Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 25/13

bei uns veröffentlicht am05.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 25/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 5. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2013

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 23. August 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, versuchter Erpressung in zwei Fällen, versuchter Nötigung in drei Fällen, Bedrohung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und Beleidigung in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Der Verurteilung liegt eine Serie von Straftaten zugrunde, die der Angeklagte im Zeitraum von Mitte Dezember 2010 bis August 2011 zum Nachteil von vier jungen Frauen beging, zu denen er jeweils über das Internet Kontakt aufgenommen hatte. Zu zwei der Frauen, unter anderem zu der Nebenklägerin, hatte sich daraus eine sexuelle Beziehung entwickelt. Von allen Frauen ließ der Angeklagte sich über das Internet Nacktfotos schicken. Durch die Drohung, diese Fotos im Internet zu veröffentlichen, versuchte er die Frauen zur Übersendung weiterer Nacktfotos und die Nebenklägerin zur Fortsetzung der Beziehung mit ihm zu zwingen. In zwei Fällen versuchte er mit derselben Drohung die Zahlung eines Geldbetrages durchzusetzen. Darüber hinaus bedrohte und beleidigte er die Frauen. Die Nebenklägerin zwang er in einem Fall unter Einsatz körperlicher Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs.
3
2. Das Landgericht hat auf die Taten des im Zeitpunkt der ersten (Vergewaltigungs -)Tat noch heranwachsenden Angeklagten insgesamt Jugendstrafrecht angewendet und wegen der Schwere der Schuld und schädlicher Neigungen des Angeklagten eine Jugendstrafe verhängt. Sachverständig beraten ist es dabei von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Nach dem vom Landgericht für überzeugend erachte- ten Sachverständigengutachten liege beim Angeklagten zwar eine „Störung der Persönlichkeitsentwicklung“ vor, „die in wechselnder und unterschiedli- cher Ausprägung haltschwache, emotional instabile, narzisstische und sadis- tische Züge trage“. Dieses Störungsbild stelle aufgrund der resultierenden Alltagsbeeinträchtigungen und der sozialen Konsequenzen für den Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit dar. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit ergäben sich gleichwohl nicht. Die den Taten zugrunde liegenden Handlungsabläufe seien „relativ komplex, mehrschrittig, strukturiert und würden planerisches Vorgehen voraussetzen“. Zu bedenken bleibe, „inwieweit sich eine progredienteEinengung auf einen pathologischen Kompensationsversuch für ein von ständiger Dekompensati- on bedrohtes Selbstwertgefühl auf die Tatentstehung ausgewirkt habe“. Dies könne indes nicht ausreichend beurteilt werden, da zum inneren Kräftespiel von Abwehr und Impuls zur Tatausführung zu wenige Erkenntnisse vorlägen. Insgesamt würden die vorhandenen Einsichten noch nicht die Feststellung einer durch die psychische Störung bedingten erheblichen „Störung“ oder gar Aufhebung der Steuerungsfähigkeit erlauben (UA S. 29 f.).
4
3. Diese Begründung für die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
5
a) Angesichts der im Urteil geschilderten erheblichen Auffälligkeiten des Angeklagten im Alltags-, Sozial- und Sexualverhalten ist die Bejahung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nachvollziehbar. Dass diese die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten nicht erheblich beeinträchtigt haben soll, ist nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es wird nicht bedacht, dass auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein kann, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104, und vom 20. Februar 2001 – 5 StR 3/01, StraFo 2001, 249).
6
b) Zum anderen lassen die Erwägungen des Landgerichts besorgen, dass es bei der Prüfung der Frage, ob die psychische Störung des Angeklagten zu einer erheblichen Verminderung seiner Schulfähigkeit geführt hat, den Grundsatz „in dubio pro reo“ außer Acht gelassen hat. Bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit findet dieser Grundsatz Anwendung, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335). Entsprechendes hat auch zu gelten, wenn tatsächliche Zweifel daran bestehen, ob und in welchem Maße sich eine angenommene schwere seelische Störung auf die Tatentstehung ausgewirkt hat.
7
4. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass der Rechtsfolgenausspruch milder ausgefallen wäre. In Rahmen erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverstän- digen, bei dem ersichtlich dringend therapiebedürftigen Angeklagten auch die Frage einer Unterbringung nach § 63 StGB (vgl. auch § 5 Abs. 3 JGG) zu prüfen sein, die freilich nur bei gesicherter Feststellung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit angeordnet werden darf (vgl. zudem gegebenenfalls § 23 Abs. 1, § 10 JGG, § 56c Abs. 3 StGB).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 25/13 zitiert 7 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

Strafgesetzbuch - StGB | § 56c Weisungen


(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 10 Weisungen


(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der R

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 23 Weisungen und Auflagen


(1) Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen erzieherisch beeinflussen. Er kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen. Diese Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder aufh

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Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2007 - 5 StR 398/07

bei uns veröffentlicht am 04.12.2007

5 StR 398/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 4. Dezember 2007 in der Strafsache gegen wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2007 beschlossen : 1. Auf die Revision des Angeklagten

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Feb. 2001 - 5 StR 3/01

bei uns veröffentlicht am 20.02.2001

5 StR 3/01 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 20. Februar 2001 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2001 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urt

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2006 - 4 StR 141/06

bei uns veröffentlicht am 25.07.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 141/06 vom 25. Juli 2006 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 398/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2007 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 13. April 2007 nach § 349
Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision gegen das genannte Urteil
wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet
verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in
drei Fällen und wegen versuchter schwerer Brandstiftung in drei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn zur Zahlung von
Schadensersatz verpflichtet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel
hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
2 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts musste der Angeklagte
am Tattag sein Wohnheim verlassen, nachdem er auf einen Mitbewohner im
Rahmen einer aus ungeklärtem Grund begonnenen Auseinandersetzung mit
seiner Krücke eingeschlagen hatte. Der Angeklagte fühlte sich ungerecht
behandelt. Kurz darauf beschädigte er drei Kraftfahrzeuge ihm unbekannter
Eigentümer, indem er mit Steinen die Autoscheiben einwarf.
3 Etwa vier Stunden später begab er sich in den Vorraum eines in der
Spandauer Innenstadt gelegenen Reisebüros und zündete das dort in einer
Tonne gelagerte Papier und die auf einem Tisch ausgelegten Werbeprospekte
an. In dem Vorraum, dessen Fußboden und Decke aus Holz bestanden,
entwickelten sich 30 bis 40 Zentimeter hohe Flammen, die jedoch gelöscht
werden konnten, ohne dass es zu einer weiteren Ausbreitung des Brandes
kam. Unmittelbar darauf ging er in ein in der Nähe gelegenes Kaufhaus und
suchte mit Kleidungsstücken aus den Auslagen die Umkleidekabine auf. Dort
zündete er die Bekleidung an und legte sie auf die Sitzbank, die in Brand geriet
, welcher sich auf die hölzernen Kabinenwände ausbreitete. Ein Übergreifen
auf in der Nähe stehende Warenträger mit Textilien und auf den Holzfußboden
wurde durch Löscharbeiten der Kaufhausangestellten verhindert. Kurze
Zeit darauf wiederholte der Angeklagte diese Vorgehensweise in einem
anderen Kaufhaus in der Spandauer Innenstadt. Dort hing er die in Brand
gesetzten Bademäntel an die Kabinenwand, an der es zu Einbrennungen
kam. Ein in der Kabine befindlicher Hocker geriet in Brand. Dieser wurde von
Kunden bemerkt, die den Brand löschten und eine Ausbreitung auf in unmittelbarer
Nähe befindliche leicht brennbare Materialien und den hölzernen
Fußboden verhinderten. In allen drei Fällen beabsichtigte der Angeklagte
eine Brandausbreitung auf größere Teile des Geschäfts und der Haussubstanz
; bei ungehindertem Brandverlauf wäre es wegen der vielen brennbaren
und leicht entzündlichen Materialien hierzu auch gekommen.
4 2. Der Schuldspruch zeigt keine Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten
auf. Soweit allerdings die sachverständig beratene Strafkammer eine
relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit verneint hat, kann das Urteil
keinen Bestand haben.
5 Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht hierzu
festgestellt, dass bei dem Angeklagten, der auf Affekte nicht anspreche und
keine Gefühle empfinde, eine antisoziale Persönlichkeitsstörung bestehe, die
aber nicht die Qualität einer krankhaften seelischen Störung habe. Das lang
hingezogene Tatgeschehen und die komplexen Handlungsabläufe ergäben
keine Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit, der Angeklagte führe vielmehr
gezielt und koordiniert einen bewussten Rachefeldzug durch.
6 Diese Erwägungen sind nicht ausreichend, um angesichts der festgestellten
Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, ihren Auswirkungen
auf sein Vorleben und das Tat- und Nachtatgeschehen eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB nachvollziehbar auszuschließen.
Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass die Diagnose
einer Persönlichkeitsstörung nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit ist (BGHSt 49, 347). Für diese Annahme
und die Bewertung der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung
der Steuerungsfähigkeit bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen
beim Täter sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen
belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGH
NStZ 2006, 154).
7 Eine solche Gesamtschau (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
4, 9, 16, 24, 29) hat das Landgericht aber nicht angestellt, sondern eine entsprechende
Beeinträchtigung der Gesamtheit des Lebens des Angeklagten
ohne weitere Begründung abgelehnt. Dies ist rechtsfehlerhaft, da der im Urteil
festgestellte Werdegang des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen
lässt, der von einem intakten Sozialverhalten geprägt ist. Daher ist der
Schluss des Landgerichts, dass eine schwerwiegende allgemeine Einschränkung
seiner Handlungskompetenz, wie sie die Feststellung eines
überdauernden Zustands vom Schweregrad des § 21 StGB voraussetzt
(BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 4 StR 603/06), nicht gegeben ist,
hier eher fernliegend. In diesem Zusammenhang wäre nämlich zu erörtern
gewesen, dass der Angeklagte, der seit seiner Kindheit an einer chronischen
Muskelentzündung der Beine leidet, aufgrund dessen zu 30 Prozent schwerbehindert
und auf Gehhilfen angewiesen ist, von seinen Eltern wegen seiner
Behinderung abgelehnt wurde und seine Kindheit überwiegend in Heimen
verbrachte. Aufgrund seiner lebensfremden Einstellung entschied er sich
schon früh, keinen Beruf erlernen zu wollen, und lebt seit 1982 von Sozialhilfe.
Er hat nie gearbeitet. Für die Bewertung der Beeinträchtigung des bisherigen
Lebens des Angeklagten durch die psychische Störung ist auch von
Bedeutung, dass er zu keiner Zeit Freunde oder eine Intimpartnerin hatte.
Zudem wäre der Umstand, dass er seit etwa einem Jahr in einem Übergangswohnheim
für Obdachlose wohnte, welches er schließlich aufgrund
eines aggressiven Übergriffs verlassen musste, einzubeziehen gewesen.
8 Vor allem der Charakter der Taten als „Rachefeldzug“ gegenüber einer
Vielzahl von Menschen, die an vermeintlichen Kränkungen oder Zurücksetzungen
des Angeklagten nicht mitgewirkt haben, wäre als Indiz für die
Bewertung des Ausprägungsgrades der psychischen Störung zu erörtern
gewesen. Auch wäre zu prüfen gewesen, ob die Umsetzung der Rachepläne
vor allem durch Brandlegung, was auf eine gewisse Affinität zu Feuer schließen
lässt, im Zusammenhang mit der diagnostizierten Störung zu sehen ist.
Schließlich wäre im Rahmen der Gesamtschau auch das Verhalten des Angeklagten
nach seiner Festnahme zu berücksichtigen gewesen, bei dem er
erklärte, dass alles erst der Anfang sei, alle würden für das ihm angetane
Unrecht bezahlen, er werde Menschen töten, es sei ihm gleichgültig, wen es
erwische. Gleiches gilt für die dem Sachverständigen berichteten Drohungen.
9 Soweit das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
aufgrund der Persönlichkeitsstörung im Hinblick auf das gezielte
und koordinierte Handeln des Angeklagten ausgeschlossen hat, ist
diese Begründung ebenfalls nicht tragfähig (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
10, 14, 23). Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen
kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten
Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach
seinen Willensentschluss zu bilden (BGH StraFo 2001, 249).
10 Dass eine umfassende Beurteilung aller Kriterien zur Schuldunfähigkeit
führt, lässt sich nach den Feststellungen ausschließen, nicht indes die
Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Dies
hat die Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe, die für sich genommen
nicht überhöht sind, jedenfalls deshalb zur Folge, weil der Angeklagte
bei Annahme des § 21 StGB zugleich mit der Anordnung einer Maßregel
nach § 63 StGB rechnen muss. Sollte das neue Tatgericht nämlich,
naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, zu dem
Ergebnis kommen, dass der Angeklagte bei den Taten in seiner Steuerungsfähigkeit
mit Sicherheit erheblich vermindert war, was ungeachtet der bisherigen
Begutachtung keineswegs fernliegt, wird es auch über die Verhängung
einer Maßregel nach § 63 StGB zu entscheiden haben (§ 358 Abs. 2
Satz 3 StPO).
Basdorf Gerhardt Raum
Brause Schaal
5 StR 3/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Februar 2001

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie ist zum Schuldspruch unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht hat.
1. Die Strafkammer hat sich hierbei auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, der zwar das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in Form einer manifesten narzißtischen Per- sönlichkeitsstörung bejaht, eine hierauf beruhende erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten jedoch ausgeschlossen hat, da ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender Affektdurchbruch bei Begehung der Tat im Ergebnis zu verneinen sei. Wenngleich auch mehrere Anzeichen auf einen möglichen Affektdurchbruch hindeuteten, so sprächen doch die lange Planung, der komplexe Handlungsablauf und das umsichtige Nachtatverhalten des Angeklagten für den Erhalt seiner Steuerungsfähigkeit.
2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Wird eine „schwere“ andere seelische Abartigkeit festgestellt, die als Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nach dem Gesetz jeweils nur dann in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGHSt 37, 397, 401), so liegt es nahe, dieser Form der Persönlichkeitsstörung – sofern sie zu keinem Ausschluß der Schuldfähigkeit führt – die Wirkung einer von § 21 StGB geforderten „erheblichen“ Verminderung der Schuldfähigkeit zuzurechnen (BGHR StGB § 21 – seelische Abartigkeit 10, 20, 23; BGH NStZ 1996, 380). Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein motivischer Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Tatgeschehen besteht (vgl. Rasch StV 1991, 126, 130).

a) Als er den Entschluß faßte, die Zeugin W z u überfallen, befand sich der 43-jährige, ehemals gut situierte Angeklagte in einer desolaten Situation. Nach den Feststellungen war er völlig mittellos, erheblich unterernährt , drohte obdachlos zu werden – die zwangsweise Räumung seiner Wohnung stand unmittelbar bevor – und verfügte über keine erkennbaren familiären oder sonstigen Bindungen. In Verkennung der Realität war er infolge seiner als schwere andere seelische Abartigkeit eingestuften narzißtischen Persönlichkeitsstörung davon überzeugt, daß er Opfer von Behördenwillkür geworden sei und daß für seinen sozialen Abstieg Behördenvertreter, insbesondere die für ihn zuständige Sachbearbeiterin des Sozialamtes, die Zeugin W , verantwortlich seien. Diese hatte nach vielen fruchtlosen Ermahnungen, den für den Bezug von Sozialhilfe erforderlichen Mitwirkungspflichten (Nachweis über persönliche Arbeitsbemühungen, Meldung bei der Arbeitsvermittlung, Einhalten von Terminen) nachzukommen, schließlich die Einstellung der Sozialhilfe an den Angeklagten angeordnet und die behördlichen Mietzahlungen storniert. Wegen ihrer in seinen Augen insgesamt feindseligen und unangemessenen Haltung wollte der Angeklagte sich an der Zeugin rächen. Sein Ziel war es, ihr eine Lehre zu erteilen, daß sie so nicht mit ihm umspringen könne. Überdies beabsichtigte er ein Zeichen zu setzen, und durch eine Tat, die nicht als „dummer Jugenstreich“ gewertet werden könne, auf seine Misere aufmerksam zu machen (UA S. 27). Am Tage der Zwangsräumung suchte er das Dienstzimmer der Zeugin auf, und verlangte von ihr unter Vorhalt eines geladenen Revolvers die Herausgabe ihrer Geldbörse und der Kassengelder des Sozialamtes. Als die Zeugin dieser Forderung nicht nachkam und sich wortlos anschickte, das Zimmer zu verlassen, stieg in dem Angeklagten ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit auf, möglicherweise fühlte er sich auch beschämt, weil sein Vorhaben mißlungen war. Das Verhalten der Zeugin bewertete er als weiteren Beweis für ihren von ihm so oft beklagten Mangel an sozialer Kompetenz (UA S. 30, 31). Aufgrund eines neuen Tatentschlusses gab er nunmehr aus einer Entfernung von ein bis zwei Metern drei Schüsse auf die Zeugin ab, um seiner Enttäuschung über ihr Verhalten Ausdruck zu verleihen und sie zu bestrafen (UA S. 31). Die Zeugin erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Nach der Tat entledigte sich der Angeklagte der Waffe und stellte sich wenige Stunden später der Polizei.

b) Auch unter Berücksichtigung der im Urteil ausführlich dargelegten Vorgeschichte, die zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten aufzeigt , und mit Blick darauf, daß die festgestellte psychische Störung des Angeklagten erkennbar auch in dem Tatgeschehen zum Ausdruck gekommen ist, hätte das Landgericht die von ihm vertretene Auffassung, daß trotz der Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gegeben war, näher erläutern müssen. Die vom Landgericht angeführte Begründung, daß ein Affektdurchbruch im Ergebnis nicht vorgelegen habe, geht fehl. Hier war nämlich in erster Linie zu prüfen, ob der Angeklagte allein infolge seiner abnormen Persönlichkeit in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt war, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden ist, und ob dadurch seine Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 21 – seelische Abartigkeit 14). Daß der Angeklagte überlegt und zielgerichtet gehandelt hat, schließt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus (vgl. BGHR StGB aaO 10, 14, 23). Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluß zu bilden (vgl. BGHR StGB aaO 14).
3. Der Senat schließt aus, daß in der neuen Hauptverhandlung die Prüfung der Schuldfähigkeit zu dem Ergebnis führen wird, daß Schuldunfähigkeit anzunehmen oder nicht auszuschließen sei. Er hebt deshalb nur den Strafausspruch auf. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Voraussetzungen des § 21 StGB bejahen, so wird auch die Frage zu prüfen sein, ob eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB anzuordnen ist; das Verschlechterungsverbot würde dem nicht entgegenstehen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Brause

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 141/06
vom
25. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Juli 2006 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 20. Oktober 2005 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zu den Vorfällen am 19. Februar 2005, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Der Verurteilung des Angeklagten liegt Folgendes zu Grunde:
4
1. Am 8. Januar 2005 hielt sich der nunmehr 34 Jahre alte Angeklagte gegen 8.45 Uhr an einem Kiosk in Iserlohn auf. "Er öffnete seine Hose und onanierte vor den Zeuginnen F. und ihrer Tochter H. , die sich im Kiosk aufhielten, an seinem Penis, weil es ihn sexuell erregte, sich in dieser Weise fremden Frauen zu zeigen". Als ihn die Zeuginnen anschrieen, entfernte sich der Angeklagte. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zum Zeitpunkt der Tat max. 1,6 ‰ (Fall II. 1 der Urteilsgründe).
5
2. In der Folgezeit suchte der Angeklagte in den Abend- oder Nachtstunden etwa 80 bis 100 mal verschiedene Wohngegenden in Iserlohn auf, um eine günstige Gelegenheit zu finden, "zu voyeurieren oder exhibitionistische Handlungen vorzunehmen".
6
Am 19. Februar 2005 drang er gegen 5.30 Uhr in ein Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in Iserlohn ein, das etwa 500 m von seiner Wohnung entfernt liegt. Er betrat nacheinander die Zimmer von drei Heimbewohnerinnen. Zwei der Zimmer verließ er wortlos, als die 65 bzw. 79 Jahre alten Heimbewohnerinnen erwachten. In einem weiteren der Zimmer trat er an das Bett der 83jährigen Heimbewohnerin heran und streichelte deren Wange. Als diese ihn fragte, was er denn da mache, verließ der Angeklagte das Zimmer. Dieses Geschehen ist nicht Gegenstand des Anklagevorwurfs.
7
3. Am 6. März 2005 suchte der Angeklagte nach dem Besuch einer Gaststätte (Blutalkoholkonzentration max. 1,6 ‰) erneut das Altenwohnheim auf und drang über eine unverschlossene Terrassentür in die gemeinsame Wohnung der 91jährigen Frau Sch. und der 94jährigen Frau O. ein. Er ging zunächst zu deren Bett, fasste ihr unter dem Nachthemd an die Brüste und massierte diese, bis Frau O. aufwachte und die Hände des Angeklagten weg schob. Sodann ging er zu dem Bett der Frau Sch., fasste ihr oberhalb der Nachtbekleidung an die Brüste und massierte diese. Als Frau Sch. erwachte, sagte der Angeklagte: "Halt die Klappe", und flüchtete durch die Terrassentür (Fall II. 2 b der Urteilsgründe).

II.


8
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 27. Juni 2006. Ebenso rechtsfehlerfrei sind auch die Feststellungen zu den Vorfällen am 19. Februar 2005, die deshalb bestehen bleiben können.
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2. Dagegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nach § 21 StGB in beiden Fällen ausgeschlossen hat, rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.
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a) Das Landgericht hat zur Frage der Schuldfähigkeit im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Soweit der Angeklagte vor der am 8. Januar 2005 begangenen Tat seit Ende November 2004 etwa 10 Injektionen Testosteron zu je 250 mg erhalten habe, spiele dies nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen weder für sich betrachtet noch im Zusammenhang mit der Alkoholintoxikation eine forensisch relevante Rolle, wenngleich nicht auszuschließen sei, dass die sexuelle Enthemmung beim Angeklagten verstärkt worden sei. Zur Frage der Wechselwirkung von Alkohol und Testosteron gebe es keinerlei verlässliche wissenschaftliche Studien oder Abhandlungen darüber, dass Testosteron die Wirkung von Alkohol verstärke. Auch im Fall II. 2 b der Urteilsgründe habe in Übereinstimmung mit dem mündlichen Sachverständigengutachten , "nach dem eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht sicher angenommen werden könne," eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB auch vor dem Hintergrund der Testosteronbehandlung nicht festgestellt werden können.
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b) Diese Erwägungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung der Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit den Grundsatz "in dubio pro reo" außer Acht gelassen hat. Dieser Grundsatz ist zwar auf die rechtliche Wertung der zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen nicht anwendbar (vgl. BGHSt 14, 68, 73; BGH NStZ 1996, 328 m.w.N.). Anwendung findet der Zweifelssatz jedoch bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen (vgl. BGH aaO).
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c) Die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken auch deshalb, weil die Urteilsgründe die für die Beurteilung der sich nach den Feststellungen aufdrängenden Frage, ob beim Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliegt, gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 16, 33, 37) vermissen lassen.
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Das Landgericht hat lediglich im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB darauf hingewiesen, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen zwar auf der Grundlage einer dissozialen Persönlichkeitsstörung eine „dissexuelle Fehlentwicklung“ vorliege, diese jedoch nicht die Kriterien einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erfülle, weshalb eine Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht in Betracht komme. Zudem bestehe kein Anhaltspunkt für die Ausbildung einer sexuellen Perversion oder von sexuellen sadistischen Zügen. Vielmehr resultiere die sexuelle Dissozialität aus einer "unterliegenden selbstunsicheren Persönlichkeit des Angeklagten", der damit sein Sozialversagen im Sexuellen ausdrücke (UA 31).
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Auf die Auffälligkeiten bei den abgeurteilten Taten, wie sie sich aus den Urteilsfeststellungen ergeben, ist das Landgericht dagegen - ebenso wie bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB - nicht näher eingegangen. Dies gilt auch für die Auffälligkeiten der Vortaten, die den einschlägigen Vorverurteilungen des Angeklagten durch Urteil vom 5. September 1996 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und exhibitionistischer Handlungen zu einer zehnmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe mit Bewährung, durch Urteil vom 24. Juni 1998 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie durch Urteil vom 21. Juni 2002 wegen sexueller Nötigung und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zu Grunde liegen. Im Rahmen der Begründung der auf § 66 Abs. 1 StGB gestützten Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht hierzu zutreffend ausgeführt, dass sowohl die abzuurteilenden Taten als auch die Vortaten "alle eine für den Angeklagten eigentümliche Art und Richtung des verbrecherischen Hanges" aufzeigen. Sowohl die Vortaten als auch die abzuurteilenden Taten machten deutlich, dass der Angeklagte es nicht beim bloßen Exhibitionismus und Voyeurieren belasse, sondern bei einigen der Taten in private Wohn- und Lebensbereiche eingedrungen sei und dort den sexuellen Kontakt zu ihm unbekannten und zum Teil wehrlosen Opfern gesucht habe. Beweggrund sei dabei stets gewesen, sexuelle Tagträume und Phantasien in deviante Handlungen münden zu lassen. Zudem sei eine deutliche Steigerung zu verzeichnen, weil die Taten nicht nur auf die Begehung exhibitionistischer Handlungen, sondern auch auf Sexualdelikte von Gewicht gerichtet gewesen seien.
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Diese Besonderheiten, insbesondere auch die - allein im Zusammenhang mit der Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung erörterte - kurze zeitliche Abfolge der Taten und die seit 1995 mehrfach gescheiterten Versuche, eine Sozialtherapie durchzuführen, hätten bei der Prüfung der Frage, ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der möglichen Folge einer erheblichen Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit vorlag, namentlich unter dem Gesichtspunkt einer Triebstörung (vgl. BGH NStZ 2001, 243; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 16, jew. m.w.N.), einer Gesamtschau unterzogen werden müssen.
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d) Dass eine bei umfassender Beurteilung gegebenenfalls festzustellende schwere andere seelische Abartigkeit die Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Folge gehabt haben könnte, lässt sich nach den eingehenden Feststellungen zu seinem Werdegang und seinen Taten ausschließen, nicht aber die Möglichkeit der Feststellung oder Nichtausschließbarkeit einer erheblichen Vermin- derung der Steuerungsfähigkeit. Dies hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge.
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3. Der die Schuldfähigkeitsbeurteilung betreffende Rechtsfehler nötigt hier auch zur Aufhebung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Zwar hat das Landgericht das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass der neue Tatrichter sogar zu der sicheren Feststellung gelangt, dass der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat, so dass die Anordnung der Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß 63 StGB in Betracht kommt (vgl. BGHSt 34, 22, 26; 42, 385, 386), die gemäß § 72 Abs. 1 StGB Vorrang vor der Anordnung der Sicherungsverwahrung haben kann.
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4. Für das weitere Verfahren wird es sich empfehlen, einen weiteren anerkannten psychiatrischen Sachverständigen zuzuziehen. Die knappen Urteilsausführungen zur Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit geben Anlass zu dem Hinweis, dass der Tatrichter seiner Aufgabe, sich eine eigene Überzeugung über den Zustand des Angeklagten zu bilden, grundsätzlich nicht dadurch gerecht wird, dass er lediglich die Befunde des Sachverständigen wiedergibt, ohne sich mit diesen auseinanderzusetzen. Jedenfalls müssen, wenn der Tatrichter dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ohne Angabe eigener Erwägungen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergegeben werden , wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ 2001, 243 m.w.N.).
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanović RiBGH Dr. Ernemann ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben.
Maatz

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen erzieherisch beeinflussen. Er kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen. Diese Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Die §§ 10, 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 gelten entsprechend.

(2) Macht der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung oder erbietet er sich zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht der Richter in der Regel von entsprechenden Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn die Erfüllung der Zusagen oder des Anerbietens zu erwarten ist.

(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,

1.
Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
2.
bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
3.
eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
4.
Arbeitsleistungen zu erbringen,
5.
sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
7.
sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich),
8.
den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder
9.
an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen.

(2) Der Richter kann dem Jugendlichen auch mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen.

(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(2) Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen,

1.
Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen,
2.
sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden,
3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen,
4.
bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen oder
5.
Unterhaltspflichten nachzukommen.

(3) Die Weisung,

1.
sich einer Heilbehandlung, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder
2.
in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen,
darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden.

(4) Macht der Verurteilte entsprechende Zusagen für seine künftige Lebensführung, so sieht das Gericht in der Regel von Weisungen vorläufig ab, wenn die Einhaltung der Zusagen zu erwarten ist.