Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Apr. 2013 - VIII ZR 236/12
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (aaO) dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt: Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit HaushaltsKunden , die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen? Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Der Senat beabsichtigt daher, das hiesige Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (vgl. zu dieser Möglichkeit Senatsbeschlüsse vom 24. Januar 2012 - VIII ZR 236/10, juris, und VIII ZR 158/11, juris, jeweils mwN).
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Achilles
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.08.2011 - 43 C 7062/10 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.07.2012 - 23 S 277/11 -
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(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagte bezieht von der Klägerin, einem Gasversorgungsunternehmen , als Tarifkundin im Haushalts-Tarif leitungsgebunden Erdgas für ihr Grundstück in B. . Der dem Bezug zugrunde liegende Energielieferungsvertrag wurde 1991 zwischen der Beklagten und den Stadtwerken W. geschlossen , deren Aufgaben inzwischen die Klägerin übernommen hat. Bei Erwerb des Grundstücks vom Gemeindeverband Mittleres S. im Jahr 1990 hatte die Beklagte in dem notariellen Kaufvertrag versichert, dass sie die dort zu errichtenden Gebäude hauptsächlich mit Erdgas als Energieträger versorgen und den gesamten Bedarf an Gas zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser von den Stadtwerken W. beziehen werde.
- 2
- In der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 1. Januar 2007 erhöhte die Klägerin den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas insgesamt vier Mal; am 1. April 2007 erfolgte eine Senkung des Arbeitspreises. Die Beklagte widersprach den auf die Preisänderungen folgenden Jahresabrechnungen der Jahre 2005, 2006 und 2007. Sie hält die Gaspreiserhöhungen der Klägerin für unbillig.
- 3
- Die Klägerin beansprucht die Zahlung der aus den genannten Jahresabrechnungen noch offen stehenden Restbeträge. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 2.733,12 € nebst Verzugszinsen und Rechtsanwaltskosten gerich- teten Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.
II.
- 4
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Vorabentscheidungsverfahren von Interesse, ausgeführt:
- 5
- Die Preiserhöhungen der Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007 entsprächen der Billigkeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV in Verbindung mit § 315 Abs. 3 BGB, da sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien; ferner habe die Klägerin ihre gesunkenen Bezugskosten im April 2007 pflichtgemäß an die Kunden weitergereicht. Die gestiegenen Bezugskosten seien auch nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen worden.
III.
- 6
- Die Entscheidung über den Zahlungsanspruch der Klägerin hängt von der Frage ab, ob bei einem Gasversorgungsvertrag, der von einem Gasversorgungsunternehmen mit einem Haushalts-Kunden im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht geschlossen worden ist (Tarifkundenvertrag), das in § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676 - AVBGasV) enthaltene gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist. Dies wiederum hängt, da § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV hinsichtlich Anlass, Voraussetzungen und Umfang des dem Versorgungsunternehmen zustehenden einseitigen Leistungsbestimmungsrechts keine näheren tatbestandlichen Konkretisierungen enthält, davon ab, ob solche tatbestandlichen Konkretisierungen von Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. EG Nr. L 176, S. 57; im Folgenden: Gas-Richtlinie; aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 94) gefordert werden.
- 7
- 1. Im nationalen deutschen Recht waren die allgemeinen Bedingungen, zu denen im streitgegenständlichen Zeitraum Gasversorgungsunternehmen jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen hatten (Tarifkunden), in den Bestimmungen der AVBGasV geregelt. Diese Bestimmungen waren nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV zugleich unmittelbarer Bestandteil des Versorgungsvertrages mit Tarifkunden. § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV enthält zur "Art der Versorgung“ unter anderem folgen- de Regelungen: (1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung … (2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.
- 8
- Ferner finden sich in § 32 Abs. 1 und 2 AVBGasV folgende Kündigungsbestimmungen : (1) Das Vertragsverhältnis läuft solange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird … (2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das Gasversorgungsunternehmen im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.
- 9
- 2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entnimmt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV, dass dem Gasversorgungsunternehmen das Recht zusteht, Preise nach billigem Ermessen (§ 315 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB]) zu ändern.
- 10
- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Gasversorgungsunternehmen das ihm nach dem Regelungsgehalt des § 4 Abs. 1 oder 2 AVBGasV kraft Gesetzes zukommende und dort nach Anlass, Voraussetzungen und Umfang nicht präzisierte Recht zur Preisänderung nicht nach freiem Belieben ausüben; eine solche Preisänderung hat vielmehr gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen. Sie ist deshalb für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Zu diesem Zweck kann dieser die Preisänderung auch gerichtlich auf ihre Billigkeit überprüfen lassen (BGH, Urteile vom 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 14 ff.; vom 29. April 2008 - KZR 2/07, BGHZ 176, 244 Rn. 26; vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 26; vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 56/08, BGHZ 182, 41 Rn. 19 f.).
- 11
- b) Aus dieser gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit folgt nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Preisänderung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Preisänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen , so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisänderung auch die Pflicht hierzu, wenn die Änderung für den Kunden günstig ist (BGH, Urteile vom 29. April 2008 - KZR 2/07, aaO; vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 81/08, WM 2010, 481 Rn. 18 mwN).
- 12
- 3. Dieser Sichtweise wird entgegengehalten, sie berücksichtige nicht hinreichend die Vorgaben der bis zum 1. Juli 2004 umzusetzenden Gas-Richtlinie an die Transparenz von Preisänderungsklauseln. Namentlich hätten die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 Satz 4 der Gas-Richtlinie einen hohen Verbraucherschutz , insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, zu gewährleisten, wozu nach Maßgabe von Anhang A Buchst. c der Gas-Richtlinie sicherzustellen sei, dass bei Preisänderungsklauseln die Kunden transparente Informationen über geltende Preise und Tarife erhielten. Diese im nationalen Recht umzusetzende Vorgaben seien durch § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nicht erfüllt. Weder die Überschrift noch der unmittelbare Wortlaut der Bestimmung offenbare, dass die Vorschrift ein Preisanpassungsrecht enthalte; zudem fehle eine tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang des Leistungsbestimmungsrechts des Gasversorgungsunternehmens. Das in § 32 Abs. 2 AVBGasV vorgesehene Kündigungsrecht des Verbrauchers bei Änderung der allgemeinen Tarife stehe nicht in unmittelbarem Bezug zu der Bestimmung, aus der das Preisänderungsrecht folgen solle (OLG Oldenburg, Vorlagebeschluss vom 14. Dezember 2010 - 12 U 49/07, juris Rn. 9, 14, 16; vgl. auch Markert, ZMR 2010, 836, 837).
- 13
- 4. Die Gas-Richtlinie bedarf hinsichtlich ihrer inhaltlichen Anforderungen an die Transparenz von Preisänderungsregelungen in Verträgen mit HaushaltsKunden über die Erdgasversorgung der Auslegung.
- 14
- a) Nach Anhang A Buchst. b der Gas-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Kunden rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Dabei haben die Dienstleister im Falle einer Gebührenerhöhung ihren Kunden jede Erhöhung mit angemessener Frist, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, auf die die Gebührenerhöhung folgt, mitzuteilen; zudem haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen der Gasdienstleister mitgeteilt hat.
- 15
- b) Nach Auffassung des Senats wird aus diesen Regelungen der GasRichtlinie deutlich, dass der europäische Normgeber das Interesse der Versorgungsunternehmen anerkennt, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit weiterzugeben, ohne die Verträge kündigen zu müssen. Auf den gleichen Erwägungen beruht auch im nationalen deutschen Recht das gesetzliche Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz [Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV] vom 26. Oktober 2006 [BGBl. I S. 2391]; vgl. dazu BGH, Urteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, BGHZ 182, 59 Rn. 22; VIII ZR 56/08, aaO Rn. 24). Aus dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 4 der GasRichtlinie lediglich in allgemeiner Weise formulierten Transparenzgebot ergeben sich nach Auffassung des Senats jedoch keine Vorgaben, welche der Gültigkeit von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV entgegenstehen.
- 16
- Insbesondere hat der Senat Zweifel, ob die teilweise aus Anhang A Buchst. c der Gas-Richtlinie hergeleiteten Transparenzanforderungen, die sich nur auf "geltende Preise und Tarife" beziehen, bei Preisänderungen überhaupt zur Anwendung kommen können. Es spricht mehr dafür, die Anforderungen an künftige Preisänderungen nach den auf diese Fallgestaltung eigens zugeschnittenen Vorgaben von Anhang A Buchst. b der Gas-Richtlinie als der spezielleren Norm zu bestimmen. Diesen Transparenzanforderungen wird nach Auffassung des Senats die Preisänderungsklausel des § 4 AVBGasV gerecht. Denn jedenfalls durch eine richtlinienkonforme Auslegung ist sichergestellt, dass der Kunde von einer bevorstehenden Preisänderung so frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er neben der ihm durch § 315 BGB eröffneten Möglichkeit einer inhaltlichen Nachprüfung der Preiserhöhung am Maßstab des billigen Ermessens auch ausreichend Gelegenheit hat, sich nach § 32 Abs. 2 AVBGasV in der Weise vom Versorgungsvertrag zu lösen, dass die Preisänderung ihm gegenüber nicht wirksam wird.
IV.
- 17
- Die Entscheidung über die Vorlagefrage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten. Ball Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Fetzer Dr. Bünger
AG Ravensburg, Entscheidung vom 10.06.2009 - 10 C 1292/07 -
LG Ravensburg, Entscheidung vom 25.02.2010 - 1 S 124/09 -
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin bezieht von der Beklagten, einem regionalen Gasversorgungsunternehmen , seit 1998 leitungsgebunden Erdgas für ihren privaten Haushalt und wendet sich im Wege der Feststellungsklage gegen mehrere Gaspreisanpassungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
- 2
- Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Landgericht - die Klägerin als Tarifkundin qualifiziert und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Beklagten ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV zugestanden habe. Eine Billigkeitskontrolle der angegriffenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht abgelehnt, da die Klägerin den einseitigen Preisanpassungen der Beklagten nicht innerhalb angemessener Zeit widersprochen habe.
- 3
- Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin zunächst unter verschiedenen Gesichtspunkten gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Tarifkundenvertrag und bezweifelt ferner, ob die im Tarifkundenverhältnis geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechte des § 4 AVBGasV beziehungsweise § 5 GasGVV den europarechtlichen Transparenzvorgaben genügen.
II.
- 4
- Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 auszusetzen.
- 5
- 1. Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt: Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit HaushaltsKunden , die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
- 6
- 2. Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Soweit die Klägerseite sich in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Senats zur beabsichtigten Vorgehensweise gegen diese Einschätzung wendet, verweist sie lediglich auf ihre Ausführungen zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Diese hat der Senat bereits beim Erlass des Hinweisbeschlusses vom 25. Oktober 2011 berücksichtigt.
- 7
- 3. Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (vgl. hierzu BAG, NJW 2011, 1836, 1837). Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.
- 8
- Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 378). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (BPatG, GRUR 2002, 734, 735). Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt (BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO), genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.
- 9
- 4. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. auch BAG, aaO S. 1836 f.; BAG, Beschlüsse vom 5. Juni 1984 - 3 AZR 168/81, juris; vom 6. November 2002 - 5 AZR 279/01 (A), juris; BPatG, aaO S. 734 ff.; noch offen gelassen von BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO).
- 10
- 5. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO (analog) ist auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2004 - X ZR 272/02, BGHZ 158, 372, 374 f.). Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger
LG Koblenz, Entscheidung vom 19.01.2010 - 4 HKO 97/09 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 26.08.2010 - U 204/10 Kart -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin, ein regionales Gasversorgungsunternehmen, beliefert den Beklagten seit 2002 leitungsgebunden mit Erdgas. Sie änderte den Arbeitspreis für das von ihr gelieferte Gas zwischen Oktober 2004 und April 2007 mehrfach; der Beklagte erhob hiergegen Widerspruch. Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter anderem die Zahlung des rückständigen Betrags aus den Jahresabrechnungen für die Jahre 2004 bis 2008 begehrt. Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
- 2
- Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Landgericht - den Beklagten als Tarifkunden qualifiziert und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Klägerin ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV zugestanden habe. Die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme als billig im Sinne des § 315 BGB angesehen.
- 3
- Mit seiner Revision wendet sich der Beklagte gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Tarifkundenvertrag und bezweifelt ferner, ob die im Tarifkundenverhältnis geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechte des § 4 AVBGasV (beziehungsweise § 5 GasGVV) den europarechtlichen Transparenzvorgaben genügen. Letztlich erhebt der Beklagte Einwände gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Billigkeitsprüfung.
II.
- 4
- Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 auszusetzen.
- 5
- 1. Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:
- 6
- Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit ange- messener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
- 7
- 2. Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich.
- 8
- 3. Der Senat kann daher unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (vgl. hierzu BAG, NJW 2011, 1836, 1837). Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.
- 9
- Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 378). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (BPatG, GRUR 2002, 734, 735). Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt (BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO), genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.
- 10
- 4. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhän- gigen Rechtsstreits auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. auch BAG, aaO S. 1836 f.; BAG, Beschlüsse vom 5. Juni 1984 - 3 AZR 168/81, juris; vom 6. November 2002 - 5 AZR 279/01 (A), juris; BPatG, aaO S. 734 ff.; noch offen gelassen von BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, aaO). Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Fetzer Dr. Bünger
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.01.2009 - 34 O (Kart) 112/08 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.04.2011 - VI-2 U (Kart) 3/09 -