Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2001 - 5 StR 603/00

bei uns veröffentlicht am24.01.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 603/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2001

beschlossen:
Die Revision des AngeklagtenD gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. Juni 2000 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 22. Januar 2001 hat vorgelegen. Gleichwohl hält der Senat zur Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 StPO die Zweifel des Generalbundesanwalts an der Einhaltung der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO für durchgreifend.
Dem Revisionsvorbringen ist nicht hinreichend deutlich folgende maßgebliche Besonderheit der Verfahrensgestaltung zu entnehmen: Aus sachgerechten Erwägungen des Opferschutzes hat das Landgericht die – bei der Beweiswürdigung dann maßgeblich verwerteten – Angaben der Nebenklägerin hier primär ihrer Zeugenvernehmung vor der Polizei entnommen. Deren Videoaufzeichnung wurde zunächst mit dem ausdrücklich erklärten Ziel einer eventuell gänzlichen Vermeidung ihrer persönlichen Vernehmung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht (vgl. Protokollband Bl. 14). Dieser Vorlauf vor der persönlichen Zeugenvernehmung – die dann weitgehend nach § 247 StPO in Abwesenheit des Beschwerdeführers erfolgte – begründet einen Sonderfall. Im Rahmen der persönlichen Zeugenvernehmung der Nebenklägerin kam es danach möglicherweise nur noch zu einer vorher festgelegten ganz punktuellen Befragung, bei deren Thema von vornherein weitere Nachfragen fernlagen. Jedenfalls bei einem derartigen Verfahrensgang – der auch nach der protokollierten Dauer der Unterrichtung der Angeklagten gemäß § 247 Satz 4 StPO von höchstens zwei Minuten nicht fernliegt – wäre die Verhandlung über die Entlassung der Zeugin nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO zu bewerten; denn das persönliche Fragerecht des Angeklagten wäre dann von vornherein nicht tangiert gewesen (vgl. BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 20; BGH, Beschluß vom 10. August 1995 – 5 StR 272/95 –). Daher war in diesem Zusammenhang ein eindeutiger Vortrag des Beschwerdeführers zu den Einzelheiten jener besonderen Vernehmungsgestaltung unverzichtbar (vgl. auch BGH NStZ 2001, 48).
Abgesehen hiervon ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen auch kein konkreter Hinweis dazu, daß – gegebenenfalls zu welchem Thema – dem Beschwerdeführer durch die beanstandete Verfahrensweise eine zulässige ergänzende Befragung der Nebenklägerin durch ihn persönlich entgangen wäre. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob in der Nichtvereidigungsentscheidung nach § 60 Nr. 1 StPO, die in Anwesenheit der Angeklagten wiederholt wurde, auch eine Wiederholung der Entlassungsentscheidung – jeweils mit unmittelbar vorangegangener Verhandlung hierüber – liegt (vgl. auch BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 18; BGH, Beschluß vom 24. August 2000 – 1 StR 317/00 –).
Der Senat wiederholt, daß er in der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nach wie vor – gegen ihn bindende Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs (auch eingedenk der mittlerweile ergangenen in NStZ 2000, 440 abgedruckten Entscheidung des 4. Strafsenats) – generell keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO sieht (so bereits BGHR StPO § 247 – Abwesenheit 20; vgl. dazu Kuckein StraFo 2000, 397, 398). Einer entsprechenden Anfrage nach § 132 Abs. 3 GVG steht auch in dem hier vorliegenden Sonderfall die fehlende Entscheidungserheblichkeit entgegen.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

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Strafprozeßordnung - StPO | § 247 Entfernung des Angeklagten bei Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen


Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 60 Vereidigungsverbote


Von der Vereidigung ist abzusehen 1. bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinde

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Von der Vereidigung ist abzusehen

1.
bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben;
2.
bei Personen, die der Tat, welche den Gegenstand der Untersuchung bildet, oder der Beteiligung an ihr oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig oder deswegen bereits verurteilt sind.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 317/00
vom
24. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. August 2000 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allgäu) vom 31. März 2000 werden als unbegründet
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der
Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zum Vorbringen des Generalbundesanwalts bemerkt
der Senat:
1. Beide Angeklagte rügen, daß sie bei den Entscheidungen, den
Zeugen N. , der als Neffe des Angeklagten von seinem
Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch
gemacht hatte, gemäß § 61 Nr. 5 StPO unvereidigt zu
lassen und diesen Zeugen zu entlassen, nicht anwesend gewesen
seien.
Der Senat entnimmt jedoch der Niederschrift der Hauptverhandlung
(SB III, Bl. 455, 456), daß die Entscheidungen über die
(Nicht-)Vereidigung des Zeugen und dessen Entlassung als nur
vorläufig angesehen, den Angeklagten mitgeteilt und von ihnen
gebilligt wurden. Ein solches Vorgehen ist unbeschadet der Fra-
ge nach seiner Zweckmäßigkeit - rechtlich nicht zu beanstanden
(vgl., BGH, Beschluß vom 21. September 1999 - 1 StR 253/99).
Abgesehen davon spricht aber auch unter den gegebenen Umständen
, insbesondere nachdem die Angeklagten nach ihrer
Unterrichtung über den Ablauf der Vernehmung davon abgesehen
haben, Erklärungen abzugeben, hier nichts dafür, daß es
sich bei den genannten Entscheidungen um wesentliche Teile
der Hauptverhandlung gehandelt haben könnte (vgl. BGH, Beschluß
vom 10. August 1995 - 5 StR 272/95).
2. Der Angeklagte M. J . rügt, daß über einen Beweisantrag
auf Vernehmung seines Stiefsohnes R.
nicht entschieden worden sei. Dem liegt folgendes zu Grunde:
Der Angeklagten Ma. J. lagen auch (von der Revision
nicht näher dargelegte) "Übergriffe" zum Nachteil ihres - ausweislich
der Urteilsgründe inzwischen wieder in Jugoslawien lebenden
- Sohnes R. zur Last (Anklagepunkte VII und
VIII). Die Verteidigung der Angeklagten Ma. J . hatte
die Vernehmung von R. zum Beweise dafür beantragt,
daß sich die genannten Übergriffe nicht ereignet hätten. Wie die
Revision vorträgt, schloß sich der Angeklagte diesem Beweisantrag
an, da "die Zeugeneinvernahme des R.
auch hinsichtlich der Anklagepunkte I, II, III und IV sowie V von
erheblicher Bedeutung erschien". Im weiteren Verlauf der
Hauptverhandlung wurde das Verfahren hinsichtlich der Anklagepunkte
VII und VIII gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
Eine Entscheidung über den Beweisantrag erging nicht.
Die Revision macht in diesem Zusammenhang auch geltend, es
sei nicht ausgeschlossen, daß der Zeuge "im Hinblick auf den
Angeklagten ... weitere nicht unter die Tatkomplexe VII - VIII ...
fallende Aussagen gemacht hätte, die die restlichen Tatvorwürfe
in einem anderen Licht hätten erscheinen lassen".

a) Die unterbliebene Bescheidung eines Beweisantrags, mit dem
Behauptungen in das Wissen eines Zeugen gestellt werden, die
sich auf (später) gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Verfahrensteile
beziehen, gefährdet den Bestand des Urteils nur dann,
wenn nicht auszuschließen ist, daß die den Beweisbehauptungen
entsprechenden Aussagen des Zeugen (mittelbar) auch auf
die Urteilsfeststellungen Einfluß hätten haben können (vgl. BGH
StV 1982, 4; StV 1999, 636). Ob dies hier der Fall sein könnte,
kann der Senat jedoch nicht prüfen, da die Revision entgegen
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO schon nichts zu den der Angeklagten
Ma. J . zur Last liegenden und von R. nach
den Beweisbehauptungen zu entkräftenden Vorwürfen hinsichtlich
des R. mitteilt. Auch die ergänzend heranzuziehenen
Urteilsgründe (vgl. BGHSt 36, 384, 385) ergeben hierzu
nichts.

b) Mit dem Vorbringen, ein Zeuge, in dessen Wissen in einem Beweisantrag
bestimmte Behauptungen gestellt wurden, hätte -
unabhängig von den Beweisbehauptungen - deshalb vernommen
werden müssen, weil von ihm noch andere Aussagen zu
erwarten gewesen wären, wird im Ergebnis eine Verletzung der
Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt. Auch insoweit
fehlt es jedoch schon an dem erforderlichen Vortrag, welche
konkreten Aussagen von dem Zeugen zu erwarten gewesen wären.
Die Urteilsgründe ersetzen das fehlende Vorbringen (vgl.
oben 2 a) auch insoweit nicht: Danach haben die Angeklagten
(im Ermittlungsverfahren; in der Hauptverhandlung machten sie
keine Angaben) sowohl Tätlichkeiten an als auch sexuelle
Handlungen mit der Geschädigten - der im Tatzeitraum 15 und
16 Jahre alten V. Ra. , Tochter des Angeklagten
M. J. , Stieftochter der Angeklagten Ma. J.
- eingeräumt. Bestritten wurde lediglich, daß die Geschädigte
die sexuellen Handlungen wegen ihrer Mißhandlungen geduldet
habe; vielmehr habe sie ständig sexuellen Verkehr mit dem Angeklagten
verlangt. Dieser hat geltend gemacht, "eigentlich habe
seine Tochter ihn vergewaltigt". R. hat ausweislich der
Urteilsfeststellungen gegenüber der Zeugin Ml. geäußert
, "es sei traurig, was die" - gemeint waren damit die Angeklagten
- "mit V. machen, daß sie sie so prügeln". Weder
daraus noch sonst ergeben sich aber Anhaltspunkte dafür, daß
er von den sexuellen Handlungen überhaupt Kenntnis hatte und
insbesondere hätte bestätigen können, daß sie in keinem Zusammenhang
mit den (von den Angeklagten im Kern eingeräumten
und auch anderweitig vielfältig belegten) Mißhandlungen
der Geschädigten standen.
Granderath Nack Wahl
Schluckebier Kolz

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.