Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2008 - IX ZB 197/07

bei uns veröffentlicht am29.05.2008
vorgehend
Amtsgericht Bochum, 80 IN 691/03, 29.06.2006
Landgericht Bochum, 10 T 54/06, 03.04.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 197/07
vom
29. Mai 2008
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Beantragt eine unbemittelte Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Rechtsbeschwerde, läuft
die Frist für deren Begründung ab der Bekanntgabe der Gewährung von Prozesskostenhilfe
und nicht erst ab Bekanntgabe der Bewilligung von Wiedereinsetzung gegen
die Versäumung der Einlegungsfrist (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 19. Juni 2007
- XI ZB 40/06, NJW 2007, 3354, für BGHZ 173, 14).
BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 - IX ZB 197/07 - LG Bochum
AG Bochum
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 29. Mai 2008

beschlossen:
Dem Schuldner wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 3. April 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe:


I.


1
Schuldner Dem wurde die von dem Amtsgericht angekündigte Restschuldbefreiung auf die sofortige Beschwerde eines Gläubigers durch Beschluss des Landgerichts vom 3. April 2007 - ihm zugegangen am 10. Mai 2007 - versagt. Der Senat hat dem Schuldner auf seinen am 9. Juni 2007 eingegangenen Antrag durch Beschluss vom 11. Oktober 2007 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss gewährt und Rechtsanwältin Dr. Genius-Devime beigeordnet. Im Anschluss an die am 17. Oktober 2007 erfolgte Zustellung des Senatsbeschlusses an den Schuldner hat seine Verfahrensbevollmächtigte durch Schriftsatz vom 25. Oktober 2007 Rechtsbeschwerde eingelegt und ohne weitere Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Auf am 28. Januar 2008 zugegangenen Hinweis des Berichterstatters, dass eine Begründung der Rechtsbeschwerde nicht vorliege und darum eine Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigt sei, hat der Schuldner am 11. Februar 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt und das Rechtsmittel gleichzeitig begründet.

II.


2
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg, weil der Schuldner beide Fristen ohne Verschulden nicht gewahrt hat (§§ 233, 234 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, § 575 Abs. 1 Satz 1, 2 Satz 1 ZPO).
3
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungsfrist ist begründet.
4
Mit der am 17. Oktober 2007 bewirkten Zustellung des Senatsbeschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. Genius-Devime ist das Hindernis für die Einhaltung der Rechtsbeschwerdefrist entfallen (§ 234 Abs. 2 ZPO). Die Wiedereinsetzungsfrist für die Einlegung eines Rechtsmittels beträgt zwei Wochen (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Schuldner hat mit dem Schriftsatz vom 25. Oktober 2007 fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt. Im Blick auf die wegen seiner Vermögenslosigkeit ver- säumte Einlegungsfrist ist dem Schuldner folglich Wiedereinsetzung zu gewähren.
5
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde stattzugeben. Eine Begründung der Rechtsbeschwerde ist zwar erst durch den Schriftsatz vom 11. Februar 2008 und damit nach Ende der am 17. Oktober 2007 in Lauf gesetzten Monatsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) erfolgt. Die Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde wurde entgegen der Auffassung des Schuldners mit der Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und nicht erst mit der (durch die vorliegende Entscheidung bewirkten ) Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist ausgelöst. Die Versäumung der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist beruht aber nicht auf einem Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten, weil der Senat in einem anderen Verfahren (IX ZB 142/07) noch die Ansicht vertreten hatte, dass die Begründungsfrist auch für eine Rechtsbeschwerde erst mit der Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist beginnt.
6
a) Im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird die einmonatige Frist zur Begründung der Berufung (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung, sondern ab der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungsfrist in Gang gesetzt. Bei einem früheren Fristbeginn würde die unbemittelte im Vergleich zu einer bemittelten Partei benachteiligt, weil deren Anwalt ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung unter Einschluss der Einlegungsfrist faktisch einen Zeitraum von zwei Monaten für die Fertigung der Begründung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ausschöpfen kann. Da erst nach Einle- gung einer Berufung Veranlassung für ihre Begründung besteht, ist § 234 Abs. 2 ZPO zwecks Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Berufungsklägern bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes dahin auszulegen , dass die Ursache der Verhinderung für die Einreichung der Berufungsbegründung nicht die Mittellosigkeit der Partei ist, sondern die fehlende Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (BGH, Beschl. v. 19. Juni 2007 - XI ZB 40/06, NJW 2007, 3354 ff, zur Veröffentlichung in BGHZ 173, 14).
7
b) Diese Grundsätze sind auf die Bestimmung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist im Rahmen von Wiedereinsetzungsanträgen nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht übertragbar. Vielmehr läuft die Begründungsfrist mit Bekanntgabe der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
8
aa) Im Unterschied zur Berufung (und Revision) ist bei der Rechtsbeschwerde nicht zwischen zeitlich voneinander abweichenden Einlegungs- und Begründungsfristen zu differenzieren. Vielmehr ist die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats sowohl einzulegen (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) als auch zu begründen (§ 575 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO). Mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe entfällt folglich das Hindernis für die Einhaltung der beiden gleich laufenden Fristen. Die Einlegung muss innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO und die Begründung innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 nachgeholt werden. Damit wird - was Ziel der Einführung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in seiner jetzigen Fassung war (BT-Drucks. 15/1508 S. 17) - eine unbemittelte Partei im Blick auf die Länge der Begründungsfrist einer bemittelten Partei exakt gleichgestellt.
9
bb) Würde die Begründungsfrist erst mit der Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist ihren Anfang nehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 25. September 2003 - III ZB 84/02, NJW 2003, 2782 f), wäre eine unbemittelte erheblich günstiger als eine bemittelte Partei gestellt, weil die Begründungsfrist nicht der Einlegungsfrist entspräche, sondern deutlich später anliefe (vgl. BGH, Beschl. v. 19. Juni 2007 aaO S. 3356 Tz. 19). Abweichend von den Rechtsmitteln der Berufung und Revision besteht bei einer Rechtsbeschwerde für eine bemittelte ebenso wie eine unbemittelte Partei bereits während der gesamten Dauer der Einlegungsfrist Anlass zur Fertigung der Beschwerdebegründung. Erleidet die unbemittelte Partei durch den an die Gewährung von Prozesskostenhilfe anknüpfenden Fristbeginn im Vergleich zu einer bemittelten Partei keinen Nachteil, ist kein Grund ersichtlich, den Beginn von Einlegungs- und Begründungsfrist zeitlich abweichend festzulegen (vgl. BGH aaO Rn. 22 f).
10
3. Dem Schuldner ist trotz Nichtbeachtung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung zu bewilligen. Denn in einem anderen Verfahren des Senats (IX ZB 142/07) wurde angenommen, dass die Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde ab dem Zeitpunkt der Bewilligung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungsfrist läuft. Da der Schuldner und seine Verfahrensbevollmächtigte auf eine solche Handhabung auch in vorliegender Sache vertrauen durften, lag bis zur Mitteilung des Berichterstatters kein Verschulden vor.
Anschließend wurde das Rechtsmittel binnen der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO begründet, so dass auch Wiedereinsetzung gegen die schuldlose Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren ist.
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann Fischer

Vorinstanzen:
AG Bochum, Entscheidung vom 29.06.2006 - 80 IN 691/03 -
LG Bochum, Entscheidung vom 03.04.2007 - 10 T 54/06 -

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 575 Frist, Form und Begründung der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung der E

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

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(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und
2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2,
3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.

(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 40/06
vom
19. Juni 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Wird dem Berufungskläger nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist
gewährt, beginnt die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Nachholung
der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - XI ZB 40/06 - Kammergericht
LG Berlin
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin
Mayen und den Richter Dr. Grüneberg
am 19. Juni 2007

beschlossen:
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 30. Mai 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 30. Mai 2006 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Klägerin und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 35.000 €.

Der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

Gründe:


I.


1
Landgericht Das hat mit Urteil vom 14. Juli 2005, zugestellt am 22. Juli 2005, die Klage der Klägerin gegen die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Immobilienfondsbeteiligung abgeschlossenen Darlehensvertrages abgewiesen. Mit einem beim Berufungsgericht am 22. August 2005 eingegangenen Schreiben hat die Klägerin beantragt, ihr für die beabsichtigte Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Dem Antrag hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 16. Februar 2006 im Wesentlichen stattgegeben und der Klägerin eine Rechtsanwältin beigeordnet. Der Beschluss ist der Klägerin am 17. Februar 2006 formlos übersandt und der Rechtsanwältin am 22. Februar 2006 zugestellt worden. Diese hat am 6. März 2006 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist sowie Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. April 2006 beantragt. Mit Verfügung vom 23. März 2006 hat der Berichterstatter des Berufungssenats die Klägerin darauf hingewiesen, dass gegen die Gewährung der Fristverlängerung Bedenken bestünden.
Daraufhin hat die Klägerin am 31. März 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO beantragt und die Berufung begründet.
2
Mit Beschluss vom 6. April 2006, zugestellt am 12. April 2006, hat das Berufungsgericht der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Durch Beschluss vom 27. Mai 2006 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, weil es sich der Sache nach um einen Antrag auf eine gesetzlich nicht zulässige Verlängerung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung i.S. des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO handele.
3
Mit dem angefochtenen Beschluss (KGReport 2006, 856) hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 31. März 2006 gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zurückgewiesen sowie den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 6. März 2006 gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die Berufung der Klägerin mangels fristgerecht eingereichter Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei unzulässig , weil die versäumte Prozesshandlung entgegen § 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nachgeholt worden sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sei unbegründet, weil die Versäumung der Frist von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verschuldet worden sei und die Klägerin sich dieses Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse; die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass angesichts der - wie sie meint - "offensichtlichen Verfassungswidrigkeit" des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO das Berufungsgericht dem Fristverlängerungsantrag stattgeben werde. Aufgrund dessen sei die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist, die am 22. September 2005 abgelaufen sei, begründet worden und daher unzulässig.
4
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Durch Beschluss vom 12. Dezember 2006, zugestellt am 14. Dezember 2006, hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Daraufhin hat sie am 15. Dezember 2006 wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und diese, nachdem dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde am 8. Januar 2007 entsprochen worden war, am 15. Januar 2007 begründet.

II.


5
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
6
Die 1. gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und zudem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2.) davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die Berufungsbegründung nicht fristgerecht nachgeholt habe, hat es der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
7
2.DieRechtsbeschwer de ist auch begründet.
8
a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen , dass die Frist zur Begründung der Berufung gegen das am 22. Juli 2005 zugestellte Urteil des Landgerichts am 22. September 2005 abgelaufen war, so dass die erst am 31. März 2006 eingereichte Berufungsbegründung an sich verfristet war.
9
Das b) Berufungsgericht hat aber den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die versäumte Prozesshandlung - die Einreichung der Berufungsbegründung - innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO nachgeholt. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, und beginnt gemäß § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Diese Frist hat die Klägerin eingehalten, weil die Frist erst mit der Mitteilung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist - hier also am 12. April 2006 - zu laufen begonnen hat.
10
aa) Liegt das Hindernis - wie hier - in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt es zwar für die Berufungseinlegung grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 1994 - XI ZB 1/94, VersR 1994, 1324; BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 1985 - IVb ZB 62/85, VersR 1986, 40, 41 und vom 21. März 2006 - VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141, 1142). Ob dies aber auch hinsichtlich der Berufungsbegründung und der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gilt, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 29. Juni 2006 - III ZA 7/06, NJW 2006, 2857, 2858) hat lediglich für die Fallgestaltung einer unbedingt eingelegten Berufung und eines sodann gestellten Prozesskostenhilfeantrages angenommen, dass der Lauf der Begründungsfrist nach Maßgabe des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt und dem Antragsteller nach Wegfall des Hindernisses, d.h. nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe oder deren Versagung, die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung steht, um die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
11
bb) In der Literatur ist die Beantwortung der Frage umstritten.
12
Nach der überwiegenden Auffassung ist § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO dahin auszulegen, dass bei versäumter Berufungsfrist die Begründungsfrist erst ab Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist läuft (so Thomas/ Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl. § 234 Rdn. 3b; Fölsch MDR 2004, 1029, 1032; Löhnig FamRZ 2005, 578, 579; Lange DB 2004, 2125, 2128 zum gleichlautenden § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Andere Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine Korrektur des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in der Weise aus, dass ab Mitteilung des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine zweite, gleichlange Begründungsfrist, mithin im Falle der Berufung die zweimonatige Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO, laufen soll (H. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 234 Rdn. 13; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 234 Rdn. 7; Schultz NJW 2004, 2329, 2334). Teilweise macht die Literatur auch nur verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung geltend, ohne aber Lösungen für eine Abhilfe aufzuzeigen (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 234 Rdn. 7a; Musielak/Grandel, ZPO 5. Aufl. § 236 Rdn. 6; Born NJW 2005, 2042, 2044; Greger NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 36, 38; Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2863). Lediglich vereinzelt wird in der Literatur die Neuregelung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für verfassungsgemäß gehalten (ausdrücklich: Bischoff FamRB 2005, 47, 48; ohne nähere Begründung : Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 236 Rdn. 14); diese Auffassung wird in instanzgerichtlichen Entscheidungen geteilt (vgl. etwa OLG Stuttgart OLGR 2006, 677).
13
cc) Der erkennende Senat schließt sich der erstgenannten Literaturmeinung an. § 234 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit Abs. 2 ZPO ist dahin auszulegen , dass bei auch versäumter Berufungsfrist die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist läuft.
14
(1)Hierfürsprechen bereits die Gesetzgebungsgeschichte und der Wille des Gesetzgebers.
15
Nach der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechtslage begann die Frist für die Berufungsbegründung mit der Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.). War der mittellosen Partei für die Berufungseinlegung Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr hierfür Wiedereinsetzung gewährt worden, bestand somit im Hinblick auf die Begründungsfrist zwischen mittelloser und vermögender Partei kein Unterschied. Mit der Reform der Zivilprozessordnung im Jahr 2002, die sich insoweit an bereits in anderen Verfahrensordnungen geltende Regelungen anlehnte, verschlechterte sich die Rechtslage für die mittellose Partei deutlich. Da der Beginn der Frist für die Berufungsbegründung nunmehr an die Zustellung des angefochtenen Urteils anknüpft (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO), war für die mittellose Partei bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungseinlegung in der Regel auch die Frist für die Berufungsbegründung abgelaufen, so dass sie faktisch gemäß § 234 Abs. 1 ZPO a.F. die Berufung innerhalb von zwei Wochen - ohne Verlängerungsmöglichkeit - zu begründen hatte. Um diese unbillige Benachteiligung der mittellosen Partei zu vermeiden, räumte der Bundesgerichtshof in Anlehnung an die Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte der mittellosen Partei extra legem eine gesonderte Begründungsfrist ein (vgl. Beschlüsse vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275, 3276 f. m.w.Nachw., vom 25. September 2003 - III ZB 84/02, NJW 2003, 3782 f. und vom 17. Juni 2004 - IX ZB 208/03, NJW 2004, 2902, 2903). Dabei konnte er den Meinungsstreit zwischen anderen obersten Bundesgerichten offenlassen, ob die besondere Begründungsfrist ein oder zwei Monate betrug und ob für den Fristbeginn die Mitteilung über die Wiedereinsetzung oder über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgeblich sein sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275, 3277 m.w.Nachw.).
16
Kenntnis In dieser Problematik hat der Gesetzgeber durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) die Vorschrift des § 234 Abs. 1 ZPO um Satz 2 ergänzt, demzufolge die Wiedereinsetzungsfrist zur Begründung der Berufung einen Monat beträgt. Durch die Änderung sollte nach der Gesetzesbegründung sichergestellt werden, dass "einem Rechtsmittelführer, dem Prozesskostenhilfe nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, ein Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibt, so dass er nicht schlechter gestellt wird als die vermögende Partei" (BTDrucks. 15/1508, S. 17). Zugleich sollte hierdurch die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe umgesetzt werden, wobei ausdrücklich auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in NJW 1984, 941 (zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a Abs. 3 ArbGG) und des Bundesverwaltungsgerichts, Beschluss vom 17. April 2002 - 3 B 137/01, DVBl. 2002, 1050 ff. (zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) Bezug genommen wurde. Nach diesen Entscheidungen ist aber maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn die Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist (ebenso BGHSt 30, 335, 338 zur Begründung der Rechtsbeschwerde nach § 345 Abs. 1 StPO; BGH BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 3 zur Begründung der Revision; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 84 zur Begründung der Revision; BSG SozR 2. Folge 1500 § 67 SGG Nr. 13 und § 164 SGG Nr. 9 zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs. 2 Satz 1 SGG).
17
Da sich der Gesetzesbegründung kein Hinweis für eine nur eingeschränkte Umsetzung dieser Rechtsprechung entnehmen lässt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber für den Beginn der Monatsfrist auf die Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung, nicht die Bekanntgabe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abstellen wollte. Zugleich kann wegen der eindeutigen Festlegung des Gesetzgebers auf eine einmonatige Frist den Stimmen in der Literatur, die für die Berufungsbegründungsfrist eine Verlängerung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf zwei Monate, beginnend mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, vorschlagen (H. Roth, in: Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 234 Rdn. 13; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 234 Rdn. 7), nicht gefolgt werden.
18
(2) Für die Maßgeblichkeit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung spricht auch das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, mit der Neuregelung die mittellose Partei nicht schlechter zu stellen als die vermögende Partei. Eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes ist nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsgrundsatz verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfGE 81, 347, 356; BVerfG DVBl. 2001, 1748, 1749; NJW 2003, 3190, 3191 m.w.Nachw.), auch wenn eine vollständige Gleichstellung aus Verfassungsgründen nicht erforderlich ist (vgl. BVerfGE 81, 347, 357; BVerfG NJW 2003, 3190, 3191).
19
Würde die Monatsfrist für die Berufungsbegründung mit der Bekanntgabe des Beschlusses über den Prozesskostenhilfeantrag beginnen , würde die mittellose Partei gegenüber der vermögenden Partei deutlich benachteiligt. Während nämlich der von einer wirtschaftlich leistungsfähigen Partei für das Rechtsmittelverfahren mandatierte Anwalt zwei Monate Zeit hat, um die Berufungsbegründung zu fertigen, stünde dem Anwalt der mittellosen Partei hierfür nur eine einmonatige Frist zur Verfügung. Dieser ungleiche Fristlauf lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass im Rahmen der Zweimonatsfrist auch Überlegungen dazu angestellt werden müssen, ob die beschwerte Partei überhaupt Berufung einlegt und sich der mandatierte Anwalt erst danach mit der Erstellung der Berufungsbegründung näher befasst, während im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe diese "Vorprüfung" durch das Gericht vorgenommen wird. Eine solche zeitliche Zäsur lässt sich im Rahmen der Zweimonatsfrist im praktischen Ablauf nicht feststellen, weil die Frage der Berufungseinlegung und Überlegungen zum Inhalt der Berufungsbegründung gedanklich miteinander verschränkt sind.
20
Ungleichbehandlung Die zwischen mittelloser und vermögender Partei wird außerdem dadurch deutlich verschärft, dass die auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei - anders als die vermögende - keine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erreichen kann, weil die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Begründungs-, sondern eine Wiedereinsetzungsfrist ist (Greger NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 36, 37), für die § 224 ZPO eine Verlängerung verbietet. Auch wenn durch die Reform der Zivilprozessordnung im Jahr 2002 die Zulässigkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO eingeschränkt worden ist, wird in der gerichtlichen Praxis zumindest eine einmonatige Verlängerung regelmäßig bewilligt.
21
Die (3) Anknüpfung des Fristbeginns an die Mitteilung über die Wiedereinsetzungsentscheidung steht der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zu § 234 Abs. 2 ZPO nicht entgegen.
22
Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Liegt das Hindernis - wie hier - in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Berufungseinlegung zwar grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 1994 - XI ZB 1/94, VersR 1994, 1324; BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 1985 - IVb ZB 62/85, VersR 1986, 40, 41 und vom 21. März 2006 - VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141). Diese Rechtsprechung betraf aber nach der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Rechtslage nicht die Berufungsbegründung, weil die Begründungsfrist erst ab Berufungseinlegung lief und daher im Zeitpunkt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens die Berufungsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen sein konnte.
23
hat Dies sich mit der Umgestaltung des Rechtsmittelrechts der Zivilprozessordnung geändert, weil aufgrund der Dauer des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens die mittellose Partei nunmehr regelmäßig nicht nur die Berufungsfrist, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Da die Begründung der Berufung aber nach wie vor erst dann sinnvoll ist, wenn die Berufung eingelegt worden ist, muss § 234 Abs. 2 ZPO dahin ausgelegt werden, dass die Ursache der Verhinderung für die Einreichung der Berufungsbegründung nicht die Mittellosigkeit der Partei ist, sondern die fehlende Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Andernfalls wäre die mittellose Partei genötigt, das Rechtsmittel zu begründen, bevor sie weiß, ob ihr wegen Versäumung der Einlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird (vgl. BAGE 43, 297, 298 = NJW 1984, 941). Dem steht aber entgegen, dass die Begründung eines Rechtsmittels dessen Einlegung voraussetzt und ohne diesen "ersten Schritt" sinn- und zwecklos wäre (vgl. BVerwGE 36, 340, 343 = NJW 1971, 294).

24
3. Der Klägerin war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren mit der Folge, dass die Verwerfung der Berufung gegenstandslos ist.
Nobbe Müller Joeres
Mayen Grüneberg
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 14.07.2005 - 10 O 796/04 -
KG Berlin, Entscheidung vom 30.05.2006 - 4 U 116/05 -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und
2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2,
3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.

(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 84/02
III ZB 85/02
vom
25. September 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Frist, innerhalb deren eine versäumte Rechtsbeschwerdebegründung
nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nachzuholen ist (Fortführung von
BGH, Beschluß vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02).
BGH, Beschluß vom 25. September 2003 - III ZB 84/02 - AG Jena
LG Gera
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2003 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr
und Galke

beschlossen:
1. Die Verfahren III ZB 84/02 und III ZB 85/02 werden unter dem Aktenzeichen III ZB 84/02 verbunden.
2. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung der Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 7. Juni und vom 19. Juli 2002 - 1 S 128/02 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt. Einer Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Fristen zur Begründung der Rechtsbeschwerden bedarf es nicht.
3. Auf die Rechtsbeschwerden des Beklagten werden die vorbezeichneten Beschlüsse der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gera aufgehoben. Es wird festgestellt, daß die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 13. Februar 2002 - 28 C 577/01 - zulässig ist; einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bedarf es nicht.
4. Die Sache wird zur Sachentscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt; jedoch werden Gerichtskosten insoweit nicht erhoben (§ 8 GKG).
5. Streitwert: 1.074

Gründe


I.


Durch das auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2001 ergangene und am 13. Februar 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts wurde ein gegen den Beklagten ergangener Vollstreckungsbescheid aufrechterhalten, durch den der Beklagte verpflichtet worden war, an den Kläger 2.100 DM nebst Zinsen und Kosten zu bezahlen. Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 18. Februar 2002 zugestellt. Mit einem am 15. März 2002 beim Landgericht eingegangenen Telefax und einem am 18. März 2002 eingegangenen Originalschriftsatz legte der Beklagte Berufung ein. Die Berufungsbegründung ging am 18. April 2002 ein, zusammen mit einem Wiedereinsetzungsantrag. Das Berufungsgericht wies durch Beschluß vom 7. Juni 2002 den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurück und verwarf mit einem weiteren Beschluß vom 19. Juli 2002 die Berufung des Beklagten als unzulässig, da sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei.
Der Beschluß vom 7. Juni 2002, betreffend die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs , wurde dem Beklagten am 18. Juni 2002 zugestellt; derjenige vom 19. Juli 2002, betreffend die Verwerfung der Berufung, am 25. Juli 2002.
Mit einem am 17. Juli 2002 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Telefax hat der Beklagte Prozeßkostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß vom 7. Juni 2002 beantragt; mit einem weiteren
am 26. August 2002, einem Montag, durch Telefax eingegangenen Schriftsatz folgte ein weiteres Prozeßkostenhilfegesuch für eine Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß vom 19. Juli 2002.
Der Senat hat beiden Prozeßkostenhilfegesuchen durch Beschluß vom 28. November 2002, dem Beklagten zugestellt am 5. Dezember 2002, stattgegeben. Am 6. Dezember 2002 hat der Beklagte durch eine beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwältin gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 7. Juni und vom 19. Juli 2002 Rechtsbeschwerden eingelegt und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefristen nachgesucht. Zugleich hat der Beklagte beantragt, die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerden um zwei Monate zu verlängern ; diesem Antrag ist durch Verfügung des Vorsitzenden entsprochen worden (bis zum 3. März 2003). Die Begründung der Rechtsbeschwerden ist am 3. März 2003 eingegangen.

II.


Die Rechtsbeschwerden sind zulässig.
1. Zwar hatte der Beklagte die Notfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerden - einen Monat nach Zustellung der angefochtenen Beschlüsse (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) - versäumt. Dieses Versäumnis beruhte jedoch auf einem für ihn unverschuldeten Hindernis (§ 233 ZPO), nämlich seiner Mittellosigkeit. Nachdem ihm auf seine rechtzeitig gestellten Anträge Prozeßkostenhilfe bewilligt worden war, hatte er die versäumten Prozeßhandlungen, verbunden mit
einem Wiedereinsetzungsgesuch, rechtzeitig und formgerecht nachgeholt (§§ 234, 236 ZPO). Ihm war daher, wie geschehen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
2. Die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerden war durch die Zustellung der angefochtenen Beschlüsse ebenfalls in Lauf gesetzt und daher nach dem Wortlaut des Gesetzes ebenfalls versäumt worden (§ 575 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO). Eine den Wortlaut des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO strikt befolgende Handhabung dieser Vorschrift hätte daher die Notwendigkeit zur Folge, auch die Begründung der Rechtsbeschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses nachzuholen (§ 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO). Ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist hätte nach bisheriger Rechtsprechung die fristgerechte Nachholung der Begründung grundsätzlich nicht ersetzt (Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. 2003 § 236 Rn. 8 m.w.N.). In Fortführung der Erwägungen des XII. Zivilsenats in dessen Entscheidung vom 9. Juli 2003 (XII ZB 147/02) bedarf es indessen einer verfassungskonformen Auslegung des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO (und im Ergebnis des § 575 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO), wenn eine Partei wegen Mittellosigkeit nicht fristgemäß Rechtsbeschwerde einlegen konnte. Die arme Partei kann dann nicht gezwungen sein, auch die Rechtsbeschwerdebegründung innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist einzureichen, falls inzwischen, wie regelmäßig und so auch hier, auch die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist des § 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO verstrichen ist. Eine Verpflichtung der armen Partei, auch die Beschwerdebegründung innerhalb der nicht verlängerbaren Wiedereinsetzungsfrist nachzuholen, würde zu einer aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht hinnehmbaren Benachteiligung führen. Diese Regelung ist darum verfassungskonform zu korrigieren. Der XII. Zivilsenat zieht für den Fall
einer versäumten Berufungsbegründung - entsprechendes gilt für die hier in Rede stehende Rechtsbeschwerdebegründung mit der Maßgabe, daß die Begründungsfrist hier nur einen Monat statt wie dort zwei Monate beträgt - in Erwägung , die volle Frist erst mit Zustellung der Prozeßkostenhilfebewilligung in Lauf zu setzen. Alternativ dazu kommt in Betracht, daß mit Zustellung der die Wiedereinsetzung bewilligenden Entscheidung eine einmonatige Begründungsfrist in Lauf gesetzt wird. Dies entspricht der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes für die dortigen Verfahrensordnungen (Nachweise im Beschluß des XII. Zivilsenats vom 9. Juli 2003 aaO). Auch im vorliegenden Fall ist der Senat nicht gezwungen, sich abschließend auf einen der beiden Lösungswege festzulegen. Folgt man nämlich der zweiten Alternative - Begründungsfrist von einem Monat ab Zustellung der Wiedereinsetzungsentscheidung -, so würde die Frist erst mit der Zustellung des jetzigen Beschlusses in Lauf gesetzt und wäre damit durch die bereits vorliegende Beschwerdebegründung gewahrt. Beginnt hingegen die volle gesetzliche Begründungsfrist mit Zustellung der Prozeßkostenhilfeentscheidung, so muß konsequenterweise in Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung auch die gesetzliche Regelung des § 575 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 551 Abs. 2 Satz 6 ZPO gelten. Dies hat die Folge, daß der Vorsitzende berechtigt ist, unabhängig von den Schranken des § 234 ZPO auf Antrag des Beschwerdeführers die volle Verlängerungsmöglichkeit um bis zu zwei Monate auszuschöpfen. Eben dies ist hier geschehen. Die Beschwerdebegründung ist daher in jedem Falle rechtzeitig eingegangen, so daß es insoweit einer gesonderten Wiedereinsetzung nicht bedarf.
3. Die Rechtsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen den Verwerfungsbe- schluß vom 19. Juli 2002 richtet, nach § 522 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft.
4. Durch Beschluß des VIII. Zivilsenats vom 4. September 2002 (VIII ZB 23/02 = NJW 2002, 3783) ist geklärt, daß die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß auch dann zulässig ist, wenn - wie hier - die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist.
5. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert hier eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 zweite Alternative ZPO). Die Zulässigkeit der Berufung beurteilt sich hier noch nach altem Verfahrensrecht, da die letzte mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht bereits im Dezember 2001 stattgefunden hatte (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Dies hatte die Konsequenz, daß die Berufungsbegründungsfrist mit der Einlegung der Berufung begonnen hatte (§ 515 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO a.F.). Diese Konstellation wird in Zukunft nicht mehr eintreten können, da nunmehr auch für die Berufungsbegründungsfrist auf die Zustellung des Urteils abzustellen ist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F.). Gleichwohl vermag der Senat die Erforderlichkeit der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hier nicht schon deshalb zu verneinen, weil es sich um auslaufendes Recht handelt. Die angefochtene Entscheidung tangiert das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör. Sie steht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. im folgenden III). Die Obliegenheit der unteren Instanzen, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten und sich mit ihr auseinanderzusetzen, ist ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann Bedeutung behält, wenn das anzuwendende Recht selbst überholt ist.

6. Die Rechtsbeschwerde ist auch insoweit zulässig, als sie sich gegen den früheren Beschluß des Landgerichts vom 7. Juni 2002 richtet, durch den dem Beklagten die Wiedereinsetzung versagt worden ist. Auch insoweit ist sie statthaft (§ 238 Abs. 2 ZPO [unverändert] i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F.). Die Erwägungen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gelten hier entsprechend.

III.


Die Rechtsbeschwerden führen zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Berufungsbegründungsfrist hier nicht versäumt worden. Deshalb bedurfte es weder einer Wiedereinsetzung , noch hätte die Berufung als unzulässig verworfen werden dürfen. Wie oben bereits ausgeführt, war das auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2001 ergangene und am 13. Februar 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts dem Beklagten am 18. Februar 2002 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ging per Telefax am 15. März 2002 beim Landgericht ein; der Berufungsschriftsatz im Original folgte am 18. März 2002, d.h. noch innerhalb der Berufungsfrist. Die Berufungsbegründung ging zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 18. April 2002 ein. Dies bedeutete, daß die Begründungsfrist zwar bezogen auf die am 15. März 2002 durch Telefax eingelegte Berufung versäumt worden war, nicht jedoch bezogen auf die am 18. März 2002 durch Schriftsatz eingelegte Berufung. Dementsprechend lag hier dieselbe Konstellation vor wie bei dem Beschluß des II. Zivilsenats vom 20. September 1993 (II ZB 10/93 = NJW 1993, 3141): Wird durch Telefax zulässigerweise
Berufung eingelegt und innerhalb der Berufungsfrist auch das Original des Schriftsatzes bei Gericht eingereicht, dann liegt mangels abweichender An- haltspunkte eine mehrfache Berufungseinlegung mit der Folge vor, daß die zunächst wirkungslose zweite Einlegung wirksam wird, wenn die durch Telefax eingelegte Berufung ihre Wirksamkeit verliert. Der Umstand, daß die Berufung vom 15. März 2002 durch Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ihre Wirksamkeit verloren hatte, bewirkte also, daß die ebenfalls noch fristgemäß eingelegte Berufung vom 18. März 2002 Wirksamkeit erlangte und diese durch die rechtzeitig eingegangene Berufungsbegründung auch behielt.
2. Dementsprechend waren der Verwerfungsbeschluß vom 19. Juli 2002 aufzuheben und der die Wiedereinsetzung versagende Beschluß vom 7. Juni 2002 für gegenstandslos zu erklären.
Rinne Wurm Kapsa Dörr Galke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 142/07
vom
17. April 2008
in dem Schuldenbereinigungsverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und den Richter Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin Lohmann und die
Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
am 17. April 2008

beschlossen:
Der Senatsbeschluss vom 17. Januar 2008 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit im Ausspruch dahin berichtigt, dass der Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgerichts - Frankfurt an der Order vom 20. November 2006 aufgehoben wird, soweit der Antrag des Schuldners auf Ersetzung der Zustimmungen der beteiligten Einwendungsgläubiger Nr. 1 und 3 zurückgewiesen wurde.
Ganter Gehrlein Lohmann Fischer Pape
Vorinstanzen:
AG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 20.11.2006 - 3 IK 266/06 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 23.03.2007 - 19 T 14/07 -

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.