Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2005 - XII ZR 24/02

bei uns veröffentlicht am16.02.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 24/02
vom
16. Februar 2005
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2005 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die
Richterin Dr. Vézina

beschlossen:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. Dezember 2001 wird nicht angenommen.

Gründe:

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur analogen Anwendung des § 539 BGB a.F. auf Fälle, in denen im Verlauf der Mietzeit ein Mangel auftritt und der Mieter den Mietzins gleichwohl über längere Zeit vorbehaltlos weiterbezahlt, auch nach Inkrafttreten des neuen Mietrechts für § 536 b BGB n.F. fortgilt, hat der VIII. Senat durch Urteil vom 16. Juli 2003 (BGHZ 155, 380) entschieden. Danach ist eine analoge Anwendung des ab 1. September 2001 geltenden § 536 b BGB in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu § 539 BGB a.F. ausgeschlossen. Der Senat schließt sich dieser Rechtsansicht auch für den Bereich der gewerblichen Miete an. 2. Die Revision hat im Endergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (vgl. § 554 b ZPO a.F. in der Auslegung des Beschlusses des BVerfG vom 11. Juni 1980 - 1 PBvU 1/79 - BVerfGE 54, 277). Zwar verstößt das Berufungsgericht, soweit es die Feststellungswiderklage der Beklagten abgewiesen hat, gegen die obengenannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem seit dem
1. September 2001 geltenden § 536 b BGB. Danach kann für das neue Mietrecht nicht mehr von einer planwidrigen Regelungslücke für die Fälle eines nachträglich aufgetretenen Mangels ausgegangen und somit § 536 b BGB539 BGB a.F.) auf diese Fälle nicht mehr analog angewandt werden. Deshalb kann den Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ihr Recht zur Minderung der Pacht für die Zeit ab 1. September 2001 jedenfalls nicht durch eine analoge Anwendung des § 536 b BGB abgesprochen werden. 3. Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Die Beklagten haben nämlich ihr Recht zur Minderung für die Zeit ab 1. September 2001 verwirkt.
a) Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, daß dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde (BGHZ 84, 281; 105, 298; BGH Urteil vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - NJW 2003, 824). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagten wußten seit Februar 1994, daß für eine Grenzbebauung die Übernahme einer Baulast durch den benachbarten Grundstückseigentümer (damals der Kläger) erforderlich ist. Sie haben - nach eigener Behauptung -, nichts unternommen, um die für eine Baugenehmigung erforderlichen Unterlagen beizubringen, obwohl sie seit 1995 wußten, daß die von den Klägern erteilte Einverständniserklärung (angeblich) nicht ausreichend war. Soweit sie pau-
schal behaupten, die Kläger zu weiteren Handlungen aufgefordert zu haben, ist ihr Vortrag unsubstantiiert. Die Beklagten haben ihre Behauptung, die Kläger hätten mehrmals Abhilfe zugesagt, obwohl das Landgericht den Vortrag insoweit als unsubstantiiert zurückgewiesen hat, in zweiter Instanz ebenfalls nicht substantiiert. Sie haben auch sonst in keiner Weise zu erkennen gegeben, daß sie den Plan einer Grenzbebauung weiter verfolgen wollen. Sie haben im Gegenteil den gestellten Bauantrag zurückgezogen. Die Beklagten haben den Klägern somit nicht nur vier Jahre lang keine Mitteilung davon gemacht, daß die Baugenehmigung an unzureichenden Erklärungen der Kläger gescheitert sei, sie haben darüber hinaus in diesen vier Jahren vorbehaltlos den Pachtzins bezahlt. Die Kläger haben sich auch aufgrund dieses Verhaltens der Beklagten darauf eingerichtet, daß diese in Zukunft von ihnen keine weiteren Maßnahmen und Erklärungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Grenzbebauung verlangen würden, und durch den Verkauf des Nachbargrundstücks entsprechende Dispositionen getroffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina

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(1) Der Mieter kann vom Vermieter Aufwendungen auf die Mietsache, die der Vermieter ihm nicht nach § 536a Abs. 2 zu ersetzen hat, nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt verlangen. (2) Der Mieter ist berechtigt, eine

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Bundesgerichtshof Urteil, 14. Nov. 2002 - VII ZR 23/02

bei uns veröffentlicht am 14.11.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VII ZR 23/02 Verkündet am: 14. November 2002 Fahrner, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGB § 24
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Bundesgerichtshof Urteil, 19. Okt. 2005 - XII ZR 224/03

bei uns veröffentlicht am 19.10.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 224/03 Verkündet am: 19. Oktober 2005 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Okt. 2006 - XII ZR 33/04

bei uns veröffentlicht am 18.10.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 33/04 Verkündet am: 18. Oktober 2006 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Nov. 2014 - XII ZR 15/12

bei uns veröffentlicht am 05.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR15/12 Verkündet am: 5. November 2014 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR

Landgericht Frankenthal (Pfalz) Urteil, 31. Mai 2010 - 7 O 31/09

bei uns veröffentlicht am 31.05.2010

Tenor 1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger als Gesamtschuldner 39.988,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2008 zu bezahlen. 2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin

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(1) Der Mieter kann vom Vermieter Aufwendungen auf die Mietsache, die der Vermieter ihm nicht nach § 536a Abs. 2 zu ersetzen hat, nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt verlangen.

(2) Der Mieter ist berechtigt, eine Einrichtung wegzunehmen, mit der er die Mietsache versehen hat.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 23/02 Verkündet am:
14. November 2002
Fahrner,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Verwirkung setzt auch voraus, daß zum Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten
des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten
rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend
machen.
BGH, Urteil vom 14. November 2002 - VII ZR 23/02 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. November 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. November 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin in Höhe von 203.796,36 DM zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Revisionsverfahren noch Werklohn für nicht erbrachte Leistungen abzüglich ersparter Aufwendungen in Höhe von 203.796,36 DM. Sie wurde im Jahre 1994 von der Beklagten mit den Trockenbauarbeiten eines Bauvorhabens beauftragt. Nach fristloser Kündigung der Beklagten, deren Berechtigung im Streit ist, erstellte die Klägerin am 23. Mai 1995 Schluß-
rechnung über 124.698,62 DM, worauf die Beklagte insgesamt 92.218,50 DM zahlte. Die Schlußrechnung enthält nur die Abrechnung der erbrachten, streitigen Leistungen. Streitig ist auch, ob die Parteien sich später geeinigt haben, diese Schlußrechnung als "Abschlagsrechnung" zu behandeln. Am 8. Dezember 1997 erstellte die Klägerin erneut Schlußrechnung über einen Betrag von 193.393,95 DM. Sie wies darauf hin, daß nicht ausgeführte Leistungen noch separat berechnet würden. Auf diese Schlußrechnung zahlte die Beklagte noch weitere kleinere Beträge. Bei den sich anschließenden Verhandlungen forderte die Beklagte weitere Leistungsnachweise hinsichtlich der erbrachten Leistungen. Die Klägerin reagierte nicht, sondern erstellte am 18. August 2000 erneut Schlußrechnung, in der sie erstmals die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen zu einem Bruttopreis von 203.796,36 DM verlangte. Das Landgericht hat die Klage insoweit wegen Verjährung abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Begehren weiter. Der Senat hat die Anschlußrevision der Beklagten nicht angenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das für das Schuldverhältnis maßgebende Recht richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die "verjährungsrechtliche Lösung" des Landgerichts sei nicht frei von Bedenken. Jedenfalls könne die Klägerin die Forderung wegen Verwirkung nicht mehr geltend machen, weil sie diesen Anspruch erst rund fünfeinhalb Jahre nach dem Ende ihrer Tätigkeit für die Beklagte erhoben habe. Zu diesem Zeitpunkt habe diese darauf vertrauen dürfen, daß ein derartiger Anspruch seitens der Klägerin nicht mehr verfolgt würde. Die Verhandlungen hätten sich nur auf die erbrachten Leistungen bezogen. Die Klägerin sei erstmals in der Rechnung vom 18. August 2000 auf die Forderung nach Vergütung der kündigungsbedingt "ausgefallenen" Leistungsteile umgeschwenkt. Vorher habe sie nur einen pauschalen Hinweis in der Schlußrechnung vom 8. Dezember 1997 erteilt.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts belegen nicht die Annahme, die Beklagte könne sich auf Verwirkung berufen. 1. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so daß die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (BGH, Urteil vom 26. Mai 1992 - VI ZR 230/91, ZIP 1992, 1402 = NJW-RR 1992, 1240). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch
nicht mehr geltend machen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2001 - VII ZR 416/99, NJW 2001, 1649 = BauR 2001, 784 = ZfBR 2001, 313 jeweils m.w.N.). 2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Unabhängig von der Frage, ob die verstrichene Zeit für die Annahme einer Verwirkung überhaupt ausreichend sein könnte, fehlt es jedenfalls an den erforderlichen Anhaltspunkten dafür, daß sich die Beklagte darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, die Klägerin werde auf eine Werklohnforderung für nicht erbrachte Leistungen nicht mehr zurückkommen. Gegen einen derartigen Vertrauenstatbestand, der nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann, spricht entscheidend der Hinweis der Klägerin in der Schlußrechnung vom 8. Dezember 1997. Auch aus dem Umstand, daß die Klägerin zunächst restlichen Werklohn für erbrachte Leistungen gefordert hatte und erst im Jahre 2000 dazu übergegangen ist, eine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen geltend zu machen, kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nichts Entscheidendes für die Annahme einer Verwirkung hergeleitet werden. Im übrigen fehlt es an Feststellungen dazu , daß sich die Beklagte, sollte doch von einem seitens der Klägerin gesetzten Vertrauenstatbestand auszugehen sein, hierauf auch tatsächlich eingerichtet hat.
3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Die Verjährungsfrage kann vom Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Dressler Haß Hausmann Kuffer Kniffka