Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Juli 2007 - VI ZR 274/06

bei uns veröffentlicht am03.07.2007
vorgehend
Landgericht Ravensburg, 4 O 290/05, 21.12.2005
Oberlandesgericht Stuttgart, 3 U 16/06, 29.11.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 274/06
vom
3. Juli 2007
in dem Rechtsstreit
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen, die
Richter Pauge und Zoll beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. November 2006 wird zurückgewiesen, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig. Der Senat hat sich im Urteil vom 13. März 2007 (- VI ZR 216/05 - z. Veröff. best.) zur Funktion der Warnblinkanlage nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO umfassend geäußert. Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde sind die tatsächlichen Umstände des Streitfalls nicht vergleichbar. Auch der Kläger bezweifelt nicht, dass die Warnblinklichter auf eine bestehende Gefahrensituation hinwiesen. Hingegen hatte der geschädigte LKW-Fahrer nach den Fallumständen im Verfahren VI ZR 216/05 ohne Veranlassung die Warnblinkanlage eingeschaltet und anschließend eine Gefahrenlage geschaffen, indem er ohne Beachtung des ihm entgegenkommenden Fahrzeuges auf der Fahrerseite aus dem Fahrzeug sprang und deshalb vom Gegenverkehr erfasst wurde. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 S. 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO). Streitwert: 30.481,84 € Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Ravensburg, Entscheidung vom 21.12.2005 - 4 O 290/05 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 29.11.2006 - 3 U 16/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Straßenverkehrs-Ordnung - StVO 2013 | § 16 Warnzeichen


(1) Schall- und Leuchtzeichen darf nur geben, 1. wer außerhalb geschlossener Ortschaften überholt (§ 5 Absatz 5) oder2. wer sich oder Andere gefährdet sieht. (2) Wer einen Omnibus des Linienverkehrs oder einen gekennzeichneten Schulbus führt, mus

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. März 2007 - VI ZR 216/05

bei uns veröffentlicht am 13.03.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 216/05 Verkündet am: 13. März 2007 Böhringer-Mangold, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 216/05 Verkündet am:
13. März 2007
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem eingeschalteten Warnblinklicht
eine Reaktionsaufforderung für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, die Geschwindigkeit
zu verlangsamen und sich bremsbereit zu halten.
BGH, Urteil vom 13. März 2007 - VI ZR 216/05 - OLG Celle
LG Stade
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12. Mai 1999 gegen 17.00 Uhr außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auf einer Kreisstraße ereignet hat. Der Kläger wollte dort mit einem LKW Sand bei einer Firma anliefern. Zu diesem Zweck hielt er am rechten Fahrbahnrand der an dieser Stelle 5,4 m breiten Straße an und stieg aus. In diesem Moment wurde er von dem vom Beklagten zu 3 geführten und bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Kleintransporter der Beklagten zu 2 erfasst, der die Straße in der Gegenrichtung befuhr. Der Kläger wurde bei diesem Unfall schwer verletzt, während sein LKW unbeschädigt blieb.
2
Der Kläger hat behauptet, vor dem Aussteigen aus dem Führerhaus die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet zu haben. Der Beklagte zu 3 habe sich mit seinem Fahrzeug gleichwohl mit unverminderter Geschwindigkeit, die zudem überhöht gewesen sei, der späteren Unfallstelle genähert.
3
Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 3 sei ursprünglich mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h gefahren und habe diese angesichts des am Fahrbahnrand stehenden LKW des Klägers auf 74 km/h verringert. Als der Beklagte zu 3 sich dem LKW bis auf 50 m genähert gehabt habe, sei der Kläger plötzlich rückwärts aus dem Fahrzeug auf die Fahrbahn gesprungen. Der Unfall sei deshalb für den Beklagten zu 3 unvermeidbar gewesen.
4
Der Kläger hat unter Berücksichtigung eines 50%igen Mitverschuldens ein Schmerzensgeld von 25.564,59 € (= 50.000 DM), eine monatliche Schmerzensgeldrente von 76,69 € (= 150 DM), eine weitere monatliche Rente von 153,39 € (= 300 DM) für vermehrte Bedürfnisse zuzüglich eines insoweit entstandenen Rückstandes von 3.067,75 € (= 6.000 DM) sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden - ebenfalls unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens - geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

5
Das Berufungsgericht folgt zwar den Feststellungen des Landgerichts, dass der Kläger bereits vor dem Unfall die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet gehabt habe. Auch wäre der Unfall nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem Unfallrekonstruktionsgutachten sowohl vermeidbar gewesen , wenn der Beklagte zu 3 sich der Unfallstelle statt mit einer Geschwindigkeit von 74 bis 78 km/h lediglich mit einer solchen von 45 km/h genähert hätte als auch dann, wenn er auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung reagiert hätte. Der Beklagte zu 3 sei jedoch nicht verpflichtet gewesen , die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges bei den am Unfalltag herrschenden guten Rahmenbedingungen auf der übersichtlichen Landstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf ein derart niedriges Niveau herabzusetzen. Eine entsprechende Reaktionsaufforderung sei auch nicht von der eingeschalteten Warnblinkanlage ausgegangen. Damit habe der Kläger den Verkehr auf seinen am Fahrbahnrand stehenden (Unterstreichung vom Berufungsgericht ) LKW aufmerksam machen wollen. Eine weitergehende Bedeutung habe das Einschalten der Warnblinkanlage auch aus der Sicht des Beklagten nicht haben können, weil es an anderen Ursachen für das Einschalten der Anlage, wie z.B. Menschen auf der Fahrbahn o.ä., erkennbar gefehlt habe. Von der zur Hälfte geöffneten LKW-Tür sei keine Reaktionsaufforderung zu einer Vollbremsung ausgegangen, da der Beklagte zu 3 bis zu diesem Zeitpunkt habe davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach dem Passieren des entgegenkommenden Fahrzeuges vollständig öffnen und aussteigen würde. Auch wenn die Beklagten nicht den ihnen nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. obliegenden Beweis der Unabwendbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 3 hätten erbringen können, scheide dennoch eine - wenn auch nur anteilige - Haftung der Beklagten aus, weil die von dem Kleintransporter ausgehende Betriebsgefahr ebenso wie ein etwaiges leichtes Verschulden des Beklagten zu 3 hinter dem groben Sorgfaltsverstoß des Klägers zurücktrete. Es sei völlig unverständlich , dass der Kläger bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen habe, ohne sich zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte.

II.

6
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
7
Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 3 - auch unter Berücksichtigung der eingeschalteten Warnblinkanlage an dem LKW - nicht verpflichtet war, die festgestellte Geschwindigkeit seines Fahrzeuges von 74 bis 78 km/h weiter bis auf 45 km/h zu ermäßigen , sich bremsbereit zu halten oder auf die sich halb öffnende Fahrertür mit einer Vollbremsung zu reagieren.
8
1. Unter den Umständen des Streitfalles war das Einschalten des Warnblinklichts objektiv nicht erforderlich, um den Verkehr auf den stehenden LKW aufmerksam zu machen.
9
Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO darf außer beim Liegenbleiben mehrspuriger Fahrzeuge an unübersichtlichen Stellen (§ 15 StVO) und beim Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a StVO) Warnblinklicht nur einschalten, wer andere durch sein Fahrzeug gefährdet sieht oder andere vor Gefahren warnen will, z.B.
bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen. Das Einschalten des Warnblinklichts ist dagegen grundsätzlich unzulässig, wenn keine konkrete Gefährdung, sondern allenfalls eine Behinderung des Verkehrs vorliegt (vgl. OLG Hamm VersR 1992, 700; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 27. Kap., Rn. 424; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., StVO § 16 Rz. 5; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., StVO § 16 Rn. 13a).
10
2. Ob im Streitfall diese Voraussetzungen im Hinblick auf den nach den getroffenen Feststellungen auf einer übersichtlichen Landstraße am Fahrbahnrand stehenden, für den herannahenden Verkehr gut erkennbaren LKW vorlagen , kann jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob auch von einem unzulässigerweise eingeschalteten Warnblinklicht eine Reaktionsaufforderung für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen kann, die Geschwindigkeit zu verlangsamen und sich bremsbereit zu halten.
11
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger durch das Einschalten der Warnblinkanlage den Verkehr nur auf den am Fahrbahnrand stehenden LKW aufmerksam machen wollen. Eine von dem am Fahrbahnrand stehenden, gut erkennbaren LKW ausgehende Gefahr hat sich jedoch im Streitfall nicht realisiert. Für den Beklagten zu 3 stellte der LKW noch nicht einmal ein Hindernis dar, weil dieser aus seiner Sicht auf der Gegenfahrbahn stand. Realisiert hat sich vielmehr die Gefahr, die davon ausgegangen ist, dass der Kläger unter Missachtung des entgegenkommenden Verkehrs ausgestiegen und auf die Fahrbahn gesprungen ist. Die Revision macht selbst nicht geltend, dass der Kläger mit dem Einschalten der Warnblinkanlage den herannahenden Gegenverkehr vor seinem beabsichtigten Aussteigen warnen wollte, zumal der Kläger ohnehin erst aussteigen durfte, wenn er sicher sein konnte, dass er sich und andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdete (vgl. § 14 Abs. 1 StVO). Dabei hatte er grundsätzlich auch auf Fahrzeuge zu achten, die aus der Gegenrichtung kamen (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85 - VersR 1986, 1231, 1232 und vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - VersR 1981, 533, 534).
12
3. Der Beklagte zu 3 war auch aus sonstigen Gründen nicht gehalten, die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges unter die festgestellten 74 bis 78 km/h weiter herabzusetzen, sich bremsbereit zu halten oder bereits auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung zu reagieren.
13
Der fließende Verkehr darf zwar nicht generell darauf vertrauen, dass die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO allgemein beachtet wird; er muss daher, wenn für ihn nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten, einen solchen Abstand einhalten, dass ein Insasse die linke Tür ein wenig öffnen kann (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - aaO m.w.N.). Der an einem parkenden Wagen vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer darf jedoch darauf vertrauen, dass die Tür nicht plötzlich weit geöffnet wird und ein Insasse auf die Fahrbahn springt (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - aaO m.w.N.). Deshalb ist die Beurteilung des Berufungsgerichts , der Beklagte zu 3 habe unter den gegebenen Umständen davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach seiner - des Beklagten zu 3 - Durchfahrt vollständig öffnen und aussteigen würde, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
14
4. Schließlich ist auch kein Rechtsfehler erkennbar, soweit das Berufungsgericht im Rahmen der Abwägung die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 3 geführten Kleintransporters vollständig hinter dem Mitverschulden des Klägers hat zurücktreten lassen.
15
Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. zuletzt die Senatsurteile vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05 - und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 146/05 - jeweils m.w.N., z.V.b.).
16
Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung gerecht. Dabei ist es im Hinblick auf die gesteigerten Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs. 1 StVO rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen groben Sorgfaltsverstoß des Klägers angenommen und es als völlig unverständlich bezeichnet hat, dass dieser bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen hat, ohne sich mit einem kurzen Blick zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte. Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Stade, Entscheidung vom 09.02.2005 - 5 O 261/04 -
OLG Celle, Entscheidung vom 11.10.2005 - 14 U 51/05 -

(1) Schall- und Leuchtzeichen darf nur geben,

1.
wer außerhalb geschlossener Ortschaften überholt (§ 5 Absatz 5) oder
2.
wer sich oder Andere gefährdet sieht.

(2) Wer einen Omnibus des Linienverkehrs oder einen gekennzeichneten Schulbus führt, muss Warnblinklicht einschalten, wenn er sich einer Haltestelle nähert und solange Fahrgäste ein- oder aussteigen, soweit die für den Straßenverkehr nach Landesrecht zuständige Behörde (Straßenverkehrsbehörde) für bestimmte Haltestellen ein solches Verhalten angeordnet hat. Im Übrigen darf außer beim Liegenbleiben (§ 15) und beim Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a) Warnblinklicht nur einschalten, wer Andere durch sein Fahrzeug gefährdet oder Andere vor Gefahren warnen will, zum Beispiel bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen.

(3) Schallzeichen dürfen nicht aus einer Folge verschieden hoher Töne bestehen.

(4) Keine Schallzeichen im Sinne der Absätze 1 und 3 sind akustische Fahrzeugwarnsysteme im Sinne der Artikel 3 Satz 2 Nummer 22, Artikel 8 und Anhang VIII der Verordnung (EU) Nr. 540/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen und von Austauschschalldämpferanlagen sowie zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG und zur Aufhebung der Richtlinie 70/157/EWG (ABl. L 158 vom 27.5.2014, S. 131) in der jeweils geltenden Fassung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 216/05 Verkündet am:
13. März 2007
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem eingeschalteten Warnblinklicht
eine Reaktionsaufforderung für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, die Geschwindigkeit
zu verlangsamen und sich bremsbereit zu halten.
BGH, Urteil vom 13. März 2007 - VI ZR 216/05 - OLG Celle
LG Stade
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12. Mai 1999 gegen 17.00 Uhr außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auf einer Kreisstraße ereignet hat. Der Kläger wollte dort mit einem LKW Sand bei einer Firma anliefern. Zu diesem Zweck hielt er am rechten Fahrbahnrand der an dieser Stelle 5,4 m breiten Straße an und stieg aus. In diesem Moment wurde er von dem vom Beklagten zu 3 geführten und bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Kleintransporter der Beklagten zu 2 erfasst, der die Straße in der Gegenrichtung befuhr. Der Kläger wurde bei diesem Unfall schwer verletzt, während sein LKW unbeschädigt blieb.
2
Der Kläger hat behauptet, vor dem Aussteigen aus dem Führerhaus die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet zu haben. Der Beklagte zu 3 habe sich mit seinem Fahrzeug gleichwohl mit unverminderter Geschwindigkeit, die zudem überhöht gewesen sei, der späteren Unfallstelle genähert.
3
Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 3 sei ursprünglich mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h gefahren und habe diese angesichts des am Fahrbahnrand stehenden LKW des Klägers auf 74 km/h verringert. Als der Beklagte zu 3 sich dem LKW bis auf 50 m genähert gehabt habe, sei der Kläger plötzlich rückwärts aus dem Fahrzeug auf die Fahrbahn gesprungen. Der Unfall sei deshalb für den Beklagten zu 3 unvermeidbar gewesen.
4
Der Kläger hat unter Berücksichtigung eines 50%igen Mitverschuldens ein Schmerzensgeld von 25.564,59 € (= 50.000 DM), eine monatliche Schmerzensgeldrente von 76,69 € (= 150 DM), eine weitere monatliche Rente von 153,39 € (= 300 DM) für vermehrte Bedürfnisse zuzüglich eines insoweit entstandenen Rückstandes von 3.067,75 € (= 6.000 DM) sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden - ebenfalls unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens - geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

5
Das Berufungsgericht folgt zwar den Feststellungen des Landgerichts, dass der Kläger bereits vor dem Unfall die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet gehabt habe. Auch wäre der Unfall nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem Unfallrekonstruktionsgutachten sowohl vermeidbar gewesen , wenn der Beklagte zu 3 sich der Unfallstelle statt mit einer Geschwindigkeit von 74 bis 78 km/h lediglich mit einer solchen von 45 km/h genähert hätte als auch dann, wenn er auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung reagiert hätte. Der Beklagte zu 3 sei jedoch nicht verpflichtet gewesen , die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges bei den am Unfalltag herrschenden guten Rahmenbedingungen auf der übersichtlichen Landstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf ein derart niedriges Niveau herabzusetzen. Eine entsprechende Reaktionsaufforderung sei auch nicht von der eingeschalteten Warnblinkanlage ausgegangen. Damit habe der Kläger den Verkehr auf seinen am Fahrbahnrand stehenden (Unterstreichung vom Berufungsgericht ) LKW aufmerksam machen wollen. Eine weitergehende Bedeutung habe das Einschalten der Warnblinkanlage auch aus der Sicht des Beklagten nicht haben können, weil es an anderen Ursachen für das Einschalten der Anlage, wie z.B. Menschen auf der Fahrbahn o.ä., erkennbar gefehlt habe. Von der zur Hälfte geöffneten LKW-Tür sei keine Reaktionsaufforderung zu einer Vollbremsung ausgegangen, da der Beklagte zu 3 bis zu diesem Zeitpunkt habe davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach dem Passieren des entgegenkommenden Fahrzeuges vollständig öffnen und aussteigen würde. Auch wenn die Beklagten nicht den ihnen nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. obliegenden Beweis der Unabwendbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 3 hätten erbringen können, scheide dennoch eine - wenn auch nur anteilige - Haftung der Beklagten aus, weil die von dem Kleintransporter ausgehende Betriebsgefahr ebenso wie ein etwaiges leichtes Verschulden des Beklagten zu 3 hinter dem groben Sorgfaltsverstoß des Klägers zurücktrete. Es sei völlig unverständlich , dass der Kläger bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen habe, ohne sich zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte.

II.

6
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
7
Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 3 - auch unter Berücksichtigung der eingeschalteten Warnblinkanlage an dem LKW - nicht verpflichtet war, die festgestellte Geschwindigkeit seines Fahrzeuges von 74 bis 78 km/h weiter bis auf 45 km/h zu ermäßigen , sich bremsbereit zu halten oder auf die sich halb öffnende Fahrertür mit einer Vollbremsung zu reagieren.
8
1. Unter den Umständen des Streitfalles war das Einschalten des Warnblinklichts objektiv nicht erforderlich, um den Verkehr auf den stehenden LKW aufmerksam zu machen.
9
Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO darf außer beim Liegenbleiben mehrspuriger Fahrzeuge an unübersichtlichen Stellen (§ 15 StVO) und beim Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a StVO) Warnblinklicht nur einschalten, wer andere durch sein Fahrzeug gefährdet sieht oder andere vor Gefahren warnen will, z.B.
bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen. Das Einschalten des Warnblinklichts ist dagegen grundsätzlich unzulässig, wenn keine konkrete Gefährdung, sondern allenfalls eine Behinderung des Verkehrs vorliegt (vgl. OLG Hamm VersR 1992, 700; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 27. Kap., Rn. 424; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., StVO § 16 Rz. 5; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., StVO § 16 Rn. 13a).
10
2. Ob im Streitfall diese Voraussetzungen im Hinblick auf den nach den getroffenen Feststellungen auf einer übersichtlichen Landstraße am Fahrbahnrand stehenden, für den herannahenden Verkehr gut erkennbaren LKW vorlagen , kann jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob auch von einem unzulässigerweise eingeschalteten Warnblinklicht eine Reaktionsaufforderung für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen kann, die Geschwindigkeit zu verlangsamen und sich bremsbereit zu halten.
11
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger durch das Einschalten der Warnblinkanlage den Verkehr nur auf den am Fahrbahnrand stehenden LKW aufmerksam machen wollen. Eine von dem am Fahrbahnrand stehenden, gut erkennbaren LKW ausgehende Gefahr hat sich jedoch im Streitfall nicht realisiert. Für den Beklagten zu 3 stellte der LKW noch nicht einmal ein Hindernis dar, weil dieser aus seiner Sicht auf der Gegenfahrbahn stand. Realisiert hat sich vielmehr die Gefahr, die davon ausgegangen ist, dass der Kläger unter Missachtung des entgegenkommenden Verkehrs ausgestiegen und auf die Fahrbahn gesprungen ist. Die Revision macht selbst nicht geltend, dass der Kläger mit dem Einschalten der Warnblinkanlage den herannahenden Gegenverkehr vor seinem beabsichtigten Aussteigen warnen wollte, zumal der Kläger ohnehin erst aussteigen durfte, wenn er sicher sein konnte, dass er sich und andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdete (vgl. § 14 Abs. 1 StVO). Dabei hatte er grundsätzlich auch auf Fahrzeuge zu achten, die aus der Gegenrichtung kamen (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85 - VersR 1986, 1231, 1232 und vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - VersR 1981, 533, 534).
12
3. Der Beklagte zu 3 war auch aus sonstigen Gründen nicht gehalten, die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges unter die festgestellten 74 bis 78 km/h weiter herabzusetzen, sich bremsbereit zu halten oder bereits auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung zu reagieren.
13
Der fließende Verkehr darf zwar nicht generell darauf vertrauen, dass die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO allgemein beachtet wird; er muss daher, wenn für ihn nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten, einen solchen Abstand einhalten, dass ein Insasse die linke Tür ein wenig öffnen kann (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - aaO m.w.N.). Der an einem parkenden Wagen vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer darf jedoch darauf vertrauen, dass die Tür nicht plötzlich weit geöffnet wird und ein Insasse auf die Fahrbahn springt (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79 - aaO m.w.N.). Deshalb ist die Beurteilung des Berufungsgerichts , der Beklagte zu 3 habe unter den gegebenen Umständen davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach seiner - des Beklagten zu 3 - Durchfahrt vollständig öffnen und aussteigen würde, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
14
4. Schließlich ist auch kein Rechtsfehler erkennbar, soweit das Berufungsgericht im Rahmen der Abwägung die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 3 geführten Kleintransporters vollständig hinter dem Mitverschulden des Klägers hat zurücktreten lassen.
15
Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. zuletzt die Senatsurteile vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05 - und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 146/05 - jeweils m.w.N., z.V.b.).
16
Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung gerecht. Dabei ist es im Hinblick auf die gesteigerten Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs. 1 StVO rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen groben Sorgfaltsverstoß des Klägers angenommen und es als völlig unverständlich bezeichnet hat, dass dieser bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen hat, ohne sich mit einem kurzen Blick zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte. Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Stade, Entscheidung vom 09.02.2005 - 5 O 261/04 -
OLG Celle, Entscheidung vom 11.10.2005 - 14 U 51/05 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)