Bundesgerichtshof Urteil, 08. Juli 2015 - 2 StR 139/15

published on 08/07/2015 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 08. Juli 2015 - 2 StR 139/15
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 9 / 1 5
vom
8. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Oktober 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist, sowie in den Einzelstrafaussprüchen und Gesamtstrafenausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 52 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der die Nichtanordnung der Unterbrin- gung in einer Entziehungsanstalt vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte als "Läufer" einer Gruppierung um den Mitangeklagten C. und den früheren Mitangeklagten R. , denen er sich in Kenntnis der Struktur angeschlossen hatte, in 52 Fällen jeweils 10 Kleinmengen Heroin von je 0,1 g an Drogenkonsumenten. Dafür erhielt er als Entgelt Heroin oder Kokain für seinen Eigenkonsum , bisweilen auch Telefonkarten, Tabak oder Zigaretten und gelegentlich kleinere Bargeldbeträge.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten als Mittäter des Handeltreibens und als Mitglied der Bande angesehen und deshalb gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BtMG verurteilt.

II.

4
Die Revision des Angeklagten gegen den Schuldspruch ist unbegründet.
5
Es ist rechtlich nicht bedenklich, dass die Strafkammer den Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angesehen hat. Er hat durch Drogenverkauf an Konsumenten eigenhändig gehandelt. Weil er aus diesen Verkäufen selbst Betäubungsmittel, gelegentlich aber auch Telefonkarten, Tabak und Zigaretten oder kleinere Geldbeträge erlangt hat, hat er mit Gewinnstreben gehandelt. Dies genügt zur Zurechnung der Tatbegehung als Mittäter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 25 Abs. 2 StGB.
6
Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte Mitglied einer Bande war. Nach den Feststellungen war er mit zwei weiteren Beteiligten übereingekommen, dass er als "Läufer" Heroinportionen an Konsumenten verkaufen sollte. Er kannte die Strukturen des örtlichen Drogenhandels und wollte aus seiner Mitwirkung beim laufenden Drogenverkauf an Konsumenten einen eigenen Vorteil erlangen. Das genügt für die Annahme der Bandenmäßigkeit der Tatbegehung, auch wenn der Angeklagte innerhalb der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielte.

III.

7
Die Revision führt aber zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mitsamt der Entscheidung über die Nichtanordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
8
1. Die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB ist nicht wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen worden. Eine solche Beschränkung ist zwar grundsätzlich rechtlich möglich (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363 ff.). Sie ist hier aber nicht wirksam, weil die Entscheidung über die Maßregelfrage nicht von der Entscheidung über den Strafausspruch getrennt werden kann. Dies gilt jedenfalls, soweit sich die Revision auch gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wendet. Eine selbstständige Beurteilung des angefochtenen Urteils zu dieser Frage kann nicht losgelöst von der Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 1994 - 2 StR 89/94, NStZ 1994, 449; Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202, 203).
9
2. Die Entscheidung des Landgerichts über die Nichtanordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist rechtsfehlerhaft.
10
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine solche Maßregelanordnung bejaht, aber angenommen, angesichts der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sei die zusätzliche Anordnung der Maßregel unverhältnismäßig. Dies ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil das Landgericht die voraussichtliche Dauer der Maßregelvollstreckung nicht bestimmt hat. Deren gesetzliche Höchstdauer gemäß § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB entspricht der Dauer der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Bei dieser Sachlage ist die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung jedenfalls mit der pauschal mitgeteilten Urteilsbegründung nicht zutreffend. Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht ohne Weiteres aus der gemäß § 67 Abs. 4 StGB begrenzten Anrechnung der Maßregelvollziehung auf die Strafe. Der Senat hebt deshalb die Entscheidung über die Nichtanordnung der Maßregel auf.
11
3. Zugleich kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, denn der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen wie auch die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte. Denn die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben, namentlich , wenn sie die Dauer der Strafe erreicht oder gar übersteigen kann (vgl. Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202, 203). Der neue Tatrichter wird eine insgesamt stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu treffen haben. Fischer Eschelbach Ott RiBGH Zeng ist wegen Bartel Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer
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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol
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Annotations

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.