Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Apr. 2008 - II ZR 51/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Berufungsgericht hat in vielfältiger Weise Vortrag des Klägers übergangen und dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
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- I. 1. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht - zunächst noch zutreffend - erkannt, dass das halbjährige Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen ohne weiteres eine Zahlungsunfähigkeit indiziert (siehe zuletzt BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 ff. Tz. 5 f. m.w.Nachw.). Es hat dann aber übergangen , dass der Kläger mehrfach, nämlich erstinstanzlich auf GA 50 und ausdrücklich erneut im Rahmen der Aufstellung der nicht beglichenen Forderungen auf GA 106 vorgetragen hat, dass jedenfalls gegenüber der AOK B. bereits seit dem 1. Januar 2002 Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden sind, was zusätzlich durch den ebenfalls in Bezug genommenen Strafbefehl (Anlage K 4 Seite 6) belegt wird. Hätte das Berufungsgericht diesen Vortrag berücksichtigt, ist nicht ausgeschlossen, dass es die Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Kläger (Juli 2002) bereits aufgrund dieser Tatsache angenommen hätte.
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- 2. Ebenfalls in entscheidungserheblicher Weise hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers im Zusammenhang mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Höhe von 511.291,88 € übergangen.
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- Zwar unterstellt es im Rahmen der Prüfung der Überschuldung das Bestehen dieser Forderung, so dass von einem vollständigen Nichtzurkenntnisnehmen des Vortrags nicht gesprochen werden kann. Ein Verstoß gegen Art. 103 GG liegt aber auch dann vor, wenn das Berufungsgericht Parteivortrag zwar nicht völlig außer Acht lässt, ihn jedoch in einer Weise abtut, die deutlich macht, dass es den wesentlichen Kern dieses Vortrags zu einer zentralen Frage nicht richtig erfasst und nicht ausreichend berücksichtigt hat (BVerfG, ZIP 2004, 1762, 1763 m.w.Nachw.).
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- So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hätte das Bestehen dieser Forderung - auch - bei der Prüfung der Zahlungseinstellung berücksichtigen müssen. Die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger kann bereits ausreichen, wenn diese Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist (BGHZ 149, 178, 184 f. m.w.Nachw.). Angesichts des vom Beklagten behaupteten Kontoguthabens in Höhe von ca. 240.000,00 € ist bei Berücksichtigung einer Forderung in Höhe von über 500.000,00 € nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht - auch - aufgrund dieser Tatsache die Zahlungseinstellung festgestellt hätte.
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- 3. Zu Unrecht und unter Verstoß gegen Art. 103 GG hat das Berufungsgericht ferner den Vortrag des Klägers zu den (Grunderwerbs-) Steuerrückständen, die ebenfalls ein Indiz für die Zahlungseinstellung sein konnten, nicht zur Kenntnis genommen, indem es diesen zu Unrecht als unsubstantiiert abgetan hat. Dass diese Steuer im April 2002 rückständig war, ist hinreichend dadurch dargetan, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Strafbefehls war, dessen Berechtigung der Beklagte insoweit nicht angegriffen hat. Gegen diesen substantiierten Vortrag konnte sich der Beklagte, anders als das Berufungsgericht meint, nicht, jedenfalls nicht in erheblicher Weise mit dem bloßen Hinweis verteidigen, der Kaufvertrag sei rückabgewickelt worden.
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- 4. Im Zusammenhang mit dem Vortrag des Klägers zu Gehaltsrückständen der GmbH gegenüber ihren Mitarbeitern, die ebenfalls Indizwirkung für eine Zahlungseinstellung haben, hat das Berufungsgericht weiteren entscheidungserheblichen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 GG übergangen. Der Kläger hat nämlich nicht lediglich Gehaltsrückstände gegenüber dem Arbeitnehmer Y. vorgetragen, den das Berufungsgericht berücksichtigt hat, sondern sowohl erst- als auch zweitinstanzlich (GA 49, 106) darauf hingewiesen, dass in den Monaten Mai, Juni und Juli 2002 weiteren Arbeitnehmern die Gehälter nicht gezahlt worden sind.
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- II. Im Zusammenhang mit der Behauptung des Klägers, die GmbH sei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO gewesen, hat das Berufungsgericht ebenfalls Vortrag des Klägers unter Verstoß gegen Art. 103 GG übergangen. Es hat insoweit lediglich den Vortrag zu der Forderung gegen die GmbH aus dem notariellen Kaufvertrag zur Kennt- nis genommen und gemeint, selbst unter deren Berücksichtigung sei die Bilanz 2001 nicht falsch. Den weiteren Vortrag des Klägers, die Forderung gegen die Firma M. in Höhe von 1,3 Mio. € sei nicht realisierbar gewesen mit der Folge, dass sie in der Bilanz nicht habe aktiviert werden dürfen, hat es hingegen übergangen. Die dadurch bedingte Verkürzung der Bilanzsumme zusammen mit der - vom Berufungsgericht gesehenen - Passivierungspflicht hinsichtlich der Kaufpreisforderung hätte bereits Ende 2001 zu einer rechnerischen Überschuldung der GmbH geführt. Auch das Übergehen dieses Vortrags ist entscheidungserheblich. Die nach dem Vortrag des Klägers unrichtige Jahresbilanz ist ein Indiz dafür, dass in dem entsprechenden Zeitpunkt die Gesellschaft auch im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet war. Gegengründe für die danach anzunehmende Insolvenzreife sind bisher weder vorgetragen noch festgestellt worden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist angesichts der Kürze der Zeitspanne zwischen dem Bilanzstichtag (Ende 2001) und dem Vertragsschluss (Juli 2002) grundsätzlich davon auszugehen, (siehe nur Sen.Urt. v. 12. März 2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 ff. Tz. 15 m.w.Nachw.), dass die Gesellschaft auch bei Vertragsschluss noch insolvenzreif war, sofern dieser Zustand bereits Ende 2001 bestanden hat.
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- III. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 20.03.2006 - 30 O 429/05 -
KG Berlin, Entscheidung vom 12.02.2007 - 10 U 79/06 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.
(2) Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.
(3) Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.