Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2011 - 5 StR 199/11

bei uns veröffentlicht am08.06.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 199/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 31. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Im Wiederaufnahmeverfahren hat das Landgericht Chemnitz das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 24. Juni 1994, durch das der Angeklagte wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden war, aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen; zugleich hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg; im Übrigen – die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten betreffend – ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
Am 25. August 1993 erschoss der aus Vietnam stammende Angeklagte in der Wohnung eines Landsmannes zwei weitere Vietnamesen mit einer kurz zuvor erworbenen Pistole. Er feuerte aus unmittelbarer Nähe und in schneller Folge mehrfach auf die beiden von dem Angriff völlig überraschten Opfer. Beide verstarben noch am Tatort. Einen Tag später stellte sich der Angeklagte der Polizei.
4
Die Schwurgerichtskammer gelangt zu der Überzeugung, dass der Angeklagte die Taten aufgrund einer durch eine schizophrene Psychose hervorgerufenen Wahnvorstellung beging. Sein angegebenes Tatmotiv, die Getöteten hätten ein Schutzgeld von ihm erpressen wollen, beruhe auf einer wahnhaften Verkennung der Wirklichkeit; der Angeklagte habe sich auch in der Wohnung von den später Getöteten bedroht gefühlt. Sachverständig beraten kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass beim Angeklagten eine paranoide Psychose vorlag, die „tat- und tatzeitbezogen nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, sondern im Wege der Nichtausschließbarkeit“ (UA S. 20) auch zu einer Aufhebung seiner Schuldfähigkeit im Tatzeitraum führte, und gelangt daher zu einem Freispruch des Angeklagten. Auf der Grundlage der Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger sowie der Aussagen zweier sachverständiger Zeugen bejaht sie indes seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, die eine Unterbringung gemäß § 63 StGB erfordere.
5
2. Soweit das Landgericht beweiswürdigend eine nicht ausschließbare völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, möglicherweise sogar schon der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB), jedenfalls aber eine erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) annimmt, ist dies frei von Rechtsfehlern. Auch eingedenk des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt daher der Freispruch des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen bestehen.
6
3. Indes war der Maßregelausspruch aufzuheben. Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung , weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Dies gilt ungeachtet des Gewichts der Anlasstaten auch im vorliegenden Fall, in dem der Betroffene wegen der von ihm im nicht ausschließbaren Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat bereits seit 17 Jahren inhaftiert ist. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
7
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Wegen des immensen zeitlichen Abstands zu den Anlasstaten reicht hierfür der Charakter der Anlasstaten ausnahmsweise nicht aus. Das Landgericht hat sich darauf beschränkt , die Gefährlichkeitsbeurteilungen der beiden psychiatrischen Sachverständigen und der beiden sachverständigen Zeugen wiederzugeben, die seinen Schluss des Landgerichts zwar übereinstimmend stützen. Erforderlich wäre, die wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständigenbewertung im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis der gutachtlichen Äußerungen und zur Beurteilung ihrer Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 397/08; Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07; BGH, Urteil vom 15. Januar 2003 – 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307 f., Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232, jeweils mwN).
8
Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen und sachverständigen Zeugen werden aus der Schilderung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und insbesondere seines Verhaltens während der Haft nicht belegt. Dem Urteil ist lediglich Folgendes zu entnehmen: Während sein Vorleben vor der Tat, abgesehen von ehelichen Problemen, weitgehend unauffäl- lig war, fiel er zu Beginn seiner Haftzeit durch Verstöße gegen die Hausordnung auf, denen jedoch damals keine psychotische Bedeutung beigemessen wurde. Ab 1996 zeigten sich „zunehmend Verhaltensauffälligkeiten“, weshalb er sich wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand. In diesem Zusammenhang werden nur vom Angeklagten berichtete Körperbeeinflussungsphänomene geschildert. Nachdem er sich deswegen in der Zeit von August 1997 bis Januar 1998 im Haftkrankenhaus befunden hatte, in dem ein schizoaffektives Syndrom diagnostiziert wurde, trat zunächst eine Beruhigung der Symptomatik ein. Im Jahr 2001 kam es zu erneuten Symptomen der psychiatrischen Erkrankung. Ab dem Jahr 2008 führte sich der Angeklagte weitgehend unauffällig.
9
Abgesehen von den anfänglichen Verstößen gegen die Hausordnung, denen für die Gefährlichkeitsprognose jedenfalls kein auf der Hand liegendes Gewicht zukommt, werden keine konkreten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten geschildert. Insbesondere finden sich keine Hinweise, auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug. Über den Zeitraum zwischen 2001 und 2008 macht das Urteil keinerlei konkrete Angaben. Inwieweit der Angeklagte eine psychiatrische Behandlung erfuhr, ist nur in unzureichendem Maße ersichtlich. Das Urteil macht auch keine Ausführungen dazu, ob dem Angeklagten Vollzugslockerungen gewährt wurden und wie diese gegebenenfalls verlaufen sind. Angesichts dieser Darlegungsmängel vermag der Senat die Gefahrenprognose des Landgerichts nicht nachzuvollziehen.
10
4. Der Maßregelausspruch ist daher mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind die Feststellungen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Taten, die bestehen bleiben. Sie können durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden. das Landgericht entfällt der Ausspruch über den Ausschluss der Entschädigung ; über die Verpflichtung zur Entschädigung ist in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu befinden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG).
Basdorf Raum Schneider
König Bellay

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 8 Entscheidung des Strafgerichts


(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 397/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Oktober 2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2008

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. März 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat hinsichtlich der Maßregelanordnung Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts biss der schuldunfähige Beschuldigte seinem Betreuer bei einem Streit ein Stück vom Ohr ab.
3
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
4
„1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Hergang der Tat können bestehen bleiben.
5
2. Die Unterbringungsentscheidung hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustands voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat weder ausreichend dargelegt, dass der Beschuldigte schuldunfähig war, noch ausreichend dessen Gefährlichkeit begründet.
6
a) Wenn sich der Tatrichter − wie hier − darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen , muss er dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2008 − 5 StR 599/07 −; BGH NStZ 2003, 307 f.; NStZ-RR 2003, 232 jeweils m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die Kammer hat sich auf die Wiedergabe von pauschalen Wertungen beschränkt, ohne diese inhaltlich zu konkretisieren. Das gilt auch, wenn man die Feststellungen des Landgerichts zur Person des Beschuldigten und zur Vorgeschichte des Vorfalls einbezieht. So teilt das Landgericht bei der Darstellung der persönlichen Verhältnisse mit, dass die beim Beschuldigten bestehenden querulatorischen Züge seit 1997 das Vollbild einer chronofizierten, unkorrigierbaren wahnhaften Störung im Sinne eines Querulantenwahns erreicht haben (UA S. 4). Der Arzt des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Berlin-Lichtenberg habe 1998 eine hochgradige , schizoide Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert diagnostiziert (UA S. 5). In der Beweiswürdigung nennt das Landgericht unter Hinweis auf das Sachverständigengutachten eine „wahnhafte Störung“ als Grund für den Ausschluss der Steuerungsfähigkeit. Die genannten („Vielzahl“) nervenärztlichen Gutachten, die die Sachverständige für ihr Gutachten herangezogen habe, werden nicht näher dargestellt (UA S. 17). Die vereinzelten Hinweise der Kammer zu (wahnhaften) Vorstellungen und Verhaltensauffälligkeiten sind nicht ausreichend. Ein ausdrückliches Eingehen auf das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten wäre hier auch deshalb von Nöten gewesen , weil die Urteilsgründe nicht deutlich machen, ob die vom Tatgericht angenommene Wahnsymptomatik auf eine endogene Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie und der Zustand damit tatsächlich unter die „krankhafte seelische Störung“ einzuordnen ist − was naheliegt − oder ob die Paranoia des Beschuldigten zu den „schweren anderen seelischen Abartigkeiten“ im Sinne des § 20 StGB gehört (vgl. BGH NStZ 1997, 335 f.).

7
b) Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Auch hier ist es der Sachverständigen gefolgt und hat lediglich ausgeführt , dass es aufgrund des verfestigten Wahnerlebens sicher zu erwarten sei, dass der Beschuldigte auch in Zukunft in Konflikte mit Stellen oder Personen geraten werde, die einen Aufbau von affektiven Spannungen begründen und zu Eskalationen führen werden (UA S. 21, 22). Es fehlt eine Auseinandersetzung damit, dass der Beschuldigte nach dem Vorfall am 4. Mai 2004 erst wieder im Januar 2007 auffällig geworden ist, als es ihm während des bestehenden Betreuungsverhältnisses nicht mehr möglich war, Bargeld von seinem Konto abzuheben, und er gegen seinen Betreuer tätlich wurde. Ferner verhielt sich der Beschuldigte in den sechs Monaten zwischen dem Angriff auf seinen Betreuer und der vorläufigen Unterbringung am 19. Juli 2007 [vollzogen ab 24. August 2007] unauffällig. Hinzu kommt, dass das Landgericht auch die Gründe des Beschlusses des Amtsgerichts Lichtenberg vom 10. April 2007 (UA S. 5), mit dem die Betreuungsanordnung aufgehoben wurde, nicht erörtert.“
8
Dem schließt sich der Senat an.
Basdorf Raum Brause Schaal Dölp
5 StR 599/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 19. Februar 2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Februar 2008, an der teilgenommen haben:
Richterin Dr. Gerhardt
alsVorsitzende,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
alsVerteidigerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. September 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, abgelehnt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Beschuldigte die ihm in der Antragsschrift zur Last gelegten vier rechtswidrigen Taten begangen hat, die es rechtlich als Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung sowie unerlaubtes Führen einer Waffe gewertet hat. Jedenfalls bei den ersten drei Taten sei der Beschuldigte aufgrund einer psychotischen Störung schuldunfähig gewesen, bei der Begehung des Waffendelikts sei die Aufhebung der Schuldfähigkeit aufgrund eines Alkoholentzugsdelirs nicht auszuschließen. Es fehle jedoch an der weiteren Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB, dass nämlich infolge des Krankheitszustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und der Beschuldigte deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
3
Zu dem jeweiligen Tatablauf hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
In der Nacht zum 5. Juli 2006 bedrohte der Beschuldigte einen Mitbewohner unter Vorhalt eines Messers mit dem Tode und schlug zudem mit dem Messer gegen dessen Gehstock.
5
Als die daraufhin verständigten Polizeibeamten das Zimmer des Beschuldigten betraten, saß er auf seinem Bett, wobei er in der Hand ein Küchenmesser hielt; er war erregt und beschimpfte die Beamten. Das Messer legte er trotz Aufforderung nicht weg. Als die Beamten schließlich Pfefferspray einsetzten , „fuchtelte“ er „mit dem Messer unkontrolliert in die Richtung der Polizeibeamten“.
6
Am Morgen des 15. August 2006 warf der Beschuldigte seine ihm nicht gehörende Zimmereinrichtung aus dem im Erdgeschoss gelegenen Zimmer auf die Straße. Bei Eintreffen der Polizeibeamten hielt er einen Hammer in der Hand, mit dem er zunächst „herumfuchtelte“, ihn dann aber auf Aufforderung beiseite legte. Am Nachmittag des Tages schlug der Beschuldigte den Putz von den Wänden. Dies beendete er kurzfristig, als erneut Polizeibeamte eintrafen. Als diese sich wieder entfernt hatten, riss er das Parkett, die Fensterverschalung , Steckdosen und die Verkabelung heraus.
7
Am 1. September 2006 ging der Beschuldigte abends über das „Alstervergnügen“ auf dem Jungfernstieg. Dabei trug er einen leicht gebogenen Dolch mit einer fast 20 Zentimeter langen Klinge mit sich, der im Hosenbund steckte, aber zur Hälfte sichtbar war. Als er deswegen von Polizeibeamten abgeführt wurde, versuchte er nach Passanten zu treten, was ihm nur einmal in abgemilderter Weise gelang.
8
2. Die Feststellungen zu den vom Beschuldigten begangenen Taten sind rechtsfehlerfrei. Die Ablehnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt hält jedoch rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn die äußerst knapp gehaltenen Erwägungen lassen eine Nachprüfung der tatrichterlichen Annahmen zur Schuldunfähigkeit und zur Gefährlichkeit nicht zu.
9
a) Es fehlt bereits an einer nachvollziehbaren und eindeutigen Bewertung des Zustands des Beschuldigten. Dies lässt besorgen, dass die Art der Störung, ihr Schweregrad und damit die Gefährlichkeit des Beschuldigten unzutreffend beurteilt worden sind.
10
Das sachverständig beratene Landgericht führt hierzu – dem Sachverständigen folgend – lediglich aus, dass sich bei dem Angeklagten aufgrund einer Alkoholabhängigkeit eine psychotische Störung mit Verfolgungs- und Beziehungsideen entwickelt habe, die eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese Störung habe bei den ersten drei Taten bestanden und zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit geführt. Eine Aufhebung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht könne auch für die vierte Tat nicht ausgeschlossen werden, wahrscheinlich habe aber ein Alkoholentzugsdelir vorgelegen. Eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei dieser Tat sei daher nicht auszuschließen.
11
aa) Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGHSt 34, 29, 31; BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07; BGH NStZ 2003, 307). Hier fehlt es aber an der Darlegung der die gutachterlichen Diagnosen tragenden Befunde. Es wird weder begründet, aufgrund welcher Symptome die Störungsbilder diagnostiziert wurden, noch, wie diese in der konkreten Tatsituation auf den Beschuldigten eingewirkt haben. Insbesondere teilt das Landgericht hierzu nicht mit, welche Anhaltspunkte bei der vierten Tat zur Annahme eines anderen Krankheitsbildes mit abweichenden Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit geführt haben.
12
bb) Für die vierte Tat fehlt es schließlich auch an einer eindeutigen Bewertung , welche der beiden Alternativen des § 20 StGB bei dem Beschuldigten vorgelegen hat. Es darf nicht offen bleiben, ob die psychische Störung die Einsichts - oder die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vermindert oder aufgehoben hat (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1 und Gefährlichkeit 5; BGH NStZ-RR 2003, 232; 2004, 38 f.). Nach den Urteilsgründen steht aber nicht fest, ob das Alkoholentzugsdelir dazu geführt hat, dass der Beschuldigte nicht die Fähigkeit besessen hat, das Unerlaubte seines Tuns zu erkennen, oder ob er lediglich außerstande gewesen ist, nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann Auswirkungen auf die Beurteilung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit haben. Zudem ist ihnen nicht zu entnehmen, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Tat am 1. September 2006 sicher vorgelegen haben.
13
b) Auch die übrigen Ausführungen des Landgerichts zur fehlenden Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit begegnen durchgreifenden Bedenken, da sie eine ausreichende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner Taten vermissen lassen. So ist weder sein bisheriger Lebensweg dargelegt, noch finden sich Ausführungen zu einer eventuellen Vordelinquenz.
14
Das Landgericht ordnet sämtliche Taten in den „Bereich der unteren Kriminalität“ ein, erheblich im Sinne der §§ 63, 64 StGB seien diese nicht, schließlich sei der Beschuldigte niemals „übergriffig“ geworden. Dabei verkennt es, dass es bei der ersten und der vierten Tat zu Übergriffen gekommen ist. So attackierte der Beschuldigte zwar seinen Mitbewohner nicht unmittelbar mit dem Messer, setzte dieses aber gegen dessen Gehstock ein. Für die vierte Tat bleiben die versuchten – in einem Fall vollendeten – Übergriffe auf Passanten unbeachtet. Selbst wenn das Landgericht eine Körperverletzung als Symptomtat nicht feststellen konnte (vgl. zum Erfordernis des Strafantrags BGHSt 31, 132, 134), hätte das gegen die körperliche Integrität Dritter gerichtete Verhalten des Beschuldigten doch in die Gesamtwürdigung betreffend die Gefährlichkeit einbezogen werden müssen. Auch hätte die aus den Taten 1., 2. und 4. ersichtliche Affinität des Beschuldigten zu Messern nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.
15
3. Der neue Tatrichter hat die Frage der Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 72, 73; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 9; § 62 Verhältnismäßigkeit 2) umfassend neu zu prüfen. Falls der neue Tatrichter diese bejahen sollte, weist der Senat darauf hin, dass die Notwendigkeit der Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB grundsätzlich nicht durch minder einschneidende Maßnahmen – hier die vier Monate vor dem Urteil einsetzende regelmäßige Medikamenteneinnahme – aufgehoben wird, sondern solche täterschonende Mittel Bedeutung nur für die Frage erlangen, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 6, 28 und Beweiswürdigung 1).
Gerhardt Raum Brause Schaal Jäger
5 StR 223/02

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 15. Januar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. Januar 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt N
als Verteidiger,
Rechtsanwältin M
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, des Nebenklägers und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18. Juli 2001 werden verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Die Kosten der Revisionen des Nebenklägers und des Angeklagten fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen Totschlags zehn Jahre Freiheitsstrafe verhängt, hat ihn unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und hat seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Revision eingelegt. Während sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts wendet und darüber hinaus die Strafzumessung angreift, beanstanden Staatsanwaltschaft und Nebenkläger, daß der Angeklagte nicht wegen Mordes verurteilt worden ist. Außerdem rügen sie, das Landgericht habe sich mit der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zutreffend auseinandergesetzt und das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ungeprüft übernommen. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.


Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
Am Vorabend der Tat begab sich der bereits angetrunkene Ange- klagte in eine Gaststätte, wo er zunächst eine tätliche Auseinandersetzung mit einem entfernten Bekannten provozierte. Kurze Zeit später wurde er beschuldigt , gegen das vor der Gaststätte abgestellte Fahrzeug des Zeugen S getreten und möglicherweise auch versucht zu haben, dieses zu entwenden. Da jedoch zunächst keine Beschädigungen an dem PKW festzustellen waren, ließ der Zeuge die Sache auf sich beruhen und kehrte – ebenso wie der Angeklagte – in die Gaststätte zurück. Dort wurde er von dem empörten Angeklagten beschimpft und kurzfristig auch mit einem Butterflymesser bedroht. Im Verlauf des Abends nahm der Angeklagte weiter Alkohol zu sich und konsumierte auch Rauschgift.
Gegen 1.00 Uhr des folgenden Tages machte sich das spätere Tatopfer , die 62jährige T , auf den Heimweg. Auf Bitten des Gastwirts nahm sie neben dem Zeugen V auch den ihr bis dahin unbekannten Angeklagten in ihrem Wagen mit, da beide in einem Ort auf der Wegstrecke der Frau T wohnten. Dort angekommen, stieg zunächst der Zeuge aus, wobei ihm der Angeklagte behilflich war, sein Fahrrad aus dem Kofferraum zu heben. Als Frau T bei der Weiterfahrt auf einem unbefestigten Weg langsam fahren mußte, stach der Angeklagte plötzlich mit dem Butterflymesser auf sie ein und brachte ihr insgesamt 31 Stich- und Schnittverletzungen bei. Nachdem T aufgrund der erlittenen schweren Verletzungen immer schwächer geworden war, drängte der Angeklagte sie aus dem Auto; die Frau verblutete am Wegesrand.
Mit dem PKW seines Opfers fuhr der Angeklagte anschließend zur Wohnung eines befreundeten Paares, wo er sich im folgenden verborgen hielt. Nach drei Tagen wurde er dort festgenommen; unter der Kranzleiste des Küchenschranks wurde die EC-Karte der Getöteten gefunden.
Zur Schuldfähigkeit hat die sachverständig beratene Strafkammer festgestellt, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund vorherigen Alkohol- und Drogenmißbrauchs im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt war.

II.


Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Daß der Tatrichter angesichts der massiven Vorgehensweise des Angeklagten (bedingten) Tötungsvorsatz angenommen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Strafzumessung enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

III.


Ebenfalls ohne Erfolg bleiben die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen von Habgier und niedrigen Beweggründen abgelehnt hat, halten rechtlicher Prüfung stand. Auch daß die Strafkammer die Mordmerkmale der heimtückischen und grausamen Begehungsweise nicht erkennbar geprüft hat, begegnet im Ergebnis keinen Bedenken.
1. Ein Täter handelt aus Habgier, wenn sich die Tat als Folge eines noch über bloße Gewinnsucht hinaus gesteigerten abstoßenden Gewinnstrebens darstellt (BGHSt 29, 317, 318; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 8 m. w. N).
Dies hat das Landgericht im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei verneint. Dabei hat es sich ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte , der sich an die Tat und deren Vorgeschichte nicht erinnern will, mit der Absicht gehandelt hat, sich den PKW seines Opfers und/oder die ECKarte zuzueignen. Die Strafkammer vermochte jedoch nicht auszuschließen, daß der Angeklagte erst nach dem Zustechen den Gedanken faßte, unter Benutzung des Fahrzeugs zu flüchten. Bei dieser Erwägung hat sie nicht übersehen, daß der Angeklagte kurz vor der Tat verdächtigt worden war, sich möglicherweise in Diebstahlsabsicht dem Fahrzeug des Zeugen S genähert zu haben, hat diesen nicht bewiesenen Umstand dann aber zu Recht außer Betracht gelassen. Es liegt ebenfalls im Rahmen tatrichterlicher Beurteilung, wenn das Landgericht es im Hinblick auf die EC-Karte der Getöteten für möglich hält, daß er diese erst nach der Tat entdeckt und dann an sich genommen hat. Allerdings hat die Strafkammer in dem hier gegebenen Zusammenhang die erheblichen Vorstrafen des Angeklagten wegen Diebstahls , Raubes und gefährlicher Körperverletzung nicht ausdrücklich in die Beweiswürdigung mit einbezogen. Angesichts der ausführlichen Darstellung dieser früheren Straftaten im Urteil ist jedoch auszuschließen, das Landgericht könne deren mögliche indizielle Bedeutung nicht bedacht haben.
2. Auch daß die Strafkammer das Vorliegen niedriger Beweggründe abgelehnt hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Beweggründe sind niedrig, wenn sie als Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen (vgl. BGHSt 42, 226, 228; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 9 m. w. N.). In subjektiver Hinsicht muß hinzukommen, daß sich der Täter bei der Tat der Umstände bewußt ist, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen, und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11 und 15). Ob dies der Fall ist, bedarf insbesondere bei plötzlichen
Situationstaten genauerer Prüfung (vgl. BGH StV 2000, 20, 21, BGH NStZ 2001, 87; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 12 m. w. N.).
Aus welchen Motiven der Angeklagte T getötet hat, konnte letztlich nicht zuverlässig geklärt werden. Von Habgier hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht zu überzeugen vermocht. Für das Vorliegen anderer Motive fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Gestützt auf die Aussage des Zeugen V , wonach auf der Heimfahrt eine ruhige Atmosphäre herrschte und der Angeklagte sich unauffällig verhielt, sieht die Strafkammer auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß T den Angeklagten kurz vor der Tat verärgert oder in anderer Weise in Wut versetzt haben könnte. Angesichts des gesamten Tatbildes einschließlich der Vorgeschichte, der psychischen Verfassung und der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten ist die Annahme des Landgerichts, der zur Tatzeit erheblich unter Alkohol- und Drogeneinfluß stehende Angeklagte habe die Tat nicht ausschließbar in einem affektiven Durchbruch ohne Vorplanung aus dem Augenblick heraus begangen, nicht fernliegend.
Einer Prüfung, ob sich darüber hinaus die Annahme niedriger Beweggründe auch deshalb verbot, weil fraglich erscheint, daß sich der zur Tatzeit in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Angeklagte bei seinem nicht ausschließbar spontan geführten Angriff der etwaigen Niedrigkeit seiner Beweggründe bewußt war, bedurfte es daher nicht.
3. Des weiteren begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, daß die Strafkammer nicht erkennbar geprüft hat, ob der Angeklagte T heimtückisch oder grausam getötet hat.
Zwar liegt es nicht fern, daß T arg- und wehrlos war, als der Angeklagte sie mit Tötungsvorsatz angriff. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und insbesondere dem ausführlich dargestellten Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen entnimmt der Senat jedoch,
daß der Tatrichter jedenfalls die subjektiven Voraussetzungen der Heimtükke , nämlich das Bewußtsein, die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auszunutzen , sicher ausgeschlossen hat; entsprechende Ausführungen waren danach nicht unerläßlich. Auch die Staatsanwaltschaft hat ihre Anklage nicht auf das Mordmerkmal der Heimtücke gestützt.
Die Feststellungen belegen bereits nicht die objektiven Voraussetzungen einer grausamen Begehungsweise im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB. Jedenfalls durfte das Landgericht auch hier annehmen, daß dem Angeklagten das Bewußtsein fehlte, dem Opfer beim Tötungsvorgang besondere Qualen zuzufügen. Die Nichterörterung dieser Gesichtspunkte stellt deshalb keinen Rechtsfehler dar, zumal da die Staatsanwaltschaft auch dieses Mordmerkmal in der Anklage nicht benannt hat.
4. Im Ergebnis ohne Erfolg bleibt schließlich auch die weitere sachlichrechtliche Beanstandung zur erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit.
Die hierzu getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen W , dem das Landgericht gefolgt ist. Die hiergegen geltend gemachten Bedenken, das Landgericht habe es bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit an der gebotenen eigenverantwortlichen Prüfung des Gutachtens (vgl. BGHSt 7, 238; 12, 311; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 32; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 92) fehlen lassen, sind unbegründet. Das Landgericht hat nach eingehender Darstellung des Gutachtens zusammenfassend ausgeführt, daß angesichts der Erläuterungen des Sachverständigen keine Zweifel daran bestehen , daß der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bei erhaltener Einsichtsfähigkeit erheblich in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt und damit vermindert schuldfähig gewesen sei (UA S. 44). Daß die Strafkammer sich genügend mit dem Sachverständigen auseinandergesetzt hat, lassen auch die Urteilsausführungen zur Persönlichkeit des Angeklagten erkennen, die das Gutachten eng mit der Frage der Schuld verknüpft. In diesem Zusammen-
hang teilt das Urteil im einzelnen mit, aus welchen Gründen es sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt und sich dessen Ausführungen zu eigen macht (UA S. 34).
Davon abgesehen darf sich der Tatrichter auch mangels genügender eigener Kenntnisse auf dem für die Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebiet darauf beschränken, sich der Beurteilung des Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen, wenn er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergibt, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstiger Rechtsfehlerfreiheit erforderlich ist (vgl. BGHSt 7, 238; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 32 m. w. N.). Dies ist im vorliegenden Fall mehr als ausreichend geschehen. Insbesondere hat der Sachverständige auch zu den von den Beschwerdeführern angeführten Gesichtspunkten Stellung genommen, die nach Auffassung der Revision eine erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten in Frage stellen. Dies gilt namentlich im Hinblick auf das Nachtatverhalten des Angeklagten, das keine Störungen seines Leistungsverhaltens oder sonstige auf eine erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit hinweisenden Auffälligkeiten erkennen ließ. Der Sachverständige hat dieses Phänomen nachvollziehbar damit erklärt, daß hier das zusätzlich zu dem Alkohol genossene Rauschgift bei dem ohnehin zu Aggressionen neigenden Angeklagten einen affektiven
Durchbruch begünstigt haben könnte, wobei der Sachverständige dies ausdrücklich nur auf den Tatzeitpunkt bezieht (UA S. 41, 42). Mit einem unauffälligen Nachtatverhalten des alkoholgewohnten Angeklagten ist diese Bewertung vereinbar (vgl. BGHR StGB § 21 Alkoholauswirkungen 6; Blutalkoholkonzentration

4).


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(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.