Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13

bei uns veröffentlicht am07.01.2014
vorgehend
Thüringer Oberlandesgericht, 9 Verg 3/13, 16.09.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 15/13
vom
7. Januar 2014
in dem Vergabenachprüfungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Stadtbahnprogramm Gera
GWB § 97 Abs. 2, 5; VOB/A § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b, § 16 EG Abs. 2, 6 ff.; SektVO § 8
Abs. 1, § 29
a) Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
fallenden Vergabeverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, dürfen
Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden.
b) Die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen brauchen im Allgemeinen
nicht alle Details der Ausführung zu erfassen, sondern dürfen Spielraum für eine hinreichend
große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und
sich darauf beschränken, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer
Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung
aufweisen muss.
c) Die vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen
genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen
Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien
zu gewährleisten, die es ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und
ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen
hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem
Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen.
VOB/A § 16 EG Abs. 2; SektVO § 20 Abs. 1, 2
Im offenen Verfahren ist die Vergabestelle nicht an die einmal bejahte Eignung eines Bieters
gebunden; verneint sie dessen Eignung nachträglich, insbesondere erst, nachdem dieser einen
Nachprüfungsantrag gestellt hat, kann dies lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen
, ob die Entscheidung die im Interesse eines verantwortungsvollen Einsatzes öffentlicher
Mittel gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen
getragen ist.
BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - X ZB 15/13 - Thüringer OLG
Vergabekammer beim Thüringer
Landesverwaltungsamt
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Januar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Gröning, die Richterin
Schuster, den Richter Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm

beschlossen:
Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis das alleinige Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden.

Gründe:


1
I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf den Umbau einer in Betrieb befindlichen Straßenbahntrasse unter eingleisigem Fahrbetrieb des Straßenbahnverkehrs in einem bestimmten örtlichen Bereich der Stadt Gera ("Stadtbahnprogramm Gera") und dort auf die von der Antragsgegnerin (Vergabestelle ) unionsweit im offenen Verfahren ausgeschriebene Vergabe des Loses 2 (Straßen- und Tiefbauarbeiten).
2
1. Die von der Vergabestelle veröffentlichte Vergabebekanntmachung war nach dem Gliederungsschema des Anhangs II der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011 der Kommission vom 19. August 2011 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 (ABl. Nr. L 222 vom 27. August 2011, S. 1) gefertigt. Im Abschnitt III (rechtliche, wirtschaftliche und technische Angaben) hieß es unter dem Gliederungspunkt III 1.4, dass besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags gelten sollten, und zwar: "- durchschnittlicher Jahresumsatz der letzten fünf Jahre mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich (Jahr mindestens 2,5 Mio. EUR netto) - Gesamtumsatz ... - Nachweis mit Angebotsabgabe."
3
Nach den Angaben in dem sich unmittelbar anschließenden, den Teilnahmebedingungen gewidmeten Abschnitt III 2 war die Eignung durch das Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenangaben gemäß dem zu den Vergabeunterlagen gehörenden Formblatt 124 nachzuweisen.
4
Zu den Vergabeunterlagen gehörte auch die nach Formblatt 211 EU des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB 2008 - Stand August 2012) gestaltete Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. In diesem Vordruck ist unter dem die Nebenangebote betreffenden Gliederungspunkt vorgesehen, dass der Auftraggeber durch Ankreuzen einer der vorformulierten Varianten erklärt, ob und inwieweit Nebenangebote zugelassen sind. Im Streitfall konnten danach Nebenangebote für die gesamte Leistung in Verbindung mit einem Hauptangebot abgegeben werden. In dem im Formblatt 211 EU unmittelbar folgenden Gliederungspunkt "Angebotswertung" kann der Auftraggeber die Wertungskriterien festlegen, und zwar durch Ankreuzen einer der beiden Rubriken "Mehrere Wertungskriterien gemäß Formblatt Wertungskriterien" oder "Wertungskriterium Preis (Nebenangebote nicht zugelassen)". Im Streitfall war Letzteres angekreuzt. In Anbetracht der daraus resultierenden Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen bekräftigte die Vergabestelle gegenüber den Bietern, dass Nebenangebote abgegeben werden könnten und der Preis das alleinige Wertungskriterium sein solle.
5
An der Ausschreibung beteiligten sich vier Unternehmen, die auch alle Nebenangebote abgaben. Die Antragstellerin reichte mit ihrem Angebot mit Blick auf die unter III 1.4 der Bekanntmachung geforderten Umsatznachweise eine Referenzliste mit Angaben zu Bauvorhaben, Vergabestellen, Jahreszahlen und Nettoauftragssummen ein. Die Vergabestelle gelangte nach Prüfung dieser Unterlagen zu der Einschätzung, dass die Antragstellerin ungeeignet sei, weil sie in den Jahren 2008 bis 2012 nicht die in der Vergabebekanntmachung unter III 1.4 vorausgesetzten Umsätze erreicht hatte. Später vermerkte die Vergabestelle in den Vergabeakten: "Nach weiteren Recherchen auf der Internetseite der Antragstellerin und Durchsicht der insgesamt vorhandenen Unterlagen kann jedoch eingeschätzt werden, dass die Antragstellerin in der Lage sein könnte, diese geforderten Leistungen zu erbringen. Insbesondere aufgrund des geführten Gesprächs am 28. Februar 2013 wurde durch den Geschäftsführer ausführlich dargelegt, warum die Antragstellerin geeignet ist, diese Leistungen auszuführen. Unter Abwägung aller Fakten wird entschieden, die Antragstellerin trotz Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte in die Wertung einzubeziehen. Ein Ausschluss wäre für die Bieterfirma unangemessen hart."
6
Von den Hauptangeboten war dasjenige der Antragstellerin das preislich günstigste vor dem der Beigeladenen. Die Vergabestelle bewertete jedoch ein Nebenangebot der Beigeladenen als das günstigste Angebot und informierte darüber, dass darauf der Zuschlag erteilt werden solle. Die Antragstellerin machte daraufhin geltend, Nebenangebote dürften nicht gewertet werden, und hat, nachdem die Vergabestelle der Rüge nicht abhalf, Vergabenachprüfung beantragt. Zeitlich danach entschied die Vergabestelle, die Antragstellerin "wegen Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte nicht in die Wertung einzubeziehen."
7
2. Die Vergabekammer hat ausgesprochen, dass die Antragstellerin im Vergabeverfahren in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt und die Vergabestelle verpflichtet sei, das Vergabeverfahren unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung mit der Wertung beginnend zu wiederholen.
8
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin erscheint dem vorlegenden Vergabesenat unbegründet. Er geht davon aus, dass die Abgabe von Nebenangeboten im Streitfall zwar zugelassen war, vertritt aber - wie das OLG Düsseldorf (VergabeR 2012, 185) - die Auffassung, Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge (Vergabekoordinierungsrichtlinie - VKR) gestatte die Zulassung von Nebenangeboten nur, wenn der Zuschlag auf das - anhand einer Mehrzahl von Wertungskriterien zu ermittelnde - wirtschaftlichste Angebot erteilt werden solle, hingegen nicht, wenn, wie hier, alleiniges Zuschlagskriterium der Preis sei. So zu entscheiden hat sich der Vergabesenat durch eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts gehindert gesehen (Beschluss vom 15. April 2011 - 1 Verg 10/10, VergabeR 2011, 586) und die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
9
II. Die Vorlage ist zulässig.
10
Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 - S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr). So verhält es sich hier, weil die vom vorlegenden Vergabesenat erwogene Entscheidung mit der dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 15. April 2011 zugrunde liegenden Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren wäre.
11
III. Die Divergenzfrage ist dahin zu entscheiden (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB), dass Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden dürfen, wenn in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium vorgesehen ist.
12
1. Zutreffend hat der Vergabesenat angenommen, dass im Streitfall die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen war. Soweit in dem Formblatt 211 EU die angekreuzte Variante des Preises als alleiniges Wertungskriterium den Klammerzusatz "Nebenangebote nicht zugelassen" aufwies, handelt es sich bei diesem Zusatz ersichtlich nicht um eine angebotsbezogene, für die Bieter bestimmte Erklärung, sondern um einen an die Verwender dieses Vordrucks gerichteten rechtlichen Hinweis oder eine Empfehlung, dass nicht gleichzeitig die Unterbreitung von Nebenangeboten zugelassen werden sollte, wenn sie den Preis als alleiniges Wertungskriterium bestimmen. Die Vergabestelle, die sich nach den Feststellungen der Vergabekammer darüber bewusst hinweggesetzt hat, hätte diesen Zusatz jedenfalls streichen oder einen entsprechend angepassten Vordruck verwenden müssen, um Irritationen bei den Adressaten der Vergabeunterlagen zu vermeiden. Sie hat ihren abweichenden Willen, nach dem Preis zu werten und Nebenangebote gleichwohl zuzulassen, gegenüber den Bietern aber nachträglich bekräftigt.
13
2. Der Vergabesenat hat auch zu Recht angenommen, dass die Antragstellerin mit ihrer auf die Zulassung von Nebenangeboten zielenden Rüge - anders als mit ihrer die Mindestbedingungen für Nebenangebote betreffenden Beanstandung - nicht nach § 107 Abs. 3 Nrn. 2 oder 3 GWB präkludiert ist. Er meint mit Recht auch, dass das Angebot der Antragstellerin nicht wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen ist. Auf die diese Punkte behandelnden Ausführungen im Vorlagebeschluss (II 1 und 2 a der Gründe) wird Bezug genommen.
14
3. Es wäre vergaberechtswidrig, im Streitfall auf ein zugelassenes Nebenangebot den Zuschlag zu erteilen. Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren, wie hier, der Preis das alleinige Zuschlagskriterium (vorstehend III 1), dürfen Nebenangebote bereits nach dem Inhalt des anzuwendenden nationalen Vergaberechts, unabhängig von sich aus den vergaberechtlichen Richtlinien des Unionsrechts ergebenden Schranken, nicht zugelassen werden. Ist dies, wie hier, doch geschehen, dürfen diese Nebenangebote jedenfalls nicht gewertet werden.
15
a) Nebenangebote sind in den Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A 2012 und in der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung - SektVO) über die Angebotswertung (§ 16 EG Abs. 6 bis 10 VOB/A; § 29 SektVO) nicht Gegenstand besonderer Regelungen und auch nicht besonders erwähnt. Soweit § 16 EG Abs. 9 VOB/A 2012 bestimmt, Angebote nach § 13 EG Abs. 2 VOB/A 2012 seien wie Hauptangebote zu werten, wird damit lediglich klargestellt, dass Angebote mit (gleichwertigen) abweichenden technischen Spezifikationen im Sinne von § 7 EG Abs. 3 VOB/A 2012 der Sache nach Haupt- und gerade keine Nebenangebote darstellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - X ZR 92/09, VergabeR 2011, 709 - Ortbetonschacht).
16
Darüber hinaus ist in § 8 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b VOB/A 2012 (§ 16a Abs. 3 VOB/A 2009) und in § 8 Abs. 1 Satz 2 SektVO lediglich bestimmt, dass die öffentlichen Auftraggeber, wenn sie die Einreichung von Nebenangeboten zugelassen haben, in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festlegen müssen, denen diese Nebenangebote zu genügen haben, um gewertet werden zu können. Mit diesen Regelungen sind unionsrechtliche Vorgaben umgesetzt worden (vgl. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 199 vom 9. August 1993; Art. 24 Abs. 3 VKR; Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste - Sektorenverordnung [SKR], ABl. Nr. L 134 vom 30. April 2004, S. 1).
17
b) Verlangt das anzuwendende Recht, für Nebenangebote (lediglich) Mindestanforderungen vorzugeben, ohne Regelungen darüber zu treffen, wie Nebenangebote im Verhältnis zu der als Hauptangebot vorgesehenen Ausführung ("Amtsvorschlag") zu werten sind, ist eine wettbewerbskonforme Wertung der Nebenangebote nicht gewährleistet, wenn für den Zuschlag allein der Preis maßgeblich sein soll. Ist beispielsweise ein den Mindestanforderungen genügendes Nebenangebot zwar geringfügig billiger als das günstigste Hauptangebot , bleibt es aber überproportional hinter dessen Qualität zurück und erweist es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung deshalb gerade nicht als das günstigste Angebot, müsste es mangels geeigneter Zuschlagskriterien, mit denen diese Diskrepanz in der Wertung erfasst werden kann, dennoch den Zuschlag erhalten , wenn nur der Preis berücksichtigt werden darf (vgl. auch OLG Düsseldorf, VergabeR 2012, 185, 191). Eine solche Wertungspraxis wäre unvereinbar mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 2 GWB) und mit dem mit diesem in engem Zusammenhang stehenden, aus § 97 Abs. 5 GWB folgenden Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.
18
c) Dieser Mangel kann durch ungeschriebene Wertungskriterien regelmäßig nicht behoben werden. Soweit in der Rechtsprechung der Vergabesenate verlangt wird, dass zuschlagsfähige Nebenangebote über die Erfüllung der Mindestanforderungen hinaus mit dem Amtsvorschlag gleichwertig sein müssen (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, VergabeR 2011, 586, 591; OLG München, Beschluss vom 9. September 2010 - Verg 16/10; Brandenburgisches Oberlandesgericht , VergabeR 2009, 222; 2012, 124; OLG Frankfurt am Main, VergabeR 2012, 884, 894; vgl. auch Kues/Kirch, NZBau 2011, 335 ff.; Dittmann in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, VOB/A § 16 Rn. 293 ff.; vgl. auch Vavra in: Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 62; zur Problematik insgesamt beispielsweise Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. zur VOB, 13. Aufl., § 16 EG VOB/A Rn. 183f ff.), mögen solche ungeschriebenen Gleichwertigkeitsprüfungen , die ersichtlich auch die Vergabestelle im Streitfall vorgenommen hat, zwar im Einzelfall durchaus geeignet sein, den Wert von Nebenangeboten im Verhältnis zu den abgegebenen Hauptangeboten zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genügt eine Gleichwertigkeitsprüfung , für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll, jedoch nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad voraussehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr. Zudem droht eine Gleichwertigkeitsprüfung mit den Mindestanforderungen in Konflikt zu geraten, deren Erfüllung in der Regel ohne Aussagekraft für die Berücksichtigungsfähigkeit des Nebenangebots wäre. Dies kann auch nicht dadurch vermieden werden, dass die Vergabestelle, wie im Streitfall geschehen , die Gleichwertigkeit als Mindestanforderung definiert. Denn bestimmte oder bestimmbare konkrete Anforderungen an die anzubietende Leistung werden damit nicht formuliert.
19
d) Daraus die Konsequenz zu ziehen, dass Mindestanforderungen so konkret definiert werden müssen, dass die Vergleichbarkeit mit dem Qualitätsstandard und den sonstigen Ausführungsmerkmalen des Amtsvorschlags gewährleistet ist, wäre weder mit Sinn und Zweck der Zulassung von Nebenange- boten vereinbar, noch ist es nach dem Schutzzweck des Gebots der Vorgabe von Mindestanforderungen erforderlich.
20
aa) Die Zulassung von Nebenangeboten soll das unternehmerische Potenzial der für die Deckung des Vergabebedarfs geeigneten Bieter dadurch erschließen , dass der Auftraggeber Alternativlösungen vorgeschlagen bekommt, die er selbst nicht hätte ausarbeiten können, weil seine Mitarbeiter naturgemäß nicht in allen Bereichen über so weitreichende Fachkunde wie die Bieter verfügen (BGH, Urteil vom 30. August 2011 - X ZR 55/10, VergabeR 2012, 26 - Regenentlastung ). Die Bedeutung der Zulassung von Nebenangeboten für die Gewinnung innovativer Lösungen hebt auch die kurz vor der Verabschiedung stehende, an die Stelle der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG tretende Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe hervor (vgl. Dokument PE-CONS 74/13 - 2011/0438 (COD), Erwägungsgrund 17a).
21
bb) Das Gebot, für Nebenangebote Mindestanforderungen festzulegen, dient der Transparenz, die die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter gewährleisten soll (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 - C-421/01, VergabeR 2004, 50 Rn. 29 - Traunfellner). Öffentliche Auftraggeber sollen sich von vornherein auf bestimmte Vorgaben für Nebenangebote festlegen müssen, damit erschwert ist, Nebenangebote mit der vorgeschobenen Begründung zurückzuweisen, sie seien gegenüber Ausführungen nach dem Amtsvorschlag (Hauptangebot) minderwertig oder wichen davon unannehmbar ab.
22
cc) Je mehr diesem letzteren Regelungsziel durch die Anhebung der Mindestanforderungen Rechnung getragen wird, desto mehr bleiben die mit der Zulassung von Nebenangeboten verfolgten Zwecke unberücksichtigt. Die öffentlichen Auftraggeber müssten die zulässigen Alternativen weitgehend gedanklich -planerisch vorwegnehmen, und Nebenangebote könnten nur in dem dadurch vorgegebenen Rahmen ausgearbeitet werden. Dieser würde aber häu- fig hinter den Möglichkeiten der regelmäßig fachlich besser instruierten Anbieterseite zurückbleiben, so dass deren Potenzial zum Teil ungenutzt bliebe (vgl. BGH, VergabeR 2012, 26 Rn. 19 - Regenentlastung). Dies wäre im Zweifel nicht nur zum wirtschaftlichen Schaden des Auftraggebers, sondern verfehlte auch gleichermaßen das Ziel, den Bietern die Möglichkeit zu geben, sich durch Nutzung ihres kreativen Potentials und eine dem Auftraggeber hierdurch eröffnete günstigere Alternative zu einem Zuschlag auf ein Hauptangebot einen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen. Im Interesse eines möglichst lebhaften Vergabewettbewerbs wäre es deshalb unzweckmäßig, wenn die Mindestanforderungen für Nebenangebote den Vergabegegenstand in allen seinen Aspekten und Details beschrieben (vgl. auch OLG Koblenz, NZBau 2011, 58 f.).
23
dd) Wie eingehend und detailliert die an Nebenangebote gestellten Anforderungen in den Vergabeunterlagen beschrieben sein müssen, lässt sich in Anbetracht der Anwendungsbreite der Bestimmung und der Vielfältigkeit der auszuschreibenden Leistungen nicht allgemein festlegen, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung und der jeweiligen Gesamtumstände, insbesondere der Komplexität des einzelnen Vergabegegenstands , bestimmen. Generell sind Mindestanforderungen zweckmäßig, die Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen. Erforderlich, aber im Interesse des Transparenzgebots auch ausreichend ist, dass den Bietern - neben technische Diversität zulassenden technischen Spezifikationen - als Mindestanforderungen in allgemeinerer Form der Standard und die wesentlichen Merkmale deutlich gemacht werden, die eine Alternativausführung aus Sicht der Vergabestelle aufweisen muss. Dadurch wird, soweit möglich, vermieden, dass den Bietern Aufwand aus der Erarbeitung von Alternativvorschlägen erwächst, die von vornherein keine Aussicht auf Berücksichtigung haben. Zugleich werden die Auftraggeber gebunden und daran gehindert, Nebenangebote zurückweisen zu können, die den Mindestanforderungen genügen, auf die sie sich festgelegt haben.
24
e) Die dem Ziel der Erschließung des wettbewerblichen Potentials entsprechende und damit vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten. Sie müssen ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technischen-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen, so dass das wirtschaftlichste Angebot auf dieser Basis ermittelt und dabei gegebenenfalls auch eingeschätzt werden kann, ob ein preislich günstigeres Nebenangebot mit einem solchen Abstand hinter der Qualität eines dem Amtsvorschlag entsprechenden Hauptangebots zurückbleibt, dass es nicht als das wirtschaftlichste Angebot bewertet werden kann.
25
4. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist im Streitfall nicht erforderlich. Die Anwendung des nationalen Rechts steht offenkundig nicht in Widerspruch zu den vergaberechtlichen Bestimmungen und Vorgaben des Unionsrechts.
26
Soweit der Senat in einem früheren Fall zum Ausdruck gebracht hat, dass er ohne die dort übereinstimmend erklärte Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 24 Abs. 1 VKR eingeholt hätte (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - X ZB 8/11, VergabeR 2013, 547), beruhte dies auf den besonderen Umständen jenes Falles. Gegenstand des Vergabeverfahrens war dort mit der Abholung und Zustellung von auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen eine in massen- hafter Wiederkehr zu erbringende homogene Dienstleistung. Als alleiniges Wertungskriterium dafür den Preis heranzuziehen, war vergaberechtlich ebenso sachgerecht, wie das Interesse der Vergabestelle anerkennenswert, gleichwohl Varianten angeboten zu bekommen, die sich nach den Umständen im Übrigen vom Hauptangebot nur in der modifizierten Vorsortierung der abzuholenden Sendungen unterscheiden konnten. Die Zulassung von Varianten hätte dort zwar (auch) die Notwendigkeit mit sich gebracht, die Preiswürdigkeit von Nebenangeboten zu vergleichen und zu bewerten, die die vorgegebenen Mindestbedingungen (vgl. Art. 24 Abs. 3 VKR, § 8 EG Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b VOB/A) auf unterschiedliche Weise erfüllten. Infolge der Homogenität der nachgefragten Leistung und nach den Umständen erschien eine unverfälschte Wertung von Haupt- und Nebenangeboten nach dem Preis aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Für die Entscheidung des dortigen Falls in der Hauptsache wäre es danach darauf angekommen, ob das Unionsrecht (Art. 24 Abs. 1 VKR) - etwa wie das nationale Recht durch das Institut der teleologischen Reduktion - eine Auslegung des nationalen Rechts erlaubt hätte, nach der Nebenangebote in einer solchen Konstellation zugelassen werden können, obwohl der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll.
27
Der Streitfall ist damit nicht vergleichbar, und eine entsprechende Auslegung des nationalen Vergaberechts kommt mithin - wie ausgeführt - nicht in Betracht. Das ausgeschriebene Los umfasst zahlreiche Gewerke (Bauteilgruppen ), namentlich den Gleisunterbau, Mastgründungen, Bahnstromanlagen, Haltestellen , Straßenbau, Gehwege, Parkmöglichkeiten, Lichtsignalanlagen, Markierungen und Beschilderungen, GVB-Koordinierungstrassen, Stützwände, Beleuchtung sowie diverse Versorgungsleitungen. Nebenangebote waren nach den Vergabeunterlagen zudem nur für die gesamte Leistung, nicht aber nur für eingegrenzte Bereiche zugelassen.
28
5. Im Streitfall ist es nach den vom Vergabesenat getroffenen Feststellungen zur Herstellung eines regulären Vergabewettbewerbs ausreichend, dass die vergaberechtswidrig zugelassenen Nebenangebote nicht gewertet werden. Eine Verzerrung des Wettbewerbs bei Wertung allein der Hauptangebote ist nicht zu besorgen, weil - anders als in dem vom Senat am 23. Januar 2013 entschiedenen Fall (BGH, VergabeR 2013, 547) - nicht geltend gemacht ist, dass ein Hauptangebot anders kalkuliert worden wäre, wenn Nebenangebote nicht zugelassen gewesen wären.
29
IV. Der Senat macht von der in § 124 Abs. 2 Satz 3 GWB eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage zu beschränken , weil es nach dem Sach- und Streitstand zweckmäßig ist, dem Vergabesenat die Entscheidung in der Hauptsache zu übertragen.
30
1. Die Annahme der Vergabekammer und des Vergabesenats, die Vergabestelle könne sich im Nachprüfungsverfahren nicht mehr auf fehlende Eignung der Antragstellerin berufen, nachdem sie die Eignung im Vergabeverfahren bejaht hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
31
Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist die Anforderung umsatzbezogener Angaben nicht deshalb unbeachtlich, weil sie in der Vergabebekanntmachung nicht unter dem richtigen, sondern einem benachbarten Gliederungspunkt gestellt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden und dabei auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abzustellen (BGH, Urteil vom 20. November 2012 - X ZR 108/10, VergabeR 2013, 208 Rn. 9 - Friedhofserweiterung; Urteil vom 15. Januar 2013 - X ZR 155/10, VergabeR 2013, 434 Rn. 9 - Parkhaussanierung ). Bei einer an diesen - auch für das Verständnis der Bekanntmachung nach § 12 EG Abs. 2 VOB/A geltenden - Grundsätzen orientierten Auslegung besteht kein Zweifel daran, dass die potenziellen Bieter den Angaben unter III 1.4 der Bekanntmachung entnehmen konnten, mit dem Angebot jährliche Nettoumsätze von mindestens 2,5 Mio. € mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich in den letzten fünf Jahren nachweisen zu sollen, auch wenn diese Rubrik an sich der Information über Bedingungen oder Vorschriften gilt, die bei der Auftragsausführung zu beachten sein sollen.
32
2. Die Vergabestelle war entgegen der Ansicht der Vergabekammer und des Vergabesenats nicht daran gebunden, dass sie die Eignung der Antragstellerin in einem früheren Stadium des im offenen Verfahren durchgeführten Vergabewettbewerbs bejaht hat.
33
a) Aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen lässt sich nicht herleiten, dass der Auftraggeber im offenen Verfahren an seine erste Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden wäre. Die Regelung in § 16 EG Abs. 2 Nr. 2 VOB/A gilt nur für das nicht offene und das Verhandlungsverfahren sowie den wettbewerblichen Dialog. Dort dürfen im Rahmen der Angebotswertung nur noch solche die Eignung betreffenden Umstände berücksichtigt werden , die nach Aufforderung zur Angebotsabgabe Zweifel an der Eignung des Bieters begründen. Der Grund für diese Regelung ist darin zu sehen, dass der Auftraggeber bei diesen Vergabearten die Eignung der Bewerber prüft, bevor er sie in den Wettbewerb einbezieht (vgl. § 6 EG Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VOB/A für das nicht offene Verfahren). Dadurch wird ein Vertrauenstatbestand für die Bieter dahin begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber die Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage abweichend beurteilt (vgl. zum Vertrauensschutz der Bieter BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283). Eine entsprechende Regelung für den Schutz des Vertrauens der Bieter auf den Bestand der Beurteilung ihrer Eig- nung durch die Vergabestelle im offenen Verfahren ist in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen nicht vorgesehen. Dafür besteht auch kein Bedürfnis , weil die Bieter den mit der Erstellung des Angebots verbundenen Aufwand zumindest im Wesentlichen bereits vor der Eignungsprüfung durch die Vergabestelle erbracht haben.
34
b) Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Bestimmungen über die Prüfung und Wertung der Angebote in § 16 EG VOB/A (§§ 20, 27 ff. SektVO). Diese erfolgt zwar schrittweise (Prüfung auf Ausschlussgründe und der Eignung der Bieter, Aussonderung unangemessen hoher oder niedriger Angebote, Auswahl des günstigsten Angebots aus den in die engere Wahl gelangten Offerten ). Damit soll aber vor allem einer Vermischung der Prüfungsgegenstände vorgebeugt werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2008 - X ZR 129/06, VergabeR 2008, 641 Rn. 13 - Sporthallenbau). Mit dieser sachlogischen Ordnungsprinzipien folgenden Aufgliederung wird der Wertungsprozess aber nicht in rechtlich unabhängige Abschnitte aufgeteilt, deren Durchlaufen dem betreffenden Bieter jeweils eine Rechtsposition verschaffte, die einer nachträglichen abweichenden Beurteilung eines vorangegangenen Abschnitts entgegenstünde. Für die Prüfung der Eignung gilt insoweit keine Ausnahme. Dass die Vergabestelle sie einmal bejaht hat, steht einer späteren abweichenden Einschätzung im offenen Verfahren nicht von vornherein entgegen. Revidiert eine Vergabestelle ihre Beurteilung der Eignung eines Bieters zu dessen Nachteil, insbesondere nachdem dieser einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, kann das lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob diese Entscheidung die im Interesse eines verantwortungsvollen Einsatzes öffentlicher Mittel gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstellt oder von sachfremden Erwägungen getragen sein könnte.
35
Abweichendes ergibt sich nicht aus § 19 EG Abs. 1 VOB/A. Danach sollen Bieter, deren Angebote nach § 16 EG Abs. 1 VOB/A ausgeschlossen wur- den oder die nicht in die engere Wahl kommen, unverzüglich unterrichtet werden. Daraus folgt nicht, dass nicht informierte Wettbewerbsteilnehmer darauf vertrauen dürfen, ein formgültiges Angebot abgegeben zu haben und jedenfalls auch für die Auftragsausführung geeignet zu sein.
36
V. Danach bedarf die im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens ausgesprochene Verneinung der Eignung der Antragstellerin durch die Vergabestelle einer Überprüfung in der Sache, die zweckmäßigerweise dem Vergabesenat zu übertragen ist (§ 124 Abs. 2 Satz 3 GWB). Dafür weist der Senat auf Folgendes hin.
37
1. Die Vergabebekanntmachung enthält Anforderungen an den Nachweis der Eignung nicht nur unter dem Gliederungspunkt III 1.4, sondern auch in den dafür an sich vorgesehenen Rubriken unter III 2 In der Gesamtschau ergibt sich folgendes Bild: Die Vergabestelle wollte einerseits eine Auftragsvergabe davon abhängig machen, dass der betreffende Bieter in den letzten 5 Jahren mit komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat (III 1.4 der Bekanntmachung). Andererseits hat sie für den Nachweis der Eignung unter anderem auf das zu den Vergabeunterlagen gehörende Formblatt 124 verwiesen (unter III 2 der Bekanntmachung ). Dieses ist hinsichtlich der Umsatzangaben den Vorgaben der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen angepasst und verlangt die Angabe des Umsatzes in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit dieser Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind (vgl. § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A).
38
Aus diesen Angaben konnten die Adressaten der Vergabeunterlagen insgesamt entnehmen (§§ 133, 157 BGB analog), dass die Vergabestelle die unter III 1.4 angeführten komplexen Tief- und Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich als mit der zu vergebenden Leistung vergleichbare Leistungen im Sinne von § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A verstanden wissen wollte und voraussetzte, dass damit ein jährlicher Umsatz von 2.500.000 € erzielt worden ist. Hinsichtlich des Auskunftszeitraums und der Gesamtumsätze waren die Angaben in der Bekanntmachung zu III 1.4 und III 2 widersprüchlich. Dass eine Vergabestelle weitergehende Eignungsnachweise verlangen kann (vgl. z.B. Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Nr. i) VKR), verleiht den unter III 1.4 gestellten Anforderungen keinen einseitigen Vorrang, sondern der Widerspruch ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium dahin aufzulösen, dass die unter III 1.4 gestellten Anforderungen in dem Umfang gelten, in dem sie dem Formblatt 124 nicht widersprechen. Danach hätte die Antragstellerin Umsätze mit komplexen Tiefund Leitungsbauarbeiten im innerstädtischen Bereich von 2.500.000 € in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren nachweisen müssen.
39
2. Für die Frage, ob die nachträgliche Verneinung der Eignung sachfremd motiviert sein könnte, kann die ursprüngliche Beurteilung der Eignung von Aufschluss sein. Nach den dazu bisher getroffenen Feststellungen erscheint die jetzige Position der Vergabestelle jedenfalls nicht ohne Weiteres als vorgeschoben. Die Vergabestelle war zunächst zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin zwischen 2008 und 2012 nicht die vorgegebenen Jahresumsätze von 2.500.000 € erzielt hat und deshalb nicht geeignet war. Offenbar hat die Vergabestelle später an die Höhe der vorausgesetzten Jahresumsätze Konzessionen gemacht. Dies kann, muss aber nicht stets vergaberechtswidrig sein. Die Regelung in § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a VOB/A beruht ersichtlich auf der Prämisse, dass die in der Vergangenheit erzielten Umsätze aussagekräftig für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Bieters hinsichtlich des zur Vergabe anstehenden Auftrags sind. Die Bestimmung dient somit dem Schutz der Auftraggeberseite und soll der Vergeudung öffentlicher Mittel vorbeugen. Eine Vergabestelle kann zwar nachträglich zu der Einschätzung gelangen, dass die ihr anvertrauten öffentlichen Interessen auch bei Vergabe des Auftrags an ein Unternehmen gewahrt bleiben, das die insoweit zunächst für notwendig erach- teten Umsätze nicht erzielt hat. Dies muss aber plausible Gründe haben. Außerdem ist aus Wettbewerbsgründen zu bedenken, ob sich der Kreis der Teilnehmer nicht anders zusammengesetzt hätte, wenn die jetzt als ausreichend erachteten Umsätze von vornherein vorgegeben worden wären.
40
Die Vergabestelle hat zwar nach dem oben mitgeteilten Vermerk in den Vergabeakten angegeben, die Eignung der Antragstellerin "unter Abwägung aller Fakten" bejaht zu haben, sie hat in diesem Zusammenhang aber als einzigen substanziellen Gesichtspunkt angeführt, dass ein Ausschluss für die Antragstellerin unangemessen hart wäre. Diese Erwägung steht außerhalb des einer Vergabestelle bei der Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraums. Die Prüfung der Eignung soll im Vorfeld der Auftragsvergabe das Risiko minimieren, dass der Einsatz öffentlicher Mittel seinen Zweck verfehlt, weil ein Unternehmen beauftragt wird, das mit der Erbringung der zugesagten Leistung überfordert ist, und in der Folge Zeit verloren geht und Mehrkosten entstehen. Dabei entscheidend auf Belange der Bieterseite abzustellen, ist vom Zweck des Entscheidungsspielraums der Vergabestelle nicht mehr gedeckt. Ob hier ein Fehlgebrauch des Beurteilungsspielraums vorlag oder der entsprechende Vermerk in den Vergabeakten die Erwägungen der Vergabestelle nur missverständlich wiedergibt, kann beim gegebenen Sach- und Streitstand nicht abschließend beurteilt werden, weil die Vergabekammer und der Vergabesenat dazu, von ihrer Rechtsauffassung her folgerichtig, keine Feststellungen getroffen haben.
41
3. Die Vergabestelle wird die Prüfung der Eignung der Antragstellerin nunmehr unter Anpassung an die Prämisse, dass lediglich die letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre berücksichtigt werden dürfen (oben V 1), und unter Berücksichtigung des vorstehend Ausgeführten im laufenden Nachprüfungsverfahren zu wiederholen und das Ergebnis vorzutragen haben.
Meier-Beck Gröning Schuster
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
OLG Jena, Entscheidung vom 16.09.2013 - 9 Verg 3/13 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13 zitiert 9 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB | § 97 Grundsätze der Vergabe


(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt. (2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen - GWB | § 124 Fakultative Ausschlussgründe


(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn1.das Unternehmen bei der Ausfüh

Sektorenverordnung - SektVO 2016 | § 8 Dokumentation


(1) Der Auftraggeber ist verpflichtet, den Fortgang des Vergabeverfahrens jeweils zeitnah zu dokumentieren. Hierzu stellt er sicher, dass er über eine ausreichende Dokumentation verfügt, um Entscheidungen in allen Phasen des Vergabeverfahrens, insbes

Sektorenverordnung - SektVO 2016 | § 20 Grundsätze für den Betrieb dynamischer Beschaffungssysteme


(1) Der Auftraggeber kann für die Beschaffung marktüblicher Leistungen ein dynamisches Beschaffungssystem nutzen. (2) Bei der Auftragsvergabe über ein dynamisches Beschaffungssystem befolgt der Auftraggeber die Vorschriften für das nicht offene V

Sektorenverordnung - SektVO 2016 | § 29 Technische Anforderungen


(1) Verweist der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung auf technische Anforderungen nach § 28 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2, so darf er ein Angebot nicht mit der Begründung ablehnen, dass die angebotenen Liefer- und Dienstleistungen nicht den von ihm

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 30. Aug. 2011 - X ZR 55/10

bei uns veröffentlicht am 30.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 55/10 Verkündet am: 30. August 2011 Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - X ZR 108/10

bei uns veröffentlicht am 20.11.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 108/10 Verkündet am: 20. November 2012 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2011 - X ZB 4/10

bei uns veröffentlicht am 08.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 4/10 Verkündet am: 8. Februar 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Vergabenachprüfungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 15. Jan. 2013 - X ZR 155/10

bei uns veröffentlicht am 15.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 155/10 Verkündet am: 15. Januar 2013 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2013 - X ZB 8/11

bei uns veröffentlicht am 23.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 8/11 vom 23. Januar 2013 in dem Vergabenachprüfungsverfahren Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens und die Richter
6 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2014 - X ZB 15/13.

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juni 2019 - X ZR 86/17

bei uns veröffentlicht am 18.06.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 86/17 Verkündet am: 18. Juni 2019 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BG

Vergabekammer Südbayern Beschluss, 06. Feb. 2017 - Z3-3-3194-1-50-12/16

bei uns veröffentlicht am 06.02.2017

Tenor 1. Der Nachprüfungsantrag vom 02.12.2016 wird zurückgewiesen. 2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen des Antragsgegne

Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss, 26. Mai 2015 - 1 U 1430/14

bei uns veröffentlicht am 26.05.2015

Gründe Oberlandesgericht Nürnberg Az.: 1 U 1430/14 12 O 438/13 LG Weiden i.d. OPf. In dem Rechtsstreit R. - Klägerin und Berufungsklägerin Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ... gegen G. - B

Vergabekammer Südbayern Beschluss, 27. März 2017 - Z3-3-3194-1-03-02/17

bei uns veröffentlicht am 27.03.2017

Tenor 1.Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen. 2.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegner. 3.Für das Verfahr

Referenzen

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

(3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.

(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.

(5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen.

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

(1) Der Auftraggeber ist verpflichtet, den Fortgang des Vergabeverfahrens jeweils zeitnah zu dokumentieren. Hierzu stellt er sicher, dass er über eine ausreichende Dokumentation verfügt, um Entscheidungen in allen Phasen des Vergabeverfahrens, insbesondere zu den Verhandlungs- oder Dialogphasen, der Auswahl der Teilnehmer sowie der Zuschlagsentscheidung, nachvollziehbar zu begründen.

(2) Der Auftraggeber bewahrt die sachdienlichen Unterlagen zu jedem Auftrag auf. Die Unterlagen müssen so ausführlich sein, dass zu einem späteren Zeitpunkt mindestens folgende Entscheidungen nachvollzogen und gerechtfertigt werden können:

1.
Qualifizierung und Auswahl der Teilnehmer sowie Zuschlagserteilung,
2.
Rückgriff auf Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb,
3.
Nichtanwendung dieser Verordnung aufgrund der Ausnahmen nach Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und
4.
Gründe, aus denen andere als elektronische Kommunikationsmittel für die elektronische Einreichung von Angeboten verwendet wurden.

(3) Die Dokumentation ist bis zum Ende der Vertragslaufzeit oder Rahmenvereinbarung aufzubewahren, mindestens jedoch für drei Jahre ab dem Tag des Zuschlags. Gleiches gilt für Kopien aller abgeschlossenen Verträge, die mindestens den folgenden Auftragswert haben:

1.
1 Million Euro im Falle von Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen,
2.
10 Millionen Euro im Falle von Bauaufträgen.

(4) Die Dokumentation oder deren Hauptelemente ist der Europäischen Kommission sowie den zuständigen Aufsichts- oder Prüfbehörden auf deren Anforderung hin zu übermitteln.

(1) Der Auftraggeber kann für die Beschaffung marktüblicher Leistungen ein dynamisches Beschaffungssystem nutzen.

(2) Bei der Auftragsvergabe über ein dynamisches Beschaffungssystem befolgt der Auftraggeber die Vorschriften für das nicht offene Verfahren.

(3) Ein dynamisches Beschaffungssystem wird mithilfe elektronischer Mittel eingerichtet und betrieben. Die §§ 11 und 12 finden Anwendung.

(4) Ein dynamisches Beschaffungssystem steht im gesamten Zeitraum seiner Einrichtung allen Bietern offen, die die im jeweiligen Vergabeverfahren festgelegten Eignungskriterien erfüllen. Die Zahl der zum dynamischen Beschaffungssystem zugelassenen Bewerber darf nicht begrenzt werden.

(5) Der Zugang zu einem dynamischen Beschaffungssystem ist für alle Unternehmen kostenlos.

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

(3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.

(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.

(5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen.

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

1.
das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat,
2.
das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat,
3.
das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden,
4.
der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
5.
ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann,
6.
eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann,
7.
das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat,
8.
das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder
9.
das Unternehmen
a)
versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen,
b)
versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder
c)
fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.

(2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes, § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und § 22 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959) bleiben unberührt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 4/10 Verkündet am:
8. Februar 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Vergabenachprüfungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr

a) Die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen
ist nicht vom Anwendungsbereich der Vergabevorschriften
ausgenommen.

b) Die Prüfung, ob die für eine Dienstleistungskonzession charakteristische
Übernahme zumindest eines wesentlichen Teils des Betriebsrisikos vorliegt
, erfordert eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich
der für den Vertragsgegenstand maßgeblichen Marktbedingungen
und der gesamten vertraglichen Vereinbarungen. Ist neben dem Nutzungsrecht
eine Zuzahlung vorgesehen, hängt die Einordnung als Dienstleistungskonzession
auch davon ab, ob die Zuzahlung bloßen Zuschusscharakter
hat oder die aus dem Nutzungsrecht möglichen Einkünfte als alleiniges
Entgelt bei weitem keine äquivalente Gegenleistung darstellten.
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10 - OLG Düsseldorf
Vergabekammer Münster
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Dezember 2010 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Berger und Hoffmann und die
Richterin Schuster
b e s c h l o s s e n :
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster
vom 18. März 2010 - VK 1/10 - unter Zurückweisung der Rechtsmittel
der Antragsgegnerin und der Beigeladenen in den Aussprüchen
zu 2 sowie 4 und 5 abgeändert und insgesamt wie folgt neu
gefasst:
Der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen
am 24. November 2009 geschlossene und am 9. Dezember
2009 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen
Union - 2009/S 237-340159 - bekannt gemachte Änderungsvertrag
zum Verkehrsvertrag vom 12. Juli 2004 wird
für unwirksam erklärt.
Die Antragsgegnerin wird für den Fall, dass sie an dem Beschaffungsvorhaben
festhält, verpflichtet, den Auftrag über
diese Leistungen in den Kooperationsräumen 1 (VRR) und
9 (Niederrhein) nur im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens
zu vergeben.
Die Gebühr wird auf 50.000 € festgesetzt.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten
des erstinstanzlichen Verfahrens als Gesamtschuldner
und die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen
je zur Hälfte. Im Übrigen sind Aufwendungen nicht zu
erstatten.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin
war notwendig.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten
des Beschwerdeverfahrens und haben der Antragstellerin deren
außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
7.476.000 € festgesetzt.

Gründe:


A.


1
Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf eine zwischen der Antragsgegnerin (im Folgenden: VRR) und der Beigeladenen (im Folgenden : DB Regio) getroffene Änderungsvereinbarung vom 24. November 2009 (im Folgenden: Änderungsvertrag) zum Verkehrsvertrag vom 12. Juli 2004 (im Folgenden nur: Verkehrsvertrag), den der VRR mit der Rechtsvorgängerin von DB Regio, die inzwischen auf Letztere verschmolzen wurde, geschlossen hatte.
Dieser Vertrag verpflichtete DB Regio zur Erbringung von Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) über anfänglich 44,04 Millionen Zugkilometer. Im Fahrplanjahr 2003/2004 entfielen davon 26,33 Millionen Zugkilometer auf Regional-Express- bzw. Regionalbahn-Leistungen und 17,71 Millionen Zugkilometer auf S-Bahn-Leistungen. Während Letztere über die gesamte Dauer des Vertrags (bis Dezember 2018) jährlich konstant in gleicher Höhe zu erbringen waren, sollten die RE- und RB-Leistungen bereits während der Vertragslaufzeit abgebaut und insoweit jeweils neu im Wettbewerb vergeben werden. Bis Anfang 2009 waren dementsprechend rund 7 Millionen Zugkilometer aus dem Vertrag herausgelöst worden. DB Regio hatte sich im Verkehrsvertrag zur Erneuerung ihres Fahrzeugparks, insbesondere zur Beschaffung von 84 neuen S-Bahn-Zügen verpflichtet, wovon die letzten noch ausstehenden Wagen bis Ende 2010 ausgeliefert und zum Einsatz gebracht werden sollten.
2
DB Regio bezieht über den VRR einen Zuschuss pro gefahrenem Zugkilometer , dessen Höhe nach Maßgabe diesbezüglicher vertraglicher Regelungen fortgeschrieben wird. Die dafür erforderlichen Geldmittel erhält der VRR vom Land Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVG NRW). Aufgrund des Regionalisierungsgesetzes erhält das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang überwiegend für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs vorgesehene Bundeszuwendungen. Für den Fall, dass sich diese Mittel reduzieren, enthält der Verkehrsvertrag eine Revisionsklausel (§ 39 Abs. 5 des Vertrags), derzufolge der VRR bei entsprechenden Mittelkürzungen berechtigt ist, eine angemessene Anpassung des SPNV-Angebots zu verlangen. Außerdem vereinnahmt DB Regio den vertraglichen Regelungen zufolge für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen die Fahrscheinerlöse und de- ren Surrogate bei gesetzlich vorgesehener unentgeltlicher Fahrgastbeförderung (z.B. nach dem SGB IX).
3
Nachdem die Mittel für Zuwendungen an die Länder auf der Grundlage des Regionalisierungsgesetzes 2006 gekürzt worden waren, entstand zwischen den Parteien des Verkehrsvertrages Streit über die gegenseitigen Pflichten, die zur Kündigung des Vertrages seitens des VRR und zu verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten, aber auch zu Vergleichsverhandlungen zwischen den Vertragspartnern führten. Am 21./25. Juli 2009 gab der VRR die Absicht, mit DB Regio den Änderungsvertrag abschließen zu wollen, im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union bekannt. Zu den vertraglichen Regelungen sollte danach gehören, dass DB Regio im Bereich der S-Bahn die Linien S 1 bis S 11 über das Ende des ursprünglichen Verkehrsvertrags hinaus bis Dezember 2023 bedient. Entsprechend wurde der Änderungsvertrag am 24. November 2009 geschlossen und der Vertragsschluss am 9. Dezember 2009 im Supplement zum Amtsblatt der EU bekannt gemacht.
4
Die Antragstellerin (im Folgenden: A. R.), die an der Übernahme des Betriebs vornehmlich der S-Bahn-Linie 5 ab Dezember 2018 interessiert ist, meint, die Übertragung des S-Bahn-Betriebs über den Zeitraum nach Dezember 2018 hinaus auf DB Regio sei ein vergaberechtlich ausschreibungspflichtiger Vorgang. Sie hat bei der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster mit dort am 6. Januar 2010 eingegangenem Antrag ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet und in der Sache beantragt, 1. festzustellen, dass der Änderungsvertrag über Leistungen im SPNV in den Kooperationsräumen 1 (VRR) und 9 (Niederrhein ) im Hinblick auf den Leistungsteil der Linie S 5 von Anfang an unwirksam ist; hilfsweise, 2. festzustellen, dass der Änderungsvertrag (insgesamt) von Anfang an unwirksam ist, 3. die Antragsgegnerin für den Fall, dass sie an dem Beschaffungsvorhaben für die Linie S 5 festhält, zu verpflichten, den Auftrag über diese Leistungen in den Kooperationsräumen 1 (VRR) und 9 (Niederrhein) nur im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens mit vorheriger europaweiter Bekanntmachung zu vergeben.
5
Der VRR und DB Regio haben beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Die Vergabekammer hat den Änderungsvertrag für unwirksam erklärt und außerdem ausgesprochen: Der Antrag der Antragstellerin auf Teilausschreibung der Linie S 5 und der Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, soweit sie an dem Beschaffungsvorhaben festhält, den Auftrag über diese Leistungen im SPNV in den Kooperationsräumen 1 und 9 im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens mit vorheriger europaweiter Bekanntmachung vor Ablauf der Vertragslaufzeit aus dem Verkehrsvertrag im Jahre 2018 zu vergeben, werden zurückgewiesen.
6
Gegen den Beschluss der Vergabekammer haben A. R., DB Regio und nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf auch der VRR sofortige Beschwerde eingelegt. Der VRR und DB Regio begehren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Vergabekammer und die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags. A. R. beantragt, das Rechtsmittel des VRR als unzuläs- sig zu verwerfen, hilfsweise, es - ebenso wie die Beschwerde von DB Regio - zurückzuweisen. A. R. verfolgt mit dem Rechtsmittel ihren Antrag zu 3 weiter, jedoch mit der Maßgabe, dass die Worte "für die Linie S 5" entfallen und sich der Antrag somit auf das gesamte Vorhaben bezieht. Der VRR und DB Regio beantragen, die sofortige Beschwerde von A. R. zurückzuweisen.
7
Das Oberlandesgericht erachtet den Nachprüfungsantrag von A. R. für zulässig und in weitem Umfang auch für begründet. Es sieht sich an einer eigenen Sachentscheidung aber durch entgegenstehende Rechtsprechung anderer Vergabesenate gehindert. Diese Divergenz betrifft in erster Linie die Frage, ob bei der Vergabe von Dienstleistungen des SPNV ein Nachprüfungsverfahren nach dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt zulässig ist, was das Brandenburgische Oberlandesgericht in einer Entscheidung vom 2. September 2003 (VergabeR 2003, 654) verneint hat.

B.


8
Die Vorlage ist zulässig.
9
Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Obergerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2008 - X ZB 31/08, BGHZ 179, 84 - Rettungsdienstleistungen). So verhält es sich hier. Das vorlegende Oberlandesgericht bejaht die Kompetenz der Nachprüfungsinstanzen des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 102 ff., § 116 Abs. 3 GWB) zur vergaberechtlichen Überprüfung des Änderungsvertrags. Es meint des Weiteren, dass der Vertrag nach § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB, § 4 Abs. 1 VgV, § 1a Nr. 2 Abs. 2, § 3 VOL/A öffentlich hätte ausgeschrieben werden müssen. Damit würde das Oberlandesgericht seiner Entscheidung Rechtssätze zugrunde legen, die mit denjenigen nicht zu vereinbaren wären, auf denen der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. September 2003 beruht. Dieses vertritt die Ansicht, die Aufgabenträger der Eisenbahnverkehrsleistungen seien nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) berechtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie öffentlich ausschreiben oder die Leistungserbringung ohne förmliches Vergabeverfahren frei mit Eisenbahnverkehrsunternehmen vereinbaren wollen. Dieses Ermessen habe der Gesetzgeber des Vergaberechtsänderungsgesetzes vom 28. August 1998 (VgRÄG, BGBl. I S. 2512) nicht einschränken, sondern er habe den vom Allgemeinen Eisenbahngesetz erfassten Anwendungsbereich aus Gründen der Spezialität unverändert fortgelten lassen wollen.
10
Entscheidet sich der öffentliche Auftraggeber, wie im Streitfall, für eine Beauftragung ohne Ausschreibung, ist auf der Grundlage der vom Brandenburgischen Oberlandesgericht vertretenen Rechtsauffassung von vornherein kein Raum für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung wäre der vorliegende Nachprüfungsantrag unzulässig.
11
Da die Vorlage hiernach zulässig ist, bedarf die vom vorlegenden Gericht außerdem ausgeführte Divergenz zur Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle (VergabeR 2010, 669) zu den vergaberechtlichen Konsequenzen einer zeitversetzten Dokumentation des Vergabeverfahrens an dieser Stelle keiner Erörterung.

C.


12
Die sofortigen Beschwerden von DB Regio und des VRR bleiben in der Sache ohne Erfolg.
13
I. Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass auch der VRR in zulässiger Weise sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer eingelegt hat, auch wenn in dem dafür maßgeblichen Schriftsatz vom 8. April 2010 nicht ausdrücklich erklärt wird, dass gegen die Entscheidung der Vergabekammer "sofortige Beschwerde" eingelegt werde. Soweit die Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - dessen analoge Anwendung A. R. verficht - die Erklärung enthalten muss, dass gegen das angefochtene Urteil Berufung eingelegt wird, ist zu bedenken, dass die Frage, ob ein Rechtsmittel eingelegt ist, nach ständiger Rechtsprechung erforderlichenfalls im Wege der Auslegung der Rechtsmittelschrift und der sonst heranzuziehenden Unterlagen zu beurteilen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2009 - VI ZB 89/08 Rn. 8). Das gilt auch für die nach § 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vorgesehene Erklärung. Dementsprechend reicht es aus, wenn sich der unbedingte Wille des Antragsgegners , selbst sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer einzulegen, aus den gesamten Umständen ergibt. Dies ist der Fall. Zweifel daran können überhaupt nur aufkommen, weil zuvor bereits die Beigeladene dieses Rechtsmittel eingelegt hat, deren rechtliche Interessen sich nach Lage der Dinge mit denen des VRR decken. Dass mit dem Schriftsatz vom 8. April 2010 nur die bereits eingelegte Beschwerde von DB Regio unterstützt werden sollte, wie das vorlegende Gericht vorsorglich erwogen hat, liegt aber schon deshalb fern, weil der VRR im Verhältnis zu DB Regio Hauptpartei ist und jedenfalls nicht ohne Weiteres anzunehmen ist, dass der VRR ungeachtet dieser Parteirolle lediglich das Rechtsmittel der Beigeladenen unterstützen wollte.
Hinzu kommt, dass, worauf das vorlegende Gericht zu Recht auch abgestellt hat, der VRR im Rubrum des Schriftsatzes vom 8. April 2010 als Beschwerdeführerin bezeichnet ist und als solche die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt hat, während DB Regio in diesem Schriftsatz nicht als Beschwerdeführerin bezeichnet ist.
14
II. Die Vergabekammer hat die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags von A. R. im Ergebnis und auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens des VRR und von DB Regio zu Recht bejaht.
15
1. Der DB Regio im Änderungsvertrag übertragene Betrieb der S-BahnLinien 1 bis 11 über den Dezember 2018 hinaus, bis 2023, fällt in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.
16
a) Dieser Anwendungsbereich ist im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen prinzipiell umfassend bestimmt (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2008 - X ZB 31/08, BGHZ 179, 84 Rn. 21 - Rettungsdienstleistungen; aA Prieß, NZBau 2002, 539 ff.). Von ihm sind - unter der im Streitfall nicht umstrittenen Voraussetzung, dass der jeweils einschlägige Schwellenwert erreicht ist - lediglich Arbeitsverträge und die Aufträge ausgenommen, die in § 100 Abs. 2 lit. a bis t GWB bezeichnet sind. Dieser Ausnahmekatalog ist grundsätzlich als abschließend anzusehen (vgl. BGHZ 179, 84 Rn. 21 - Rettungsdienstleistungen

).


17
Bei den im von DB Regio vorgelegten Rechtsgutachten (im Folgenden: Privatgutachten) gegen den abschließenden Charakter der Regelung angeführten Beispielen der In-House-Geschäfte, der interkommunalen Zusammenarbeit und bei den sozialrechtlichen Beschaffungen handelt es sich nur um vermeintli- che Durchbrechungen des Ausnahmekatalogs von § 100 Abs. 2 GWB. In dieser Bestimmung sind bestimmte Aufträge wegen des jeweiligen Vertragsgegenstands bzw. wegen damit oder mit dem Auftraggeber zusammenhängenden Umständen vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Die für InHouse -Geschäfte und die interkommunale Kooperation anerkannten Ausnahmen beruhen auf einer Rechtsfortbildung im Sinne einer teleologischen Reduktion durch den Gerichtshof der Europäischen Union, die nicht im Auftragsgegenstand oder in Merkmalen des Auftraggebers, sondern im rechtlichen Verhältnis der jeweiligen Vertragspartner zueinander ihren Grund hat. Soweit es Beschaffungen im Gesundheitssektor betrifft, war deren Zuweisung zum Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den ordentlichen Gerichten und denjenigen der Sozialgerichtsbarkeit umstritten, wurde vom Senat in einem obiter dictum bejaht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2008 - X ZB 17/08, VergabeR 2008, 787 - Rabattvereinbarungen mwN) und ist erst danach vom Gesetzgeber abweichend geregelt worden (vgl. Art. 1 Nr. 1e und 2b Nr. 2 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15. Dezember 2008, GKV-OrgWG, BGBl. I S. 2426). Ob gemeinschaftsrechtliche Sonderregelungen in ganz speziellen Bereichen - wie etwa bei der im Privatgutachten angesprochenen Beschaffung von Euro-Banknoten gemäß der Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 16. September 2004 - im Einzelfall ausnahmsweise eine Relativierung der Auslegung von § 100 Abs. 2 GWB erforderlich machen könnten, bedarf im Streitfall keiner Beantwortung, weil hier eine solche Kollision entgegen den Annahmen des Privatgutachtens nicht besteht (insbesondere unten C II 1 d).
18
b) Die Dienstleistungen, um deren Erbringung im SPNV durch DB Regio es hier geht, sind nicht infolge der Regelung in § 15 Abs. 2 AEG vom Geltungs- bereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen. Auch diese (ältere) Regelung, nach der die zuständigen Behörden , die beabsichtigen, die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen zu vereinbaren, diese Leistungen ausschreiben können, begründet keine Ausnahme von dem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen definierten Anwendungsbereich seiner Vergabevorschriften.
19
aa) Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat bei seiner gegenteiligen Auslegung auf den geäußerten Willen des Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Schaffung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (1993) und des Vergaberechtsänderungsgesetzes (1998) abgestellt und gemeint, es sei dem deutschen Gesetzgeber bei Schaffung des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen allein darum gegangen, die gemeinschaftsrechtlich eingeforderte Einräumung einklagbarer Rechtspositionen für Bieter zu schaffen und den fehlenden effektiven Rechtsschutz in laufenden Vergabeverfahren zu verbessern, während nicht ersichtlich sei, dass er darüber hinaus gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen einer Ausschreibungspflicht habe unterwerfen wollen. Dafür hätte er sich aber bewusst entscheiden müssen, weil seinerzeit eine Ausschreibungspflicht nach den Vergaberichtlinien der Europäischen Gemeinschaft nicht bestanden habe (Brandenburgisches OLG, aaO, S. 664).
20
bb) Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist demgegenüber die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung (BVerfGE 1, 299, 312). Die vorrangig am objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientierende Auslegung kann durch Motive, die im Gesetzgebungsverfahren dargelegt wurden, im Gesetzeswortlaut aber keinen Ausdruck gefunden haben, nicht gebunden werden (BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 - KVR 4/94, BGHZ 129, 38, 50 - Weiterverteiler ). Im Übrigen hat der Senat bereits am Beispiel der Regelung in § 126 GWB aufgezeigt, dass gerade der objektive Regelungsgehalt des den Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beinhaltenden Art. 1 des Vergaberechtsänderungsgesetzes vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2512) auch in anderem Sachzusammenhang über den subjektiven Willen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe hinausgeht (BGHZ 179, 84 Rn. 24 - Rettungsdienstleistungen

).


21
cc) Die Regelung in § 15 Abs. 2 AEG, wonach die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 4, Art. 14 der VO (EWG) 1191/69 von den zuständigen Behörden ausgeschrieben werden können, hat gegenüber dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen keinen Vorrang unter dem Gesichtspunkt der Spezialität.
22
(1) Die Regelung mag Vorbehalten gegen die Zweckmäßigkeit von Ausschreibungsverfahren und befürchteten negativen Auswirkungen eines verbes- serten Rechtsschutzes auf die Investitionstätigkeit im Allgemeinen geschuldet gewesen sein, wie das Brandenburgische Oberlandesgericht ausführt (aaO, S. 661 f.; vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 15. August 2008 - X ZB 17/08, VergabeR 2008, 787 Rn. 13 - Rabattvereinbarungen mwN). Auch wenn solche Vorbehalte grundsätzlich gerade auch dem an der Schwelle zur Öffnung für den Wettbewerb stehenden Schienenverkehr gegolten haben können , so herrschte darüber zwischen den beteiligten Gesetzgebungsorganen doch keineswegs Konsens. Die Gesetzgebungsmaterialien offenbaren diesbezüglich kontroverse Vorstellungen zwischen dem von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und der FDP, den damaligen Regierungsfraktionen, sowie von weiteren Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwurf einerseits und dem Bundesrat andererseits. Nach dem Entwurf für § 13 Abs. 2 AEG (später: § 15 Abs. 2 AEG) sollten die fraglichen Leistungen obligatorisch ausgeschrieben werden. Die verabschiedete Fassung hat zwar den dagegen gerichteten Vorbehalten des Bundesrats (BR-Drucks. 131/93 S. 47) Rechnung getragen. Dies ist jedoch nach dem Wortlaut des Allgemeinen Eisenbahngesetzes nicht in der Weise geschehen, dass es den zuständigen Behörden freigestellt worden ist, solche Leistungen direkt zu vergeben. Vielmehr ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Verpflichtung zur Ausschreibung lediglich zu einer Kann-Regelung abgeschwächt worden. Dies bietet schon mit Blick auf die gleichwohl bestehenden Meinungsverschiedenheiten unter den Organen des Gesetzgebungsverfahrens über die Wettbewerbsöffnung des Schienenverkehrs keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die in § 15 Abs. 2 AEG beschriebenen Leistungen nach dem rund vier Jahre später geschaffenen Vergaberechtsänderungsgesetz nicht in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallen sollten, obwohl sie nicht unter den Ausnahmekatalog von § 100 Abs. 2 GWB gehören und auch die Materialien des Vergaberechtsänderungsgesetzes keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Gesetz- geber des Vergaberechtsänderungsgesetzes in § 15 Abs. 2 AEG eine Spezialregelung gesehen hat, die eine außerhalb dieses Gesetzes formulierte Ausnahme vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen begründen und damit aus der eisenbahnrechtlichen Möglichkeit zur Ausschreibung die Möglichkeit zur Direktvergabe machen sollte.
23
(2) Von DB Regio wird unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungsmaterialien zu § 100 Abs. 2 GWB109 RegE GWB, BT-Drucks. 13/9340 S. 15 rechte Spalte vor "Zu § 110") und im Anschluss an das Privatgutachten eine Lesart des Ausnahmetatbestands vertreten, derzufolge dieser nicht so zu verstehen sein soll, dass außer den dort genannten Ausnahmen keine anderen möglich seien, sondern dass damit lediglich zum Ausdruck gebracht sei, dass alle Ausnahmen aus den umzusetzenden Richtlinien in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen übernommen worden seien, und der Katalog nur insofern abschließend sei, als keine weiteren Ausnahmen in der einschlägigen Richtlinie genannt seien. Dem kann nicht beigetreten werden. Die seinerzeit einschlägige Richtlinie 92/50/EWG (ABl. Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S. 1), deren Umsetzung auch Gegenstand des Vergaberechtsänderungsgesetzes war, bezog sich auch auf die hier interessierenden Dienstleistungen im Bereich "Eisenbahnen". Als im Anhang I B katalogisiert unterfielen diese Leistungen allerdings nur sehr begrenzten Regulierungen (Art. 9 i.V.m. 14 und 16 der Richtlinie ). Zu dieser Differenzierung verhalten sich die Gesetzgebungsmaterialien zum Vergaberechtsänderungsgesetz nicht. Aus dem Schweigen der Materialien zu diesen Regelungszusammenhängen der Richtlinie 92/50/EWG kann nicht pauschal auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, dass diese Leistungen nicht dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterstellt werden sollten. Das gilt umso mehr, als diese Leistungen bereits vor Verabschiedung des Vergaberechtsänderungsgesetzes Gegenstand von Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien gewesen waren. Der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG) vom 26. November 1993 (BGBl. I S. 1928) in das HGrG eingefügte § 57a Abs. 1 HGrG hatte die Bundesregierung ermächtigt , zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften die Vergabe unter anderem von Dienstleistungsaufträgen durch Rechtsverordnung zu regeln. Nach § 1 der auf dieser Rechtsgrundlage erlassenen Vergabeverordnung vom 22. Februar 1994 (BGBl. I S. 321) in der Fassung der ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 29. September 1997 (BGBl. I 2384) hatten die "klassischen" öffentlichen Auftraggeber (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 HGrG, jetzt: § 98 Nr. 1 bis 3 GWB) bei der Vergabe von Dienstleistungen und Erreichen der festgelegten Schwellenwerte die Bestimmungen des Abschnitts 2 der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Mai 1997 (BAnz Nr. 163a vom 2. September 1997) anzuwenden. In Bezug auf die im Anhang I B der VOL/A aufgeführten , den Eisenbahnbereich einschließenden Dienstleistungen war gemäß § 1a VOL/A unter anderem die Ausschreibung nach dem ersten Abschnitt der VOL/A vorgeschrieben. Damit hatte § 1a VOL/A nicht nur haushaltsrechtlichen Charakter, sondern beinhaltete Wettbewerbsrecht, auf das sich die Unternehmen vor der Vergabekammer und den Vergabesenaten berufen konnten (Marx in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Komm. zur VOL/A (2006), 1. Aufl., § 1a Rn. 43). War die Vergabe von Dienstleistungen im Eisenbahnbereich bereits Gegenstand von Umsetzungsmaßnahmen, hätte der Gesetzgeber des Vergaberechtsänderungsgesetzes umso mehr Anlass gehabt, den etwaigen Willen, sie dessen Anwendungsbereich zu entziehen, kundzutun.
24
c) Für einen Vorrang von § 15 Abs. 2 Satz 2 AEG spricht auch nicht, dass der Gesetzgeber Änderungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes nach Inkrafttreten des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht zum Anlass genommen hat, § 15 Abs. 2 AEG zu ändern bzw. aufzuheben (aA Prieß, NZBau 2002, 539, S. 542).
25
Zwar kann es bei der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung durchaus zu berücksichtigen sein, wenn der Gesetzgeber die Änderung anderer Bestimmungen eines Gesetzes nicht zum Anlass nimmt, (auch) eine konkrete weitere Regelung aufzuheben oder zu ändern. Daraus kann indes regelmäßig nicht ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte die Schlussfolgerung gezogen werden , dass der unberührt gebliebenen Norm deshalb nur ein ganz bestimmtes Verständnis beigelegt werden kann. An entsprechenden Anhaltspunkten dafür, dass § 15 Abs. 2 AEG als lex specialis vom Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen bleiben sollte, fehlt es. Die Regelung in § 15 Abs. 2 AEG bedurfte angesichts ihrer die Ausschreibung ausdrücklich ermöglichenden Formulierung und nach dem Grundsatz, dass das ältere Gesetz von einer jüngeren Norm gleichen Rangs verdrängt wird, nicht der förmlichen Aufhebung. Zudem deutet der Erlass von § 4 Abs. 3 VgV durch die Erste Verordnung zur Veränderung der Vergabeverordnung vom 7. November 2002 (BGBl. I S. 4338) umgekehrt darauf hin, dass mit der Bundesregierung und dem Bundesrat zwei Gesetzgebungsorgane vom generellen Vorrang des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgegangen sind und die daraus resultierenden, von einer Vergabekammer ausgesprochenen Konsequenzen (VK Magdeburg, ZfBR 2002, 706 ff.) zum Anlass für eine modifizierende Regelung genommen haben (vgl. dazu BR-Drucks. 727/02).
26
d) Verträge über die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im SPNV sind nicht aufgrund einer durch die Verordnung (EG) 1191/69 vom 26. Juni 1969 (ABl. L 156 vom 28. Juni 1969, S. 1, geändert unter ande- rem durch die Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991, ABl. Nr. L 169 vom 29. Juni 1991, S. 1) begründeten Sonderrechtsordnung der Geltung der Vergaberichtlinien entzogen. Dem im Privatgutachten vertretenen Verständnis dazu, wie sich diese Regelungsmaterie zum gemeinschaftsrechtlichen Vergaberecht verhält, kann nicht nähergetreten werden. In jener Verordnung ging es um den Schutz der Eisenbahnunternehmen vor unkompensierten finanziellen Lasten und auch um den Abbau von Wettbewerbsverfälschungen (vgl. Fehling in: Kaufmann/Lübbig/Prieß/Pünder, Komm. zur VO (EG) 1370/2007 Einl. Rn. 18). Es sollten die Unterschiede beseitigt werden, die sich dadurch ergaben, dass die Mitgliedstaaten den Verkehrsunternehmen mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen auferlegen; diese Unterschiede führten zu einer erheblichen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen (Erwägungsgrund 1). Dazu sollten im Grundsatz die den Verkehrsunternehmen auferlegten, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf Antrag aufgehoben werden können (Art. 1 Abs. 3 VO 1191/69). Jedoch sollten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, um insbesondere unter Berücksichtigung sozialer, umweltpolitischer und landesplanerischer Faktoren eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen, mit einem Verkehrsunternehmen Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes abschließen können. Von einem durch die Verordnung begründeten, die Anwendung des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf den Eisenbahnbereich ausschließenden Sonderrecht könnte nur ausgegangen werden, wenn der Abschluss von entsprechenden Verträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Eisenbahnverkehrsunternehmen im Wege förmlicher Vergabeverfahren sich schlechthin nicht in Einklang mit den Zielen der Verordnung bringen ließe. Davon kann keine Rede sein. Verträge über Dienstleistungen im Eisenbahnbereich konnten, ohne dass die Regelungsziele der Verordnung dadurch untergraben wurden, nicht allein im Wege von - wie es im Privatgutachten heißt - "formloskonsensualen Vertragsverhandlungen" verwirklicht werden. Das durch die Verordnung geschaffene Recht schloss eine vergaberechtlich geprägte Sicherstellung der Verkehrsbedienung nicht aus. Das ergibt sich auch daraus, dass die die Verordnung 1191/69 ersetzende Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (VO (EG) 1370/2007 (im Folgenden: VO 1370/2007)) ausweislich ihres 6. Erwägungsgrundes und Art. 5 Abs. 6 selbst davon ausgeht, dass vor ihrem Inkrafttreten, also unter Geltung der VO 1191/69, nationale Regelungen zur Vergabe von Eisenbahndienstleistungen existierten (und weiter Bestand haben können). Auch deshalb war es einem nationalen Gesetzgeber nicht verwehrt, den Eisenbahnbereich in die nationalen vergaberechtlichen Regelungen einzubeziehen. Die von DB Regio vertretene Ansicht, Art. 5 Abs. 6 VO 1370/2007 gelte nur für diesbezüglich neu geschaffenes nationales Recht, entbehrt der nachvollziehbaren Herleitung.
27
2. Der Nachprüfungsantrag ist nicht deshalb unzulässig, weil der über den Dezember 2018 hinausgehende S-Bahn-Betrieb DB Regio durch eine - vom Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommene - Dienstleistungskonzession übertragen worden wäre. Die Vertragsleistungen sind vielmehr als gewöhnliche entgeltliche Dienstleistungen i.S.v. § 99 Abs. 2 bis 4 GWB Gegenstand des Änderungsvertrages.
28
a) Das Oberlandesgericht Düsseldorf und die Verfahrensbeteiligten gehen zu Recht davon aus, dass auf den Streitfall das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der seit dem 24. April 2009 geltenden Fassung anzuwenden ist. Nach der Übergangsbestimmung in § 131 Abs. 8 GWB (in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009, BGBl. I S. 790) sind Vergabeverfahren, die vor dem 24. April 2009 begonnen haben, nach den bisher hierfür geltenden Vorschriften zu beenden. Für ein vor dem maßgeblichen Stichtag begonnenes Vergabeverfahren ist hier nichts ersichtlich. Zwar hatten der VRR und DB Regio schon geraume Zeit zuvor mit Vergleichsverhandlungen zur Beilegung ihrer Streitigkeiten aus dem Verkehrsvertrag begonnen. Solche einseitigen Verhandlungen eines öffentlichen Auftraggebers mit dem bisherigen Vertragspartner stellen jedoch kein Vergabeverfahren im Sinne der genannten Übergangsvorschrift dar. Davon kann nur die Rede sein, wenn der Auftraggeber ein konzeptionell auf die wettbewerbliche Auswahl eines Vertragspartners ausgerichtetes Verfahren in die Wege leitet. Daran fehlt es hier vor dem Stichtag. Als ein mögliches Ereignis, das als Publizitätsakt den Anforderungen der Übergangsvorschrift in § 131 Abs. 8 GWB in entsprechender Anwendung eventuell genügen könnte, kommt allenfalls die Bekanntgabe der Absicht des VRR im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 21./25. Juli 2009 in Betracht, mit DB Regio einen Vergleichsvertrag abzuschließen. Dieser Zeitpunkt liegt nach dem maßgeblichen Stichtag.
29
b) Soweit dem Beschluss des Senats vom 1. Dezember 2008 (BGHZ 179, 84 Rn. 20 - Rettungsdienstleistungen) Zweifel daran entnommen werden können, dass Dienstleistungskonzessionen vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen waren, bezog sich diese Entscheidung auf die bis zum 23. April 2009 geltende Fassung des Gesetzes. Jedenfalls seither ist das Gesetz nicht auf Dienstleistungskonzessionen anzuwenden. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit daraus, dass das Gesetz Baukonzessionen nunmehr ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezieht (§ 99 Abs. 6 GWB) und ergänzend in den Gesetzgebungsmaterialien durch positive Erklärung klargestellt worden ist, dass das Gesetz nicht auf Dienstleistungskonzessionen anzuwenden sein soll (vgl. BT-Drucks. 16/10117 S. 17). Wird in Gesetzgebungsmaterialien positiv zum Ausdruck gebracht, dass das geplante Gesetz auf einen bestimmten Gegenstand nicht anzuwenden sein soll, ist dem bei der Auslegung ein anderes Gewicht beizumessen, als im entgegengesetzten Fall, in dem trotz generellen Schweigens der Materialien zum Problempunkt und einer umfassenden Ausnahmeregelung auf die Weitergeltung älteren entgegenstehenden Rechts geschlossen werden soll, wie hier in Bezug auf Dienstleistungen im SPNV geltend gemacht wird (oben C II 1 cc).
30
c) Das deutsche Recht definiert den Begriff der Baukonzession (§ 99 Abs. 6 GWB), nicht aber den der Dienstleistungskonzession. In den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/17/EG und 2004/18/EG sind Dienstleistungskonzessionen übereinstimmend als Verträge definiert, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zu ihrer Nutzung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.
31
In Anlehnung an den Begriff der Baukonzession in § 99 Abs. 6 GWB und die gemeinschaftsrechtliche Definition der Dienstleistungskonzession, die der Gesetzgeber bei seiner Entschließung, solche Konzessionen vom Anwendungsbereich des Gesetzes auszunehmen, vor Augen gehabt hat (BT-Drucks. 16/10117 S. 17 rechte Sp.), sind unter Dienstleistungskonzessionen vertragliche Konstruktionen zu verstehen, die sich von einem Dienstleistungsauftrag nur dadurch unterscheiden, dass der Konzessionär das zeitweilige Recht zur Nutzung der ihm übertragenen Dienstleistung enthält und gegebenenfalls die zusätzliche Zahlung eines Preises vorgesehen ist. Der Begriff der Zuzahlung eines Preises ist unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten weit zu verstehen; es kommt lediglich darauf an, dass der Konzessionär zusätzlich zum Verwertungs- recht geldwerte Zuwendungen erhält (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005 - X ZB 27/05, BGHZ 162, 116 ff.).
32
d) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Dienstleistungskonzession charakteristisch, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung in der Weise den Risiken des Marktes ausgesetzt ist, dass er das damit einhergehende Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt (EuGH, VergabeR 2007, 604 Rn. 34 mwN; VergabeR 2010, 48 Rn. 77 - WAZV Gotha).
33
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Abgrenzung von Dienstleistungskonzessionen und öffentlichen Dienstaufträgen ist für die nationalen Gesetzgeber und Gerichte in dem Maße verbindlich, als dadurch positiv die materielle Reichweite der Richtlinien 2004/17/EG bzw. 2004/18/EG konkretisiert wird. Verträge dürfen nicht entgegen dieser Rechtsprechung als Dienstleistungskonzessionen eingeordnet und dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entzogen werden, wenn der Konzessionär das Betriebsrisiko nur zu einem unwesentlichen Teil im Sinne dieser Rechtsprechung übernimmt. Das ergibt sich aus den den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV obliegenden Verpflichtungen.
34
Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Beantwortung dieser Frage ist folgerichtig in die Hände des nationalen Richters gelegt (EuGH, VergabeR 2010, 48 Rn. 78 - WAZV Gotha).
35
e) Bei der hierfür erforderlichen Gesamtbetrachtung aller Umstände sind insbesondere die in Bezug auf den Vertragsgegenstand herrschenden Marktbedingungen und die vertraglichen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen , die beide ganz unterschiedlich gestaltet sein können. So kann die Dienstleistung sich, wie in dem vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Fall des Wasser- und Abwasserzweckverbands Gotha beispielsweise auf einen Markt beziehen, bei dem einerseits das Risiko des Konzessionärs infolge der dafür bestehenden öffentlichrechtlichen Bestimmungen (Anschluss - und Benutzungszwang) von vornherein herabgesetzt erscheint, der Konzessionär aber andererseits sein Auskommen allein in den ihm seitens der Abnehmer zufließenden Einnahmen finden muss, weil eine Zuzahlung seitens des Konzessionsgebers nicht vorgesehen ist. Da marktregulierende rechtliche Rahmenbedingungen wie etwa ein Anschluss- und Benutzungszwang nach der auch vom Senat befürworteten Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Risikofrage außer Betracht zu bleiben haben, wird in Fällen, in denen keinerlei Zuzahlung erfolgt, regelmäßig eine Dienstleistungskonzession anzunehmen sein, weil jeder Bewerber das Risiko der Auskömmlichkeit der möglichen Einnahmen übernimmt.
36
Soll, wie auch im Streitfall, neben dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung zusätzlich ein Preis gezahlt werden, kann demgegenüber, da die Zahlung eines Preises charakteristisch für einen - der Pflicht zur Ausschreibung unterliegenden - öffentlichen Dienstleistungsauftrag ist, je nach den Umständen des Einzelfalls zweifelhaft sein, ob der jeweilige Vertrag trotz dieser Zuzahlung als Dienstleistungskonzession einzuordnen und nicht als öffentlicher Dienstleistungsauftrag zu bewerten ist.
37
f) Ist eine Zuzahlung vorgesehen, kann der Vertrag jedenfalls dann nicht als Dienstleistungskonzession vom Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen werden, wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, sondern sich darin zeigt, dass die aus der Erbringung der Dienstleistung möglichen Einkünfte allein ein Entgelt darstellen würden , das weitab von einer äquivalenten Gegenleistung läge.
38
aa) Stehen die beiden Vergütungselemente in einem solchen Verhältnis zueinander, liegt kein Vertrag vor, bei dem die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen in dem Recht zu ihrer Nutzung zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht, sondern gleichsam umgekehrt ein Vertrag, bei dem eine Zahlung zuzüglich der Einräumung eines Nutzungsrechts erfolgt, was als Dienstleistungsauftrag zu behandeln ist. Zugleich wird die Übernahme der Dienstleistung bei einem solchen Verhältnis von auftraggeberseitigen Zahlungen auf der einen und den Verwertungsmöglichkeiten auf der anderen Seite regelmäßig auch indizieren, dass die Interessen des Vertragspartners des öffentlichen Auftraggebers durch die Zahlungen in einem Maße gesichert sind, dass mit der Übernahme der Dienstleistung für ihn kein wesentliches Vertragsrisiko im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einhergeht. Ein betriebswirtschaftlichen Grundsätzen verpflichtetes Unternehmen wird in einem von Beihilfen und Zuschüssen geprägten Geschäftsverkehr, in dem folglich die regulären Einnahmen aus dem Nutzungsrecht Auskömmlichkeit bei weitem nicht erwarten lassen, Verpflichtungen nur übernehmen, wenn die Auskömmlichkeit durch derlei Förderungsmaßnahmen gesichert erscheint.
39
bb) Dieses Verständnis wird bereits durch die Auslegung des nationalen Rechts nahegelegt. Die Präposition "zuzüglich" impliziert einen Zusatz oder Annex , also eine Leistung bzw. Verpflichtung, die zu einer (Haupt-)Leistung hinzukommt und diese ergänzt und die dementsprechend auch quantitativ die im Verhältnis zur Hauptleistung geringere ist. Unterstützt wird dieses Verständnis durch die Verwendung des Adverbs "gegebenenfalls" in § 99 Abs. 6 GWB, das unterstreicht, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung im Rahmen einer Dienstleistungskonzession an sich in der Verwertung der Dienstleistung besteht und nur dann, wenn dies unter Äquivalenzgesichtspunkten erforderlich ist, ausnahmsweise eine Zuzahlung seitens des öffentlichen Auftraggebers erfolgen kann, die aber schon deshalb nicht zu hoch ausfallen darf, weil ansonsten der Bereich zum entgeltlichen Dienstleistungsauftrag überschritten wird.
40
g) Wann eine Zuzahlung im vorgenannten Sinne im Vordergrund steht und überwiegt, lässt sich wegen der Unterschiedlichkeit der möglichen Fallgestaltungen ebenso wenig einheitlich durch eine rechnerische Quote festlegen, wie sich auch sonst eine schematische Lösung verbietet. Es bedarf auch insoweit stets einer alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Gesamtschau. Dazu kann insbesondere gehören, ob der Konzessionär bei Nutzung der Dienstleistung monopolistisch oder sonst aus einer überlegenen Position heraus am Markt agieren kann bzw. inwieweit er dem Risiko ausgesetzt ist, seine Leistung im Wettbewerb mit Konkurrenten absetzen zu müssen. Ist Letzteres der Fall, kann es im Einzelfall unbedenklich sein, wenn der Auftraggeber die gleichwohl bestehende Bereitschaft zur Übernahme der Dienstleistung mit einer Zuzahlung prämiert, die vergleichsweise höher ausfällt, als sie unter monopolistisch geprägten Marktstrukturen angemessen wäre. Dagegen kann es für eine Einordnung als Dienstleistungsauftrag sprechen, wenn Dienstleistungen in ei- nem von öffentlichen Zuschüssen bzw. staatlichen Beihilfen geprägten geschäftlichen Verkehr erbracht werden sollen und diese einen wesentlichen Teil der Gegenleistung ausmachen. Dies kann ein gewichtiges Indiz dafür sein, dass das beauftragte Privatunternehmen so weit abgesichert ist, dass ein eigenes wesentliches Risiko im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht anzunehmen ist.
41
h) Im Streitfall liegt danach keine Dienstleistungskonzession vor.
42
aa) DB Regio erhält nicht allein das Recht, die Dienstleistung zu verwerten , sondern Zuwendungen pro gefahrenem Zugkilometer, die zugestandenermaßen und ohne dass A. R. dies substanziell hätte überprüfen können, weil DB Regio die Höhe dieser aus öffentlichen Mitteln stammenden Pauschale und weitere betriebswirtschaftliche Daten als Geschäftsgeheimnisse deklariert hat, circa 64 % der bei Vertragsdurchführung anfallenden Gesamtkosten abdecken. Damit überwiegt die Zuzahlung seitens des VRR im Verhältnis zu den durch die Nutzung der Dienstleistung von DB Regio erzielten Einnahmen von vornherein ganz erheblich.
43
bb) Hinzu kommt, dass DB Regio bei Verwertung der Dienstleistung keinem direkten Wettbewerb ausgesetzt ist, weil nicht vorgesehen ist, dass auch ein anderes Unternehmen gleichzeitig S-Bahn-Dienstleistungen im Vertragsgebiet anbietet. Aus welchen Gründen, wie DB Regio anführt, zusätzlich eine nennenswerte Verschiebung zu Gunsten anderer Verkehrsmittel im Linienverkehr zu besorgen sein könnte, als sie den Kalkulationen des Verkehrsvertrages und des Änderungsvertrages ohnehin zugrunde liegt, ist weder substanziiert vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr verbleibt den Fahrgästen als Handlungsalternative im Wesentlichen nur, auf den Individualverkehr auszuweichen. Damit erscheint das Risiko der Abwanderung von Fahrgästen in einer erheblichen Größenordnung - und damit zugleich auch das Vertragsrisiko von DB Regio - von vornherein als gering.
44
cc) Soweit DB Regio mit einer jährlichen Fahrpreis- und Einnahmenerhöhung von 2,75 % kalkuliert, ergeben sich daraus keine zureichenden Anhaltspunkte für unzulängliche Einnahmeentwicklungen. Gegen ein erhebliches Marktrisiko spricht dabei, dass DB Regio sich im Gegenzug zu einer eigenen "Zuzahlung" in Gestalt einer weiteren - gewinnmindernden - Investitionszusage über bis zu 215 Mio. € für S-Bahn-Züge verpflichtet und in das "Kick-BackModell" nach Maßgabe von Anlage 39.2.3 zum Änderungsvertrag eingewilligt hat, durch das der VRR an die dort zugrunde gelegten Referenzwerte übersteigenden Einnahmen hälftig beteiligt wird.
45
dd) Die weiteren von DB Regio als risikoerhöhend angeführten Faktoren (insbesondere Beschwerdebegründung S. 49 ff.) rechtfertigen nicht die Annahme realistischer Vertragsrisiken in einer Größenordnung, die die Einordnung als Dienstleistungsauftrag auch nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union infrage stellen könnte.
46
Ob bestimmte ungewisse Umstände geeignet sein können, Zweifel am Charakter einer Vereinbarung als Dienstleistungsauftrag aufkommen lassen können, kann nur durch eine Bewertung dieser Umstände geklärt werden, welche die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts berücksichtigt. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei einigen angeführten Gesichtspunkten gering (Risiko von erheblichen und nachhaltigen Fahrgeldmindereinnahmen infolge von Attentaten wie in der Moskauer U-Bahn vom 28. März 2010, von Epidemien bzw. Pandemien oder von Stürmen). Ebenfalls wenig überzeugend erscheint die Hochrechnung der Verluste aus einer verschobenen Fahrpreiserhöhung von August 2010 auf Januar 2011 über die gesamte Laufzeit unter der Prämisse, dass diese nicht durch spätere überproportionale Erhöhungen aufgefangen werden können. DB Regio stellt nämlich gleichzeitig Modellrechnungen an, die von einer Steigerung von 4 % im Jahre 2012 ausgehen. Hinzu kommt, dass die Kick-Back-Regelung in Anlage 39.2.3 des Änderungsvertrages für den VRR nachhaltig Anreiz zu Fahrpreiserhöhungen in einer Höhe bieten kann, bei der der Verbund an den daraus resultierenden Einnahmesteigerungen teilhat. Mit Nachfrageeinbrüchen von 5 % im Jahr 2014 zu rechnen erscheint nicht nur spekulativ, sondern auch deshalb unerheblich, weil dies nicht repräsentativ für das Risiko von Einnahmenminderungen über die gesamte Laufzeit ist.
47
3. Der Änderungsvertrag konnte auch nicht deshalb ohne Weiteres geschlossen werden, weil mit seinem Abschluss der zwischen den Vertragsparteien herrschende Streit über die Durchführung des Verkehrsvertrages beigelegt werden sollte. Das Anliegen, im Wege beiderseitigen Nachgebens den Streit über die Abwicklung dieses Vertrages auszuräumen, berechtigt den öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich nicht zur vergaberechtsfreien Disposition über Dienstleistungen, die jenseits der Laufzeit des abgeschlossenen Vertrages zu erbringen sind, auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der Vergleichsvertrag nur mit dem bisherigen Leistungserbringer geschlossen werden kann. Ob eine Ausnahme davon zuzulassen ist, wenn es sich dabei um einen unbedeutenden Nachtrag handelt, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. EuGH, VergabeR 2008, 758 - pressetext Nachrichtenagentur; VergabeR 2010, 643, insbesondere Rn. 36 Satz 1 - Wall AG). Die zum Gegenstand des Änderungsvertrags gemachte Verlängerung des S-Bahn-Betriebs im Verkehrsverbund über fünf Jahre kann nach Volumen und Wert dieser Leistungen nicht als unbedeutender Nachtrag angesehen werden.
48
Im Übrigen kann auch die Bereitschaft von DB Regio zu nicht unerheblichen Investitionen, die dem Leistungsangebot im Verkehrsverbund zugute kommen sollen, aus Rechtsgründen nicht von der Anwendung der Regeln des nationalen Vergaberechts entbinden. Diese Bereitschaft kann nach dem gesetzlichen Regelungsrahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht außerhalb von wettbewerblichen Verfahren geregelt werden, indem der Zeitraum für die Leistungserbringung so verlängert wird, wie dies für eine hinreichende Amortisation der nachträglichen Investitionen erforderlich erscheint. Deshalb kann DB Regio als bisherige Leistungserbringerin auch nicht als ein nach § 3 Abs. 5 lit. l VOL/A (2009) zu privilegierendes Unternehmen behandelt und die Notwendigkeit einer Ausschreibung aus diesem Grunde verneint werden. Ebenso wenig können Bedürfnisse der Praxis nach einem fakultativen Einsatz einer Auftragsvergabe im Wettbewerb, auf die sich insbesondere DB Regio beruft, eine Abweichung von dem vom nationalen Vergaberecht vorgesehenen Rechtsrahmen rechtfertigen.
49
4. A. R. kann das für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags erforderliche Interesse am Auftrag (§ 107 Abs. 2 GWB) nicht abgesprochen werden, auch wenn sich dieses Interesse auf den Betrieb der S-Bahn-Linie 5, gegebenenfalls in Verbindung mit dem der Linie 8, beschränkt.
50
a) Für die Antragsbefugnis von A. R. kommt es nicht darauf an, dass der VRR im Änderungsvertrag DB Regio das gesamte S-Bahn-Linienbündel des Verkehrsverbundes en bloc außerhalb eines geordneten Vergabeverfahrens übertragen hat und A. R. dieses insgesamt nicht bedienen kann und will. Entscheidend ist vielmehr, ob der VRR ohne Verstoß gegen Vergaberecht so verfahren dürfte. Ein ihre Antragsbefugnis ausschließendes Interesse am Auftrag könnte A. R. allenfalls abgesprochen werden, wenn der VRR für den Fall der Vergabe der Leistungen im Wettbewerb unter keinen Umständen verpflichtet sein könnte, die Leistungen losweise so zu vergeben, dass sich A. R. um ein Teillos bewerben könnte. Dass der VRR berechtigt sein könnte, von einer losweisen Vergabe gänzlich Abstand zu nehmen, ist jedoch nicht anzunehmen, insbesondere rechtfertigen dies der Vergleichscharakter des Änderungsvertrages und der Wunsch, zusätzliche Fahrzeuge anzuschaffen und entsprechende Amortisationsmöglichkeiten durch Verlängerung der Vertragslaufzeit zu schaffen , nicht (oben C II 3).
51
Das vorlegende Oberlandesgericht meint, die Vergabe des gesamten S-Bahn-Netzes ohne Losaufteilung verstoße gegen § 97 Abs. 1, Abs. 3 GWB und § 5 VOL/A (aF). Sachlich gegen diese Auffassung sprechende Gesichtspunkte sind nicht ersichtlich. Auf ein Vergabeverfahren werden aus gegenwärtiger Sicht die Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 2009 (VOL/A 2009) anzuwenden sein (§ 4 Abs. 4 VgV). In dieser Fassung ist nur noch bestimmt, dass Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben sind und darauf nur aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen verzichtet werden kann (§ 2 Abs. 2; § 2 Abs. 2 VOL/A-EG). Der in § 5 Nr. 1 VOL/A aF enthaltene funktionale Hinweis auf die mit der Losvergabe bezweckte Ermöglichung der Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen ist entfallen. Soweit in § 2 Abs. 2 VOL/A-EG vorangestellt ist, mittelständische Interessen seien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen, soll damit lediglich betont werden, dass der Mittelstand gerade auch bei den gemeinschaftsweiten Vergaben über eine Losvergabe vornehmlich berücksichtigen werden soll (vgl. Kus/Marx in: Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, Komm. zur VOL/A, 2. Aufl., § 3 Rn. 62 f.). Daraus folgt jedenfalls nicht, dass sich nur mittelständische Unternehmen - wie auch immer dieser Be- griff vergaberechtlich in diesem Zusammenhang zu verstehen sein mag - auf eine Losvergabe berufen können. Es bedarf vor diesem Hintergrund keiner vertieften Erörterung, ob die Regelung in § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB, wonach "mittelständische Interessen" bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen sind, speziell auf kleine und mittlere Unternehmen zu beziehen ist und unter welchen Gesichtspunkten insoweit eine Abgrenzung von anderen Unternehmen vorzunehmen ist. Wie das vorlegende Oberlandesgericht zutreffend und unter Hinweis auf die Materialien zu § 4 Abs. 3 VgV (BR-Drucks. 727/02), das Sondergutachten 55 der Monopolkommission und das Schrifttum ausführt, kann Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr nur im Wege der Bildung von Losen gefördert werden (vgl. zur Auslegung von § 97 Abs. 3 GWB speziell unter ökonomischen Gesichtspunkten Kirchner, VergabeR 2010, 725, 730 f.).
52
b) Zweifel an der Antragsbefugnis von A. R. unter dem Gesichtspunkt des Interesses am Auftrag (§ 107 Abs. 2 GWB) ergeben sich auch nicht daraus, dass das Unternehmen anfangs nur Interesse an der Bedienung der Linie S 5 bekundet hat. Der VRR hat dazu dargelegt, dass eine isolierte Vergabe dieser Linie als Teillos aus betriebstechnischen Gründen nicht in Betracht komme. Die Linie S 5 verkehrt im S-Bahn-System Rhein-Ruhr zwischen Dortmund und Hagen. Zwischen Dortmund und Witten besteht ein 30-Minuten-Takt. Eine Fahrt pro Stunde wird weiter nach Hagen geführt. Dieses Fahrzeug fährt von dort weiter auf der Linie S 8 Richtung Düsseldorf/Mönchengladbach; Gleiches gilt für die Gegenrichtung. Durch diese so genannte Durchbindung der Linien S 5 und S 8 wird die Linie S 5 in das gesamte S-Bahn-System Rhein-Ruhr integriert. Mit diesen Erläuterungen konfrontiert, hat A. R. erklärt, sich auch um ein ein Linienbündel betreffendes Teillos bewerben zu wollen. Damit ist das Interesse am Auftrag hinreichend dargetan. Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, können A. R. weitergehende Darlegungen zu ihrer Leistungsfähigkeit in Bezug auf denkbare Teillose nicht abverlangt werden, bevor der VRR nicht selbst ein Konzept zur Vergabe des S-Bahn-Betriebs für den Zeitraum nach Auslaufen des Verkehrsvertrages entwickelt und publik gemacht hat.
53
5. Entgegen der Auffassung von DB Regio kann A. R. das Interesse an einer Sachentscheidung auch nicht mit Blick darauf abgesprochen werden, dass inzwischen die VO 1370/2007 in Kraft getreten ist und den zuständigen Behörden gestattet, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr, worunter der hier interessierende S-Bahn-Betrieb fällt, unter bestimmten Voraussetzungen direkt zu vergeben (Art. 5 Abs. 6 VO 1370/2007). Die Verordnung lässt nämlich einer Direktvergabe entgegenstehendes nationales Recht unberührt.
54
Wie bereits ausgeführt, steht das deutsche Recht der Direktvergabe insoweit entgegen, als die Vergabe der hier interessierenden Leistungen in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fällt. Ob die Übertragung ihrer Erbringung durch den Änderungsvertrag rechtsbeständig ist, ist keine Frage der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags , sondern der Begründetheit.
55
6. Der Nachprüfungsantrag ist nicht infolge der Übergangsregelung in Art. 8 Abs. 3 VO 1370/2007 unzulässig. Nach dieser Regelung können bestimmte vor dem 3. Dezember 2019 vergebene Aufträge für ihre vorgesehene Laufzeit gültig bleiben. Diese Regelung berührt nicht die Frage, ob eine geschlossene Vereinbarung in Anwendung des nationalen Rechts gar keine Gültigkeit erlangt hat und die Unwirksamkeit nach nationalem Recht geltend gemacht werden kann.
56
III. Die Vergabekammer hat den Änderungsvertrag zu Recht für unwirksam erklärt (§ 101b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB).
57
1. Der S-Bahn-Betrieb konnte DB Regio im Umfang des Änderungsvertrages nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV wirksam übertragen werden.
58
a) Nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV ist bei Verträgen, welche die Übertragung von mehr als einer einzelnen Linie bei einer Laufzeit von bis zu drei Jahren vorsehen , eine freihändige Vergabe ohne sonstige Voraussetzungen im Rahmen von § 15 Abs. 2 AEG zulässig, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird, wobei die Laufzeit des Vertrages zwölf Jahre nicht überschreiten soll.
59
b) § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV ist dahin auszulegen, dass Leistungen, die einmal zum Gegenstand einer freihändigen Vergabe über eine Laufzeit von zwölf Jahren gemacht worden sind, grundsätzlich nicht abermals durch eine entsprechende Vereinbarung in dieser Weise vergeben werden können. Bereits die Vergabe einer einzelnen Linie ist nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 VgV nur einmalig und selbst dann nur für nicht länger als drei Jahre zulässig. In Anbetracht dieser Regelung kann nicht angenommen werden, dass § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV ermöglichen will, Aufträge für den Betrieb einer Linie über mehr als drei Jahre oder für mehrere Linien über mehr als 12 Jahre durch Kettenverträge im Wege freihändiger Vergabe zu erteilen. Dies gilt umso mehr, als die Laufzeit einer entsprechenden Vereinbarung konsequenterweise erneut zwölf Jahre müsste betragen können. Dadurch würde der betreffende Dienstleistungsverkehr auf unannehmbar lange Zeit dem Wettbewerb vorenthalten. Einem solchen Normverständnis stünde unter diesem Gesichtspunkt ferner entgegen, dass § 4 Abs. 3 VgV gemäß Art. 2 der Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 7. November 2002 am 31. Dezember 2014 außer Kraft tritt. Diese zeitliche Befristung der Regelung durch den Verordnungsgeber spricht ebenfalls dafür, dass mehrere aufeinander folgende Vereinbarungen nicht möglich sein sollen.
60
c) Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Vorschrift es erlaubt hätte, im Rahmen einer zwischen dem VRR und DB Regio zur Beilegung der entstandenen Streitigkeiten getroffenen Vereinbarungen die Regelungen des Verkehrsvertrags sachgerecht zu modifizieren und dabei gegebenenfalls auch die Gesamtlaufzeit von zwölf Jahren in gewissem Umfang zu überschreiten, wie DB Regio unter Hinweis auf die Regelung in Art. 4 Abs. 3 und 4 VO 1370/2007 meint. Denn jedenfalls durfte eine solche vergleichsweise Änderung nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV nicht in der Weise erfolgen, wie dies im Änderungsvertrag geschehen ist,
61
Um den Tatbestandsmerkmalen der Norm wenigstens sinngemäß zu genügen , wäre erforderlich gewesen, auch bei einer Verlängerung der Laufzeit dem Grundgedanken der Vorschrift zu entsprechen, dass die freihändige Vergabe voraussetzt, dass ein wesentlicher Teil der vorgesehenen Leistungen während der Vertragslaufzeit in den Wettbewerb gegeben wird. Eine substanzielle Verlängerung der Laufzeit ist jedenfalls dann nicht zulässig, wenn nicht gleichzeitig auch die wettbewerbsfördernde Komponente des Vertrages verstärkt wird. An einer solchen Verstärkung fehlt es. Soweit es die Leistungen im Regionalbahn- und -expressverkehr betrifft, verbleibt es im Wesentlichen bei den bereits im Verkehrsvertrag getroffenen Regelungen (vgl. Anlage 16 zur Beschwerdebegründung von DB Regio und hierzu Beschwerdebegründung von DB Regio S. 17). Es werden nur im Interesse der Kompatibilität mit den Anschlussleistungen in angrenzenden Verkehrsräumen die Fahrpläne angepasst, was nicht ausreicht, um den Anforderungen von § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV zu genü- gen. Auch die S-Bahn-Leistungen laufen nicht während des Verlängerungszeitraums teilweise aus, sondern sollen nach dem Vertrag bis 2023 in vollem Umfang von DB Regio erbracht werden. Unter diesen Umständen steht jedenfalls eine Verlängerung der Laufzeit des Verkehrsvertrags um fünf Jahre mit § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV nicht in Einklang.
62
2. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag nach allem zu Recht für begründet erachtet, soweit A. R. die Feststellung der Unwirksamkeit des Änderungsvertrags insgesamt begehrt hat. Nach dem auf den Vertrag anwendbaren § 101b GWB (siehe oben C II 2 b) kann im Nachprüfungsverfahren die anfängliche Unwirksamkeit eines Vertrags festgestellt werden, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Wie ausgeführt, liegen diese Voraussetzungen vor. Der für die Feststellung der Unwirksamkeit nach § 101b Abs. 2 GWB vorgegebene zeitliche Rahmen ist gewahrt; A. R. hat den Nachprüfungsantrag vor Ablauf von 30 Kalendertagen nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union gestellt. Dass sie vornehmlich allein am Betrieb der Linie S 5 interessiert ist, ist für die Rechtsfolge der Unwirksamkeit entgegen der Auffassung von DB Regio (Beschwerdebegründung S. 22 ff.) unerheblich (vgl. oben C II 4).
63
3. DB Regio rügt, dass die Vergabekammer die Gesamtnichtigkeit des Vertrags gemäß dem Hilfsantrag von A. R. ausgesprochen und die Unwirksamkeit des Vertrags nicht gemäß deren Hauptantrag isoliert auf den Leistungsteil der Linie S 5 beschränkt hat.
64
Diese Rüge ist als das hilfsweise Begehren zu verstehen, dem Nachprüfungsantrag nach dem Hauptantrag von A. R. stattzugeben. Dem ist kein Erfolg beschieden. Dafür bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, inwieweit die Rechtsfolge der Unwirksamkeit gemäß § 101b GWB generell auf Teile des geschlossenen Vertrags beschränkt werden kann. Im Streitfall wäre dies - in entsprechender Anwendung der aus § 139 BGB ersichtlichen Grundsätze - allenfalls vorstellbar, wenn angenommen werden könnte, dass der VRR und DB Regio den Änderungsvertrag auch unter Ausklammerung des Betriebs der Linie S 5 geschlossen hätten. Diese Annahme ist indes nicht gerechtfertigt. Der VRR macht noch in der sofortigen Beschwerde und insoweit in Widerspruch zu dem hilfsweisen Begehren von DB Regio geltend, sowohl aus wirtschaftlichen als auch technischen Gründen hätte von einer Ausschreibung der Linie S 5 als Teillos abgesehen werden können, weil der isolie rte Betrieb nicht praktikabel sei (vgl. oben C II 4 b). In Anbetracht dieses Vorbringens kann nicht entsprechend § 139 BGB davon ausgegangen werden, dass der VRR und DB Regio den Änderungsvertrag unter Ausgliederung allein der Linie S 5 geschlossen hätten.

D.


65
I. Die sofortige Beschwerde von A. R. ist zulässig. Dem Antragsteller im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren steht das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, wenn seinen Anträgen nicht voll entsprochen worden und er dementsprechend formell beschwert ist (vgl. Kuhlig in: Vergaberecht Kompaktkommentar , 12. Los, § 116 Rn. 29). Diese Voraussetzung ist erfüllt, nachdem die Vergabekammer den im tatbestandlichen Teil dieser Beschlussgründe unter Nummer 3 mitgeteilten Antrag von A. R. abschlägig beschieden hat.
66
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
67
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für dieses Begehren kann A. R. nicht abgesprochen werden. Es ist zwar richtig, dass die von A. R. in erster Linie begehrte Unwirksamkeitserklärung des Änderungsvertrages faktisch darauf hinausläuft , dass ein förmliches Vergabeverfahren zu erfolgen hat. Das Rechtsschutzbedürfnis dafür, dass die Verpflichtung zur Ausschreibung ausgesprochen wird, ergibt sich für den Antragsteller im Nachprüfungsverfahren indes bereits aus dem vorangegangenen Verstoß des Auftraggebers gegen diese Verpflichtung.
68
2. Der zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemachte Antrag weicht sprachlich von dem vor der Vergabekammer gestellten insoweit ab, als er nicht mehr auf das Beschaffungsvorhaben für die Linie S 5 bezogen ist. Indes war schon der Antrag in der vor der Vergabekammer gestellten Fassung nicht so zu verstehen, dass der VRR verpflichtet werden sollte, die Linie S 5 isoliert auszuschreiben. A. R. hat mehrfach erklärt, einen Anspruch auf Ausschreibung eines auf die Linie S 5 beschränkten Einzelloses nicht erheben, sondern sich auch auf die Übernahme des Betriebs der kombinierten Linien S 5 und S 8 bewerben zu wollen, nachdem der VRR die gegen einen alleinigen Betrieb der Linie S 5 sprechenden betriebstechnischen Gründe dargelegt hat. Für einen ihrem Interesse am Auftrag entsprechenden prozessualen Erfolg musste A. R. aus den bereits dargelegten Gründen die gesamte Änderungsvereinbarung zu Fall bringen. So war ihr erstinstanzliches Begehren zu verstehen und so ist es im Beschwerdeantrag nunmehr auch ausdrücklich formuliert, wobei die begehrte Verpflichtung zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens antragsgemäß unter der Bedingung steht, dass der S-Bahn-Betrieb nach Dezember 2018 durch ein Beschaffungsvorhaben sichergestellt wird, also der VRR den Betrieb nicht in einer wie auch immer gestalteten Form von vergaberechtsfreier Eigenregie übernimmt, was nicht zu erwarten sein dürfte.
69
3. Der so verstandene Antrag ist schon deshalb begründet, weil der VRR die Erbringung der fraglichen Leistungen DB Regio vergaberechtswidrig übertragen hat. Die Vergabekammer hat dem Antrag ersichtlich auch nur deshalb nicht stattgegeben, weil sie ihn fälschlich dahin ausgelegt hat, dass A. R. die "umgehende" Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens begehre, worauf kein Anspruch bestehe. Diesem Verständnis des Antrags kann nicht beigetreten werden. Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass A. R. jenseits des Antragswortlauts auf eine besonders beschleunigte Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens hinaus wolle, sind dem Vorbringen des Unternehmens im Nachprüfungsverfahren jedenfalls nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen.
70
4. Soweit es die vorherige europaweite Bekanntmachung betrifft, will A. R., wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt, ihren Antrag dahin verstanden wissen, dass eine Vergabe nach Maßgabe des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erfolgen soll. Dieser Zusatz bedarf keiner Erwähnung in der Beschlussformel, weil ein förmliches Vergabeverfahren ohnehin entsprechend den jeweils geltenden gesetzlichen Bedingungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung bestehender Ausnahmetatbestände, durchzuführen ist.

E.


71
Für ein durchzuführendes Vergabeverfahren erscheinen noch folgende Hinweise angezeigt.
72
Das vorlegende Oberlandesgericht meint, eine Ausschreibung werde im offenen Verfahren zu erfolgen haben. Die Wahl der etwa zulässigen Art der Vergabe (§ 3 VOL/A) bedarf indes im gegenwärtigen Stadium keiner näheren Erörterung. Mit Blick auf die von DB Regio erhobenen Einwendungen ist jedoch vorsorglich darauf hinzuweisen, dass nach § 3 Abs. 1 Satz 3 und 4 VOL/A 2009 bei beschränkten Ausschreibungen und freihändigen Vergaben mehrere - grundsätzlich mindestens drei - Bewerber zur Angebotsaufgabe aufgefordert werden sollen. Demzufolge wäre selbst eine freihändige Vergabe im Wege der Direktvergabe ohne Berücksichtigung weiterer geeigneter Anbieter unstatthaft.
73
Das vorlegende Oberlandesgericht erörtert mit Blick auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle (VergabeR 2010, 669) zur notwendigerweise zeitnahen Dokumentation (Vergabevermerk), inwieweit es unter dem Gesichtspunkt unzureichender Dokumentation vergaberechtlichen Bedenken ausgesetzt sein könnte, dass der VRR lediglich zeitversetzt, erst im Nachprüfungsverfahren , dargelegt hat, dass nur eine gemeinsame Vergabe der Linien S 5 und S 8 in Betracht komme. Die Frage der vergaberechtlichen Zulässigkeit einer nachträglichen Dokumentation stellt sich indes nicht. Da der VRR gar kein förmliches Vergabeverfahren und insbesondere kein solches mit einer losweisen Vergabe durchgeführt hat, dürfte der Einwand, die Linie S 5 könne nicht isoliert, sondern nur im Verbund mit der Linie S 8 vergeben werden, nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation unberücksichtigt bleiben. Im Übrigen ist mit Blick auf die Dokumentationspflichten im Allgemeinen zu unterschei- den zwischen dem, was nach § 20 Abs. 1 und 2 VOB/A 2009 oder § 24 VOL/AEG im Vergabevermerk mindestens niederzulegen ist, und Umständen oder Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll. Solche vorgetragenen Überlegungen auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, kann der Vergabestelle schwerlich generell unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden. Der Auftraggeber kann im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert werden, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden sind. Vielmehr ist, soweit es die Frage der möglichen Heilung von Dokumentationsmängeln im Vergabevermerk betrifft, einerseits zu berücksichtigen, dass insbesondere die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenwirken soll (vgl. Thüringer OLG, VergabeR 2010, 96, 100). Andererseits gibt das Gesetz der Vergabekammer - was für die Beschwerdeinstanz entsprechend zu gelten hat - vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird (§ 110 Abs. 1 Satz 4 GWB). Mit dieser dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz verpflichteten Regelung wäre es, wofür ersichtlich auch das vorlegende Oberlandesgericht hält (in diese Richtung auch OLG München, VergabeR 2010, 992, 1006), nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten.

F.


74
Die im Verfahren vor der Vergabekammer angefallenen Gebühren und Auslagen (§ 128 Abs. 1 GWB) haben der VRR und DB Regio als Unterliegende gesamtschuldnerisch zu tragen (§§ 109, 128 Abs. 3 Satz 1, 2 GWB). DB Regio ist als Beigeladene Verfahrensbeteiligte (§ 109) und ebenfalls unterlegen. Als unterlegener Beteiligter ist ein Beigeladener jedenfalls dann anzusehen, wenn er vor der Vergabekammer zur Hauptsache einen Antrag gestellt hat und damit nicht durchgedrungen ist (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 Rn. 58; OLG Düsseldorf VergabeR 2004, 126 f.).
75
Der VRR und DB Regio haben als Beteiligte ferner A. R. deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen zu erstatten (§ 128 Abs. 4 Satz 1 GWB). Die Mithaftung auch eines unterlegenen Beigeladenen entspricht der Rechtsprechung des Senats zu § 128 Abs. 4 GWB aF (BGHZ 169, 131 Rn. 58). Daran hat sich durch die Modifikation, die die Bestimmung durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts erfahren hat, nichts geändert. Das Gesetz sieht nunmehr ausdrücklich vor, dass die Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, soweit die Vergabekammer sie aus Billigkeit der unterlegenen Partei auferlegt. Diese Klarstellung, die es den Vergabekammern nach den Gesetzgebungsmaterialien ermöglichen soll zu berücksichtigen, wie sich ein Beigeladener am Verfahren beteiligt hat, stellt die Kostenhaftung des den Auftraggeber unterstützenden Beigeladenen gegenüber dem obsiegenden Antragsteller nicht infrage (ebenso Summa in: jurisPK-VergR, 2. Aufl., § 128 Rn. 26 i.V.m. Rn. 23.2). Da das Gesetz insoweit nicht ausdrücklich gesamtschuldnerische Haftung vorsieht, haften diese Beteiligten als Teilschuldner (BGHZ 169, 131 Rn. 58; ebenso OLG Düsseldorf VergabeR 2001, 38, 40; OLG München NZBau 2006, 135 f.). Im vorliegenden Fall ist es nach der Interessenlage angezeigt, VRR und DB Regio die Aufwendungen von A. R. je zur Hälfte aufzuerlegen.
76
Eine anteilige Haftung von A R. wegen Teilunterliegens ist nicht angezeigt. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass für die Kostentragung nicht schematisch auf die gestellten Anträge abzustellen ist, weil die Vergabekammer daran nicht gebunden ist (§ 114 Abs. 1 Satz 2 GWB), sondern darauf, ob der Antragsteller sein Ziel materiell erreicht hat (vgl. Noelle in: Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl. Rn. 1396; Brauer in: Kulartz/Kus/Portz, Komm. zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 Rn. 16).
77
Materiell ist A. R. nicht teilweise unterlegen. Soweit es das Ziel, den Änderungsvertrag für unwirksam zu erklären, mit dem Hilfsantrag erreicht hat, ist zu bedenken, dass mit der Fassung des Hauptantrags bezweckt wurde, den Vertrag nur insoweit anzufechten, als es dem (begrenzten) Interesse von A R. am Auftrag entsprach. Diese Beschränkung kam den mutmaßlichen Interessen des VRR und DB Regio am weitestmöglichen Erhalt des Vertrages entgegen, ändert aber nichts daran, dass A. R. sein Rechtsschutzziel in diesem Punkt voll erreicht hat.
78
Darüber hinaus ist die Kostenentscheidung der Vergabekammer zulasten von A. R. ersichtlich von ihrer unrichtigen Auslegung des Antrags zu 2 beeinflusst.
79
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ist nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts unter entsprechender Anwendung von § 78 GWB zu treffen (vgl. § 120 Abs. 2 GWB). Diese Bestimmung findet, was im Wortlaut nicht ganz klar zum Ausdruck kommt, auch auf die Gerichtskosten Anwendung (vgl. Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, aaO, § 128 Rn. 78 mwN). Soweit das Gesetz bei seinem Verweis auf § 78 GWB nicht zwischen Satz 1 und Satz 2 der Bestimmung unterscheidet, bedarf die für das Kartellverwaltungsverfahren umstrittene Frage, ob § 78 Satz 2 GWB nur für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt (vgl. Bechtold, Kartellgesetz, 5. Aufl. § 78 Rn. 5 ff.), auch in dem im Streitfall betriebenen Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB keiner Beantwortung. Denn jedenfalls entspräche es auch im Kartellbeschwerdeverfahren der Billigkeit, dem Beigeladenen, der selbst Beschwerde gegen die Verfügung der Kartellbehörde eingelegt hat und damit unterlegen ist, mit den Gerichtskosten und grundsätzlich auch mit den außergerichtlichen Kosten anderer Verfahrensbeteiligter zu belasten, soweit nicht die besonderen Umstände des Einzelfalls gemäß § 78 GWB ausnahmsweise eine abweichende Entscheidung geböten. Dementsprechend entspricht es vorliegend der Billigkeit, DB Regio als Beschwerdeführerin Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten von A. R. aufzuerlegen. Es entspricht in Anbetracht der Interessen des VRR und von DB Regio des Weiteren der Billigkeit, diesen Beteiligten die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten von A. R. je zur Hälfe aufzuerlegen.
80
Die Festsetzung des Gegenstandswerts geht von einem jährlichen geschätzten Auftragsvolumen für die Linien S 5 und S 8 von 37.380.000 € aus, das in entsprechender Anwendung der Grundsätze in § 3 VgV für einen Zeitraum von 48 Monaten zugrunde zu legen (vgl. Kühnen in: Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl. Rn. 1512) und in diesem Rahmen nach § 50 Abs. 2 GKG zu begrenzen ist.
Meier-Beck Gröning Berger
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.07.2010 - VII-Verg 19/10 -

(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

1.
das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat,
2.
das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat,
3.
das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden,
4.
der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
5.
ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann,
6.
eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann,
7.
das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat,
8.
das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder
9.
das Unternehmen
a)
versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen,
b)
versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder
c)
fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.

(2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes, § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und § 22 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959) bleiben unberührt.

(1) Verweist der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung auf technische Anforderungen nach § 28 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2, so darf er ein Angebot nicht mit der Begründung ablehnen, dass die angebotenen Liefer- und Dienstleistungen nicht den von ihm herangezogenen technischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung entsprechen, wenn das Unternehmen in seinem Angebot dem Auftraggeber mit geeigneten Mitteln nachweist, dass die vom Unternehmen vorgeschlagenen Lösungen diesen technischen Anforderungen gleichermaßen entsprechen.

(2) Legt der Auftraggeber die technischen Anforderungen in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen fest, so darf der Auftraggeber ein Angebot nicht ablehnen, das Folgendem entspricht:

1.
einer nationalen Norm, mit der eine europäische Norm umgesetzt wird,
2.
einer Europäischen Technischen Bewertung,
3.
einer gemeinsamen technischen Spezifikation,
4.
einer internationalen Norm oder
5.
einem technischen Bezugssystem, das von den europäischen Normungsgremien erarbeitet wurde, wenn diese technischen Anforderungen die von ihm geforderten Leistungs- und Funktionsanforderungen betreffen.
Das Unternehmen muss in seinem Angebot belegen, dass die jeweilige der Norm entsprechende Liefer- oder Dienstleistung den Leistungs- oder Funktionsanforderungen des Auftraggebers entspricht. Belege können insbesondere eine technische Beschreibung des Herstellers oder ein Prüfbericht einer anerkannten Stelle sein.

(1) Der Auftraggeber ist verpflichtet, den Fortgang des Vergabeverfahrens jeweils zeitnah zu dokumentieren. Hierzu stellt er sicher, dass er über eine ausreichende Dokumentation verfügt, um Entscheidungen in allen Phasen des Vergabeverfahrens, insbesondere zu den Verhandlungs- oder Dialogphasen, der Auswahl der Teilnehmer sowie der Zuschlagsentscheidung, nachvollziehbar zu begründen.

(2) Der Auftraggeber bewahrt die sachdienlichen Unterlagen zu jedem Auftrag auf. Die Unterlagen müssen so ausführlich sein, dass zu einem späteren Zeitpunkt mindestens folgende Entscheidungen nachvollzogen und gerechtfertigt werden können:

1.
Qualifizierung und Auswahl der Teilnehmer sowie Zuschlagserteilung,
2.
Rückgriff auf Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb,
3.
Nichtanwendung dieser Verordnung aufgrund der Ausnahmen nach Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und
4.
Gründe, aus denen andere als elektronische Kommunikationsmittel für die elektronische Einreichung von Angeboten verwendet wurden.

(3) Die Dokumentation ist bis zum Ende der Vertragslaufzeit oder Rahmenvereinbarung aufzubewahren, mindestens jedoch für drei Jahre ab dem Tag des Zuschlags. Gleiches gilt für Kopien aller abgeschlossenen Verträge, die mindestens den folgenden Auftragswert haben:

1.
1 Million Euro im Falle von Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen,
2.
10 Millionen Euro im Falle von Bauaufträgen.

(4) Die Dokumentation oder deren Hauptelemente ist der Europäischen Kommission sowie den zuständigen Aufsichts- oder Prüfbehörden auf deren Anforderung hin zu übermitteln.

(1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

(3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.

(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.

(5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen.

(6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 55/10 Verkündet am:
30. August 2011
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Regenentlastung
VOB/A 2009 § 16 Abs. 8; VOB/A 2002, 2006 § 25 Nr. 5 Satz 1

a) Zur Beurteilung der Frage, ob an einem öffentlichen Auftrag ein grenzüberschreitendes
Interesse besteht, ist eine Prognose darüber anzustellen, ob
der Auftrag nach den konkreten Marktverhältnissen, das heißt mit Blick auf
die angesprochenen Branchenkreise und ihre Bereitschaft, Aufträge gegebenenfalls
in Anbetracht ihres Volumens und des Ortes der Auftragsdurchführung
auch grenzüberschreitend auszuführen, für ausländische Anbieter interessant
sein könnte.

b) Bei der Zulassung von Nebenangeboten werden die Grundfreiheiten des
Primärrechts der Europäischen Union und die Gebote der Gleichbehandlung,
Verhältnismäßigkeit und Transparenz gewahrt, wenn in den Vergabeunterlagen
vorgegeben wird, dass Ausführungsvarianten eindeutig und erschöpfend
beschrieben werden und alle Leistungen umfassen müssen, die zu einer
einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind, und dass bei
nicht in Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder in den Vergabeunterlagen
geregelten Leistungen im Angebot entsprechende Angaben
über Ausführung und Beschaffenheit dieser Leistungen zu machen sind.
BGH, Urteil vom 30. August 2011 - X ZR 55/10 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. August 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck
und die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 22. März 2010 verkündete Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz wird auf Kosten der Klägerin, die auch die außergerichtlichen Kosten des Streithelfers zu tragen hat, zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien streiten um die Frage, ob die beklagte Verbandsgemeinde in einem von ihr im Jahre 2005 außerhalb des Geltungsbereichs des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durchgeführten Bauvergabeverfahren betreffend eine Regenentlastung berechtigt war, auf Nebenangebote eines Mitbewerbers den Zuschlag zu erteilen.
2
Die der Ausschreibung zugrunde gelegten Bewerbungsbedingungen enthielten den Hinweis, dass der Auftraggeber nach der Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil A verfahren werde, und bestimmten für Änderungsvorschläge oder Nebenangebote: "… Der Bieter hat die in Änderungsvorschlägen oder Nebenangeboten enthaltenen Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ; die Gliederung des Leistungsverzeichnisses ist, soweit möglich, beizubehalten. Änderungsvorschläge oder Nebenangebote müssen alle Leistungen umfassen, die zu einer einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind. Soweit der Bieter eine Leistung anbietet, deren Ausführung nicht in Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder in den Verdingungsunterlagen geregelt ist, hat er im Angebot entsprechende Angaben über Ausführung und Beschaffenheit dieser Leistung zu machen. …"
3
Die Klägerin hatte unter Berücksichtigung eines Preisnachlasses das günstigste Hauptangebot abgegeben. Den Zuschlag erhielt der mit seinem Hauptangebot an dritter Stelle liegende Bieter R., weil die Beklagte mehrere der von ihm eingereichten Nebenangebote wertete und dadurch zu einem unter dem Hauptangebot der Klägerin liegenden Angebotspreis gelangte.
4
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Nebenangebote schon deshalb nicht hätten gewertet werden dürfen, weil die Beklagte für Nebenangebote keine Mindestanforderungen vorgegeben habe, und entgangenen Gewinn sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen eingeklagt. Die Beklagte und ihr Streithelfer, der in ihrem Auftrag die Ausschreibungsunterlagen erstellt und die Angebote geprüft hatte, sind dem entgegengetreten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin nach Beweisaufnahme zurückgewiesen.
5
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte und der Streithelfer beantragen, verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
7
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Nebenangebote hätten gewertet werden dürfen, obwohl die Beklagte in den Vergabeunterlagen keine Mindestanforderungen an den Inhalt von Änderungsvorschlägen oder Nebenangeboten vorgegeben hatte. Zwar sähen die zur Zeit der Ausschreibung geltende Richtlinie 93/37/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie [BKR]) und die an ihre Stelle getretene Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie [VKR]) die Festlegung von Mindestanforderungen vor; auch habe der Gerichtshof der Europäischen Union diese Anforderung als unverzichtbar für ein transparentes Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte und als Grundlage der Verwirklichung des Gleichbehandlungsgebots angesehen. Demgegenüber seien jedoch bereits die Schwierigkeiten zu bedenken, die ein solches Erfordernis der Vergabestelle hinsichtlich der notwendigen Sachkunde und des zusätzlichen Zeitaufwands bereite, sei sie doch gezwungen, Ausführungsvarianten schon bei der Ausschreibung in ihre Überlegungen und ihr Ausführungs- konzept einzubeziehen. Außerdem könnten inhaltliche und technische Vorgaben die Nutzbarmachung des Fachwissens der Bieter herabsetzen, obwohl Nebenangebote regelmäßig dazu dienten, gerade noch nicht bedachte Lösungen anzubieten, wovon auch im Streitfall habe profitiert werden können. Aber selbst wenn mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Bedeutung von Mindestanforderungen für Transparenz und Gleichbehandlung auch im Unterschwellenbereich in Fällen mit Binnenmarktrelevanz für Nebenangebote Mindestanforderungen festgelegt werden müssten, sehe das einschlägige nationale Vergaberecht eine entsprechende Verpflichtung bis heute nicht vor, und dieses Problem werde in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Für die Frage, wann unterhalb der Schwellenwerte Binnenmarktrelevanz anzunehmen sei, habe im Übrigen auch die Klägerin keine gesicherten Voraussetzungen anführen können. Nach allem habe die Beklagte nicht annehmen müssen verpflichtet zu sein, Mindestanforderungen für Nebenangebote in ihrer Ausschreibung aufzunehmen. Ein Verschulden der Beklagten sei deshalb nicht anzunehmen.
8
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg.
9
1. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch stünde der Klägerin nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 143/10, VergabeR 2011, 703 Rn. 11 ff. - Rettungsdienstleistungen II, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) zu, wenn die Beklagte ihre gegenüber den Teilnehmern am Vergabeverfahren bestehenden Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 in Verbindung mit § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) dadurch verletzt hätte, dass sie die Nebenangebote der Mitbewerber der Klägerin gewertet hat, obwohl sie in den Vergabeunterlagen keine Mindestanforde- rungen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 und 2 BKR festgelegt und erläutert hatte. Eine entsprechende Pflichtverletzung liegt der Beklagten jedoch nicht zur Last.
10
a) Eine Pflichtverletzung durch regelwidrige Anwendung der Vergabeund Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) scheidet aus. Deren für das durchgeführte Vergabeverfahren einschlägigen Basisparagrafen verpflichten nach wie vor nicht zur Formulierung von Mindestanforderungen für Nebenangebote. Entsprechendes ist vielmehr lediglich - seit der Ausgabe 2006 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - für in den Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallende Vergabeverfahren vorgesehen (§ 25a Nr. 3 VOB/A/2006; § 16a Abs. 3 VOB/A 2009). Eine analoge Anwendung dieser Regelungen im Unterschwellenbereich kommt nicht in Betracht, weil keine ungewollte Regelungslücke vorliegt. Da die dem Streitfall zugrunde liegende Ausschreibung vor Inkrafttreten der VOB/A 2006 erfolgt ist, wäre für eine entsprechende Anwendung im Streitfall ohnehin nur Art. 19 BKR infrage gekommen, wofür die Voraussetzungen gleichermaßen nicht vorliegen.
11
b) Ihre vorvertraglichen Fürsorgepflichten hätte die Beklagte danach nur verletzt, wenn sie nach dem Primärrecht der Europäischen Union verpflichtet gewesen wäre, ungeachtet des Fehlens einer entsprechenden Regelung in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen an anderer Stelle in ihren Vergabeunterlagen - etwa in ihren ergänzend verwendeten Vertragsbedingungen - Mindestanforderungen für Nebenangebote zu definieren. Diese Verpflichtung hätte bestanden (Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 EUV), wenn ohne Ergreifung dieser Maßnahme eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten des EUVertrages zu besorgen gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
12
aa) Öffentliche Auftraggeber haben das Primärrecht der Europäischen Union nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Unterschwellenbereich zu beachten, sofern ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag zu bejahen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Dezember 2009 - C-376/08, VergabeR 2010, 469 Rn. 22 mwN - Serrantoni). Ob ein solches im Streitfall allein wegen des geschätzten Auftragswerts, der nach dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Vortrag der Parteien und bei entsprechender Anwendung von § 3 VgV etwa 1,3 Millionen € betragen haben dürfte, bejaht werden kann, erscheint fraglich. Der Vorschlag der Klägerin, das grenzüberschreitende Interesse in Anlehnung an § 2 Nr. 6 VgV pauschal bei Auftragswerten ab einer Million Euro zu bejahen, überzeugt nicht. Diese im Unionsrecht (vgl. Art. 9 Abs. 5 lit. b Unterabs. 3 VKR) wurzelnde Regelung privilegiert die Bauauftraggeber bei kleineren Losen von an sich schwellenwertübersteigenden Aufträgen in einem gewissen Umfang (bis zu 20% des Gesamtwerts ) hinsichtlich der Ausschreibungspflichten. Das bietet keine tragfähige Grundlage für die Schlussfolgerung, dass bei Aufträgen von einem Gesamtvolumen ab einer Million Euro ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es stets Sache des nationalen Gerichts, alle maßgeblichen Gegebenheiten, die den fraglichen Auftrag betreffen, eingehend zu würdigen, um festzustellen, ob im Einzelfall ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. EuGH, VergabeR 2010, 469 Rn. 25 mwN). Es bietet sich an, hierfür in Anlehnung an die für Vergabeverfahren außerhalb der Vergaberichtlinien ergangene Mitteilung der Kommission (ABl. Nr. C 179 vom 1. August 2006, S. 2 ff. unter 1.3.) eine Prognose darüber anzustellen, ob der Auftrag nach den konkreten Marktverhältnissen , das heißt mit Blick auf die angesprochenen Branchenkreise und ihre Bereitschaft, Aufträge gegebenenfalls in Anbetracht ihres Volumens und des Ortes der Auftragsdurchführung auch grenzüberschreitend auszuführen, für ausländische Anbieter interessant sein könnte. Da das Berufungsgericht hierzu kei- ne Feststellungen getroffen hat, ist das Bestehen eines grenzüberschreitenden Interesses im Streitfall zugunsten der Revision zu unterstellen.
13
bb) Aus dem Primärrecht der Europäischen Union lassen sich, was die Ausgestaltung der Vergabeunterlagen bezüglich Nebenangeboten anbelangt, keine unverzichtbaren Anforderungen ableiten, die über die von der Beklagten in ihren Vergabeunterlagen formulierten, aus dem Tatbestand ersichtlichen Vorgaben hinausgingen.
14
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unterscheiden sich der Ober- und der Unterschwellenbereich dadurch, dass der Erstere den in den Vergabekoordinierungsrichtlinien detailliert vorgesehenen, besonderen und strengen Regeln unterliegt, die im Bereich unterhalb des jeweils einschlägigen Schwellenwerts, der auch im Streitfall nicht erreicht worden ist, nicht gelten (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2008 - C-147 und 148/06, VergabeR 2008, 625 Rn. 19 - SECAP und Santoroso). Hier müssen öffentliche Auftraggeber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aber das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und sonst die "grundlegenden Vorschriften" des Unionsrechts beachten (EuGH, aaO Rn. 20), insbesondere diejenigen über die Freiheit des Warenverkehrs, die Dienstleistungsfreiheit und das Niederlassungsrecht, sowie die daraus abgeleiteten Grundprinzipien, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz (EuGH, Urteil vom 23. Dezember 2009 - C-376/08, VergabeR 2009, 469 Rn. 23 - Serrantoni).
15
(2) Durch welche Maßnahmen sie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz verwirklichen wollen, ist in einem gewissen Maß in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt (EuGH, aaO Rn. 31). Soweit es die Zulassung von Nebenangeboten betrifft, genügt es im Bereich oberhalb der Schwellenwerte, wie der Gerichtshof der Europäischen Union zu Art. 19 BKR entschieden hat, nicht, wenn sich (lediglich) aus einer nationalen Bestimmung ergibt, dass die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung sichergestellt sein muss. Nur eine Erläuterung in den Vergabeunterlagen ermögliche den Bietern in gleicher Weise die Kenntnis von den Mindestanforderungen, die ihre Änderungsvorschläge erfüllen müssten, um vom Auftraggeber berücksichtigt werden zu können und sei aus Transparenzgründen im Interesse der Gleichbehandlung der Bieter hinreichend (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 - C-421/01, VergabeR 2004, 50 Rn. 26 ff. - Traunfellner).
16
(3) Unabhängig davon, dass diese aus Transparenzgründen hohen Anforderungen an die Qualität der Vergabeunterlagen Ausdruck der Besonderheit und Strenge der in den Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien fallenden Vergabeverfahren sind und nicht ohne Weiteres mit den aus dem Primärrecht der Union herzuleitenden Anforderungen gleichgesetzt werden können, zeichnet sich der Streitfall dadurch aus, dass, wie vom Gerichtshof der Europäischen Union gefordert, aus den Vergabeunterlagen hervorgeht , was die Bieter beachten müssen, um ihre Nebenangebote wertungsfähig auszugestalten. Die dort festgelegten Vorgaben dienen gleichermaßen der Präzisierung des Inhalts von Nebenangeboten, wie sie zu deren verbesserter Vergleichbarkeit mit den Hauptangeboten beitragen. In Änderungsvorschlägen oder Nebenangeboten enthaltene Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben und die Gliederung des Leistungsverzeichnisses dabei, soweit möglich , beizubehalten, ist zwar in erster Linie eine an die Bieter gerichtete Obliegenheit. Kommt der Bieter ihr aber nach, erschwert dies zugleich den Ausschluss seiner Nebenangebote von der Wertung aus sachfremden Gründen und fördert dadurch mittelbar die Transparenz des Vergabeverfahrens. Genauso verhält es sich bei der Vorgabe, dass Änderungsvorschläge oder Nebenangebote alle Leistungen umfassen müssen, die zu einer einwandfreien Ausfüh- rung der Bauleistung erforderlich sind. Das Gleiche gilt schließlich für die weitere , mit der Regelung § 10 Nr. 4 Abs. 4 Satz 2 VOB/A 2002 und § 8 Abs. 3 Unterabs. 3 Satz 2 VOB/A 2009 übereinstimmende Anforderung, dass zu angebotenen Leistungen, deren Ausführung nicht in Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen oder in den Vergabeunterlagen geregelt ist, im Angebot entsprechende Angaben über Ausführung und Beschaffenheit dieser Leistung gemacht werden müssen. Entsprechen eingereichte Nebenangebote diesen Vorgaben , muss der öffentliche Auftraggeber sich intensiv mit deren inhaltlichen Merkmalen auseinandersetzen. Da er begründen muss, warum einzelne Bewerber oder Bieter abgelehnt wurden (§ 20 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2009), führen die im Streitfall aufgestellten Anforderungen zu einer höheren Kontrolldichte hinsichtlich der Vergabeentscheidung, was in gleichem Maße der Transparenz des Vergabeverfahrens zugute kommt, wie es das Risiko des Auftraggebers erhöht , Schadensersatzansprüchen des mit seinen Nebenangeboten zu Unrecht übergangenen Bieters ausgesetzt zu werden.
17
(4) Soweit, wie im Streitfall, keine sachlich-technischen Anforderungen in Bezug auf den Gegenstand von Nebenangeboten festgelegt wurden, beeinträchtigt dies nicht die Möglichkeiten etwaiger ausländischer Interessenten im Vergleich zu denjenigen der inländischen Anbieter, ihre Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere ihre spezielle Fachkunde durch Einreichen von Nebenangeboten zur Geltung zu bringen. Beide Gruppen erhalten dieselben Vergabeunterlagen als Grundlage für die Angebotserstellung und können bei der Ausarbeitung von Angebotsvarianten darauf aufbauend in gleichem Maße kreativ werden. Von jedem Unternehmen, das sich geeignet fühlt, einen ausgeschriebenen Auftrag auszuführen, sei es ein ausländisches oder ein einheimisches, kann der öffentliche Auftraggeber erwarten, dass es auf der Grundlage seiner aus den Vergabeunterlagen ersichtlichen sachlich-technischen Anforderungen an die gewünschte Leistung Varianten ausarbeiten kann, wenn der Auftraggeber dafür, wie auch im Streitfall, einen Rahmen dergestalt vorgibt, dass eine Variante alle Leistungen umfassen muss, die zu einer einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind und dass die vorgeschlagene Alternativausführung eindeutig und erschöpfend, möglichst entsprechend der Gliederung des Leistungsverzeichnisses unterbreitet werden muss. Dafür, dass die Grundfreiheiten des Unionsrechts im Unterschwellenbereich nur dann nicht gefährdet sind, wenn für zugelassene Nebenangebote auch inhaltlich-auftragsbezogene Mindestanforderungen vorgegeben werden, ist nichts ersichtlich.
18
Dieses Ergebnis wird durch die Vergabeverfahren außerhalb der Vergaberichtlinien betreffende Mitteilung der Kommission (ABl. Nr. C 179 vom 1. August 2006 S. 2 ff.) gestützt. Abgesehen von hier nicht einschlägigen Gesichtspunkten wie der hinreichenden Bekanntmachung des Vergabebedarfs und eines ausreichenden Rechtsschutzes, wird in der Mitteilung eine diskriminierungsfreie Beschreibung des Auftragsgegenstands gefordert. Dabei hat die Kommission der Mitteilung zufolge in diesem Zusammenhang Ausgrenzungsstrategien durch Fixierung der Ausschreibung auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder Ähnliches, ohne die Gestattung des Ausweichens auf gleichwertige Alternativen und Stellung von Bedingungen im Auge, durch die ausländische Bieter direkt oder indirekt benachteiligt werden (Forderung nach Ansässigkeit im selben Mitgliedstaat bzw. der Region des Auftraggebers, Nichtakzeptanz von Befähigungsnachweisen u. Ä.). Die Ausgestaltung der Vergabeunterlagen in Bezug auf Nebenangebote hat die Kommission dagegen nicht zum Gegenstand ihrer Mitteilung gemacht.
19
(6) Auch aus sachlichen Gründen erscheint es dem Senat nicht angezeigt , die Voraussetzungen für die Wertungsfähigkeit eingereichter Nebenangebote im Unterschwellenbereich zu verschärfen. Die Anforderungen in Art. 19 BKR bzw. Art. 24 VKR für den Oberschwellenbereich sind in der Konsequenz unter dem Gesichtspunkt der unbehinderten Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit durchaus ambivalent. Wie bereits ausgeführt, besteht der Sinn und Zweck der Zulassung von Nebenangeboten darin, das unternehmerische Potenzial der für die Deckung des Vergabebedarfs geeigneten Bieter dadurch auszuschöpfen, dass der Auftraggeber Vorschläge für alternative Lösungen erhält , auf die seine eigenen Mitarbeiter gerade deshalb nicht kommen konnten, weil sie nicht über dieselbe Fachkunde wie die Bieter verfügen. Deshalb mögen die Verpflichtungen aus Art. 19 BKR und 24 VKR zur Vorgabe von Mindestanforderungen bei der Beschaffung vergleichsweise homogener Güter unproblematisch sein, wie etwa in dem vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Fall, in dem in den Vergabeunterlagen für die Ausführung einer Straßendecke außerhalb von Autobahnbrücken eine zweischichtige Betondecke mit Oberbetonqualität vorgeschrieben war und es um die Frage ging, ob das Angebot einer aus Bitumenmaterial gefertigten Asphaltdecke qualitativ gleichwertig war (EuGH, VergabeR 2004, 50 Rn. 8, 12 - Traunfellner). Ist Gegenstand der Beschaffung dagegen eine komplexe Leistung, beispielsweise ein schlüsselfertig zu errichtender Gebäudekomplex, so besteht regelmäßig eine Vielzahl von Möglichkeiten, Alternativvorschläge zu unterbreiten. Diese können sich auf die Bauleistung als Ganzes beziehen, aber auch nur auf einzelne Gewerke oder Teile davon. Muss der öffentliche Auftraggeber auch hier inhaltliche Mindestbedingungen für Nebenangebote vorgeben, liegt auf der Hand, dass es regelmäßig nur gelingen wird, einen Bruchteil der objektiv möglichen Alternativausführungen vergaberechtskonform in den Vergabeunterlagen anzusprechen. Die daraus resultierende Einengung des Wettbewerbs benachteiligt die einheimischen Unternehmen nicht minder als ausländische Anbieter, deren Interessen durch die Dienstleistungsfreiheit geschützt werden sollen.
20
(7) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union finden bei der Festlegung der zum Schutz der Grundfreiheiten ausländischer Bieter in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich zu ergreifenden Maßnahmen auch Verhältnismäßigkeitserwägungen Berücksichtigung (EuGH, VergabeR 2009, 469 Rn. 23 - Serrantoni). Insoweit ist zu bedenken, dass die Ausarbeitung inhaltlich-leistungsbezogener Mindestanforderungen den für die Erstellung der Vergabeunterlagen erforderlichen Aufwand aus den vorstehend dargelegten Gründen erheblich erhöht und die Zahl der im Unterschwellenbereich angesiedelten Vergabeverfahren zugleich um ein Vielfaches über derjenigen der in den Geltungsbereich der Vergabekoordinierungsrichtlinie fallenden liegt. Dass Vergabeverfahren ohne grenzüberschreitenden Bezug ausgenommen werden könnten, entlaste die Auftraggeber vielfach gleichwohl nicht, weil dieser Bezug oftmals nicht zweifelsfrei verneint werden könnte, so dass die Binnenmarktrelevanz in diesen Fällen doch zu unterstellen und dem bei Ausarbeitung der Vergabeunterlagen Rechnung zu tragen wäre. Der mögliche Gewinn für die Bieter bei dieser Verfahrensweise gegenüber derjenigen, bei der an die Einreichung von Nebenangeboten Anforderungen wie im Streitfall gestellt werden, überwiegt im Verhältnis zu der Zusatzbelastung der Auftraggeber jedenfalls nicht.
21
2. Die Revision ist auch im Übrigen unbegründet.
22
a) Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe die Wertungsfähigkeit des Nebenangebots 6 zu Unrecht bejaht, unternimmt die Revision den ihr verschlossenen Versuch, die gegenteilige und eingehend begründete Würdigung des Berufungsgericht durch die eigene zu ersetzen.
23
b) Soweit die Revision geltend macht, das Nebenangebot 6 sei ausschlussreif , weil dort die Umsatzsteuer nicht ausgewiesen sei, hat der Senat bislang nicht entschieden und erschiene zweifelhaft, ob der Preisbestandteil der Umsatzsteuer, deren Höhe gesetzlich feststeht, einen in der Leistungsbeschrei- bung vorgesehenen Preis darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - X ZR 243/02, NZBau 2005, 594), dessen versäumte Angabe zum Angebotsausschluss führen müsste. Dies kann aber auf sich beruhen, weil das Berufungsgericht die Vergabeunterlagen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt hat, dass die Verpflichtung zur Angabe der Umsatzsteuer sich auf das Hauptangebot bezog.
24
c) Die Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.
25
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Schuster
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 09.02.2007 - 8 O 39/06 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 22.03.2010 - 12 U 354/07 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 8/11
vom
23. Januar 2013
in dem Vergabenachprüfungsverfahren
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens und die
Richter Gröning, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß

beschlossen:
Die vor der Vergabekammer entstandenen Gebühren und Auslagen und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zur Hälfte und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene zu je einem Viertel.
Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen und außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:


1
I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf die im offenen Verfahren ausgeschriebene Vergabe von Briefdienstleistungen der Bundesagentur für Arbeit im Kalenderjahr 2011. Die täglich anfallenden sogenannten inhaltsgleichen und nicht inhaltsgleichen Sendungen, die mit Ausnahme der Großbriefe entsprechend der Handhabung vor dem Ausschreibungszeitraum in Leitregionsbehältern vorsortiert zur Abholung bereitgestellt wurden, sollten ab- geholt und bundesweit zugestellt werden. Die Gesamtzahl belief sich im Jahre 2009 auf rund 90 Millionen und im Jahre 2010 auf rund 106 Millionen Briefsendungen.
2
Den Zuschlag sollte das Angebot mit dem niedrigsten Gesamtpreis erhalten. Nebenangebote waren mit der Maßgabe zugelassen, dass sie die dafür in der Leistungsbeschreibung definierten Mindestvoraussetzungen erfüllen. In dem diesbezüglichen Vordruck heißt es: "Nebenangebote sind nur zu dem nachfolgend angegebenen Kriterium und nur in der aufgezeigten Weise zulässig. Alle anderen Vorgaben in den Vergabeunterlagen müssen erfüllt werden: - Rabatte in Bezug auf eine bestimmte Vorsortierung vor Auflieferung (nicht Leitregionsbehälter). - ... In dem nachstehenden Textfeld ist ein eventueller Rabatt darzustellen und zu erläutern. Ergänzend zu den Preisangaben im Leistungsverzeichnis kann auf alle angebotenen Einzelpreise jeweils ein spezieller Rabattsatz oder ein Pauschalrabattsatz für alle Preisangaben unterbreitet werden."
3
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils ein Haupt- und ein Nebenangebot ab. Als Nebenangebot unterbreitete die Antragstellerin einen nach Sendungsmengen gestaffelten Rabatt für die inhaltsgleichen Sendungen unter der Voraussetzung, dass die Antragsgegnerin die auf Leitregionsbehälter vorbereiteten Sendungen zusätzlich auf Leitzonen- oder Leitregionspaletten fertigt und aufliefert. Die Beigeladene bot als Nebenangebot einen Rabatt für nicht inhaltsgleiche Briefsendungen bis 20g, 50g und 500g an, wenn sie in einer durch sie definierten Reihenfolge elektronisch vorsortiert, gedruckt, kuvertiert und verpackt würden.
4
Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin schriftlich darüber, dass sie beabsichtige, den Auftrag der Beigeladenen zu erteilen. Auf ihr, der Antragstellerin, Angebot könne der Zuschlag nicht erteilt werden, weil die vorgelegten Referenzen unzulänglich seien und ihr Angebot sich bei einer fiktiven Wertung nicht als das wirtschaftlichste erwiesen habe. Den nach erfolgloser Rüge dagegen erhobenen Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer zurückgewiesen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass das Angebot der Antragstellerin zwar nicht wegen unzulänglicher Referenzen habe ausgeschlossen werden dürfen, die Antragstellerin im Ergebnis aber nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt sei, weil ihr Haupt- und Nebenangebot aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht für den Zuschlag in Betracht gekommen seien. Weder sei die Preiswertung intransparent noch das Angebot der Beigeladenen ausschlussreif gewesen. Ob es in Anbetracht des Umstands, dass die Antragsgegnerin als einziges Wertungskriterium den Preis vorgesehen habe, mit Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG (im Folgenden: VKR) zu vereinbaren sei, Nebenangebote zuzulassen und zu werten, könne dahingestellt bleiben, weil die Antragsgegnerin angekündigt habe, von der Wertung der Nebenangebote - was ihr unbenommen sei - abzusehen und lediglich die abgegebenen Hauptangebote zu werten, und das Angebot der Antragstellerin auch insoweit nicht das wirtschaftlichste sei.
5
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin erschien dem Oberlandesgericht Düsseldorf begründet. Es meint, Art. 24 VKR gestatte die Zulassung von Nebenangeboten lediglich dann, wenn der Zuschlag auf das anhand einer Mehrzahl von Wertungskriterien zu ermittelnde wirtschaft- lichste Angebot erteilt werden, aber nicht, wenn, wie hier, alleiniges Zuschlagskriterium der Preis sein solle. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer sei die Antragstellerin ungeachtet des Umstands, dass die Beigeladene auch ein günstigeres Hauptangebot abgegeben habe, in ihren Rechten verletzt. Nach ihrem nicht zu widerlegenden Vorbringen habe die Antragstellerin ihr Hauptangebot nämlich in Anbetracht des Umstands kalkuliert, auch Nebenangebote einreichen zu können. Entfalle diese Möglichkeit, müsse das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt werden, um die Abgabe von unter diesen geänderten Voraussetzungen kalkulierten Angeboten zu ermöglichen.
6
So zu entscheiden, hat sich das Beschwerdegericht durch eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Beschluss vom 15. April 2011 - 1 Verg 10/10, VergabeR 2011, 586) gehindert gesehen. Es hat die Sache deshalb durch Beschluss vom 2. November 2011 dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Mit Blick auf den Ablauf des Ausschreibungszeitraums haben die Beteiligten das Nachprüfungsverfahren inzwischen übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
7
II. Die Vorlage ist zulässig.
8
Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 - S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr). So verhält es sich hier, weil die vom vorlegenden Oberlandesgericht erwogene Entscheidung mit der dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 15. April 2011 zugrundeliegenden Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren wäre. Nachdem die Beteiligten den Nachprüfungsantrag übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist indes nur noch über die Kosten zu entscheiden.
9
III. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten mit der Maßgabe gegeneinander aufzuheben, dass diejenigen des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die Gerichtskosten zur Hälfte der Antragstellerin und je zu einem Viertel der Antragsgegnerin und der Beigeladenen auferlegt werden.
10
1. Die Kostenentscheidung ist nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (BGBl. I 2009, S. 779) erhaltenen Fassung entsprechend § 78 GWB zu treffen (vgl. § 120 Abs. 2 GWB). Auf den hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie maßgeblichen Ausgang des Verfahrens kann, wenn die Parteien das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, dann ausschlaggebend abgestellt werden, wenn dieser bei der hiernach allein angezeigten summarischen Prüfung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann. Stellt sich der Verfahrensausgang demgegenüber als offen dar, sind im Regelfall die Gerichtskosten hälftig zu teilen und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 1999 - KVR 10/98, WuW/E DE-R 420 - erledigte Beschwerde). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen , wenn - wie hier - ein vergaberechtlicher Nachprüfungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt wird.
11
2. Ob der Nachprüfungsantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet oder unbegründet war, kann nicht mit der gebotenen Sicherheit beurteilt werden.
12
a) Zu Recht hat das vorlegende Oberlandesgericht allerdings angenommen , dass das Haupt- und das Nebenangebot der Beigeladenen nicht wegen einer Änderung an den Vergabeunterlagen, mangelnder Leistungsfähigkeit oder Unzulänglichkeit der vorgelegten Referenzen von der Wertung auszuschließen waren. Die diesbezüglichen Erwägungen im Vorlagebeschluss (B II 1 a) macht sich der Senat zu eigen.
13
b) Bedenken begegnet demgegenüber die Annahme des Beschwerdegerichts , die Vergabestelle hätte bei richtlinienkonformem Verständnis der einschlägigen vergaberechtlichen Bestimmungen des nationalen Rechts Nebenangebote nicht zulassen dürfen, weil als einziges Wertungskriterium der Preis vorgesehen war. Das Oberlandesgericht leitet diese Auffassung daraus her, dass die Erteilung des Zuschlags nach Art. 53 VKR entweder ausschließlich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder auf das gemäß verschiedener, festgelegter Kriterien (Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik etc.) wirtschaftlich günstigste Angebot erfolge, während Art. 24 Abs. 1 VKR so zu verstehen sei, dass Varianten lediglich bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden, zugelassen werden dürften, woraus sich im Umkehrschluss ergebe, dass Varianten bei Vergabe allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preises nicht zugelassen seien.
14
aa) Keiner abschließenden Beurteilung bedarf in diesem Zusammenhang allerdings, ob die nach dem Konzept der Vergabeunterlagen im Streitfall ermöglichten modifizierten Angebote Nebenangebote im Sinne der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen waren, was der Vergabesenat im Gegensatz zur Vergabekammer bejaht. Dafür spricht, dass rabattierte abweichende Vorsortierungen zwar eine Mitwirkung der Antragsgegnerin erforderten, aber nicht von dieser vorgegeben, sondern von den Bietern konzipiert wurden. Eine solche Modifikation des Hauptangebots war jedenfalls als Variante im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VKR zuzulassen.
15
bb) Dem vorlegenden Oberlandesgericht ist auch zuzugeben, dass das Ergebnis seiner grammatikalischen und systematischen Auslegung der herangezogenen Richtlinienbestimmungen eine praktikable und vorhersehbare Anwendung der einschlägigen Regelungen des Gemeinschaftsrechts ermöglicht. Gleichwohl erscheint fraglich, ob diesem Ergebnis unter Einbeziehung der - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorrangigen - teleologischen Auslegung der Vorzug gegeben werden muss. Zweifelhaft erscheint das deshalb, weil die Anwendung des so verstandenen Gemeinschaftsrechts vergaberechtliche Restriktionen mit sich bringt, die einer kostengünstigen Beschaffung im Wettbewerb abträglich sein können, ohne dass gleich oder höher zu bewertende gegenläufige Bieterinteressen diese erforderten, wie anhand des Gegenstands des vorliegenden Vergabeverfahrens veranschaulicht werden kann. Bei der hier nachgefragten Abholung der auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen und ihrer Zustellung handelt es sich um in massenhafter Wiederkehr zu erbringende homogene Dienstleistungen , bei denen die von den einzelnen Bietern angebotenen Ausführungen sich dementsprechend nicht unterschieden und die vorgesehene Wertung allein anhand des Preises deshalb sachgerecht war. Zugleich erscheint es als im Interesse wirtschaftlicher Mittelverwendung berechtigtes Anliegen der Vergabestelle, den Bietern nach Maßgabe festgelegter Mindestvoraussetzungen zu gestatten, Varianten anzubieten. Diese konnten sich nach der Beschaffenheit des Vergabegegenstands im Streitfall vom Hauptangebot im Wesentlichen nur in der Abholung der Sendungen bei modifizierter Vorsortierung unterscheiden, was die Vergabebedingungen auch vorsahen. Dass das Gemeinschaftsrecht der Zulassung von Varianten dann entgegensteht, wenn das Hauptangebot allein nach dem Preis zu werten ist, insbesondere, wenn die Beschränkung auf dieses Wertungskriterium nach der Beschaffenheit des Vergabegegenstands, wie im Streitfall, sachgerecht ist, erscheint deshalb nicht zwingend. Offen erscheint ferner, ob Varianten, wenn sie unter diesen Voraussetzungen zugelassen werden, ebenfalls strikt nur unter dem Gesichtspunkt des niedrigsten Preises gewertet werden dürfen. Denn insoweit ist zu bedenken , dass die von den einzelnen Bietern angebotenen Varianten die Mindestbedingungen auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Maße erfüllen können. Diese Unterschiede müssten aber ausgeblendet werden, wenn in solchen Fällen gleichwohl nur der günstigste Preis entscheidend sein soll, was mit dem Gebot einer wirtschaftlichen Beschaffung schwerlich vereinbar erscheint. Ob es in solchen Fällen mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre, Hauptangebote nach dem günstigsten Preis zu werten und für die Wertung von Nebenangeboten zusätzliche Wertungskriterien zu definieren, oder ob sich aus dem Umstand, dass für Letztere ohnehin Mindestbedingungen festgelegt werden müssen, ergibt, dass die unterschiedliche Ausgestaltung dieser Mindestbedingungen in den einzelnen angebotenen Varianten auftraggeberseitig auch ohne zusätzliche Wertungskriterien berücksichtigt werden darf, lässt sich den Regelungen des Gemeinschaftsrechts ebenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen. Der Senat hätte deshalb vor der Entscheidung des Streitfalls in der Hauptsache den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung (Art. 267 Abs. 3 AEUV) ersucht. Für die hier nur noch zu treffende Kostenentscheidung ist der Ausgang des Verfahrens demnach als offen zu betrachten. Es entspricht daher der Billigkeit, die Hälfte der Gerichtskosten der Antragstellerin aufzuerlegen und mit der anderen Hälfte die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu belasten. Eine Beteiligung der Beigeladenen an der Kostenlast erscheint billig, weil sie sich mit Anträgen am erst- und zweitinstanzlichen Nachprüfungsverfahren beteiligt und als für die Zuschlagserteilung vorgesehenes Unternehmen ein erhebliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.
Meier-Beck Mühlens Gröning
Bacher Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 02.11.2011 - VII-Verg 22/11 -

(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

1.
das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat,
2.
das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat,
3.
das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden,
4.
der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
5.
ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann,
6.
eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann,
7.
das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat,
8.
das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder
9.
das Unternehmen
a)
versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen,
b)
versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder
c)
fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.

(2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes, § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und § 22 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959) bleiben unberührt.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

9
a) Mit der Unterschriftsklausel hat die Beklagte als Vergabestelle eine vorformulierte Vergabebedingung gestellt. Welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung des Umstands zu ermitteln, dass die Vergabeunterlagen von der Vergabestelle vorformuliert sind (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 10 - Nachunternehmererklärung). Maßgeblich für das Verständnis ist dabei der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter (BGH, Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64; BGH, VergabeR 2008, 782 Rn. 10; BGH, Urteil vom 3. April 2012 - X ZR 130/10, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau).
9
a) Für das Verständnis der vom Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, maßgeblich (BGH, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 - Straßenausbau; BGH, Urteil vom 11. November 1993 - VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64). Bei der Prüfung, welcher Erklärungsgehalt den übermittelten Vergabeunterlagen in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der Bieter zukam, ist zu berücksichtigen, dass diese Unterlagen ein vom öffentlichen Auftraggeber selbst vorformuliertes Kurztextleistungsverzeichnis einschlossen. Die Verwendung von Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses ist im öffentlichen Auftragswesen eine seit langem gebräuchliche Rationalisierungshilfe. Mit solchen Auszügen aus dem Angebot kann sich die Vergabestelle überblicksartig ein Bild von dem für sie wesentlichen Gehalt des Angebots machen. Nach der seit dem 11. Juni 2010 geltenden Fassung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen können Bieter für die Angebotsabgabe stets selbstgefertigte Abschriften oder Kurzfassungen des Leistungsverzeichnisses benutzen (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A), wenn die in dieser Vorschrift vorgesehenen Angaben gemacht werden; nach der im Streitfall anwendbaren Fassung der Vergabe- und Vertragsordnung gilt sinngemäß das Gleiche (§ 21 Nr. 1 Abs. 4 VOB/A aF). Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen selbst bestimmt den unabdingbaren Inhalt solcher Kurzfassungen lediglich dahin, dass die Ordnungszahlen (Positionen) vollzählig, in der gleichen Reihenfolge und mit den gleichen Nummern wie in dem vom Auftraggeber verfassten Leistungsverzeichnis anzugeben sind (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 VOB/A; § 21 Nr. 1 Abs. 4 VOB/A aF); dem Auftraggeber ist es aber grundsätzlich nicht verwehrt, insoweit weitergehende Anforderungen zu stellen (vgl. Kratzenberg in Ingenstau/Korbion , VOB-Kommentar, 18. Aufl., § A 13 Rn. 20 f.).

(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn

1.
das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat,
2.
das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat,
3.
das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden,
4.
der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
5.
ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann,
6.
eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann,
7.
das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat,
8.
das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder
9.
das Unternehmen
a)
versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen,
b)
versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder
c)
fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.

(2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes, § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und § 22 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2959) bleiben unberührt.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.