Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2007 - VI ZB 59/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Beklagte hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 17. März 2005 zugestellte Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist lief am 17. Mai 2005, dem Dienstag nach Pfingsten, ab. Am 13. Mai 2005, dem Freitag vor dem Pfingstwochenende , um 10.30 Uhr, gab der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründungsschrift im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines anderen Gerichtstermins beim Amtsgericht Bergheim ab im Vertrauen darauf, dass der Schriftsatz durch den Kurierdienst des Anwaltsvereins Köln rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde. Die Berufungsbegründung ging jedoch erst am 18. Mai 2005 beim Oberlandesgericht Köln ein.
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- Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 22. Juni 2005 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Es meint, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe sich - ohne vorherige Nachfrage bei den zuständigen Mitarbeitern des Amtsgerichts bzw. des Kurierdienstes - im Hinblick auf die bevorstehenden Pfingstfeiertage nicht ohne weiteres darauf verlassen dürfen, dass die am 13. Mai 2005 beim Amtsgericht Bergheim abgegebene Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bis zum 17. Mai 2005 vom Kurierdienst an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde. Selbst wenn der Kurierdienst in der Regel täglich Fahrten von den jeweiligen Amtsgerichten zu den übergeordneten Gerichten durchführe, hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten berücksichtigen müssen, dass es auch in diesem Bereich gerade vor oder nach Feiertagen zu Unregelmäßigkeiten kommen könne. Der Kurierdienst gebe auch keine Garantie für die fristgerechte bzw. sofortige Weiterleitung von Schriftsätzen noch am selben Tag bzw. am Folgetage, sondern weise ausdrücklich darauf hin, dass keine fristgebundenen Schriftsätze, deren Frist am Tag der Abholung oder am darauf folgenden Tag ablaufe, über den Kurierdienst versendet werden dürften, sondern in diesen Fällen der Schriftsatz vorab per Telefax übermittelt werden müsse. Letzteres hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sicherheitshalber am 13. Mai 2005 tun können. Zumindest hätte es ihm aber oblegen, am 17. Mai 2005, dem Tag des Fristablaufes, beim Oberlandesgericht nachzufragen, ob die Berufungsbegründungsschrift dort vorliege , so dass er bei negativer Auskunft diese noch rechtzeitig per Telefax hätte übersenden können. Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten diese Sorgfaltsanforderungen nicht befolgt und statt dessen auf die rechtzeitige Weiterlei- tung der Berufungsbegründungsschrift trotz deren zeitlich sehr kurzfristigen Abgabe beim Amtsgericht vertraut habe, obwohl ihm das Risiko einer infolge der Pfingstfeiertage verzögerten Weiterleitung an das Oberlandesgericht durch den Kurierdienst hätte bekannt sein müssen, treffe ihn ein Verschuldensvorwurf, welcher der Gewährung einer Wiedereinsetzung entgegenstehe.
II.
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- Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde des Beklagten ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (vgl. §§ 574 ff. ZPO). Sie ist auch begründet und führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 577 Abs. 4 ZPO).
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- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BVerfG NJW 2000, 2657; VersR 2000, 118; Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - VersR 2004, 354, 355 jeweils m.w.N.) dürfen dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Deutsche Bundespost oder sonstige Kurierdienste nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn das zu befördernde Schriftstück den jeweils geltenden Bestimmungen des Beförderers entsprechend und so rechtzeitig aufgegeben wird, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen des jeweiligen Beförderungsdienstes bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht.
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- Dementsprechend hätte sich das Oberlandesgericht mit dem Vorbringen des Beklagten befassen müssen, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge könne man sich darauf verlassen, dass Schriftsätze vom Kurierdienst des Anwaltsvereins Köln spätestens am darauf folgenden Werktag bei den Empfängergerichten eingingen. Die darüber hinausgehenden Überlegungen, die das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang anstellt, sind dagegen unerheblich. Auch wenn der Kurierdienst keine Garantie für die fristgemäße Weiterleitung von Schriftsätzen übernimmt, ergibt sich daraus noch kein Verschulden eines Rechtsanwalts, der auf die üblichen Laufzeiten vertraut. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - im Hinblick auf das bevorstehende Pfingstwochenende. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass Differenzierungen danach, ob eine eingetretene Verzögerung auf einer zeitweise besonders starken Beanspruchung der Leistungsfähigkeit der Post (etwa vor Feiertagen), auf einer verminderten Dienstleistung der Post (beispielsweise an Wochenenden) oder auf der Nachlässigkeit eines Bediensteten beruht, unzulässig sind und die Gerichte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung versagen dürfen , der Betroffene habe "nach Sachlage" oder "erfahrungsgemäß" mit einer Verzögerung der Sendung rechnen müssen (BVerfG NJW 2001, 1566, 1567).
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- Ist nach den üblichen Postlaufzeiten mit einem fristgerechten Eingang zu rechnen, gereicht es dem Absender auch nicht zum Verschulden, weitere Sicherheitsmaßnahmen unterlassen zu haben, etwa durch Vorabübersendung des Schriftsatzes per Telefax oder durch Einholung von Erkundigungen bei dem Briefbeförderer oder dem Empfänger des Schriftsatzes (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - aaO, m.w.N.).
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- Das Berufungsgericht wird mithin im Rahmen seiner erneuten Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu prüfen haben, ob dessen Prozessbevollmächtigter nach den normalen Postlaufzeiten des Kurier- dienstes mit dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Oberlandesgericht rechnen konnte. Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
LG Köln, Entscheidung vom 08.03.2005 - 27 O 163/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 22.06.2005 - 18 U 70/05 -
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.