Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juni 2013 - 1 StR 457/12

bei uns veröffentlicht am05.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 457/12
vom
5. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juni 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin G. M. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers R. M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 14. Mai 2012 wird verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 3. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das vorbezeichnete Urteil - mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag - mit den Feststellungen aufgehoben. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.

Gründe:

A.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem erging aufgrund seines Anerkenntnisses eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Tochter der Getöteten, der Nebenklägerin G. M. .
2
Die Revision des Angeklagten ist auf die - zum Strafausspruch näher ausgeführte - Sachrüge gestützt; sie bleibt erfolglos. Die Revisionen der Nebenkläger sind ebenfalls auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie machen vor allem geltend, das Mordmerkmal der Heimtücke sei zu Unrecht verneint worden. Sie haben Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte und die Geschädigte E. unterhielten seit Juni 2011 eine Beziehung und hatten sogar von Heirat gesprochen. Da sich E. in der Beziehung jedoch bald eingeengt fühlte, kam es im August 2011 wieder zur Trennung. Der Angeklagte wollte dies nicht hinnehmen und suchte immer wieder den Kontakt zu E. , wozu es auch mehrfach kam, nicht nur, aber wiederholt auch im Internetchat.
5
Bei einem Zusammentreffen am 24. September 2011 weigerte sich E. , mit dem Angeklagten über die Beziehung zu sprechen. Daraufhin schlug dieser wuchtig mit den Fäusten auf die Motorhaube seines PKWs und bedrohte E. - von ihr auch so verstanden - unter Verwendung der türkischen Redensart: "Wenn Du nicht mir bist, dann bist Du der Erde" mit dem Tode. Auch an den Folgetagen suchte der Angeklagte immer wieder über den Internetchat Kontakt zu E. , worauf sich diese mehrfach einließ.
6
Am 27. September 2011 teilte E. dem Angeklagten auf diesem Wege mit, sie wolle eine Urlaubsbekanntschaft heiraten. Am selben Tag bezeichnete sie ihn mit einer türkischen Redensart als "ehrlos". Hierdurch innerlich verletzt, kündigte er ihr daraufhin für den Abend seinen Besuch an. Gegen 18.45 Uhr bat E. ihren früheren Ehemann E. M. darum, zu ihr zu kommen, da sie dem Angeklagten "den Laufpass geben wollte".
7
Als E. dem Angeklagten die Tür öffnete, drängte er sie in die Wohnung zurück. In einem Zimmer der Wohnung fragte er, wie sie ihn "ehrlos" nennen könne. Er zog sie entweder an den Haaren und/oder schlug ihren Kopf gegen die Wand. Als E. ' Tochter G. M. hinzukam, forderte E. den Angeklagten auf, zu der gegenüberliegenden Gaststätte zu gehen, sie werde nachkommen. Weil ihm E. , die sich mit ihrer Tochter noch über eine Schulbescheinigung unterhielt, nicht sogleich folgte, schlug der Angeklagte noch einmal gegen die Wohnungstür und forderte sie auf, ihm zu folgen. Auf ihre Aufforderung hin entfernte er sich. Er lief zu seinem Auto und nahm von dort ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 11 cm an sich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fasste er den Entschluss, E. zu erstechen , falls das Gespräch nicht "in seinem Sinne" verlaufen sollte.
8
E. traf unterdessen an der Tür ihren zwischenzeitlich eingetroffenen früheren Ehemann, der sich jedoch nach einem kurzen Gespräch über den gemeinsamen Sohn wieder entfernte, ohne dass E. dem entgegengetreten wäre. Als der Angeklagte von seinem Auto zurückkam, gingen E. und er gegen 21.45 Uhr zur gegenüber der Wohnung gelegenen Gaststätte. Dort nahmen sie nicht im Inneren der Gaststätte, wo sich der Wirt und weitere Personen aufhielten, sondern im leeren Garten Platz. Sie wiederholte , sie wolle einen anderen Mann heiraten. Man schrie sich an. Dabei nannte sie ihn unter anderem "Hurensohn" und "Hurenbock". Die Gefahr eines tätlichen Angriffs durch den Angeklagten war ihr "spätestens zu diesem Zeitpunkt … möglicherweise bewusst".
9
Der Angeklagte erkannte, E. nicht wiedergewinnen zu können. Wie zuvor für diesen Fall geplant, zog er deshalb das Messer und versetzte ihr in Tötungsabsicht zwei Stiche. Der erste Stich verletzte das Innere des Herzbeutels , woran sie noch im Laufe des Abends verstarb. Beim zweiten Stich brach die Klinge des Messers am Schädelknochen von E. ab. Nach den Stichen schlug der Angeklagte E. , die reaktionslos zu Boden fiel, und würgte sie, wovon ihn auch der hinzu eilende Wirt zunächst nicht abhalten konnte. Am Ende flüchtete der Angeklagte, wurde aber am nächsten Tag in der Schweiz festgenommen.

II.

10
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (§ 212 StGB) verurteilt.
11
Eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB), gestützt auf die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe,hat das Landgericht abgelehnt. Niedrige Beweggründe könnten auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des Beziehungsverlaufs zwischen Täter und Opfer und des Geschehensverlaufs am Tattage nicht angenommen werden. Auch Heimtücke liege nicht vor; es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Getötete zum Tatzeitpunkt arglos gewesen sei.
12
Die Strafe hat das Landgericht dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Einen minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) hat es abgelehnt; der Angeklagte sei nicht durch die von ihr in der Gastwirtschaft geäußerten Provokationen "zur Tat hingerissen" worden (§ 213 1. Alt. StGB), da er bereits vor der Tat zur Tötung der E. entschlossen gewesen sei. Auch sonst liege, wie das Landgericht näher ausführt, ein minder schwerer Fall des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) nicht vor.

B.

Revision des Angeklagten:
13
Weder der Schuldspruch noch der Rechtsfolgenausspruch enthalten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Näher auszuführen ist dies nur zum Rechtsfolgenausspruch:
14
1. Die Revision meint, das Landgericht habe die Möglichkeit, dass der Angeklagte doch erst durch die festgestellten Beleidigungen zur Tat hingerissen worden sei, nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
15
a) Soweit das Landgericht seine gegenteilige Auffassung darauf stütze, dass der Angeklagte das Messer mitgebracht habe, habe es die Möglichkeit nicht bedacht, dass er ursprünglich ausschließlich beabsichtigt haben könne, E. mit dem Messer nur zu bedrohen; schließlich habe er sie schon einmal - nämlich wenige Tage zuvor - mit dem Tode bedroht.
16
b) Da das Landgericht festgestellt habe, der Angeklagte sei zunächst nicht "unwiderruflich" zur Tötung der E. entschlossen gewesen, als er das Messer einsteckte, sei es widersprüchlich, wenn es dennoch feststelle, der Angeklagte sei nicht durch die Beleidigungen auf der Stelle zur Tat hingerissen worden.
17
c) Soweit sich das Landgericht zur Stützung seines Ergebnisses auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. März 2012 (3 StR 425/11) berufe, habe es maßgebliche tatsächliche Unterschiede verkannt. In jenem Fall habe der Angeklagte - anders als hier - dem Opfer aufgelauert.
18
2. Der Senat sieht keinen Rechtsfehler:
19
a) Der von der Revision geltend gemachte Erörterungsmangel besteht nicht. Der Angeklagte wusste, dass seine Tage zuvor ausgestoßene Todesdrohung E. nicht davon abgehalten hatte, ihm die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen durch den Hinweis auf ihre anderweitigen Heiratsabsichten zu verdeutlichen. Es brauchte sich dem Landgericht daher nicht die Annahme aufzudrängen , der Angeklagte hätte nunmehr geglaubt, er könne sie durch Bedrohung mit einem Messer zur Wiederaufnahme der Beziehung veranlassen. Die Tage zuvor ausgestoßene Todesdrohung entsprang zudem erkennbar einer spontanen Verärgerung des Angeklagten, während die Mitnahme des Messers auf Überlegung zurückging. Nach alledem lag die von der Revision aufgezeigte Möglichkeit nicht nahe und musste daher auch nicht näher erörtert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 - 1 StR 407/12).
20
b) Es liegt auch kein Widerspruch vor. Strafmilderung wegen Reizung zum Zorn (§ 213 1. Alt. StGB) kommt einem ohnehin zur Tat Entschlossenen nicht zugute. Zur Tat entschlossen ist auch derjenige, der die Tat nur bei einer von seinem Willen unabhängigen Situation begehen will (BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 - 2 StR 525/65, BGHSt 21, 14).
21
So ist es hier.
22
Der Angeklagte wollte E. töten, falls sie nicht bereit wäre, die Beziehung wieder aufzunehmen. Soweit die Revision darauf hinweist, dass der Angeklagte nicht von vorneherein "unwiderruflich" zur Tötung der Geschädigten entschlossen war, unterscheidet sie nicht zwischen bedingtem Handlungswillen im Sinne einer Unentschlossenheit zur Tat und dem - hier vorliegenden - bestimmten Handlungswillen, dessen Umsetzung nur von einer aus Tätersicht unbeeinflussbaren Bedingung - E. wolle keine Wiederaufnahme der Beziehung - abhing (BGH aaO, S. 17).
23
Ob sich der Täter - wie hier - zuvor mit dem Opfer verabredet hat, oder ob er ihm aufgelauert hat - so im Fall von BGH, Urteil vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11 -, hat hier keine Bedeutung. In beiden Fällen wollte der Täter das Opfer töten, wenn das Gespräch aus seiner Sicht erfolglos bliebe.
24
Das Landgericht hat seine Ansicht, der Angeklagte sei nicht durch die Provokationen E. in der Gastwirtschaft "auf der Stelle zur Tat hingerissen" worden, maßgeblich darauf gestützt, dass er schon vorher das Messer aus dem Auto genommen habe, um E. zu erstechen, falls das Gespräch nicht in seinem Sinne verlaufen sollte; er sei bewusst auf eine Konfrontation mit ihr eingestellt gewesen (UA S. 57).

C.

Revisionen der Nebenkläger:
25
Die Revisionen der Nebenkläger haben Erfolg, weil die Ablehnung von Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB nicht auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruht.

I.

26
Heimtücke im Sinne des § 211 StGB setzt Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers voraus. Die Arglosigkeit entfällt, wenn das Opfer mit einem jedenfalls erheblichen körperlichen Angriff rechnet (BGH, Urteile vom 26. Februar 1993 - 3 StR 207/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 17 mwN und vom 15. April 1987 - 2 StR 32/87, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 4 mwN). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der Täter den ersten Angriff mit Tötungsvorsatz führt (BGH aaO). Jedoch entfällt die Arglosigkeit dann nicht, wenn die Spanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff zu kurz war, um dem Opfer noch zu ermöglichen, dem Angriff zu begegnen (BGH, Urteil vom 15. September 2011 - 3 StR 223/11 mwN; zusammenfassend Schneider in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 211 Rn. 151 mwN in Fn. 615).
27
Die Strafkammer hält unterschiedliche Zeitpunkte für möglich, abdenen E. mit einem erheblichen körperlichen Angriff des Angeklagten gerechnet hatte:  Die Angst der Geschädigten könne schon durch die Todesdro- hung mittels der Redewendung ausgelöst worden sein.
 Mitbesonderem Gewicht sprächen die Tätlichkeiten in der Wohnung für eine entsprechende Befürchtung der Geschädigten, die dann seit diesen Tätlichkeiten vorgelegen hätte.
 "Spätestens" habesie aber bei den Beleidigungen im Garten des Gasthauses mit einem tätlichen Angriff gerechnet. Danach erscheint es jedenfalls auch möglich, dass sie vor dem Geschehen im Garten des Gasthauses nicht mit einem solchen Angriff gerechnet hat. Für diesen Fall bleibt unklar, ob sie sich nach dem Erkennen der Gefahr noch hätte wehren können.
28
Der Senat verkennt nicht, dass das Landgericht im Schwerpunkt darlegt, warum die Arglosigkeit der Geschädigten schon durch die Todesdrohung oder jedenfalls durch die Tätlichkeiten in der Wohnung entfallen war. Selbst wenn aber daher das Urteil insgesamt dahin zu verstehen wäre, dass E.
schon vor dem Geschehen in dem Wirtshaus mit einem erheblichen Angriff rechnete, wäre Arglosigkeit nicht rechtsfehlerfrei verneint:
29
1. Zum Wegfall der Arglosigkeit schon durch die Todesdrohung:
30
a) Beleg hierfür könne, so das Landgericht, sein, dass E. ihren geschiedenen Mann herbei rief, nachdem der Angeklagte sein Kommen angekündigt hatte. Dies werde auch nicht - so der nicht ganz klare Maßstab des Landgerichts - dadurch "mit der erforderlichen Sicherheit" infrage gestellt, dass sich der geschiedene Mann alsbald und ohne vorherigen Kontakt mit dem Angeklagten wieder entfernte, ohne dass sich die Geschädigte dem widersetzte. Es gebe eine Reihe möglicher Erklärungen für dieses nicht mehr aufklärbare Verhalten:
31
(1) So könne E. befürchtet haben, wegen der Erregung des Angeklagten führe die Anwesenheit ihres geschiedenen Mannes zu weiterer Eskalation.
32
(2) Eine andere Möglichkeit sei, dass sie auf den Schutz ihres geschiedenen Mannes verzichtet habe, weil ihr der Schutz durch den Aufenthalt in der Gastwirtschaft genügt habe.
33
Diese Möglichkeit werde auch nicht dadurch infrage gestellt, dass sie sich allein mit dem Angeklagten in den Garten der Gastwirtschaft setzte. Es könne sein, dass sie wegen des zu erwartenden "sehr privaten" Gesprächsthemas keine anderen Personen mithören lassen wollte. Daher widerlege ihr Verzicht auf Schutz durch die Anwesenheit weiterer Personen "nicht zwingend", dass sie mit erheblichen Attacken des Angeklagten gerechnet habe.
34
(3) Es könne auch sein, dass E. geglaubt habe, der Angeklagte sei wieder weggefahren und wolle kein Gespräch mehr.
35
b) Diese Erwägungen sind insgesamt nicht rechtsfehlerfrei.
36
Zu (1): Diese Möglichkeit ist denkgesetzlich nicht ausgeschlossen. Ebenso wenig sind jedoch konkrete Anhaltspunkte für sie genannt. Sie erscheint auch nicht so naheliegend, als dass auf die Angabe von Anhaltspunkten verzichtet werden könnte. Es wäre widersprüchlich und unklar, wenn E. einerseits schon wegen verbaler Todesdrohungen Schutz für erforderlich gehalten , jedoch darauf verzichtet habe, nachdem sie - so das Landgericht - auch körperlich massiv angegriffen worden war. Allein die Denkbarkeit eines Geschehensablaufs , der sich jedenfalls nicht aufdrängt, und für den sich aus den Urteilsgründen keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, genügt für eine entsprechende Feststellung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11 mwN).
37
Zu (2): Vergleichbares gilt für die Möglichkeit, dass E. auf den Schutz ihres aus Angst herbeigerufenen Ehemannes verzichtet habe, weil sie sich durch andere Personen in dem Lokal hinreichend geschützt fühlte, sie dann aber auf deren Schutz verzichtet habe, weil sie vorrangig den von ihr neben erheblichen körperlichen Attacken erwarteten Gesprächsinhalt geheim halten wollte. Hinzu kommt, dass der Maßstab des Landgerichts auch insoweit rechtsfehlerhaft ist, als ein gegen sein Ergebnis sprechender Gesichtspunkt deshalb als irrelevant angesehen wird, weil er keinen „zwingenden“ Schluss zulasse. Dies verkennt, dass richterliche Überzeugung keine absolute, das Gegenteil ausschließende, letztlich mathematische Sicherheit erfordert (BGH, aaO mwN).
38
Zu (3): Anders als die übrigen Möglichkeiten knüpft diese Erwägung insoweit an eine reale Gegebenheit an, als der Angeklagte - der in Wahrheit gerade das Messer holte - für E. im Zeitpunkt des Verlassens ihres Wohnhauses nicht zu sehen war.
39
Allerdings könnten die Gesichtspunkte, dass
40
- E. angesichts des Nachdrucks, mit dem der Angeklagte kurz zuvor noch auf einem Gespräch mit ihr bestanden hatte, einem sehr erheblichen Irrtum unterlegen wäre,
41
- E. sich nicht ins Haus zurück begab, sondern mit dem Angeklagten in die Gaststätte ging, nachdem er "wieder erschienen" war,
42
in eine andere Richtung deuten, ohne dass dies vom Landgericht erörtert worden wäre (zur Notwendigkeit der Erörterung gegenläufiger Gesichtspunkte vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11). Unabhängig davon spräche aber jedenfalls die Annahme, E. habe geglaubt, dass sich der Angeklagte entfernt habe, dafür, dass ihre konkrete Besorgnis vor einem erheblichen körperlichen Angriff des Angeklagten erst (wieder) während der Auseinandersetzung in der Gastwirtschaft entstanden ist (vgl. hierzu oben I., letzter Spiegelstrich vor 1.).
43
2. Zum Wegfall der Arglosigkeit wegen vorangegangener Misshandlungen :
44
Besonderes Gewicht für die Annahme, E. habe mit einem erheblichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit gerechnet, misst das Landgericht dem Umstand bei, dass der Angeklagte E. in der Wohnung dadurch erheblich misshandelt habe, dass er ihren Kopf gegen die Wand schlug. Auf Angaben, die auf E. zurückgingen, kann sich diese Annahme nicht stützen, ebenso wenig auf Angaben, die der Angeklagte im Laufe des Verfahrens gemacht hat. Vielmehr stützt das Landgericht seine Überzeugung von den Misshandlungen maßgeblich auf die Angaben des Zeugen T. , der darüber berichtet hat, was ihm der Angeklagte zwischen der Tat und seiner Verhaftung hierüber erzählt hat. Zur Bestätigung dieser Angaben zieht die Strafkammer die Angaben der Zeugin G. M. heran. Diese hat zwar nicht gesehen, dass der Angeklagte ihre Mutter misshandelt hat, jedoch zieht die Strafkammer die entsprechenden Schlussfolgerungen aus Geräuschen, die die Zeugin gehört hat.
45
a) Soweit Erkenntnisse über die Angaben der unmittelbar am Geschehen in der Wohnung Beteiligten angefallen sind, ist die Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft:
46
(1) E. hat, solange sie noch lebte, Misshandlungen nicht erwähnt. Soweit sie stattdessen mit ihrer Tochter - ganz kurz nach dem in Rede stehenden Geschehen - über ein Schulproblem sprach, ist dies mit ihrer Absicht erläutert, die Tochter aus offenbar erzieherisch-fürsorglichen Gründen "abzulenken". Dies erklärt jedoch nicht, warum E. auch gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann nichts von Misshandlungen erwähnte, nachdem sie ihn eigens wegen des angekündigten Erscheinens des Angeklagten hergebeten hatte.
47
(2) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung eine schriftlich vorbereitete Erklärung zur Sache abgegeben. Darin ist nicht davon die Rede, dass er E. in der Wohnung tätlich angegriffen habe; zu dem übrigen Geschehen in der Wohnung entspricht die Erklärung des Angeklagten den Urteilsfeststellungen. Fragen zu dieser Erklärung zu beantworten, hat der Angeklagte abgelehnt. Dies bewertet die Strafkammer zutreffend als ihrer Würdigung zugängliches Teilschweigen. Dementsprechend sei die Überzeugungskraft der Einlassung des Angeklagten gemindert. Dies verdeutlicht jedoch nicht, warum der Angeklagte zum Geschehen in der Wohnung gerade und nur den Punkt verschweigt , der dazu führt, dass die Tat nicht als Mord bewertet wurde. Auch wenn die entlastende Bedeutung einer vorangegangenen schwerwiegenden Misshandlung des später getöteten Opfers zunächst nicht offen auf der Hand liegen mag, verstünde sich nicht von selbst, dass der Angeklagte trotz der offensichtlichen Intensität, mit der in der Hauptverhandlung eine Misshandlung der Geschädigten in der Wohnung geprüft wurde, die Bedeutung dieser Frage nicht erkannt und deshalb wahrheitswidrig bis zuletzt Misshandlungen verschwiegen hätte.
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b) Rechtliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung bestehen auch, soweit die Annahme, der Angeklagte habe den Kopf der Geschädigten gegen die Wand geschlagen, auf die Aussage des Zeugen T. gestützt ist, der darüber berichtet hat, was ihm der Angeklagte vor seiner Festnahme hierüber erzählt hat. Seine Aussagen hierzu bei der Polizei einerseits (der Angeklagte habe gesagt, er habe den Kopf der Geschädigten an die Wand geschlagen) und in der Hauptverhandlung andererseits (er habe nicht gesagt, er habe den Kopf an die Wand geschlagen, sondern er habe sie an den Haaren gezogen und ihren Kopf "in die Nähe der Wand gebracht") bewertet die Strafkammer insgesamt zutreffend als nicht eindeutig; dennoch sei auf Grund dieser Aussagen jedenfalls klar, "dass ein körperlicher Angriff stattgefunden hat". Der Zeuge hat jedoch nicht über eigene Wahrnehmungen berichtet. Daher kann auf Grund seiner Aussage nur klar sein, dass der Angeklagte ihm gegenüber von einem körperlichen Angriff gesprochen hat. Die Schlussfolgerung, dass es tatsächlich zu einem körperlichen Angriff gekommen ist, wäre daher nur tragfähig, wenn keine Zweifel bestünden, dass der Angeklagte dem Zeugen insoweit die Wahrheit gesagt hat. Diese Annahme erforderte jedoch eine Auseinandersetzung mit dem sonstigen Einlassungsverhalten des Angeklagten. Dies gilt nicht nur für sein Einlassungsverhalten in der Hauptverhandlung; ebenso hätte sich das Landgericht auch in diesem Zusammenhang damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte zwischen Tat und Festnahme gegenüber anderen Zeugen offensichtlich frei erfundene Schilderungen abgegeben hat. So hat er einem Zeugen gesagt, er habe sich mit seiner früheren Freundin und deren ehemaligem Mann getroffen und diesen geschlagen und gewürgt, bis dessen Hände und Beine gezittert hätten, dann habe er aufgehört. Einem anderen Zeugen hat er gesagt, "dass er seine Freundin erstochen habe, diese jedoch sicher überlebt habe, da viele Leute um sie herum gewesen seien, die ihr helfen konnten". Auch diese Angabe ist an zentraler Stelle ohne Realitätsbezug.
49
Aus diesen Gründen hat das Landgericht Aussagen des Zeugen T. zu anderen Angaben des Angeklagten - etwa im Zusammenhang mit dem Tatmesser - als keine brauchbare Feststellungsgrundlage angesehen. Unter diesen Umständen ist ohne nähere Begründung nicht ersichtlich, warum die Angaben des Angeklagten gegenüber dem Zeugen gerade einen Angriff in der Wohnung klar belegten.
50
c) Offenbar folgert dies das Landgericht - jedenfalls auch - aus den Aussagen der Zeugin G. M. , die angegeben hat, sie habe gehört, dass "die ganze Wohnung gewackelt" habe. Ob dieser eher umgangssprachliche Begriff über dröhnend laute Geräusche hinaus überhaupt einen körperlichen Angriff oder gar dessen - hier maßgebliche - Intensität belegen kann, mag dahinstehen. Das Landgericht geht nämlich selbst davon aus, es sei auf Grund dieser Aussage zwar möglich, dass der Angeklagte den Kopf der Geschädigten gegen die Wand geschlagen habe, "ob dies tatsächlich der Fall war, konnte jedoch nicht sicher festgestellt werden". Ist aber die Aussage der Zeugin für sich genommen kein Beleg für eine Misshandlung, so beruht die Annahme der letztlich für möglich gehaltenen Misshandlung im Kern maßgeblich auch darauf, dass sich aus den Aussagen des Zeugen T. auf jeden Fall (irgend) eine Misshandlung ergibt. Zwar können mehrere Aussagen, die jeweils für sich allein einen bestimmten Schluss nicht zulassen, sich wechselseitig so durchdringen, dass sie in einer Gesamtschau Grundlage für diesen Schluss sein können. Dies setzt jedoch voraus, dass die Würdigung jeder einzelnen Aussage für sich genommen rechtsfehlerfrei ist. Dies ist, wie dargelegt, hinsichtlich der Aussage des Zeugen T. an zentraler Stelle (eine Misshandlung in der Wohnung habe sicher stattgefunden) nicht der Fall.
51
3. Nach alledem beruht die Annahme, es liege kein (heimtückisch begangener ) Mord vor, weil die Geschädigte bei der Tat nicht arglos gewesen sei, nicht auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.

52
Die Aufhebung des Schuldspruchs und die damit verbundene Aufhebung des Strafausspruchs lassen die im Adhäsionsverfahren gemäß dem Anerkenntnis des Angeklagten ergangene Verurteilung unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96). Wahl Graf Jäger Cirener Radtke

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2011 werden verworfen.
Der Angeklagte und die Nebenkläger haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Nebenkläger , die die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB erstreben. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind zulässig (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO), aber unbegründet. Auch die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte seine Ehefrau am Morgen des 26. Oktober 2010 neben ihrem Pkw mit einem Küchenmesser. Im Einzelnen:
3
Nach ehelichen Streitigkeiten, die zwar nie zu Tätlichkeiten führten, indes mehrfach zur Folge hatten, dass die Geschädigte zu ihren Eltern zog, nahm diese - ohne Kenntnis des Angeklagten - ein intimes Verhältnis zu einem seiner Bekannten auf und bezog im August 2010 eine eigene Wohnung. Der Angeklagte wurde von diesem Verhalten seiner Ehefrau völlig überrascht.
4
In den folgenden Wochen kam es mehrfach zu Versöhnungen und erneuten Trennungen der Eheleute. Dabei verhielt sich insbesondere das Opfer sehr wechselhaft, während der Angeklagte zwar in den Trennungsphasen mit einer anderen Frau zusammentraf, aber stets bereit war, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Nachdem die Geschädigte am 16. Oktober 2010 ihre Wohnung gekündigt hatte und wieder in die eheliche Wohnung eingezogen war, eröffnete sie dem Angeklagten schon zwei Tage später, wer ihr Liebhaber ist und dass sie diesen liebe. Dieser sei ein besserer Mensch und dem Angeklagten in allem überlegen. Die Geschädigte verließ den Angeklagten sodann endgültig und bezog erneut ihre Wohnung.
5
In der Folgezeit versuchte der Angeklagte immer wieder seine Ehefrau telefonisch zu erreichen, erschien vor ihrer Wohnung sowie an ihrer Arbeitsstelle und beobachtete sie. Einige Tage vor der Tat verbot die Geschädigte dem Angeklagten, der morgens vor ihrem Haus auf sie gewartet hatte, sie an ihrem Arbeitsplatz und auch bei anderen Gelegenheiten aufzusuchen.
6
In den Tagen vor der Tat beobachtete der Angeklagte weiterhin die Wohnung seiner Ehefrau auch von einem Baum aus. Er stellte dabei fest, dass das Kraftfahrzeug des neuen Partners seiner Frau in deren Garage stand und seine Tochter mit ihrer Familie einen Abend mit der Geschädigten und deren neuen Partner verbrachte. Am Abend vor der Tat sah der Angeklagte - erneut von einem Baum aus -, dass der neue Partner seiner Ehefrau das Haus betrat und war davon überzeugt zu erkennen, dass es im Wohnzimmer zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden kam.
7
Die Nacht vor der Tat verbrachte der Angeklagte unruhig, stand gegen fünf Uhr auf und beschloss, nochmals eine Begegnung mit seiner Ehefrau herbeizuführen und mit ihr über ihre Beziehung zu reden. Beim Verlassen seines Hauses nahm er schwarze Lederhandschuhe mit und steckte ein Küchenmesser mit einer 19 cm langen Klinge in seine Jackentasche, um seine Ehefrau zu töten, falls das Gespräch mit ihr "nicht in seinem Sinne" verlaufen werde. Der Angeklagte stellte seinen Pkw auf einem in der Nähe des Wohnhauses seiner Ehefrau gelegenen Parkplatz ab, ging sodann durch ein kleines Wäldchen in Richtung des Hauses und wartete im Schutz der Bäume zunächst darauf, dass das Licht in der Wohnung seiner Frau anging. Als dies der Fall war, begab er sich zu den jenseits der Auffahrt liegenden Garagen, in deren Nähe die Geschädigte ihren Pkw im Freien geparkt hatte. Der Angeklagte versteckte sich in einem Gebüsch und wartete dort auf seine Frau, um sie zu überraschen, weil er befürchtete, dass sie sofort umkehren würde, falls sie ihn entdeckte. Gegen sechs Uhr verließ diese das Haus, ging zu ihrem Fahrzeug, setzte sich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Erst in diesem Moment verließ der Angeklagte sein Versteck, lief wenige Meter zum Auto, öffnete die Beifahrertür und setzte sich auf den Beifahrersitz. Seine Frau erschrak zunächst, begann aber - nachdem sie ihren Mann erkannt hatte, von dem sie nichts Gewalttätiges erwartete - eine lautstarke verbale Auseinandersetzung mit ihm. Sie forderte den Angeklagten auf, sie in Ruhe zu lassen, sie liebe ihren neuen Partner und er habe das gefälligst zu akzeptieren. Der Angeklagte verließ das Fahrzeug gleichwohl nicht und die beiden schrien sich gegenseitig an. Am Ende äußerte die Geschädigte: "Verpiss dich aus meinem Leben! Du hast mich nicht verdient! Peter ist tausendmal besser als du und zwar auch im Bett!" Der Angeklagte wurde daraufhin äußerst wütend und schlug seine Ehefrau, die aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit ihm (weiterhin) nicht mit einem Angriff rechnete, mit der rechten Faust ins Gesicht. Sie schrie weiter und er schlug mehrfach auf sie ein. Während der Auseinandersetzung zog der beträchtlich affektiv aufgeladene , in seiner Steuerungsfähigkeit aber nicht beeinträchtigte Angeklagte - "in dem sich nunmehr realisierenden Entschluss, sie zu töten" - das Küchenmesser aus der Jackentasche und begann auf seine Frau einzustechen. Sein Opfer versuchte, die Stiche mit den Händen abzuwehren und trug bereits zu diesem Zeitpunkt durch das Messer mindestens eine blutende Verletzung davon. Im weiteren Verlauf gelang es der Geschädigten, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Auto zu entkommen. Der Angeklagte folgte ihr indes unmittelbar ebenfalls durch die Fahrertür und brachte seine Frau, die bis dahin im Wesentlichen Blutergüsse am Kopf und einen Nasenbeinbruch erlitten hatte, neben dem Fahrzeug zu Boden. Sodann fügte er seinem Opfer - weiterhin um es zu töten - eine tiefe, bis an die Wirbelsäule heranreichende Schnittverletzung am Hals zu, die dazu führte, dass die Ehefrau des Angeklagten innerhalb kurzer Zeit an Ort und Stelle verblutete.
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I. Revision der Nebenkläger
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1. Die Verfahrensbeanstandung bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwaltes ohne Erfolg.
10
2. Die aufgrund der Sachbeschwerde der Nebenkläger veranlasste Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erbracht.
11
Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes hat das Landgericht verneint, weil weder eine Tötung aus niedrigen Beweggründen noch eine heimtückische Begehungsweise im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB vorliege.
12
a) Die Ablehnung niedriger Beweggründe hat das Landgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:
13
Die Voraussetzungen für die Annahme einer Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB aus krankhaft übersteigerter Eifersucht oder zur Verhinderung der Trennung seitens der Partnerin seien nicht erfüllt. Die Kammer sehe hier vielmehr ein facettenreiches Motivbündel. Das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau habe in den letzten Wochen vor der Tat einer "emotionalen Achterbahnfahrt" geglichen. Die Beziehung zwischen den Eheleuten sei von heftigen Streitigkeiten geprägt gewesen, die mit intensiven Versöhnungen abwechselten. Schließlich hätten die Konflikte in der Eröffnung der Ehefrau gegipfelt, sie habe einen anderen Mann. Der Angeklagte habe mithin begründeten Anlass zur Eifersucht gehabt, verbunden mit der Erkenntnis und der Angst, nunmehr endgültig von seiner Ehefrau verlassen zu werden, sei aber auch enttäuscht und verzweifelt über das unwiderrufliche Ende seiner bisherigen Lebens- und Familienverhältnisse und insbesondere über das Verhalten seiner Tochter gewesen. Diese Beweggründe stünden nach all- gemeiner sittlicher Wertung nicht auf tiefster Stufe und würden nicht in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; vielmehr habe sich der Angeklagte aus einem in gewisser Weise noch emotional nachvollziehbaren Konglomerat aus Eifersucht, Enttäuschung, großer Verzweiflung, narzisstisch geprägter Wut, aber auch aus endgültiger Verlustangst zur Tat entschlossen.
14
Diese Begründung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen , erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34 mwN; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 15). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35 mwN). Der Täter muss weiterhin die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie - insbesondere auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie dies etwa Verärgerung , Wut und Eifersucht sind - in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; vgl. Fischer, aaO, Rn. 82 mwN). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 419/06, NStZRR 2007, 111; Fischer, aaO, Rn. 19).
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Daran gemessen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen hat. Es hat die für die Beurteilung der Tötungsmotive des Angeklagten erforderliche umfassende Gesamtwürdigung angestellt und dabei alle für die Bewertung seiner Handlungsantriebe bedeutsamen Umstände berücksichtigt. Gegen das vom Landgericht auf diese Weise gewonnene Ergebnis, dass die Beweggründe des Angeklagten nach allgemeiner sittlicher Wertung nicht auf tiefster Stufe stehen, nicht in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb nicht als besonders verachtenswert erscheinen, ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
16
b) Einen Heimtückemord hat das Landgericht mit folgenden Ausführungen verneint:
17
Nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen seien bereits die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke. Als der Angeklagte sich am Morgen des 26. Oktober 2010 zu seiner Frau in den Pkw gesetzt habe, habe diese sich zwar offensichtlich keines Angriffs versehen. Nach der Einlassung des Angeklagten habe sich die Gesprächssituation im Fahrzeug für die Eheleute nicht als ungewöhnlich dargestellt, so dass sie über das plötzliche Erscheinen ihres Ehemannes lediglich erschrocken und ungehalten gewesen sei, nicht aber mit Gewalttätigkeiten seinerseits gerechnet habe. In diesem Verhalten (des Ange- klagten) sei aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Der Angeklagte habe zwar bereits einen bedingten Tatentschluss gefasst gehabt, als er das Küchenmesser eingesteckt habe, weil lediglich die Tatausführung, nicht aber der (grundsätzliche) Wille zur Tat davon abhängig war, wie das von ihm angestrebte Gespräch mit seiner Frau verlaufen werde. Die Schwelle zum "jetzt geht es los", sei nach seinem Tatplan jedoch erst erreicht gewesen, als der Angeklagte das Messer gezogen habe, nachdem es zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung und Faustschlägen gekommen sei, durch die das Opfer gleichsam vorgewarnt gewesen sei.
18
Arglosigkeit des Tatopfers sei allerdings auch dann anzunehmen, wenn der überraschende Angriff zwar zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt werde, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlage, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauere, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergehe. Bestehe die Situation völlig unverändert weiter und bleibe dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen, nehme die Tat also vom ersten Angriff an ihren ganz ungehemmten und nicht zu hemmenden Fortgang, so sei das Opfer arglos.
19
Im vorliegenden Fall sei indes nicht sicher festzustellen, wie viel Zeit zwischen dem ersten, auf die Äußerung der Ehefrau hin geführten Faustschlag bis zu dem Moment vergangen sei, als der Angeklagte in Tötungsabsicht das Messer gezogen und damit auf seine Ehefrau eingewirkt habe. Die zahlreichen, von der gerichtsmedizinischen Sachverständigen dargestellten Hämatome an Kopf und Körper sowie der Nasenbeinbruch ließen durchaus auf eine längere Zeitdauer schließen. Dann sei aber möglich, dass die Angegriffene aufgrund der länger andauernden Tätlichkeiten zum Zeitpunkt des ersten Messereinsatzes gerade nicht mehr arglos gewesen sei. Die Abwehrverletzungen sprächen zudem gegen deren Wehrlosigkeit ebenso wie der Umstand, dass es ihr gelungen sei, aus dem Fahrzeug hinauszukommen, auch wenn sie es nicht geschafft habe, dem Angeklagten endgültig zu entrinnen oder in irgendeiner Form mäßigend auf ihn einzuwirken. Dementsprechend könne nicht festgestellt werden, dass das Opfer zu Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs noch infolge Arglosigkeit wehrlos gewesen sei.
20
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung ebenfalls stand. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnimmt. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - 4 StR 467/06 mwN). Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können aber auch gegeben sein, wenn der Täter zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz handelt, und dann unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer infolge des überraschenden Angriffs nicht möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, so dass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (vgl. BGH, Urteile 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; vom 2. April 2008 - 2 StR 621/07, NStZ-RR 2008, 238; vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 6 sowie vom 22. Januar 2004 - 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234; vgl. auch schon BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 und vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27).
21
Daran gemessen hat sich das Landgericht mit den Voraussetzungen einer heimtückischen Tötung im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB rechtsfehlerfrei befasst. Zutreffend hat es zunächst angenommen, dass ein von Tötungsvorsatz getragener Angriff nicht schon beim Einsteigen des Angeklagten in das Fahrzeug vorlag, da er zu diesem Zeitpunkt nur einen bedingten Tötungsentschluss gefasst hatte und es noch offen war, ob die Bedingung für dessen tatsächliche Umsetzung eintreten werde. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist das Landgericht weiterhin davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch bei den zunächst mit Fäusten verübten Tätlichkeiten gegen seine Ehefrau noch mit Verletzungsvorsatz handelte und erst die sich anschließende Verwendung des Messers von Tötungsvorsatz getragen war. Dabei hat es sich auch mit der Möglichkeit des Vorliegens einer heimtückischen Tötung bei einem überraschenden - mit Körperverletzungsvorsatz geführten - Angriff auseinandergesetzt und einen solchen - auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung - mit tragfähiger Begründung im Hinblick darauf abgelehnt, dass eine längere Zeitspanne zwischen dem ersten, mit Fäusten geführten Angriff des Angeklagten und dem Hervorholen des Messers verstrichen war und es daher möglich erscheint, dass das Opfer beim ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriff nicht (mehr) arglos und - angesichts der Abwehrhandlungen gegen die ersten Messerangriffe und der sich anschließenden, kurzzeitig erfolgreichen Flucht - auch nicht mehr wehrlos war.
22
II. Revision des Angeklagten
23
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil erbracht. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Das Landgericht hat bei der - von der Revision im Einzelnen beanstandeten - Strafrahmenwahl das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213 StGB rechtsfehlerfrei verneint.
24
1. Die Ablehnung des § 213 Alt. 1 StGB hat es wie folgt begründet: Nach dieser Vorschrift wäre ein minder schwerer Fall nur gegeben, wenn der Angeklagte ohne eigene Schuld durch eine ihm zugefügte schwere Beleidigung ("Verpiss Dich aus meinem Leben! Du hast mich nicht verdient! Peter ist 1000mal besser als Du - und zwar auch im Bett!") von seiner Frau gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden wäre. Im vorliegenden Fall sei bereits fraglich, ob der Angeklagte ohne eigene Schuld gereizt worden sei, da er sich über das Verbot seiner Frau, mit ihr Kontakt aufzunehmen, hinweggesetzt , sie erneut aufgesucht und so selbst zur Verschärfung der Situation beigetragen habe. Jedenfalls sei er aber durch die Äußerungen seiner Frau nicht auf der Stelle zur Tat "hingerissen" worden. Vielmehr sei er von vornherein auf eine mögliche Konfrontation mit ihr eingestellt gewesen, er habe sie sogar mit dem bedingten Tatentschluss aufgesucht, sie zu töten, wenn das Gespräch nicht in seinem Sinne verlaufe. Bei dieser Sachlage fehle es an dem gebotenen "motivationspsychologischen Zusammenhang" zwischen der Beleidigung und der Tötungshandlung.
25
Diese Begründung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zutreffend hat das Landgericht bereits den erforderlichen Motivationszusammenhang zwi- schen der den Angeklagten zurückweisenden und abwertenden Äußerung und der Tötungshandlung verneint (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 - 2 StR 525/65, BGHSt 21, 14, 17 f. und Beschluss vom 26. Juli 1994 - 1 StR 286/94, NStZ 1995, 83). Außerdem stellt sich das Verhalten der Geschädigten nach den Feststellungen auch nicht als eine Provokation dar, die angesichts der gesamten Umstände ohne eigene Schuld des Angeklagten geschehen wäre: Nach dessen umfangreichen Nachstellungen hatte die Geschädigte dem Angeklagten schließlich kurz vor der Tat untersagt, mit ihr in Kontakt zu treten. Dies hat er am Tattag missachtet und ist dabei in einer Art und Weise vorgegangen, die seine Frau überraschte und erschreckte sowie ihr keine Möglichkeit ließ, der Konfrontation mit ihm zu entgehen. Der Aufforderung der Geschädigten, ihr Fahrzeug zu verlassen, kam er nicht nach. Dass die Geschädigte aufgrund dieser vom Angeklagten geschaffenen, ihr aufgezwungenen Situation erbost war und den Angeklagten anschrie sowie beschimpfte, ist daher maßgeblich auf das rücksichtslose Verhalten des Angeklagten zurückzuführen und stellt bei wertender Betrachtung eine verständliche Reaktion der Geschädigten dar (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 1).
26
2. Bei der Ablehnung eines sonst minder schweren Falles im Sinne von § 213 Alt. 2 StGB hat sich die Kammer von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
27
Einerseits seien der unglückselige Verlauf der Beziehung zwischen den Eheleuten im Vorfeld und die hohe affektive Aufladung des Angeklagten zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass er sich nach der Tat selbst gestellt und ein Geständnis abgelegt habe, außerdem, dass er nicht vorbestraft sei und Reue für seine Tat bekundet habe, die auch in dem Suizidversuch zu Tage getreten sei. Andererseits falle ganz erheblich ins Gewicht, dass es sich nicht um eine Spontantat gehandelt habe; vielmehr habe der Angeklagte bereits am frühen Morgen den Tatentschluss gefasst und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Daneben seien die der beabsichtigten Tötungshandlung vorgelagerten zahlreichen Verletzungen zu sehen, die allerdings keinen eigenständigen Tatbestand erfüllten. Bei Abwägung dieser Umstände sei die Anwendung des Normalstrafrahmens mit Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren nicht unverhältnismäßig.
28
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Bei Annahme oder Ablehnung eines sonst minder schweren Falles im Sinne von § 213 Alt. 2 StGB kommt es auf eine Gesamtbewertung aller bedeutsamen Umstände an (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2008 - 3 StR 484/08, NStZ-RR 2009, 139; Fischer, aaO, § 213 Rn. 12 ff. mwN). Dies hat das Landgericht beachtet und bei seiner Würdigung keine wesentlichen und bestimmenden Umstände unberücksichtigt gelassen. Auch die Revision des Angeklagten zeigt durchgreifende Rechtsfehler des Landgerichts bei der Strafrahmenwahl nicht auf. Allein die - vom Landgericht berücksichtigte - Äußerung der Geschädigten, dass ihr Liebhaber "auch im Bett" tausendmal besser sei als der Angeklagte, zwingt hier nicht zur Bewertung der Tat als minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB.
29
3. Schließlich begegnet auch die Zumessung der konkreten Strafe keinen rechtlichen Bedenken.
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 407/12
vom
25. September 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2012 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Detmold vom 30. März 2012 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte B. wurde wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen , davon drei Fälle des Versuchs, zu einer Gesamtfreiheitstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Von der zeitlich ersten Tat abgesehen, hat er nach den Urteilsfeststellungen die Taten gemeinschaftlich mit dem Angeklagten M. begangen. Dieser wurde wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen, davon drei Fälle des Versuchs, ebenso zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
3
Der Angeklagte B. war alleiniger Gesellschafter der H. GmbH (künftig: H. ); der Angeklagte M. (formal) deren alleiniger Geschäftsführer.
4
Den Taten liegt im Kern zugrunde, dass in den für die H. abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen unberechtigter Vorsteuerabzug geltend gemacht wurde. Dieser ging auf Scheinrechnungen mit Umsatzsteuerausweis zurück, die bei der H. entsprechend verbucht worden waren.
5
Zu Vorgeschichte und Ablauf der Taten ist Folgendes festgestellt:
6
Der Angeklagte B. war Alleinverantwortlicher der HAB, die mit gebrauchten Baumaschinen handelte. Sie hatte wirtschaftliche Schwierigkeiten, als er Ende 2008/Anfang 2009 den Angeklagten M. kennenlernte. Dieser hatte ebenfalls wirtschaftliche Schwierigkeiten. Mehrere von ihm geführte Unternehmen hatten Insolvenz anmelden müssen. Er war nach Verbüßung einer im Jahre 2003 wegen Umsatzsteuerhinterziehung (Schaden über 1,5 Mio. DM) verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erwerbslos und musste von Angehörigen unterstützt werden. Die Angeklagten vereinbarten , künftig im Rahmen der H. gezielt Umsatzsteuer zu hinterziehen, „ähnlich wie M. … in der Vergangenheit“.
7
M. wurde nach der ersten Tat im Mai 2009 wegen der guten "Zusammenarbeit" zum (alleinigen) Geschäftsführer der H. bei einem Fixgehalt von 1.200 Euro netto bestellt. Von seiner Mitwirkung an den Steuerhinterziehungen abgesehen, hatte er mit den Geschäften der H. kaum zu tun, war in die Abgabe von Steuererklärungen nicht involviert und konnte nur begrenzt auf Firmenkonten zugreifen. „Eigentlicher Chef“ der H. war und blieb B. .
8
Durchgeführt wurden die Umsatzsteuerhinterziehungen wie folgt:
9
M. hatte und schuf Kontakte zu Verkäufern von Baumaschinen in den Niederlanden und erwarb dort Baumaschinen mit Bargeld, das ihm B. hierfür überlassen hatte. Dabei spiegelte M. den niederländischen Verkäufern vor, nicht für die H. , sondern für andere deutsche Firmen aufzutreten, sodass die Verkäufer ihre Ausgangsrechnungen auf die vermeintlich von M. vertretenen Firmen ausstellten. Als einer der Verkäufer mit der vermeintlich von M. vertretenen Firma in Kontakt treten wollte, sorgte M. dafür, dass ihn, „um die Legende nicht zu gefährden“, zu diesem Zweck der (hier wegen Beihilfe ebenfalls abgeurteilte, nicht revidierende) Mitangeklagte K. begleitete.
10
Soweit einzelne Baumaschinen in anderen EU-Ländern gekauft worden waren, war dort nicht M. , sondern ein Angestellter der H. mit Wissen und Wollen der Angeklagten so wie geschildert tätig geworden.
11
In der Buchhaltung der H. wurden hinsichtlich der Baumaschinenan- käufe Scheinrechnungen verbucht, aus denen sich „ein inländischer Erwerb ergab“. In den Rechnungsköpfen waren jeweils als Veräußerer verschiedene in Deutschland ansässige, allerdings nicht im Baumaschinenhandel tätige Firmen ausgewiesen.
12
Diese Scheinrechnungen „ließ(en) sich unter Ausnutzung von Kontakten des Angeklagten M. leicht“ erstellen. Er kannte den gesondert verfolgten I. , der aus früherer Tätigkeit über vorlagegeeignete Unterlagen dieser Firmen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen verfügte.
13
Auf der Grundlage von 194 Scheinrechnungen wurde vom ersten Quartal 2009 bis Dezember 2010 in insgesamt 20 Voranmeldungszeiträumen unberechtigter Vorsteuerabzug geltend gemacht. Den in den Umsatzsteuervoranmeldungen bis einschließlich Mai 2010 und nochmals im Juli und August 2010 jeweils geltend gemachten Erstattungen erteilte das Finanzamt die Zustimmung und es kam zur Auszahlung seitens des Finanzamts. Wegen dieser Auszahlungen kam es bereits im Frühjahr 2010 zu einer Umsatzsteuersonderprüfung. Auch wenn sie zunächst keine konkreten Verdachtsmomente ergab, führte sie dazu, dass die H. nunmehr Belege (also die Scheinrechnungen) vorlegen musste. Deren Überprüfung führte letztlich dazu, dass für die Voranmeldungszeiträume September bis November 2010 der jeweils geltend gemachten Auszahlung von Guthaben nicht mehr zugestimmt wurde. In den letztlich vergeblichen Versuch, in diesem Zusammenhang das Finanzamt zu täuschen, war auf Initiative M. s erneut auch K. verwickelt.
14
In den Voranmeldungszeiträumen Juni und Dezember 2010 meldete die H. Zahllasten an, so dass es einer Zustimmung des Finanzamts in diesen Fällen nicht bedurfte.
15
Insgesamt belief sich der unberechtigt geltend gemachte Vorsteuerabzug auf über 1,3 Mio. Euro.
16
Im weiteren Verlauf wurde ein gegen die H. gerichteter Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen.
17
Die Revision des Angeklagten B. ist näher ausgeführt auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt, die Revision des Angeklagten M. auf die näher ausgeführte Sachrüge. Die Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
18
I. Verfahrensrüge(n) des Angeklagten B. :
19
Das Vorbringen, „diverse“ Beweisanträge seien zurückgewiesen und Hilfsbeweisanträge „zum Teil“ nicht beschieden, genügt nicht den Anforderun- gen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und wäre unbegründet.
20
1. Die Strafkammer hat die von der Revision genannten Anträge mit einzelfallbezogener Begründung (z.B. wegen Bedeutungslosigkeit, Wahrunterstellung u.a.) abgelehnt.
21
Nach dem Revisionsvorbringen sollen sämtliche Beschlüsse im Kern (offenbar ) deshalb fehlerhaft sein, weil die Strafkammer die von ihr erhobenen Beweise nach Auffassung der Revision falsch gewürdigt hat. Insoweit, so die Revision selbst, „vermengt sich die … Prozessrüge mit der Sachrüge“. Auf die Ablehnung der einzelnen Anträge geht die Revision nur vereinzelt konkret ein.
22
Bei einer Reihe dieser Anträge handelte es sich nicht um Beweisanträge, sondern Beweisermittlungsanträge:
23
a) Der Antrag auf Vernehmung sämtlicher in der Anklage aufgeführten (§ 200 Abs. 1 Satz 2 StPO), aber noch nicht vernommenen Zeugen nennt kein Beweisthema. Auch verdeutlicht das Revisionsvorbringen entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, um welche Zeugen es sich konkret handelt.
24
b) Der Zeuge W. sollte bekunden, er hätte „entweder bei einer Baufirma oder einer Nutzfahrzeugshandelsfirma“ Fahrzeuge abgeholt, und dabei im Auf- trag M. s entweder „in dessen eigenem oder fremden Namen“ gehandelt. Sind mehrere, sich gegenseitig ausschließende Tatsachen in das Wissen eines Zeugen gestellt, fehlt auch bei einem einheitlichen Beweisziel eine bestimmte Tatsachenbehauptung (BGH, Beschluss vom 13. November 1997 - 1 StR 627/97 mwN).
25
c) Der Antrag, zum Beweis des Herkunftsorts der Lieferungen des ersten Halbjahres 2009 die „entsprechenden Frachtpapiere“ zu verlesen,hätte erfordert , die einschlägigen Dokumente erst aus einer Vielzahl vergleichbarer Dokumente herauszusuchen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1999 - 1 StR 672/98 mwN).
26
d) Ob der Antrag auf erneute Vernehmung eines Zeugen ein Beweisantrag ist, hängt davon ab, wozu er bereits ausgesagt hatte (BGH, Urteil vom 21. März 2002 - 5 StR 566/01 mwN). Hierzu ist jedoch nichts vorgetragen.
27
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch Zurückweisung dieser Anträge (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1997 - 1 StR 627/97 mwN) ist weder ausdrücklich noch der Sache nach in zulässiger Form geltend gemacht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, was die Strafkammer zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt hätte.
28
2. Die Behauptung, Hilfsbeweisanträge seien im Urteil übergangen, ist unbehelflich, da deren Inhalt nicht mitgeteilt ist.
29
3. Auch hinsichtlich der verbleibenden Anträge ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem insgesamt pauschal gehaltenen Revisionsvorbringen und den Urteilsgründen Teile herauszufiltern, die zu einer hinreichend angebrachten Rüge zusammengefügt werden könnten. Dann bestimmte statt des hierzu berufenen Revisionsführers das Revisionsgericht selbst den Gegenstand seiner Überprüfung.

30
4. Selbst wenn man - in welchem Umfang auch immer - einzelne Verfahrensrügen für zulässig erhoben hielte (was, wie dargelegt, zu verneinen ist), wären sie unbegründet, wie dies der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat.
31
II. Zur Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs:
32
1. Die Auffassung (Revisionsbegründung M. ), der Umfang der hinterzogenen Steuern sei mangels hinreichender Darlegung nicht überprüfbar, ist unzutreffend. Jede Scheinrechnung ist tabellarisch aufgeführt, ebenso die darin ausgewiesene Umsatzsteuer. Auch ist für jeden Voranmeldungszeitraum die sich daraus ergebende Gesamtsumme zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuer ausdrücklich genannt.
33
2. Auch sonst sind die Schuldsprüche rechtsfehlerfrei.
34
a) Angeklagter B. :
35
Das Revisionsvorbringen zeigt die Möglichkeit einer den Angeklagten belastenden rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung nicht auf.
36
b) Angeklagter M. :
37
Die Strafkammer hat, ihren Beurteilungsspielraum bei der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe (BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 5 StR 403/04) nicht überschritten. Zwar erbrachte M. seine Tatbeiträge lediglich im Vorfeld der falschen Steuererklärungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28. Mai 1986 - 3 StR 103/86); aufgrund dieser Tatbeiträge kam ihm jedoch nach der rechtsfehlerfreien Wertung der Strafkammer eine „Schlüsselstellung“ bei den gemeinschaftlich geplanten Taten zu. Er verfügte über einschlägige Erfahrungen und die erforderlichen Kontakte und sorgte dafür, dass I. und K. die Taten unterstützten. Unter diesen Umständen brauchte die Strafkammer auch die Annahme von Mittäterschaft nicht breiter als geschehen zu begründen.
38
Auch sonst sind Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ersichtlich.
39
III. Zur Sachrüge hinsichtlich der Strafaussprüche:
40
1. Zu den Strafrahmen:
41
Die Strafkammer hat die Strafrahmen nicht rechtsfehlerfrei bestimmt, jedoch ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten:
42
a) Täuscht der Täter, wie hier, steuermindernde Umstände vor, indem er nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht, liegt (hier auf den jeweiligen Anmeldungszeitraum bezogen) ab einem Betrag von 50.000 Euro eine Steuerverkürzung großen Ausmaßes (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) vor. Dies hat die Strafkammer nicht verkannt, sie hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht auf die allein maßgebliche Summe des zu Unrecht anerkannten (bzw. in den Versuchsfällen: geltend gemachten) Vorsteuerabzugs abgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 1 StR 579/11). Vielmehr hat sie darauf abgestellt, ob es „zu Auszahlungen in Höhe von mehr als 50.000 Euro gekommen war“.
43
b) Die Frage, ob und in welcher Höhe es zu Auszahlungen gekommen ist, sagt aber nichts über die Höhe der verkürzten Steuern aus. Vielmehr hängt die Höhe von Auszahlungen oder verbleibenden Zahllasten allein von der Höhe der gemäß § 16 Abs. 1 UStG berechneten Umsatzsteuer einerseits und der Höhe der insgesamt geltend gemachten Vorsteuerbeträge andererseits ab. In dieses Ergebnis (Saldo) können also auch wahrheitsgemäß geltend gemachte Vorgänge einfließen. Wahrheitsgemäße Angaben können aber auf die Höhe des durch falsche Angaben zu anderen Vorgängen verursachten Schadens keinen Einfluss haben.
44
c) Der aufgezeigte Mangel bei der Strafrahmenbestimmung bleibt hier im Ergebnis unschädlich. In den Fällen, in denen die Strafkammer von einer Steuerverkürzung großen Ausmaßes ausgegangen ist, lag der Verkürzungsbetrag stets über 50.000 Euro. Soweit die Strafkammer wiederholt, meist durch das Abstellen auf die Höhe der Auszahlungsbeträge (für die Abrechnungszeiträume zweites Quartal 2009, Dezember 2009, Februar 2010, Juni 2010, August 2010, September 2010, November 2010) zu Unrecht eine Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall verneint hat (zum Strafrahmen in den Versuchsfällen vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2010 - 1 StR 332/10 mwN), sind die Angeklagten nicht beschwert.
45
d) Soweit besonders schwere Fälle angenommen sind, bestehen zur subjektiven Seite (auch) des Angeklagten M. - anders als seine Revision meint - keine Bedenken. Er war bei der H. ausschließlich zum Zwecke der Steuerhinterziehung tätig und hat sie maßgeblich ermöglicht. Die Möglichkeit, dass sein Vorsatz eine Steuerhinterziehung in dem jeweilig gegebenen Umfang nicht umfasst hätte, liegt daher fern (in vergleichbarem Sinne BGH, Beschluss vom 26. März 2004 - 1 StR 567/03; Urteil vom 4. September 1996 - 2 StR 299/96), auch wenn er an der Erstellung der unrichtigen Steuererklärungen nicht unmittelbar beteiligt war. Fernliegende Möglichkeiten sind aber nicht erörterungsbedürftig.
46
2. Zur konkreten Strafzumessung:
47
a) Auch hierbei hat sich der aufgezeigte Mangel nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt. In den meisten Fällen führte er dazu, dass die Strafkammer von einem zu niedrigen Hinterziehungsbetrag ausgegangen ist. Die für die Strafzumessung maßgebliche Größenordnung des Steuerschadens hat sich aber auch in den wenigen Fällen nicht verändert, in denen die Strafkammer von einem zu hohen Betrag ausgegangen ist.
48
b) Das Revisionsvorbringen des Angeklagten M. zeigt die Möglichkeit beschwerender Rechtsfehler nicht auf:
49
(1) Zu Unrecht nicht strafmildernd gewertetes Verhalten des Finanzamts ist nicht ersichtlich. Das Revisionsvorbringen im Zusammenhang mit der Sonderprüfung - so sei etwa ein gebotener Abgleich von Steuernummern unterblieben - kann auf sich beruhen. Ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass staatliche Stellen rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern. (Vorwerfbares) Verhalten des Steuerfiskus kann regelmäßig allenfalls dann zu einer milderen Beurteilung von Steuerhinterziehung führen, wenn es das Täterverhalten unmittelbar beeinflusst hat und die Tatgenese den staatlichen Entscheidungsträgern vorzuwerfen ist (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10 mwN). Hierfür spricht vorliegend nichts. Vielmehr haben die Ermittlungen des Finanzamtes den (die) Angeklagten nicht von der Fortsetzung des bisherigen strafbaren Verhaltens abgehalten. Dies spricht für besondere kriminelle Hartnäckigkeit, ergibt aber offensichtlich keine strafmildernden Gesichtspunkte.
50
(2) Vergeblich macht die Revision geltend, die Strafkammer habe die strafmildernde Bedeutung serienmäßiger Tatbegehung verkannt:
51
Eine strafmildernde Berücksichtigung serienmäßiger Tatbegehung kann vor allem dann zu erwägen sein, wenn die einzelnen Taten räumlich, zeitlich oder sonst besonders eng verschränkt sind. Dies ist hier nicht der Fall. Im Übrigen kann sich das Vorliegen einer Vielzahl gleichartiger Taten je nach den Umständen des Falles auf die Strafzumessung unterschiedlich auswirken (BGH, Urteil vom 15. Mai 1991 - 2 StR 130/91 mwN). Allein die zunehmende Gewöhnung an die Begehung gleichartiger Straftaten wäre aber nicht strafmildernd (BGH, Urteil vom 18. September 1995 - 1 StR 463/95). Anderes ist hier nicht ersichtlich.
52
Der Senat bemerkt, dass der Unwertgehalt von Steuerstraftaten maßgeblich auch durch die Höhe des Steuerschadens bestimmt ist. Da serienmäßige Tatbegehung bei Steuerstraftaten zu höherem Steuerschaden führt, hat sie regelmäßig strafschärfende Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 1 StR 459/11; Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08 jew. mwN).
53
(3) Die Revision meint, I. habe zwar einen „gleichgewichtigen oder gar noch gewichtigeren Tatbeitrag“ geleistet, sei aber dennoch bisher nicht angeklagt oder verurteilt worden. Dies hätte strafmildernd berücksichtigt werden müssen.
54
Die Urteilsgründe ergeben schon keine nachvollziehbare Grundlage für die genannte Gewichtung des Tatbeitrages von I. und bestätigen auch den behaupteten Verfahrensstand nicht.
55
Unabhängig davon hat aber der Stand eines Verfahrens gegen einen anderen Tatbeteiligten ohnehin für die Strafzumessung keine Bedeutung. Es gilt nichts anderes als hinsichtlich der Strafzumessung gegen Tatbeteiligte in anderen Urteilen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - 1 StR 282/11 mwN). Die Revision stützt ihre gegenteilige Auffassung auf Rechtsprechung zur Strafzu- messung gegen „Mauerschützen“ (BGH, Urteil vom 3.November 1992 - 5 StR 370/92) oder in vergleichbaren Fällen (BGH, Urteil vom 3. März 1993 - 5 StR 546/92), wonach auch eine Rolle spielte, dass damals hierarchisch übergeordnete Verantwortliche noch nicht abgeurteilt waren. Derartige Besonderheiten liegen hier nicht vor.
56
(4) Die Revision hält es unter Berufung auf BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 5 StR 600/01 für strafmildernd, dass der Angeklagte trotz seines verhältnismäßig geringen Beuteanteils gemäß § 71 AO als Haftungsschuldner für die gesamte hinterzogene Steuer herangezogen werden könne.
57
Der Senat teilt diese Auffassung nicht.
58
aa) § 71 AO hat Schadensersatzcharakter und ist keine zusätzliche Strafsanktion für steuerunehrliches Verhalten (vgl. zusammenfassend Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 71 Rn. 2 mwN). Letztlich muss derjenige, der sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt, für den von ihm (mit)verschuldeten Schaden ebenso einstehen, wie sonst ein Beteiligter an einer unerlaubten Handlung auch (§ 830 BGB). Allein die gesetzliche Pflicht, schuldhaft - hier vorsätzlich - (mit)verursachten Schaden ersetzen zu müssen, kann sich jedenfalls regelmäßig nicht strafmildernd auswirken.
59
bb) Es entspricht auch nicht der sonstigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , möglicherweise wegen der Straftat (bzw. des Strafurteils) zu erwartenden behördlichen Anordnungen strafzumessungsrechtliche Bedeutung zuzuerkennen, wenn die Verwaltungsbehörde dabei die Umstände des Einzelfalls in ihre Entschließung einzubeziehen hat (st. Rspr.; zu möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen einer Verurteilung vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 1 StR 407/11 mwN). Die Möglichkeit fachgerichtlicher Überprüfung dieser Maßnahmen schützt vor besonderen, vom Gesetzeszweck nicht umfassten Härten (BGH aaO).
60
Es liegt nahe, diese Grundsätze auch hier anzuwenden. Ein Haftungsbescheid gemäß §§ 71, 191 AO steht im Ermessen der Finanzbehörden (zu den dabei wesentlichen Gesichtspunkten vgl. Rüsken aaO § 191 Rn. 30 - 62 mwN). Eine entsprechende Entscheidung unterliegt finanzgerichtlicher Überprüfung ; dabei ist Besonderheiten des Einzelfalles erforderlichenfalls Rechnung zu tragen (vgl. nur BFH, Urteil vom 21. Januar 2004 - XI R 3/03; zu vorläufigem gerichtlichen Rechtsschutz vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 24. April 2012 - 2 V 233/11).
61
cc) Unabhängig davon käme eine strafmildernde Berücksichtigung einer möglichen Heranziehung gemäß § 71 AO allenfalls dann in Betracht, wenn der Angeklagte nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls tatsächlich mit seiner Heranziehung „rechnen muss“ (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 5 StR 600/01) und dies eine besondere Härte darstellen würde (vgl. BGH, Ur- teil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06). Anhaltspunkte für eine solche Prognose sind jedoch nicht erkennbar:
62
Der Angeklagte ist erwerbs- und vermögenslos. Daher würden ihn auch die praktischen Folgen eines Haftungsbescheides schwerlich in besonderem Maße belasten, selbst wenn das Finanzamt, das schon aus Zweckmäßigkeitserwägungen naheliegend auch berücksichtigt, bei wem der Steueranspruch „am schnellsten, leichtesten und sichersten realisiert werden kann“ (Rüsken aaO Rn. 60 mwN), einen solchen Bescheid gegen ihn erlassen sollte.
63
Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass fern liegende Möglichkeiten nicht erörtert werden müssen.
64
(5) Die Revision hält das Alter des (1949 geborenen) Angeklagten bei den Taten und bei einem (etwaigen) Strafantritt nicht für hinlänglich gewürdigt.
65
Das „fortgeschrittene Alter“ desAngeklagten ist bei der Strafzumessung genannt. Weitere Ausführungen waren nicht geboten.
66
Im Alter von 60 und 61 Jahren begangene Steuerhinterziehungen im Rahmen eines hierfür selbst geschaffenen komplexen Systems sprechen gegen einen für das Maß der Schuld und damit die Strafzumessung bedeutsamen Altersabbau. Dies gilt umso mehr bei einem Angeklagten, der gleichartige Taten auch schon früher begangen hat (BGH, Urteil vom 11. August 1998 - 1 StR 338/98 mwN).

67
Die Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe hat den Angeklagten nicht von einschlägigen neuen Taten abgehalten. Ohne konkrete Anhaltspunkte musste daher hier nicht allein wegen des Zeitablaufs seit der letzten Strafverbüßung erwogen werden, ob er jetzt gleichwohl durch den Strafvollzug voraussichtlich besonders stark beeindruckbar (haftempfindlich) sein könnte.
68
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass das Alter des Angeklagten hier die Erörterung seiner Chance, zu Lebzeiten „wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“ (BGH, Urteil vom 27. April 2006 - 4 StR 572/05 mwN), erfordert hätte.
69
(6) Die Auffassung der Revision, für die Bemessung der Dauer des - angesichts seiner aus den Urteilsgründen ersichtlichen Komplexität ohne erkennbare Verzögerung durchgeführten - Verfahrens sei der Beginn des strafbaren Verhaltens maßgeblich, liegt neben der Sache.
70
(7) Gleiches gilt für die Ausführungen zu einer „Nähe der Tilgungsreife“ hinsichtlich der Vorstrafe. Diese wäre selbst bei straffreiem Verhalten erst 2020 tilgungsreif geworden (§ 46 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3, § 47 Abs. 3 BZRG).
71
(8) Schließlich gehen auch die Angriffe dagegen fehl, dass der Angeklagte ebenso hoch bestraft wurde wie der Angeklagte B. . Die Strafkammer hat insoweit zusammenfassend erwogen, dass B- zwar ein „größeres Eigeninteresse“ an den Taten hatte, also hiervon erheblich mehr pro- fitierte, dafür aber nicht vorbestraft ist. Die Ausführungen der Revision erschöpfen sich in dem unbehelflichen Versuch, rechtsfehlerfreies tatrichterliches Ermessen durch eigenes Ermessen zu ersetzen.
72
3. Auch sonst sind keine die Angeklagten beschwerenden rechtsfehlerhaften Strafzumessungserwägungen ersichtlich.

RiBGH Hebenstreit ist in den Ruhestand getreten und daher an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 425/11
vom
1. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
1. März 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juli 2011 werden verworfen.
Der Angeklagte und die Nebenkläger haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Nebenkläger , die die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB erstreben. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel der Nebenkläger sind zulässig (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO), aber unbegründet. Auch die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte seine Ehefrau am Morgen des 26. Oktober 2010 neben ihrem Pkw mit einem Küchenmesser. Im Einzelnen:
3
Nach ehelichen Streitigkeiten, die zwar nie zu Tätlichkeiten führten, indes mehrfach zur Folge hatten, dass die Geschädigte zu ihren Eltern zog, nahm diese - ohne Kenntnis des Angeklagten - ein intimes Verhältnis zu einem seiner Bekannten auf und bezog im August 2010 eine eigene Wohnung. Der Angeklagte wurde von diesem Verhalten seiner Ehefrau völlig überrascht.
4
In den folgenden Wochen kam es mehrfach zu Versöhnungen und erneuten Trennungen der Eheleute. Dabei verhielt sich insbesondere das Opfer sehr wechselhaft, während der Angeklagte zwar in den Trennungsphasen mit einer anderen Frau zusammentraf, aber stets bereit war, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Nachdem die Geschädigte am 16. Oktober 2010 ihre Wohnung gekündigt hatte und wieder in die eheliche Wohnung eingezogen war, eröffnete sie dem Angeklagten schon zwei Tage später, wer ihr Liebhaber ist und dass sie diesen liebe. Dieser sei ein besserer Mensch und dem Angeklagten in allem überlegen. Die Geschädigte verließ den Angeklagten sodann endgültig und bezog erneut ihre Wohnung.
5
In der Folgezeit versuchte der Angeklagte immer wieder seine Ehefrau telefonisch zu erreichen, erschien vor ihrer Wohnung sowie an ihrer Arbeitsstelle und beobachtete sie. Einige Tage vor der Tat verbot die Geschädigte dem Angeklagten, der morgens vor ihrem Haus auf sie gewartet hatte, sie an ihrem Arbeitsplatz und auch bei anderen Gelegenheiten aufzusuchen.
6
In den Tagen vor der Tat beobachtete der Angeklagte weiterhin die Wohnung seiner Ehefrau auch von einem Baum aus. Er stellte dabei fest, dass das Kraftfahrzeug des neuen Partners seiner Frau in deren Garage stand und seine Tochter mit ihrer Familie einen Abend mit der Geschädigten und deren neuen Partner verbrachte. Am Abend vor der Tat sah der Angeklagte - erneut von einem Baum aus -, dass der neue Partner seiner Ehefrau das Haus betrat und war davon überzeugt zu erkennen, dass es im Wohnzimmer zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden kam.
7
Die Nacht vor der Tat verbrachte der Angeklagte unruhig, stand gegen fünf Uhr auf und beschloss, nochmals eine Begegnung mit seiner Ehefrau herbeizuführen und mit ihr über ihre Beziehung zu reden. Beim Verlassen seines Hauses nahm er schwarze Lederhandschuhe mit und steckte ein Küchenmesser mit einer 19 cm langen Klinge in seine Jackentasche, um seine Ehefrau zu töten, falls das Gespräch mit ihr "nicht in seinem Sinne" verlaufen werde. Der Angeklagte stellte seinen Pkw auf einem in der Nähe des Wohnhauses seiner Ehefrau gelegenen Parkplatz ab, ging sodann durch ein kleines Wäldchen in Richtung des Hauses und wartete im Schutz der Bäume zunächst darauf, dass das Licht in der Wohnung seiner Frau anging. Als dies der Fall war, begab er sich zu den jenseits der Auffahrt liegenden Garagen, in deren Nähe die Geschädigte ihren Pkw im Freien geparkt hatte. Der Angeklagte versteckte sich in einem Gebüsch und wartete dort auf seine Frau, um sie zu überraschen, weil er befürchtete, dass sie sofort umkehren würde, falls sie ihn entdeckte. Gegen sechs Uhr verließ diese das Haus, ging zu ihrem Fahrzeug, setzte sich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Erst in diesem Moment verließ der Angeklagte sein Versteck, lief wenige Meter zum Auto, öffnete die Beifahrertür und setzte sich auf den Beifahrersitz. Seine Frau erschrak zunächst, begann aber - nachdem sie ihren Mann erkannt hatte, von dem sie nichts Gewalttätiges erwartete - eine lautstarke verbale Auseinandersetzung mit ihm. Sie forderte den Angeklagten auf, sie in Ruhe zu lassen, sie liebe ihren neuen Partner und er habe das gefälligst zu akzeptieren. Der Angeklagte verließ das Fahrzeug gleichwohl nicht und die beiden schrien sich gegenseitig an. Am Ende äußerte die Geschädigte: "Verpiss dich aus meinem Leben! Du hast mich nicht verdient! Peter ist tausendmal besser als du und zwar auch im Bett!" Der Angeklagte wurde daraufhin äußerst wütend und schlug seine Ehefrau, die aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit ihm (weiterhin) nicht mit einem Angriff rechnete, mit der rechten Faust ins Gesicht. Sie schrie weiter und er schlug mehrfach auf sie ein. Während der Auseinandersetzung zog der beträchtlich affektiv aufgeladene , in seiner Steuerungsfähigkeit aber nicht beeinträchtigte Angeklagte - "in dem sich nunmehr realisierenden Entschluss, sie zu töten" - das Küchenmesser aus der Jackentasche und begann auf seine Frau einzustechen. Sein Opfer versuchte, die Stiche mit den Händen abzuwehren und trug bereits zu diesem Zeitpunkt durch das Messer mindestens eine blutende Verletzung davon. Im weiteren Verlauf gelang es der Geschädigten, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Auto zu entkommen. Der Angeklagte folgte ihr indes unmittelbar ebenfalls durch die Fahrertür und brachte seine Frau, die bis dahin im Wesentlichen Blutergüsse am Kopf und einen Nasenbeinbruch erlitten hatte, neben dem Fahrzeug zu Boden. Sodann fügte er seinem Opfer - weiterhin um es zu töten - eine tiefe, bis an die Wirbelsäule heranreichende Schnittverletzung am Hals zu, die dazu führte, dass die Ehefrau des Angeklagten innerhalb kurzer Zeit an Ort und Stelle verblutete.
8
I. Revision der Nebenkläger
9
1. Die Verfahrensbeanstandung bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwaltes ohne Erfolg.
10
2. Die aufgrund der Sachbeschwerde der Nebenkläger veranlasste Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erbracht.
11
Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes hat das Landgericht verneint, weil weder eine Tötung aus niedrigen Beweggründen noch eine heimtückische Begehungsweise im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB vorliege.
12
a) Die Ablehnung niedriger Beweggründe hat das Landgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:
13
Die Voraussetzungen für die Annahme einer Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB aus krankhaft übersteigerter Eifersucht oder zur Verhinderung der Trennung seitens der Partnerin seien nicht erfüllt. Die Kammer sehe hier vielmehr ein facettenreiches Motivbündel. Das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau habe in den letzten Wochen vor der Tat einer "emotionalen Achterbahnfahrt" geglichen. Die Beziehung zwischen den Eheleuten sei von heftigen Streitigkeiten geprägt gewesen, die mit intensiven Versöhnungen abwechselten. Schließlich hätten die Konflikte in der Eröffnung der Ehefrau gegipfelt, sie habe einen anderen Mann. Der Angeklagte habe mithin begründeten Anlass zur Eifersucht gehabt, verbunden mit der Erkenntnis und der Angst, nunmehr endgültig von seiner Ehefrau verlassen zu werden, sei aber auch enttäuscht und verzweifelt über das unwiderrufliche Ende seiner bisherigen Lebens- und Familienverhältnisse und insbesondere über das Verhalten seiner Tochter gewesen. Diese Beweggründe stünden nach all- gemeiner sittlicher Wertung nicht auf tiefster Stufe und würden nicht in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; vielmehr habe sich der Angeklagte aus einem in gewisser Weise noch emotional nachvollziehbaren Konglomerat aus Eifersucht, Enttäuschung, großer Verzweiflung, narzisstisch geprägter Wut, aber auch aus endgültiger Verlustangst zur Tat entschlossen.
14
Diese Begründung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen , erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34 mwN; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 15). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen nach der Rechtsprechung in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35 mwN). Der Täter muss weiterhin die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie - insbesondere auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie dies etwa Verärgerung , Wut und Eifersucht sind - in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; vgl. Fischer, aaO, Rn. 82 mwN). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 419/06, NStZRR 2007, 111; Fischer, aaO, Rn. 19).
15
Daran gemessen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen hat. Es hat die für die Beurteilung der Tötungsmotive des Angeklagten erforderliche umfassende Gesamtwürdigung angestellt und dabei alle für die Bewertung seiner Handlungsantriebe bedeutsamen Umstände berücksichtigt. Gegen das vom Landgericht auf diese Weise gewonnene Ergebnis, dass die Beweggründe des Angeklagten nach allgemeiner sittlicher Wertung nicht auf tiefster Stufe stehen, nicht in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb nicht als besonders verachtenswert erscheinen, ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
16
b) Einen Heimtückemord hat das Landgericht mit folgenden Ausführungen verneint:
17
Nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen seien bereits die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke. Als der Angeklagte sich am Morgen des 26. Oktober 2010 zu seiner Frau in den Pkw gesetzt habe, habe diese sich zwar offensichtlich keines Angriffs versehen. Nach der Einlassung des Angeklagten habe sich die Gesprächssituation im Fahrzeug für die Eheleute nicht als ungewöhnlich dargestellt, so dass sie über das plötzliche Erscheinen ihres Ehemannes lediglich erschrocken und ungehalten gewesen sei, nicht aber mit Gewalttätigkeiten seinerseits gerechnet habe. In diesem Verhalten (des Ange- klagten) sei aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Der Angeklagte habe zwar bereits einen bedingten Tatentschluss gefasst gehabt, als er das Küchenmesser eingesteckt habe, weil lediglich die Tatausführung, nicht aber der (grundsätzliche) Wille zur Tat davon abhängig war, wie das von ihm angestrebte Gespräch mit seiner Frau verlaufen werde. Die Schwelle zum "jetzt geht es los", sei nach seinem Tatplan jedoch erst erreicht gewesen, als der Angeklagte das Messer gezogen habe, nachdem es zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung und Faustschlägen gekommen sei, durch die das Opfer gleichsam vorgewarnt gewesen sei.
18
Arglosigkeit des Tatopfers sei allerdings auch dann anzunehmen, wenn der überraschende Angriff zwar zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt werde, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlage, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauere, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergehe. Bestehe die Situation völlig unverändert weiter und bleibe dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen, nehme die Tat also vom ersten Angriff an ihren ganz ungehemmten und nicht zu hemmenden Fortgang, so sei das Opfer arglos.
19
Im vorliegenden Fall sei indes nicht sicher festzustellen, wie viel Zeit zwischen dem ersten, auf die Äußerung der Ehefrau hin geführten Faustschlag bis zu dem Moment vergangen sei, als der Angeklagte in Tötungsabsicht das Messer gezogen und damit auf seine Ehefrau eingewirkt habe. Die zahlreichen, von der gerichtsmedizinischen Sachverständigen dargestellten Hämatome an Kopf und Körper sowie der Nasenbeinbruch ließen durchaus auf eine längere Zeitdauer schließen. Dann sei aber möglich, dass die Angegriffene aufgrund der länger andauernden Tätlichkeiten zum Zeitpunkt des ersten Messereinsatzes gerade nicht mehr arglos gewesen sei. Die Abwehrverletzungen sprächen zudem gegen deren Wehrlosigkeit ebenso wie der Umstand, dass es ihr gelungen sei, aus dem Fahrzeug hinauszukommen, auch wenn sie es nicht geschafft habe, dem Angeklagten endgültig zu entrinnen oder in irgendeiner Form mäßigend auf ihn einzuwirken. Dementsprechend könne nicht festgestellt werden, dass das Opfer zu Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs noch infolge Arglosigkeit wehrlos gewesen sei.
20
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung ebenfalls stand. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnimmt. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - 4 StR 467/06 mwN). Das Opfer muss weiter gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Arg- und Wehrlosigkeit können aber auch gegeben sein, wenn der Täter zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz handelt, und dann unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer infolge des überraschenden Angriffs nicht möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, so dass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (vgl. BGH, Urteile 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; vom 2. April 2008 - 2 StR 621/07, NStZ-RR 2008, 238; vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 6 sowie vom 22. Januar 2004 - 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234; vgl. auch schon BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 und vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27).
21
Daran gemessen hat sich das Landgericht mit den Voraussetzungen einer heimtückischen Tötung im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB rechtsfehlerfrei befasst. Zutreffend hat es zunächst angenommen, dass ein von Tötungsvorsatz getragener Angriff nicht schon beim Einsteigen des Angeklagten in das Fahrzeug vorlag, da er zu diesem Zeitpunkt nur einen bedingten Tötungsentschluss gefasst hatte und es noch offen war, ob die Bedingung für dessen tatsächliche Umsetzung eintreten werde. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist das Landgericht weiterhin davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch bei den zunächst mit Fäusten verübten Tätlichkeiten gegen seine Ehefrau noch mit Verletzungsvorsatz handelte und erst die sich anschließende Verwendung des Messers von Tötungsvorsatz getragen war. Dabei hat es sich auch mit der Möglichkeit des Vorliegens einer heimtückischen Tötung bei einem überraschenden - mit Körperverletzungsvorsatz geführten - Angriff auseinandergesetzt und einen solchen - auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung - mit tragfähiger Begründung im Hinblick darauf abgelehnt, dass eine längere Zeitspanne zwischen dem ersten, mit Fäusten geführten Angriff des Angeklagten und dem Hervorholen des Messers verstrichen war und es daher möglich erscheint, dass das Opfer beim ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriff nicht (mehr) arglos und - angesichts der Abwehrhandlungen gegen die ersten Messerangriffe und der sich anschließenden, kurzzeitig erfolgreichen Flucht - auch nicht mehr wehrlos war.
22
II. Revision des Angeklagten
23
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil erbracht. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Das Landgericht hat bei der - von der Revision im Einzelnen beanstandeten - Strafrahmenwahl das Vorliegen eines minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213 StGB rechtsfehlerfrei verneint.
24
1. Die Ablehnung des § 213 Alt. 1 StGB hat es wie folgt begründet: Nach dieser Vorschrift wäre ein minder schwerer Fall nur gegeben, wenn der Angeklagte ohne eigene Schuld durch eine ihm zugefügte schwere Beleidigung ("Verpiss Dich aus meinem Leben! Du hast mich nicht verdient! Peter ist 1000mal besser als Du - und zwar auch im Bett!") von seiner Frau gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden wäre. Im vorliegenden Fall sei bereits fraglich, ob der Angeklagte ohne eigene Schuld gereizt worden sei, da er sich über das Verbot seiner Frau, mit ihr Kontakt aufzunehmen, hinweggesetzt , sie erneut aufgesucht und so selbst zur Verschärfung der Situation beigetragen habe. Jedenfalls sei er aber durch die Äußerungen seiner Frau nicht auf der Stelle zur Tat "hingerissen" worden. Vielmehr sei er von vornherein auf eine mögliche Konfrontation mit ihr eingestellt gewesen, er habe sie sogar mit dem bedingten Tatentschluss aufgesucht, sie zu töten, wenn das Gespräch nicht in seinem Sinne verlaufe. Bei dieser Sachlage fehle es an dem gebotenen "motivationspsychologischen Zusammenhang" zwischen der Beleidigung und der Tötungshandlung.
25
Diese Begründung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zutreffend hat das Landgericht bereits den erforderlichen Motivationszusammenhang zwi- schen der den Angeklagten zurückweisenden und abwertenden Äußerung und der Tötungshandlung verneint (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 - 2 StR 525/65, BGHSt 21, 14, 17 f. und Beschluss vom 26. Juli 1994 - 1 StR 286/94, NStZ 1995, 83). Außerdem stellt sich das Verhalten der Geschädigten nach den Feststellungen auch nicht als eine Provokation dar, die angesichts der gesamten Umstände ohne eigene Schuld des Angeklagten geschehen wäre: Nach dessen umfangreichen Nachstellungen hatte die Geschädigte dem Angeklagten schließlich kurz vor der Tat untersagt, mit ihr in Kontakt zu treten. Dies hat er am Tattag missachtet und ist dabei in einer Art und Weise vorgegangen, die seine Frau überraschte und erschreckte sowie ihr keine Möglichkeit ließ, der Konfrontation mit ihm zu entgehen. Der Aufforderung der Geschädigten, ihr Fahrzeug zu verlassen, kam er nicht nach. Dass die Geschädigte aufgrund dieser vom Angeklagten geschaffenen, ihr aufgezwungenen Situation erbost war und den Angeklagten anschrie sowie beschimpfte, ist daher maßgeblich auf das rücksichtslose Verhalten des Angeklagten zurückzuführen und stellt bei wertender Betrachtung eine verständliche Reaktion der Geschädigten dar (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 1).
26
2. Bei der Ablehnung eines sonst minder schweren Falles im Sinne von § 213 Alt. 2 StGB hat sich die Kammer von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:
27
Einerseits seien der unglückselige Verlauf der Beziehung zwischen den Eheleuten im Vorfeld und die hohe affektive Aufladung des Angeklagten zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass er sich nach der Tat selbst gestellt und ein Geständnis abgelegt habe, außerdem, dass er nicht vorbestraft sei und Reue für seine Tat bekundet habe, die auch in dem Suizidversuch zu Tage getreten sei. Andererseits falle ganz erheblich ins Gewicht, dass es sich nicht um eine Spontantat gehandelt habe; vielmehr habe der Angeklagte bereits am frühen Morgen den Tatentschluss gefasst und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Daneben seien die der beabsichtigten Tötungshandlung vorgelagerten zahlreichen Verletzungen zu sehen, die allerdings keinen eigenständigen Tatbestand erfüllten. Bei Abwägung dieser Umstände sei die Anwendung des Normalstrafrahmens mit Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren nicht unverhältnismäßig.
28
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Bei Annahme oder Ablehnung eines sonst minder schweren Falles im Sinne von § 213 Alt. 2 StGB kommt es auf eine Gesamtbewertung aller bedeutsamen Umstände an (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2008 - 3 StR 484/08, NStZ-RR 2009, 139; Fischer, aaO, § 213 Rn. 12 ff. mwN). Dies hat das Landgericht beachtet und bei seiner Würdigung keine wesentlichen und bestimmenden Umstände unberücksichtigt gelassen. Auch die Revision des Angeklagten zeigt durchgreifende Rechtsfehler des Landgerichts bei der Strafrahmenwahl nicht auf. Allein die - vom Landgericht berücksichtigte - Äußerung der Geschädigten, dass ihr Liebhaber "auch im Bett" tausendmal besser sei als der Angeklagte, zwingt hier nicht zur Bewertung der Tat als minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB.
29
3. Schließlich begegnet auch die Zumessung der konkreten Strafe keinen rechtlichen Bedenken.
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 223/11
vom
15. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2011 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L.
und dem S. in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden war. Nach einer Rempelei mit L. begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit sechs Patronen geladene Pistole Makarov, Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S. am Tresen sitzenden L. zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten "Da hast Du Deine vier Sterne" dem völlig überraschten und unvorbereiteten L. an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S. dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten "nein, nicht", ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S. ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe zwei Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S. verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der Fußballweltmeistertitel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach Spanien, stellte sich dort aber der Polizei.
3
Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L. hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S. hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten gebildet.
4
2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt - auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
5
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S. zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ-RR 2006, 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
6
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S. zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt , indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L. genügt hierfür nicht.
7
b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dringen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 2 StR 650/95, NStZ-RR 1996, 161, 162; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 295; Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Gesichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die Strafkammer habe konkrete schulderhöhende Tatumstände aus dem Blick verloren.
8
Soweit die Revision meint, die Strafkammer habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zustand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straftaten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H. , denen die Strafkammer folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei Themen , die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholisiertem Zustand "rechthaberisch" zeige. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden. Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 120/11
vom
20. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 26. November 2010 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen Totschlags zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und bei Anordnung eines Vorwegvollzugs von zehn Jahren Strafe in einer Entziehungsanstalt untergebracht.
2
Die mit der ausgeführten Sachrüge begründeten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten führen zum Wegfall der Unterbringung, bleiben aber im Übrigen erfolglos.
3
1. Dem Schuldspruch liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
4
Der Angeklagte lebte mit der Freundin des inhaftierten L. zusammen und hatte deshalb mit dessen Freund K. Streit. Am späten Abend des 28. März 2009 stritten sie zunächst vor dem Wohnhaus des Angeklagten und entfernten sich dann zu Fuß. Ihnen folgten die Zeugen C. , Cu. - sie hatten zuvor mit dem Angeklagten gezecht - und F. , die den Angeklagten auf dessen Wunsch erforderlichenfalls bei einer tätlichen Auseinandersetzung unterstützen wollten. Obwohl höchstens 50 m entfernt, sahen sie den Angeklagten und K. nicht mehr, als diese in eine dunkle Hofeinfahrt gingen. Dort kam es auch zu Tätlichkeiten. Der Angeklagte bedrohte K. mit einem eigens wegen der bevorstehenden Auseinandersetzung mitgenommenen kleineren Messer. Auch K. hatte ein Messer und spottete über die geringe Größe des Messers des Angeklagten. Darauf versetzte ihm dieser spontan einen wuchtigen Stich „Richtung Herz“- an anderer Stelle des Urteils heißt es „zielgerichtet gegen den Oberkörper“; auch von einem Stich „in die Brust“ und „den Brustbereich“ ist die Rede - und traf ihn mitten ins Herz. K. brach zusammen, der Angeklagte sagte den hinzugekommenen C. , Cu. und F. , er habe K. in die Brust gestochen, sie sollten sich um ihn kümmern und ging fort. Er reinigte und versteckte das Tatmesser. Er wurde zu anderweitiger Strafvollstreckung noch in der Nacht in seiner Wohnung in einem Schrank versteckt festgenommen. Als Verantwortlicher für den nach einigen Tagen eingetretenen Tod K. s wurde er erst später ermittelt.
5
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wendet sich die Revision des Angeklagten im Wesentlichen gegen den (bedingten) Tötungsvorsatz.
6
a) Entgegen ihrer Auffassung ergeben sich insoweit keine Bedenken im Blick auf das nicht immer mit denselben Worten bezeichnete Ziel des Stiches.
Die Strafkammer hat näher begründet rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der An- geklagte wuchtig und gezielt jedenfalls in den „Brustbereich“ gestochen hat. Ein solcher Stich ist, wie auch die Strafkammer näher ausführt, eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, die regelmäßig für Tötungsvorsatz spricht. Eine Stelle im vorderen Bereich des Oberkörpers, die den Tötungsvorsatz deshalb in Frage stellte, weil ein wuchtiger Stich gerade hierhin zielte, ist kaum vorstellbar (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2006 - 1 StR 307/06), bei einem Stich in den Brustbereich ist dies jedenfalls nicht der Fall.
7
b) Auch sonst ist die nicht zuletzt auch auf den äußeren Geschehensablauf gestützte Annahme eines Tötungsvorsatzes rechtsfehlerfrei (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 - 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541 f.; hierzu Schneider in MüKomm-StGB, § 212 Rn. 9 jew. mwN). Die Annahme, dass die Aufforderungen des Angeklagten gegenüber C. , Cu. und F. , ihn zu begleiten bzw. (später), sich um den Verletzten zu kümmern, zwar gegen eine von langer Hand geplante Tat, aber nicht gegen einen spontanen Tatent- schluss sprächen, ist nicht zu beanstanden. Auch die festgestellte „affektive Erregung“ des Angeklagten bei der Tat spricht nichtgegen einen Tötungsvorsatz , da eine gewisse affektive Erregung bei einem tödlichen Angriff normal ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2006 - 2 StR 284/06). Außerdem ist rechtsfehlerfrei - auch die Revision macht insoweit nichts anderes geltend - die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten festgestellt. Dies spricht regelmäßig für eine realistische Wahrnehmung des Bedeutungsgehalts der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09 Rn. 18 mwN), zumal hier die Bewertung eines wuchtigen Stichs in den Brustbereich keine komplizierten Überlegungen erfordert. Auch die planmäßige Spurenbeseitigung alsbald nach der Tat spricht gegen eine ungewöhnliche psychische Ausnahmesituation bei der Tat, die unter irgendeinem Gesichtspunkt eine breitere Erörterung des Vorsatzes gebieten könnte.
8
3. Ebenso wenig wie der Schuldspruch enthält der Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
9
4. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes. Ein Rechtsfehler liegt jedoch nicht vor.
10
a) Heimtücke ist verneint, weil der Angeklagte im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung K. das Messer gezeigt und ihn vonvorne ins Herz gestochen habe. Dies folgt den Angaben des Angeklagten, die insoweit von den maximal 50 m entfernten Begleitern bestätigt werden, als sie angeben , die tätliche Auseinandersetzung nicht gesehen, aber entsprechende Geräusche gehört zu haben. Auch hatte der Angeklagte bei seiner Festnahme kleinere Verletzungen, die auf die Auseinandersetzung zurückgehen können.
11
b) Die Staatsanwaltschaft hält insbesondere die tätliche Auseinandersetzung nicht für bewiesen.
12
(1) Mangels näherer Ausführungen dazu, was die Zeugen gehört haben, sei nicht überprüfbar, was mit „Geräuschen“ gemeint sei. Ein gängiger Begriff verdeutlicht aber auch ohne weitere Umschreibung, was gemeint ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Strafkammer unbekannt sei, welche Geräusche bei einer tätlichen Auseinandersetzung entstehen.
13
(2) Im Übrigen seien nur Schlussfolgerungen rechtsfehlerfrei, die „zwin- gend“ aus den Feststellungen folgten. Dem entsprechend ist eine Reihe- teil- weise untereinander unvereinbarer, teilweise nur abstrakter - Möglichkeiten aufgezählt, die im Ergebnis deshalb erörterungsbedürftig seien, weil sie denkgesetzlich nicht ausschließbar sind, z.B.
- die Geräusche könnten an (irgend)einem anderen Ort entstanden sein;
- selbst wenn sie aus dem Hof stammten, könnten sie (irgend)eine andere Ursache gehabt haben;
- es spräche gegen eine Auseinandersetzung, wenn K. keine hierauf hindeutenden Verletzungen gehabt hätte;
- die Verletzungen des Angeklagten könnten auch durch ihn selbst oder durch die Polizei bei seiner Verhaftung im Schrank verursacht worden sein.
14
Bei alledem ist verkannt, dass richterliche Überzeugung keine absolute, das Gegenteil zwingend ausschließende, letztlich mathematische Gewissheit erfordert (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Urteile vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08 und 7. November 2006 - 1 StR 307/06 mwN). Allein die Denkbarkeit eines Geschehensablaufs, für den die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte bieten , führt daher nicht dazu, dass er zu Gunsten (BGH aaO) oder gar zu Lasten des Angeklagten zu unterstellen oder auch nur erörterungsbedürftig wäre (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 mwN). Aufklärungsrügen zum Beleg der genannten Vermutungen sind nicht erhoben.
15
c) Im Übrigen ist kaum erkennbar, was hier - Streit; der tödliche Stich mit dem zuvor gezeigten Messer erfolgte von vorne; auch K. hatte ein Messer - noch tragfähig (innerpsychische) Arg- und darauf beruhend Wehrlosigkeit des Verstorbenen belegen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 188; BGH, Urteil vom 13. November 1985 - 3 StR 273/85, BGHSt 33, 363, 365).
16
d) Auch sonst sind weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler ersichtlich.
17
5. Die Staatsanwaltschaft hält die Unterbringungsanordnung mangels Erfolgsaussichten für rechtsfehlerhaft, der Angeklagte wendet sich gegen die Dauer des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe.
18
Im Ergebnis wird von beiden Revisionen übereinstimmend die Unterbringungsanordnung insgesamt angefochten, da sie sich beide gegen den Schuldspruch richten. Führten die behaupteten Mängel des Schuldspruchs zu Aufhebung und Zurückverweisung, entfiele auch eine Unterbringung. Sie könnte nicht allein auf der Grundlage einer Prognose des Senats Bestand haben, auch nach erneuter Verhandlung über den Schuldspruch werde diese Maßregel wieder geboten sein (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 - 1 StR 268/95 zu § 63 StGB).
19
Hier haben sich allerdings weder zu Gunsten noch zu Lasten des Angeklagten Rechtsfehler im Schuld- oder Strafausspruch ergeben.
20
a) Daraus folgt hinsichtlich der Revision der Staatsanwaltschaft: Eine Unterbringung gemäß § 64 StGB beschwert den Angeklagten (BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 331; v. Gemmeren in MüKommStGB , § 64 Rn. 101; vgl. auch § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Senat hatte daher - unbeschadet § 301 StPO - zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Unterbringung nur als notwendige Folge der von ihr wegen (behaupteter ) Fehlerhaftigkeit des Schuldspruchs zum Nachteil des Angeklagten angestrebten Urteilsaufhebung ansieht oder ob sie den Wegfall unabhängig vom Bestand des Schuldspruchs auf jeden Fall anstrebt. Insoweit läge eine gemäß § 296 Abs. 2 StPO zulässige Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten vor. Eine Revision der Staatsanwaltschaft kann hinsichtlich des Schuldspruchs einerseits und einer Maßregel andererseits von unterschiedlicher Zielrichtung sein, auch wenn hier die den Angeklagten begünstigende Anfechtung der Unterbringung nur bei Erfolglosigkeit der zu seinem Nachteil zum Schuldspruch eingelegten Revision eigenständige Bedeutung hat. Die Staatsanwaltschaft hat sich zu alledem entgegen Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV nicht geäußert (vgl. auch Hanack in LR-StPO, 25. Aufl., § 296 Rn. 10). Die Aufgabe des Senats, das Ziel des Rechtsmittels durch Auslegung der Rechtsmittelerklärungen zu ermitteln, ist davon jedoch unberührt (vgl. Hanack aaO; MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 296 Rn. 14 jew. mwN). Diese ergibt hier angesichts der eingehenden Darlegung, warum die Unterbringung aus vom Schuldspruch unabhängigen Gründen fehlerhaft sei, dass die Staatsanwaltschaft die Unterbringung auch unabhängig vom Ergebnis ihrer Revision hinsichtlich des Schuldspruchs auf jeden Fall anfechten will.
21
b) Aus den dargelegten Gründen kann auch eine gegen den Schuldspruch gerichtete Revision des Angeklagten eine zugleich angeordnete Unterbringung nicht vom Rechtsmittelangriff ausnehmen. Daher kann offen bleiben, ob hier die Revision, die im Ergebnis geltend macht, dieUnterbringung müsse früher beginnen, hinsichtlich der Maßregel auf die Dauer des Vorwegvollzugs beschränkt sein soll; dies wäre wegen der gleichzeitigen Anfechtung des Schuldspruchs unwirksam.
22
6. Die Unterbringungsanordnung kann nicht bestehen bleiben.
23
a) Schon die Feststellungen zu einem Hang sind nicht klar. Der Angeklagte konsumiert seit Jahren Heroin und Haschisch. Wie seine näher geschil- derten zahlreichen Vorstrafen belegen, geriet er immer mehr „in den Teufelskreis von Drogen und Beschaffungskriminalität“, während etlicheTherapiever- suche erfolglos blieben. Die Strafkammer geht jedoch nicht davon aus, dass die Tat auf einem Hang zu Drogenmissbrauch beruht, sondern auf einem Hang zu übermäßigem Alkoholkonsum. Hierzu ergeben die Feststellungen zu Vorleben und Vorstrafen jedoch nichts. Mitgeteilt ist lediglich, dass der Sachverständige den Angeklagten für „trinkgewohnt“ hält, ohne dass die tatsächlichen Grundlagen dieser Bewertung erkennbar wären. Freilich treten Alkoholmissbrauch und Drogenmissbrauch nicht selten gleichzeitig auf (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 80; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rn. 7a mwN). Es ist jedoch fraglich, ob allein die unausgeführte Annahme, ein Drogenkonsument sei trinkgewohnt, einen Hang zu Alkoholmissbrauch tragfähig belegt.
24
b) Selbst wenn man aber von einem solchen Hang ausginge, fehlte es an den weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB. Erforderlich wäre, dass die rechtswidrige Tat entweder im Rausch begangen ist oder auf den Hang zurückgeht , wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96 mwN).
25
(1) „Im Rausch“ bedeutet, dass die Tat während des für das jeweilige Rauschmittel typischen, die geistig-psychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden Intoxikationszustands begangen sein muss (Schöch in SSW-StGB, § 64 Rn. 26). Wie viel Alkohol der Angeklagte getrunken hatte, bevor K. kam, war nicht feststellbar, Spuren einer „deutlichen Intoxikation“ gibt es nicht. We- der ein Zeuge, noch der Angeklagte selbst hat von „erheblicher Alkoholisierung“ berichtet, bei seiner Festnahme wirkte er „in keiner Weise alkoholisiert oder drogenbeeinflusst“, eine nachfolgende Untersuchung ergab keine Hinweise auf Restalkohol. Auch die Feststellungen zur Tat einschließlich Vor- und Nachtat- geschehen zeigen, so die Strafkammer, „schlüssige und sinnvolle Handlungsabläufe“. Nach alledem spricht nichts dafür, dass die Tat i.S.d. §64 StGB im Rausch begangen wurde, der Zweifelssatz gilt insoweit nicht (v. Gemmeren aaO Rn. 36 mwN).
26
(2) Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Tat, obwohl nicht im Rausch begangen , doch auf einen (etwaigen) Hang zum Alkohol- oder auch Drogenmissbrauch zurückginge, bestehen nicht. Dies setzte voraus, dass sie Symptomwert für den Hang hat, indem sich in ihr die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters äußert. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96 mwN). Darum geht es hier nicht. Andere Delikte kommen als Hangtaten dann in Betracht, wenn hierfür besondere Anhaltspunkte bestehen (BGH aaO). Bei Konflikttaten und (oder) Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt die Annahme eines Zusammenhangs mit einem Hang zum Missbrauch berauschender Mittel wenig nahe (v. Gemmeren aaO Rn. 37; vgl. auch Schöch in SSW-StGB, § 64 Rn. 27). Anhaltspunkte , dass hier bei einer spontanen Gewalttat aus Ärger über Vorhalte eines Außenstehenden wegen der Beziehung zu einer Frau, nahe liegend in Verbindung mit dem Gefühl (wegen des nur kleinen Messers) verspottet und nicht ernst genommen zu werden, ausnahmsweise ein solcher Zusammenhang möglich sein könnte, sind nicht ersichtlich. Der wenig klare Hinweis der Strafkammer , trotz nicht erkennbarer besonderer Alkoholisierung beruhe die Tat wegen der Enthemmung des Angeklagten auf seinem Hang zu Alkoholmissbrauch , ändert daran nichts.
27
c) Selbst wenn noch Feststellungen hinsichtlich eines generellen Hanges (auch) zu Alkoholmissbrauch möglich sein sollten, hält es der Senat für sicher ausgeschlossen, dass noch Feststellungen zu einem Rausch bei der Tat oder einem symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und einem Hang zu Alkohol- oder auch Rauschgiftmissbrauch möglich sind. Daher erkennt er entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 167/08 mwN). Auf die für sich genommen zutreffenden Hinweise der Revisionen und des Generalbundesanwalts auf rechtliche Bedenken gegen die Annahme der Strafkammer, die gegenwärtigen Zweifel am Erfolg einer Unterbringung könnten nach Ablauf des (mit § 67 Abs. 2 StGB nicht zu vereinbarenden) Vorwegvollzuges von zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgeräumt sein, kommt es daher nicht mehr an.
28
7. Der Senat hat geprüft, ob der Wegfall der Unterbringung den Bestand des für sich genommen rechtsfehlerfreien Strafausspruchs (vgl. oben 3, 4d) gefährdet. Dies wäre der Fall, wenn ein Einfluss der Maßregel auf die Strafhöhe möglich erschiene. Grundsätzlich besteht entsprechend der „Zweispurigkeit“ von Strafe und Maßregel zwischen beiden Rechtsfolgen keine Wechselwirkung, sie sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365 mwN). Freilich sind die für Strafe und Unterbringungsanordnung wesentlichen Gesichtspunkte nicht stets streng voneinander zu trennen, z.B. kann ein Rausch auf die Bestimmung des Maßes der Schuld Einfluss haben und, sofern er hangbedingt ist, zugleich Grundlage einer Unterbringung sein. Derartige Zusammenhänge können nicht nur je nach den Umständen des Einzelfalles für die (vorliegend wegen umfassender Anfechtung des Urteils auch im Schuldspruch nicht einschlägige ) Frage der weiteren Beschränkbarkeit eines nicht gegen den Schuldspruch gerichteten Rechtsmittels im Zusammenhang mit der Unterbringungsanordnung bedeutsam sein (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11; BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1993 - 2 StR 352/93, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 6), sondern auch im Blick auf eine die Unterbringung betreffende Entscheidung auf den Bestand des Strafausspruches Einfluss haben (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, NStZ 2004, 111). Voraussetzung hierfür ist aber stets, dass die Urteilsgründe - auf diese kommt es an - konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Wechselwirkung zwischen der Entscheidung über die Höhe der Strafe und der Maßregel enthalten.
29
Dies ist hier in keiner Richtung der Fall.
30
8. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen waren der Staatskasse aufzuerlegen, auch soweit sie im Ergebnis zu Gunsten des Angeklagten erfolgreich war (vgl. zu den Kosten Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 473 Rn. 16 mwN); hinsichtlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten ergibt sich dies aus § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Kosten seiner Revision und die ihm dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat der Senat insgesamt dem Angeklagten auferlegt, § 473 Abs. 4 StPO. Nichts spricht dafür, dass er keine Revision eingelegt hätte, wenn seine Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht angeordnet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03 mwN).
Nack Wahl Rothfuß
Hebenstreit Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 287/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten besonders schweren Raubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. November 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt (bei der Verhandlung),
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Dr. S. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 4. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger wenden sich gegen die Freisprüche der Angeklagten von folgenden Anlagevorwürfen:
2
Der Angeklagte Dr. S. , ein in K. ( ) tätiger rumänischer Zahnarzt, hatte mit dem Nebenkläger R. geschäftliche Beziehungen gehabt und stritt mit ihm um hohe Beträge. Er wusste, dass er keine Ansprüche mehr hatte, nachdem R. zur Abgeltung aller Ansprü- che 700.000 € bezahlt hatte.Er erhob aber immer neue, höher werdende Forderungen. Man erstattete in Rumänien gegenseitig Strafanzeigen und prozessierte über eine Villa in Bukarest. Dr. S. nahm schließlich Kontakt mit dem Angeklagten M. auf, der R. bei einem seiner Aufenthalte in Re. , wo dessen Tochter Gastronomiebetriebe führte, "mit Gewalt unter Druck setzen" sollte, damit er zu Zahlungen und zur Beendigung des Prozesses im Sinne von Dr. S. bereit würde. Dr. S. und M. nahmen Kontakt mit der "Rockergruppe Hells Angels" auf, am Ende wurden der Angeklagte B. und ein weiteres Bandenmitglied "beauftragt". "M. plante nun für ... Dr. S. das weitere Vorgehen". Am 19. August 2009 versuchten B. und sein "Team" - in engem Kontakt mit M. - in Re. vergeblich, ihn mit der Lüge, man habe seinen Porsche angefahren, auf die Straße zu locken, um ihn zu überfallen und Autoschlüssel und Bargeld wegzunehmen. Die Beute hätten B. und sein Mittäter behalten sollen. Als R. zwei Tage später zum Parkplatz seiner Pension kam, eilten B. und sein Mittäter aus einer gegenüberliegenden Pension hinzu, beschossen ihn mit Reizgas, was ihn am Auge verletzte, schlugen ihn mit einer Schreckschusspistole und versuchten, ihm Autoschlüssel und Brieftasche abzunehmen. Sie flüchteten ohne Beute, als Angehörige R. zu Hilfe eilten.
3
Am 15. September 2009, so wird Dr. S. und M. weiter vorgeworfen, seien an R. , dessen Frau (nach Bukarest) und dessen Tochter (nach Re. ) je eine Postkarte mit Motiven aus Re. geschickt worden , die Dr. S. (auf Rumänisch) mit folgendem Text beschrieben hatte: "Gebt zurück, was ihr gestohlen habt, ihr Betrüger. Dies ist die letzte Warnung. Vlad Tepes.". Vlad Tepes war ein auch als Dracula bekannter rumänischer Fürst, der "Pfählung als Hinrichtungsart bevorzugte". Die darin liegende Drohung hätte letztlich R. dazu veranlassen sollen, doch noch auf die Forderungen einzugehen. Wenige Tage später schickte Dr. S. an R. den Entwurf eines "Abkommens", mit dem dieser sich zur Übertragung von Geld und Wertgegenständen im Wert von jedenfalls weit über 1 Mio. € an Dr. S. verpflichten sollte. Er kam dieser Aufforderung nicht nach.
4
Die Angeklagten wurden freigesprochen, die Täter des Überfalls und auch eine Verbindung von Dr. S. und M. zu dieser Tat seien nicht feststellbar , die Postkarten hätten keinen strafbaren Inhalt, darüber hinaus sei eine Tatbeteiligung von M. hinsichtlich der Postkarten nicht festzustellen.
5
Die Revisionen haben (schon) mit der Sachrüge Erfolg:
6
1. Bezüglich des Überfalls beruht dies darauf, dass das Urteil keine genügende Grundlage einer revisionsgerichtlichen Überprüfung ist.
7
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen , ehe in der Beweiswürdigung darzulegen ist, warum die für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 - 3 StR 261/08, b. Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2011, 225, 232). Die Strafkammer teilt dagegen nach dem Anklageinhalt protokollartig das (wohl) gesamte Beweisergebnis in allen Details mit, auch soweit sie offenbar für die Entscheidung über Verurteilung oder Freispruch keine Bedeutung haben können, wie etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - Hinweise eines Sanitäters an einen Arzt zu einem möglichen Sonnenbrand R. s. Eingefügt in diese Darlegungen sind immer wieder beweiswürdigende Überlegungen, die meist jeweils streng auf die zuvor geschilderten Teile der Beweisergebnisse begrenzt sind. Die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt haben zutreffend insgesamt (nur) etwa zehn, auf mehr als fünfzig Urteilsseiten verstreute Passagen aufgezählt - meist nicht mehr als ein Absatz, manchmal nur einzelne Sätze -, die als Sachverhaltsfeststellungen zu bewerten sind. Abgesehen von der Notwendigkeit, diese Bruchstücke aus den umfangreichen Ausführungen herauszufiltern, ist es insgesamt kaum möglich, sie zu einer in sich geschlossenen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Sachverhaltsfeststellung zusammenzufassen.
8
2. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer die erforderliche Gesamtwürdigung aller für und gegen eine Täterschaft der Angeklag- ten sprechenden Indizien (vgl. BGH aaO mwN) unterlassen hat, die - in ihrer Vielzahl vom Generalbundesanwalt zutreffend hinsichtlich sämtlicher Angeklagter umfangreich und im Detail dargelegt - weitgehend allenfalls isoliert bewertet sind. Bei einer Gesamtschau könnte eine Vielzahl einzelner Gesichtspunkte auf Grund ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung möglicherweise die Überzeugung von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs vermitteln (BGH aaO).
9
3. Der Angeklagte B. hat "im Laufe der Hauptverhandlung" zunächst mündlich und am zehnten Verhandlungstag schriftlich über seinen Verteidiger folgendes erklärt: Er sei von einem Mitglied der "Hells Angels" beauftragt worden, inRe. bei einer "Abreibung … Schmiere zu stehen" und erforderlichenfalls einzugreifen. Der Tatort sei ihm genannt worden, sonst nichts. Die Täter der Abreibung seien ihm ebenso unbekannt gewesen wie Dr. S. und M. . Er habe aus der Ferne beobachtet, wie zwei Männer R. angriffen. Als diesem eine Frau zu Hilfe kam, seien die Männer geflüchtet, worauf auch er (der Angeklagte) geflüchtet sei. Sonst wisse er nichts.
10
a) Die Strafkammer hält für möglich, dass der Angeklagte mit der Tat nichts zu tun hatte und er sich mit diesen Angaben zu Unrecht belastet habe. Der Verteidiger habe vor Abgabe der Erklärung auf Gespräche mit der Staatsanwaltschaft verwiesen, "in die das Gericht bewusst nicht einbezogen … und über deren Inhalt … Stillschweigen vereinbart worden sei". Der Angeklagte wolle bald aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Zumal, da der Staatsanwalt (in der Hauptverhandlung) erklärt habe, nach der bisherigen Beweisaufnahme komme nur eine Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung in Betracht, sei, so folgert die Strafkammer, insgesamt eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft "eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt" habe. Es liege daher nicht fern, dass der Angeklagte, um das Verfahren gegen sich entsprechend zu beenden, wahrheitswidrig die genannten Angaben gemacht habe.
11
b) Hierzu bemerkt der Senat:
12
(1) Verständigungen können außerhalb der Hauptverhandlung vorbereitet werden, jedoch ist dann hierüber Transparenz in der Hauptverhandlung herzustellen. Das Transparenzgebot kennzeichnet das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt (vgl. zusammenfassend auch Niemöller /Schlothauer/Weider, Verständigung im Strafverfahren D Rn. 49 ff. mwN, auch aus den Gesetzgebungsmaterialien), wie sich aus einer Reihe von Bestimmungen über hieraus erwachsende Pflichten des Gerichts ergibt (vgl. § 202a Satz 2 StPO, § 212 StPO, § 243 Abs. 4 StPO, § 257c Abs. 3 StPO, § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO, § 273 Abs. 1a StPO).
13
Eine spezielle gesetzliche Regelung für nur zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Rahmen des (Zwischen- oder) Hauptverfahrens außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche, die letztlich das Ziel haben, die Hauptverhandlung abzukürzen, gibt es nicht. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung mit anderen Verfahrensbeteiligten (naheliegend häufig der Verteidigung) geführte Gespräche aktenkundig zu machen (§ 160b Satz 2 StPO), besonders sorgfältig, wenn eine Verständigung i.S.d. § 257c angestrebt wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 160b Rn. 8).
14
All dies spricht dafür, dass auch derartige Gespräche offen zu legen sind, zumal das Gericht sonst nach solchen Gesprächen abgegebene Erklärungen des Angeklagten nicht auf umfassender Grundlage würdigen könnte. Dies würde im Übrigen in besonderem Maße gelten, wenn solche Gespräche bei einer gegen mehrere Angeklagte geführten Hauptverhandlung nur mit der Verteidigung eines Angeklagten geführt würden, dessen anschließende Aussagen dann die übrigen Angeklagten belasten (vgl. BGHSt 52, 78, 83; 48, 161,

168).


15
Dies ist hier aber nicht einschlägig, da B. erklärt hat, Dr. S. und M. nicht zu kennen. Im Übrigen ist hier im Ergebnis durch die genannte Erklärung des Verteidigers die gebotene Klarstellung jedenfalls ansatzweise, wenn auch im Hinblick auf das vereinbarte Stillschweigen über den näheren Inhalt des Gesprächs nicht in vollem Umfang (vgl. § 273 Abs. 1a StPO) erfolgt. Der Senat braucht alledem aber nicht näher nachzugehen, weil in diesem Zusammenhang insgesamt die Möglichkeit eines den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehlers nicht zu erkennen ist.
16
(2) Unabhängig von alledem wäre bei der Einbeziehung der Aussagegenese in die Würdigung der - etwas lebensfremd erscheinenden - Erklärung des Angeklagten nicht nur die Möglichkeit einer selbstbelastenden Erfindung eines Unschuldigen zu prüfen gewesen. Jedenfalls nicht weniger naheliegend und daher erörterungsbedürftig erscheint auch die Möglichkeit, dass zur Erreichung einer milden Strafe zwar eine Tatbeteiligung grundsätzlich eingeräumt sein soll, die nach Art und Maß mit Entlastungstendenz aber (zu) gering geschildert sein kann.
17
c) Zudem, so führt die Strafkammer aus, sei der Angeklagte selbst bei Zugrundelegung seiner Angaben straflos. Sie ergäben nämlich nicht zwingend, dass den Haupttätern die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort bekannt gewesen sei. Der rechtliche Ansatz dieser Ausführungen ist zutreffend, (auch) sie beruhen aber auf einer nicht rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

18
(1) Von Beihilfe, die objektiv die Tat fördert, braucht der Haupttäter nichts zu wissen (BGH, Urteil vom 8. Juli 1954 - 4 StR 350/54, BGHSt 6, 248, 249 f.). Die bloße, objektiv die Tat nicht fördernde Anwesenheit am Tatort kann "psychische" Beihilfe sein (BGH, Beschluss vom 17. März 1995 - 2 StR 84/95, NStZ 1995, 490, 491; zusammenfassend zur Rechtsprechung Kudlich in v. Heintschel-Heinegg, StGB, § 27 Rn. 9.4 mwN), aber nur, wenn sie dem Haupttäter bekannt ist.
19
Dies war hier nicht der Fall. Andererseits war der Angeklagte nicht nur anwesend, sondern er stand "Schmiere" und war bereit, wenn nötig, zu helfen. Ob dies auch dann zu strafbarer Beihilfe führt, wenn der Haupttäter von der Anwesenheit und der nicht realisierten Bereitschaft zur Hilfe nichts weiß, wird unterschiedlich beurteilt (dafür z.B. Murmann in SSW-StGB, § 27 Rn. 4; Maurach/Gössel/Zipf, StGB AT Tb 2, 7. Aufl. § 52 Rn. 8; dagegen z.B. Roxin in FS Miyazawa 504, 511 f.; Dreher MDR 1972, 553, 557).
20
Nach Auffassung des Senats liegt keine strafbare Beihilfe vor. Die Tat ist in einem solchen Fall nicht objektiv gefördert, sondern eine solche Förderung ist nur vorbereitet. Dass dadurch der Bereich strafbaren Verhaltens (noch) nicht erreicht ist, folgt aus der Straflosigkeit der gegenüber einer Vorbereitung sogar weiter gehenden versuchten Beihilfe (Roxin aaO 512).
21
(2) Die Annahme fehlender Kenntnis der Haupttäter ist allerdings nicht rechtsfehlerfrei begründet. Richterliche Überzeugung erfordert nicht, dass das gefundene Ergebnis "zwingend", ein anderes Ergebnis also denknotwendig ausgeschlossen ist. Dies wäre ein überspannter und daher rechtlich unzutreffender Maßstab (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11 mwN). Darüber hinaus beschränkt sich die Strafkammer allein auf die Bewertung der Erklärung des Angeklagten, was auch hier eine nur isolierte Würdigung der einzelnen Beweismittel besorgen lässt.
22
4. Die Annahme, der Inhalt der von Dr. S. versandten Postkarten sei strafrechtlich irrelevant, ist vor allem darauf gestützt, dass der historische Dracula "einerseits als grausamer Tyrann, der seine Feinde pfählen ließ, und andererseits als fanatischer Kämpfer für die Gerechtigkeit" gelte. Daher sei nicht "zwingend", dass Dr. S. die Familie R. bedrohen wollte, möglicherweise habe er nur ankündigen wollen, "dass er mit Nachdruck für Gerechtigkeit kämpfen werde". Hierfür spreche auch, dass er sie "Betrüger" genannt habe. Gegen die Annahme, dass er sein Verhalten selbst als strafbar werte, spreche, dass er als Akademiker dann kaum offene Postkarten verschicken würde, da er auf diese Weise leicht überführt werden könne. Dass die Empfänger sich nach ihren Aussagen bedroht gefühlt hätten - ohne dass dies die Strafkammer als unzutreffend bewertet hätte, bedeute, so ein Zeuge, "Vlad Tepes" in Rumänien "Tod" - sei irrelevant. Ob eine Drohung i.S.d. §§ 240, 241, 255 StGB vorliege, richte sich nicht danach, ob der Bedrohte die Ankündigung des Übels ernst nehme, abzustellen sei allein auf den Drohenden. Auch sei nicht klar genug, was überhaupt angedroht sei.
23
Diese Ausführungen halten weder zur objektiven noch zur subjektiven Seite rechtlicher Überprüfung stand.
24
a) Eine Drohung im Sinne der genannten Vorschriften ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss hat oder jedenfalls zu haben vorgibt (vgl. zusammenfassend Fischer, StGB, 59. Aufl., § 240 Rn. 31 mwN). An der Ankündigung eigenen künftigen Verhaltens hat die Strafkammer zu Recht keinen Zweifel. Ob ein empfindliches Übel angekündigt ist, richtet sich nach dem Inhalt der Erklärung, der nach dem Empfängerhorizont zu bestimmen ist (Vogel in LK, 12. Aufl., § 253 Rn. 7).
25
Hier haben die Empfänger der Postkarten, so die Strafkammer, deren Inhalt in dem für sie landläufigen Sinn als Bedrohung mit dem Tod oder jedenfalls mit schwerer körperlicher Misshandlung verstanden und ernst genommen.
26
Nicht tragfähig ist die in diesem Zusammenhang - hilfsweise - angestellte Erwägung der Strafkammer, wenn eine Drohung vorläge, sei sie zu unpräzise. Dass hier eine (etwaige) Drohung auf etwas anderes gerichtet sein könnte als Tod oder jedenfalls schwere körperliche Misshandlung, ist nicht erkennbar. Eine solche Drohung bedarf aber keiner präzisierenden Erläuterung.
27
b) Der Vorsatz des Täters muss darauf gerichtet sein, dass der Empfänger die Äußerungen als Drohung versteht und ernst nimmt. Anhaltspunkte für die - eher fern liegend erscheinende - Annahme, Dr. S. hätte geglaubt, der Karteninhalt würde von den Empfängern entgegen seinem für sie landläufigen Sinn wegen uneindeutiger historischer Überlieferungen nur als Streben nach Gerechtigkeit bewertet, sind weder genannt noch erkennbar. Offenbar kommt die Strafkammer deshalb zu dieser Annahme, weil anderes nicht "zwingend" sei; wie dargelegt, ist dies jedoch ein rechtsfehlerhafter Maßstab.
28
c) In subjektiver Hinsicht kann im Übrigen allein der Hinweis, dass die Empfänger der Karten als "Betrüger" bezeichnet wurden, nicht tragfähig belegen , ob Dr. S. (anders als ihm vorgeworfen) überhaupt glaubte, noch (im Einzelnen wiederholt wechselnde) Ansprüche zu haben. Andernfalls wäre für Überlegungen zu besonderem Einsatz für die Gerechtigkeit ohnehin kein Raum.
29
d) Es wäre auch zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte kurz nach der Versendung der Postkarten ohne erkennbare weitere Begründung neue hohe Forderungen erhob. Dies könnte dagegen sprechen, dass er nur künftiges Bemühen um Gerechtigkeit ankündigen wollte.
30
e) Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist die Annahme, gegen eine auf strafbares Verhalten gerichtete Vorstellung von Dr. S. spreche auch, dass er als Zahnarzt (Akademiker) dann schwerlich für "jeden lesbare" offene Karten verschickt und so die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung erhöht hätte. Es fehlt die Erörterung des offensichtlich gegenläufigen Gesichtspunkts, dass er die Karten nicht mit seinem Namen unterschrieben hat. Soweit die Karten in Deutschland gelesen werden konnten, kommt hinzu, dass wohl die wenigsten potentiellen Leser Rumänisch können.
31
5. Hinsichtlich des Angeklagten M. stützt sich die allein getroffene Feststellung, insoweit hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, nur auf dessen Angabe, er habe zwar den Inhalt der Postkarten gekannt und gewusst, dass sie Dr. S. abschicken wollte, damit jedoch nichts zu tun gehabt. Nicht erörtert ist jedoch in diesem Zusammenhang die festgestellte Aussage einer Freundin von M. , R. hätte gezwungen werden sollen, anzuerkennen, "dass irgendein Grundstück in Rumänien Dr. S. gehöre"; dies, so die ebenfalls mitgeteilte Aussage R. s, deckt sich mit Forderungen, die bald nach den Postkarten an ihn gestellt wurden. M. und seine Leute, so die Freundin, hätten diese Unterschrift erzwingen wollen. Schon dieses Beweisergebnis ist - unabhängig davon, wie es letztlich tatrichterlich zu werten ist - un- vereinbar mit der Annahme, nichts deute auf eine Mitwirkung von M. an der Drohung mit den Postkarten hin.
32
6. Da die Sachrüge durchgreift, kann der in der Hauptverhandlung hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag eines Verteidigers auf sich beruhen. Zu Grunde liegt, dass ein am 22. Februar 2011 an das Landgericht gerichteter Akteneinsichtsantrag dort unbearbeitet blieb; auch die Staatsanwaltschaft hat bei der Aktenweiterleitung am 22. März 2011 hierauf nicht hingewiesen. Wiederholt wurde der Antrag nicht (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 1. Februar 2000 - 4 StR 635/99, NStZ 2000, 326 mwN). Der Aussetzungsantrag war jedenfalls nur für den Fall gestellt, "dass der Senat den … Verfahrensrügen Bedeutung beimessen und die dort in Bezug genommenen Verfahrenstatsachen … verwerten will". Dies ist nicht der Fall.
33
7. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft ist mit der Aufhebung des Urteils gegenstandslos (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - 1 StR 357/05 mwN).
34
8. Wie auch im Urteil mitgeteilt ist, bewertet die (unverändert zugelassene ) Anklage die Versendung der Postkarten als versuchte besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), die in Tateinheit mit den durch den gescheiterten Überfall in Re. verwirklichten Tatbeständen stehe. Dies veranlasst folgende vorsorgliche Hinweise:
35
a) Es bedarf der Klärung, ob die Postkarten an Frau und Tochter nur Druck auf den Nebenkläger ausüben sollten oder ob auch diese zur Zahlung aufgefordert werden sollten, wofür die Formulierung "gebt zurück ihr Betrüger" sprechen könnte.
36
Sollte nur auf den Nebenkläger Druck ausgeübt werden - auch Dritten in Aussicht gestellte Übel können genügen (vgl. Gropp/Sinn in MüKo § 240 Rn. 82 mwN) - könnte hier letztlich eine tatbestandliche Handlungseinheit vorliegen (vgl. Vogel aaO Rn. 51).
37
Sollten dagegen auch Frau und Tochter zur Zahlung aufgefordert werden , wäre (versuchte) Erpressung mehrfach erfüllt, selbst wenn sich die Forderungen , jedenfalls wirtschaftlich, nur gegen ein Vermögen richtete, da § 253 StGB auch das höchstpersönliche Rechtsgut Willensfreiheit schützt (BGH, Urteil vom 28. April 1992 - 1 StR 148/92 mwN). Allein dadurch, dass, wie die Strafkammer festgestellt hat, die Postkarten - sei es auch gleichzeitig - (von K. etwa 45 km entfernt) im selben Briefpostzentrum in Ko. aufgegeben wurden, wären diese Taten nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit verbunden (BGH, Urteil vom 24. November 2004 - 5 StR 220/04, wistra 2005, 56, 57).
38
b) Räuberische Erpressung (§ 255 StGB) erfordert eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Genaue zeitliche Grenzen dafür, wann eine für die Zukunft angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist, lassen sich nicht allgemein festlegen. Gegenwärtigkeit kann grundsätzlich auch dann noch vorliegen , wenn dem Opfer eine - nicht zu lang bemessene - Zahlungsfrist gesetzt ist. Entscheidend sind die nicht zuletzt nach Maßgabe der vom Täter für möglich gehaltenen Opfersicht zu beurteilenden Umstände des Einzelfalls, wobei das Revisionsgericht im Wesentlichen nur den vom Tatrichter angelegten Maßstab überprüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 332/98, NStZ-RR 1999, 266, 267; Beschluss vom 4. September 1997 - 1 StR 489/97, NStZ-RR 1998, 135; Urteil vom 28. August 1996 - 3 StR 180/96, BGHR StGB § 255 Drohung 9 jew. mwN).
39
c) Wieso durch die Versendung von Postkarten eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet sein könnte (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), ist nicht ersichtlich.
40
d) Tateinheit zwischen dem gescheiterten Überfall und der versuchten Erpressung durch die Postkarten läge nicht vor, auch wenn, wie die Strafkammer erwägt, die Motive von Re. auf den Karten auf den dort versuchten Überfall hinweisen und so die neue Drohung unterstreichen sollten. Auch wenn im Rahmen einer (versuchten) Erpressung mehrere Einzelakte auf den Willen des Opfers einwirken sollen und somit nur die ursprüngliche Drohung durchgehalten wird, liegt Tateinheit im Blick auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt nur bei engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang dieser Einzelakte vor (BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369). Dies ist im Verhältnis zwischen einem versuchten Überfall in Re. und Wochen später von Ko. mit der Post nach Bukarest und Re. geschickten Drohungen nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die erste Tat die Erpressung nur vorbereiten sollte, ohne dass der Erpresser am unmittelbaren Taterfolg wirtschaftliches Interesse hatte. Wären aber nicht einmal zwei unmittelbare Erpressungsversuche unter den gegebenen Umständen tateinheitlich verbunden, kann für einen Erpressungsversuch und den vorangegangenen Versuch, die Aussichten dieses Erpressungsversuchs durch die einschüchternde Wirkung einer anderen Straftat zu vergrößern, erst recht nichts anderes gelten.
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9. Die Hauptverhandlung, die sich, naheliegend wegen der schwierigen Beweislage, über 21 Verhandlungstage hinzog, fand mit reduzierter Gerichtsbesetzung statt. Die nach der Zurückverweisung einer Sache mögliche Änderung der Besetzungsentscheidung erscheint hier erwägenswert. Nack Wahl Graf Jäger Sander