Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Okt. 2013 - V ZB 162/12

bei uns veröffentlicht am17.10.2013
vorgehend
Amtsgericht Cloppenburg, 10 XIV 4/12, 16.01.2012
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 14 T 71/12, 18.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 162/12
vom
17. Oktober 2013
in der Zurückschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Czub, die Richterin Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 18. Juli 2012 aufgehoben und festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Cloppenburg vom 16. Januar 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Cloppenburg auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein ivorischer Staatsangehöriger, wurde, nachdem sein in der Bundesrepublik Deutschland gestellter Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen eines bereits in Italien gestellten, dort abgelehnten Asylantrags als unzulässig zurückgewiesen worden war, am 3. November 2011 nach Italien zurückgeschoben. Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet wurde er am 16. Januar 2012 von der Polizei aufgegriffen. Die beteiligte Behörde beantragte am selben Tag die Anordnung von Haft für vier Wochen zur Sicherung einer erneuten Abschiebung des Betroffenen nach Italien.
2
Das Amtsgericht Cloppenburg hat am 16. Januar 2012 die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens zum 13. Februar 2012 angeordnet. Eine für den 9. Februar 2012 vorgesehene Zurückschiebung des Betroffenen nach Italien konnte nicht durchgeführt werden, weil bei ihm am 7. Februar 2012 der Verdacht einer Tuberkulose-Erkrankung diagnostiziert worden war. Der Betroffene befindet sich seit dem 13. Februar 2012 wieder auf freiem Fuß, nachdem das Landgericht Hannover eine Entscheidung des dortigen Amtsgerichts über eine Verlängerung der Haft aufgehoben hat. Der Betroffene, der Beschwerde gegen die Haftanordnung eingelegt hatte, hat nach Ablauf der angeordneten Haftzeit und anschließender Haftentlassung die Feststellung der Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung des Amtsgerichts beantragt. Diesem Antrag hat das Landgericht Oldenburg nicht entsprochen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

3
Das Beschwerdegericht meint, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts rechtmäßig gewesen sei. Der Haftantrag der beteiligten Behörde habe den gesetzlichen Begründungserfordernissen nach § 417 Abs. 2 FamFG entsprochen. Der Hinweis darauf, dass die Zurückschiebung durch das Landeskriminalamt durchgeführt werde, habe zur Begründung der von der Ausländerbehörde beantragten Haftdauer von vier Wochen ausgereicht, da das Amtsgericht auf Grund der Angaben im Haftantrag sowohl die Prognose für die erforderliche Dauer der Abschiebung als auch für deren notwendige Beschleunigung habe treffen können. Das habe der tatsächliche Ablauf bestätigt, da die Abschiebung des Betroffenen längst erfolgt wäre, wenn nicht nach der Haftanordnung der Verdacht einer Erkrankung festgestellt worden wäre. Gemäß der Stellungnahme der be- teiligten Behörde im Beschwerdeverfahren sei auch davon auszugehen, dass der Haftantrag dem Betroffenen vor dessen Anhörung übergeben worden sei.

III.

4
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden. Der auf diesen Beschluss bezogene, bereits in der Beschwerdeinstanz gestellte Feststellungsantrag ist begründet.
5
1. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
6
Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).
7
Bei einer Zurückschiebung nach der Dublin-II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, ABl. L 50 S. 1) gehören zu den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung auch Ausführungen dazu, dass und weshalb der Zielstaat - hier Italien - nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist. Das wiederum richtet sich im Wesentlichen danach, in welchem der in der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll, insbesondere ob eine Aufnahme nach Art. 10, 16 Abs. 1 Buchstabe a der Dublin-II-Verordnung oder eine Wiederaufnahme nach Art. 4 Abs. 5 oder Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c bis e jeweils in Verbindung mit Art. 20 Dublin-II-Verordnung betrieben werden soll. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufnahme oder eine Wiederaufnahme beantragt wird, obliegt dem zuständigen Bundesamt, dessen Vorgehen abgefragt und in dem Haftantrag mitgeteilt werden muss. Ferner muss der Antrag Angaben dazu enthalten, innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden Mitgliedstaat üblicherweise möglich sind. Pauschale Angaben zu den Fristen für die Beantwortung des Ersuchens und für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat reichen nicht aus (eingehend zum Ganzen Senat, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 5 ff. und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 19 ff., jeweils mwN).
8
2. Der Haftantrag der beteiligten Behörde genügte dem nicht, da es an Angaben zur Art und zum Ablauf des vorgesehenen Verfahrens zur Zurückschiebung fehlte. Der Haftantrag der beteiligten Behörde enthält lediglich deren Prognose, dass in der beantragten Haftzeit die Abschiebung nach Italien höchstwahrscheinlich durchgeführt werden könne, und den Hinweis auf das Erfordernis der Einschaltung des Landeskriminalamts, das einen Abschiebungsflug buchen müsse, der den italienischen Behörden mitzuteilen und von diesen zu bestätigen sei. In dem Haftantrag sind dagegen keine Ausführungen dazu enthalten, dass die Voraussetzungen für die Zurückschiebung des Betroffenen nach Italien in dem konkreten Fall auch vorliegen, welche Verfahrensschritte für die Überstellung des Betroffenen nach Italien (nach der vorstehen- den Verordnung und den Durchführungsbestimmungen der Kommission in der Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003, ABl. Nr. L 222/1) zu durchlaufen sind und welche Zeit hierfür unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis der italienischen Behörden voraussichtlich erforderlich sein wird.
9
An der Unzulässigkeit des Haftantrags wegen Fehlens einer den Erfordernissen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Begründung ändert es nichts, dass die Zurückschiebung (ohne die Erkrankung des Betroffenen) innerhalb der von der Behörde beantragten Haftzeit hätte erfolgen können. Selbst wenn sich die auf unzureichender Grundlage getroffene Prognose damit im Nachhinein als richtig erweist, wird der Mangel des Haftantrags dadurch nicht rückwirkend geheilt, da es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (Senat, Beschluss vom 19. Januar 2012 - V ZB 70/11, juris Rn. 8).

IV.

10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub Weinland Kazele

Vorinstanzen:
AG Cloppenburg, Entscheidung vom 16.01.2012 - 10 XIV 4/12 -
LG Oldenburg, Entscheidung vom 18.07.2012 - 14 T 71/12 -

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(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

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(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

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(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 172/09
vom
25. Februar 2010
in der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5; AsylVfG § 18 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3; Art. 19 der Verordnung (EG)
Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-Verordnung)

a) Auch in den Rechtsbeschwerdeverfahren nach §§ 70 ff. FamFG ist ein § 62
FamFG entsprechender Feststellungsantrag des Betroffenen zulässig. Einer
Zulassung der Rechtsbeschwerde bedarf es auch in diesen Fällen nicht.

b) Die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung eines unerlaubt
aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingereisten
Drittstaatsangehörigen (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, §§ 57
Abs. 1 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ist nicht schon dann unzulässig,
wenn der Ausländer bei der Grenzbehörde um Asyl nachgesucht hat (§ 18 Abs.
1 AsylVfG).

c) Bei seiner Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG, ob die Abschiebung
innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, muss der Haftrichter
das voraussichtliche Ergebnis eines von dem Ausländer bei dem
Verwaltungsgericht gestellten Antrags nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung
des Vollzugs der Zurückschiebung berücksichtigen.

d) Wird - wie derzeit bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 der
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin IIVerordnung
) - solchen Eilanträgen regelmäßig entsprochen, darf er, wenn die
Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, eine Haft zur
Sicherung der Abschiebung nicht anordnen und hat auf die Beschwerde des
Betroffenen eine bereits angeordnete Haft nach § 426 FamFG aufzuheben.
BGH, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 wird die Kostenentscheidung in dem Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2009 aufgehoben und festgestellt, dass dieser Beschluss die Beteiligte zu 1 in ihren Rechten verletzt hat.
Der weitergehende Feststellungsantrag wird zurückgewiesen.
Die in den Rechtsmittelverfahren entstandenen gerichtlichen Kosten werden beiden Beteiligten zu gleichen Teilen auferlegt. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Hälfte der der Beteiligten zu 1 entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.


1
Die Beteiligte zu 1, eine afghanische Staatsangehörige, traf am 9. September 2009 mit einem Flug aus Athen kommend auf dem Flughafen Düsseldorf ein. Bei einer Kontrolle durch Beamte der Beteiligten zu 2 wies sie sich durch einen gefälschten bulgarischen Reisepass aus. Bei der Vernehmung anlässlich ihrer Ingewahrsamnahme gab sie an, aus ihrem Heimatland über den Iran mithilfe einer Schlepperorganisation mit gefälschten Dokumenten in die Türkei gekommen und von dort mit einem Boot nach Griechenland befördert worden zu sein. Sie stelle in Deutschland einen Asylantrag. Das von dem Asylersuchen unterrichtete Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (im Folgenden: Bundesamt) bat die griechischen Behörden um Übernahme der Beteiligten zu 1.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Düsseldorf am 10. September 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 angeordnet. Die Beteiligte zu 1 hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag, sie umgehend aus der Haft zu entlassen. Der Beschwerdebegründung vom 6. Oktober 2009 hat sie eine Abschrift des an demselben Tage bei dem Verwaltungsgericht eingereichten Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Maßnahmen zum Vollzug ihrer Verbringung nach Griechenland beigefügt.
3
Das Landgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen; diese ist jedoch auf Grund der am gleichen Tage ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Aussetzung aller Maßnahmen zur Verbringung nach Griechenland mit sofortiger Wirkung aus der Haft entlassen worden. Mit der weiteren Beschwerde beantragt die Beteiligte zu 1, die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Abschiebungshaft und die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung festzustellen.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, schon wegen der unerlaubten Einreise ohne Pass und Aufenthaltstitel sei ein Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG zu bejahen. Zudem liege der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG vor, weil wegen der unerlaubten Einreise der Beteiligten zu 1 mithilfe von Schleusern und ohne gültige Papiere und ihrer Erklärung, nicht nach Griechenland zurückkehren zu wollen, der begründete Verdacht bestehe, dass sie sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen werde.
5
Der gegenüber der Beteiligten zu 2 mündlich gestellte Asylantrag stehe der Haft nicht entgegen, da die Beteiligte zu 1 dadurch noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben habe. Soweit die Beteiligte zu 1 vorgetragen habe, dass eine Zurückschiebung nach Griechenland wegen der dortigen Verhältnisse unzulässig sei, obliege die Prüfung dieses Einwands nicht dem Haftrichter, sondern sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte.
6
Auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (2 BvQ 56/09) und vom 23. September 2009 (2 BvQ 68/09) rechtfertigten keine Aufhebung der Haftanordnung, weil nicht erkennbar sei, welche tatsächlichen Umstände ihnen zugrunde gelegen hätten.
7
Die Haftanordnung sei auch nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, weil das Beschwerdegericht auch auf der Grundlage des eigenen Vorbringens der Beteiligten zu 1 nicht feststellen könne, dass eine Zurückschiebung innerhalb der nächsten drei Monate aus Gründen, die die Beteiligte zu 1 nicht zu vertreten habe, nicht möglich sein werde.

III.

8
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
9
Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung der Beteiligten zu 1 aus der Haft erledigt hat. Angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheits- entziehung durften bereits die vor dem 1. September 2009 gegebenen Rechtsmittel (§ 7 FEVG i.V.m. §§ 19, 22, 27, 29 FGG) nicht wegen einer im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Erledigung als unzulässig verworfen werden (BVerfG NJW 2002, 2456, 2457). Sie blieben wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, worüber auf dessen Antrag zu entscheiden war (BVerfG, a.a.O.; Senat BGHZ 153, 18, 20). Die Neugestaltung der Rechtsmittel in §§ 58 ff. FamFG hat daran nichts geändert. Die Vorschrift des § 62 FamFG, die die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, ist auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 9; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG [2009], § 62 Rdn. 4).
10
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen die freiheitsentziehende Maßnahme ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sich - wie hier - die Hauptsache bereits vor Anhängigkeit des Rechtsmittels erledigt hat und mit diesem allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts durch die Inhaftierung festzustellen.
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist teilweise begründet. Zwar verletzte nicht schon die Inhaftierung, aber die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts die Beteiligte zu 1 in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
12
a) Das Beschwerdegericht hat allerdings im Ausgangspunkt zutreffend die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht.
13
aa) Die Anordnung der Freiheitsentziehung auf Antrag der Beteiligten zu 2 war nach § 417 Abs. 1 FamFG zulässig. Die Beteiligte zu 2 (Bundespolizei) ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde, der nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG für die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören (HK-AuslR/Hofmann, AufenthG, § 71 Rdn. 13) - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen ist (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 616, 617).
14
bb) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 war im Zeitpunkt der Anordnung der Haft begründet.
15
(1) Es lag der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor. Die Beteiligte zu 1 war auf Grund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Diese Voraussetzung ist bei einer nicht bestandskräftigen, verwaltungsgerichtlich noch nicht überprüften und für sofort vollziehbar erklärten Zurückschiebungsverfügung nach § 57 Abs. 1 AufenthG von dem Haftrichter zu prüfen (vgl. Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, Rz. 7 - juris; KG NVwZ 1997, 516).
16
(2) Das Beschwerdegericht hat mit zutreffender Begründung auch den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG wegen des begründeten Verdachts, dass die Beteiligte zu 1 sich der Zurückschiebung nach Griechenland entziehen werde, auf Grund der unerlaubten Einreise und der Erklärung der Beteiligten zu 1, in Deutschland bleiben zu wollen, bejaht. Die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit auch keine Einwendungen.
17
b) Dass die Beteiligte zu 1 gegenüber der Beteiligten zu 2 bei der Ingewahrsamnahme um Asyl nachgesucht hat, stand nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ihrer Zurückschiebung nicht entgegen.
18
aa) Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist einem Ausländer, der gegenüber der Grenzbehörde um Asyl nachsucht (§ 18 Abs. 1 AsylVfG), die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ist eine gesetzliche Anordnung für das Verfahren der Grenzbehörden bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Hintergrund der Regelung ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 S. 1, im Folgenden: Dublin II-Verordnung). Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG soll dem Ausländer bereits die Einreise verweigert werden, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union für die sachliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist (HK-AuslR/Bruns, § 18 AsylVfG Rdn. 14; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 18, Rdn. 58).
19
§ 18 Abs. 3 AsylVfG erweitert die Aufgaben der Grenzbehörden in den Fällen, in denen sie dem Ausländer zwar nicht mehr die Einreise verweigern können, weil dieser bereits die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat und damit eingereist ist (§ 13 Abs. 2 AufenthG), er jedoch noch im grenznahen Raum und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Einreise angetroffen wird. Die Grenzbehörde hat dann dessen Zurückschiebung vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn der Ausländer ihr gegenüber erklärt, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
20
bb) Der Ausländer erwirbt durch das gegenüber der Grenzbehörde geäußerte Asylersuchen noch nicht die unmittelbar auf Gesetz beruhende Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Diese schlösse allerdings eine Zurückschiebung auf Grund unerlaubter Einreise grundsätzlich aus, was von dem Haftrichter auch von Amts wegen zu beachten wäre (vgl. zum früheren Recht: BayObLGZ 1993, 154, 155; 1993, 311, 313; OLG Karlsruhe NVwZ 1993, 811, 812). Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat wird die Aufenthaltsgestattung nicht schon mit dem Asylersuchen gegenüber der Grenzoder der Ausländerbehörde, sondern nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erst mit der Stellung eines Asylantrags nach §§ 13, 14, 23 AsylVfG bei dem zuständigen Bundesamt erworben (vgl. Senat, BGHZ 153, 18, 20).
21
Soweit die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf die Bestimmungen über den Asylantrag und über den Zeitpunkt seiner Stellung (Art. 2 Buchstabe c, Art. 4 Abs. 2 Dublin II-Verordnung) meint, dass bei der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG bereits mit der Protokollierung des Asylersuchens durch die Grenzbehörde entstehe, ist ihr nicht zu folgen. Die Inhaftierung des Asylbewerbers wegen unerlaubter Einreise ist nicht bis zu dem Zeitpunkt ausgeschlossen, in dem ihm die Entscheidung nach Art. 19 Dublin IIVerordnung mitgeteilt wird, dass sein Asylantrag nicht geprüft und er an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird. Die Ansicht der Rechtsbeschwerde widerspricht nicht nur der bundesgesetzlichen Regelung in § 18 AsylVfG. Sie lässt sich auch nicht mit der europarechtlichen Vorschrift über das sog. Dringlichkeitsverfahren in Art. 17 Abs. 2 Dublin II-Verordnung vereinbaren. Dieses ist dann anzuwenden, wenn der Asylantrag nach einer Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts gestellt, der Betroffene wegen unerlaubten Aufenthalts festgenommen worden ist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen angekündigt oder vollzogen werden oder der Asylbewerber sich in Gewahrsam befindet. Das Dringlichkeitsverfahren setzt somit eine Festnahme und eine Inhaftierung eines sich um Asyl bewerbenden Ausländers wegen unerlaubter Einreise oder illegalen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat voraus; es verpflichtet jedoch den um die Aufnahme des Asylbewerbers ersuchten anderen Mitgliedstaat um beschleunigte Prüfung und Entscheidung, andernfalls seine Zustimmung zur Aufnahme wegen Verfristung nach Art. 18 Abs. 6, 7 Dublin IIVerordnung als erteilt gilt (Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Aufl., Art. 17 Anm. K 11 und Art. 18 K 12 ff.).
22
c) Erfolg hat die Rechtsbeschwerde jedoch deshalb, weil das Beschwerdegericht den Umfang seiner Pflichten bei der Prüfung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG verkannt hat.
23
aa) Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass für Entscheidungen, ob Zurückschiebungen von Asylsuchenden durch Grenzbehörden (§ 18 Abs. 3 AsylVfG) oder Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 3 AsylVfG) oder Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes (§ 34a AsylVfG) rechtmäßig sind und ob von den Betroffenen wegen der durch einen sofortigen Vollzug drohenden Nachteile vorläufiger Rechtsschutz beansprucht und nach den Umständen gewährt werden kann, die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Der Haftrichter ist nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zu befinden (BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112).
24
bb) Das Beschwerdegericht hat jedoch nicht hinreichend beachtet, dass der Haftrichter bei der von ihm nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG abverlangten Prognose hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Abschiebung in den kommenden drei Monaten nicht befugt ist, nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu verweisen. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Rechtsschutzgewährung durch die Verwaltungs- und die Zivilgerichte darf sich nicht zu Lasten des Ausländers auswirken. Die Bedeutung des Freiheitsgrundrechts (Art. 2 Abs. 2 GG) verlangt vielmehr eine eigene Sachverhaltsermittlung des Haftrichters, der den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei seiner Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer der Haft berücksichtigen und sich dazu bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erkundigen muss (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660).
25
cc) Dem ist das Beschwerdegericht nicht gerecht geworden. Angesichts der ihm von dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 vorgelegten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (NVwZ 2009, 1281) und 23. September 2009 (2 BvQ 68/09 - juris) drängte es sich auf, dass auch das Verwaltungsgericht dem anhängigen Eilantrag der Beteiligten zu 1 stattgeben und deren Zurückschiebung nach Griechenland aussetzen würde. Jedenfalls durfte das Beschwerdegericht nicht ohne eine Nachfrage bei dem Verwaltungsgericht zu dem dort anhängigen Verfahren die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die Haftanordnung zurückweisen.
26
Maßgebend für die Aussetzung der Zurückschiebungen von Asylbewerbern nach Griechenland waren nämlich nicht besonders gelagerte Umstände in den jeweiligen Einzelfällen, sondern - wie das Bundesverfassungsgericht allgemein und das OVG Münster (NVwZ 2009, 1571) detailliert ausgeführt haben - davon unabhängige ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass Griechenland die europarechtlichen Mindestnormen für die Anerkennung und den Status der Bewerber um internationalen Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12) und für das Verfahren nach der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl. L 326/13) nicht einhält. Diese bilden jedoch die Grundlage für die Regelung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art. 5 bis 14 der Dublin II-Verordnung) und die Überstellungen der Asylbewerber nach Art. 19 Dublin II-Verordnung durch den Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt worden ist, in den für die Sachentscheidung über den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat (OVG Münster, aaO, 1572).
27
Vor diesem Hintergrund hätte das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen, sondern nach § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG wegen Wegfalls des die Freiheitsentziehung legitimierenden Haftgrundes aufheben müssen. Die Bestätigung der Haftanordnung eines Ausländers, der um Asyl nachgesucht hat, zum Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-Verordnung wird nach der derzeitigen Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG unzulässig, wenn dieser einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gestellt hat. Solange in solchen Fällen entsprechende Anordnungen zur Aussetzung des Vollzugs nach § 32 Abs. 1 BVerfGG oder nach §§ 80, 123 VwGO ergehen, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.
28
3. Der weitergehende Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit auch der Haftanordnung zur Sicherung der Zurückschiebung der Beteiligten zu 1 ist dagegen unbegründet.
29
a) Das Hindernis, das einem baldigen Vollzug eines sofort vollziehbaren Zurückschiebungsbescheids entgegensteht, entsteht erst, wenn der Antrag gestellt ist, aufgrund dessen die zuständigen Verwaltungsgerichte den Vollzug der behördlichen Entscheidung aussetzen.
30
Die Behandlung der Asylbegehren unter Anwendung der Dublin II-Verordnung obliegt den nach §§ 2, 3 AsylVfBV zuständigen Behörden, gegen deren Entscheidungen Rechtsschutz allein durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird (HK-AuslR/Bruns, AsylVfG, § 27a Rdn. 14, 18 und 23; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 27a Rdn. 18 ff. und Rdn. 59 ff.). Die Aussetzung einer Zurückschiebung setzt daher einen Antrag des Betroffenen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei dem Verwaltungsgericht voraus. Legt der betroffene Ausländer dagegen kein Rechtsmittel ein, muss der Haftrichter davon ausgehen, dass die zuständige Behörde die Zurückschiebung (an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat) so schnell wie ihr möglich vollziehen wird.
31
b) Der Pflicht des Haftrichters, den Stand und den voraussichtlichen Fortgang eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in seine Prognose einzubeziehen (BVerfG NJW 2009, 2569, 2570), fehlt ohne den Antrag des Betroffen um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das zuständige Verwaltungsgericht die Grundlage. Nach Aktenlage hat die Beteiligte zu 1 den Antrag nach § 123 VwGO an das Verwaltungsgericht erst zeitgleich mit der Begründung der Beschwerde gestellt, so dass nicht schon das die Haft anordnende und über die Abhilfe entscheidende erstinstanzliche Gericht, sondern erst das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2009 die Erfolgsaussichten des Antrags auf Aussetzung der Zurückschiebung bei der Prognose über die Durchführbarkeit der Abschiebung in den nächsten drei Monaten berücksichtigen konnte.

IV.

32
Die Entscheidung über die Verteilung der Kosten beruht auf §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. 1, 430 FamFG; die Festsetzung des Werts auf § 42 Abs. 3 FamGKG. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.09.2009 - 151 XIV 49/09 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.10.2009 - 18 T 51/09 -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

10
cc) Die beteiligte Behörde hat zwar dargelegt, dass der Betroffene unerlaubt eingereist und deshalb kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig war. Sie hat auch die Notwendigkeit der Abschiebung erläutert. Den gesetzlichen Anforderungen genügen aber ihre Darlegungen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung nicht. Hier hat sie sich auf austauschbare formelhafte Ausführungen beschränkt. Ihren Ausführungen ist weder zu entnehmen, wie lange die Behörden der Türkei, in welche der Betroffene abgeschoben werden sollte, für die Ausstellung von Ersatzpapieren üblicherweise benötigen, noch, ob das davon abhängt, dass sich der Betroffene zu seiner Identität wahrheitsgemäß äußert , oder ob die Angaben des Betroffenen etwa durch eine Nachfrage bei den türkischen Behörden überprüft worden sind. Weshalb eine Haft von drei Monaten erforderlich erschien und eine Haft von kürzerer Dauer nicht ausreichte, wird nicht erläutert. Eine solche Erläuterung ist indessen unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags, weil die Abschiebungshaft nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist und die Frist von drei Monaten vorbehaltlich des § 62 Abs. 4 AufenthG die obere Grenze der möglichen Haft und nicht deren Normaldauer bestimmt. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist zwar nach Art. 13 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) erst am 26. November 2011 in Kraft getreten. Die Vorschrift setzt aber nahezu wörtlich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus Art. 15 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 (ABl. EG Nr. L 348 S. 98) um, die seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 (Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie) auch schon vor dem Inkrafttreten der Umsetzungsvorschriften zu beachten war. Außerdem formuliert sie eine Anforderung, die sich schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384, 387 Rn. 27 zu beiden Gesichtspunkten für Art. 17 der Richtlinie).
4
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, juris Rn. 7).
15
aa) Die in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG vorgeschriebene Begründung der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ist vor dem Hintergrund der Vorschrift in § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, nach der die Inhaftnahme des Ausländers auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225, 226 Rn. 10). Nach dieser Bestimmung darf die Haft von vorneherein nur für den Zeitraum angeordnet werden, der für die Durchführung der zur Zurück- oder Abschiebung notwendigen Maßnahmen unverzichtbar ist (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, aaO). Einer dies darlegenden Begründung bedarf es auch dann, wenn die Behörde - wie hier - eine Haftdauer von weniger als drei Monaten beantragt (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2012 - V ZB 235/11 Rn. 8, juris).
4
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, juris Rn. 7).
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aa) Die in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG vorgeschriebene Begründung der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung ist vor dem Hintergrund der Vorschrift in § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, nach der die Inhaftnahme des Ausländers auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unverzichtbarer Bestandteil eines zulässigen Haftantrags (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225, 226 Rn. 10). Nach dieser Bestimmung darf die Haft von vorneherein nur für den Zeitraum angeordnet werden, der für die Durchführung der zur Zurück- oder Abschiebung notwendigen Maßnahmen unverzichtbar ist (Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, aaO). Einer dies darlegenden Begründung bedarf es auch dann, wenn die Behörde - wie hier - eine Haftdauer von weniger als drei Monaten beantragt (Senat, Beschluss vom 26. Januar 2012 - V ZB 235/11 Rn. 8, juris).

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

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4. An der Unzulässigkeit des Haftantrags ändert auch der Umstand nichts, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung realisiert werden konnte. Der Mangel des Haftantrags kann nicht rückwirkend geheilt werden, da es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 11 mwN, juris).

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.