Jahren wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Das Gericht wertete diese Taten als "extreme Aggressionsdelikte". Der Verurteilte hatte u.a. einem Besucher des Münchner Christkindlmarkts einen Fußkick gegen die linke Gesichtshälfte versetzt. Der Geschädigte erlitt u.a. einen Kieferhöhlen- und Augenhöhlenbruch , musste mehrfach operiert werden und hat heute noch im Gesicht eine Asymmetrie und taube Stellen.
c) Dem Urteil vom 13. Dezember 1996 lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
aa) Der Verurteilte hatte mit dem S. eine Rauferei. Als diese beendet und S. im Weggehen begriffen war, versetzte ihm der Verurteilte von hinten mit einem Messer einen wuchtigen und tiefreichenden Stich in den rechten Bauchbereich. S. erlitt einen Durchstich der Leber und konnte nur durch eine umgehend durchgeführte Notoperation gerettet werden. bb) Im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung mit der Sch. zog der Verurteilte eine mitgeführte Gaspistole, hielt sie in einem Abstand von ca. 10 cm auf das Gesicht der Sch. gerichtet und schoss aus dieser Entfernung. Die zu Boden gestürzte Sch. trat er mit dem Knie und den Füßen und schlug mit den Fäusten mehrmals gegen ihren Kopf. Als deren Freundin B. sie zu schützen versuchte, schlug sie der Verurteilte mit dem Ellenbogen, dem Knie und der Faust in das Gesicht, was u.a. eine Gehirnerschütterung verursachte. Erst durch das Eingreifen von Passanten konnte der Verurteilte von weiteren Angriffen gegen die beiden Frauen abgehalten werden. cc) Nach einem Streit mit dem ihm bekannten Be. zog der Verurteilte mit den Worten "jetzt bist dro" ein Klappmesser und versetzte Be. drei wuchtig geführte Stiche in die beiden Oberschenkel, wobei ein Stich (Stichtiefe 8 cm) die Oberschenkelschlagader nur knapp verfehlte. Bei allen Taten stand der Verurteilte unter dem Einfluss von Alkohol und Arzneimitteln. Die Strafkammer sah von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB im Hinblick auf § 72 StGB ab, weil sie auch die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64
StGB als erfüllt ansah, nachdem sich der Verurteilte in der Hauptverhandlung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert gezeigt hatte.
d) Die Strafe aus dem Urteil vom 13. Dezember 1996 verbüßte der Verurteilte in der JVA Straubing. Hier wurde bei ihm ein "hohes Aggressionspotential" festgestellt. Es kam zu einer Vielzahl von Disziplinarverfahren. Einem dieser Verfahren lag zugrunde, dass der Verurteilte wiederholt Rasierklingen unter seinem Haftraumtisch befestigt hatte, damit Vollzugsbeamte bei der Zellenkontrolle sich verletzen konnten. Die im November 2002 begonnene Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste im Juni 2003 als aussichtslos abgebrochen werden, nachdem der Verurteilte mehrfach bezüglich Cannabis, Heroin und Kokain rückfällig geworden war. Auch in der Haft - vor wie nach der Unterbringung - hat der Verurteilte regelmäßig Rauschgift und Alkohol konsumiert. 3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Es hat weiterhin in einer grundlegenden Haltungsänderung des Verurteilten hinsichtlich der Wertung seiner Taten und seiner Therapiemotivation , aus der sich auch die zahlreichen Disziplinarverstöße und der Therapieabbruch ergeben hätten, neue Tatsachen gesehen, die den Schluss auf eine deutlich erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten zuließen. Auf der Grundlage der Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. H. ist das Landgericht nach Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu der Überzeugung gelangt, dass er nach einer Einlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer in ihrer körperlichen Unversehrtheit schwer geschädigt würden.

II.

Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB setzt eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Verurteilten und den Freiheitsgrundrechten der durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung Betroffenen voraus. Eine solche Maßnahme kommt nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht, wovon auch der Gesetzgeber ausdrücklich ausgegangen ist (BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 236; Senatsurteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05 -, NJW 2005, 2022, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). 1. Grundlage einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung können nur Tatsachen sein, die erst nach einer Verurteilung erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Das Verfahren nach § 66b StGB gilt insbesondere nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (Senat aaO). Die grundlegende Haltungsänderung des Verurteilten, der vor der Verurteilung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert war und nach der Verurteilung Obstruktion betrieben und den Therapieabbruch provoziert hat, erfüllt die Voraussetzungen der erforderlichen "neuen" Tatsache. Insbesondere sah sich das frühere Tatgericht im Hinblick auf den Vorrang einer Maßnahme nach § 64 StGB nachvollziehbar nicht in der Lage, bereits zum Zeitpunkt der damaligen Hauptverhandlung die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die Taten des Verurteilten waren auf seinen Hang zurückzuführen, alkoholische Getränke und
sonstige Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass es den Zweck, die Gefahr weiterer rechtswidriger Taten abzuwenden, auch mit der den Verurteilten weniger beschwerenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreichen konnte. 2. Kern der materiell-rechtlichen Prüfung einer Maßregel nach § 66b StGB ist - unter Einschluss der Tatsachen, die die Prüfung ausgelöst haben - die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs. Mit einer solchen umfassenden Abwägung soll einer unzulässigen Übergewichtung einzelner neuer Tatsachen entgegengewirkt werden. Das Landgericht stellt seine Abwägung zutreffend auf eine entsprechend breite Grundlage. Als negativ für die vorzunehmende Prognose wertet es die biographischen Faktoren des Verurteilten, insbesondere die seit der Kindheit instabilen Lebensverhältnisse und frühe Verhaltensauffälligkeiten, seine durch eine dissoziale Störung gekennzeichnete Persönlichkeit, die durch Aggressivität und Brutalität gekennzeichneten Vor- und Anlasstaten sowie die hohe Frequenz der Straffälligkeit, das Suchtverhalten des Verurteilten und die Disziplinarverstöße im Vollzug mit zum Teil aggressiven und auch hinterlistigen Tendenzen. In dieser Gesamtschau gewinnt auch die vom Landgericht als neue Tatsache zugrunde gelegte Haltungsänderung des Verurteilten bis hin zu einer Verweigerungshaltung erhebliches Gewicht. Wenn das Landgericht demnach - gestützt auf fundierte Gutachten der beiden Sachverständigen - die hohe
Wahrscheinlichkeit schwerer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer für ausreichend belegt hält, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf