Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2015 - 3 StR 597/14

bei uns veröffentlicht am19.02.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 5 9 7 / 1 4
vom
19. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 4. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünfzehn Fällen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erwarb der gesondert verfolgte F. im Zeitraum vom 6. Juni bis 6. August 2013 in vierzehn Fällen jeweils zwischen 20 g und 70 g Heroin sowie einmal 10 g Kokain in den Niederlanden und führte die Rauschmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf nach Deutschland ein. Die Überzeugung, dass sich der Angeklagte an diesen Taten beteiligte, hat die Strafkammer sich nicht zu verschaffen vermocht. Dies hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
2. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2012 - 3 StR 180/12, NStZ-RR 2013, 20).
4
Danach erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.
5
Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Der gesondert verfolgte F. hatte in dem gegen ihn geführten Strafverfahren den Angeklagten zwar belastet, in der Hauptverhandlung aber von seinem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht. Weil der Angeklagte den Zeugen deshalb zu keinem Zeitpunkt befragen oder befragen lassen konnte (Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK) und dieser zudem die Angaben in Erwartung einer Strafmilderung nach § 31 BtMG gemacht hatte, hat sich das Landgericht nicht in der Lage gesehen, eine Verurteilung des Angeklagten allein auf die Aussage des gesondert Verfolgten zu stützen.
6
a) Zwar erfordert das Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK die besonders sorgfältige und kritische Überprüfung der Aussagen von Belastungszeugen, wenn der Angeklagte diese nicht befragen oder befragen lassen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 104 f.). Hiervon werden auch die Einlassungen eines möglichen Mittäters erfasst, der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005, 321; vom 9. Juni 2009 - 4 StR 461/08, NStZ 2009, 581; vom 15. Juni 2010 - 3 StR 157/10, NStZ 2010, 589; Urteil vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 248). Es bedarf dann regelmäßig einer Bestätigung der belastenden Bekundungen durch andere wichtige Indizien außerhalb der Aussage selbst (vgl. BVerfG aaO; BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005, 321; vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74 f.; Urteil vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 248 f.).
7
b) Dass das Landgericht die Aussagen des gesondert Verfolgten einer kritischen Überprüfung unterzogen hat, entspricht deshalb zwar im Ansatz den rechtlichen Vorgaben. Die Beweiswürdigung ist indes lücken- und damit fehlerhaft; denn den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass der Strafkammer in den Fällen 12. und 13. der Anklage (Vorwurf der gemeinsamen Einfuhr von 50 g bzw. 70 g Heroin zum gewinnbringenden Weiterverkauf am 27./28. Juli und 31. Juli 2013) über die Aussagen des Zeugen F. hinaus weitere Beweismittel zur Beteiligung des Angeklagten an den Taten vorgelegen haben. So gibt das Urteil mehrere Telefongespräche zwischen dem Angeklagten und dem gesondert verfolgten F. vom 27./28. Juli und 31. Juli 2013 wieder, deren Inhalt nach der Bewertung durch die Strafkammer die Planung gemeinsamer Beschaffungsfahrten an diesen beiden Tagen "nahelegen". Warum es sich dennoch die Überzeugung, dass sich der Angeklagte an den Betäubungsmitteltaten des F. beteiligt hat, nicht hat verschaffen können, hat das Landgericht jedoch nicht erläutert. Soweit es ausgeführt hat, die Telefongespräche bestätigten nicht die Aussagen des Zeugen F. , wonach der Angeklagte die "treibende und finanzierende Kraft" der Betäubungsmittelgeschäfte gewesen sei, hat es unerörtert gelassen, ob dieser nicht auf andere Art und Weise als Teilnehmer an den Straftaten des gesondert Verfolgten in Betracht kommt.
8
3. Die rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung zu den beiden genannten Fällen führt auch zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der dreizehn übrigen angeklagten Taten. Zwar ergeben die Urteilsgründe insoweit keine den Angeklagten eindeutig belastenden Erkenntnisse, die außerhalb der Aussage des gesondert Verfolgten liegen. Doch kann ein Nachweis der Beteiligung an den Taten vom 27./28. Juli und 31. Juli 2013 auch für die übrigen Fälle von indizieller Bedeutung sein.
Schäfer RiBGH Pfister befindet sich Hubert im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 55 Auskunftsverweigerungsrecht


(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe


Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich d

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 180/12
vom
16. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. August
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 17. August 2011 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht Stade hatte den Angeklagten vom Vorwurf freigesprochen , am frühen Morgen des 23. August 1987 die damals 16 Jahre alte Schülerin A. ermordet zu haben. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat das landgerichtliche Urteil wegen einer durchgreifenden Beweisantragsrüge aufgehoben und die Sache an das Landgericht Verden zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 3 StR 63/10). Das Landgericht hat den Angeklagten erneut freigesprochen. Mit ihrer hiergegen gerichteten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Beweiswürdigung der Strafkammer. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist unbegründet.
2
Nach den Feststellungen war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt mit der Zeugin B. befreundet. Die beiden besuchten am Abend des 22. August 1987 eine Diskothek in Be. . Dort konsumierte der Angeklagte ein Plättchen LSD und trank Alkohol. Danach traf er auf A. , mit der er in den Monaten zuvor zwei- oder dreimal geschlechtlich verkehrt hatte, und unterhielt sich mit ihr. Später übte er mit ihr auf dem Beifahrersitz seines Pkws den Geschlechtsverkehr aus. Danach fuhr er zu einer Tankstelle und schlief in seinem Auto ein. Nachdem er wieder erwacht war, kehrte er zu der Diskothek zurück , wo er um 1.45 Uhr auf die Zeugin B. traf. Mit dieser fuhr er zu deren Elternhaus und verbrachte dort die restliche Nacht mit ihr. A. unterhielt sich um 1.50 Uhr vor der Diskothek mit einem ihr bekannten Taxifahrer. Sie wurde um 2.00 Uhr und um 2.30 Uhr von weiteren Zeugen noch lebend gesehen. In den frühen Morgenstunden des 23. August 1987 wurde sie von einem unbekannten Täter getötet; ihre Leiche, die mindestens sechzig Stich- bzw. Schnittverletzungen aufwies, wurde nackt und gefesselt auf dem Seitenstreifen eines Weges bei E. zurückgelassen.
3
1. Die Strafkammer hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen vermocht. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte verfüge aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin B. für die Tatzeit über ein Alibi, welches durch das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu widerlegen sei. Insbesondere könnten die DNA-Spuren des Angeklagten auf dem Fesselungsmaterial und einer naheliegend als Knebel verwendeten Socke durch eine Sekundärübertragung verursacht worden sein. Auch die Einlassungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren sowie das sonstige Beweisergebnis, etwa die Spurenlage in dessen Fahrzeug, an der Leiche , am Tatort und einer Slipeinlage der Getöteten sowie das vor der Tat praktizierte Sexualverhalten des Angeklagten reichten nicht aus, um dessen Alibi zu widerlegen. Die Strafkammer sei deshalb davon überzeugt, dass ein bislang unbekannter Täter das Opfer getötet habe.
4
2. Die Beweiswürdigung durch das Landgericht hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.
5
a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
6
b) Ein durchgreifender Rechtsmangel in diesem Sinne liegt nicht vor.
7
aa) Die Strafkammer hat insbesondere mit ausführlicher Würdigung rechtsfehlerfrei die Aussage der an insgesamt drei Sitzungstagen vernommenen Zeugin B. als glaubhaft erachtet, sie habe den Angeklagten um 1.45 Uhr in der Diskothek wieder getroffen und sodann die Nacht mit ihm gemeinsam verbracht. Gleiches gilt für die Aussage des Zeugen Ba. , der als Taxifahrer vor der Diskothek auf Fahrgäste wartete und dabei mit dem ihm bekannten Opfer ein Gespräch führte. Die - ebenfalls sorgfältig begründete - zeitliche Einordnung dieser Unterhaltung auf 1.50 Uhr beruht vor allem auf einer detaillierten Auswertung der von dem Zeugen in dieser Nacht gefahrenen Touren und weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Vor diesem Hintergrund ist die Wertung der Strafkammer, dass die den Angeklagten belastenden Indizien nicht ausreichen, um einen Tatnachweis zu erbringen, nicht zu beanstanden.
8
bb) Die in diesem Zusammenhang erhobenen einzelnen Einwendungen der Revision geben Anlass zu folgenden Bemerkungen:
9
(1) Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe bei der Bewertung jedes einzelnen, den Angeklagten potentiell belastenden Beweismittels gemäß dem Grundsatz "in dubio pro reo" denjenigen Schluss gezogen, der den Angeklagten entlaste, ist ihr zwar im Ansatz zuzugeben, dass der Zweifelsgrundsatz eine Entscheidungsregel ist, die grundsätzlich nicht auf die einzelnen Elemente der Beweiswürdigung anzuwenden ist, sondern erst nach deren Abschluss eingreift (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 261 Rn. 26 mwN). Gegen diesen Grundsatz hat das Landgericht jedoch nicht verstoßen. Den ausführlichen Urteilsgründen ist vielmehr zu entnehmen, dass die Strafkammer die einzelnen den Angeklagten be- und entlastenden Umstände dargestellt und deren jeweiligen Beweiswert vor dem Hintergrund der für ein Alibi des Angeklagten sprechenden Beweise gewürdigt hat. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
10
(2) Die von der Strafkammer in den Raum gestellte Möglichkeit, der Angeklagte habe bei dem in seinem Pkw mit dem späteren Opfer praktizierten Geschlechtsverkehr sein Glied aus dessen Scheide gezogen, bevor es zum Samenerguss kam, und das Ejakulat mit einem Taschentuch aufgefangen, beruht auf einer tragfähigen Beweisgrundlage. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass die Geschädigte am Tag zuvor bei einem Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen Z. in entsprechender Weise verhütet hatte und dem Angeklagten daran gelegen sein musste, dass keine Spuren in dem Fahrzeug zurückblieben, weil er mit diesem noch gemeinsam mit seiner Freundin nach Hause fahren wollte. Damit stellt die Folgerung des Landgerichts nicht lediglich eine reine Spekulation dar.
11
(3) Soweit das Landgericht den DNA-Spuren des Angeklagten auf dem Fesselungsmaterial sowie der Socke keinen maßgebenden Beweiswert zugemessen hat, weil sie durch eine Sekundärübertragung verursacht sein können, lässt dies keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Die Strafkammer, die in diesem Zusammenhang mehrere Sachverständige gehört hat, hat bei ihrer Würdigung insbesondere auf die Witterungsverhältnisse in der Tatnacht sowie den Umstand abgestellt, dass zu der damaligen Zeit dem Stand der Wissenschaft entsprechend keine Sicherheitsmaßnahmen zur Vermeidung derartiger Sekundärübertragungen getroffen wurden. Die vom Landgericht mit Blick auf diese Umstände gezogenen Schlüsse sind möglich; darauf, ob sie naheliegend oder gar sicher sind, kommt es für die revisionsrechtliche Beurteilung nicht an. In diesem Zusammenhang ist auch nicht zu besorgen, dem Landgericht könne der Umstand aus dem Blick geraten sein, dass es an anderer Stelle davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe bei dem festgestellten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr nicht in die Scheide des Opfers ejakuliert. Der von der Revision in diesem Zusammenhang angenommene Verstoß gegen Denkgesetze ist deshalb nicht gegeben.
12
(4) Den Umstand, dass sich auch im Afterbereich des Opfers DNASpuren des Angeklagten befanden, obwohl dieser mit der später Getöteten lediglich vaginal verkehrte, hat das Landgericht nachvollziehbar damit erklärt, dass durch einen der dem Opfer zugefügten Stiche ein Kanal zwischen Scheiden - und Enddarmbereich eröffnet wurde.
13
(5) Die Urteilsgründe geben keinen begründeten Anlass zu der Besorgnis , das Landgericht habe zu hohe Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Die Beweiswürdigung lässt vielmehr insgesamt deutlich erkennen, dass die Strafkammer sich des Maßes der für eine Verurteilung notwendigen richterlichen Überzeugung bewusst war. Dies gilt vor dem Hintergrund des rechtsfehlerfrei begründeten Alibis des Angeklagten auch mit Blick auf die vereinzelte - für sich genommen möglicherweise missverständliche - Formulierung, der Nachweis der DNA-Spuren des Angeklagten an dem Seil zwinge nicht zu dem Schluss, dass er dieses selbst angefasst habe.
14
(6) Die Strafkammer ist dem Sachverständigen Dr. K. folgend rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Tat aufgrund des Verletzungsbildes bei der Getöteten sexuell-sadistisch motiviert war. Sie hat sodann ebenfalls ohne Rechtsfehler ausgeführt, dass sich bei dem Angeklagten keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines sexuellen Sadismus ergeben haben, und dies zu seinen Gunsten in die Beweiswürdigung eingestellt.
15
(7) Mit Blick auf die vom Landgericht für glaubhaft erachtete Aussage der Zeugin B. , der Angeklagte sei nach seiner Rückkehr in die Diskothek nicht verhaltensauffällig gewesen und habe das Fahrzeug auf dem Heimweg sicher geführt, sowie das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme war die Strafkammer nicht gehalten, ausdrücklich zu erörtern, ob der Angeklagte möglicherweise infolge eines Exzesses aufgrund des Konsums von LSD und Alkohol dem Opfer die zahlreichen Verletzungen zugefügt haben könnte. Dem steht im Übrigen nicht entgegen, dass das Landgericht auf dem Alkohol- und LSD-Konsum beruhende Erinnerungslücken des Angeklagten nicht hat ausschließen können.
16
(8) Den Widerspruch in den Angaben des Angeklagten anlässlich seiner polizeilichen Vernehmungen bezüglich seines Aufenthaltsorts, nachdem er mit seinem Fahrzeug von der Diskothek weggefahren war, hat das Landgericht mit dem Zeitablauf von fast 21 Jahren zwischen den beiden Vernehmungen erklärt.
Daneben hat es in seine Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte in seiner ersten, tatzeitnahen Vernehmung leicht überprüfbare Umstände geschildert hatte, und die dortigen Angaben rechtsfehlerfrei zur Grundlage der Feststellungen gemacht.
17
(9) Soweit die Revision meint, die Beweiswürdigung sei unvollständig, weil sich das Landgericht nicht mit der Möglichkeit auseinandergesetzt habe, dass der Angeklagte im Laufe der Nacht unbemerkt das Zimmer der Zeugin B. habe verlassen und sodann die Tat begehen können, zeigt sie keine rechtlich relevante Lücke auf. Für diesen von der Revision als möglich erachteten Geschehensablauf bieten die Urteilsgründe keinen Anhaltspunkt; er war deshalb auch nicht ausdrücklich zu erörtern.
18
(10) Die erforderliche Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise hat das Landgericht nicht nur formelhaft, sondern in ausreichendem Umfang vorgenommen. Das Landgericht hat die wesentlichen Gesichtspunkte erneut aufgeführt und einander gegenübergestellt. Mit Blick auf die jeweils ausführliche Bewertung des Beweiswerts der einzelnen Indizien war insbesondere eine erneute Aufzählung aller für deren Würdigung wesentlichen Umstände nicht erforderlich. Die Annahme, die Strafkammer habe sich "den Blick dadurch verstellt", dass sie davon ausgegangen sei, die Tat habe ein bislang unbekannter Dritter verübt, findet in den Urteilsgründen keine Stütze. Die Tatbegehung durch einen Dritten ist vielmehr das Ergebnis, zu dem das Landgericht aufgrund seiner Überzeugungsbildung gelangt ist.
19
(11) Im Übrigen erschöpft sich das Vorbringen der Revision im Wesentlichen darin, mit - jedenfalls teilweise - urteilsfremdem Vortrag die erhobenen Beweise selbst zu würdigen. Auch hiermit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben.
VRiBGH Becker ist wegen Pfister Hubert Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Schäfer Mayer

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StPO § 141 Abs. 3, MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
1. Ist abzusehen, daß die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren
notwendig sein wird, so ist § 141 Abs. 3 StPO im Lichte des von Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK garantierten Fragerechts dahin auszulegen, daß dem unverteidigten
Beschuldigten vor der zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführten
ermittlungsrichterlichen Vernehmung des zentralen Belastungszeugen ein Verteidiger
zu bestellen ist, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit bei dieser
Vernehmung ausgeschlossen ist.
2. Der Verteidiger muß regelmäßig Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit
dem Beschuldigten zu besprechen.
3. Das Unterlassen der Bestellung des Verteidigers mindert den Beweiswert des
Vernehmungsergebnisses. Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine
Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen
durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.
BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - LG Ravensburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 169/00
vom
25. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul,
Nack,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte ,
und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 16. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sexualdelikten (u.a. Vergewaltigung ) zum Nachteil seiner Tochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer auf den Verstoß gegen das faire Verfahren (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

I.


Zentral für die Überführung des die Tat bestreitenden Angeklagten ist die Aussage der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter. Dieser wurde als Zeuge gehört, nachdem die Geschädigte in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.
Die Revision macht mit einer Verfahrensrüge geltend, die ermittlungsrichterliche Vernehmung leide an einem schwerwiegenden Mangel. Bei der Vernehmung der Geschädigten habe der Ermittlungsrichter den nicht in Freiheit befindlichen und noch nicht verteidigten Angeklagten nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen und zugleich nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO angeordnet, daß eine Benachrichtigung von dem Vernehmungstermin zu unterbleiben habe. Eine Verteidigerbestellung vor der Vernehmung sei nicht erfolgt. Gleichwohl habe das Landgericht die Verurteilung entscheidend auf die Bekundungen der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter gestützt , wobei keine anderen wichtigen Beweismittel vorgelegen hätten. In dieser Vorgehensweise liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK in Verbindung mit § 141 Abs. 3 StPO. Die Revision bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. November 1986 (EuGRZ 1987, 147 – Fall Unterpertinger).
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Anfang November 1997, kurz nach der letzten Tat, flüchtete die Geschädigte zu ihrer Tante, der sie von dem sexuellen Mißbrauch berichtete. Die Tante erstattete am 7. November 1997 Strafanzeige. Gegen den Angeklagten wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Vergewaltigung in 304 Fällen eingeleitet. Noch am selben Tage wurde die Geschädigte polizeilich vernommen. Am 8. November 1997 wurde der Angeklagte vorläufig festgenommen und – nach Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO – polizeilich vernommen. Am 9. November 1997 erließ das Amtsgericht Haftbefehl. Dem Angeklagten wurde eine Vielzahl von Vergehen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und von Verbrechen der sexuellen Nötigung und der Vergewalti-
gung zur Last gelegt. Bei der am selben Tag erfolgten Anhörung durch den Haftrichter wurde der Angeklagte ”darüber belehrt, daß er, bevor er sich entschließe zum Vorwurf Stellung zu nehmen, einen Anwalt seiner Wahl zu Rate ziehen könne". Der Angeklagte äußerte sich dazu nicht. Zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen machte er keine Angaben.
Noch bevor der Angeklagte einen Verteidiger beauftragt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft am 10. November 1997 beim Amtsgericht den Antrag, die Geschädigte richterlich zu vernehmen. Dabei sollte der Angeklagte nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen werden; auch eine Benachrichtigung sollte unterbleiben. Diesem Antrag folgte der Ermittlungsrichter und vernahm die Geschädigte am selben Tag. Die Geschädigte machte nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben, die den Angeklagten belasteten.
Am 17. November beauftragte der Angeklagte einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung, der sich am Folgetag beim Amtsgericht legitimierte und um alsbaldige Akteneinsicht und vorab um die Einsichtnahme in die privilegierten Aktenteile nach § 147 Abs. 3 StPO bat. Mitte Dezember 1997 gab die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger Gelegenheit, das Protokoll der richterlichen Vernehmung der Geschädigten einzusehen. Vollständige Akteneinsicht erhielt der Verteidiger erst Anfang April 1998. Im Rahmen eines Haftbeschwerdeverfahrens wies der Verteidiger am 20. März 1998 darauf hin, daß es unklar sei, ob die Geschädigte in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen würde. Wenn dieser Fall eintreten würde, hätte der Angeklagte keine Möglichkeit zur Befragung der Zeugin gehabt, zumal ihm bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten kein Verteidiger bestellt worden sei.
Am 30. März 1998 wurden die Ehefrau des Angeklagten und die Schwester der Geschädigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Ermittlungsrichter vernommen. Auch von der Anwesenheit bei diesen Vernehmungen wurde der Angeklagte antragsgemäß ausgeschlossen. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft wurde jedoch der Verteidiger des Angeklagten von den Terminen benachrichtigt; er nahm an den Vernehmungen teil.
Vor Beginn der Hauptverhandlung teilten die Geschädigte, ihre Schwester sowie die Ehefrau des Angeklagten dem Gericht mit, sie würden von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Das Landgericht hat deshalb den Ermittlungsrichter als Zeugen gehört, der bekundete, was diese Zeugen des Angeklagten bei ihm ausgesagt hatten. Gegen den v or der Vernehmung des Ermittlungsrichters erhobenen Widerspruch des Verteidigers wurde die Aussage des Ermittlungsrichters verwertet.

II.


1. Nach Artikel 6 Abs. 3 Buchstabe d der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (der im Wortlaut mit Art. 14 Abs. 3 Buchst. e IPbürgR übereinstimmt) hat der Angeklagte das Recht, ”Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen”.
Dieses Fragerecht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert: Urteile vom 24. November 1986 – 1/1985/87/134 – Unterpertinger gegen Österreich = EuGRZ 1987, 147; vom 6. Dezember 1988 – 24/1986/122/171-173 – Barberà gegen Spanien; vom 7. Juli 1989 – 19/1987/142/196 – Bricmont gegen Belgien; vom
20. November 1989 – 10/1988/154/208 – Kostovski gegen Niederlande = StV 1990, 481; vom 27. September 1990 – 25/1989/185/245 – Windisch gegen Österreich = StV 1991, 193; vom 19. Dezember 1990 – 26/1989/186/246 – Delta gegen Frankreich; vom 19. Februar 1991 – 1/1990/192/252 – Isgrò gegen Italien; vom 19. März 1991 – 24/1990/215/277 – Cardot gegen Frankreich = EuGRZ 1992, 437; vom 26. April 1991 – 30/1990/221/283 – Asch gegen Österreich = EuGRZ 1992, 474; vom 28. August 1992 – 39/1991/291/362 – Artner gegen Österreich = EuGRZ 1992, 476; vom 20. September 1993 – 33/1992/378/452 – Saïdi gegen Frankreich; vom 26. März 1996 – 54/1994/501/583 – Doorson gegen Niederlande und vom 7. August 1996 – 48/1995/554/640 – Ferrantelli and Santangelo gegen Italien. Danach gilt:

a) Die Garantie des Fragerechts ist eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens – ”specific aspect of the general concept of fair trial – (Fälle Unterpertinger Nr. 29; Barberà Nr. 67; Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 23; Asch Nr. 25; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Dabei wird das Fragerecht auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Recht der Verteidigung insgesamt verstanden (BGH StV 1996, 471).

b) Die Ausgestaltung des Fragerechts ist primär dem nationalen Recht überlassen (Fälle Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; siehe auch BGHSt 45, 321 und Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 216). Das gesamte Beweisverfahren muß allerdings im Lichte des durch die Konvention garantierten Fragerechts gesehen werden: ”the whole matter of the taking and presentation of evidence must be looked at in the light of paragraphs ... 3 of Article 6 of the convention” (Fall Barberà Nr. 76).
Die Vertragsstaaten müssen daher das Fragerecht entsprechend ausgestalten : ”Paragraph 1 of Article 6 taken together with paragraph 3, also requires the Contracting States to take positive steps, in particular ... to enable him [the accused] to examine or have examined witnesses against him and to obtain the attendance and examination of witnesses on his behalf under the same conditions as witnesses against him" (Fall Barberà Nr. 78).

c) Für die Frage eines Konventionsverstoßes kommt es nach ständiger Rechtsprechung des EGMR darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung fair gewesen ist: ”The Court’s task is to ascertain whether the proceedings considered as a whole, including the way in which evidence was taken, were fair” (Fälle Barberà Nr. 89; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; ebenso Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 216). Insoweit sind maßgebliche Kriterien:
aa) Die Beweisgewinnung muß grundsätzlich in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen: ”The Court infers, as the Commission did, that all the evidence must in principle be produced in the presence of the accused at a public hearing with a view to adversarial argument” (Fälle Barberà Nr. 78; Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Der Angeklagte muß grundsätzlich Zeugen befragen können: ”... the hearing of witnesses must in general be adversarial” (Fall Barberà Nr. 78).
bb) Das bedeutet allerdings nicht, daß die Zeugenaussage stets vor Gericht und öffentlich gemacht werden muß; auch kann aus Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK kein Recht abgleitet werden, bei der Zeugenvernehmung im Vorverfahren anwesend zu sein (Vogler, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention Art. 6 Rdn. 551). Die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren gemacht wurden, ist als solche nicht konventionswidrig (Fälle Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Asch Nr. 27; siehe dazu auch Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar 2. Aufl. Art. 6 Rdn. 200). Das polizeiliche Vernehmungsprotokoll darf als Surrogat verlesen werden (Fälle Unterpertinger Nr. 31; Asch Nr. 25), und auch die Vernehmungspersonen dürfen als Zeugen vom Hörensagen vernommen werden (Fälle Kostovski Nr. 42; Asch Nr. 25).
Bei bestimmten Konstellationen darf auf eine Konfrontation des Zeugen mit dem Angeklagten verzichtet werden, etwa aus Gründen des Zeugenschutzes (Fälle Unterpertinger Nr. 30; Doorson Nr. 70), oder wenn zu befürchten ist, daß der Zeuge in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen werde (Vogler aaO Rdn. 552). Eine Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen ist daher nicht in jedem Fall zwingend geboten, um die Aussage verwertbar zu machen (Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 225; vgl. auch Fälle Bricmont Nrn. 79, 86; Ferrantelli u.a. Nr. 52).
cc) Allerdings muß die Justiz eine solche Einschränkung des Fragerechts durch andere Maßnahmen kompensieren: ” ... principles of fair trial also require that in appropriate cases the interests of the defence are balanced against those of witnesses or victims called upon to testify.... Nevertheless, no violation of Article 6 para. 1 taken together with Article 6 para. 3 (d) of the Convention can be found if it is established that the handicaps under which the defence laboured were sufficiently counterbalanced by the procedures followed
by the judicial authorities" (Fall Doorson Nrn. 70, 72; vgl. auch Fall Kostovski Nr. 43).
Dem Angeklagten muß regelmäßig – entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium – eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen entweder selbst zu befragen oder befragen zu lassen: ”As a rule, these rights require that an accused should be given an adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against him, either at the time the witness was making his statement or at some later stage of the proceedings” (Fall Kostovski Nr. 41; siehe auch die Fälle Unterpertinger Nr. 31; Barberà Nr. 86; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Gollwitzer (aaO Art. 6 MRK Rdn. 227) interpretiert dies zutreffend dahin, daß dem auch nachträglich, etwa durch eine nochmalige Vernehmung des Zeugen, Rechnung getragen werden kann. Dabei reicht es nicht aus, nur die Vernehmungsperson befragen zu können, denn Zeuge im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK ist die originäre Auskunftsperson (Fälle Kostovski Nr. 40; Asch Nr. 25; ebenso BGH StV 1996, 471; BGH NStZ 1993, 292; Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 214, 223).
Unter Umständen kann die Einschränkung des Fragerechts seitens des Angeklagten dadurch kompensiert werden, daß wenigstens der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend ist und den Zeugen befragen kann (Fall Doorson Nrn. 68, 73: anonymer Zeuge; Vogler aaO Art. 6 Rdn. 552).
dd) Für die Frage eines Konventionsverstoßes ist es auch bedeutsam, ob der Angeklagte auf die Befragung des Zeugen rechtzeitig beantragt hat (vgl.
einerseits die Fälle Windisch Nr. 37; Delta Nr. 37: ausdrücklicher Antrag und andererseits die Fälle Cardot Nr. 35; Asch Nr. 29: keinen Antrag gestellt; siehe auch Vogler aaO Art. 6 Rdn. 551), und ob die Ablehnung der Befragung begründet wurde (Fall Bricmont Nr. 89).

d) Eine ähnliche Fallgestaltung wie die vorliegende – Rückgriff auf frühere Bekundungen eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht – liegt den österreichischen Fällen Unterpertinger und Asch zugrunde.
aa) Alois Unterpertinger wurde vom Landesgericht Innsbruck wegen zwei Fällen der Körperverletzung verurteilt. Im ersten Fall hatte er seiner Stieftochter im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten (seine Frau hatte ihn einen ”Zuchthäusler” genannt) eine Kratzwunde am Auge zugefügt. Im zweiten Fall hatte er seiner Ehefrau einen Fußtritt gegen die Hand versetzt und ihr dabei den Daumen gebrochen. Zu dem ersten Vorfall vernahm das Gendarmeriepostenkommando Wörgl die Ehefrau als Verdächtige und die Stieftochter als Beteiligte. Wegen des zweiten Vorfalls erstattete die Ehefrau Anzeige beim Gendarmeriepostenkommando Wörgl. Das Bezirksgericht in Kufstein leitete Vorerhebungen wegen der beiden Vorfälle ein. Die Ehefrau wurde vor dem Untersuchungsrichter als Zeugin vernommen und bestätigte – nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht – ihre bisherigen Angaben.
In der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck machten die Ehefrau und die Stieftochter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Aufgrund der Zeugnisverweigerung durfte nach § 252 Abs. 1 der Österreichi-
schen Strafprozeßordnung das Protokoll über die Vernehmung der Ehefrau vor dem Untersuchungsrichter nicht verlesen werden. Nach Österreichischem Recht (OGH ÖJZ 1975, 304) mußten jedoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft Schriftstücke anderer Art (§ 252 Abs. 2 StPO), insbesondere die Aussagen der Zeuginnen vor der Gendarmerie, zu Beweiszwecken verlesen werden. Das Oberlandesgericht Innsbruck verwarf die Berufung des Angeklagten. Bei der Wiederholung und Ergänzung der Beweisaufnahme konnte die als Entlastungszeugin gehörte Schwägerin des Angeklagten nichts relevantes bekunden ; weitere Zeugen wurden nicht gehört, da sie nur zu unwesentlichen Nebenumständen benannt worden waren.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise kein faires Verfahren und entschied , daß durch diese Vorgehensweise Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt worden seien. Durch die Zeugnisverweigerung vor Gericht hätten die Zeuginnen den Angeklagten daran gehindert, ihnen Fragen zu den vor der Gendarmerie gemachten Bekundungen zu stellen oder stellen zu lassen. Zwar habe er Erklärungen dazu abgeben können, aber das Berufungsgericht sei seinen Beweisanträgen zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen nicht nachgegangen. Auch wenn die Bekundungen der Zeuginnen nicht die einzigen Beweismittel gewesen seien, so habe das Berufungsgericht doch sein Urteil entscheidend auf deren Angaben gestützt. In bezug auf diese Aussagen seien seine Verteidigungsrechte verletzt worden, weil er in keinem Stadium des vorausgegangenen Verfahrens die Möglichkeit gehabt habe, Fragen an die Belastungszeuginnen zu stellen.
bb) Johann Asch wurde vom Kreisgericht St. Pölten wegen Nötigung und Körperverletzung verurteilt. Er hatte seine Lebensgefährtin mit einem Gürtel
geschlagen. Am nächsten Tag schickte der Arzt die Geschädigte in ein Krankenhaus ; die Ä rzte attestierten ihre Verletzungen. Danach zeigte die Lebensgefährtin den Angeklagten bei der Gendarmerie Brand-Laaben an. Über ihre Bekundungen wurde ein Protokoll aufgenommen. Wenige Tage später erschien die Lebensgefährtin bei der Gendarmerie und wollte ihre Anzeige zurückziehen. Am selben Tag wurde der Angeklagte bei der Gendarmerie angehört.
In der Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht machte die Lebensgefährtin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Kreisgericht hörte daraufhin den Vernehmungsbeamten der Gendarmerie, der über die ihm gegenüber gemachten Angaben der Lebensgefährtin und von den ihm dabei gezeigten Verletzungen berichtete. Auch verlas es das Vernehmungsprotokoll. Das Kreisgericht stützte sich bei seiner Überzeugung unter anderem auf die Angaben des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste. Das Oberlandesgericht Wien verwarf die Berufung des Angeklagten. Es hielt die Angaben der Lebensgefährtin vor der Gendarmerie nach § 252 StPO für verwertbar. Den Antrag des Angeklagten auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens lehnte das Oberlandesgericht ab.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise keine Verletzung des fairen Verfahrens. Es wäre sicherlich vorzuziehen gewesen, wenn die persönliche Anhörung der Zeugin möglich gewesen wäre. Aber das Recht, auf das sie sich zur Zeugnisverweigerung berief, könne nicht dazu dienen, die Strafverfolgung lahmzulegen. Wenn nur die Rechte der Verteidigung beachtet würden, habe das nationale Gericht die Aussage der Zeugin verwerten können, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Aussage durch weitere Beweismittel, namentlich die
ärztlichen Atteste, gestützt wurde. Zudem habe der Angeklagte sowohl bei der Gendarmerie als auch vor Gericht Gelegenheit gehabt, zu den Angaben der Zeugin Stellung zu nehmen; dabei habe er widersprüchliche Angaben gemacht , die seine eigene Glaubwürdigkeit erschütterten. Außerdem habe der Angeklagte weder den Vernehmungsbeamten befragt, noch andere Zeugen benannt. Ein medizinisches Sachverständigengutachten habe er erst in der Berufungsinstanz beantragt, zu einem Zeitpunkt, als Verletzungsspuren nicht mehr feststellbar waren. Vor allem aber sei klar, daß die Angaben der Zeugin vor der Gendarmerie nicht das einzige Beweismittel gewesen seien, auf das sich das Kreisgericht gestützt habe. Das Gericht habe neben anderen Beweismitteln auch den persönlichen Eindruck des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste berücksichtigt. Insofern unterscheide sich der vorliegende Fall von den Fällen Unterpertinger und Delta.
2. Diese Auslegung der MRK durch den EGMR ist bei der Anwendung des deutschen Strafprozeßrechts zu berücksichtigen. Der Senat hat dazu im Urteil vom 18. November 1999 (Tatprovokation, Umsetzung der Entscheidung Teixeira = NJW 2000, 1123, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 321) ausgeführt:
”Es entspricht den Grundregeln des Verfahrens vor dem EGMR, daß sich seine Entscheidung darauf beschränkt zu erklären, daß das Gerichtsurteil einer Vertragspartei der MRK in Widerspruch mit den Verpflichtungen aus dieser Konvention steht. Gestatten die innerstaatlichen Gesetze der Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen der Entscheidung , so hat der EGMR nach Art. 50 MRK (aufgrund der am 1. November 1998 in Kraft getretenen Ä nderung der Konvention durch das Protokoll Nr. 11 [BGBl.
II 1995 S. 578] nunmehr Art. 41 MRK) der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zuzubilligen. Dem EGMR obliegt es somit nicht, nationale Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln aufzustellen. Der Gerichtshof betont dementsprechend, die Zulässigkeit von Beweismitteln werde in erster Linie durch die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts geregelt und es sei grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, die von ihnen zusammengetragenen Beweise zu würdigen. Die Aufgabe des Gerichtshofs bestehe darin festzustellen , ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Darstellung der Beweismittel fair gewesen sei.
Die MRK, die nach Art. II des Zustimmungsgesetzes vom 7. August 1952 Bestandteil des deutschen Rechts geworden ist und dabei im Rang eines (einfachen ) Bundesgesetzes steht (BVerfGE 74, 358, 370), ist als Auslegungshilfe bei der Anwendung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei den in einem Strafverfahren angewendeten Gesetzen stets zu prüfen, ob die Anwendung und Auslegung im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland steht, 'denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will’ (BVerfGE aaO; vgl. Ulsamer, FS Zeidler [1987] 1799, 1800).”

III.


Die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts – hier § 141 Abs. 3 StPO – führt dazu, daß in Fällen der vorliegenden Art dem
Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des wichtigen Belastungszeugen ein Verteidiger bestellt werden muß.
1. Das Gesetz schreibt, wie § 141 Abs. 3 Satz 1 StPO zeigt, auch in Fällen, in denen später im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, für das Vorverfahren nicht ausnahmslos die Bestellung eines Verteidigers vor. Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ”beantragt” die Staatsanwaltschaft jedoch schon während des Vorverfahrens die Bestellung eines Verteidigers, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.

a) In der traditionellen Sprache des Gesetzes (vgl. auch § 201 Abs. 1 StPO: ”Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit” und § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO) bedeutet dies, daß die Staatsanwaltschaft den Antrag stellen muß, sobald die Mitwirkung des Verteidigers notwendig sein wird (ähnlich Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 5; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 141 Rdn. 2). ”Notwendig sein wird” heißt, daß die Pflicht zur Antragstellung schon dann entsteht, wenn abzusehen ist, daß die Mitwirkung notwendig werden wird (Laufhütte in KK 4. Aufl. § 141 Rdn. 3). Das zeigt auch die Entstehungsgeschichte des § 141 Abs. 3 StPO zur Verteidigerbestellung im Vorverfahren. Das StPÄ G 1964 fügte an den damals bestehenden Satz, daß der Verteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden kann (heutiger Satz 1 des Abs. 3), die Sätze an: ”Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169a Abs. 1) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag stellen, falls die
Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommt und nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung nach § 140 Abs. 1 notwendig sein wird.” Seine heutige Fassung erhielt § 141 Abs. 3 StPO durch das 1. StVRG vom 9. Dezember 1974. Die Erweiterung der Verteidigerbestellung und die immer strengeren Formulierungen der Anweisung an die Staatsanwaltschaft (von einer Kann- zu einer Soll-Bestimmung und schließlich zu den Worten ”beantragt dies”) machen deutlich, daß der Gesetzgeber die Mitwirkung des Verteidigers im Vorverfahren stärker ausbauen wollte und deshalb eine Antragspflicht gesetzlich vorgeschrieben hat. Zwar bestimmt § 117 Abs. 4 Satz 1 StPO, daß dem unverteidigten Beschuldigten ein Verteidiger für die Dauer der Untersuchungshaft bestellt wird, wenn deren Vollzug mindestens drei Monate gedauert hat und die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter es beantragt. Daraus kann indes nicht der Schluß gezogen werden, daß die Staatsanwaltschaft mit der Antragstellung stets drei Monate zuwarten darf. Diese Regelung stellt angesichts der Gesetzesentwicklung zu § 141 Abs. 3 StPO nur eine Mindestgarantie dar (vgl. Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11. Januar 1994 zur Pflichtverteidigung nach einem Monat U-Haft, abgedruckt in StV 1994, 223).

b) Ob es bei prognostizierter notwendiger Verteidigung überhaupt Fälle geben kann, in denen davon abgesehen werden darf, dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, kann hier dahinstehen.
aa) Jedenfalls dann, wenn die ermittlungsrichterliche Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen ansteht, bei der der Beschuldigte kein Anwesen-
heitsrecht hat, wird in der Regel geboten sein zu prüfen, ob dem nicht verteidigten Beschuldigten zuvor ein Verteidiger nach § 141 Abs. 3 StPO zu bestellen ist, der die Rechte des Beschuldigten bei der Vernehmung wahrnimmt (Wache in KK 4. Aufl. § 168c Rdn. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 168c Rdn. 4; vgl. auch Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 168c Rdn. 9). Diese Prüfung obliegt nach § 141 Abs. 3 StPO in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Dies entbindet den Ermittlungsrichter indes nicht von der Verantwortung, für ein konventionsgerechtes Verfahren mit Sorge zu tragen.
bb) Wird darüber hinaus der zentrale zeugnisverweigerungsberechtigte Belastungszeuge unter Ausschluß des Beschuldigten aus Gründen der Beweissicherung ermittlungsrichterlich vernommen, so reduziert sich das Ermessen bei der Frage der Bestellung eines Verteidigers auf Null. Anderes mag dann gelten, wenn die durch die Zuziehung eines Verteidigers bedingte zeitliche Verzögerung den Untersuchungserfolg gefährden würde. Nur diese Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO ist mit der Vorgabe der MRK vereinbar. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantierte Fragerecht auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht gewährleistet werden kann.
2. Hier durfte der Angeklagte zwar von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ausgeschlossen werden und auch seine Benachrichtigung konnte unterbleiben (§ 168c StPO). Sowohl der Ermittlungsrichter als auch das erkennende Gericht haben die Gefährdung des Untersuchungserfolgs geprüft und bejaht. Die revisionsgerichtliche Prüfung (vgl. dazu BGHSt 29, 1) läßt Rechtsfehler nicht erkennen, insbesondere liegt
keine Überschreitung der dem tatrichterlichen Ermessen gesetzten Schranken vor. Daß so verfahren werden kann, entspricht auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 MRK (siehe oben). Ein Verteidiger konnte nicht benachrichtigt werden, denn der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigt.
3. Dieses gesetzlich zulässige ”handicap” bei der Einschränkung des Fragerechts hätte die Justiz dann aber durch die Bestellung eines Verteidigers für den unverteidigten Angeklagten ausgleichen müssen.
Bei der im Hinblick auf das faire Verfahren vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist auch das Vorverfahren – und damit das Handeln der Staatsanwaltschaft – in den Blick zu nehmen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK: ”dem Staat zuzurechnenden Verfahrensgestaltung”). In Fällen der vorliegenden Art muß die Justiz von sich aus aktiv werden mit dem Ziel, daß die Verteidigung (zum Begriff siehe BGH StV 1996, 471) Gelegenheit hat, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (”requires the Contracting States to take positive steps”: EGMR Fall Barberà Nr. 78).
Das Fragerecht wäre gewährleistet gewesen, wenn ein Verteidiger bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung anwesend gewesen wäre. Da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt keinen Verteidiger hatte, wäre die Staatsanwaltschaft verpflichtet gewesen, vor der Vernehmung der Zeugin die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO).
Hier war im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung bereits abzusehen, daß im gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO vorliegen würden. Dem Angeklagten wurden bei der Einleitung des Ermitt-
lungsverfahrens zahlreiche Sexualverbrechen (§ 140 Abs. 1 Nr. 2) zur Last gelegt. Die polizeiliche Vernehmung der Geschädigten hatte einen hohen Beweiswert. Zu Recht hat deshalb der Haftrichter einen dringenden Tatverdacht bejaht. Damit war aber auch schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen, daß in dem hochwahrscheinlich zu erwartenden gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vorliegen würden.
Eine Verletzung des Fragerechts war hier zu besorgen, nachdem der Angeklagte – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – nicht benachrichtigt und von der Anwesenheit ausgeschlossen wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte den Antrag gestellt, die Zeugin ”möglichst bald” richterlich zu vernehmen, da befürchtet werden müsse, der Angeklagte werde ”alles unternehmen, möglicherweise auch durch Dritte, um seine Tochter von der Aussage abzuhalten”. Das weist aus, daß die ermittlungsrichterliche Vernehmung insbesondere dem legitimen (vgl. Nr. 10, 19a, 221, 222 RiStBV) Zweck der Beweissicherung – Rückgriff auf den Vernehmungsrichter – für den Fall einer späteren Zeugnisverweigerung dienen sollte. Wenn aber dieser auch von der Staatsanwaltschaft für naheliegend gehaltene Fall eintreten würde, dann war abzusehen, daß das Fragerecht nicht zu gewährleisten war.
4. Die im Hinblick auf die Garantie des Fragerechts Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK vorzunehmende Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO führt daher dazu, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet war, die Bestellung eines Verteidigers nach dieser Vorschrift (also nicht nur für die einzelne Ermittlungshandlung ) noch vor der Zeugenvernehmung zu beantragen. Hier sind keine Umstände erkennbar, die es gerechtfertigt hätten, daß auch die Benachrichtigung des bestellten Verteidigers unterbleiben konnte (die Entscheidung BGHSt 29, 1
betrifft einen anderen Fall: ein bereits tätiger Verteidiger wurde aus Gründen, die in seiner Person lagen, nicht benachrichtigt).

a) Angemessen und geeignet ist dieser Ausgleich grundsätzlich aber nur, wenn der Verteidiger zu einer sachgerechten Mitwirkung an der Vernehmung auch in der Lage war.
In Fällen der vorliegenden Art läßt sich die Zuverlässigkeit der Belastungsaussage des einzigen Tatzeugen in der Regel nur dann beurteilen – insbesondere kann nur so die Hypothese einer bewußten Falschbeschuldigung ausgeschlossen werden –, wenn der Inhalt der Aussage einer Analyse unterzogen werden kann (sog. Aussageanalyse, grundlegend dazu BGHSt 45, 164). Zentral dafür ist die Detailliertheit der Aussage. Eine Aussage kann mittels der Aussageanalyse nur dann als glaubhaft beurteilt werden, wenn sie signifikante Realitätskriterien aufweist. In bezug auf das Fragerecht muß dabei den Detailkriterien besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, namentlich den Realkennzeichen , die eine Verflechtung mit objektivierbaren zeitlichen und örtlichen Umständen belegen.
Deshalb muß der Verteidiger – soll das Fragerecht nicht beeinträchtigt sein – regelmäßíg Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen, weil er nur so in der Lage ist, sachkundige Fragen, insbesondere Kontrollfragen, wie Situationsfragen (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl. Band II Rdn. 610) zu stellen. Solche Fragen – nicht notwendig zum engen Kern des Tatvorwurfs –, mit denen insbesondere die zeitliche und räumliche Verflechtung der Aussagedetails überprüft
wird, können regelmäßig nur mit einem entsprechenden Hintergrundwissen gestellt werden.

b) Auch wenn der Verteidiger die Möglichkeit der Rücksprache mit dem Beschuldigten hatte, können ergänzende Fragen an den Zeugen erforderlich sein, deren Notwendigkeit sich erst ergibt, nachdem der Beschuldigte vom Inhalt der Zeugenaussage Kenntnis erlangt hat. Hier kann eine durch die Abwesenheit des Beschuldigten bedingte Beeinträchtigung des Fragerechts dadurch ausgeglichen werden, daß die Verteidigung Gelegenheit erhält, auch nachträglich Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 227). Die nachträgliche Befragung kann auch durch Vorlage eines schriftlichen Fragenkatalogs erfolgen, zumal auf diese Weise weitgehend ausgeschlossen werden kann, daß der Untersuchungszweck gefährdet wird. Da in Fällen der vorliegenden Art der Zeuge nicht anonym ist, kommen die Bedenken des EGMR (vgl. die Fälle Kostovski Nr. 42; Windisch Nr. 28 einerseits und den Fall Isgrò Nr. 35 andererseits) zur schriftlichen Befragung des anonymen Zeugen nicht zum Tragen.

c) Der Senat hat hier nicht über den – möglicherweise anders zu beurteilenden – Fall zu entscheiden, daß durch ein Zusammenwirken des Verteidigers mit dem Beschuldigten (vgl. BGHSt 29, 1) oder auch nur allein als Folge der Konsultation der Untersuchungszweck gefährdet sein könnte. Hier könnte allerdings wenigstens eine nachträgliche (schriftliche) Befragung angezeigt sein.

d) In künftigen Fällen kann auch eine Vernehmung mittels Videokonferenz nach § 168e StPO eine angemessene und geeignete, und oft sogar die beste Möglichkeit sein, um das Fragerecht zu gewährleisten.

IV.


Das Unterlassen der rechtzeitigen Bestellung eines Verteidigers hat das Fragerecht der Verteidigung bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung beeinträchtigt. Dieses Versäumnis mindert den Beweiswert des Vernehmungsergebnisses , das durch den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter zur Grundlage der Urteilsfindung wurde. Damit wirkte der im Vorverfahren begangene Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung fort; das unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung (§ 337 StPO; vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 1 Unzulässigkeit

1).


1. Der Senat hält eine Beweiswürdigungs-Lösung für sachgerechter als ein Verwertungsverbot für den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter. Bei der Beweiswürdigungs-Lösung darf zwar auf den Vernehmungsrichter zurückgegriffen werden, allerdings sind dann – ähnlich wie beim anonymen Zeugen (grundlegend BGHSt 17, 382; vgl. zuletzt BGH NStZ 1998, 97; StV 1999, 7; NStZ 2000, 265; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 27; siehe auch BVerfG – Kammer – NJW 1997, 999 sowie BGHSt 45, 321: konventionswidrige Tatprovokation) – besonders strenge Beweis- und Begründungsanforderungen aufzustellen.

a) Auch das grundsätzlich bestehende Verwertungsverbot des § 252 StPO (vgl. BGH NJW 2000, 596, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt
45, 203 und BGH NJW 2000, 1247, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 342) gilt nicht uneingeschränkt.
Zwar kann der Rückgriff auf den Vernehmungsrichter ausgeschlossen sein, wenn gegen die Benachrichtigungspflicht der §§ 168c, 224 StPO verstoßen wurde (BGHSt 9, 24; 29, 1; 26, 332; 29, 131, 140; 42, 86; 42, 391; BGH NStZ 1987, 132; 1989, 282).
In seiner neueren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bei pflichtwidrig versagten Beteiligungsrechten aber mehr auf die Beeinträchtigung des Beweiswerts abgestellt und deshalb eine Lösung auf der Ebene der Beweiswürdigung bevorzugt, indem das richterliche in ein nichtrichterliches Vernehmungsprotokoll nach § 252 Abs. 2 Satz 2 StPO mit geringerem Beweiswert ”herabgestuft” wird (BGHSt 34, 231, 234, 235; BGH StV 1992, 232; BGH NStZ 1998, 312).
Auch hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 29, 1; 42, 391) bei einem berechtigten Ausschluß von der Anwesenheit oder einer berechtigten Nichtbenachrichtigung kein Verwertungsverbot aufgrund fehlender Beteiligungsrechte angenommen.

b) Für die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts ist eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens vorzunehmen. Dazu gehört, daß das gesamte Beweisverfahren im Lichte des Fragerechts gesehen werden muß (vgl. Fall Barberà Nr. 76). Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es dabei zudem auch auf die Art und Weise der Beweiserhebung an. Unter diesem Gesichtspunkt stellt der EGMR zwar in erster Linie auf das Beweisverfah-
ren und weniger auf die Beweiswürdigung selbst ab. Jedoch findet im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch die Beweiswürdigung Berücksichtigung, wie gerade die Differenzierung des EGMR in den Fällen Unterpertinger und Asch zeigt. Da die Gesamtbetrachtung vom jeweiligen Einzelfall abhängt, liegt es nahe, eine dem konkreten Fall gerecht werdende Lösung zu finden. Das ist mit der Beweiswürdigungs-Lösung am besten zu erreichen; sie hält der Senat deshalb für vorzugswürdig.
Bei der Beweiswürdigungs-Lösung ist zwar zu bedenken, daß auf ein Vernehmungsergebnis zurückgegriffen wird, an dessen Zustandekommen die Verteidigung unter Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs nicht mitwirken konnte. Aber insofern ist die Verteidigung in einer ähnlichen Lage wie bei dem ”im Dunkel bleibenden” (BGHSt 17, 382, 386) anonymen Zeugen. Dort ist die Beeinträchtigung des Fragerechts häufig sogar noch stärker, weil nicht einmal die Person des Zeugen bekannt ist und weil auf bestimmte Fragen oft keine Antwort gegeben wird. Wenn daher die Beweiswürdigungs-Lösung beim anonymen Zeugen ein konventionsgemäßer Ausgleich ist, muß dies auch für die vorliegende Fallgestaltung gelten.
Auf die Vergleichbarkeit der Problematik des Fragerechts hat der Bundesgerichtshof bereits in BGHSt 17, 382, 385 f. hingewiesen: ”Einem anonymen Gewährsmann gegenüber versagen jedoch nicht nur die Rechte aus den §§ 240, 257 StPO – insoweit ist die Lage nicht wesentlich anders, als wenn der Wissensträger zwar bekannt ist, in der Hauptverhandlung aber nicht vernommen werden kann –...”.
Die Verneinung eines Verwertungsverbots erweist sich auch systemkonform mit der Strafzumessungs-Lösung bei einem Konventionsverstoß aufgrund einer unzulässigen Tatprovokation (BGHSt 45, 321).
2. Daß das Vernehmungsergebnis infolge unterbliebener Verteidigerbestellung fehlerhaft zustande gekommen ist, muß daher bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung besondere Beachtung finden. Diese muß vor allem zwei Anforderungen genügen:

a) Zunächst ist zu beachten, daß der originäre Zeuge in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht. Dazu gilt, was der Bundesgerichtshof schon 1962 (BGHSt 17, 382, 385) ausgeführt hat: ”Bei einem Zeugen vom Hörensagen besteht zunächst ganz allgemein eine erhöhte Gefahr der Entstellung oder Unvollständigkeit in der Wiedergabe von Tatsachen, die ihm von demjenigen vermittelt worden sind, auf den sein Wissen zurückgeht. Je größer die Zahl der Zwischenglieder, desto geringer ist der Beweiswert der Aussage. Schon dieser Gesichtspunkt mahnt zur Vorsicht”.
Hier ist zwar der unmittelbar gehörte Zeuge ein Ermittlungsrichter, dessen Vernehmungsergebnis grundsätzlich, auch wegen der in § 168c Abs. 2 bestimmten Beteiligungsrechte, eine gewichtige Beweiskraft zukommt (vgl. BGHSt 45, 342; BGH NStZ 1998, 312). Die Verteidigung hatte aber keine Möglichkeit zur Befragung des originären Zeugen. Insofern muß der Tatrichter zusätzlich beachten, daß die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit dem Instrumentarium der Aussageanalyse begrenzt ist, weil die Aussage durch das Fehlen eines kontradiktorischen Verhörs (§ 69 Abs. 2 StPO) nur beschränkt aufgeklärt und vervollständigt werden kann.

b) Deshalb gilt auch hier wie beim gesperrten Zeugen (BGHSt 17, 382, 386): Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.

c) Daß eine – sorgfältigste (BGHSt 17, 382, 386) – Überprüfung der von dem Vernehmungsrichter wiedergegebenen Aussage nach diesen Maßstäben erfolgt ist, muß der Tatrichter in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen.
3. Diesen – bislang allerdings vom Bundesgerichtshof noch nicht aufgestellten besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen – genügt das angefochtene Urteil nicht. Insbesondere liegen keine anderen wichtigen Gesichtspunkte außerhalb der Aussage vor, die das eigentliche Tatgeschehen bestätigen.
Das Landgericht hat eine Beweiswürdigung vorgenommen, die ersichtlich davon ausging – und insoweit auch rechtsfehlerfrei ist –, den Beweiswürdigungs - und Begründungsanforderungen bei Fällen von ”Aussage gegen Aussage” zu genügen. Es hat seine Überzeugung ganz entscheidend auf die Angaben der Geschädigten beim Ermittlungsrichter gestützt. Dabei hat es auch eine fachkundige Analyse des Inhalts der dort getätigten Aussage vorgenommen und insbesondere auf Detailkriterien abgestellt.
Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen, daß gerade das Gewicht der ”Einbettung in den Gesamtlebenssachverhalt” und der Schilderung ”von Details und Begleiterscheinungen” durch das Fehlen eines kontradiktori-
schen Verhörs beschränkt war. Daß weitere Beweismittel die ”Kammer in ihrer Überzeugungsbildung stützen und diese abrunden”, reicht im Hinblick auf das fehlerhaft zustande gekommene ermittlungsrichterliche Vernehmungsergebnis nicht aus, um der vom Senat daraus abgeleiteten Anforderung zu genügen, daß die Aussage durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt wird. Die anderen Zeugen waren keine Augenzeugen des sexuellen Kerngeschehens und teilweise Zeugen vom Hörensagen. Auch objektive Beweismittel von Gewicht, mit denen die von der Geschädigten bekundeten sexuellen Handlungen bestätigt worden wären, standen nicht zur Verfügung.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Der Senat hat nicht selbst auf Freispruch erkannt (§ 354 Abs. 1 StPO), denn er kann nicht ausschließen, daß bei einer Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung noch Tatsachen festgestellt werden könnten, die für eine Verurteilung tragfähig wären.
Schäfer Maul Nack Boetticher Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 461/08
vom
9. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Juni 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Januar 2008, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass im Fall II. 3 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen unerlaubten Führens einer Schusswaffe und erlaubten Munitionsbesitzes entfällt,
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub und unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und unerlaubtem Munitionsbesitz (Fall II. 3 der Urteilsgründe), wegen schweren Raubes, Verabredung zu einem schweren Raub in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und mit unerlaubtem Munitionsbesitz, wegen Missbrauchs von Ausweispapieren sowie wegen Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 95 Abs. 2 Nr. 1 a) und b) Aufenthaltsgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Ferner hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
1. Im Fall II. 3 der Urteilsgründe beruht die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen unerlaubten Führens einer Schusswaffe und unerlaubten Munitionsbesitzes, worauf das Landgericht hingewiesen hat (UA 80), auf einem Versehen und muss daher entfallen. Die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe kann jedoch bestehen bleiben, weil das Landgericht bei der Strafzumessung die versehentlich in die Urteilsformel aufgenommenen Verstöße gegen das Waffengesetz ausdrücklich (UA 88/89) nicht berücksichtigt hat.
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Anordnung auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt. Die bisherigen Feststellungen zu den Vorverurteilungen belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte, wie nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB erforderlich, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt
worden ist. Zwar sind die Gesamtfreiheitsstrafen aus den Verurteilungen durch das Landgericht Frankfurt/Oder vom 16. September 1999 und durch das Landgericht Berlin vom 4. Dezember 2000 jeweils aus mehreren Einzelfreiheitsstrafen von mehr als einem Jahr gebildet worden. Diese Einzelstrafen gelten aber gemäß § 66 Abs. 4 StGB als eine einzige Verurteilung, weil die Einzelstrafen aus dem Urteil vom 16. September 1999 in die im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB durch das Urteil vom 4. Dezember 2000 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen worden sind (vgl. BGH StV 1982, 420; BGH NStZ-RR 2004, 9, 10). Soweit der Angeklagte vom Landgericht Berlin am 17. Dezember 1991 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, kann der Senat nicht überprüfen, ob die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB eingreift. Hierzu hätte es der Mitteilung der Einzelstrafen und der Tatzeiten beider Taten bedurft. Zwar
liegt beim Angeklagten auch die Anwendung der Absätze 2 und 3 des § 66 StGB nicht fern. Das Revisionsgericht kann aber die dem Tatrichter insoweit obliegende Ermessensentscheidung nicht selbst treffen (Senat, Beschluss vom 4. September 2008 – 4 StR 378/08). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 157/10
vom
15. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
alias:
wegen zu 1.: Mordes
zu 2.: Beihilfe zum Mord
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 15. Juni 2010 einstimmig beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kleve vom 29. Dezember 2009 werden als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349
Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Senat zu der vom Angeklagten H. erhobenen Verfahrensrüge einer
Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung (Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK):
Wer als Belastungszeuge im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK
anzusehen ist, ist in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten eigenständig bestimmt. Die Vorschrift erfasst auch
die Aussagen eines Mitangeklagten im Ermittlungsverfahren, der - wie
hier der Mitangeklagte S. - in der Hauptverhandlung von seinem
Schweigerecht Gebrauch gemacht hat (BGHR MRK Art. 6 Abs. 3
Buchst. d Fragerecht 3; EGMR NStZ 2007, 103, 104). Dass der Angeklagte
H. den Mitangeklagten S. , dessen Aussagen im
Ermittlungsverfahren die wesentliche Grundlage für seine Verurteilung
waren, zu keinem Zeitpunkt befragen oder befragen lassen konnte,
führt jedoch hier nicht zu einem Konventionsverstoß, weil seine Verteidigungsrechte
insgesamt angemessen gewahrt wurden und das Verfahren
in seiner Gesamtheit fair war. Das Tatgericht hat besonders
sorgfältig und kritisch die Angaben des Mitangeklagten S.
auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft und ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen
, dass dessen Bekundungen durch andere wichtige Indizien
außerhalb der Aussage selbst bestätigt wurden (BGHR MRK Art. 6
Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5). Dazu gehören der am Tatort aufgefundene
Knopf von der Jacke des Angeklagten H. mit Anhaftungen
vom Blut des Tatopfers, die Erkenntnisse aus dem Einsatz von Spürhunden
und aus Telekommunikationsverbindungsdaten sowie die
Übereinstimmung einer an der linken Hand des Tatopfers vorgefundenen
männlichen genetischen Spur mit den DYS-Merkmalen des Angeklagten.
Becker Pfister von Lienen
RiBGH Hubert befindet sich
im Urlaub und ist daher Schäfer
gehindert zu unterschreiben.
Becker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 3 8 / 1 3
vom
16. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16. April 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22. Juli 2013 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
5. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur „Beitragsvorenthaltung“ in 187 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verur- teilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
2
Die auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch erfolglos, hat aber zum Strafausspruch Erfolg. Die auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie bleibt erfolglos.

I.

3
Der Verurteilung liegt im Kern Folgendes zugrunde:
4
Der gesondert verfolgte Be. hat als Geschäftsführer einer GmbH (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 187 Fällen Sozialversicherungsbeiträge für Fahrer, die als Arbeitnehmer bei der GmbH beschäftigt waren, nicht bzw. nicht vollständig abgeführt. Hierdurch wurden den Sozialversicherungsträgern im Zeitraum Januar 2003 bis August 2006 Sozialversicherungsbeiträge in einem Umfang von 238.578,34 Euro vorenthalten. Der Angeklagte hat Be. hierbei in Kenntnis aller Umstände unterstützt. Im Jahr 2013 wurden durch eine von Be. vertretene GmbH 41.000 Euro auf die Beitragsrückstände gezahlt.
5
1. Im Einzelnen ist zu den (Haupt-)Taten Be. s Folgendes festgestellt:
6
Be. war im Tatzeitraum Geschäftsführer der W. Transportgesellschaft mbH (nachfolgend: W. GmbH). Diese hatte sich als Subunternehmerin gegenüber den Kurier-Express-Dienstleistern G. GmbH & Co. OHG (nachfolgend: G. ) sowie P. GmbH (nachfolgend : P. ) zur Abholung und Auslieferung von Sendungen in einem bestimmten Gebiet verpflichtet. Die Verträge enthielten detaillierte Regelungen zur Durchführung der Transportaufträge - z.B. zum technischen Ablauf der Auslieferung und Abholung der Pakete, zu Auftreten und Kleidung der Fah- rer sowie zur Beschriftung, Reinigung und Wartung der Fahrzeuge -, deren Einhaltung im Einverständnis mit Be. durch die Auftraggeber überwacht wurde.
7
Obwohl die W. GmbH nach dem Vertrag mit der G. ihrerseits keine Subunternehmer heranziehen durfte, schloss die W. GmbH mit zahlreichen Fahrern als Subunternehmerverträge bezeichnete Verträge ab. Um dies zu verschleiern , beschäftigte die W. GmbH die für G. tätigen Fahrer zusätzlich als Paketsortierer und meldete sie insoweit mit einem Bruttolohn von 600 Euro zur Sozialversicherung an. Darüber hinaus schloss Be. als Geschäftsführer einer weiteren GmbH - der B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH) - mit allen Fahrern „Subunternehmerverträge“ ab. Auch dies diente der Verschleierung der wahren Verhältnisse. Die B. GmbH stand in keinen vertraglichen Beziehungen zu der G. und der P. . Die Fahrer erhielten als Gegenleistung für die Abholung und Auslieferung der Sendungen für die genannten Kurier-Express-Dienstleister Vergütungen scheinbar sowohl von der W. GmbH als auch von der B. GmbH. Gründe, die diese Aufteilung objektiv nachvollziehbar erscheinen lassen könnten, ergaben sich nicht.
8
2. Zu den Arbeitsabläufen ist Folgendes festgestellt:
9
Be. organisierte und koordinierte die Fahrer untereinander. Er teilte die übernommenen Einsatzgebiete in kleinere Zustellbezirke und wies den Fahrern jeweils eine feste Route zu. Zudem hielt er Springer vor, die bei Verhinderung oder Überlastung eines Fahrers zum Einsatz kamen. Neben dem Zustellgebiet bestimmte Be. Start- und Endpunkt der Tour sowie Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Den Fahrern wurde in der Regel aufgrund von Kfz-Nutzungsverträgen gegen Entgelt ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt. Während der Fahrt mussten die Fahrer telefonisch sowohl für Be. als auch für die G. bzw. die P. erreichbar sein. Die Vorgaben von G. bzw. P. zur Durchführung der Transportaufträge reichte Be. an die Fahrer weiter, Verstöße dagegen wurden mit Vertragsstrafen sanktioniert. Die Fahrer waren durch ihre Tätigkeit für die W. GmbH bzw. scheinbar die B. GmbH voll ausgelastet. Mit Ausnahme zweier Fahrer, die gelegentlich Kleinaufträge für Dritte ausführten, boten die Fahrer ihre Leistungen keinem Dritten an und bedienten keine weiteren Auftraggeber. Die Abrechnung mit den Fahrern erfolgte monatlich mittels Gutschriften mit Umsatzsteuerausweis der W. GmbH bzw. der B. GmbH in Abhängigkeit von der Anzahl der ausgelieferten und abgeholten Pakete bzw. der Anzahl der Stopps, wobei das für die Fahrzeugnutzung anfallende Entgelt sowie weitere Beträge - etwa für Vertragsstrafen - in Abzug gebracht wurden.
10
Nach Auffassung der Strafkammer handelte es sich bei den Fahrern nicht um selbständige Subunternehmer, sondern um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer. Als Arbeitgeberin sei - trotz der weitgehenden Überlagerung des Vertragsverhältnisses durch die detaillierten Regelungen zur Durchführung der Transporte in den Verträgen mit G. bzw. P. - die W. GmbH anzusehen , die gegenüber G. und P. zur Durchführung der Transporte verpflichtet war. Der Schadensberechnung hat die Strafkammer die in den Gutschriften ausgewiesenen „Nettoumsätze“ (gemeint: ohne Umsatzsteu- er) ohne Berücksichtigung der vorgenommenen Abzüge für die Fahrzeugnutzung , Vertragsstrafen u.a. zugrunde gelegt und diese gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoentgelt hochgerechnet.
11
3. Zu den Beihilfehandlungen durch den Angeklagten ist Folgendes festgestellt :
12
Der Angeklagte stellte der W. GmbH bzw. der B. GmbH Büroräume in seinem Wohnhaus in F. zur Verfügung, von wo aus die Geschäfte geführt wurden. Während Be. das operative Geschäft übernahm, kümmerte sich der Angeklagte um die kaufmännischen Angelegenheiten. Er hielt sich täglich in den Büroräumen auf und war über alle Abläufe vor Ort in den Depots von G. und P. informiert. Be. stimmte sich mit dem Angeklagten ab und traf keine wichtigen Entscheidungen ohne dessen Zustimmung. Der Angeklagte führte gemeinsam mit Be. die Vertragsverhandlungen mit G. und P. , sprach regelmäßig bei G. und P. vor und sorgte für die reibungslose Durchführung der Verträge. Außerdem verhandelte er in Einzelfällen die Verträge mit den Fahrern. Bei Verhinderung Be. s übernahm er vollumfänglich dessen Aufgabengebiet und kümmerte sich auch um das operative Geschäft.

II.

13
Unbeschadet der Frage, ob eine Beihilfehandlung des Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt ist, könnte das Urteil schon dann keinen Bestand haben, wenn die (Haupt-)Taten Be. s rechtlich fehlerhaft gewertet wären. Dies ist jedoch nicht der Fall.
14
1. Die Strafkammer ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich bei der W. GmbH um eine Arbeitgeberin i.S.v. § 266a StGB handelte, zu der die Fahrer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) standen.
15
a) Wer Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits diesbezüglich auf das Dienstvertragsrecht der §§ 611 ff. BGB abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, das sich vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers ausdrückt. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses zum Arbeitgeber bestimmt sich dabei nach den tatsächlichen Gegebenheiten, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamtbetrachtung sind vor allem das Vorliegen eines umfassenden arbeitsrechtlichen Weisungsrechts, die Gestaltung des Entgelts und seiner Berechnung (etwa Entlohnung nach festen Stundensätzen), Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen. Die Vertragsparteien können aus einem nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehenden Beschäftigungsverhältnis resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflichten nicht durch eine abweichende Vertragsgestaltung beseitigen (insgesamt st. Rspr. vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Beschluss vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13, wistra 2014, 23 mwN).
16
b) An diesen Maßstäben gemessen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei das Bestehen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zwischen der W. GmbH und den Fahrern angenommen. Sie hat die betrieblichen Abläufe sowohl hinsichtlich der Durchführung der Transporte für dieG. (UA S. 11 ff.) als auch für die P. (UA S. 18 ff.) im Einzelnen festgestellt und dabei insbesondere die betriebliche Arbeitsorganisation, das Bestehen von Weisungsrechten Be. s im Hinblick auf die detaillierten Regelungen zur Durchführung der Transporte in den Verträgen mit den Auftraggebern G. bzw. P. sowie das Fehlen weiterer Auftraggeber der Fahrer in Be- dacht genommen. Sie hat in ihre Betrachtungen aber auch gegenläufige Gesichtspunkte einbezogen, nämlich dass die Vergütung der Fahrer aufgrund der Bemessung nach der Anzahl der Pakete bzw. Anzahl der Stopps monatlich variierte , die Fahrer die Kosten für die Nutzung der Fahrzeuge selbst trugen, die Fahrer die Reihenfolge der Auslieferung bzw. Abholung innerhalb der ihnen zugeteilten festen Route selbst bestimmen konnten und dass die Fahrer jeweils ein Gewerbe angemeldet und Umsatzsteuer abgeführt hatten. Die auf Grundlage der festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten erfolgte Bewertung als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis ist nach alledem nicht zu beanstanden.
17
c) Der Senat hat erwogen, ob die Fahrer im Wege einer - dann ersichtlich unerlaubten - Arbeitnehmerüberlassung bei der G. und der P. tätig waren. Allerdings wäre die W. GmbH auch in diesem Fall Arbeitgeberin und der Angeklagte damit tauglicher Täter. Gemäß § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG wäre ein Arbeitsverhältnis zwischen der G. bzw. der P. als Entleiherinnen und den Fahrern entstanden. Da jedoch die W. GmbH als Verleiherin das Entgelt an die Fahrer gezahlt hat, würde sie neben den Entleiherfirmen G. bzw. P. als Arbeitgeberin gelten und mit diesen als Gesamtschuldnerin haften soweit sich die Sozialversicherungsbeiträge auf das von ihr gezahlte Entgelt beziehen (vgl. § 28e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV). Dies hätte allerdings gegebenenfalls Auswirkungen auf die Bestimmung der subjektiven Tatseite oder auch auf die Strafzumessung wegen der dann im Innenverhältnis möglicherweise primären Haftung der G. und der P. . Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, weil kein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
18
(1) Eine Überlassung zur Arbeitsleistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt wer- den, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen (vgl. BAG, Urteile vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 723/10, EzA AÜG § 1 Nr. 14, und vom 6. August 2003 - 7 AZR 180/03, EzA AÜG § 1 Nr. 13).
19
Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Der Unternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht (vgl. BAG aaO).
20
(2) Gegenstand des Vertrages zwischen der W. GmbH und derG. bzw. der P. war die Auslieferung und Abholung von Sendungen in einem bestimmten Gebiet. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer im Rahmen der auch hier gebotenen Gesamtbewertung - auch unter Berücksichtigung des genannten Inhalts der Verträge zwischen W. und den Express -Kurier-Dienstleistern und den Vorgaben zu deren Einhaltung - insbesondere im Hinblick auf die eigenständige Organisation der Touren und des Ein- satzes der Fahrer von der Erteilung arbeitsrechtlicher Weisungen durch Be. und nicht durch G. bzw. P. ausgegangen ist.
21
(3) Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, der Beweisantrag auf Vernehmung von Wa. zum Beweis der Tatsache, dass G. die Arbeitsbedingungen bestimmt und umfassend kontrolliert habe, sei rechtsfehlerhaft als völlig ungeeignetes Beweismittel abgelehnt worden, bleibt aus den vom Generalbundesanwalt schon in der Antragsschrift vom 3. Dezember 2013 zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
22
d) Die Annahme der Strafkammer, Be. habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass es sich bei den Fahrern auch hinsichtlich der Auslieferung der Pakete um Arbeitnehmer handelte, so dass diese mit ihrem Gesamtentgelt gegenüber den Sozialversicherungsträgern anzumelden und entsprechend Sozialversicherungsbeiträge abzuführen waren, wird von den Feststellungen getragen.
23
2. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei eine Beihilfe des Angeklagten zu den (Haupt-)Taten Be. s festgestellt.
24
a) Die Verfahrensrüge, das Konfrontationsrecht des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK sei verletzt, bleibt ohne Erfolg.
25
(1) Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
26
Eine Vernehmung des nicht rechtskräftig abgeurteilten Be. war nicht möglich, nachdem dieser sich auf sein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen hatte. Die Strafkammer hat die Aussagen, die er in seiner eigenen Hauptverhandlung gemacht hatte, durch Vernehmung der damaligen Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft festgestellt und hinsicht- lich der Tätigkeit des Angeklagten zu dessen Nachteil in ihre Erwägungen einbezogen.
27
(2) Der Vortrag der Revision, der Angeklagte habe Be. nicht befragen können, trifft zwar zu, kann hier aber den Bestand des Urteils nicht gefährden. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die den Angeklagten belastenden Angaben Be. s im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet hat.
28
Zwar hat der Angeklagte als besondere Ausformung des Grundsatzes der Verfahrensfairness ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu befragen oder befragen zu lassen. Belastungszeuge in diesem Sinn kann auch der (frühere) Mitangeklagte sein, der in dem gegen ihn gerichteten Verfahren als Angeklagter Angaben gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005, 321). Wenn ein Belastungszeuge nur außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden ist, muss dem Beschuldigten dieses Recht zur konfrontativen Befragung entweder bei der Vernehmung oder zu einem späteren Zeitpunkt eingeräumt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925; BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74 jeweils mwN). Die konfrontative Befragung Be. s war dem Angeklagten nicht möglich, da dieser von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht hat (UA S. 74). Dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als mittelbare Zeugin befragt werden konnte, reicht zur Wahrung des Konfrontationsrechts nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, NStZ-RR 2005,

321).

29
Der Ausschluss des Befragungsrechts führt hier jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der belastenden Aussage, da das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung den Ge- boten der Verfahrensfairness genügt (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 74 f. jeweils mwN). Der Umstand, dass der Angeklagte keine Möglichkeit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, ist der Justiz nicht zuzurechnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150, 155). Den Bemühungen der Strafkammer um eine Sicherstellung des Konfrontationsrechts waren im Hinblick auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit von vornherein Grenzen gesetzt, da Be. von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 461/08, NStZ 2009, 581; EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 - 29881/07, JR 2013, 170; MeyerGoßner , StPO, 57. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 22c). Die Strafkammer hat zudem im Rahmen der Beweiswürdigung hinreichend berücksichtigt, dass Be. vom Angeklagten nicht befragt werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 104 f.). Die Strafkammer, die sich ersichtlich bewusst war, dass die Angaben Be. s in dem gegen ihn gerichteten Verfahren nur über die damalige Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, hat seine Aussage einer umfassenden Beweiswürdigung unterzogen (UA S. 97 f.). Die Feststellungen zu der Aufgabenverteilung zwischen dem Angeklagten und Be. stützt die Kammer dabei nicht nur auf die Angaben Be. s, sondern auch auf die Angaben weiterer Zeugen sowie die in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden.
30
b) Sachlich-rechtlich ist die Bewertung des festgestellten Verhaltens des Angeklagten als vorsätzliche Beihilfe zu den (Haupt-)Taten Be. s nicht zu beanstanden ohne dass dies näherer Ausführungen bedürfte.

III.

31
Dagegen war der Strafausspruch auf die Revision des Angeklagten aufzuheben. Die Strafkammer hat den Schuldumfang der (Haupt-)Taten, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat, nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.
32
1. Allerdings bleiben sämtliche hierauf bezogene Verfahrensrügen erfolglos.
33
a) Die Rüge der Verletzung von § 393 Abs. 2 AO greift nicht durch.
34
Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
35
Im Rahmen einer Außenprüfung des zuständigen Finanzamts bei der B. GmbH wurden Kontrollmitteilungen über an Kurierfahrer gezahlte Vergütungen erstellt. Die Strafkammer hat die Außenprüferin Gr. als Zeugin vernommen und die Kontrollmitteilungen im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt. Sowohl die Aussage der Zeugin als auch den Inhalt der Urkunden hat sie für die Feststellung der an die Fahrer gezahlten Beträge herangezogen , die die Grundlage der Schadensberechnung bilden. Der Angeklagte hatte der Verwertung der Kontrollmitteilungen sowie der Zeugeneinvernahme der Außenprüferin widersprochen. Die Strafkammer hat den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, eine Verwendung sei nicht durch § 393 Abs. 2 AO ausgeschlossen, da der Angeklagte nicht an der gegen die B. GmbH gerichteten Außenprüfung beteiligt gewesen sei und insbesondere keine Angaben gegenüber den Steuerbehörden gemacht habe.
36
Grundlage von im Rahmen einer Außenprüfung (§ 193 AO) gefertigten Kontrollmitteilungen sind regelmäßig Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher, nicht ausschließlich der Sicherstellung der Besteuerung dienender Aufzeichnungspflichten (z.B. Buchführungspflicht gemäß § 140 AO i.V.m. § 238 HGB) erstellt und in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegt werden. Solche gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. April 2010 - 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341 [zu § 393 Abs. 2 AO], vom 22. Oktober 1980 - 2 BvR 1172/79, 2 BvR 1238/79, BVerfGE 55, 144, und vom 7. Dezember 1991 - 2 BvR 1172/81, NJW 1982, 568). Eine Tatsachengrundlage dafür, dass der Inhalt der Kontrollmitteilungen hier ausnahmsweise auf Angaben Be. s als gesetzlichem Vertreter der B. GmbH, die dieser im Rahmen der Außenprüfung gemacht hat, und damit auf von ihm offenbarten Tatsachen beruhen, hat die Revision nicht vorgetragen. Ebenso wenig lässt sich ihrem Vortrag entnehmen, welche konkreten Tatsachen auf den Angaben Be. s beruhen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder aus den Urteilsgründen, wonach die Betriebsprüferin Gr. die Kontrollmitteilungen auf Grundlage der in der Buchhaltung der B. GmbH vorhandenen Gutschriften und Belege erstellt hat, noch aus sonstigen Umständen.
37
b) Auch die Rüge, die Strafkammer habe den Beweisantrag vom 21. Mai 2013 auf Neuberechnung der durch die Firmen W. und B. abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge anhand der tatsächlich an die Fahrer ausgezahlten Beträge unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO zu Unrecht abgelehnt, greift nicht durch. Die Strafkammer hat den Antrag zu Recht mit der Begründung abgelehnt , es seien keine Tatsachen unter Beweis gestellt worden.
38
Bei dem Antrag handelt es sich nämlich weder um einen Beweisantrag, der nur unter den in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO genannten Voraussetzungen abgelehnt werden könnte, noch um einen nach Maßgabe von § 244 Abs. 2 StPO zu bescheidenden Beweisermittlungsantrag. Er ist vielmehr auf eine abwei- chende rechtliche Würdigung bereits bekannter Tatsachen - nämlich den Inhalt der an die Fahrer gerichteten Gutschriften und den sich daraus ergebenden Abzügen für Fahrzeugnutzung u.a. - gerichtet und betrifft damit eine von der Strafkammer zu entscheidende Rechtsfrage.
39
c) Die Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung eines Zeugen zur fiktiven Höhe der Vergütung eines angestellten Paketfahrers als bedeutungslos beanstandet wird, bleibt aus den vom Generalbundesanwalt auch schon in der Antragsschrift vom 3. Dezember 2013 zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
40
2. Jedoch erweist sich die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge als rechtsfehlerhaft.
41
a) Allerdings ist die Strafkammer entgegen der Auffassung der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass „illegale Beschäftigungsverhältnisse“ i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorlagen und eine Hochrechnung auf ein Bruttoentgelt vorzunehmen war. Die Urteilsfeststellungen ergeben nämlich objektiv eine Verletzung von zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversicherungsrechts durch die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. § 28d, 28e SGB IV) und die Verletzung von Meldepflichten (vgl. § 28a SGB IV) sowie subjektiv einen auf die Verletzung dieser Arbeitgeberpflichten gerichteten (bedingten) Vorsatz (vgl. zu den Voraussetzungen der Annahme eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254).
42
b) Die konkrete Bemessungsgrundlage für die Hochrechnung hat die Strafkammer aber nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.
43
Grundlage der Beitragsbemessung ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Tätigkeit (vgl. §§ 223, 226 SGB V, §§ 161, 162 SGB VI, §§ 341, 342 SGB III sowie §§ 54, 57 SGB XI). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung , gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
44
Auf dieser Grundlage ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen , dass die von der W. GmbH an die Fahrer ausgezahlte und von diesen abgeführte Umsatzsteuer nicht Teil des Arbeitsentgelts ist, da diese zu keiner spürbaren, nachhaltigen Bereicherung bei den Fahrern geführt hat (Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl., § 14 Rn. 45, 46).
45
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die Abzüge für Vertragsstrafen bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts unberücksichtigt gelassen hat. Die Entstehung der Beitragspflicht hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt und dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Gegenforderungen eines Arbeitsgebers können unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung im Einzelnen nicht dazu führen, dass ein Arbeitnehmer zwar arbeitet und dabei uneingeschränkt versichert ist, der hierfür der Versichertengemeinschaft zustehende Anspruch sich aber (im Extremfall auf Null) reduziert (vgl. näher dazu BSG, Urteil vom 21. Mai 1996 - 12 RK 64/94, BSGE 78, 224; Roßbach in Kreikebohm, Sozialrecht, 3. Aufl., § 22 SGB IV Rn. 4, 5).
46
Die Auffassung der Strafkammer, dass auch die Beträge, die für die Überlassung der Fahrzeuge und sonstige Fahrzeugkosten in Abzug gebracht wurden, Teil des Arbeitsentgelts sind, beruht dagegen auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Es liegt nahe und wäre daher zu erörtern gewesen, dass die gewählte vertragliche Konstruktion - Abschluss eines „Subunternehmervertrages“ einerseits, Abschluss eines gesonderten Kfz-Nutzungsvertrages andererseits - hier der Verschleierung des Bestehens eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses diente. Wäre hiervon auszugehen, wäre zwischen der W. GmbH und den Fahrern lediglich ein Entgelt in Höhe der um die Fahrzeugnutzung und die Kosten für den Erhalt des Fahrzeugs gekürzten Beträge vereinbart gewesen.
47
3. Die rechtsfehlerhafte Bemessung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und damit des Schuldumfangs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich.

IV.

48
Die auch vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
49
Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft beschränkt sich im Kern letztlich auf die Darlegung, die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von einem Jahr sei nicht tat- und schuldangemessen; die Strafkammer habe den Strafmilderungsgründen zu hohes Gewicht beigemessen. Insoweit handelt es sich lediglich um den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch, rechtsfehlerfreie tatrichterliche Strafzumessungserwägungen durch eigene zu ersetzen. Darüber hinaus macht die Staatsanwaltschaft geltend, die Strafkammer habe nicht zugunsten des Angeklagten berücksichtigen dürfen, dass Be. über eine von ihm vertretene GmbH einen Teil des Schadens in Höhe von 41.000 Euro wiedergutgemacht hat. Dies trifft nicht zu. Wie auch der Generalbundesanwalt zu- treffend ausgeführt hat, ist die strafmildernde Berücksichtigung der Schadenswiedergutmachung durch den Haupttäter - der die Strafkammer ohnehin „kein hohes Gewicht“ beigemessen hat- unter dem Gesichtspunkt der Verringerung der verschuldeten Auswirkung der Tat nicht zu beanstanden. RiBGH Dr. Graf ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Wahl Raum Cirener Radtke