Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - V ZB 19/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juli 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 14. September 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Niedersachsen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14. September 2018 gegen den Betroffenen, einen libanesischen Staatsangehörigen, Haft bis zum 2. Oktober 2018 zur Sicherung seiner Rücküberstellung in die Niederlande angeordnet. Am 1. Oktober 2018 wurde er rücküberstellt. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
- 2
- Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Haftanordnung rechtmäßig. Zwar habe der Haftrichter das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt, weil er dessen zu Beginn der Anhörung geäußerten Bitte, von Rechtsanwalt Oppermann vertreten zu werden, nicht nachgekommen sei. Dieser Verfahrensverstoß sei aber unerheblich, weil er nicht zu einer materiell unrichtigen Entscheidung geführt habe. Der Verfahrensfehler sei auch nicht von solchem Gewicht, dass durch ihn das ganze Verfahren rechtswidrig sei. Denn schon allein aufgrund der notwendigen Fahrtzeit wäre es dem Anwalt nicht möglich gewesen, an dem bereits begonnenen Termin noch teilzunehmen; eine Pflicht zur Terminverlegung habe nicht bestanden. Richtigerweise hätte der Haftrichter die Bitte des Betroffenen als Prozesskostenhilfeantrag auslegen müssen. Dass er diesen nicht beschieden habe, wirke sich aber nicht aus, weil mangels Erfolgsaussicht die Bewilligungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten.
III.
- 3
- Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
- 4
- 1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2018 - V ZB 92/17, juris Rn. 6 mwN). Diesen Grundsatz hat der Haftrichter verletzt. Der Betroffene hatte bei Beginn der Anhörung durch den Haftrichter ausdrücklich darum gebeten , von Rechtsanwalt O. vertreten zu werden. Der Haftrichter hätte diese Bitte berücksichtigen müssen. Erfährt er während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Ist eine Teilnahme an dem schon anberaumten Anhörungstermin nicht möglich, ist ein neuer Termin zu bestimmen. Bis dahin kann über die Anordnung von Haft nur vorläufig im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 427 FamFG) entschieden werden (Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2018 -
- V
- ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5). Eine solche hat das Amtsgericht nicht erlassen. Vielmehr hat es - wie die Abhilfeentscheidung zweifelsfrei erkennen lässt - eine endgültige Entscheidung getroffen, ohne zuvor dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, sich von dem Rechtsanwalt seiner Wahl vertreten zu lassen und mit dessen Beistand zu dem Haftantrag Stellung zu nehmen.
- 5
- 2. Der Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens führt zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Bitte des Betroffenen nicht lediglich als Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe auszulegen, dessen Nichtbescheidung nur dann zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung führt, wenn Verfahrenskostenhilfe im Zeitpunkt der Antragstellung zu bewilligen gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 13). Denn der Betroffene hatte nicht allgemein nach einem Rechtsanwalt gefragt (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 5). Vielmehr ließ seine Bitte auf Teilnahme eines konkret benannten Rechtsanwalts erkennen, dass es ihm darum ging, diesen - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe - zu dem Termin hinzuzuziehen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten des Betroffenen an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2018 - V ZB 92/17, juris Rn. 6 mwN).
IV.
- 6
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Braunschweig, Entscheidung vom 14.09.2018 - 33 a XIV 31/18 B -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 16.01.2019 - 8 T 664/18 und 8 T 665/18 -
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(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die vorläufige Freiheitsentziehung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.
(2) Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht eine einstweilige Anordnung bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen sowie vor Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers erlassen; die Verfahrenshandlungen sind unverzüglich nachzuholen.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.
Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.
(1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.
(2) Soweit sich in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 1 Million Euro.
(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5 000 Euro auszugehen.
(4) Wenn sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Notare geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden. Wenn sich die Notargebühren nach den für Gerichte geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Gerichte geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden.