Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2013 - IV ZR 209/12

bei uns veröffentlicht am10.07.2013
vorgehend
Amtsgericht Karlsruhe, 2 C 100/11, 26.04.2011
Landgericht Karlsruhe, 6 S 3/11, 01.06.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 209/12
vom
10. Juli 2013
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Wendt,
Felsch, Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 10. Juli 2013

beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 1. Juni 2012 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.
Streitwert: 1.876,13 €

Gründe:


1
Wie die Auslegung der Revisionsanträge anhand des Revisionsvorbringens ergibt, wendet sich die Klägerin, deren am 2. Juni 2005 verstorbener Ehemann bei der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) pflichtversichert war, im Revisionsverfahren - entsprechend der vom Berufungsgericht darauf beschränkten Revisionszulassung - allein gegen die Kürzung ihrer Betriebsrente für Witwen. Inso- weit liegen die Voraussetzungen für die Zurückweisung der Revision nach § 552a Satz 1 ZPO vor.
2
1. Den Bruttobetrag (von monatlich 310,79 €) der an die Klägerin zunächst seit dem 1. Juli 2005 gezahlten Betriebsrente für Witwen kürzte die Beklagte im Jahre 2009 rückwirkend zum 1. Dezember 2007 um die Hälfte, wonach - anstelle der ursprünglichen Nettozahlung von monatlich 254,39 € -eine Netto-Betriebsrente von monatlich 128,20 € verblieb, die sich später geringfügig erhöhte.
3
Zugrunde lag, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin nach marokkanischem Recht neben ihr mit einer weiteren Frau verheiratet war. Dieser hatte die Beklagte rückwirkend seit dem 1. Dezember 2007 ebenfalls eine Betriebsrente für Witwen bewilligt und deshalb den Bruttobetrag der vom Versicherten erdienten Betriebsrente für Witwen unter den beiden Berechtigten nach Kopfteilen aufgeteilt.
4
Die Klägerin meint, das sei ohne rechtliche Grundlage geschehen, und begehrt Nachzahlung der seit August 2009 vorgenommenen Kür- zungen in Höhe von 1.876,13 €.
5
2. Gründe für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
6
Das Berufungsgericht hat die Satzung der Beklagten rechtsfehlerfrei ergänzend dahin ausgelegt, das Zusammentreffen zweier Berechtigungen auf eine Betriebsrente für Witwen führe entsprechend den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung und damit auch entsprechend Art. 25 Nr. 6 des Abkommens vom 25. Mai 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über soziale Sicherheit (Abk Marokko SozSich; BGBl 1986 II S. 552, 559) unabhängig von der jeweiligen Ehedauer zu einer Aufteilung des Rentenanspruchs nach Kopfteilen.
7
a) Die ergänzende Vertragsauslegung gehört zum Bereich tatrichterlicher Feststellungen und ist daher revisionsrechtlich nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht Auslegungs- oder Ergänzungsregeln , Denk- oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1990 - V ZR 113/89, BGHZ 111, 110 unter 3). Daran gemessen erweist sich das Berufungsurteil als frei von Rechtsfehlern. Die Voraussetzungen für eine ergänzende Satzungsauslegung hat das Berufungsgericht als erfüllt angesehen , weil eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und es Anhaltspunkte dafür gefunden hat, welche Regelung der Satzungsgeber getroffen hätte, wenn er den nicht geregelten Fall bedacht hätte (vgl. BGH aaO).
8
aa) Gegen die Annahme, das Zusammentreffen mehrerer Berechtigungen auf Witwenrente infolge einer Doppelehe werde nach dem jeweiligen Klauselwortlaut weder von der Verweisung auf die Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung in § 38 Abs. 1 Satz 2 VBLS noch von der Begrenzungsregelung in § 38 Abs. 3 VBLS erfasst, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwände, sondern stellt eine Regelungslücke der Satzung nur mit der Behauptung in Abrede, die Beklagte habe bewusst davon abgesehen , Witwenrenten beim Zusammentreffen mehrerer Berechtigter der Höhe nach zu begrenzen. Darin liegt aber lediglich der Versuch, die an- derslautende tatrichterliche Würdigung, es entspreche dem generellen Willen des Satzungsgebers, Rentenansprüche mehrerer Hinterbliebener insgesamt auf die Höhe der vom verstorbenen Versicherten erreichten Betriebsrente zu begrenzen, durch eine eigene, der Klägerin günstigere Würdigung zu ersetzen.
9
bb) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen , der Satzungsgeber hätte die Rentenhöhe bei Zusammentreffen mehrerer Witwenrenten begrenzt und nicht - wie die Revision meint - eine Regelung getroffen, nach der jede Witwe eines Versicherten die Witwenrente in voller Höhe erhält.
10
cc) Revisionsrechtlich ist schließlich auch nichts gegen die Annahme des Berufungsgerichts zu erinnern, die Satzung der Beklagten hätte sich an den Regelungen für die gesetzliche Rente in den §§ 34 SGB I, 91 SGB VI und insbesondere auch an Art. 25 Nr. 6 Abk Marokko SozSich orientiert, mithin eine Rententeilung nach Kopfteilen - und nicht proportional zur jeweiligen Ehedauer - vorgesehen (vgl. dazu BSG 87, 88 ff.). Nachdem die Bundesrepublik Deutschland die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen solcher polygamer Ehen im Verhältnis zum Königreich Marokko mit dem genannten Abkommen geregelt hat, spricht nichts dafür, dass die Tarifvertragsparteien oder die Beklagte für deren Zusatzversorgungssystem eine anderslautende Regelung getroffen hätten. Während das deutsche Recht insoweit keine eigenen Regeln für die Gewichtung der rentenrechtlichen Schutzwürdigkeit mehrerer Witwen entwickelt hat, werden mit dem genannten Abkommen stattdessen die Rechtsanschauungen des Kulturkreises übernommen, dem auch die Mehrehe der Beteiligten entspringt (vgl. dazu BSGE 87, 88).
11
b) Grundrechte der Klägerin sind durch die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht verletzt (vgl. BSGE 87, 88). Dass die Witwenrente unter den beiden Berechtigten auch proportional zur jeweiligen Ehedauer hätte aufgeteilt werden können, begründet keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es stellt bereits einen ausreichenden sachlichen Grund für die hier vorgenommene Aufteilung nach Kopfteilen dar, dass diese den in Art. 25 Nr. 6 Abk Marokko SozSich manifestierten marokkanischen Rechtsvorstellungen entspricht.
Wendt Felsch Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller

Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 26.04.2011 - 2 C 100/11 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 01.06.2012- 6 S 3/11 -

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Referenzen - Gesetze

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Zivilprozessordnung - ZPO | § 552a Zurückweisungsbeschluss


Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 34 Begrenzung von Rechten und Pflichten


(1) Soweit Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch ein familienrechtliches Rechtsverhältnis voraussetzen, reicht ein Rechtsverhältnis, das gemäß Internationalem Privatrecht dem Recht eines anderen Staats unterliegt und nach diesem Recht besteht,

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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch ein familienrechtliches Rechtsverhältnis voraussetzen, reicht ein Rechtsverhältnis, das gemäß Internationalem Privatrecht dem Recht eines anderen Staats unterliegt und nach diesem Recht besteht, nur aus, wenn es dem Rechtsverhältnis im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs entspricht.

(2) Ansprüche mehrerer Ehegatten auf Witwenrente oder Witwerrente werden anteilig und endgültig aufgeteilt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.