Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Aug. 2010 - XII ZB 138/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
- 1
- Durch Beschluss des Amtsgerichts - Betreuungsgericht - vom 8. März 2010 ist die Beteiligte zur Betreuerin der Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Rechts-, Antragsund Behördenangelegenheiten, insbesondere Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen in Sorgerechtsangelegenheiten, bestellt worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 2
- Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 3
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft; das Betreuungsverfahren ist auf Anregung des Klinikums W. vom 18./19. Februar 2010, mithin nach dem 31. August 2009, eingeleitet worden (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG).
- 4
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
- 5
- a) Zwar durfte das Beschwerdegericht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen.
- 6
- Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Betreuungsgericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören (Satz 1) und sich - ggf. in der üblichen Umgebung des Betroffenen (Satz 3) - von diesem einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Satz 2). Diese Anhörungspflicht gilt gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren. Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht allerdings von der Durchführung einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies gilt grundsätzlich auch für die Anhörungspflicht nach § 278 Abs. 1 FamFG (vgl. auch - für den Fall der persönlichen Anhörung nach § 420 FamFG - BGH Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10 - juris Tz. 9, vom 4. März 2010 - V ZB 222/09 - FGPrax 2010, 154 und vom 28. Januar 2010 - V ZB 2/10 - FGPrax 2010, 163). Im vorliegenden Fall war die Betroffene bereits vom Amtsgericht - am 23. Februar 2010, also nur rund einen Monat zuvor - zur Frage einer Betreuerbestellung persönlich ange- hört worden. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien. Diese Einschätzung ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Besondere sonstige Umstände , die eine erneute Anhörung der Betroffenen geboten hätten (vgl. etwa BGH Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10 - juris Tz. 9), sind nicht ersichtlich.
- 7
- b) Die angefochtenen Entscheidungen verletzen jedoch - von der Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt - aus anderem Grund das Recht der Betroffenen auf rechtliches Gehör.
- 8
- Das Amtsgericht hat seinen Beschluss vom 8. März 2010 tragend auf ein Gutachten gestützt, das die Fachärztin Dr. G. am 7. Oktober 2009 - im vorausgehenden Betreuungsverfahren - erstattet hat. Entsprechend der Empfehlung der Gutachterin ist das Gutachten der Betroffenen nicht ausgehändigt worden, um das paranoide Erleben der Betroffenen nicht zu verstärken. Auch im vorliegenden Verfahren ist eine solche Aushändigung nicht erfolgt.
- 9
- Zwar kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1896 Rdn. 182 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene nicht anwaltlich vertreten ist. Im vorliegenden Verfahren war für die anwaltlich nicht vertretene Betroffene kein Verfahrenspfleger bestellt. Zwar hat das Betreuungsgericht der Betroffenen mit Beschluss vom 8. März 2010 Rechtsanwalt F. als Verfahrenspfleger bestellt. Diese Bestellung erfolgte jedoch zeitgleich mit dem hier angefochtenen Beschluss über die Einrichtung der Betreuung und betraf ausdrücklich nur die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und die Unterbringung und Zwangsmedikation der Betroffenen , daher nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
- 10
- Dem angefochtenen Beschluss sind mithin Tatsachen zugrunde gelegt worden, zu denen die Betroffene sich - mangels Kenntnis - weder selbst noch durch einen Verfahrenspfleger oder Verfahrensbevollmächtigten verhalten konnte. Dieser Gehörsverstoß wird nicht dadurch geheilt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts - ebenso wie die Entscheidung des Beschwerdegerichts - auch auf die fachärztliche Stellungnahme vom 18. Februar 2010 gestützt wird, mit der Ärzte des Klinikums W. erneut die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene angeregt hatten. Zum einen wird diese Stellungnahme in den angefochtenen Entscheidungen nur ergänzend - zur Bestätigung des gutachtlichen Befundes und als Beleg für dessen fortdauernde Aktualität - herangezogen. Zum anderen hat gemäß § 280 FamFG der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit dieser Maßnahme vorauszugehen. Die fachärztliche Stellungnahme erfüllt - schon mangels Einholung durch das Gericht - diese Voraussetzung nicht. Sie könnte - als ärztliches Zeugnis - das von § 280 FamFG geforderte Gutachten nur unter den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 FamFG ersetzen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 08.03.2010 - 667 XVII M4149 -
LG Hannover, Entscheidung vom 29.03.2010 - 3 T 23/10 -
moreResultsText
Annotations
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde, sind weiter die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Auf Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren finden die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften Anwendung, wenn die Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde.
(2) Jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ist ein selbständiges Verfahren im Sinne des Absatzes 1 Satz 1.
(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren in Familiensachen, die am 1. September 2009 ausgesetzt sind oder nach dem 1. September 2009 ausgesetzt werden oder deren Ruhen am 1. September 2009 angeordnet ist oder nach dem 1. September 2009 angeordnet wird, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.
(4) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, die am 1. September 2009 vom Verbund abgetrennt sind oder nach dem 1. September 2009 abgetrennt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen werden im Fall des Satzes 1 als selbständige Familiensachen fortgeführt.
(5) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen am 31. August 2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen wurde, sowie auf die mit solchen Verfahren im Verbund stehenden Scheidungs- und Folgesachen ab dem 1. September 2010 die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.
(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.
(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.
(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.
(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.
(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.
(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:
- 1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung, - 2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse, - 3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen, - 4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und - 5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.
(1) Anstelle eines Sachverständigengutachtens nach § 280 genügt ein ärztliches Zeugnis, wenn der Betroffene die Bestellung eines Betreuers beantragt und auf die Begutachtung verzichtet hat und die Einholung des Gutachtens insbesondere im Hinblick auf den Umfang des Aufgabenkreises des Betreuers unverhältnismäßig wäre.
(2) § 280 Abs. 2 gilt entsprechend.