Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - VI ZB 10/05

published on 14.06.2005 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - VI ZB 10/05
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 10/05
vom
14. Juni 2005
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2005 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. MĂŒller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Dem KlĂ€ger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die VersĂ€umung der Fristen zur Einlegung und zur BegrĂŒndung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts BĂŒckeburg vom 6. Dezember 2004 gewĂ€hrt.
Auf die Rechtsbeschwerde des KlĂ€gers wird der vorgenannte Beschluß aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch ĂŒber die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurĂŒckverwiesen.
Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 4.500,00 €.

GrĂŒnde:


I.

Der KlĂ€ger nimmt die Beklagten wegen eines behaupteten Ă€rztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materieller und immaterieller SchĂ€den in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Juli 2004 abgewiesen. Dieses Urteil ist den ProzeßbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers am 26. Juli 2004 zugestellt
worden. Mit Schriftsatz vom 26. August 2004 hat der KlĂ€ger Berufung eingelegt, VerlĂ€ngerung der BerufungsbegrĂŒndungsfrist bis zum 26. Oktober 2004 beantragt und um Bewilligung von Prozeßkostenhilfe fĂŒr das Berufungsverfahren gebeten. Dieser Schriftsatz trĂ€gt einen Eingangsstempel des Landgerichts in blauer Farbe mit dem Datum 27. August 2004 und den Namenszug des Wachtmeisters G.. Auf Hinweis des Gerichts, daß die Berufung verspĂ€tet eingegangen sei, haben die ProzeßbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers Gegenvorstellung erhoben und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur BegrĂŒndung haben sie vorgetragen, die Rechtsmittelschrift sei zusammen mit zwei weiteren SchriftsĂ€tzen aus anderen Verfahren in einen Sammelumschlag gesteckt und von der Angestellten W. am Abend des 26. August 2004 nach Dienstschluß in den Briefkasten der Justizbehörden B. eingeworfen worden. Zur Glaubhaftmachung hat sich der KlĂ€ger auf eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterinnen P., W. und T. seiner ProzeßbevollmĂ€chtigten bezogen. Er hat geltend gemacht, die SchriftsĂ€tze aus den anderen Verfahren seien ausweislich der Eingangsstempel jeweils am 26. August 2004 bei Gericht eingegangen.
Das Landgericht hat nach RĂŒcksprache mit dem Wachtmeister G. durch Beschluß vom 20. Oktober 2004, den ProzeßbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers zugestellt am 29. Oktober 2004, die Gegenvorstellung und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurĂŒckgewiesen und zur BegrĂŒndung ausgefĂŒhrt , die Gegenvorstellung sei, sofern sie ĂŒberhaupt zulĂ€ssig sei, jedenfalls unbegrĂŒndet. Der KlĂ€ger habe nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei. Die eidesstattliche Versicherung von Frau W. stoße auf durchgreifende Zweifel. SchriftsĂ€tze, die nach Dienstschluß (in der Regel 15:30 Uhr) in den Nachtbriefkasten eingeworfen wĂŒrden, erhielten am nĂ€chsten Morgen keinen blauen, sondern einen roten Eingangsstempel. Auch die beiden SchriftsĂ€tze der ProzeßbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers aus den anderen beiden Verfahren trĂŒgen rote Eingangsstempel. Am 26. Okto-
ber 2004 haben die ProzeßbevollmĂ€chtigten des KlĂ€gers mit Zustimmung der Gegenseite um nochmalige VerlĂ€ngerung der BerufungsbegrĂŒndungsfrist bis zum 26. November 2004 gebeten. Die BerufungsbegrĂŒndung ist am 22. November bei Gericht eingegangen.
Mit Beschluß vom 6. Dezember 2004 hat das Landgericht die Berufung als unzulĂ€ssig verworfen und den Antrag des KlĂ€gers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe fĂŒr das Berufungsverfahren zurĂŒckgewiesen. Zur BegrĂŒndung hat es ausgefĂŒhrt, der Beschluß, mit dem die Gegenvorstellung des KlĂ€gers und sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurĂŒckgewiesen worden seien, sei seit dem 29. November 2004 rechtskrĂ€ftig, weil der KlĂ€ger dagegen keine Rechtsbeschwerde eingelegt habe.
Dem KlĂ€ger ist durch Beschluß des Senats vom 1. MĂ€rz 2005 - VI ZA 1/05 - fĂŒr die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluß des Landgerichts BĂŒckeburg Prozeßkostenhilfe bewilligt worden. Der ProzeßbevollmĂ€chtigte des KlĂ€gers, dem der Beschluß des Senats am 8. MĂ€rz 2005 zugestellt worden ist, hat mit einem am 11. MĂ€rz 2005 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt, diese mit einem weiteren , am 1. April 2005 beim Bundesgerichtshof eingegangen Schriftsatz begrĂŒndet und beantragt, dem KlĂ€ger wegen der FristversĂ€umung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewĂ€hren.

II.


Dem KlĂ€ger ist auf seinen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die VersĂ€umung der Fristen zur Einlegung und zur BegrĂŒndung der Rechtsbeschwerde zu ge-
wÀhren, da er ohne sein Verschulden, nÀmlich wegen seiner Mittellosigkeit, verhindert war, diese Fristen einzuhalten (§ 233 ZPO).

III.


1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im ĂŒbrigen zulĂ€ssig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begrĂŒndet.
a) Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der BegrĂŒndung als unzulĂ€ssig verwerfen, daß der Beschluß, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag des KlĂ€gers gegen die VersĂ€umung der Berufungsfrist zurĂŒckgewiesen worden sei, rechtskrĂ€ftig geworden sei, weil der KlĂ€ger dagegen keine Rechtsbeschwerde eingelegt habe. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß es eines Wiedereinsetzungsantrags nur dann bedarf, wenn eine der in § 233 ZPO genannten Fristen versĂ€umt wurde, hier also die Berufung verspĂ€tet eingelegt worden ist. Diese Frage ist vor der Entscheidung ĂŒber den Wiedereinsetzungsantrag zu klĂ€ren (vgl. Senatsbeschluß vom 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02 - VersR 2004, 625). Nur im Falle der FristversĂ€umung wĂ€re ĂŒber den hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden gewesen. Der angefochtene Beschluß ist demgemĂ€ĂŸ schon deswegen aufzuheben, weil das Berufungsgericht in dieser Entscheidung keine BeweiswĂŒrdigung bezĂŒglich der Rechtzeitigkeit des Rechtsmitteleingangs vorgenommen und dazu keine Feststellungen getroffen hat.

b) Soweit das Berufungsgericht in seinem Beschluß vom 20. Oktober 2004 gemeint hat, der KlĂ€ger habe nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei, verkennt es, daß fĂŒr die Entscheidung der Frage, ob eine Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist, die allgemeinen Regeln der Tatsachenfeststellung gelten. Dabei können zwar eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel berĂŒcksichtigt werden, denn fĂŒr die PrĂŒfung der ZulĂ€ssigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels - auch soweit es um die Rechtzeitigkeit der Einlegung geht - gilt der sogenannte Freibeweis. Der Beweiswert eidesstattlicher Versicherungen, der lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, wird aber zum Nachweis der Fristwahrung regelmĂ€ĂŸig nicht ausreichen. Insoweit muß dann auf die Vernehmung der Beweispersonen - etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals - als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurĂŒckgegriffen werden (vgl. SenatsbeschlĂŒsse vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - VersR 2000, 1129 und vom 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02 - VersR 2004, 625). MĂŒller Greiner Wellner
Pauge Stöhr
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrĂŒcklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur BegrĂŒndung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist betrĂ€gt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur BegrĂŒndung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw
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Annotations

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist betrĂ€gt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur BegrĂŒndung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versÀumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur BegrĂŒndung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewĂ€hren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrĂŒcklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den FÀllen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulÀssig, wenn

1.
die Rechtssache grundsÀtzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den FĂ€llen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der BegrĂŒndungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begrĂŒnden. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurĂŒckgenommen oder als unzulĂ€ssig verworfen wird.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur BegrĂŒndung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewĂ€hren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.