Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2010 - III ZB 35/10

bei uns veröffentlicht am24.11.2010
vorgehend
Landgericht Duisburg, 25 O 73/08, 30.09.2009
Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 U 7/10, 10.05.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 35/10
vom
24. November 2010
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2010 durch
den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dörr, Wöstmann, Seiters und
Tombrink

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. Mai 2010 - I-3 U 7/10 - wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: bis 155.000 €

Gründe:


I.


1
Die auf Zahlung von Maklerprovision gerichtete Klage wurde durch Urteil des Landgerichts vom 30. September 2009, das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9. Oktober 2009 zugestellt wurde, abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin am 4. Dezember 2009 Berufung ein und beantragte wegen der Versäumung der Berufungsfrist zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2
Insoweit führte sie aus: Erstinstanzlich sei die Angelegenheit durch Rechtsanwalt Dr. R. bearbeitet worden, der Ende 2008 vom Düsseldorfer ins Hamburger Büro der Sozietät gewechselt sei. Die Verhandlungstermine vom 10. Juni 2009 und 2. September 2009 habe Rechtsanwalt Dr. S. aus dem Düsseldorfer Büro wahrgenommen, der für interne Abrechnungszwecke eine Honorarakte auf sich angelegt habe. Bei Eingang des Urteils sei die Frist für die Berufung und Berufungsbegründung zusammen mit dem Aktenzeichen von Rechtsanwalt Dr. S. im zentralen Fristenkalender des Düsseldorfer Büros notiert und die Notierung auf dem Urteil vermerkt worden. Rechtsanwalt Dr. S. habe das Urteil mit dem Empfangsbekenntnis, das die Unterschrift von Rechtsanwalt Dr. R. trägt und mit einem Stempel des Hamburger Büros versehen ist, an das Hamburger Büro weitergeleitet und sich einige Tage später durch einen telefonischen Rückruf davon überzeugt, dass das Urteil im Hamburger Büro eingegangen und die Fristüberwachung von dort verantwortlich übernommen worden sei. Rechtsanwalt Dr. R. habe einige Tage später Rechtsanwalt L. aus dem Düsseldorfer Büro um die Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung gebeten. Dieser habe sich hierfür eine eigenständige Akte angelegt und sich durch telefonische Nachfrage überzeugt, dass die Frist zur Einlegung der Berufung im Hamburger Büro ordnungsgemäß notiert worden sei. Rechtsanwalt Dr. S. habe am 9. November 2009 bei Vorlage der Honorarakte die notierte Frist im Hinblick auf die ihm telefonisch bestätigte Fristüberwachung durch das Hamburger Büro abgezeichnet. Rechtsanwalt Dr. R. habe seine Sekretärin bei Vorlage der Akte einige Tage vor Fristablauf beauftragt, mit der Fristensachbearbeiterin im Düsseldorfer Büro zu klären, ob die Frist dort notiert sei und überwacht werde. Im Hinblick auf die vorbehaltlose Bestätigung der Fristüberwachung habe er die Frist für den 9. November 2009 als erledigt abgezeichnet. Rechtsanwalt L. sei die Akte - nach einer ersten Klärung der Sach- und Rechtslage - erst am 24. November 2009 aufgrund einer telefonischen Anfrage seiner Mandantin vorgelegt worden.
3
Während die Klägerin die Versäumung der Einlegungsfrist für die Berufung auf einen Fehler der Sekretärin von Rechtsanwalt Dr. R. zurückführt , die nicht geklärt habe, ob die in Düsseldorf notierte Frist sich auf die Honorarakte von Rechtsanwalt Dr. S. oder auf die Akte des zuständigen Sachbearbeiters Rechtsanwalt L. beziehe, hat das Oberlandesgericht einen Fehler des Prozessbevollmächtigten als nicht ausgeräumt angesehen, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.


4
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend entschieden.
5
1. Nach dem Vorbringen der Klägerin beruhte die Fristversäumung darauf, dass Rechtsanwalt L. als "zuständigem Sachbearbeiter für die Berufung weder die Akte noch (gemeint wohl: der Hinweis auf die ablaufende) Frist vorgelegt" wurde. Insoweit ist es für das Berufungsgericht nachvollziehbar offen ge- blieben, aus welchen Gründen im Fristenkalender des Düsseldorfer Büros die Eintragung der Berufungsfrist mit dem notwendigen Bezug zum Sachbearbeiter Rechtsanwalt L. unterblieben ist. War Rechtsanwalt L. Sachbearbeiter, hatte er - wie ein Anwalt für das Rechtsmittelverfahren, der eine Sache aus der Vorinstanz übernimmt - sich um die Wahrung der Rechtsmittelfrist zu kümmern, insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Frist im Kalender seines Büros in Düsseldorf notiert wurde. Unter solchen Umständen konnte es ihn, wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, nicht entlasten, dass er sich durch telefonische Nachfrage überzeugt hatte, dass die Berufungsfrist im Hamburger Büro notiert war.
6
2. Die Beschwerde hält dem entgegen, Rechtsanwalt L. sei im Zeitpunkt seiner Nachfrage noch nicht Sachbearbeiter für die Berufung, sondern lediglich mit der Prüfung der Erfolgsaussichten betraut gewesen. Er habe in dieser Funktion die Fristenkontrolle zwar übernehmen können, sei hierzu aber jedenfalls so lange nicht verpflichtet gewesen, wie noch nicht über die Einlegung der Berufung entschieden worden sei und die Fristenkontrolle - wie hier - durch das Sozietätsmitglied vorgenommen worden sei, dass die erste Instanz betreut habe.
7
Der Senat kann offen lassen, ob nicht auch ein Anwalt, der zunächst nur mit der Prüfung der Erfolgsaussichten betraut ist, gehalten ist, eine Frist in seinem Büro notieren zu lassen, weil bereits während seiner auch im Rahmen der Rechtsmittelbegründungsfrist durchführbaren Prüfung die rechtzeitige Berufungseinlegung im Auge zu behalten ist. Tatsache ist jedoch, dass sich Rechtsanwalt L. in seinem Wiedereinsetzungsantrag und in seiner eidesstattlichen Versicherung - in Übereinstimmung mit der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt Dr. R. - selbst als zuständigen Sachbearbeiter für die Berufung bezeichnet hat, wobei Rechtsanwalt Dr. R. als Hintergrund für die zu klärende Fristenüberwachung im Düsseldorfer Büro gerade auf seinen Auftrag Bezug genommen hat, Rechtsanwalt L. solle die Erfolgsaussichten einer Berufung überprüfen. Wollte man daher - wie die Beschwerde - annehmen , Rechtsanwalt L. sei zunächst noch nicht mit den Pflichten eines für das Berufungsverfahren verantwortlichen sachbearbeitenden Rechtsanwalts betraut gewesen, lässt der Wiedereinsetzungsantrag offen, ab wann dies der Fall gewesen ist. Darüber hinaus fehlt es unter solchen Umständen an Vorbringen , dass Rechtsanwalt Dr. R. in eigener Verantwortung dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsanwalt L. den Auftrag zur verantwortlichen Sachbearbeitung rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist erhalten und bestätigt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 4. April 2007 - III ZB 107/06, FamRZ 2007, 1007 Rn. 15 m.w.N.). Es wäre nicht eine auf seine Sekretärin delegierbare Aufgabe gewesen, im Zusammenhang mit der Abklärung der Fristenkontrolle im Düsseldorfer Büro mit der dortigen Fristensachbearbeiterin Rechtsanwalt L. mittelbar den Auftrag zu erteilen, die volle Sachbearbeitung in der Angelegenheit zu übernehmen. Deswegen ist auch ein - alternatives - Verschulden von Rechtsanwalt Dr. R. nicht ausgeräumt.
8
3. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob ein organisatorisches Verschulden nicht auch darin zu sehen ist, dass die Notierung von Fristen im Düsseldorfer Büro offenbar ohne eine genauere Differenzierung ihrer Relevanz vorgenommen wird, wobei sich der Bezug der für die Honorarakte von Rechts- anwalt Dr. S. notierten Frist für das hiesige Berufungsverfahren von vornherein nicht erschließt.
Schlick Dörr Wöstmann
Seiters Tombrink
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 30.09.2009 - 25 O 73/08 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.05.2010 - I-3 U 7/10 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

15
Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, der einen Rechtsmittelanwalt mit der weiteren Prozessführung betraut, muss in eigener Verantwortung dafür Sorge tragen, dass der zweitinstanzliche Anwalt den Auftrag rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist erhält und bestätigt (z.B. BGHZ 50, 82, 84; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 - IV ZB 11/01 - BGH-Report 2002, 389, 390; BGH, Beschluss vom 25. Januar 2001 - IX ZB 120/00 - NJW 2001, 1576; BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 - V ZR 99/73 - NJW 1975, 1125, 1126). Er hat weiter den rechtzeitigen Eingang dieser Bestätigung zu überwachen. Bleibt die Mandatsbestätigung des zweitinstanzlichen Rechtsanwalts aus, so muss der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Rückfrage halten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2001 und Urteil vom 7. Februar 1975 jeweils aaO). Weitergehende Pflichten treffen den erstinstanzlichen Rechtsanwalt aber nicht. Er hat allein für die Übernahme des Mandats und die sachgerechte Unterrichtung des Berufungsanwalts zu sorgen, damit dieser das Rechtsmittel fristgerecht einlegen kann. Die ordnungsgemäße weitere Ausführung des Mandats liegt hingegen außerhalb seines Verantwortungsbereichs (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 und BGH, Urteil vom 7. Februar 1975 jeweils aaO). Insbesondere braucht der erstinstanzliche Rechtsanwalt nicht zu überwachen und sich nicht zu erkundigen, ob die Berufungsschrift tatsächlich rechtzeitig eingereicht ist (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 aaO). Gegenteiliges ist auch dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Beschluss des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1971 (VII ZB 16/71 - VersR 1972, 200) nicht zu entnehmen.