Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2006 - XI ZB 45/04

bei uns veröffentlicht am09.05.2006
vorgehend
Landgericht Memmingen, 2 O 1262/03, 13.01.2004
Oberlandesgericht München, 24 U 140/04, 30.08.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 45/04
vom
9. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Zur Frage, wie sich ein pflichtbewusster Rechtsanwalt verhalten muss, wenn die
Berufungsbegründung wegen eines erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist aufgetretenen
Defekts des Druckers seines Laptops nicht ausgedruckt werden kann,
in der Kanzlei aber ein weiterer Computer mit Drucker vorhanden war.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - XI ZB 45/04 - OLG München in Augsburg
LG Memmingen
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin
Mayen und den Richter Prof. Dr. Schmitt
am 9. Mai 2006

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 30. August 2004 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 1.108.100,44 €

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat der Feststellungsklage der Kläger stattgegeben und die Widerklage der Beklagten abgewiesen. Gegen das am 16. Januar 2004 zugestellte Urteil legte die Beklagte, eine Rechtsanwältin , am 16. Februar 2004 Berufung ein. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. April 2004 ging die 104 Seiten umfassende Berufungsbegründung erst am nächsten Morgen von 00.04 Uhr bis 01.29 Uhr per Fax beim Oberlandesgericht ein. Am 29. April 2004 hat die Beklagte gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
2
Sie macht für die Fristversäumung den Defekt eines Druckers und einen Computerfehler verantwortlich. Nachdem ihre Sekretärin den schon seit einigen Tagen vorliegenden Berufungsbegründungsentwurf am Morgen des 16. April 2004 noch einmal überarbeitet habe, habe sie, die Beklagte, die Arbeit nach Büroschluss fortgesetzt. Der um 22.32 Uhr endgültig fertig gestellte und in ihrem Laptop gespeicherte Schriftsatz habe aber mit Hilfe des an den Laptop angeschlossenen Druckers wegen einer erstmals aufgetretenen Funktionsstörung nicht ausgedruckt werden können. Den an den Computer ihrer Sekretärin angeschlossenen Drucker habe sie ebenfalls zunächst nicht benutzen können, weil die die Berufungsbegründung enthaltende Datei im Speicher dieses Computers wegen eines weiteren unvorhersehbaren technischen Defektes nicht mehr auffindbar gewesen sei. Sie habe die Berufungsbegründungsschrift deshalb unter Verwendung bereits bearbeiteter Einzeldokumente noch einmal hergestellt und um 23.56 Uhr an das Berufungsgericht faxen wollen. Da sie aufgrund emotionaler Erregung zunächst eine falsche Faxnummer des Oberlandesgerichts eingegeben habe, habe mit der Faxübertragung erst nach Mitternacht und damit verspätet begonnen werden können.
3
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass für einen Rechtsanwalt , der eine Frist bis zum letzten Tag ausnütze, grundsätzlich ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab gelte. Danach treffe die Beklagte an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden. Der plötzliche Ausfall des Druckers ihres Laptops sei ohne Bedeutung, weil auch der im Sekretariat stehende Drucker habe benutzt werden können. Zwar sei der Umstand, dass die Berufungsbegründungschrift in dem Speicher des Computers der Sekretärin angeblich nicht mehr auffindbar gewesen sei, für die Fristversäumung ursächlich geworden. Angesichts des nachgewiesenen einwandfreien Zustands und der laufenden Wartung des Computer-Systems sei aber bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Beklagte den Computer falsch bedient habe. Auch die Verwendung der seit 2001 nicht mehr gültigen Faxnummer des Oberlandesgerichts beruhe auf Fahrlässigkeit. Die Fristversäumung sei außerdem auch deshalb verschuldet, weil die Beklagte sich nach dem gescheiterten Ausdruck der Berufungsbegründungsschrift trotz der fortgeschrittenen Zeit dazu entschlossen habe, diese noch einmal zu erstellen, statt mit einer Übersendung der bereits vollständig ausgedruckt vorliegenden Erstfassung den sichersten Weg zu wählen.
4
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.


5
Rechtsbeschwerde Die ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Se- natsbeschluss vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284), sind nicht erfüllt.
6
1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. In der angefochtenen Entscheidung wird kein abstrakter Rechtssatz aufgestellt, der von einem in einer anderen Entscheidung eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (vgl. Senat BGHZ 152, 182, 186 m.w.Nachw.). Im von der Rechtsbeschwerde angeführten Beschluss des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 17. Mai 2004 (II ZB 22/03, NJW 2004, 2525) ist insoweit lediglich ausgeführt, dass es für einen auf einen vorübergehenden "Computer -Defekt" oder "Computer-Absturz" gestützten Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und zu seiner Behebung bedarf. Solche Ausführungen finden sich im Wiedereinsetzungsantrag nur zum Defekt des mit dem Laptop der Beklagten verbundenen Druckers , nicht aber zum angeblichen Verschwinden der die Berufungsbegründung enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin. Insoweit kommt, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, bei lebensnaher Betrachtung lediglich ein Bedienungsfehler der Beklagten in Betracht.
7
2. Das Berufungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Die Auffassung des Oberlandesgerichts , die Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt zu haben (§ 233 ZPO), über- spannt unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen nicht die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen.
8
Nach a) ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschlüsse vom 23. April 1998 - I ZB 2/98, NJW 1998, 2677 und vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481 m.w.Nachw.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen , wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217). Diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht gerecht geworden.
9
Aus b) ihrem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich nicht ausreichend , dass die Fristversäumung wegen eines Defekts ihres Druckers oder eines Fehlers des Computers ihrer Sekretärin unabwendbar war.
10
aa) Für einen Fehler des Computers der Sekretärin mangelt es, wie bereits ausgeführt, an ausreichendem Vorbringen der Beklagten. Für das angebliche Verschwinden der die Berufungsbegründungsschrift enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin fehlt, wenn kein Bedienungsfehler der Beklagten vorliegt, jede nachvollziehbare Erklärung. Wenn die Rechtsbeschwerde das angebliche Verschwinden der Datei auf den Ausfall des Druckers zurückführt, so handelt es sich hierbei um eine bloße Vermutung, die von dem Systemspezialisten nicht bestätigt worden ist und für die so gut wie nichts spricht, da der defekte Drucker offenbar nur für den Laptop der Beklagten der aktuelle Drucker war, nicht aber für den Computer der Sekretärin, der mit einem anderen Drucker verbunden war. Überdies ist dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht - wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW-RR 2004, 2525, 2526) - zu entnehmen, dass sie den Computer der Sekretärin auch bei nächtlicher Arbeit und unter Zeitdruck sicher bedienen konnte.
11
bb) Die Ansicht der Beklagten, es sei ihr nicht vorzuwerfen, dass sie den Defekt des Druckers für ihren Laptop und das angebliche Verschwinden der Datei im Computer der Sekretärin zum Anlass genommen habe, aus bearbeiteten Einzeldokumenten die Berufungsbegründung erneut zusammenzustellen und auszudrucken, trifft nicht zu. Die nach den eigenen Angaben der Beklagten im Laptop gespeicherte endgültige Fassung der Berufungsbegründungsschrift hätte - worauf die Beschwerdeerwiderung mit Recht hinweist - mit Hilfe des Druckers des Computers der Sekretärin ausgedruckt werden können, weil offenbar ein gemeinsamer Server vorhanden war. Abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, warum die im Laptop gespeicherte Berufungsbegründung nicht mit Hilfe eines gebräuchlichen Speichermediums (z.B. Diskette oder CD-Rom) in den Computer der Sekretärin übertragen worden und von dort ausgedruckt worden ist. Nichts spricht dafür, dass die Berufungsbegründungsfrist auch dann versäumt worden wäre.
12
c) Unabhängig davon hat die Beklagte die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch deshalb zu verantworten, weil sie es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, zum Schutz ihres Mandanten den sichersten Weg zu wählen. Wie sich aus ihren eigenen Angaben ergibt, lag am Tag des Fristablaufs gegen 18.00 Uhr eine ausgedruckte vollständige Fassung der Berufungsbegründung vor, als sie diese noch einmal überarbeitete. Diesen Schriftsatz hätte sie per Telefax fristgerecht beim Oberlandesgericht einreichen können, und zwar auch noch als sie um 22.32 Uhr die Endfassung in ihrem Laptop abgespeichert hatte. Dazu war die Beklagte verpflichtet, weil ein pflichtbewusster Rechtsanwalt kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist jedes Risiko meidet, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, es liege grundsätzlich im freien Ermessen des Prozessbevollmächtigten , welche Fassung eines bestimmenden Schriftsatzes er für endgültig und unterschriftswürdig erachtet, greift hier nicht, zumal für eine wesentliche inhaltliche Änderung der seit 18.00 Uhr ausgedruckt vorliegenden Fassung der Berufungsbegründung nichts vorgetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481).
Nobbe Müller Joeres
Mayen Schmitt
Vorinstanzen:
LG Memmingen, Entscheidung vom 13.01.2004 - 2 O 1262/03 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 30.08.2004 - 24 U 140/04 -

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 43/04
vom
22. November 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Zur eindeutigen Bezeichnung des Rechtsmittelführers.
BGH, Beschluss vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04 - OLG Karlsruhe in Freiburg
LG Waldshut-Tiengen
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, den die Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die
Richter Dr. Ellenberger und Prof. Dr. Schmitt
am 22. November 2005

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Drittwiderbeklagten gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - vom 9. Dezember 2004 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 631.189,32 €.

Gründe:


I.


1
Der Kläger nimmt die beklagte Volksbank im Zusammenhang mit einem bei dieser geführten Wertpapierdepot aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau, der Drittwiderbeklagten, auf Schadensersatz und Auskunft in Anspruch, die Beklagte verlangt mit der Widerklage vom Kläger und der Drittwiderbeklagten Rückzahlung von Darlehensschulden und die Duldung der Zwangsvollstreckung. Das Landgericht hat die Klage bis auf einen Teil des Auskunftsbegehrens abgewiesen und der Widerklage überwiegend stattgegeben.
2
Gegen das Urteil, das dem Kläger und der Drittwiderbeklagten am 25. Juni 2004 zugestellt worden war, hat deren erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter am 16. Juli 2004 unter Vorlage des angefochtenen Urteils Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift, die im Eingang den Kläger als Berufungskläger und die Beklagte als Berufungsbeklagte bezeichnet , heißt es auf Seite 2, "namens und im Auftrag des Berufungsklägers" werde Berufung eingelegt, die zunächst nur zur Fristwahrung diene. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten und Widerklägerin würden aufgefordert, sich noch nicht zu legitimieren, bis "der Kläger und Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagte entschieden" hätten, ob sie die Berufung durchführten oder nicht. In dem am 25. Oktober 2004 bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz ist ausgeführt, die Berufung sei auch für die Drittwiderbeklagte eingelegt worden.
3
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2004 hat das Oberlandesgericht die Berufung der Drittwiderbeklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Auslegung der Berufungsschrift ergebe angesichts des Fehlens der Drittwiderbeklagten im Rubrum auch unter Einbeziehung des angefochtenen Urteils und unter Berücksichtigung des auf Seite 2 der Berufungsschrift enthaltenen Textes nicht, dass die Berufung auch für die Drittwiderbeklagte eingelegt worden sei. Die Erwähnung der Drittwiderbeklagten im Zusammenhang mit der Frage, ob die Berufung tatsächlich durchgeführt werden solle, belege eine Berufungseinlegung der Drittwiderbeklagten im Rahmen der ausdrücklich allein namens des Berufungsklägers erhobenen Berufung schon deshalb nicht, weil die Frist zur Einlegung der Berufung seinerzeit noch nicht abgelaufen gewesen sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Drittwiderbeklagten.

II.


4
Rechtsbeschwerde Die ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - VI ZB 10/03, NJW 2003, 2991), sind nicht erfüllt.
5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich.
6
a) Allerdings ist der Rechtsbeschwerde darin zuzustimmen, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung Verfahrensgrundrechte einer Partei - etwa auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) - verletzt und darauf beruht (BGHZ 154, 288, 296 und BGHZ 159, 135, 139 f. zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
7
b) Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Drittwiderbeklagten den Zugang zur Berufungsinstanz nicht auf Grund von überspannten Anforderungen versagt (vgl. hierzu BVerfGE 41, 323, 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 2001, 2161, 2162; BGHZ 151, 221, 227).
8
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (früher: § 518 Abs. 2 ZPO a.F.) nur entsprochen , wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2004 - VI ZB 53/03, NJW-RR 2004, 572, 573 m.w.Nachw.). Richtig ist auch, dass die erforderliche Klarheit über den Rechtsmittelführer nicht allein aus dessen ausdrücklicher Bezeichnung zu erzielen ist. Sie kann vielmehr - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2004 aaO m.w.Nachw.).
9
bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht hier ohne Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Drittwiderbeklagten zu dem Ergebnis gelangt, dass die entscheidende Frage, ob die Drittwiderbeklagte mit der Berufungsschrift vom 15. Juli 2004 Berufung eingelegt hat, anhand dieses Schriftsatzes und der sonstigen Umstände nicht zuverlässig zu beantworten ist. Entscheidend ist, dass die Berufung ausdrücklich namens und im Auftrag "des Berufungsklägers" eingelegt worden ist, dass dort als solcher ausdrücklich nur der Kläger bezeichnet wird und dass die ausschließlich im Zusammenhang mit der Frage, ob die Berufung durchgeführt werden soll, erfolgte Erwähnung der Drittwiderbeklagten kein anderes Ergebnis rechtfertigt. Wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, machte dieser Zusatz angesichts der noch laufenden Berufungsfrist auch für den Fall Sinn, dass die Drittwiderbeklagte ihrerseits mit der Berufung des Klägers noch keine Berufung hatte einlegen wollen.
10
cc) Das Berufungsgericht hat bei seiner Auslegung entgegen den Rügen der Rechtsbeschwerde auch nicht etwa den Anspruch der Drittwiderbeklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 GG verletzt. Die Rechtsbeschwerde zeigt keine besonderen Umstände auf, die zweifelsfrei darauf schließen ließen, dass das Berufungsgericht tatsächliches Vorbringen der Drittwiderbeklagten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BGHZ 154, 288, 300 m.w.Nachw.).
11
Schon aus tatsächlichen Gründen hatte das Berufungsgericht keinen Anlass, auf den Vortrag einzugehen, die Beklagte habe durch die Stellung einer Bankbürgschaft für die Drittwiderbeklagte ihre Auffassung zum Ausdruck gebracht, das Urteil sei insgesamt nicht rechtskräftig. Wie der Schriftwechsel zwischen den Parteien belegt, ging die Beklagte, die insoweit die Erteilung eines Rechtskraftvermerks beantragt hatte, stets von der Rechtskraft der Entscheidung hinsichtlich der Drittwiderbeklagten aus. Dass zwischen Kläger und Drittwiderbeklagter entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine notwendige Streitgenossen- schaft bestand, belegt schon die eigenständige Klage des Klägers. Erfolglos macht die Rechtsbeschwerde auch geltend, das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 GG und das Gebot willkürfreien Verfahrens übergangen, dass eine Berufung allein des Klägers, nicht aber der Drittwiderbeklagten - zumal angesichts der existentiellen Bedeutung des Rechtsstreits für beide - keinen "Sinn" gemacht hätte. Dies vermag einen Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte der Drittwiderbeklagten schon deshalb nicht zu begründen, weil die Frage nach dem Sinn einer isolierten oder einer gemeinsamen Berufung von Kläger und Drittwiderbeklagter nichts daran ändert, dass - aus welchen Gründen auch immer - einer von beiden von der Berufung absehen konnte. Es war keinesfalls unzweifelbar erkennbar, dass das Rechtsmittel entgegen dem äußeren Anschein der Berufungsschrift für beide gleichzeitig eingelegt werden sollte. Dies gilt hier in besonderer Weise angesichts der Tatsache, dass Kläger und Drittwiderbeklagte unterschiedliche Adressen haben, letztere unter einer Adresse im Ausland wohnt. Angesichts dessen kann auch keine Rede von einer willkürlichen Entscheidung des Berufungsgerichts sein.
12
Die 2. Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die von der Rechtsbeschwerde für grundsätzlich erachtete Frage, ob "EDV-Fehler" zu Lasten der durch das erstinstanzliche Urteil beschwerten Partei gelöst werden dürften, wenn die Parteirollen hinreichend erkennbar und bei interessengerechter Auslegung unzweifelhaft seien, stellt sich nach den vorangegangenen Ausführungen nicht.
13
3.DieKostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Nobbe Joeres Mayen
Ellenberger Schmitt

Vorinstanzen:
LG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 24.06.2004 - 2 O 25/04 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 09.12.2004 - 4 U 78/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 22/03
vom
17. Mai 2004
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die unerwartet lange Dauer einer Telefaxübermittlung
gestützt, hat das Gericht die zum Vergleich vorgelegten
Sendeberichte zu würdigen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Februar 2001 - V ZB
33/00, NJW-RR 2001, 916).

b) Ein auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt" oder "Computer-Absturz"
gestützter Wiedereinsetzungsantrag bedarf näherer Darlegungen zur Art des
Defekts und seiner Behebung.
BGH, Beschluß vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03 - OLG München
LG München I
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. Mai 2004 durch
die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Münke, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Juli 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe:


I. Die von dem Kläger einzuhaltende Berufungsbegründungsfrist lief am 3. März 2003 ab. Die letzte, u.a. die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten des Klägers enthaltende Seite der per Fax an das Oberlandesgericht übermittelten Berufungsbegründung wurde nach den automatischen Aufzeichnungen des Empfangsgerätes, das über eine funkgesteuerte Zeitmessung verfügt, am 4. März 2003 00.01 Uhr empfangen und elektronisch abgespeichert. Die Übertragungszeit für 34 Seiten betrug nach dem Sendebericht des Klägers 17,51 Min., nach den Aufzeichnungen des Empfangsgeräts 17,55 Min., bei einer Übertragungsgeschwindigkeit von 9.600 Baud. Kurz darauf wurden 2 von bisher fehlenden 5 Seiten der insgesamt 39 seitigen Berufungsbegründung
nachübermittelt und von dem Empfangsgerät um 00.05 Uhr abgespeichert. Der Kläger meint, der Text der nur knapp halbseitig beschriebenen S. 39 mit der Unterschrift müsse von dem Empfangsgerät vor 00.00 Uhr empfangen worden sein. Hilfsweise hat der Kläger, der Rechtsanwalt ist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen, er habe die Berufungsbegründung am 3. März vor 24.00 Uhr in der Kanzlei seines Prozeßbevollmächtigten selbst "(fertig-)geschrieben". Dieser habe sie nach Prüfung unterzeichnet. Sie habe wegen eines "nicht nachvollziehbaren Computerdefektes (Abstürzen der Anlage)" erst um 23.40 Uhr mit ca. 1,5 Std. Verspätung ausgedruckt werden können. Der Defekt der seit mindestens 1,5 Jahren störungsfrei arbeitenden Computeranlage sei nicht vorhersehbar gewesen. Im übrigen hätten der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter aufgrund ihrer bisherigen, durch vorgelegte Sendeberichte belegten Erfahrungen darauf vertraut, daß nicht nur ca. 2, sondern knapp 4 Seiten/Min. "durchgefaxt" werden könnten. Mit der ungewöhnlich langen Übertragungsdauer hätten sie nicht rechnen müssen. Die Richtigkeit dieses Vortrags haben beide anwaltlich versichert.
Das Berufungsgericht hat die Berufungsbegründung für verspätet erachtet und die Berufung des Klägers unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im übrigen gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
1. Soweit das Berufungsgericht den Eingang der Berufungsbegründung für verspätet erachtet hat, wird dies von dem Beschwerdeführer nicht gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO gerügt. Eine Prüfung von Amts wegen findet insoweit in vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren nicht statt, weil dessen Gegenstand allein die gegen den Verwerfungsbeschluß des Berufungsgerichts erhobenen Rügen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 40/03, Umdr. S. 6, 7). Im übrigen ist die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt auch nicht zu beanstanden, weil der Kläger den von ihm zu führenden Nachweis des rechtzeitigen Eingangs seiner Berufungsbegründung mit der die Unterschrift seines Prozeßbevollmächtigten enthaltenden letzten Seite nicht geführt hat und eine Störung des Empfangsgerätes oder eine im technischen Verantwortungsbereich der Empfangsstelle liegende Ungenauigkeit der Zeitmessung nicht ersichtlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, WM 1994, 1349). Daß gemäß der vorliegenden Praxis des Oberlandesgerichts München der Zeitpunkt des nächtlichen Eingangs von Faxsendungen wegen der Verwendung eines mit Faxkarte ausgestatteten PC nicht nach demjenigen ihres Ausdrucks, sondern ihrer elektronischen Speicherung bestimmt wird und der Ausdruck regelmäßig erst am nächsten Morgen erfolgt, gereicht dem Kläger jedenfalls nicht zum Nachteil.
2. Das Berufungsgericht meint, die für die Faxübermittlung benötigte Zeit von 17,55 Min. sei für den Kläger oder dessen Prozeßbevollmächtigten vorhersehbar gewesen und ergebe daher keinen Wiedereinsetzungsgrund i.S. von § 233 ZPO. Die Sendezeit hänge von der Zahl der übermittelten Signale, d.h. der Schriftzeichen, ab. Die vorgetragene Differenz von 2 gegenüber 3 Seiten /Min. (= Minimaldifferenz) halte sich im erwartbaren Variationsbereich und sei als Sicherheitskarenz zu berücksichtigen gewesen.
Diese Begründung steht mit den im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 1. Februar 2001 (V ZB 33/00, NJW-RR 2001, 916) aufgestellten Grundsätzen nicht in Einklang und verkürzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG), was die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eröffnet (vgl. BGHZ 151, 221; BGH, Beschl. v. 30. April 2003 - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Abgesehen davon, daß der Kläger eine Differenz von mehr als 1 Seite/Min. geltend gemacht hat, hätte das Berufungsgericht nach dem Beschluß vom 1. Februar 2001 aaO prüfen müssen , ob die mit dem Wiedereinsetzungsantrag und später zur Glaubhaftmachung (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO) vorgelegten Sendeberichte nach Art und Empfänger der Sendungen mit der hier maßgeblichen Sendung vergleichbar sind. Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, worauf sich seine Annahme stützt, die vorgetragene Differenz von 2 zu ca. 3,5 Seiten/Min. (75 %) halte sich im vorhersehbaren Variationsbereich (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25. September 2000 - 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1566 f.). Dies hängt, wie bei dem erkennenden Senat gerichtsbekannt ist, nicht nur von der Anzahl der übermittelten (mit den Schriftzeichen nicht identischen) Signale, sondern auch von der zu erwartenden Übertragungsgeschwindigkeit ab. Andererseits schließt das nicht aus, daß bei der Faxübermittlung eine gewisse Zeitreserve einzukalkulieren ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. November 1999 - 2 BvR 565/98, NJW 2000, 574).
Eine eigene Sachentscheidung hierüber ist dem Senat verwehrt, weil es dazu noch tatrichterlicher Feststellungen bedarf (§ 577 Abs. 4 ZPO).
3. Zugunsten des Klägers zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO) ist die Sache nicht schon im Hinblick auf den von ihm zusätzlich geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund des "plötzlichen Abstürzens der Computeranlage".
Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers hierzu im Ergebnis zu Recht für nicht hinreichend erachtet, um eine Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO zu rechtfertigen. Darin liegt - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - keine Divergenz gegenüber dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 1994 (XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097 f. zu 4). Denn dort konnte offenbleiben , ob ein entsprechender Sachvortrag ausreicht, weil er zum einen verspätet vorgebracht (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO) und zum anderen nicht glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 ZPO) war. Das Berufungsgericht vermißt zu Recht den Vortrag der näheren Umstände des angeblichen Computerdefekts. Insbesondere fehlt jeglicher Vortrag dazu, wann, wie oder bei welcher Verrichtung sich der "nicht nachvollziehbare" Computerdefekt bemerkbar machte und wie es dennoch gelang, ihn nach 1,5 Std. bis 23.40 Uhr wieder zu beheben. Unklar ist weiter, ob mit dem "Abstürzen" ein (teilweiser) Verlust des bisher geschriebenen Textes verbunden war oder z.B. schlicht die Druckerfunktion nicht in Gang gesetzt werden konnte. In diesem Zusammenhang wäre gerade auch Vortrag dazu erforderlich gewesen, ob der Kläger und/oder sein Prozeßbevollmächtigter in die Bedienung des Computers und des Druckers so eingeübt waren , daß sie diese bei ihrer nächtlichen Arbeit ohne Schreibkraft sicher bedienen konnten.
4. Nach allem hängt die Entscheidung der Sache davon ob, ob der Kläger unter den gegebenen Umständen noch mit einer fristgerechten Faxübermittlung rechnen durfte (vgl. oben 2). Zu weiterer Aufklärung dieser Frage ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Goette Kraemer Münke Strohn Caliebe

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 9/04
vom
23. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 23. Juni 2004

beschlossen:
1. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen wird auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin der Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2003 als unzulässig verworfen worden ist.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
3. Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 340.441,50 €

Gründe:


I. Unter Abweisung der Widerklage im übrigen hat d as Landgericht die Klägerin zur Zahlung von 340.441,50 € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte und Widerkläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese - eingehend am 3. November 2003 - auch fristgerecht begründet. Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. August 2003 zugestellte Urteil am 29. August 2003 "selbständige Anschlussberufung" eingelegt, sodann Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 6. November 2003 beantragt, die ihr gewährt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 6. November 2003, der bei Geri cht erst am 7. November 2003 eingegangen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ihre Berufung begründet. Die Berufungsbegründung endet mit folgendem Zusatz: "V. Da die Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht nach Ablauf der verlängerten Frist zugegangen ist, stelle ich klar, dass die Berufung als unselbständige Anschlussberufung aufrecht erhalten bleibt." Mit am 20. November 2003 beim Oberlandesgericht ei ngegangenem Schriftsatz hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin für diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe am letzten Tag der Frist kurz nach 23.00 Uhr von seiner in der Rechtsanwaltskanzlei mitarbeitenden Ehefrau die vierte Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung als Computerausdruck vorgelegt bekommen. Er habe sodann bis 23.15 Uhr noch kleine Änderungen dik-

tiert, unter anderem eine geringfügig andere Anordnung eines Absatzes auf Seite 20 des Schriftsatzes, die Aufhebung einer Absatztrennung auf Seite 14 und eine Änderung der Position eines Geldb etrages von Seite 20 auf Seite 22. Gegen 23.35 Uhr habe er die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht per Telefax übermitteln wollen, dabei jedoch festgestellt, daß ganze Textteile gefehlt hätten. Beim Versuch, die Endfassung des Textes im Computer aufzurufen, habe sich gezeigt, daß wesentliche Teile des Textes verschwunden gewesen seien. Seine Ehefrau müsse vergessen haben, die Änderungen und Ergänzungen auf der Festplatte abzus peichern. Deshalb habe die Endfassung der Berufungsbegründung erst nach Mitternacht erstellt werden können.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesg ericht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Auslegung der von der Klägerin im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebenen Erklärungen ergebe, daß sie mit ihrer selbständigen Anschlußberufung eine selbständige Berufung habe einlegen wollen. Als solche sei das Rechtsmittel verspätet begründet und mithin unzulässig. Das Wiedereinsetzungsgesuch bleibe erfolglos, weil den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist treffe. Da er die Frist voll ausgeschöpft habe, habe ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Es sei ihm insoweit möglich und zuzumuten gewesen, in der gegebenen Situation die wenigen Änderungen, soweit sie angesichts der ablaufend en Frist nicht ohnehin verzichtbar gewesen seien, auf der ihm als Ausdruck vorgelegten vierten Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung handschriftlich

zu ergänzen und den so ergänzten Schriftsatz sodann per Fax an das Oberlandesgericht zu versenden.
II. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Kl ägerin hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses , soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4 und 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings de n Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Denn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verhalten ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, war hier nicht ohne sein Verschulden daran gehindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Zwar darf eine Partei eine Frist grundsätzlich bis zum Ablauf (24.00 Uhr) des letzten Tages ausnutzen. Sie hat in diesem Falle jedoch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluß vom 23. April 1998 - I ZB 2/98 - NJW 1998, 2677 unter II m.w.N.; vgl. auch VGH München, Beschluß vom 9. November 2001 - 15 ZB 01.30255 - veröffentlicht in juris ; BVerwG CR 1991, 753).
Diese besonderen Anforderungen hat der Prozeßbevol lmächtigte der Klägerin nicht beachtet. Denn es wäre ihm möglich und zumutbar

gewesen, die am letzten Tag der Frist um kurz nach 23.00 Uhr vorgelegte , ausgedruckte Fassung des vierten (und letzten) Entwurfs der Berufungsbegründung heranzuziehen, um rechtzeitig vor Fristablauf die Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Nach seinem Vorbringen hat er spätestens um 23.40 Uhr entdeckt, daß die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung erhebliche Lücken enthielt, die vermutlich auf einem Fehler seiner Ehefrau beim Abspeichern des Textes beruhten. In dieser Situation war es ihm zuzumuten , die lediglich marginalen Änderungen, die er im Anschluß an die Vorlage der vierten Fassung des Entwurfs noch diktiert hatte, handschriftlich in den Ausdruck einzufügen, um diesen sodann zu unterzeichnen und per Telefax zu versenden (vgl. dazu auch OLG München, OLGR 1994, 165). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von solchen Fällen, in denen es infolge einer Computerpanne kurz vor Fristablauf gänzlich unmöglich wird, einen Text rechtzeitig zu erstellen (OLG Celle NJW-RR 2003, 1439 f.) oder in denen ein defektes Faxgerät die rechtzeitige Übermittlung unmöglich macht (BGH, Beschluß vom 20. Februar 2003 - V ZB 60/02 - NJW-RR 2003, 861 f.).
Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, grundsätzli ch bestimme allein der Rechtsanwalt, wann er eine Rechtsmittelbegründung als fertiggestellt ansehe, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin müsse sich deshalb nicht auf handschriftliche Änderungen und E rgänzungen verweisen lassen, verkennt sie die Bedeutung der Berufungsbegründungsfrist. Es entspricht nicht den erhöhten Anforderungen an die bei der Fristwahrung aufzubringende Sorgfalt, wenn der Prozeßbevollmächtigte wegen nur geringfügigen Textveränderungen die Berufungsbegrün-

dungsfrist verstreichen läßt, um statt dessen auf eine Wiedereinsetzung zu vertrauen.
3. Steht somit zwar fest, daß die Klägerin die Ber ufungsbegründungsfrist versäumt hat, kann dennoch die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig keinen Bestand haben.

a) Die Klägerin hatte ihr Rechtsmittel ursprünglic h als selbständige Anschlußberufung bezeichnet und dabei übersehen, daß diese früher in § 522 Abs. 2 ZPO a.F. geregelte Form der Anschlußberufung dem neuen Zivilprozeßrecht fremd ist (BGH, Beschluß vom 30. April 2003 - V ZB 71/02 - BB 2003, 1356 = NJW 2003, 2388 unter II 2 a; BTDrucks. 14/4722 S. 98). Der Berufungsbeklagte hat nach neuem Recht zwei Möglichkeiten. Er kann sich entweder der Berufung des Gegners anschließen (§ 524 ZPO) oder, falls die Voraussetzungen des § 511 ZPO gegeben sind, selbständig Berufung einlegen. Nur im ersten Fall verliert die Berufung ihre Wirkung, wenn der Gegner sein Rechtsmittel zurücknimmt (§ 524 Abs. 4 ZPO). Wird hingegen eine selbständige Berufung eingelegt, bleibt diese vom Schicksal der gegnerischen Berufung unabhängig. Für sie laufen eigenständige Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung (§ 520 Abs. 2 ZPO). Welche Möglichkeit der Berufungsbeklagte wählt, steht grundsätzlich in seinem Belieben. Erst wenn die Fristen zur Einlegung oder Begründung der selbständigen Berufung verstrichen sind, ist er - im Rahmen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO - auf die Anschlußberufung beschränkt (BGH aaO). Daß er sich grundsätzlich zwischen den beiden genannten Möglichkeiten der Berufung entscheiden muß, schließt es nicht aus, die Anschlußberufung

für den Fall zu erklären, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen der selbständigen Berufung nicht erfüllt sind.

b) Hat - wie hier - der Berufungsbeklagte innerhal b der Berufungsfrist ein als selbständige Anschlußberufung bezeichnetes Rechtsmittel einlegt, so ist durch Auslegung seiner prozessualen Erklärungen zu ermitteln , für welche der genannten Möglichkeiten er sich entscheiden will (BGH aaO unter II 2 b). Das Berufungsgericht hat wegen der Anträge der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO und wegen des nachfolgenden Wiedereinsetzungsgesuchs angenommen, der Klägerin sei es darum gegangen, eine selbständige Berufung durchzuführen.
Das ist zwar richtig. Das Berufungsgericht hat dab ei aber erkennbar übersehen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im letzten Absatz des Berufungsbegründungsschriftsatzes selbst auf dessen verspäteten Eingang hingewiesen und aus diesem Grunde klargestellt hat, daß die Berufung nunmehr als unselbständige Anschlußberufung aufrecht erhalten werden solle. Die Klägerin hat damit von der in § 524 ZPO geregelten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Anschlußerklärung hatte hier erst am 5. November 2003 zu laufen begonnen.

c) Selbst wenn die Klägerin ungeachtet der Anschlu ßerklärung vorrangig weiterhin eine selbständige Berufung angestrebt hat, worauf insbesondere das nachträgliche Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hindeutet, ist die Anschließung jedenfalls dahin zu verstehen, daß sie für den Fall der Zurückwei-

sung des Wiedereinsetzungsgesuchs erklärt ist. Deshalb durfte die Berufung der Klägerin nicht verworfen werden.
Legt eine Partei gegen eine bestimmte Entscheidung mehrfach Berufung ein, handelt es sich um dasselbe Rechtsmittel; ihr Begehren richtet sich im Ergebnis nur auf eine sachliche Überprüfung des angefochtenen Urteils. Daher ist über das Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung einheitlich zu entscheiden (BGH, Beschluß vom 2. Juli 1996 - IX ZB 53/96 - NJW 1996, 2659 unter 2 c). Das gilt auch dann, wenn der Berufungsbeklagte sowohl eine selbständige Berufung einlegt als auch eine Anschlußerklärung nach § 524 ZPO abgibt. Entspricht die zunächst eingelegte Berufung den förmlichen Anforderungen des Gesetzes nicht, darf sie daher auch nicht gesondert als unzulässig verworfen werden (BGH aaO m.w.N.).
Hier liegt zwar eine - aus den oben genannten Grü nden - unzulässige selbständige Berufung vor. Sie durfte aber nicht verworfen werden, solange es möglich blieb (und bleibt), sie als unselbständige Anschlußberufung zu behandeln (vgl. BGH aaO m.w.N.; BGH, Beschluß vom 26. Oktober 1999 - X ZB 15/99 - VersR 2001, 730 m.w.N.).

Die Sache war deshalb nach Aufhebung der Berufungs verwerfung zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurück zu verweisen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 62/03
vom
13. Mai 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Das Verschulden einer Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten schließt die
Wiedereinsetzung nicht aus, wenn die Partei alle erforderlichen Schritte unternommen
hat, die bei einem im übrigen normalen Geschehensablauf zur Fristwahrung
geführt hätten (hier: Fehlschlagen einer beschleunigten Absendung bei
gleichwohl rechtzeitiger Absendung).

b) Eine Partei darf (auch) nach Erlaß der Postuniversaldienstleistungsverordnung
vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 4218) darauf vertrauen, daß werktags im
Bundesgebiet aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet
ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn konkrete Umstände vorliegen
, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen.
BGH, Beschl. v. 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - OLG Frankfurt/Main
LG Darmstadt
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 13. Mai 2004 durch den
Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel und die Richter Tropf,
Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-Räntsch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluß des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2003 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 210.000 €

Gründe


Mit ihnen am 27. Juni 2003 zugestelltem Urteil vom 17. Juni 2003 entschied das Landgericht Darmstadt zum Nachteil der Kläger. Gegen das Urteil legten die Kläger mit einem am 18. Juli 2003 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung ein. Ihr Prozessbevollmächtigter stellte die Berufungsbegründung am 25. August 2003 fertig und legte sie in den Postausgangskorb seiner Kanzlei. Entgegen seiner allgemeinen Anweisung an seine
Kanzleikräfte, wonach Schriftsätze an Darmstädter Gerichte nicht mit der Post zu versenden, sondern bei Gericht abzugeben sind, wurde die Berufungsbegründung am 26. August 2003 zur Post gegeben. Sie erreichte das Berufungsgericht am 28. August 2003.
Die Kläger haben am 5. September 2003 Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie haben vorgetragen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe durch seine erwähnte allgemeine Anweisung an seine Kanzleikräfte die erforderlichen Vorkehrungen für die Einhaltung der Berufungsfrist getroffen. Jedenfalls habe er aber auf die Einhaltung des üblichen Postlaufs vertrauen dürfen, der im Nahbereich von Darmstadt einen Tag betrage.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.


Das Berufungsgericht meint, die Berufungsbegründungsfrist sei nicht ohne Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger versäumt worden. Die Anweisung, Schriftsätze an Darmstädter Gerichte bei diesen abzugeben, sei zwar sachgerecht. Die Einlassung der zuständigen Kanzleikraft belege indessen , daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger diese Kanzleikraft nicht ausreichend habe einweisen oder überwachen lassen. Die Nichtbeachtung dieser Anweisung sei auch ursächlich gewesen. Eine allgemeine Anweisung, fristgebundene Schriftsätze im Nahverkehr von Darmstadt gegebenenfalls erst am
am Tage vor Fristablauf mit der Post zu versenden, und der Vollzug einer solchen Anweisung seien mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten nicht zu vereinbaren gewesen. Auf einen Postlauf von einem Tag habe sich der Prozeßbevollmächtigte der Kläger auch im Nahbereich von Darmstadt nicht verlassen dürfen; er habe mit Verzögerungen rechnen müssen.

III.


Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des § 233 ZPO die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlaßt haben muß, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, unzulässig überspannt (vgl. dazu: BVerfGE 40, 88, 91; 67, 208, 212 f.; BVerfG NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533, 534; Senatsbeschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368). Mit seiner Würdigung hat das Berufungsgericht der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221, 227; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388; Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts , der Prozeßbevollmächtigte der Kläger habe der im anwaltlichen Verkehr mit dem Gericht erforderlichen Sorgfalt zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist durch die der zuständigen Kanzleikraft erteilten allgemeine Weisung, Post an Darmstädter Gerichte nicht mit der Post zu verschicken, sondern bei Gericht abzugeben, im Grundsatz entsprochen. Diese Anweisung war sachgerecht , weil Schriftsätze Darmstädter Gerichte so am schnellsten erreichen können. Die Einhaltung von Fristen konnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit einer solchen Anweisung aber nur sicherstellen, wenn er oder die von ihm hiermit beauftragten Mitarbeiter die zuständigen Kanzleikräfte in der gebotenen Weise einwiesen und die Einhaltung der Anweisung auch überwachten. Daran haben es der Prozessbevollmächtigte der Kläger und seine von ihm hiermit beauftragten Mitarbeiter im Falle der für die vorliegende Sache zuständigen Kanzleikraft fehlen lassen. Diese hat nach ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht gewußt, daß zu den „Darmstädter Gerichten“ im Sinne der Anweisung auch der entscheidende, in Darmstadt ansässige, Senat des Berufungsgerichts gehört. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Angaben der Kanzleikraft auf eine unzureichende Überwachung schließen lassen. Diese hat nämlich nach eigenen Angaben an den Darmstädter Senat des Berufungsgerichts gerichtete Schriftsätze der Kanzlei entgegen der Anweisung stets mit der Post versandt und nicht bei Gericht abgegeben oder abgeben lassen.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war dieser Fehler aber nicht ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist. Zwar wäre ohne Überwachungsverschulden der Schriftsatz entsprechend der Büroanweisung recht-
zeitig bei Gericht abgegeben worden. Das Verschulden einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten schließt die Wiedereinsetzung aber dann nicht aus, wenn seine rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Vertreter nicht zuzurechnendes Ereignis verliert (sog. überholende Kausalität, Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 233 Rdn. 22a). So ist eine Wiedereinsetzung beispielsweise dann gewährt worden, wenn eine rechtzeitige Fehlerkorrektur infolge eines Fehlers des Gerichts unterblieben ist (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 1984, IVb ZB 103/84, NJW 1985, 1226, 1227; Beschl. v. 20. Januar 1997, II ZB 12/96, NJW-RR 1997, 1020; Beschl. v. 26. September 2002, III ZB 44/02, NJW 2002, 3636, 3637) oder wenn die Partei alle erforderlichen Schritte unternommen hat, die bei einem im übrigen normalen Geschehensablauf zur Fristwahrung geführt hätten (BGH, Beschl. v. 28. November 1962, IV ZB 251/62, NJW 1963, 253, 254; Beschl. v. 29. Mai 1974, IV ZB 6/74, VersR 1974, 1001, 1002; BAG, NJW 1972, 735; BVerwG, NVwZ 1998, 1075, 1076). So liegt es hier. Die Berufungsschrift ist nach Fertigstellung am 26. August 2003 zur Post gegeben worden. Die Kläger und ihr Prozeßbevollmächtigter waren nicht verpflichtet, die Berufungsschrift zu einem früheren Zeitpunkt zur Post zu geben oder bei Gericht abzugeben. Sie waren vielmehr berechtigt, die Frist bis zum letzten möglichen Zeitpunkt auszunutzen (BVerfG, NJW 1995, 2546, 2547; BGH, Beschl. v. 26. November 1962, IV ZB 251/62, NJW 1963, 253, 254; Beschl. v. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118; BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 166). Sie mußten nur dafür Sorge tragen, daß die Berufungsbegründungsschrift so rechtzeitig zur Post gegeben wurde, daß sie bei einer normalen Bearbeitung der Postsendungen noch fristgerecht beim Berufungsgericht einging. Das ist hier geschehen. Dann aber kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen sie die Frist bis zum letzten möglichen Moment ausgenutzt hat (BGH, Beschl. v. 28. November 1962 aaO.). Einer Prüfung, ob eine
allgemeine Anweisung, fristgebundene Schriftsätze im Nahverkehr erst am Tage vor Fristablauf mit der Post zu versenden, den anwaltlichen Sorgfaltspflichten entsprechen würde, bedarf es nicht. Eine solche Anweisung hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger seinem Personal nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht erteilt.

c) Ein Verschulden der Kläger oder ihres Prozeßbevollmächtigten liegt schließlich auch nicht darin, daß die Berufungsbegründung erst am 26. August 2003 zur Post gegeben worden ist.
aa) Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1992, 1952; 1994, 244, 245 und 1854; 1995, 1210, 1211 und 2546, 2547; NJW-RR 2000, 726; NJW 2001, 744, 745 und 1566), des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 7. April 1993, XII ZB 38/93, VersR 1994, 495, 496; Beschl. v. 22. April 1993, VII ZB 2/93, DtZ 1993, 283; Beschl. 28. April 1993, VIII ZB 15/93, VersR 1994, 496, 497; Beschl. v. 26. Januar 1994, IV ZB 19/93, insoweit in BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelauftrag 18 nicht abgedruckt; Beschl. v. 9. Februar 1998, II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; Beschl. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118; Beschl. v. 5. Juli 2001, VII ZB 2/00, bislang veröff. nur bei juris; Beschl. v. 30. September 2003, VI ZB 60/02, BGH-Report 2004, 124) und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes (BAG, NJW 1995, 548, 549 und 2575; BFH, NJW 1991, 1704; BSG, Urt. v. 30. September 1996, 10 RAr 1/96, veröff. bei juris; BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 154, 166; NJW 1990, 2639, 2640) dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden. Der Bürger darf vielmehr darauf vertrauen, daß die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutsche Post AG für den Nor-
malfall festgelegt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, weil er darauf keinen Einfluß hat. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß (BAG, NJW 2000, 1669, 1670; BVerwG, NJW 1990, 1747) aufzugeben, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutsche Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BVerfG, NJW 2001, 1566, 1567; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 1995, III ZR 226/95, veröff. bisher nur bei juris). Das gilt selbst dann, wenn allgemein mit erhöhtem Postaufkommen zu rechnen ist (BVerfG, NJW 2001, 1566). Anders liegt es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (BVerfG, NJW 1995, 1210; BGH, Beschl. v. 9. Dezember 1992, VIII ZB 30/92, NJW 1993, 1332; Beschl. v. 25. Januar 1993, II ZB 18/92, NJW 1993, 1333, 1334). Daran hat sich durch Erlaß der Postuniversaldienstleistungsverordnung vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 4218 – PUDLV, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30. Januar 2002, BGBl. I S. 572) im Ergebnis nichts geändert. Anders als bisher können die Deutsche Post AG und andere Unternehmer, die Universaldienstleitungen im Briefverkehr anbieten, die Postlaufzeiten nicht mehr selbst frei festlegen. Sie sind ihnen vielmehr etwas über dem bisherigen Niveau als Mindeststandards für den Normalfall verbindlich vorgegeben. Nicht neu ist auch, daß die bisher freiwillig angestrebten und jetzt gesetzlich vorgeschriebenen Postlaufzeiten in einem gewissen Prozentsatz verfehlt werden. Wie bisher kommt es aber entscheidend darauf an, ob die Postlaufzeiten in einem Umfang eingehalten werden, der bei dem Bürger das berechtigte Vertrauen in die Einhaltung der Postlaufzeiten begründet. Das ist der Fall. Nach § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV müssen die Unternehmen sicherstellen, daß sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundes-
gebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80% am ersten und zu 95% am zweiten Tag nach der Einlieferung ausliefern. Diese Quoten lassen die Einhaltung der Postlaufzeiten erwarten. Ohne konkrete Anhaltspunkte muß ein Bürger deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, welche die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschl. v. 15. April 1999, IX ZB 57/98, NJW 1999, 2118).
bb) Die Kläger haben vorgetragen, daß die normale Postlaufzeit im Nahbereich von Darmstadt einen Tag beträgt. Unter Zugrundelegung dieser Postlaufzeit war die Absendung der Berufungsbegründungsschrift am 26. August 2003 rechtzeitig, da sie bei normalem Postlauf am 27. August 2003 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingegangen wäre. Ihre Angabe zur normalen Postlaufzeit im Nahbereich von Darmstadt haben die Kläger nicht durch eine Auskunft der Deutsche Post AG belegt. Das brauchten sie auch nicht, weil diese Erwartung schon nach den gesetzlich bestimmten Quoten begründet war und das Berufungsgericht bei etwaigen Zweifeln an der Verläßlichkeit der von ihm selbst zugrunde gelegten Postlaufzeit von einem Tag von Amts wegen eine Auskunft der Post hätte einholen müssen (BVerfG, NJW 2001, 1566, 1567).

d) Ist dem Wiedereinsetzungsantrag der Kläger stattzugeben, darf ihre Berufung auch nicht als unzulässig verworfen werden.
Wenzel Tropf Lemke
Gaier Schmidt-Räntsch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 22/03
vom
17. Mai 2004
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die unerwartet lange Dauer einer Telefaxübermittlung
gestützt, hat das Gericht die zum Vergleich vorgelegten
Sendeberichte zu würdigen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Februar 2001 - V ZB
33/00, NJW-RR 2001, 916).

b) Ein auf einen vorübergehenden "Computer-Defekt" oder "Computer-Absturz"
gestützter Wiedereinsetzungsantrag bedarf näherer Darlegungen zur Art des
Defekts und seiner Behebung.
BGH, Beschluß vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03 - OLG München
LG München I
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. Mai 2004 durch
die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Münke, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Juli 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe:


I. Die von dem Kläger einzuhaltende Berufungsbegründungsfrist lief am 3. März 2003 ab. Die letzte, u.a. die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten des Klägers enthaltende Seite der per Fax an das Oberlandesgericht übermittelten Berufungsbegründung wurde nach den automatischen Aufzeichnungen des Empfangsgerätes, das über eine funkgesteuerte Zeitmessung verfügt, am 4. März 2003 00.01 Uhr empfangen und elektronisch abgespeichert. Die Übertragungszeit für 34 Seiten betrug nach dem Sendebericht des Klägers 17,51 Min., nach den Aufzeichnungen des Empfangsgeräts 17,55 Min., bei einer Übertragungsgeschwindigkeit von 9.600 Baud. Kurz darauf wurden 2 von bisher fehlenden 5 Seiten der insgesamt 39 seitigen Berufungsbegründung
nachübermittelt und von dem Empfangsgerät um 00.05 Uhr abgespeichert. Der Kläger meint, der Text der nur knapp halbseitig beschriebenen S. 39 mit der Unterschrift müsse von dem Empfangsgerät vor 00.00 Uhr empfangen worden sein. Hilfsweise hat der Kläger, der Rechtsanwalt ist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen, er habe die Berufungsbegründung am 3. März vor 24.00 Uhr in der Kanzlei seines Prozeßbevollmächtigten selbst "(fertig-)geschrieben". Dieser habe sie nach Prüfung unterzeichnet. Sie habe wegen eines "nicht nachvollziehbaren Computerdefektes (Abstürzen der Anlage)" erst um 23.40 Uhr mit ca. 1,5 Std. Verspätung ausgedruckt werden können. Der Defekt der seit mindestens 1,5 Jahren störungsfrei arbeitenden Computeranlage sei nicht vorhersehbar gewesen. Im übrigen hätten der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter aufgrund ihrer bisherigen, durch vorgelegte Sendeberichte belegten Erfahrungen darauf vertraut, daß nicht nur ca. 2, sondern knapp 4 Seiten/Min. "durchgefaxt" werden könnten. Mit der ungewöhnlich langen Übertragungsdauer hätten sie nicht rechnen müssen. Die Richtigkeit dieses Vortrags haben beide anwaltlich versichert.
Das Berufungsgericht hat die Berufungsbegründung für verspätet erachtet und die Berufung des Klägers unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im übrigen gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
1. Soweit das Berufungsgericht den Eingang der Berufungsbegründung für verspätet erachtet hat, wird dies von dem Beschwerdeführer nicht gemäß § 575 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO gerügt. Eine Prüfung von Amts wegen findet insoweit in vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren nicht statt, weil dessen Gegenstand allein die gegen den Verwerfungsbeschluß des Berufungsgerichts erhobenen Rügen sind (vgl. BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 40/03, Umdr. S. 6, 7). Im übrigen ist die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt auch nicht zu beanstanden, weil der Kläger den von ihm zu führenden Nachweis des rechtzeitigen Eingangs seiner Berufungsbegründung mit der die Unterschrift seines Prozeßbevollmächtigten enthaltenden letzten Seite nicht geführt hat und eine Störung des Empfangsgerätes oder eine im technischen Verantwortungsbereich der Empfangsstelle liegende Ungenauigkeit der Zeitmessung nicht ersichtlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94, WM 1994, 1349). Daß gemäß der vorliegenden Praxis des Oberlandesgerichts München der Zeitpunkt des nächtlichen Eingangs von Faxsendungen wegen der Verwendung eines mit Faxkarte ausgestatteten PC nicht nach demjenigen ihres Ausdrucks, sondern ihrer elektronischen Speicherung bestimmt wird und der Ausdruck regelmäßig erst am nächsten Morgen erfolgt, gereicht dem Kläger jedenfalls nicht zum Nachteil.
2. Das Berufungsgericht meint, die für die Faxübermittlung benötigte Zeit von 17,55 Min. sei für den Kläger oder dessen Prozeßbevollmächtigten vorhersehbar gewesen und ergebe daher keinen Wiedereinsetzungsgrund i.S. von § 233 ZPO. Die Sendezeit hänge von der Zahl der übermittelten Signale, d.h. der Schriftzeichen, ab. Die vorgetragene Differenz von 2 gegenüber 3 Seiten /Min. (= Minimaldifferenz) halte sich im erwartbaren Variationsbereich und sei als Sicherheitskarenz zu berücksichtigen gewesen.
Diese Begründung steht mit den im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 1. Februar 2001 (V ZB 33/00, NJW-RR 2001, 916) aufgestellten Grundsätzen nicht in Einklang und verkürzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG), was die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO eröffnet (vgl. BGHZ 151, 221; BGH, Beschl. v. 30. April 2003 - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Abgesehen davon, daß der Kläger eine Differenz von mehr als 1 Seite/Min. geltend gemacht hat, hätte das Berufungsgericht nach dem Beschluß vom 1. Februar 2001 aaO prüfen müssen , ob die mit dem Wiedereinsetzungsantrag und später zur Glaubhaftmachung (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO) vorgelegten Sendeberichte nach Art und Empfänger der Sendungen mit der hier maßgeblichen Sendung vergleichbar sind. Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, worauf sich seine Annahme stützt, die vorgetragene Differenz von 2 zu ca. 3,5 Seiten/Min. (75 %) halte sich im vorhersehbaren Variationsbereich (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 25. September 2000 - 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1566 f.). Dies hängt, wie bei dem erkennenden Senat gerichtsbekannt ist, nicht nur von der Anzahl der übermittelten (mit den Schriftzeichen nicht identischen) Signale, sondern auch von der zu erwartenden Übertragungsgeschwindigkeit ab. Andererseits schließt das nicht aus, daß bei der Faxübermittlung eine gewisse Zeitreserve einzukalkulieren ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19. November 1999 - 2 BvR 565/98, NJW 2000, 574).
Eine eigene Sachentscheidung hierüber ist dem Senat verwehrt, weil es dazu noch tatrichterlicher Feststellungen bedarf (§ 577 Abs. 4 ZPO).
3. Zugunsten des Klägers zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO) ist die Sache nicht schon im Hinblick auf den von ihm zusätzlich geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund des "plötzlichen Abstürzens der Computeranlage".
Das Berufungsgericht hat das Vorbringen des Klägers hierzu im Ergebnis zu Recht für nicht hinreichend erachtet, um eine Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO zu rechtfertigen. Darin liegt - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - keine Divergenz gegenüber dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 1994 (XII ZB 21/94, NJW 1994, 2097 f. zu 4). Denn dort konnte offenbleiben , ob ein entsprechender Sachvortrag ausreicht, weil er zum einen verspätet vorgebracht (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO) und zum anderen nicht glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 ZPO) war. Das Berufungsgericht vermißt zu Recht den Vortrag der näheren Umstände des angeblichen Computerdefekts. Insbesondere fehlt jeglicher Vortrag dazu, wann, wie oder bei welcher Verrichtung sich der "nicht nachvollziehbare" Computerdefekt bemerkbar machte und wie es dennoch gelang, ihn nach 1,5 Std. bis 23.40 Uhr wieder zu beheben. Unklar ist weiter, ob mit dem "Abstürzen" ein (teilweiser) Verlust des bisher geschriebenen Textes verbunden war oder z.B. schlicht die Druckerfunktion nicht in Gang gesetzt werden konnte. In diesem Zusammenhang wäre gerade auch Vortrag dazu erforderlich gewesen, ob der Kläger und/oder sein Prozeßbevollmächtigter in die Bedienung des Computers und des Druckers so eingeübt waren , daß sie diese bei ihrer nächtlichen Arbeit ohne Schreibkraft sicher bedienen konnten.
4. Nach allem hängt die Entscheidung der Sache davon ob, ob der Kläger unter den gegebenen Umständen noch mit einer fristgerechten Faxübermittlung rechnen durfte (vgl. oben 2). Zu weiterer Aufklärung dieser Frage ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Goette Kraemer Münke Strohn Caliebe

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 9/04
vom
23. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 23. Juni 2004

beschlossen:
1. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen wird auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin der Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2003 als unzulässig verworfen worden ist.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
3. Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 340.441,50 €

Gründe:


I. Unter Abweisung der Widerklage im übrigen hat d as Landgericht die Klägerin zur Zahlung von 340.441,50 € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte und Widerkläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese - eingehend am 3. November 2003 - auch fristgerecht begründet. Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. August 2003 zugestellte Urteil am 29. August 2003 "selbständige Anschlussberufung" eingelegt, sodann Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 6. November 2003 beantragt, die ihr gewährt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 6. November 2003, der bei Geri cht erst am 7. November 2003 eingegangen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ihre Berufung begründet. Die Berufungsbegründung endet mit folgendem Zusatz: "V. Da die Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht nach Ablauf der verlängerten Frist zugegangen ist, stelle ich klar, dass die Berufung als unselbständige Anschlussberufung aufrecht erhalten bleibt." Mit am 20. November 2003 beim Oberlandesgericht ei ngegangenem Schriftsatz hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin für diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe am letzten Tag der Frist kurz nach 23.00 Uhr von seiner in der Rechtsanwaltskanzlei mitarbeitenden Ehefrau die vierte Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung als Computerausdruck vorgelegt bekommen. Er habe sodann bis 23.15 Uhr noch kleine Änderungen dik-

tiert, unter anderem eine geringfügig andere Anordnung eines Absatzes auf Seite 20 des Schriftsatzes, die Aufhebung einer Absatztrennung auf Seite 14 und eine Änderung der Position eines Geldb etrages von Seite 20 auf Seite 22. Gegen 23.35 Uhr habe er die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht per Telefax übermitteln wollen, dabei jedoch festgestellt, daß ganze Textteile gefehlt hätten. Beim Versuch, die Endfassung des Textes im Computer aufzurufen, habe sich gezeigt, daß wesentliche Teile des Textes verschwunden gewesen seien. Seine Ehefrau müsse vergessen haben, die Änderungen und Ergänzungen auf der Festplatte abzus peichern. Deshalb habe die Endfassung der Berufungsbegründung erst nach Mitternacht erstellt werden können.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesg ericht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Auslegung der von der Klägerin im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebenen Erklärungen ergebe, daß sie mit ihrer selbständigen Anschlußberufung eine selbständige Berufung habe einlegen wollen. Als solche sei das Rechtsmittel verspätet begründet und mithin unzulässig. Das Wiedereinsetzungsgesuch bleibe erfolglos, weil den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist treffe. Da er die Frist voll ausgeschöpft habe, habe ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Es sei ihm insoweit möglich und zuzumuten gewesen, in der gegebenen Situation die wenigen Änderungen, soweit sie angesichts der ablaufend en Frist nicht ohnehin verzichtbar gewesen seien, auf der ihm als Ausdruck vorgelegten vierten Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung handschriftlich

zu ergänzen und den so ergänzten Schriftsatz sodann per Fax an das Oberlandesgericht zu versenden.
II. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Kl ägerin hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses , soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4 und 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings de n Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Denn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verhalten ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, war hier nicht ohne sein Verschulden daran gehindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Zwar darf eine Partei eine Frist grundsätzlich bis zum Ablauf (24.00 Uhr) des letzten Tages ausnutzen. Sie hat in diesem Falle jedoch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluß vom 23. April 1998 - I ZB 2/98 - NJW 1998, 2677 unter II m.w.N.; vgl. auch VGH München, Beschluß vom 9. November 2001 - 15 ZB 01.30255 - veröffentlicht in juris ; BVerwG CR 1991, 753).
Diese besonderen Anforderungen hat der Prozeßbevol lmächtigte der Klägerin nicht beachtet. Denn es wäre ihm möglich und zumutbar

gewesen, die am letzten Tag der Frist um kurz nach 23.00 Uhr vorgelegte , ausgedruckte Fassung des vierten (und letzten) Entwurfs der Berufungsbegründung heranzuziehen, um rechtzeitig vor Fristablauf die Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Nach seinem Vorbringen hat er spätestens um 23.40 Uhr entdeckt, daß die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung erhebliche Lücken enthielt, die vermutlich auf einem Fehler seiner Ehefrau beim Abspeichern des Textes beruhten. In dieser Situation war es ihm zuzumuten , die lediglich marginalen Änderungen, die er im Anschluß an die Vorlage der vierten Fassung des Entwurfs noch diktiert hatte, handschriftlich in den Ausdruck einzufügen, um diesen sodann zu unterzeichnen und per Telefax zu versenden (vgl. dazu auch OLG München, OLGR 1994, 165). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von solchen Fällen, in denen es infolge einer Computerpanne kurz vor Fristablauf gänzlich unmöglich wird, einen Text rechtzeitig zu erstellen (OLG Celle NJW-RR 2003, 1439 f.) oder in denen ein defektes Faxgerät die rechtzeitige Übermittlung unmöglich macht (BGH, Beschluß vom 20. Februar 2003 - V ZB 60/02 - NJW-RR 2003, 861 f.).
Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, grundsätzli ch bestimme allein der Rechtsanwalt, wann er eine Rechtsmittelbegründung als fertiggestellt ansehe, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin müsse sich deshalb nicht auf handschriftliche Änderungen und E rgänzungen verweisen lassen, verkennt sie die Bedeutung der Berufungsbegründungsfrist. Es entspricht nicht den erhöhten Anforderungen an die bei der Fristwahrung aufzubringende Sorgfalt, wenn der Prozeßbevollmächtigte wegen nur geringfügigen Textveränderungen die Berufungsbegrün-

dungsfrist verstreichen läßt, um statt dessen auf eine Wiedereinsetzung zu vertrauen.
3. Steht somit zwar fest, daß die Klägerin die Ber ufungsbegründungsfrist versäumt hat, kann dennoch die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig keinen Bestand haben.

a) Die Klägerin hatte ihr Rechtsmittel ursprünglic h als selbständige Anschlußberufung bezeichnet und dabei übersehen, daß diese früher in § 522 Abs. 2 ZPO a.F. geregelte Form der Anschlußberufung dem neuen Zivilprozeßrecht fremd ist (BGH, Beschluß vom 30. April 2003 - V ZB 71/02 - BB 2003, 1356 = NJW 2003, 2388 unter II 2 a; BTDrucks. 14/4722 S. 98). Der Berufungsbeklagte hat nach neuem Recht zwei Möglichkeiten. Er kann sich entweder der Berufung des Gegners anschließen (§ 524 ZPO) oder, falls die Voraussetzungen des § 511 ZPO gegeben sind, selbständig Berufung einlegen. Nur im ersten Fall verliert die Berufung ihre Wirkung, wenn der Gegner sein Rechtsmittel zurücknimmt (§ 524 Abs. 4 ZPO). Wird hingegen eine selbständige Berufung eingelegt, bleibt diese vom Schicksal der gegnerischen Berufung unabhängig. Für sie laufen eigenständige Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung (§ 520 Abs. 2 ZPO). Welche Möglichkeit der Berufungsbeklagte wählt, steht grundsätzlich in seinem Belieben. Erst wenn die Fristen zur Einlegung oder Begründung der selbständigen Berufung verstrichen sind, ist er - im Rahmen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO - auf die Anschlußberufung beschränkt (BGH aaO). Daß er sich grundsätzlich zwischen den beiden genannten Möglichkeiten der Berufung entscheiden muß, schließt es nicht aus, die Anschlußberufung

für den Fall zu erklären, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen der selbständigen Berufung nicht erfüllt sind.

b) Hat - wie hier - der Berufungsbeklagte innerhal b der Berufungsfrist ein als selbständige Anschlußberufung bezeichnetes Rechtsmittel einlegt, so ist durch Auslegung seiner prozessualen Erklärungen zu ermitteln , für welche der genannten Möglichkeiten er sich entscheiden will (BGH aaO unter II 2 b). Das Berufungsgericht hat wegen der Anträge der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO und wegen des nachfolgenden Wiedereinsetzungsgesuchs angenommen, der Klägerin sei es darum gegangen, eine selbständige Berufung durchzuführen.
Das ist zwar richtig. Das Berufungsgericht hat dab ei aber erkennbar übersehen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im letzten Absatz des Berufungsbegründungsschriftsatzes selbst auf dessen verspäteten Eingang hingewiesen und aus diesem Grunde klargestellt hat, daß die Berufung nunmehr als unselbständige Anschlußberufung aufrecht erhalten werden solle. Die Klägerin hat damit von der in § 524 ZPO geregelten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Anschlußerklärung hatte hier erst am 5. November 2003 zu laufen begonnen.

c) Selbst wenn die Klägerin ungeachtet der Anschlu ßerklärung vorrangig weiterhin eine selbständige Berufung angestrebt hat, worauf insbesondere das nachträgliche Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hindeutet, ist die Anschließung jedenfalls dahin zu verstehen, daß sie für den Fall der Zurückwei-

sung des Wiedereinsetzungsgesuchs erklärt ist. Deshalb durfte die Berufung der Klägerin nicht verworfen werden.
Legt eine Partei gegen eine bestimmte Entscheidung mehrfach Berufung ein, handelt es sich um dasselbe Rechtsmittel; ihr Begehren richtet sich im Ergebnis nur auf eine sachliche Überprüfung des angefochtenen Urteils. Daher ist über das Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung einheitlich zu entscheiden (BGH, Beschluß vom 2. Juli 1996 - IX ZB 53/96 - NJW 1996, 2659 unter 2 c). Das gilt auch dann, wenn der Berufungsbeklagte sowohl eine selbständige Berufung einlegt als auch eine Anschlußerklärung nach § 524 ZPO abgibt. Entspricht die zunächst eingelegte Berufung den förmlichen Anforderungen des Gesetzes nicht, darf sie daher auch nicht gesondert als unzulässig verworfen werden (BGH aaO m.w.N.).
Hier liegt zwar eine - aus den oben genannten Grü nden - unzulässige selbständige Berufung vor. Sie durfte aber nicht verworfen werden, solange es möglich blieb (und bleibt), sie als unselbständige Anschlußberufung zu behandeln (vgl. BGH aaO m.w.N.; BGH, Beschluß vom 26. Oktober 1999 - X ZB 15/99 - VersR 2001, 730 m.w.N.).

Die Sache war deshalb nach Aufhebung der Berufungs verwerfung zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurück zu verweisen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch